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Back with Bach Zurück zur Kultur 7 sommerliche Orgelkonzerte 30. Juli bis 12. September 2021 mit Andreas Mattes (Weinsberg), Peter Kranefoed (Winnenden), Nikolai Geršak (Friedrichshafen) Reiner Schulte (Backnang), Markus Märkl (Köln)
Freitag, 30. Juli 2021 | 20.00 Uhr | OHRENÖFFNER 19.40 Uhr Christkönigskirche Backnang | Andreas Mattes, Weinsberg Bach und der norddeutsche Stil Johann Sebastian Bach (1685–1750) Toccata und Fuge in d-Moll BWV 565 Fuge in c BWV 575 Partita „Ach, was soll ich armer Sünder machen“ BWV 770 Fuge in g BWV 578 Fantasie und Fuge in g BWV 542 Bach und der norddeutsche Stil BACH ist heute eine internationale Marke, ein weltumspannendes Phäno- men. Aber wie dieser Ausnahmemusiker aus einer thüringischen weitver- zweigten Musikerfamilie, wie dieser Johann Sebastian Bach tickte, was ihn antrieb – man weiß es nicht. Es ist kaum Persönliches von ihm überliefert. Aber manchmal blitzt doch etwas auf, eine Geschichte, eine Anekdote, eine Zeugnis, das einen kurzen Einblick in diese kaum zu fassende Erscheinung gewährt. Der Bericht über Bachs Lübeck-Reise aus dem Nekrolog – verfasst von Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel und seinem Schüler Agricola – ist so eine Ge-
schichte: Johann Sebastian Bach war 20 Jahre alt und seit zwei Jahren Orga- nist im thüringischen Arnstadt. Von dort aus macht er sich 1705 auf den Weg nach Lübeck. 400 km zu Fuß, im Winter. Ihn „bewog ein besonders starker Trieb, den er hatte, so viel von guten Organisten, als ihm möglich war, zu hören, daß er, und zwar zu Fusse, eine Reise nach Lübek antrat, um den dasigen berühmten Organisten an der Marienkirche Diedrich Buxtehu- den, zu behorchen. Er hielt sich daselbst nicht ohne Nutzen, fast ein viertel- jahr auf, und kehrete alsdenn wieder nach Arnstadt zurück.“ Er hatte vier Wochen „Bildungsurlaub“ erhalten, blieb aber fast vier Monate fort. Auf die Frage „wo er unlängst so lange geweßen?“ gab er die Antwort: „Er sey zu Lü- beck geweßen umb daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen.“ (Protokoll des Konsistoriums Arnstadt, 21.2.1706). Es gab also mächtig Ärger bei seiner Rückkehr. Aber für den jungen Bach war die Reise eine Offenbarung. Er hatte vier Monate lang die Tradition der nord- deutschen Orgelmusik auf- „Ihn „bewog ein besonders starker Trieb, den er hatte, so gesogen – und zwar direkt viel von guten Organisten, als ihm möglich war, zu an der Quelle: bei Dietrich hören, daß er, und zwar zu Fusse, eine Reise nach Lübek Buxtehude an der Marien- antrat, um den dasigen berühmten Organisten an der kirche in Lübeck (siehe Bild). Marienkirche Diedrich Buxtehuden, zu behorchen.“ Bachs virtuose Verwendung des Orgelpedals geht auf diesen norddeutschen Einfluss zurück. Aber auch die Art, Fugen zu kompo- nieren, Aspekte des formalen Aufbaus der Orgelwerke (fünfteilige Toccaten) und die Adaption des freien „Stylus phantasticus“. Die frühen Werke Bach aus der Arnstädter und Mühlhausener Zeit (1703–1708) legen von all dem ein- drucksvoll Zeugnis ab. Vielleicht noch prägender als die Lübeckreise von 1705 war Bachs Aufenthalt in Lüneburg als Schüler. Bach war mit 10 Jahren verwaist. Er kam zu seinem 13 Jahre älteren Bruder Johann Christoph, der Organist in Ohrdruf war. In Ohrdruf besuchte Bach das Lyzeum, ermöglicht durch ein Stipendium („Frei- tisch“). Dieser Freitisch entfiel 1700 und der 14-jährige Bach setzte seine Schulausbildung in der Partikularschule des Lüneburger Michaelisklosters fort. Er musste dort kein Schulgeld zahlen, war dafür aber verpflichtet, als Mettenchorsänger seinen Dienst zu tun. In Lüneburg trifft Bach auf Georg Böhm, der zu dieser Zeit Organist an St. Jo- hannis in Lüneburg war. Sein Einfluss auf Bachs frühe Orgelwerke ist im- mens. Böhms Choralpartiten standen sicher Pate für Bachs BWV 770. Und in
dem frühen Praeludium in C hört man deutlich Böhms Werk in der gleichen Tonart heraus. Lange konnte man den direkten Lehrer-Schüler-Kontakt nur vermuten, bis man 2005 beim Aufräumen nach dem Brand der Weimarer Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek Abschriften entdeckte, die der junge Bach von Orgelwerken Dieterich Buxtehudes und Johann Adam Reinckens ange- fertigt hatte. Aus diesen Abschriften geht hervor, dass der knapp 15-jährige Johann Sebastian Bach die Kopie von Reinckens Choralfantasie An Wasser- flüssen Babylon für den Orgelunterricht bei Georg Böhm verfertigte. Sie ist von Bach selbst mit einem Hinweis auf Böhm datiert: „â Dom. Georg: Böhme | descriptum aõ. 1700 | Lunaburgi“. Also: Im Haus von Georg Böhm abge- schrieben im Jahr 1700, Lüneburg. Ein dritter prägender Bezug nach Norddeutschland ist mit Hamburg verbun- den. Schon in den Lüneburger Jahren ist Bach laut dem Nekrolog nach Ham- burg gereist, um dort Johann Adam Reincken an der Katharinenkirche zu hören. Viel später, Bach war mittlerweile Hofkapellmeister in Köthen, wurde die Organistenstelle zu St. Jacobi in Hamburg frei. Er hätte dort – zum ersten Mal – eine große Orgel zu seiner Verfügung gehabt, die viermanualige Orgel von Arp Schnitger, bis heute ein faszinierendes Instrument und die größte authentiche erhaltene norddeutsche Barockorgel. Bach bewarb sich 1720 um die Stelle an St. Jacobi. Er wurde vom Hamburger Rat zum Probespiel zu- gelassen, sagte aber dann doch ab, wahrscheinlich weil die Übernahme der Stelle mit einer beträchtlichen Kaufsumme verknüpft war. Möglicherweise ist die (Phantasie und) Fuge BWV 542 für diese Bewerbung entstanden. Die Fu- ge zitiert jedenfalls ein niederländisches Volkslied und ist möglicherweise ein versteckter Gruß an den Niederländer Johann Adam Reincken, dem Grand Seigneur der hamburgischen Orgelszene. Im Nekrolog findet sich die berührende Schilderung, wie der alte Reincken den Staffelstab der norddeutschen Orgelkunst an den 35-jährigen Thüringer weitergibt: „Der alte Organist an dieser „Ich dachte, diese Kunst wäre gestorben, ich Kirche, Johann Adam Reinken, der da- sehe aber, daß sie in Ihnen noch lebet.“ mals bey nahe hundert Jahre alt war, hörete ihm mit besondern Vergnügen zu, und machte ihm absonderlich über den Choral: An Wasserflüssen Babylon, welchem unser Bach, auf Verlan- gen der Anwesenden, aus dem Stegreife, sehr weitläuftig, fast eine halbe Stunde lang, auf verschiedene Art, so wie es ehedem die braven unter den Hamburgischen Organisten in den Sonnabends Vespern gewohnt gewesen waren, ausführete, folgendes Compliment: Ich dachte, diese Kunst wäre gestorben, ich sehe aber, daß sie in Ihnen noch lebet.“ (RS)
Schlosskirche in Weimar. Ganz oben Bachs Arbeitsplatz als Hoforganist. An der zu seinem Dienstantritt 1708 erneuerten Orgel spielte Bach auch Vivaldi-Concerte.
