BAUWERKVERTRAG UND "COVID-19" - JKU ePUB

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                                            Ing. Daniel Klaus

                                            Angefertigt am
                                            Institut für Zivilrecht

                                            Beurteiler
                                            Mag. Dr. Simon Laimer
                                            LL.M

                                            Oktober 2020

BAUWERKVERTRAG UND
„COVID-19“

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Magister der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium der Rechtswissenschaften

                                            JOHANNES KEPLER
                                            UNIVERSITÄT LINZ
                                            Altenberger Straße 69
                                            4040 Linz, Österreich
                                            jku.at
                                            DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich
oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Perg, 12.10.2020

Daniel Klaus

Sprachliche Gleichbehandlung

Soweit in dieser Arbeit natürliche personenbezogene Bezeichnungen nur in weiblicher oder
männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise.

12. Oktober 2020                                                                               2/68
BAUWERKVERTRAG UND „COVID-19“

Inhaltsverzeichnis

I.         Einleitung .............................................................................................................................................. 7

      A.        Problemaufriss und Einführung in die Thematik ................................................................................ 7

      B.        Gang der Untersuchung ..................................................................................................................... 7

II.        TEIL 1 – „COVID-19“ und die Auswirkungen auf den Bauwerkvertrag .......................................... 8

      A.        „COVID-19“ – Ausgangslage .............................................................................................................. 8
           1.        Überblick COVID-19 Maßnahmengesetze bzw Verordnungen ..................................................... 8
           2.        Auswirkungen auf die Bauwirtschaft .............................................................................................. 9

      B.        Die Leistungsstörung beim Bauwerkvertrag ....................................................................................11
           1.        Risikozuordnung beim Bauwerkvertrag........................................................................................11
                a)      Risikoverteilung im ABGB ........................................................................................................11
                b)      Risikoverteilung in der ÖNORM B 2110 ...................................................................................18
                c)      Zwischenfazit ............................................................................................................................24
           2.        Unmöglichkeit der Leistungserbringung beim Bauwerkvertrag ....................................................24
                a)      Ausgangspunkt .........................................................................................................................24
                b)      § 1447 ABGB – zufällige nachträgliche Unmöglichkeit ............................................................25
                c)      Pkt 7.2.1 (3) Z 1 ÖNORM B 2110 – objektive Unmöglichkeit der vertragsgemäßen
                Ausführung der Leistungen ..............................................................................................................27
                d)      § 920 ABGB – nachträgliche, vom Schuldner zu vertretende Unmöglichkeit ..........................28
                e)      § 1168 (1) S1 ABGB – Unterbleiben der Werkausführung ......................................................29
                f)      Zwischenfazit ............................................................................................................................32
           3.        Verzug beim Bauwerkvertrag .......................................................................................................32
                a)      Abgrenzung Verzug und Unmöglichkeit ...................................................................................32
                b)      Verzug beim Bauwerkvertrag ...................................................................................................33
                c)      Verzug des Werkunternehmers im Anwendungsbereich des ABGB .......................................34
                d)      Verzug des Werkunternehmers im Anwendungsbereich der ÖNORM B 2110 .......................36
                e)      Konventionalstrafe - § 4 2.COVID-19-JuBG ............................................................................38
                f)      § 1168 (1) S2 ABGB – Verzögerung der Werkausführung ......................................................42
                g)      Annahmeverzug des Werkbestellers ........................................................................................46
                h)      Zwischenfazit ............................................................................................................................48

      C.        Störung der Geschäftsgrundlage – taugliche Anspruchsgrundlage?...............................................48
           1.        Ausgangspunkt .............................................................................................................................48
           2.        Judikatur und das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage iZh mit Werkverträgen ..49
           3.        Meinungen in der Literatur im Zusammenhang mit COVID-19 ....................................................51
           4.        Zwischenfazit ................................................................................................................................54

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III.    TEIL 2 – Rechtliche Analyse besonderer Fallkonstellationen .......................................................54

