Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Sachsen

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Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Sachsen
EU-ERWEITERUNG

Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt in
Sachsen
Eine neue, umfassende Untersuchung des ifo Instituts Dresden, die im Auftrag des Sächsischen Staatsminis-
teriums für Wirtschaft und Arbeit erstellt wurde, analysiert mit theoretisch fundierten Indikatoren und mit einer
Investorenbefragung die Standortbedingungen in Sachsen, Polen und Tschechien (vgl. GERSTENBERGER ET AL.
(2004)). Auf der Basis der Aussagen der Außenhandels- und Integrationstheorie werden hieraus Schlüsse hin-
sichtlich der Chancen und der Risiken für die sächsische Wirtschaft aus der Osterweiterung gezogen. Unter
Berücksichtigung des Branchenmix der Regionen Sachsens erlaubt dies auch Aussagen zur Sensitivität der
sächsischen Regionen gegenüber dieser Veränderung der Wettbewerbsbedingungen. Die in der Befragung
erfassten sächsischen Firmen unterschieden sich je nach Zugehörigkeit zur Gruppe der chancenreichen oder
risikobehafteten Branchen deutlich in der Einstellung zur und in den Reaktionen auf die Osterweiterung. Haupt-
aufgabe der durchgeführten Umfrage bei Unternehmen in Sachsen und in den angrenzenden Regionen in
Tschechien und Polen war jedoch, aktuelle Informationen zum Vorbereitungsgrad, der Innovationsbereitschaft
und den geplanten Aktivitäten im Hinblick auf die EU-Osterweiterung zu liefern. Die Innovationsaktivitäten der
heimischen Wirtschaft und die Attraktivität Sachsens als Investitionsstandort für internationale Investoren
bestimmen letztlich, wie die Osterweiterung Wachstum und Beschäftigung in Sachsen beeinflussen wird. Die
Untersuchung ergab die folgenden Befunde.

Ausgangslage                                                Polen und Tschechien ist der wirtschaftliche Rück-
                                                            stand noch stärker ausgeprägt.
Sachsen verfügt im Vergleich zu den alten Bundes-
ländern auch 2003 immer noch über einen kleinen             Standortbedingungen
industriellen Sektor und eine überdimensionierte
Bauwirtschaft. Während sich das verarbeitende               Durch die Erweiterung werden bestehende Barrieren
Gewerbe in den letzten acht Jahren durch ein kräfti-        für den Austausch von Waren und Diensten, den
ges Wachstum ausgezeichnet hat, kämpft die                  Kapitalverkehr, die Niederlassungsfreiheit und – mit
Bauwirtschaft weiterhin mit Überkapazitäten und             Übergangsfrist – für die Arbeitnehmerfreizügigkeit
muss in großem Umfang Arbeitskräfte entlassen. Der          zwischen Regionen abgebaut, die sich in den Stand-
Dienstleistungsbereich ist, gemessen an der Versor-         ortbedingungen für die Produktion von Waren und
gungsdichte, in der Regel noch nicht so ausgebaut           Diensten stark unterscheiden. Die Beitrittsländer
wie in den alten Bundesländern. Insbesondere bei            haben auch gegenüber Sachsen Vorteile bei den
den wissensgestützten Diensten sind noch Defizite zu        Arbeitskosten von mehr als 75 %. Dies heißt noch
konstatieren.                                               nicht, dass auch die Preise von in Polen und Tsche-
                                                            chien produzierten Gütern um diesen Faktor günsti-
Mit dem Beitritt Polens, Tschechiens und der anderen        ger sind als bei einer Produktion in Sachsen, da sich
Staaten Mittel- und Osteuropas (MOE) vergrößern             die Produktivitäten unterscheiden können. Insbeson-
Länder mit Entwicklungsrückstand die Europäische            dere im Fall von Produktionseinheiten, die in die
Union. Während Sachsen beim Pro-Kopf erzeugten              Wertschöpfungskette multinationaler Unternehmen
Bruttoinlandsprodukt rund 30 % unter dem EU-                eingegliedert sind, aber auch bei Tochterbetrieben
Durchschnitt liegt, beträgt der Rückstand in Tsche-         mittelständischer EU-Firmen, halten sich jedoch die
chien über 40 % und in Polen rd. 60 %. Trotz dieser         Produktivitätsunterschiede in engen Grenzen oder,
Abstände halten sich die Unterschiede im Wirt-              anders ausgedrückt, auch die Unterschiede in den
schaftswachstum in den letzten acht Jahren in relativ       Lohnstückkosten sind ähnlich ausgeprägt wie bei den
engen Grenzen. Die Arbeitslosenquote liegt, mit Aus-        Arbeitskosten.
nahme von Tschechien, weit über dem EU-Durch-
                                                                                                                    5
schnitt. In den Grenzräumen zwischen Sachsen,               Zwar ist davon auszugehen, dass die Löhne und die

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EU-ERWEITERUNG

    Arbeitskosten in Polen und Tschechien stärker stei-                                                  Bei der Qualifikation der Arbeitskräfte verfügt Sach-
    gen werden als in Sachsen. Zusätzlich werden diese                                                   sen derzeit noch über Vorteile. Beim Bildungsstand
    Länder voraussichtlich auch durch eine reale Aufwer-                                                 der nachwachsenden Generationen gibt es allerdings
    tung ihrer Währung gegenüber dem Euro an Vor-                                                        nur mehr geringe Unterschiede. Bedenklich ist insbe-
    sprung in der Preiswettbewerbsfähigkeit einbüßen.                                                    sondere, dass in Sachsen relativ zum Bestand an
    Trotzdem wird es unter realistischen Annahmen hin-                                                   höchstqualifizierten Arbeitskräften weniger nach-
    sichtlich des Aufholtempos mehr als eine Dekade,                                                     wächst als in Polen und Tschechien. Die deutlichsten
    wahrscheinlich zwei Dekaden dauern, bis sie in der                                                   Unterschiede zugunsten von Sachsen existieren in
    Höhe der Lohnstückkosten zu Sachsen aufgeschlos-                                                     der staatlichen Infrastruktur für humankapital- und
    sen haben. Anders gewendet: Auch nach dem Ablauf                                                     forschungsintensive Wirtschaftszweige.
    der Übergangsfrist bis zur vollen Verwirklichung der
    Freizügigkeit für die Arbeitnehmer aus den Beitritts-                                                Das Bild, das sich aus objektiven Indikatoren für die
    ländern wird voraussichtlich noch ein ausgeprägter                                                   Standortbedingungen in Sachsen, Polen und Tsche-
    Preisvorteil für Anbieter aus Tschechien und Polen                                                   chien ergibt, wird durch das Ergebnis der durchge-
    gegenüber Anbietern aus Sachsen auf dem europäi-                                                     führten Befragung von internationalen Investoren
    schen Markt bestehen.                                                                                bestätigt (vgl. Abb. 1). Diese sahen für Polen und

    Abb. 1
                                                       Beurteilung der Standortqualität durch internationale Investoren*

                                                                                                  Als führende Region genannt (Anteil der Meldungen)
                                                                                                     Polen/Tschechien                       Ostdeutschland
                                                                                             0%          20%           40%             60%             80%    100%

                                                                             Arbeitskosten
                                                  Qualifiziertes Personal (Humankapital)
                                               Verkehrsanbindung und Transportkosten
                                            Umfang Investitionsförderung (inkl. Steuer)
      Standortfaktoren nach der Bedeutung

                                            Berechenbarkeit der staatlichen Verwaltung
                                                                              Kundennähe
                     (absteigend)

                                                Politische Stabilität und Ordnungspolitik
                                                                 Größe regionaler Markt
                                                 Transparenz staatlicher Regulierungen
                                               Nähe zu Lieferanten, industrielles Umfeld
                                                            Einfluss der Gewerkschaften
                                                     Ver- und Entsorgungseinrichtungen
                                                     Kommunikationsnetze und –kosten
                                                Leistungsfähigkeit des Gerichtswesens
                                              Bildungswesen, Forschungseinrichtungen

                                                                                             0%          20%           40%            60%         80%        100%
                                                                                              Häufigkeit der Nennung als "sehr wichtig" oder "bedeutsam"
     * Unternehmen aus Westdeutschland und Westeuropa, die an mehr als zwei Standorten in MOE-Ländern produzieren.
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    Quelle: ifo Investorenbefragung 2003.