Freitag, 6. August 2021 | 20.00 Uhr | OHRENÖFFNER 19.40 Uhr Christkönigskirche Backnang | Peter Kranefoed, Winnenden Bach und der italienische Stil Johann Sebastian Bach Concerto in a (nach Antonio Vivaldi) BWV 593 ohne Bezeichnung Adagio senza Pedale a due Clav. Allegro Canzona in d BWV 588 Toccata, Adagio et Fuga in C BWV 564 Fuga in A über ein Thema von Albinoni BWV 950 Concerto in d (nach Antonio Vivaldi) BWV 596 ohne Bezeichnung Grave Fuga Largo e spiccato ohne Bezeichnung
Bach und der italienische Stil Nach Lübeck, Hamburg und Lüneburg konnte Bach wandern. In Italien war er nie. Dass sich dafür keine Gelegenheit geboten hat, muss Bach gewurmt haben. Italien war mindestens bis 1700 die europäische Mu- siknation. Die neuesten Sonaten von Corelli oder die Concerti des „roten Priesters“ aus Venedig, von Antonio Vivaldi, waren unter Kom- ponisten und Musikliebhabern hochgehandelt. Aber Bach hatte Glück. Sein Dienstherr in Weimar, Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar, hatte einen musikalisch hochbegabten Neffen, Johann Ernst von Sachsen-Weimar (1696–1715). Dieser stu- dierte als junger Mann in Utrecht (1711–1713) und hatte Kontakte nach Amsterdam, dem Zentrum des Musiknotendrucks in Europa. Von dort brachte er Vivaldis Konzerte mit an den Weimarer Hof – sicher sehr zur Freude des Hoforga- „... Der Prinz, welcher selbst eine unvergleich- liche Violin spilen soll, kommt nach Ostern aus nisten und Kammermusikers Holland nach Weimar und verbleibt den Som- Johann Sebastian Bach. Prinz mer über da. Könnte also noch manche schö- Johann Ernst von Sachsen ne Italienische und Frantzösische Music hören, Weimar war ein ernstzuneh- welche mir dann absonderlich in Componie- mender Musiker und Kompo- rung der Concerten u. Ouverturen sehr profi- talel seyn würde. Nun weiß ich auch, daß Hr. nist. Er wurde nach seiner Bach nach Verfertigung dieser neuen Orgel in Rückkehr aus Utrecht ab 1713 Weimar absonderlich anfänglich gewiß un- von Johann Gottfried Walther, vergleichliche Sachen darauf spilen wird.“ dem Stadtkantor in Weimar, (Bachs Schüler Philipp David Kräuter in einem unterrichtet. Und Johann Se- Brief im April 1713) bastian Bach schaute dem jun- gen Prinzen beim Komponieren wahrscheinlich ebenfalls über die Schulter. Bach arran- gierte sogar einige der Konzerte des Prinzen für Cembalo oder Orgel (BWV 592), vielleicht in memoriam nach seines frühen Tod 1715. Die Bearbeitungen der Concerti Vivaldis (BWV 593 und 596) lässt sich zeitlich wahrscheinlich genauer eingrenzen: Von Juli 1713 bis Juli 1714 war der junge Prinz in Weimar am Hof, 1715 ist er bereits ver- storben. Wahrscheinlich fällt Bachs Transkription in genau diese Zeit. Das Spielen von italienischen Concerti scheint regelrecht Mode gewe- sen zu sein in Weimar zu dieser Zeit, auch von Johann Gottfried
Walther sind etliche Bearbeitungen von Concerti von Torelli, Albinini, Vivaldi u.a. bekannt. Den typische cantablen Stil der langsamen Mittelsätze der italie- nischen Concerti verwendet Bach erstaunlicherweise auch für den Mittelteil von BWV 564 (Toccata - Adagio - Fuge), was völlig singulär ist. Normalerweise bestehen diese Werke immer aus dem Paar „Toc- cata und Fuge“. Einen langsamen Mittelsatz hinzuzufügen ist ein echtes formales Experiment. Auffallend ist in dem Adagio auch die häufige Verwendung des „neapolitanischen Sextakkords“, der in der neapolitanischen Oper des 17./18. Jahrhunderts besonders beliebt war. Dass sich die Stilbereiche „Norddeutschland“ und „Italien“ nicht strikt trennen lassen, dass vielmehr das typische an der deutschen Musik des 18. Jahrhunderts und insbesondere Bachs die Vermischung der Stile ist, zeigt das Nebeneinander von (italienischer) Ritornell-Form und hyper-virtuosem (norddeutschen) Pedalsolo im ersten Satz des Werkes, in der Toccata (BWV 564) . Dass Bach höchst interessiert an den neuesten Produktionen aus Ita- lien war, leuchtet ein. In Bach Notenbibliothek befand sich aber auch ein Exemplar von Girolamo Frescobaldis „Fiori musicali“ von 1635, einem Klassiker der frühren Orgelmusik. Frescobaldi war Organist am Petersdom und der erste wirklich bedeutende Orgelkomponist. Die Fiori Musicali bestehen aus 47 liturgischen Kompositionen, vor allem für die katholische Messe. Dort findet sich eine Canzon dopo la pisto- la (Kanzona nach der Epistel-Lesung), deren Thema Bach in seiner Canzona BWV 588 zitiert. Typisch für die Canzona (auch schon bei Fro- berger, Buxtehude u.a.) ist die Verarbeitung desselben Themas zuerst im geraden Takt (4/4) und dann im ungeraden (3/2). Und typisch itali- enisch ist die Adagio-Schlusswendung, wie sie auch bei Corelli oder bei italienisch komponierenden Händel stehen könnte. (RS)