   A.        Fragestellung 1 – Baueinstellung durch Werkbesteller ....................................................................54
        1.        Ausgangspunkt .............................................................................................................................54
        2.        Baueinstellung durch den Werkbesteller – Abbestellung oder Annahmeverzug .........................54
             a)      Anordnungsrecht des Werkbestellers? ....................................................................................54
             b)      Abbestellung des Werkes .........................................................................................................55
             c)      Annahmeverzug des Werkbestellers ........................................................................................55
        3.        Zusätzlicher Werklohnanspruch des Werkunternehmers iSd § 1168 (1) S2 ABGB ....................56

   B.        Fragestellung 2 – Baueinstellung durch Werkunternehmer .............................................................56
        1.        Ausgangspunkt .............................................................................................................................56
        2.        Leistungsverweigerungsrechte des Werkunternehmers ..............................................................56
        3.        Schadenersatzansprüche des Werkbestellers .............................................................................58

   C.        Fragestellung 3 – Baustelle befindet sich in Quarantänegebiet .......................................................58
        1.        Ausgangspunkt .............................................................................................................................58
        2.        Behördlich angeordnete Gebietssperre – Anspruch des Werkunternehmers bei einem ABGB-
        Vertrag ..................................................................................................................................................58
        3.        Behördlich angeordnete Gebietssperre – Anspruch des Werkunternehmers bei einem ÖNORM
        B 2110 Vertrag .....................................................................................................................................60

   D.        Fragestellung 4 – geänderter Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan .........................................61
        1.        Ausgangspunkt .............................................................................................................................61
        2.        Aufgabe des Bauarbeiterkoordinationsgesetzes ..........................................................................61
        3.        Stellt die Anpassung des SiGe-Plans eine Anordnung des Werkbestellers dar? ........................62
             a)      Aufgaben des Baustellenkoordinators......................................................................................62
             b)      Aufgabe des SiGe-Plan ............................................................................................................62
             c)      Angepasster SiGe-Plan – Anordnung des Werkbestellers? ....................................................63

IV.          Fazit .................................................................................................................................................65

Literaturverzeichnis ...................................................................................................................................66

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Abkürzungsverzeichnis

aA                      andere Ansicht
ABGB                    Allgemein bürgerliches Gesetzbuch
Abs                     Absatz
AG                      Auftraggeber
allg                    allgemein
AN                      Arbeitnehmer
AschG                   Arbeitnehmerschutzgesetz
BauKG                   Bauarbeiterkoordinationsgesetz
BGBl                    Bundesgesetzblatt
BlgNr                   Beilage(n) stenographischen Protokollen des NA
bzw                     beziehungsweise
COVID-19                Corona Virus Disease 2019
CuRe                    Onlinezeitschrift Manz
dh                      das heißt
E                       Entscheidung(en)
ecolex                  Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht
EKHG                    Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftungsgesetz
ErlRV                   erläuternde Regierungsvorlage
etc                     et cetera
f                       folgende
ff                      fortfolgende
FN                      Fußnote
FS                      Festschrift
gem                     gemäß
grds                    grundsätzlich
GP                      Gesetzgebungsperiode
hA                      herrschende Ansicht
HB                      Handbuch
hL                      herrschende Lehre
Hrsg                    Herausgeber
Jud                     Judikatur
idF                     in der Fassung
idR                     in der Regel
idZ                     in dem Zusammenhang
iSd                     im Sinne der(s)
iSe                     im Sinne eines
iZh                     im Zusammenhang
iZm                     im Zusammenhang mit
iVm                     in Verbindung mit
lit                     litera
Kap                     Kapitel
krit                    kritisch
L                       Lehre
Lit                     Literatur
lt                      laut