                                                                     i f o    D R E S D E N        B E R I C H T E T    1 / 2 0 0 4
EU-ERWEITERUNG

Tschechien klare Vorteile bei den Arbeitskosten,             Verarbeitendes Gewerbe
während Sachsen und die anderen neuen Bundes-
länder bei der für Unternehmen relevanten Infra-             Für das verarbeitende Gewerbe gilt im Großen und
struktur (Verkehrsanbindung, Kommunikation, Bil-             Ganzen, dass die EU-Osterweiterung zum 01. Mai
dungs- und Forschungseinrichtungen, Ver- und Ent-            2004 keine gewichtigen Veränderungen bringen wird.
sorgungseinrichtungen) deutliche Vorteile aufweisen.         Bedingt durch die Assoziationsabkommen herrschte
Bemerkenswert ist auch der klare Vorsprung in der            in weiten Bereichen des Außenhandels mit Waren
Qualität des regulatorischen Umfelds, das der Staat          bereits seit Mitte der neunziger Jahre Handelsfreiheit
den Unternehmen bietet (z. B. Berechenbarkeit und            und die Freiheit, in den MOE-Ländern zu investieren.
Verlässlichkeit der staatlichen Verwaltung, politische
Stabilität und Ordnungspolitik, Transparenz staatli-         Der Prozess der Anpassung an die vergrößerte Euro-
cher Regulierungen, Leistungsfähigkeit des Gerichts-         päische Union ist deshalb im Industriebereich schon
wesens). Eindeutig führend sind Sachsen bzw. Ost-            zu einem erheblichen Teil vollzogen. Dies drückt sich
deutschland in den Augen der Investoren in der               auch in den Strukturverschiebungen innerhalb des
Intensität der Investitionsförderung. Bei der Qualifika-     verarbeitenden Gewerbes in Sachsen aus. Diese
tion der Arbeitskräfte erhielten dagegen Polen bzw.          liefen seit Mitte der neunziger Jahre eindeutig in die
Tschechien ähnlich viele erste Plätze wie Ostdeutsch-        Richtung technologie- und humankapitalintensiver
land und Sachsen.                                            Bereiche und gingen zu Lasten arbeitsintensiver Be-
                                                             reiche. Für die nächsten Jahre kann noch ein ge-
Inwieweit der vorhandene ausgeprägte Vorteil bei den         wisser weiterer Anpassungsbedarf entstehen, da ab
Arbeitskosten, die nach dem Urteil der Investoren den        2004 keine Grenzformalitäten mehr den Fluss von
wichtigsten Standortfaktor darstellen, kurz- bis mittel-     Gütern zwischen alten und neuen EU-Mitgliedsstaa-
fristig wettbewerbswirksam wird, hängt vom Umfang            ten hemmen.
und der Struktur der vorhandenen Produktionskapa-
                                                             Aus theoretischen Überlegungen lässt sich aus
zitäten insbesondere in den Grenzregionen von Polen
                                                             den Standortvorteilen und -nachteilen Sachsens ab-
und Tschechien zu Sachsen ab. Eine detaillierte
                                                             leiten, dass von dem vergrößerten Markt vor allem die
Analyse zeigt, dass arbeitsintensive Industriezweige
                                                             Industriebereiche profitieren werden, die humankapi-
(Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie, Holz-,
                                                             talintensiv produzieren und/oder deren Unternehmen
Möbel-, Schmuck-, Musikinstrumenten- und Spiel-
                                                             über spezifische Vorteile (geistige Eigentumsrechte,
warenindustrie) in der tschechischen und polnischen
                                                             Vertriebskanäle), interne oder externe Größenvorteile
Grenzregion zu Sachsen (Severozápad, Dolnośla˛skie)
                                                             oder Netzwerkvorteile verfügen. Wegen des Arbeits-
bereits heute weit stärker präsent sind als in den
                                                             kostenvorteils der MOE-Länder, der noch über die
sächsischen Grenzräumen.
                                                             nächsten Dekaden fortbestehen wird, stehen weiter-
                                                             hin die Industriebereiche unter Anpassungsdruck,
Sensitivität der sächsischen Wirtschaft gegen-               welche arbeitsintensiv sind und sich nicht durch spe-
über den Effekten der EU-Osterweiterung                      zifische Vorteile differenzieren können.

Welche Wirkungen von der Osterweiterung ausge-               Anhand dieser Erfolgsfaktoren lassen sich die 99 In-
hen, hängt nicht nur von den Standortbedingungen in          dustriebranchen (Drei-Steller WZ 93) in drei Gruppen
Sachsen und der Nutzung der vorhandenen Stand-               gliedern, nämlich in:
ortvorteile durch die ansässigen Unternehmen ab.             • wettbewerbsstarke Branchen, die von der Erwei-
Wichtig ist auch, wie stark sich die Wettbewerbs-                terung Impulse erhalten werden,
bedingungen zu welchem Zeitpunkt verändern. Da               • wenig von der Osterweiterung betroffene Bran-
in dieser Hinsicht große Unterschiede zwischen den               chen,
Wirtschaftsbereichen bestehen, werden die Effekte            • wettbewerbsschwache Branchen, die durch die
der Osterweiterung nach Wirtschaftsbereichen                     Erweiterung (stärker) unter Anpassungsdruck          7
getrennt analysiert.                                             kommen könnten.