Freitag, 13. August 2021 | 20.00 Uhr | OHRENÖFFNER 19.40 Uhr Christkönigskirche Backnang | Nikolai Geršak, Friedrichshafen Bachs Goldberg-Variationen Aria Variatio 1. a 1 Clav. Variatio 2. a 1. Clav. Variatio 3. Canone all Unisuono à 1 Clav. Variatio 4. à 1 Clav. Variatio 5. a 1 ô vero 2 Clav. Variatio 6. Canone alla Seconda a 1 Clav. Variatio 7. à 1. ô vero 2 Clav. (al tempo di Giga) Variatio 8. a 2 Clav. Variatio 9. Canone alla Terza. a 1 Clav. Variatio 10. Fugetta. a 1 Clav. Variatio 11. a 2 Clav. Variatio 12. Canone alla Quarta. Variatio 13. a 2 Clav. Variatio 14. a 2 Clav. Variatio 15. andante. Canone alla Quinta. a 1 Clav. Variatio 16. a 1 Clav. Ouverture Variatio 17. a 2 Clav. Variatio 18. Canone alla Sexta. a 1 Clav. Variatio 19. à 1 Clav. Variatio 20. a 2 Clav. Variatio 21. Canone alla Settima. Variatio 22. a 1 Clav. alla breve Variatio 23. a 2 Clav. Variatio 24. Canone all Ottava a 1 Clav. Variatio 25. a 2 Clav. („adagio“) Variatio 26. a 2 Clav. Variatio 27. Canone alla Nona. a 2 Clav. Variatio 28. a 2 Clav. Variatio 29. a 1 o vero 2 Clav. Variatio 30. a 1 Clav. Quodlibet. Aria da Capo è Fine
Die Goldberg-Variationen Eigentlich sind die Goldberg-Variationen für Cembalo. Auf der Orgel las- sen sich die einzelnen Variationen klanglich aber noch vielfältiger in Sze- ne setzen. Die polyphonen Strukturen der beiden sich zum Teil kreuzenden Hände auf den beiden Cembalo-Manualen kommen so noch deutlicher zum Vorschein. Und die von Variatio zu Variatio wechselnden Orgel-Registrierungen stellen sich in den Dienst der Affektdarstellung: Die Gegensätze zwischen der auftrumpfenden Ouvertüre (Beginn des 2. Teils, Variation 16) und dem Lamento-artigen Variationen 21 und 25 kommen so noch eindrucksvoller zum Tragen. Die genaue Entstehungszeit der „Goldberg-Variationen“ ist unbekannt. Im Herbst 1741 wurden sie in Nürnberg von Balthasar Schmid gestochen und verlegt, als IV. Teil der Clavierübung. Der Name Goldberg-Variationen etablierte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. Er wurde nach einem anekdotischen Bericht in Jo- „… daß er gern einige Clavierstücke für seinen hann Nikolaus Forkels „Über Goldberg haben möchte, die so sanften und Johann Sebastian Bachs Le- etwas muntern Charakters wären, daß er da- ben, Kunst und Kunstwerke“ durch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig von 1802 gebildet. Laut For- aufgeheitert werden könnte.“ kel sei Bachs Aria mit ver- schiedenen Veränderungen für den russischen Gesandten am Dresdner Hof, den mit der Familie Bach befreundeten Grafen Her- mann Carl von Keyserlingk, verfasst worden. Der in dessen Diensten ste- hende Cembalist Johann Gottlieb Goldberg, ein hochbegabter Schüler Wilhelm Friedemann Bachs und Johann Sebastian Bachs, sollte dem Gra- fen daraus vorspielen: „Einst äußerte der Graf gegen Bach, daß er gern einige Clavierstücke für seinen Goldberg haben möchte, die so sanften und etwas muntern Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaf- losen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte. Bach glaubte, die- sen Wunsch am besten durch Variationen erfüllen zu können, die er bisher, der stets gleichen Grundharmonie wegen, für eine undankbare Arbeit gehalten hatte.“ Johann Gottlieb Goldberg war 1740 erst 13 Jahre alt und damit tech- nisch kaum in der Lage, dieses anspruchsvolle Werk adäquat zu bewälti- gen. Aber wer weiß…