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mE                 meiner Einschätzung
MietSlg            Mietrechtliche Entscheidungen
mMn                meiner Meinung nach
MNS                Mund-Nasen-Schutz
mwN                mit weiteren Nachweisen
NA                 Nationalrat
Nr                 Nummer
NZ                 österreichische Notariatszeitung
OGH                Oberster Gerichtshof
ÖVI                österreichischer Verband für Immobilienwirtschaft
ÖZW                österreichische Zeitung für Wirtschaftsrecht
RIS                Rechtsinformationssystem
Pkt                Punkt
RGBl               Reichsgesetzblatt
Rsp                Rechtsprechung
Rz                 Randziffer
S                  Satz
SiGe-Plan          Sicherheits- u Gesundheitsschutzplan
sog                sogenannt(e)
stRsp              ständige Rechtsprechung
tL                 Teil der Lehre
ua                 unter anderen(m)
u                  und
uU                 unter Umständen
v                  von(m)
vgl                vergleiche
WB                 Werkbesteller
WU                 Werkunternehmer
zB                 zum Beispiel
Z                  Ziffer
z                  zu
Zak                Fachzeitschrift Zivilrecht aktuell
zB                 zum Beispiel
ZVB                Fachzeitschrift für Vergabe- und Bauvertragsrecht
zul                zuletzt
zust               zustimmend
zw                 zwischen

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I. Einleitung

A. Problemaufriss und Einführung in die Thematik

Die rasante Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 stellt derzeit die Gesellschaft in jeglicher
Hinsicht vor große Herausforderungen. Auch in der Bauwirtschaft sind die Auswirkungen der
COVID-19 Pandemie infolge staatlicher Zwangsmaßnahmen zur Eindämmung des Virus merklich
spürbar. Materialknappheit, nicht verfügbare Arbeitskräfte aufgrund von Quarantänemaßnahmen,
die Abriegelung von ganzen Gebieten aber auch die zusätzlichen Schutzmaßnahmen zur
Vermeidung einer weiteren Ausbreitung des Virus stellen nicht nur die einzelnen Bauunternehmer
vor erhebliche Herausforderungen sondern haben auch letztlich enorme Auswirkungen auf die
einzelnen Bauvorhaben. Zweck dieser Diplomarbeit ist es, anhand der gesetzlichen Grundlagen
die rechtlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf den Bauwerkvertrag zu analysieren.

B. Gang der Untersuchung

Die gegenständliche Diplomarbeit gliedert sich zunächst in zwei Teile. Teil eins behandelt die
Auswirkungen der pandemiebedingten Maßnahmen auf den Bauwerkvertrag. In Teil zwei werden
besondere Fallkonstellationen im Zusammenhang mit der Pandemie näher analysiert.

Im Teil eins wird zunächst ein kurzer Überblick über die COVID-19 Maßnahmengesetze bzw über
die einschlägigen Verordnungen gegeben u mögliche Auswirkungen in der Bauwirtschaft werden
dargestellt. Anschließend wird das Leistungsstörungsrecht bei Bauwerkverträgen näher
betrachtet. Im Rahmen dessen wird zunächst die Frage geklärt, welcher Vertragspartner die
Risiken der COVID-19 Pandemie grds trägt. Dabei wird ein Vergleich zw ABGB und ÖNORM B
2110 Verträgen angestellt. In weiterer Folge wird die Leistungsstörung – insbesondere die der
Unmöglichkeit der Leistungserbringung aber auch des Verzugs u die daraus resultierenden
Ansprüche der Vertragspartner nach ABGB u ÖNORM B 2110 – behandelt. In einem nächsten
Schritt wird versucht, ob das Rechtsinstitut der Wegfall bzw Störung der Geschäftsgrundlage im
Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie eine taugliche Anspruchsgrundlage darstellt.

Im Teil zwei werden besondere Fallkonstellationen im Zusammenhang mit der COVID-19
Pandemie betrachtet. Insbesondere mit den Fragen, welche Rechtsfolgen ausgelöst werden,
wenn der Werkbesteller oder der Werkunternehmer aufgrund COVID-19 bedingter Umstände das
Bauvorhaben einstellt. Aber auch die Frage welche rechtlichen Konsequenzen sich ergeben,
wenn sich der Ort der Leistungserbringung in einem Quarantänegebiet befindet. Weiters soll die
Frage beantwortet werden, ob die Übermittlung eines COVID-19 bedingten geänderten

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Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan als Anordnung des Werkbestellers zu qualifizieren ist u
der Werkunternehmer Anspruch auf Mehrkosten hat. Abschließend wird angemerkt, dass sich
diese       Diplomarbeit   mit    den     Auswirkungen        auf    den     Werkvertrag       beschäftigt.
Arbeitsvertragsrechtliche Auswirkungen werden im Zuge dieser Diplomarbeit nicht behandelt.