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EU-ERWEITERUNG

    Kernelement der Osterweiterung ist, dass die                 ländern statt, die Produktion ist aber so standardi-
    Unternehmen in den alten EU-Ländern und auch in              sierbar, dass sie problemlos in die Niedriglohnländer
    Sachsen in einen intensiven Wettbewerb mit Unter-            verlagert werden kann. Häufig sind derartige Konstel-
    nehmen/Betrieben aus einer benachbarten Nied-                lationen im Bereich der Informations- und Kommuni-
    riglohnregion treten. Die Position der Branchen kann         kationsindustrien anzutreffen. Umgekehrt weist eine
    deshalb im Außenhandel mit Niedriglohnländern                Kombination einer wettbewerbsschwachen Branche
    überprüft werden. Je stärker in einer Branche die            mit einem niedrigen Gefährdungsgrad durch Nied-
    Importe der Industrieländer aus Niedriglohnländern           riglohnkonkurrenz darauf hin, dass diese Branche in
    (Entwicklungs- und Schwellenländer) die Exporte in           nennenswertem Umfang durch nichttarifäre Handels-
    diese Länder übertreffen, umso höher ist der Gefähr-         hemmnisse vor dem Wettbewerb aus Niedriglohnlän-
    dungsgrad dieser Branche durch Niedriglohnkon-               dern geschützt ist. Diese können nicht nur in staatli-
    kurrenz einzustufen. Konkret wurden die Export-              chen Regulierungen des Marktzugangs sondern auch
    Import-Relationen der Branchen für den Handel im             in kulturellen Barrieren liegen.
    Jahr 2000 zwischen den Industrieländern (die 15 EU-
    Mitglieder, USA, Japan) und den Niedriglohnländern           Tab. 1
    (Afrika, Asien ohne Japan, Lateinamerika) berechnet.
                                                                   Verteilung der Beschäftigten der sächsischen
    Damit fließen auch die Ergebnisse des Nachbar-                 Industrie im Jahr 2002 auf wettbewerbsstarke
    schaftshandels (USA mit Mexico/Mittelamerika und                          und -schwache Branchen
    Japan mit Südostasien, EU und Mittelmeerraum) in                              – Angaben in % –
    die Messung des Gefährdungsgrades ein.
                                                                  Position                      Gefährdungsgrad durch
                                                                  im Handel mit der             Niedriglohnkonkurrenz
    Das Ranking der Branchen nach dem Gefährdungs-
                                                                  MOE-Industrie
    grad weicht zum Teil von der Rangfolge nach den                                             gering         neutral   hoch
    theoretischen Erfolgsfaktoren ab. Die Abweichungen            Wettbewerbsstark                25            10        1
    reflektieren nicht zuletzt die Standortpolitik der multi-
    nationalen Unternehmen aus den USA, Europa und                Neutral                           4           12       16
    Japan. Durch die Kombination der beiden Mess-                 Wettbewerbsschwach                8           12       14
    ansätze können die einzelnen Branchen des verar-
                                                                 Quelle: Zusammenstellung des ifo Instituts.
    beitenden Gewerbes sehr differenziert nach von
    der EU-Osterweiterung besonders positiv und nega-
    tiv betroffenen Bereichen eingruppiert werden (vgl.          Auch Dank der Anpassungsprozesse in den letzten
    Tab. 1). Für Branchen, die sowohl als wettbewerbs-           Jahren haben die Branchen, die aus der Oster-
    stark nach den theoretischen Kriterien gelten als auch       weiterung Vorteile ziehen, in Sachsen bereits 2002
    einen geringen Gefährdungsgrad durch Niedriglohn-            im verarbeitenden Gewerbe das Übergewicht und
    konkurrenz aufweisen, überwiegen eindeutig die               beschäftigen mehr sozialversicherungspflichtige Ar-
    Chancen aus der EU-Osterweiterung. Im Gegensatz              beitnehmer als die Unternehmen aus risikobehafteten
    dazu stehen für diejenigen Branchen, die sowohl              Branchen. Die Chancen liegen insbesondere bei
    nach den theoretischen Erfolgsfaktoren als wettbe-           den Investitionsgüter produzierenden Bereichen und
    werbsschwach einzustufen sind als auch empirisch             der Herstellung von höherwertigen Gebrauchsgü-
    einen hohen Gefährdungsgrad aufweisen, eindeutig             tern. Unter Anpassungsdruck stehen die Bereiche
    die Risiken im Vordergrund. Nicht minder interessant         Schuh-, Textil-, Bekleidungs-, Holz- und Metallindu-
    sind Branchen, die nach den beiden Ansätzen unter-           strie sowie die bauabhängigen Wirtschaftsbereiche.
    schiedlich zu klassifizieren sind. So findet bei theore-     Insbesondere die sächsischen Industriebereiche, die
    tisch wettbewerbsstarken Branchen, die zugleich              eher Risiken ausgesetzt sind, versuchen gemäß dem
    einem hohen Gefährdungsgrad durch Niedriglohn-               Umfrageergebnis, durch grenzüberschreitende Ko-
    konkurrenz ausgesetzt sind, zwar die humankapitalin-         operationen ihre Wettbewerbsposition zu verbessern
8
    tensive Forschung und Entwicklung in den Industrie-          und damit die Risiken zu begrenzen.

                                    i f o   D R E S D E N   B E R I C H T E T    1 / 2 0 0 4
EU-ERWEITERUNG

Handwerks- und Dienstleistungsbereich                              Der Beitrittstermin 1. Mai 2004 wird insbesondere
                                                                   für die Handwerks- und Dienstleistungsbereiche, die
Beim handwerksgeprägten Bau- und Reparaturge-                      ihre Leistung am Ort des Nachfragers erstellen wie
werbe, dem Groß- und Einzelhandel, dem Gast- und                   z. B. das Baugewerbe und Pflegedienste, zu keinem
Transportgewerbe sowie bei den Finanzdienstleis-                   „big bang“ führen, weil die Arbeitnehmerfreizügig-
tungen und den übrigen marktbestimmten Dienstleis-                 keit noch in der Übergangsphase von maximal
tungsaktivitäten sind durch die EU-Osterweiterung                  sieben Jahren begrenzt sein wird. Eine Wettbe-
auf längere Sicht ins Gewicht fallende Veränderungen               werbsintensivierung in dieser Gruppe des Hand-
der Wettbewerbsbedingungen zu erwarten. Dies                       werks- und Dienstleistungsbereichs ist allerdings da-
hängt damit zusammen, dass diese Bereiche bisher                   durch zu erwarten, dass selbständige Handwerker
indirekt einen Wettbewerbsschutz gegenüber Kon-                    oder Dienstleister aus Polen und Tschechien ab dem
kurrenz aus den Beitrittsländern hatten, weil die                  Beitritt ihre Dienste in Sachsen anbieten können,
Arbeitnehmerfreizügigkeit für Arbeitskräfte aus den                wenn sie diese selbst ausführen. Wichtig ist noch,
Beitrittsländern streng begrenzt war. Diese Beschrän-              dass sich das sächsische Transportgewerbe darauf
kung ist für den Handwerks- und Dienstleistungsbe-                 einzustellen hat, dass spätestens 2009 das Kabota-
reich deshalb so bedeutsam, weil bei der Erstellung                geverbot1 auf dem nationalen Markt für die wettbe-
der Leistung häufig der Produzent und der Konsu-                   werbsfähige Konkurrenz aus den Nachbarländern
ment an einem Ort zusammenwirken müssen. Bei                       fallen wird. Die sächsischen Frachtführer müssen
beschränkter Freizügigkeit war es bisher z. B. einem               sich dann auf einen noch härteren Wettbewerb ein-
tschechischen Unternehmen nicht möglich, seine                     stellen.
Dienstleistung in Sachsen mit tschechischen Arbeits-
kräften zu tschechischen Löhnen zu erstellen. Die                  Für die Chancen und Risiken der Handwerks- und
Spezifika der Dienstleistungsproduktion sind auch                  Dienstleistungsbereiche gilt Ähnliches wie für das ver-
noch in anderem Zusammenhang von Bedeutung.                        arbeitende Gewerbe. Vorteile können sich diejenigen
Sie bewirken nämlich, dass Distanzkosten eine                      Unternehmen erhoffen, welche humankapitalinten-
gewichtige Rolle spielen und der Wettbewerb deshalb                sive bzw. wissensintensive Dienste erstellen und/oder
oft regional begrenzt ist. Dieser Aspekt muss bei der              über tragfähige Alleinstellungsmerkmale verfügen.
Bewertung der Wirkungen der Grenzöffnung zum                       Großen Risiken werden die Unternehmen ausgesetzt
1. Mai 2004 beachtet werden.                                       sein, welche arbeitsintensiv produzieren und sich
                                                                   nicht über besondere Qualitäten oder durch belast-
Zu diesem Termin werden sich trotz des großen                      bare Beziehungen zu den Kunden von den preiswer-
Potenzials die Wettbewerbsverhältnisse auch für den                ten Konkurrenten aus den Nachbarländern abheben
Handwerks- und Dienstleistungsbereich nur in be-                   und nicht durch Distanzkosten geschützt sind.
grenztem Umfang verändern. Dahinter stehen ver-
schiedene Gründe. Bei angebotsorientierten Dienst-                 Unter Berücksichtigung des Einflusses von Distanz-
leistungen, bei denen der Kunde zum Produzenten                    kosten ergibt sich gegenwärtig die in Tabelle 2 dar-
kommt, herrschte bereits seit der Gewährung der                    gestellte Verteilung der Beschäftigten in Sachsen auf
Reisefreiheit mehr Wettbewerb, soweit dem die Ent-                 die verschiedenen Branchengruppen. Das Segment
fernungskosten nicht entgegen standen. Insbeson-                   des sächsischen Handwerks- und Dienstleistungsbe-
dere in den sächsischen Grenzregionen sind also                    reichs, in dem die Unternehmen/Betriebe wegen der
in bestimmten Dienstleistungsbereichen wie z. B.                   Bedeutung von Distanzkosten keine ins Gewicht fal-
dem Hotel- und Gaststättengewerbe schon seit eini-                 lende Veränderung des Wettbewerbsumfelds zu
gen Jahren der Wettbewerbsdruck aus den billigeren                 gegenwärtigen haben, ist mit 60 % aller Beschäftigten
Beitrittsländern genauso wie Nachfrageeffekte der                  gewichtig. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuwei-
Grenzöffnung spürbar.                                              sen, dass hohe Distanzkosten nur einen fragilen
1
    Wegen des bestehenden Kabotageverbots dürfen Frachtführer aus den Beitrittsstaaten keine Transportleistungen zwischen den EU-   9
    Staaten erbringen.