Die Goldbergvariationen sind Teil der sog. „Clavierübung“, einem großan- gelegten Projekt von exemplarischer Anspruch. Die Werke für Cembalo oder Orgel erschienen in den Jahren von 1731 bis 1741 im Druck. ● Teil I: Partiten ● Teil II: Französische Ouverture/Italienisches Konzert ● Teil III: Vorspiele / über die / Catechismus- und andere Gesaenge („Orgelmesse“) ● Teil IV: Goldbergvariationen Bach bedachte somit systematisch alle Instrumente mit Klaviatur: ein- oder zweimanualiges Cembalo oder auch Clavichord im ersten Teil, Orgel mit und ohne Pedal im dritten Teil und zweimanualiges Cembalo im zwei- ten und vierten Teil. Mit Suite, Konzert, Präludium und Fuge, Choralbear- beitung und Variation bot Bach hier die meisten der gängigen Gattungen und Kompositionsstile. Auch wenn der Titel „Übung“ heute ein Lehrwerk assoziiert, waren und sind die Kompositionen alles andere als leicht zu spielen und richteten sich keineswegs an Instrumentalschüler. Vielmehr zeigen sie ganz systematisch das kompromisslos hohe kompositorische und spieltechnische Niveau ihres Autors. Der einleitenden Aria folgen – in zwei Teile unterteilt – 30 Variationen, die sich jedoch kaum an der Melodie der Arie, sondern nahezu aus- schließlich an ihrer 32-taktigen Basslinie orientieren. Jede dritte Variati- on enthält einen Kanon, wobei das Intervall der kanonischen Stimmen stetig wächst. Die aufsteigende Intervallfolge ist vom Einklang über Se- kunde, Terz, Quarte usw. bis zur None angeordnet. Die 16. Variation – eine Ouverture – markiert den Beginn des zweiten Teiles der Variationenreihe. Die 30. Variation weicht von der strengen An- ordnung ab. Statt eines Dezimenkanons setzt Bach hier ein Quodlibet ein, das zwei Volkslieder kunstvoll kontrapunktisch ineinander verwebt. Ein da Capo der im Erstdruck nicht nochmals wiedergegebenen Aria schließt den Zyklus ab. (RS)
Das Schloss in Celle. Hier spielten zu Bachs Zeit als Schüler in Lüneburg fran- zösische Hofmusiker.
Freitag, 20. August 2021 | 19.00 + 21.00 Uhr | OHRENÖFFNER 20 Mi- nuten vorab Kirche St. Johannes Backnang | Reiner Schulte, Backnang Bach und der französische Stil Johann Sebastian Bach Pièce d'Orgue BWV 572 Très vitement Gravement Lentement Aria F-Dur BWV 587 Allein Gott in der Höh sei Ehr BWV 663 Fantasie c-Moll BWV 562 Nun danket alle Gott BWV 657 Praeludium und Fuge in Es-Dur BWV 552
Bach und der französische Stil Dass Johann Sebastian Bach je eine französische Orgel mit ihren sehr charakteristischen Klangfarben (Cornet, Cromorne, Trompette) gehört hat, ist so gut wie ausgeschlossen. Es kursierten allenfalls Orgel-Dis- positionen. Über den Klang der französischen Mühleisen-Orgel in St. Johannes mit ihren schmetternden Zungen und strahlenden Cornet- ten hätte er wahrscheinlich nicht schlecht gestaunt. Aber französische Orchester- und Kammermusik hat Bach als junger Mann sehr wohl gehört, und zwar in Lüneburg, vielleicht auch in Celle. In seiner Lüneburger Schulzeit (siehe weiter vorne „Bach und der Norddeutsche Stil“) hatte er Gelegenheit, „sich durch öftere Anhörung einer damals berühmten Capelle, welche der Hertzog von Zelle [Celle] unterhielt, und die mehrenteils aus Frantzosen bestand, im Frantzö- sischen Geschmack […] fest zu setzen“. Diese „Capelle“ konnte Bach in der Lüneburger Residenz des Herzogs Georg Wilhelm hören. Und das hat sich deutlich niedergeschlagen in seiner Musik: in der Art der typisch französischen Verzierungen und in der Verwendung fran- zösischen Satztypen. Die französische Ouverture greift er am Anfang des Praeludium BWV 552 „… hatte er Gelegenheit, sich durch öftere Anhö- rung einer damals berühmten Capelle, welche der auf. Das Choralvorspiel Hertzog von Celle unterhielt, und die mehrenteils „Allein Gott in der Höh aus Frantzosen bestand, im Frantzösischen Ge- sei Ehr“ kann man als ein schmack fest zu setzen“ „Tièrce en taille“, also ein Solo mit einer terzhal- tigen Registrierung in der Mittelstimme („en taille“) verstehen. Und der großartige Mittelteil von BWV 572 („Pièce d’orgue“) ist ein Grand Plein Jeu, also die „Volle Orgel“ der kassisch-französischen Barockor- gel mit dem üppig-grundierenden Bourdon 16-Fuß. Die franzö- sischen Verzierungen haben sich Anfang des 18. Jahrhunderts ohnehin in deutschen Landen weitgehend durchgesetzt. Bach selbst schreibt im Clavierbüchlein für Wilhelm Friedemann Bach die Trillerta- belle von Jean-Henri d’Angelbert wortwörtlich ab. Damit ist klar: Bach wollte für seine Werke die französischen Triller.