II. TEIL 1 – „COVID-19“ und die Auswirkungen auf den Bauwerkvertrag

A. „COVID-19“ – Ausgangslage

1. Überblick COVID-19 Maßnahmengesetze bzw Verordnungen

Zur Eindämmung der Ausbreitung des COVID-19 Virus hat der Gesetzgeber zu Beginn der
Pandemie das COVID-19 Maßnahmengesetz1 erlassen. Mit Hilfe dessen war es den Behörden
erlaubt, das Betreten von bestimmten Orten zu untersagen. Auf Basis des § 2 COVID-19-
Maßnahmengesetzes hatte der zuständige Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und
Konsumentenschutz – per Verordnung – ein allgemeines Betretungsverbot erlassen, mit dem das
Betreten öffentlicher Orte verboten wurde.2 Für berufliche Zwecke war das Betreten des
öffentlichen Raumes hingegen weiterhin zulässig, sofern am Ort der beruflichen Tätigkeit
zwischen den Personen ein Sicherheitsabstand von einem Meter eingehalten werden konnte.3
Insofern hat diese Ausnahmebestimmung für die Durchführung von Bauvorhaben besondere
Bedeutung.4

Für bereits in Ausführung befindliche Bauvorhaben hatte dies zur Folge, dass ein Weiterbetrieb
von Baustellen nur dann möglich war, wenn zw den ausführenden Arbeitern ein
Sicherheitsabstand von einem Meter gewährleistet werden konnte. In diesem Zusammenhang sei
erwähnt, dass die Einhaltung des Sicherheitsabstandes bereits bei der An- und Abreise zur
beruflichen Tätigkeit gewährleistet sein musste.5 Konnte hingegen der Sicherheitsabstand nicht
eingehalten werden, so mussten die Baustellen eingestellt werden. In weiterer Folge wurde in
Zusammenarbeit von Baugewerbe, Bauindustrie, Gewerkschaft Bau-Holz mit dem zentralen
Arbeitsinspektorat eine Handlungsanleitung für den Gesundheitsschutz auf Baustellen erarbeitet.
Diese Handlungsanleitung ist durch den zuständigen Bundesminister für Soziales, Gesundheit,
Pflege und Konsumentenschutz mittels Erlass für verbindlich erklärt worden.6 Demnach ist die

1 Siehe Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-
19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020 idF 23/2020.
2 Siehe Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z1

des Covid-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020.
3 Siehe § 2 Z 4 der Verordnung gemäß § 2 Z1 des Covid-19-Maßnahmengesetzes.
4
  Vgl. Graf/Brandstätter, Rechtliche Auswirkungen von COVID-19 auf Bauvorhaben, ZaK (7/2020) 206.
5 Gallistel/Lessiak, COVID-19 und Betrieb von Baustellen, ZVB (4/2020) 171 (173).
6
  Nach Gallistel/Lessiak, ZVB (4/2020), 173.
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Durchführung der Arbeiten auch dann zulässig, wenn die Einhaltung des Sicherheitsabstandes
nicht möglich ist, jedoch durch entsprechende – in der Handlungsanleitung angeführte –
Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko reduziert werden kann.

Darüber hinaus sah das COVID-19 Maßnahmengesetz für die Behörden die Möglichkeit vor,
gesamte Landesgebiete aber auch einzelne politische Bezirke bzw Teile davon unter Quarantäne
(zB Paznauntal) zu setzen.7 Weiters durfte das österreichische Staatsgebiet nur an bestimmten
Stellen überschritten werden, weshalb es bei Grenzübergangsstellen zu kilometerlangen Staus
kam.8 Auch der grenzüberschreitende Personenverkehr zu sämtlichen Nachbarstaaten
Österreichs wurde durch Verordnungen erheblich eingeschränkt.9 Ausländische Staatsbürger
durften nur dann einreisen, sofern sie einen negativen molekularbiologischen COVID-19 Test
vorweisen konnten. Dieser Test durfte nicht älter als 4 Tage sein. Ansonsten war die Einreise
nach Österreich seitens der Behörden zu verweigern. Gleiches galt bei Einreise von
österreichischen Staatsbürgern. Konnte kein Test vorgelegt werden, so musste dieser eine 14-
tägige Heimquarantäne antreten. Lediglich der Güterverkehr wurde von diesen Bestimmungen
ausgenommen.10