                                    i f o   D R E S D E N    B E R I C H T E T    1 / 2 0 0 4
EU-ERWEITERUNG

     Schutz bieten. Ostdeutsche Bauhandwerker konnten                    der nächsten Dekade. Gemessen an der aktuellen
     z. B. ihre Dienste trotz einer Distanz von mehr als                 Verteilung der Arbeitsplätze auf die wettbewerbsrele-
     500 km erfolgreich im Saarland anbieten als die                     vanten Felder unterschiedlicher Faktorintensität ist
     Nachfrage zu Hause abnahm.                                          dann per saldo ein negativer gesamtwirtschaftlicher
                                                                         Impuls für Sachsen nicht auszuschließen, muss aber
     In dem Bereich, der durch die EU-Osterweiterung                     auch nicht zwingend eintreten.
     stärker tangiert wird, überwiegen die Handwerks-
     und Dienstleistungsaktivitäten, die am Ort des Anbie-               Betroffenheit der Regionen
     ters erstellt werden. Für diese Dienste werden die
     Wirkungen der Integration der östlichen Nachbarlän-                 Die Regierungsbezirke Sachsens weichen in den
     der zum Beitrittstermin 2004 wirksam. Da Reise-                     Wirtschaftsstrukturen deutlich voneinander ab. Wäh-
     freiheit für Bürger Polens und Tschechiens bereits                  rend der grenzferne Bezirk Leipzig als dienstleis-
     seit längerem besteht, sind etwaige Effekte zum Teil                tungsgeprägt charakterisiert werden kann, ist der
     bereits eingetreten. In dieser Gruppe von Hand-                     zum Grenzraum zu zählende Regierungsbezirk
     werks- und Dienstleistungen hat Sachsen von der                     Chemnitz industrieorientiert. Der Regierungsbezirk
     Verteilung der vorhandenen Arbeitsplätze her durch                  Dresden liegt ebenfalls im Grenzraum und verfügt
     die EU-Osterweiterung eindeutig mehr Chancen. Per                   über eine relativ ausgewogene Wirtschaftsstruktur
     saldo erhalten also Wertschöpfung und Beschäfti-                    sowohl mit gewichtigen Industrie- als auch Dienstleis-
     gung Sachsens durch die erweiterten Möglichkeiten                   tungsbranchen. Die anhand der Landkreise, die an
     für seine humankapitalintensiven Handwerks- und                     der Grenze zu Polen und Tschechien liegen, definier-
     Dienstleistungsbereiche durch den Beitritt der Nach-                ten Grenzregionen sind industrielastig und beheima-
     barländer 2004 einen Impuls.                                        ten auch relativ viel Baugewerbe.

     Bei dem kleineren Bereich der nachfrageorientierten                 Wegen der unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen
     Dienste treten ins Gewicht fallende Wirkungen der                   errechnet sich für jede Region eine andere Verteilung
     Integration erst nach Ablauf der Übergangsfristen bis               der Beschäftigten auf die Chancen-Risiken-Matrizen
     zur vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für polnische und              im verarbeitenden Gewerbe bzw. im Handwerks- und
     tschechische Arbeitskräfte ein, also erst zu Anfang                 Dienstleistungsbereich. Werden diese Matrizen zu

     Tab. 2

      Verteilung der Beschäftigten im Handwerks- und Dienstleistungsbereich in Sachsen auf die Felder
                            der Chancen-Risiken-Matrix der EU-Osterweiterung

                                                                 Verteilung der sächsischen Beschäftigten 2002 in %
                                                             Erstellung der Handwerks- Wenig berührt Insgesamt
                                                                bzw. Dienstleistung     wegen hoher
                                                                                        Distanzkosten
     Faktorintensität                                         am Ort des    Ganz/teilw.
                                                               Anbieters       beim
                                                                            Nachfrager
     Humankapitalintensiv                                             19,2               3,0          26,6           48,9
     Kapitalintensiv (inkl. immateriellem Kapital)                     2,1               1,8            3,4            7,3
     Arbeitsintensiv und humankapitalarm                               6,5               6,9          30,5            43,8
     Alle Branchen                                                    27,7              11,7          60,5          100,0
10
     Quelle: Zusammenstellung und Berechnungen des ifo Instituts.

                                         i f o   D R E S D E N      B E R I C H T E T   1 / 2 0 0 4
EU-ERWEITERUNG

einem Wert für den Chancen-Risiken-Index der                        virulent. Das verbleibende Zeitfenster ist aber eng,
Region verdichtet, so zeigen sich Unterschiede in                   wenn beachtet wird, wie wenig Unternehmen sich
der Betroffenheit zwischen den sächsischen Regio-                   nach dem Befragungsergebnis3 bereits als auf die
nen (vgl. Abb. 2). Der Chancen-Risiken-Index2 kann                  Grenzöffnung vorbereitet bezeichnen. Insbesondere
Werte zwischen 0 und 1 annehmen. Je näher der CR-                   unter den Handwerks- und Dienstleistungsfirmen mit
Index beim Wert 1 liegt, umso stärker überwiegen in                 weniger als 20 Beschäftigten gehen sogar in den
der Region die Branchen, die durch die Osterweite-                  Grenzregionen rund ein Viertel bis ein Drittel davon
rung mehr Chancen haben. Wenn dagegen die Mehr-                     aus, dass es keiner Vorbereitung auf diese Verände-
heit der Beschäftigten der Region in Branchen aktiv                 rung in ihrem Wettbewerbsraum bedarf. Bei dieser
ist, für welche die Erweiterung eher Risiken bedeutet,              Gruppe von Firmen dürfte es für manche ein böses
dann nähert sich die Kennzahl dem Wert 0 an. Ein                    Erwachen geben.
Wert von 0,5 signalisiert ein ausgewogenes Chancen-
Risiken-Verhältnis bzw., dass die Unternehmen in der                Die Chancen der Grenzregionen, ihre Strukturen
Region aufgrund hoher Distanzkosten wenig tangiert                  durch weitere Ansiedlung humankapitalintensiver
sind.                                                               Aktivitäten zu verbessern und so auf die Gewinner-
                                                                    seite der Grenzöffnung zu kommen, sind nicht gut.
Am ehesten hat die Region Leipzig Chancen, per                      Zwar gibt es bei der Verkehrsanbindung keine großen
saldo von der EU-Osterweiterung zu profitieren. Dies                Defizite mehr und die Verkehrsinfrastruktur ist weit
liegt nicht nur daran, dass in diesem Raum relativ viele            besser als in den angrenzenden Regionen in Polen
humankapitalintensive Aktivitäten angesiedelt sind.                 und Tschechien. Aber eine ausgebaute Bildungs-
Eine Rolle spielt auch, dass die ansässigen arbeits-                und Forschungsinfrastruktur ist in den Grenzregionen
und humankapitalarmen Handwerks- und Dienstleis-                    nur vereinzelt vorhanden und reicht damit kaum,
tungsaktivitäten durch die größere Distanz, welche                  um im Wettbewerb der Regionen um die Köpfe und
die in diesem Segment wettbewerbsstarken polni-                     die humankapital- und wissensintensiven Aktivitäten
schen und tschechischen Anbieter zu überwinden                      bestehen zu können.
hätten, weitgehend vor einer Wettbewerbsverschär-
fung geschützt sind.                                                Es müssen also andere Strategien eingeschlagen
                                                                    werden, um im sich verschärfenden Wettbewerb
In den Grenzregionen überwiegen dagegen von der                     zu bestehen. Verstärkung der Kundenbindung, Ver-
Wirtschaftsstruktur her die Risiken, am stärksten in                mehrung der Alleinstellungsmerkmale über zusätz-
Süd-West-Sachsen. Dies ist auf die deutlich höhere                  liche Dienste sind Optionen. Die andere Option
Konzentration von humankapitalarmen und arbeits-                    besteht in der Nutzung der Arbeitskostenvorteile
intensiven Aktivitäten sowohl im produzierenden                     der Regionen jenseits der Grenze zur Stärkung
Gewerbe als auch im Dienstleistungsbereich in den                   der eigenen Wettbewerbsposition. Hierfür existieren
Grenzregionen zurückzuführen. Zwar werden diese                     verschiedene Wege, insbesondere aber der Aufbau
Risiken wegen der Übergangsphase bis zur vollen                     von Kooperationen mit Unternehmen in den Nach-
Arbeitnehmerfreizügigkeit für polnische und tsche-                  barländern. Falls unternehmensspezifische Vorteile
chische Arbeitskräfte nicht mit dem Beitritt 2004                   bestehen, ist Kooperation auch eine Möglichkeit,