In Bachs Notenbibliothek finden sich Werke von Nicolas de Grigny (Livre d’Orgue), Boyvin und Couperin. Die Aria BWV 587 ist gar nur ei- ne Bearbeitung eines Trios von François Couperin für zwei Violinen und Basso continuo aus der Suite "L'impériale". Die Fantasie BWV 562 ist mit ihrem kurzen Thema, das nahezu in je- dem Takt erscheint, und in ihrer exzessiven Verwendung von typisch französischen Verzierungen ganz klar dem französischen Stil ver- pflichtet. In ihrer Fünstimmigkeit („à 5“) bezieht sie sich wahraschein- lich auf die kunstvolle Fugue à 5 aus dem Livre d’Orgue von Nicolas de Grigny.
Markus Märkl
Sonntag, 12. September 2021 | 17.00 + 19.00 Uhr (Anmeldung erforderlich) St. Johannes Backnang | Markus Märkl, Köln OHRENÖFFNER 20 Minuten vorab Bach und die barocke Weltordnung Ein musikalisches Sonett in 14 Versen Wie im Himmel Wir glauben all’ an einen Gott | in organo pleno | BWV 680 Vater unser im Himmelreich | manualiter | BWV 737 Allein Gott in der Höh’ sei Ehr | a 2 Clav. e Pedale | BWV 676 Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit, manualiter, BWV 672 So auf Erden Nun komm, der Heiden Heiland | in organo pleno | BWV 661 Andante aus der Pastorale BWV 590 Jesus Christus, unser Heiland | a 2 Clav. e Pedale | BWV 688 Canzona in d-Moll | BWV 588 Carpe Diem In Dir ist Freude | BWV 615 Andante aus der Triosonate IV e-Moll | BWV 528 Toccata in G-Dur | BWV 916 Memento Mori Mit Fried’ und Freud’ ich fahr’ dahin | BWV 616 Fuga XV a tre soggetti ed a 4 Voci | Kunst der Fuge | BWV 1080 Vor Deinen Thron tret ich hiermit | BWV 668
Bach und die barocke Weltordnung Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 als jüngstes von acht Kindern in eine altehrwürdige und weitverzweigte protestan- tische Musikerdynastie hinein geboren. Bereits mit neun Jahren Voll- waise, wuchs er dann bei seinem älteren Bruder Johann Christoph Bach in Ohrdruf auf, bevor er ab 1700 als Vierzehnjähriger in Lüne- burg seine eigenen Lebenswege ging. Das 17. Jahrhundert war entscheidend von den leidvollen Erfah- rungen des 30-jährigen Krieges geprägt. Tod und Vergänglichkeit ge- hörten zum Alltag, was sich in einer eher geringeren Lebenserwar- tung und einer hohen Kindersterblichkeit auswirkte. Umso mehr galt es das Leben in seiner Unabwägbarkeit auszukosten: Carpe diem im Gegensatz zum Memento Mori als sich ergänzende Antipoden dieser Zeit. Dazu bestand die Weltordnung dieser heute als Barock bezeich- neten Epoche aus einem noch unerschütterlichen Gefüge von tief re- ligiösem Gottesglauben und Obrigkeit; die Fürsten an ihren Höfen repräsentierten quasi die göttliche Führung auf Erden, lebten aber nicht selten ein höfisches Leben in Überfülle und exzessivem Luxus. Der einfache Bürger hingegen hatte mit der Armut des Alltags zu kämpfen und war oftmals um das nackte Überleben bemüht. Bach konnte sich mit seinem Beruf und vor allem seiner beruflichen Weiterentwicklung über viele Jahre einen durchaus ansehnlichen Le- bensstandard erarbeiten, in seiner Kunstausübung sah er sich aber je nach Arbeitgeber des öfteren beeinträchtigt und unverstanden, wie zum Beispiel in Arnstadt und Leipzig. Glücklich war er am Hof von Köthen, wo er in dem jungen Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen ei- nen feinsinnigen und kunstfördernden Arbeitgeber gefunden hatte, er