2. Auswirkungen auf die Bauwirtschaft

Neben dem Risiko, dass die Vertragsparteien bzw dessen Gehilfen am COVID-19 Virus erkranken
könnten, haben vor allem die soeben angeführten staatlichen Beschränkungen erhebliche
Auswirkungen auf die einzelnen Bauvorhaben11. Für den Werkunternehmer (in der Folge „WU“)
besteht die Gefahr, dass die vertraglich vereinbarten Termine aufgrund diverser Umstände
(Mitarbeiter befinden sich in Quarantäne, Mitarbeiter können nicht einreisen, Lieferengpässe,
Abriegelung von ganzen Gebieten etc) nicht eingehalten werden können. Darüber hinaus haben
die in der Handlungsanleitung angeführten Schutzmaßnahmen erhebliche Auswirkungen auf die
einzelnen Bauvorhaben, welche nachfolgend überblicksmäßig zusammengefasst werden:

Gem Pkt 212 sind Desinfektionsmittel bereitzustellen, um für eine regelmäßige Desinfektion der
sanitären und sozialen Einrichtungen auf der Baustelle zu sorgen. Insbesondere Tischplatten,
Stühle, Armaturen und Türgriffe sind in kurzen Reinigungsintervallen zu desinfizieren.

7
  Siehe § 2 Z 2 u 3 COVID-19-Maßnahmengesetz.
8 Vgl. Verordnung des Bundesministers für Inneres über die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen
an den Binnengrenzen zur Italienischen Republik und zur Bundesrepublik, BGBl II 84/2020 idF 202/2020 bzw
Verordnung des Bundesministers für Inneres über die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den
Binnengrenzen zur Schweizerischen Eidgenossenschaft, zum Fürstentum Liechtenstein, zur Tschechischen Republik
und zur Slowakischen Republik, BGBl II 91/2020 idF 202/2020.
9 Vgl. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über Maßnahmen

bei der Einreise aus Nachbarstaaten, BGBI II 87/2020 idF 195/2020.
10 Vgl. § 4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über

Maßnahmen bei der Einreise aus Nachbarstaaten, BGB II 87/2020 idF 195/2020.
11 Vgl. Rabl, Covid-19-Risiko im Vertrag, CuRe 2020/36.
12
   Die nachfolgend angeführten Punkte beziehen sich auf die Handlungsanleitung v 23.03.2020.
12. Oktober 2020                                                                                           9/68
Nach Pkt 3 hat der WU für eine wirksame Trennung zw Arbeits- und Aufenthaltsräumen zu sorgen.
Demnach soll durch eine zeitliche Staffelung oder örtliche Entflechtung aller Beteiligten gesorgt
werden, damit der nötige Sicherheitsabstand, insbesondere beim Umkleiden oder in den Pausen,
eingehalten werden kann. Arbeitsverfahren sollen entsprechend den technischen Möglichkeiten
so geplant werden, dass die Anzahl der gleichzeitig arbeitenden Beschäftigten möglichst gering
ist.

Gem Pkt 4 ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutz (MNS) im Freien verpflichtet, wenn der
Sicherheitsabstand von 1 Meter nicht eingehalten werden kann. In geschlossenen Räumen, in
denen der Sicherheitsabstand nicht gewährleistet werden kann, ist ein MNS oder wenn verfügbar,
das Tragen von Masken der Klasse FFP 1 notwendig. In geschlossenen Räumen mit beengten
Verhältnissen müssen Atemschutzmasken oder zumindest Masken der Klasse FFP 2 verwendet
werden. Darüber hinaus haben diese Maßnahmen erhebliche Auswirkungen auf die Produktivität
der einzelnen Beschäftigten.