2
    Der Chancen-Risiken-Index (CR-Index) ist folgendermaßen definiert:
    CR-Index = (Fc*Bc + Fn*Bn + Fr*Br)/B
    B = Zahl der Beschäftigten insgesamt in einer Region,
    Bc = Zahl der Beschäftigten der Region in Branchen mit Chancen,
    Bn = Zahl der Beschäftigten der Region in wenig berührten Branchen,
    Br = Zahl der Beschäftigten der Region in Branchen mit Risiken,
    Es gilt: B = Bc+Bn+Br
    F = Gewichtungsfaktoren, konkret wurde gerechnet mit:
    Fc = 1, Fn= 0,5, Fr = 0.
3
    Im Frühsommer 2003 wurden fast 1.500 Unternehmen, die über alle Regionen Sachsens streuen, nach ihrer Einstellung zur und ihren   11
    Reaktionen auf die Osterweiterung befragt.

                                     i f o   D R E S D E N    B E R I C H T E T    1 / 2 0 0 4
EU-ERWEITERUNG

     Abb. 2
                           Position der Region Sachsen im Hinblick auf die EU-Osterweiterung
                                          gemessen am Chancen-Risiken-Index

                                                                                                        Ost-Sachsen
                                                                                                             0,46

                                                                                       Südost-Sachsen
                                                                                              0,44

                                                          Südwest-Sachsen
                                                                0,42

     Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

     um sich zu niedrigeren Kosten als mit der Gründung                 Vor allem die Grenze zur Tschechischen Republik
     von Niederlassungen Zutritt zu den expandieren-                    muss durchlässiger und verkehrsmäßig besser
     den Märkten der Beitrittsländer zu verschaffen. Nach               verbunden werden, wenn das Synergiepotenzial
     dem Umfrageergebnis überlegen vor allem größere,                   der Regionen diesseits und jenseits des Erzgebirgs-
     der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im                     kamms erschlossen werden soll. Insbesondere die
     sächsischen Grenzraum in diese Richtung und wer-                   in Süd-West-Sachsen ansässigen Unternehmen
     den nach den Firmenangaben aus der polnischen                      sehen vergleichsweise häufig einen vordringlichen
     und der tschechischen Grenzregion auf reges Inter-                 oder bedeutsamen Bedarf für einen Ausbau der
     esse stoßen. Auf längere Sicht können hier-                        Verkehrsinfrastruktur.
     durch auch grenzüberschreitende Netzwerke ent-
     stehen, welche das gesamte Potenzial des Raumes
     in dem Kreissegment Chemnitz-Dresden-Wrocl⁄ aw-                    Ergiebigkeit und Anpassungsfähigkeit des
     Prag ausschöpfen. Konzepte wie die Euroregionen                    Arbeitsmarktes
     und andere grenzüberschreitende Private-Public-
     Partnerships können hilfreich für die Entstehung von               Gestützt auf die 3. regionalisierte Bevölkerungs-
12
     Netzwerkstrukturen sein.                                           vorausberechnung des Sächsischen Statistischen

                                           i f o   D R E S D E N   B E R I C H T E T    1 / 2 0 0 4
EU-ERWEITERUNG

Landesamtes4 ergibt sich für Sachsen allein bis 2010                    Männern und Frauen – können sich im Zeitablauf
eine Abnahme der erwerbsfähigen Bevölkerung                             zunehmende Engpässe bei bestimmten Qualifikatio-
um rund 450.000 Personen. Gemessen an der                               nen ergeben oder verschärfen, die das Wachstum
Zahl der Erwerbspersonen dürfte das Arbeitskräf-                        bestehender Betriebe und Neuansiedlungen behin-
teangebot in Sachsen bis zum Ende dieser Dekade                         dern würden. Insbesondere im Handwerk wird es zu
um über 250.000 Personen zurückgehen. Wenn                              Engpässen beim Nachwuchs kommen, wenn der
dieses Szenario für die Angebotsseite des Arbeits-                      Geburtenknick von Anfang der neunziger Jahre voll
marktes auch vermutlich zu pessimistisch ist, ergibt                    spürbar sein wird.
sich doch mit einiger Wahrscheinlichkeit eine ins
Gewicht fallende Verknappung des Arbeitsangebots.                       Vor diesem Hintergrund kommt es gerade für Sach-
Die Zuströme aus den MOE-Beitrittsstaaten – rund                        sen darauf an, dass durch grundlegende Reformen
65.000 bis 85.000 Zuwanderer und etwa 30.000 Ein-                       der institutionellen Rahmenbedingungen des Arbeits-
pendler bei verwirklichter Arbeitnehmerfreizügigkeit –                  marktes in Deutschland bessere Möglichkeiten er-
können den Rückgang bei der sächsischen Bevölke-                        öffnet werden, den bestehenden Sockel an Erwerbs-
rung im erwerbsfähigen Alter kaum ausgleichen.                          losen zu mobilisieren. Allerdings wird sich das
Wegen der geographischen Lage Sachsens kommen                           Nachwuchsproblem in Sachsen auf diesem Weg
die Zuwanderer und Einpendler überwiegend aus                           kaum dauerhaft lösen lassen, da das Durchschnitts-
Polen und Tschechien (vgl. Abb. 3).                                     alter der Erwerbslosen deutlich höher liegt als im
                                                                        Durchschnitt der Erwerbstätigen.
Abb. 3

        Ausländisches Arbeitskräftepotenzial                            Eine große Chance liegt daher in einer frühzeitigen
      in Sachsen bei Arbeitnehmerfreizügigkeit                          Öffnung des sächsischen Arbeitsmarktes für Nach-
              nach Herkunftsländern                                     wuchs- und Fachkräfte aus den benachbarten
                                                                        Beitrittsländern mit gezielter Steuerung der Zuwande-
                   Geschätzter Bestand nach                             rung. Die Struktur der Erwerbspersonen in den je-
                   Arbeitnehmerfreizügigkeit
                                                                        weiligen Herkunftsländern sowie der aus diesen
                                                                        Ländern bereits Zugewanderten bietet hierzu güns-
                Polen
                                                                        tige Voraussetzungen. Die aus den MOE-Staaten in
                                                                        den deutschen Arbeitsmarkt eintretenden Arbeits-
          Tschechien
                                                                        kräfte sind im Durchschnitt relativ jung und ten-
               Ungarn                                                   denziell deutlich höher qualifiziert als frühere Zuwan-
                                                                        dererwellen. Zuwanderer und Einpendler aus den Bei-
    Baltische Staaten                                                   trittstaaten sind damit zumindest ihrer Struktur nach
                                                                        geeignet, die in manchen Arbeitsmarktsegmenten zu
             Slowakei                                                   erwartenden Engpässe an Fachkräften zu mildern
                                                    Migranten           oder sogar auszugleichen.
           Slowenien                                Pendler

                                                                        Ergiebigkeit des Kapitalmarktes und Investitions-
                        0   10    20     30    40    50   60       70
                                                                        bedingungen
                              Anzahl Personen in 1.000

Quellen: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (2003);        Dank des in Deutschland wesentlich besser ent-
Berechnungen des ifo Instituts.                                         wickelten Finanzsektors stehen den sächsischen
                                                                        Unternehmen mehr und kostengünstigere Finanzie-
Trotz eines gegenwärtigen globalen Überhangs des                        rungsmöglichkeiten offen als den Unternehmen in
Arbeitsangebots über die Nachfrage – 2003 liegt die                     Polen und Tschechien. Diese sind infolge des noch
Zahl der Erwerbslosen in Sachsen noch bei 403.000                       unterentwickelten Aktien- und Anleihenmarktes in
                                                                                                                                  13
4
    Vgl. STATISTISCHES LANDESAMT DES FREISTAATES SACHSEN (2003).