beschreibt diese Zeit in einem Brief von 1730 als eine glückliche; auch, dass es ihm schwergefallen sei „aus einem Capellmeister ein Cantor“ zu werden und in Leipzig „eine wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit“ habe. So zog Bach sich spätestens ab den 1740er Jahren mehr und mehr von seinen Erfüllungsaufgaben an der Thomaskirche zurück und widmete sich Kompositionen, die vor allem in seinen letzten Jahren nochmals sein ganzes Gedankengebäude und seine Kunstfertigkeit aufzeigen: Die vollkommene Beherrschung
des Kontrapunktes verbunden mit einem einzigartigen melodischen und rhythmischen Ideenreichtum, dazu die Erschaffung großartig konstruierter Werkformen, die in seinem letzten komponierten Zy- klus, der Kunst der Fuge, einen Höhepunkt barocken Komponierens darstellt und in der er sich in der letzten Fuge, über deren Vollendung er verstorben ist, selbst namentlich in Noten zu erkennen gibt: B-A-C-H. (Markus Märkl, 4. Juli 2021)
Andreas Mattes studierte Schul- und Kirchenmusik (B) an der Hochschule für Musik in Stuttgart, u.a. bei Jon Laukvik, sowie Kirchenmusik (A) an der Universität der Künste Berlin, u.a. bei Uwe Gronostay und Wolfgang Sei- fen. An derselben Universität erwarb er in der Meisterklasse von Paolo Crivellaro und Leo van Doeselaar das Konzertexamen im Fach Orgel. Wäh- rend dieser Zeit ist Andreas Mattes Assistent des Domorganisten an der großen Orgel des Berliner Doms. Meisterkurse und Konzerte führten ihn durch Europa. 2009 bis 2018 war er Kirchenmusiker an der herausgeho- benen Leuchtturmstelle an St. Pankratius in Gütersloh. Seit 2018 ist er Bezirkskantor in Weinsberg. Peter Kranefoed stammt aus Münster in Westfalen und studierte Kirchen- musik, Orgel und Dirigieren in Stuttgart, Boston und Freiburg. Zu seinen Lehrern zählen Ludger Lohmann und James David Christie (Orgel), Dieter Kurz (Chorleitung) und Scott Sandmeier (Orchesterleitung). Von 1995 bis 1997 war er Kirchenmusiker an der Auferstehungskirche in Münster, 1998 bis 2002 Organist an der Blumhardt-Kirche in Bad Cannstatt. Wäh- rend seines Aufenthaltes in den USA von 2002 bis 2004 unterrichtete er Orgel am Boston Conservatory sowie am College of the Holy Cross in Worcester, Massachusetts, und wirkte als Organist an der Chapel of the Holy Spirit in Weston, Massachusetts. Seit 2004 ist Peter Kranefoed Kir- chenmusiker an St. Karl Borromäus in Winnenden, außerdem Leiter ver- schiedener Chöre, Orchester und Ensembles sowie Dozent für Erwachsenenbildung im Fachbereich Musik an der Winnender Volkshoch- schule. Umfangreiche Konzerttätigkeit als Organist, Cembalist und Diri- gent führte ihn bereits in viele Länder der Erde. Markus Märkl erhielt im Alter von elf Jahren seinen ersten Klavierunter- richt von der Musiklehrerin Margarethe Müller in Dillingen an der Donau. Mit 13 Jahren begann er autodidaktisch das Orgelspiel, das er dann zwei Jahre später im Unterricht mit der Dillinger Basilikaorganistin Barbara Ku- bak fortsetzte. Ab Herbst 1985 studierte Markus Märkl als Hospitant am Augsburger Leopold-Mozart-Konservatorium Orgel bei Karl Maureen und Cembalo bei Michael Eberth. Nach dem Abitur 1987 schloss sich dort ein zweijähriges Hauptstudium in den Fächern Orgel und Cembalo an, das er 1989 mit zwei Konzertexamen erfolgreich beendete. Im Herbst 1989 ging Märkl zu weiterführenden Studien der Alten Musik mit dem Schwer- punkt Historische Tasteninstrumente an die „Schola Cantorum Basilien- sis“, wo er anfangs bei Jean-Claude Zehnder Orgel studierte. Ein Jahr später begann er zusätzlich das Cembalo-Studium bei Andreas Staier. Er-