Nach Pkt 6 besteht eine Minimierungspflicht beim Transport der Beschäftigten zu u von der
Baustelle, damit der Mindestabstand zw den einzelnen Personen gewährleistet ist. Pkt 7 sieht
vor, dass Schlafräume nicht mit mehr als einer Person belegt werden dürfen. All diese
Maßnahmen führen dazu, dass die jeweiligen WU mit erheblichen Mehrkosten konfrontiert sind u
letztlich auch Auswirkungen auf die vertraglich vereinbarte Bauzeit haben.

Aber auch für den Werkbesteller (in der Folge „WB“) besteht aufgrund der staatlichen
Beschränkungen ebenfalls die Gefahr, dass die Herstellung des Werks verspätet oder unter
Umständen nicht mehr ausgeführt werden kann. Aber auch eine COVID-19 bedingte finanzielle
Notsituation könnte eine Gefahr für die Herstellung des Werks sein.

12. Oktober 2020                                                                             10/68
B. Die Leistungsstörung beim Bauwerkvertrag

1. Risikozuordnung beim Bauwerkvertrag

a) Risikoverteilung im ABGB

Für die Beantwortung der Frage der Risikozuordnung sieht die österreichische Rechtsordnung die
Bestimmungen des §§ 1168, 1168a ABGB vor.13 Beim Bauwerkvertrag verpflichtet sich der WU
gegenüber dem WB zur Herstellung eines Bauwerkes nach den Vorstellungen des WB gegen
Entgelt.14 Der WU schuldet demnach einen bestimmten Erfolg, weshalb es sich bei einem
Bauwerkvertrag um eine Erfolgsverbindlichkeit handelt.15 Das Ergebnis des WU kann sich
demnach positiv iSe Erfolgs verwirklichen oder aber – aufgrund diverser Umstände – auch
misslingen.16

Die Bestimmungen des §§ 1168, 1168a ABGB gehen von der Grundregel aus, dass der WU nur
dann Anspruch auf das Entgelt hat, wenn er den Erfolg – nämlich die Herstellung und Ablieferung
des Werkes – hergestellt hat.17 § 1168a ABGB ordnet diese Regel für den Fall an, dass das Werk
aufgrund eines bloßen Zufalls – ganz oder teilweise – zugrunde geht. In § 1168 ABGB sind jedoch
Ausnahmen von dieser Grundregel normiert. Wird die Ausführung des Werkes aufgrund von auf
Seiten des WB liegenden Umständen verhindert, so behält der WU seinen Entgeltanspruch,
sofern die weiteren Voraussetzungen, nämlich die Leistungsbereitschaft und die Anrechnung der
Ersparnis des § 1168 (1) S1 ABGB, vorliegen. Weiters normiert § 1168 ABGB einen
„Entschädigungsanspruch“ des WU, wenn die Herstellung des Werkes infolge von Umständen auf
Seiten des WB verzögert wird. Misslingt hingegen das Werk aufgrund offenbarer Untauglichkeit
vom Besteller beigestellter Stoffe oder unrichtiger Anweisungen, so behält der WU gem § 1168a
S3 ABGB seinen Entgeltanspruch, sofern er den WB gewarnt hat.

Liegt eine dieser drei Ausnahmetatbestände vor, so trifft dem WB die Preisgefahr. Dh, der WB
muss den Werklohn bezahlen, ohne eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten.18
Entscheidend für die Preisgefahr ist, aus welchem Grund die Herstellung des Werkes
unterbleibt.19 Der Gesetzgeber unterscheidet demnach zw den Umständen auf Seiten des WB
u anderen Umständen. Erstere sind dem WB; zweitere dem WU zuzuordnen.20 Für die