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EU-ERWEITERUNG

     erster Linie auf die Selbstfinanzierung oder den Bank-               den und damit die höchsten Fördersätze für die
     kredit angewiesen sind. Gemessen an der Zinsent-                     Ansiedlung und den Ausbau von Industrie- und
     wicklung ist eine Absenkung der sehr hohen Finan-                    Dienstleistungsfirmen bieten können, droht für den
     zierungskosten in den Beitrittsländern allerdings im                 überwiegenden Teil Sachsens ein ausgeprägtes För-
     Gang.                                                                dergefälle. Zu dem fortbestehenden Nachteil bei den
                                                                          Arbeitskosten droht also ein Nachteil bei den Kapital-
     Die derzeit in Sachsen bestehende Förderkulisse bie-                 kosten hinzuzukommen.
     tet Investoren auch unter Berücksichtigung der Diffe-
     renzen bei den Arbeitskosten Vorteile gegenüber den                  Angesichts der Haushaltsprobleme der Beitrittsländer
     Anreizmechanismen in Polen und Tschechien sowohl                     ist zwar nicht gesichert, dass die Unternehmen in
     bei kleinen wie bei großen Investitionsobjekten. Der                 Tschechien und Polen auch tatsächlich in den Ge-
     massiven Investitionsförderung ist es zu danken, dass                nuss der hohen Förderung kommen. Aber für Grenz-
     in den vergangenen Jahren in Sachsen im Vergleich                    regionen wie Ost-Sachsen und Süd-West-Sachsen
     zu Polen und Tschechien das Zwei- bis Vierfache in                   würde der Abbau der Förderung zu früh kommen und
     den Ausbau und die Modernisierung der Kapazitäten                    die Gefahr heraufbeschwören, dass diese Regionen
     im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungs-                    in eine wirtschaftliche Abwärtsspirale geraten. Hierfür
     bereich investiert werden konnte. Die hohen Investiti-               spricht auch, dass nach der Investorenbefragung die
     onsquoten in den drei Regionen waren nur aufgrund                    Veränderung der Förderkulisse nicht nur zum Anlass
     des Zustroms von Kapital aus anderen Regionen und                    für eine Veränderung der Ausbauplanungen genom-
     Ländern möglich.                                                     men würde. Auch Standortverlagerungen werden
                                                                          nicht ausgeschlossen (vgl. Tab. 3).
     Mit der EU-Erweiterung ist jedoch nicht aus-
     zu-schließen, dass Sachsen nach 2006 mit Aus-                        In Polen und Tschechien stehen, gemessen an der
     nahme von Chemnitz seinen derzeitigen Ziel-1-Status                  Häufigkeit von Auf- oder Ausbau dieser Standorte,
     verliert. Da gleichzeitig die benachbarten Gebiete in                die Zeichen deutlich stärker auf Expansion als in
     Polen und Tschechien Ziel-1-Gebiet der EU wer-                       Sachsen und/oder im übrigen Ostdeutschland. In der

     Tab. 3

                      Entwicklungsperspektiven der Standorte von produzierenden Unternehmen

      Alternativen für die                        ...% der Unternehmena) planen in Zukunft für Standorte in ...
      Standorte
                                  Tschechien              Polen          MOEL            Bulgarien      Sachsen     übriges
                                                                                         Rumänien                   Ostdtld.
      Aufbau                                 12             10              12               24            6             5
      Ausbau                                 57             60              56               41           31            35
      Status quo                             25             24              32               35           50            50
      Reduzierung                             1              3               0                0            6             5
      Schließung                              4              3               0                0            8             4
      Nachrichtlich:
      Absolute Anzahl der
      Meldungenb)                            75             68              34               17           52            54
      a) Ein Unternehmen konnte Angaben zu mehreren Ländern/Regionen machen Die Zahl der Meldungen ist deshalb
      – summiert über die Länder/Regionen – größer als die Zahl der beteiligten Unternehmen. - b) Entspricht annähernd
      der Zahl der Standorte in der Region, über die Aussagen zur zukünftigen Entwicklung getroffen wurden.
14
     Quelle: ifo Investorenbefragung 2003.

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EU-ERWEITERUNG

Häufigkeit des geplanten Auf- oder Ausbaus werden                    sehen für ihr Unternehmen keinen Veränderungsbe-
sie allerdings noch von den übrigen MOE-Beitrittslän-                darf durch die EU-Osterweiterung. Der Vorberei-
dern dieser und der nächsten Erweiterungsrunde                       tungsgrad liegt damit in Sachsen niedriger als bei
übertroffen. Die Investitionsaktivitäten wandern dem-                den Unternehmen in der angrenzenden polnischen
nach tendenziell weiter ostwärts.                                    Region Dolnośla˛skie und im tschechischen Severo-
                                                                     západ. Dies gilt auch für sächsische Firmen aus dem
Stand der Vorbereitung und Antwortstrategien                         Grenzgebiet zu Polen und Tschechien. Dieser auf den
der sächsischen Unternehmen                                          ersten Blick alarmierende Befund relativiert sich,
                                                                     wenn beachtet wird, dass mehr als die Hälfte der
Die Wirkung der Osterweiterung auf Wachstum und                      befragten Firmen die EU-Osterweiterung als ein
Beschäftigung in Sachsen wird entscheidend von der                   Ereignis einstuft, das für das Unternehmen nur am
Innovationsbereitschaft und -fähigkeit der Unterneh-                 Rande von Bedeutung ist und deshalb kaum einer
men abhängen. Wie es um die Innovationsbereit-                       speziellen Vorbereitung bedarf. Diese Firmen halten
schaft steht, zeigt sich zum einen daran, wie wichtig                dann auch überwiegend keine Maßnahmen für nötig
die sächsische Wirtschaft diese Veränderung der                      (vgl. Abb. 4). Angesichts des „Schutzes“ der Hand-
Wettbewerbsbedingungen nimmt und inwieweit sie                       werks- und Dienstleistungsunternehmen an grenzfer-
sich hierauf einstellt. Zum anderen liefern die von den              nen Standorten vor einem verstärkten Wettbewerb
Unternehmen angedachten Antwortstrategien Hin-                       aufgrund hoher Distanzkosten bewegt sich der Anteil
weise für die Bewertung der vorgesehenen Innovati-                   der wenig betroffenen Firmen durchaus in einer realis-
onsaktivitäten.                                                      tischen Größenordnung.