gänzend besuchte er die Generalbasskurse bei Jesper Bøje Christensen und Kurse für Improvisation bei Rudolf Lutz. 1993 erhielt Märkl das Or- geldiplom, 1995 das Cembalodiplom mit Auszeichnung. Von Oktober 1993 bis Juli 1995 unterrichtete er an der „Schola Cantorum Basiliensis“ Generalbass und Improvisation. Im August 1995 zog Märkl nach Paris, gleichzeitig begann er eine internationale Konzerttätigkeit, die ihn neben vielen Ländern Europas nach Australien, Israel, Singapur, Südamerika und die USA führte. Ab 1993 entwickelte sich eine intensive musikalische Zu- sammenarbeit mit dem Countertenor Andreas Scholl als dessen ständi- ger Cembalist. 1998 zog Märkl nach Köln, wo er seither als freischaffender Musiker lebt. Im Dezember 2003 wurde er Mitglied des Kölner Ensembles CordArte, das sich vor allem unentdecktem Repertoire des 17. Jahrhunderts widmet. Von 2005 bis 2013 war Märkl Pianist des Kölner Ensembles Le Quatuor Romantique. Nikolai Geršak ist ein Kirchenmusiker, Organist, Komponist und Jazzmusi- ker. Nach dem Kirchenmusikstudium (1995 B-Prüfung an der Kirchenmu- sikschule Rottenburg, 2000 A-Prüfung an der Musikhochschule Lübeck, Orgelunterricht bei Wolfram Rehfeldt und Jürgen Essl) war er Kirchenmu- siker in Langenargen am Bodensee und seit April 2000 an der St. Niko- lauskirche, der katholischen Hauptkirche in Friedrichshafen am Bodensee. Dort leitet er mehrere Chorgruppen (Chorgemeinschaft St. Nikolaus/St. Petrus Canisius, Choralschola St. Nikolaus, Kinderchor und Kammerchor Friedrichshafen). Geršak ist Organist an der weitbekannten Woehl-Orgel und leitet neben vielen Konzerten die Internationale Orgel- akademie Bodensee. Zusätzlich ist er als Dekanatskirchenmusiker für das Dekanat Friedrichshafen tätig. Neben einem breiten Orgelrepertoire hat sich Nikolai Geršak als Improvisator einen Namen gemacht, besonders seine Begleitung von Stummfilmen findet große Beachtung. Ergänzend spielt er als Pianist beim Newjazzport-Orchestra (Bigband des Jazzvereins Friedrichshafen) und als Organist an seiner originalen Hammond B3 in verschiedenen Formationen. Reiner Schulte studierte Kirchenmusik, Schulmusik, Germanistik, Alte Musik/Cembalo und Musikvermittlung/Konzertpädagogik in Detmold, Stuttgart und Trossingen. Seit 1999 ist er als Dekanatskirchenmusiker in der Diözese Rottenburg-Stuttgart tätig; zuerst an der Liebfrauenkirche in Stuttgart-Bad Cannstatt, seit 2002 in Backnang. 2017 wurde er zum Re- gionalkantor ernannt, damit ist er auch für das Fachgebiet “Vermittlung der Kirchenmusik” in der Diözese zuständig.
Vorschau Freitag, 8. Oktober 2021 Backnanger Orgelnacht Zeitgleiche Kurzkonzerte zur vollen Stunde (19, 20, 21, 22 Uhr) in der Christkönigskirche, Markuskirche, Matthäuskirche, Neuapos- tolische Kirche, Stadtfriedhof, Stiftskirche, Totenkirchle, Zionskirche Sonntag, 17. Oktober 2021, 19.00 Uhr Christkönigskirche Backnang W. M z a r t – re:requiem Musik von Mozart, Jonathan Hanke u.a. RONDO Vocale Stuttgart Leitung: Gereon Müller
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