13
   Vgl. Kletečka in Kletečka /Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168 Rz 1 ff; Rebhahn/Kietaibl in Schwimann/Kodek, ABGB4 §
1168 ABGB Rz 1 ff.; Reiner in Schwimann/Neumayr, ABGB4 § 1168 ABGB Rz 1 ff.
14
   Vgl. Weselik in Weselik/Hussian, Praxisleitfaden - Der österreichische Bauvertrag (2011) 47.
15 Vgl. Weselik, Bauvertrag 47.
16
   Vgl. Müller/Goger, Der gestörte Bauablauf (2016) 29.
17 Rebhahn/Kietaibl in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1168 ABGB Rz 1.
18
   Müller/Goger, Bauablauf 31.
19 Reiner in Schwimann/Neumayr, ABGB4 § 1168 ABGB Rz 3.
20
   Rebhahn/Kietaibl in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1168 ABGB Rz 1.
12. Oktober 2020                                                                                            11/68
Beurteilung eben dieser Umstände, hat die L21 u Rsp22 die sog Sphärentheorie entwickelt. Nach
der Ansicht des OGH hat jeder Vertragsteil den Zufall zu tragen, der sich in seiner Sphäre
ereignet.23 Entscheidend für die Risikozuordnung ist demnach die Herkunft des Hindernisses.24
Ein Verschulden der Vertragsparteien ist keine Voraussetzung.25 Liegt jedoch ein vorwerfbares
Verhalten eines der beiden Parteien vor, so wird dieses jedenfalls dem schuldhaften
Vertragspartner zugeordnet.26 Die Sphärentheorie geht davon aus, dass jedem Vertragspartner
bestimmte Risiken zuordenbar sind.27 Diese Zuordnung richtet sich danach, welcher Vertragsteil
die Möglichkeit hat, bestimmte Risiken am ehestens zu beherrschen.28 Dh, dass jene Risiken
einem Vertragspartner zugeordnet werden, welche mit der Person, dem Vermögen u den Leuten
des Vertragspartners verbunden sind.29 Entscheidend ist demnach, ob ein Vertragspartner eine
starke Nahebeziehung zu einer potentiellen Gefahr für die Leistungserbringung hat.30 Zu beachten
ist, dass es sich bei §§ 1168, 1168a ABGB um dispositives Recht handelt, weshalb die
Vertragsparteien abweichende vertragliche Regelungen treffen können.31

Kletečka vertritt die Ansicht, dass die Sphärentheorie keinen eigenen Erkenntniswert hat.32
Begründet wird dies damit, dass die Sphäre nicht in der Tatsachenwirklichkeit besteht, an welche
die Rechtsfolge der Risikozuweisung geknüpft werden kann.33 Folglich handelt es sich nach
Kletečka bei der Beurteilung der Risikozuordnung bereits selbst um eine Rechtsfrage.34 Die
Risikozuordnung muss demnach durch Vertragsauslegung geklärt werden.35 Die gesetzlichen
Gefahrtragungsregeln stehen dem nicht gegenüber, da diese dispositiver Natur sind.36 Nach
Ansicht Kletečka stellt eine physische Nähebeziehung einer potentiellen Gefahr für die
Leistungserbringung u eine daraus abgeleitete Sphärenzuordnung bloß ein Indiz für die
vertragliche       Gefahrtragung     dar.37    Maßgeblich       ist   jedoch     primär     die    vertragliche
Aufgabenverteilung.38 Fehlt hingegen eine vertragliche Risikozuordnung, so wird sekundär auf die
Gefahrenbeherrschung abgestellt.39 Dies zeigt sich besonders bei der Unterlassung von