Nur 8 % der sächsischen Unternehmen hatten sich                      Bei den Unternehmen, für welche die Osterweiterung
im Frühsommer 2003 bereits auf die EU-Osterweite-                    ein wichtiges Ereignis darstellt, erreicht die Vorberei-
rung vorbereitet. Weitere 6 % der Firmen planten kon-                tungsquote – wenn dabei vorbereitete Unternehmen
krete Vorbereitungsmaßnahmen. Fast die Hälfte der                    und Unternehmen mit geplanten Maßnahmen addiert
befragten Firmen (49 %) dachte ein Jahr vor dem                      werden – 22 %. Zwischen den Wirtschaftsbereichen
Beitritt noch über Reaktionen nach. Immerhin 37 %                    sind dabei keine markanten Differenzen zu beobach-

Abb. 4

            Stand der Vorbereitung auf die EU-Osterweiterung in Sachsen, Frühsommer 2003

         Unternehmen, für welche die Osterweiterung ein                          Unternehmen, für welche die
                    wichtiges Ereignis ist                                    Osterweiterung ein Randereignis ist

                             14%                                                                  5% 3%
           16%

                                     8%
                                               vorbereitet a)

                                               Maßnahmen geplant
                                                                                                             37%
                                                                            55%
                                               denken noch nach

                                               keine Maßnahmen nötig

                 62%

   a) einschließlich weiterer geplanter Maßnahmen.
                                                                                                                                15
Quelle: ifo Unternehmensbefragung 2003.

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EU-ERWEITERUNG

     ten. Deutlichere Unterschiede im Vorbereitungsgrad                 Die ermittelten Unternehmenscluster unterscheiden
     treten zu Tage, wenn nach der Unternehmensgröße                    sich auch in anderen Merkmalen als dem Stellenwert
     differenziert wird. Insbesondere die kleinen Firmen                von Wettbewerbsparametern und vorgesehenen
     (weniger als 20 Beschäftigte), welche die Erweiterung              Reaktionen auf die Erweiterung. In Unternehmenstyp
     als bedeutsames Ereignis einstufen, dachten im Früh-               I und II sind Unternehmen mit mehr als 50 Beschäf-
     sommer 2003 noch über ihre Reaktionen auf diese                    tigten konzentriert, die schon über Handels- und/oder
     Veränderung nach.                                                  Kooperationsbeziehungen zu MOE-Ländern verfü-
                                                                        gen. Die Unternehmen in den Clustern III bis V sind
     Die Angaben der Firmen, für welche die EU-Ost-                     dagegen binnenwirtschaftlich orientiert und umfassen
     erweiterung ein wichtiges Ereignis darstellt und                   insbesondere bei Typ III und V häufig Unternehmen
     die sich deshalb intensiver mit Reaktionsmöglich-                  mit weniger als 20 Beschäftigten. Während die Unter-
     keiten auseinandergesetzt haben, geben Hinweise                    nehmen in Typ I und II über ganz Sachsen streuen,
     auf die von den Unternehmen ins Auge gefassten                     sind die Firmen in Typ III und V stärker im grenzfernen
     Antwortstrategien. In einer Clusteranalyse kristallisie-           Raum, Typ IV in Grenznähe zu Polen/Tschechien kon-
     ren sich fünf Unternehmenstypen heraus, die sich                   zentriert.
     sowohl hinsichtlich der Erfolgsfaktoren auf den
     Märkten der Unternehmen als auch hinsichtlich des                  Für die mittelgroßen Industrieunternehmen aus eher
     Reaktionsmusters auf die Herausforderungen der                     kapitalintensiven Branchen des Unternehmenstyps I
     EU-Erweiterung unterscheiden (vgl. Tab. 4). Bei allen              ergibt sich als Hauptstrategie in einem sich verschär-
     Unternehmensclustern wurden „Fachkompetenz“                        fenden Preiswettbewerb die verstärkte Nutzung der
     und/oder „hohe Qualität“ am häufigsten als der Wett-               geringeren Arbeitskosten in den benachbarten mittel-
     bewerbsparameter genannt, der für den Markterfolg                  und osteuropäischen Beitrittsländern durch die Aus-
     wichtig ist. Die Differenzierung ergibt sich erst beim             lagerung von Teilen der Produktion. Dabei darf aller-
     Stellenwert von anderen Erfolgsfaktoren wie dem                    dings der Wettbewerbsfaktor „hohe Qualität“ nicht
     „günstigen Preis“ und dem „technischen Vorsprung“.                 beeinträchtigt werden.

     Tab. 4

                      Innovationsstrategien in der sächsischen Wirtschaft nach Unternehmstypen

      Unternehmenstyp                   Anteil         Konstituierende                               Strategie
                                         in %       Wettbewerbsparameter
      Unternehmenstyp I                   26,3      günstiger Preis         Stärkung Preiswettbewerbsposition über
      (Industrie)                                                           Auslagerung in MOE-Länder
      Unternehmenstyp II                  13,1      Kundennähe, technischer Aufbau Produktions- und/oder Vertriebs-
      (wissensgestützte                             Vorsprung               kooperationen, Gründung von Niederlas-
      Dienste)                                                              sungen in den Beitrittsländern
      Unternehmenstyp III                 27,3      Kundennähe, günstiger   Attentismus, kaum Aktivitäten erwogen
      (Bau-, Kfz-Reparatur-                         Preis
      handwerk) [grenzfern]
      Unternehmenstyp IV                  14,9      Kundenorientierung,           Rationalisierungsinvestitionen und Ver-
      (industrielle Zulieferer,                     günstiger Preis               breiterung des Angebots / Aufnahme von
      div. Dienste) [grenznah]                                                    Diensten
      Unternehmenstyp V                   18,4      Kundennähe                    Pflege des angestammten Marktes
      (Bau, diverse Dienste)
      [grenzfern]
16
     Quelle: Zusammenstellung des ifo Instituts.

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EU-ERWEITERUNG

Ein deutlich anderes strategisches Verhalten weist         Kooperation und/oder Auslagerung von Teilen der
der Unternehmenstyp II auf, der durch humankapital-        Produktion nicht nur der Chance, welche die räumli-
intensive Dienstleistungsfirmen geprägt ist. Die über-     che Nähe zu einem Niedriglohngebiet eröffnet. Sie
wiegend im Bereich wissensintensiver, unternehmens-        verzichten auch auf die Möglichkeit, sich in die in den
orientierter Dienstleistungen tätigen Unternehmen          Beitrittsländern entstehenden Netzwerke japanischer
wollen unternehmensspezifische Vorteile (z. B. techni-     und amerikanischer Firmen einzuklinken.
schen Vorsprung) nutzen, um über die Eröffnung eige-
ner Produktionsstätten oder Vertriebsniederlassungen       Wirtschafts- und Tarifpolitik
in den Beitrittsländern zu wachsen. Die bestehenden
Partnerschaften mit polnischen oder tschechischen          Aus der Analyse ergeben sich folgende Forderungen
Unternehmen sollen auch genutzt werden, um ver-            an die Wirtschafts- und Tarifpolitik:
stärkt auf den EU-Märkten zu operieren.                    (a) Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeits-
                                                               marktes (inkl. frühzeitiger Grenzöffnung) und stär-
Die im Unternehmenstyp III konzentrierten kleinen              kere Lohndifferenzierung,
Bauhandwerks- und Reparaturfirmen verlassen sich           (b) Ausweitung der Finanzierungsspielräume für die
auf ihre Erfolgsfaktoren „Fachkompetenz“, „hohe                Unternehmen unterstützen, um ihre Innovations-
Qualität“ und „Kundennähe“ sowie den Schutz der                fähigkeit zu stärken,
Distanz, welche die preisgünstige Konkurrenz aus           (c) Vermeidung von Brüchen in der Struktur- und
Polen und Tschechien zu überwinden hat. Während in             Regionalpolitik,
diesem Cluster kaum Aktivitäten mit Bezug EU-Ost-          (d) Aufklärung und Mobilisierung der KMU.
erweiterung entfaltet werden, wollen die in den
Merkmalen ähnlichen Unternehmen des Typs V                 Ad (a) Bei den Antwortstrategien der Unternehmen
wenigstens in die Festigung der Kundenbindung              zeigen sich wenige Chancen für mehr Arbeitsplätze
investieren. Die im vierten Cluster zusammenge-            aber durchaus Risiken für die vorhandene Beschäf-
fassten industriellen Zulieferer aus den sächsischen       tigung. Vor diesem Hintergrund kommt grundlegen-
Grenzregionen wollen ihre Position in Zulieferer-          den Reformen der institutionellen Rahmenbedin-
Netzwerken der großen Firmen des Fahrzeug- und             gungen des Arbeitsmarktes eine Schlüsselrolle zu.
Maschinenbaus sowie der Elektrotechnik über Ratio-         Gerade in einem grenznahen Bundesland wie Sach-
nalisierungsinvestitionen und die Verbreiterung der        sen muss die Zeit, in der die Freizügigkeit für tsche-
Angebotspalette verteidigen und festigen.                  chische und polnische Arbeitskräfte noch beschränkt
                                                           ist, genutzt werden, um den Arbeitsmarkt flexibler zu
Bei der Bewertung der Strategien in den verschiede-        machen. Mehr Flexibilität heißt vor allem mehr Gestal-
nen Clustern ist zunächst festzuhalten, dass die vor-      tungsspielraum für die Betriebe hinsichtlich Arbeits-
gesehenen Innovationsaktivitäten durchaus adäquat          und Betriebszeiten und bei Personalanpassungen
der Konstellation sind, in der sich die Unternehmen        sowie eine stärkere Lohndifferenzierung. Letztere
befinden. Selbst der Attentismus im Cluster III mag        ist sowohl notwendig, um den Abwanderungsten-
angemessen sein, wenngleich diese Unternehmen              denzen von Hochqualifizierten entgegenzuwirken, als
angesichts des fragilen Schutzes durch Distanzkos-         auch um sozialen Problemen vorzubeugen. Nur
ten ein böses Erwachen nach Ablauf der Übergangs-          wenn jetzt durch die Senkung des Mindestlohns, der
frist bis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit riskieren. Zur     durch den Sozialhilfesatz für Erwerbsfähige bzw. das
Strategie im Unternehmenstyp IV ist kritisch anzu-         Arbeitslosengeld II bestimmt ist, es für Unternehmen
merken, dass diese Firmen trotz der räumlichen Nähe        rentabel wird, Arbeitsplätze für die wenig qualifizierten
auf die Nutzung der Arbeitskostenvorteile der Bei-         Langzeit-Arbeitslosen zu schaffen, wird verhindert,
trittsländer verzichten wollen. Dies kann zwar damit       dass nach dem Ablauf der Übergangsfrist dieser
zusammenhängen, dass die Zulieferer in einem Netz-         Niedriglohnsektor mit Arbeitskräften aus den Beitritts-
werk nicht frei bei derartigen Entscheidungen sind.        ländern entsteht und viele wenig qualifizierte Sachsen      17
Aber die Firmen begeben sich durch den Verzicht auf        weiterhin arbeitslos bleiben.

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EU-ERWEITERUNG

     Ad b) Je mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt realisiert      unterstützt werden. Da mit jeder anderen als der Ziel-
     werden kann, umso besser wird es um die Ertrags-           1-Einstufung eines Gebietes bestenfalls nur ein Beihil-
     kraft der sächsischen Unternehmen bestellt sein.           festatus nach Art. 87 Abs. 3 Buchst. c) EG-Vertrag
     Mehr Ertragskraft ist die eine wichtige Voraussetzung      verbunden ist. Die Vermeidung von Brüchen in der
     für die Stärkung der Eigenkapitalbasis der sächsi-         Struktur- und Regionalpolitik bleibt also Aufgabe der
     schen KMU, die nicht zuletzt mit Blick auf die             Politik.
     nach 2006 obligatorischen Regeln nach BASEL II
     für den Bankensektor geboten ist. Sie würde da-            Schluss
     zu beitragen, dass der Finanzierungsspielraum der
     Unternehmen zusätzlich über die Kreditfähigkeit            Die Maßnahmen zur Umsetzung des aufgezeigten
     erweitert würde. Vor diesem Hintergrund sollten            wirtschaftspolitischen Handlungsbedarfs stehen häu-
     sich die sächsischen KMU auch stärker um die               fig nicht in der alleinigen Zuständigkeit der Landes-
     externe Zufuhr von Eigenkapital und eigenkapital-          politik. Zum Teil liegt die Entscheidungskompetenz
     ähnlichen Mitteln bemühen. Hierzu müssen noch              bei der Europäischen Union (regionalpolitische Rah-
     Mentalitätsbarrieren überwunden, aber auch ge-             menbedingungen) oder auf der Bundesebene (Refor-
     eignete Beteiligungsfonds entwickelt werden, welche        men im Bereich des Arbeitsmarktes und der sozialen
     die kleinteiligen Beteiligungen anbieten, die dieser       Sicherungssysteme). Die Umsetzung der angeregten
     Firmenkreis benötigt. Darüber hinaus können die            Reformen im Bereich der Tarif- und Arbeitszeitpolitik
     KMU ihre Möglichkeiten verbessern, Bankkredite zu          sind in erster Linie Aufgabe der regional organisierten
     günstigen Konditionen zu erhalten, indem sie sich          Tarifparteien. Länder wie Sachsen könnten durchaus
     auf das Ratingsystem einstellen, das in der BASEL-II-      bei Reformen in die geforderte Richtung vorangehen
     Ära gelten wird.                                           und die Potenziale von mehr Flexibilität für Wachstum
                                                                und Beschäftigung ausloten.
     Ad c) Die Ausweitung der Finanzierungsmöglichkeiten
     der Unternehmen durch die Stärkung der Ertragskraft        Nicht eingeengt durch Kompetenzen anderer staat-
     und die Verbreiterung der Eigenkapitalbasis ist vor        licher Ebenen kann die sächsische Staatsregierung
     allem deshalb drängend, weil nach 2006 weite Teile         bei der Aufgabe agieren, die Unternehmen auf die
     Sachsens den Status der Ziel-1-Region der Europäi-         Herausforderungen der Osterweiterung einzustim-
     schen Union verlieren dürften. Der Staat wird dann         men, sie zu mobilisieren und bei der Realisierung von
     nicht mehr, wie bisher, bis zu 50 % der Kosten der         Anpassungsaktivitäten zu unterstützen. Nach dem
     Innovationen bzw. der damit verbundenen Investitio-        Umfrageergebnis scheinen selbst im grenznahen
     nen fördern können. Voraussichtlich mit Ausnahme           Raum viele kleine und mittlere Unternehmen sich der
     des Regierungsbezirks Chemnitz würde dann auch             Herausforderungen durch die Osterweiterung nicht
     für KMU nur noch eine Förderung von bis zu 28 %            bewusst zu sein. Soweit überhaupt Antwortstrategien
     möglich sein.                                              entwickelt worden sind, bestehen z. T. Bedenken, ob
                                                                diese gute Überlebens- und Entwicklungschancen für
     Wie erwähnt, würden die anstehenden Änderungen             die Firmen bieten.
     der EU-Strukturförderung nach 2006 für Grenzregio-                                           Wolfgang Gerstenberger
     nen wie Ost-Sachsen und Süd-Ost-Sachsen zu früh
     kommen. Zwar besteht Aussicht auf eine Übergangs-          Literatur
     lösung (phasing out). Die diskutierte Ziel-1a-Förde-       GERSTENBERGER, WOLFGANG; GRUNDIG, BEATE; HOFMANN, HERBERT ET
     rung, bei der das Fördervolumen zunächst in etwa der        AL. (2004): Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Wirtschaft
     alten Ziel-1-Förderung entspräche und erst über             und Arbeitsmarkt in Sachsen. ifo dresden studie; 35. Mün-
                                                                 chen/Dresden.
     einen längeren Zeitraum hinweg abgebaut werden
                                                                STATISTISCHES LANDESAMT DES FREISTAATES SACHSEN (Hrsg.) (2003):
     würde, hat einen Nachteil. Auch dann könnten Inves-         Regionalisierte Bevölkerungsprognose für den Freistaat Sachsen
18
     titionen nicht mehr nach den bisherigen Fördersätzen        bis 2020. Statistische Berichte, Sonderheft Nr. 1/2003. Kamenz.

                                   i f o   D R E S D E N   B E R I C H T E T   1 / 2 0 0 4
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