21 Krejci in Rummel, ABGB3 § 1168 Rz 4; Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB4 § 1168 Rz 1 ff.;

Herrmann, Risikoüberwälzung beim Bauwerkvertrag (2018) 6.; Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1166.
22 RIS-Justiz RS0021888 (T 4).
23
   OGH 19.03.1985, 5 Ob 519/85; OGH 18.05.1998, 8 Ob 63/98t
24 RIS Justiz RS0021926
25
   RIS-Jusitz RS0021829
26 Kletečka in Kletečka /Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168 Rz 22.
27 Müller/Goger, Bauablauf 31; Hussian in Hussian/Weselik, Der österreichische Bauprozess (2009) 126.
28
   Kurz, ÖNORM B2110 (2012) 311.; Müller in Müller/Stempkowski, HB Claim-Management2 229.
29
   Kletečka in Kletečka /Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168 Rz 21.
30 Müller/Goger, Bauablauf 37.
31
   RIS-Justiz RS0021858
32
   Kletečka in Kletečka /Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168 Rz 4.
33 Kletečka, Die Gefahrtragung beim Bauwerkvertrag in der COVID-19-Krise, bauaktuell (3/2020) 87 (88).
34
   Kletečka in Kletečka /Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168 Rz 4.
35 Kletečka, bauaktuell (3/2020) 88.
36
   Kletečka, bauaktuell (3/2020) 88.
37 Kletečka, bauaktuell (3/2020) 88.
38
   Kletečka in Kletečka /Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168 Rz 8.; so auch Hussian, Risikoverschiebung beim Bauvertrag
in Gallistel/Oswald/Raab/Szkopecz/Wallner (Hrsg), FS Kropik, 41.
39
   Kletečka in Kletečka /Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168 Rz 19; so auch Hussian, FS Kropik, 41.
12. Oktober 2020                                                                                            12/68
Mitwirkungsobliegenheiten des WB iSd § 1168 (2) ABGB. Ein Umstand aus der Sphäre des WB
ist nur dann anzunehmen, wenn dem WB eine entsprechende Obliegenheit aus dem Vertrag
trifft.40

ME lässt sich die Risikozuordnung mit Hilfe der vertraglichen Aufgabenverteilung aus § 1168a S2
ABGB ableiten. Demnach heißt es, dass derjenige den Verlust des Stoffes zu tragen hat, welcher
ihn beistellt. Das impliziert, dass die Vertragsparteien im Vorfeld etwas vereinbaren müssen. Sei
es, wer die Pläne zur Ausführung zur Verfügung zu stellen hat, sei es, wer den Baugrund,
Vorleistungen oder die erforderlichen Materialien zur Verfügung zu stellen hat. Es bedarf einer
vertraglichen Vereinbarung, weshalb mMn bei der Risikozuordnung primär auf die vertragliche
Aufgabenverteilung abzustellen ist u nicht auf eine etwaige Gefahrenbeherrschung.

Lt OGH gehören zur Sphäre des WB die von ihm beigestellten Stoffe, die von ihm erteilten
Anweisungen und alle sonstigen der Werkherstellung – auf Seiten des WB liegenden – störenden
Einflüsse.41 Als Stoff wird lt Judikatur alles darunter verstanden, aus dem oder mit dem das Werk
herzustellen ist. Demnach werden zB der Baugrund42, beigestellte Pläne43 aber auch vom WB zu
erbringenden Vorleistungen44 als Stoff qualifiziert. Eine Anweisung hingegen liegt dann vor, wenn
der WB dem WU die Art u Weise der Zielerreichung konkret u verbindlich vorgibt.45 In diesem
Zusammenhang können zB vom Besteller eingeholte Gutachten eine Anweisung darstellen.46
Unter die sonstigen störenden Einflüsse werden gem Rsp alle Handlungen oder
Unterlassungen des WB oder seiner Leute, Ereignisse in der Person des Bestellers, in seiner
Unternehmung oder Wirtschaft verstanden.47 Karasek führt demnach aus, dass zur Sphäre des
WB alle Handlungen gehören, welche der WB dem WU schuldet.48 Daraus folgt, dass dem WB
auch das Verhalten seiner Mitarbeiter aber auch jenes seiner beauftragten Unternehmen
zugeordnet wird.49 Entscheidend für die Zuordnung ist, dass die eingesetzten Gehilfen auch eine
vom WB gegenüber dem WU geschuldete Leistung erbringen.50 Weiters werden auch
Mitwirkungsobliegenheiten im Rahmen seiner Gefahrtragung dem WB zugeordnet.51 Dazu zählen
ua die zeitgerechte zur Verfügungstellung von Ausführungsunterlagen, die Koordinierung
mehrerer am Bau beteiligter WU, aber auch die Einholung der erforderlichen Genehmigungen.52

40 Kletečka in Kletečka /Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168 Rz 8.
41
   RIS-Justiz RS0021934
42
   OGH 19.05.2005, 2 Ob 274/04v
43 OGH 22.04.2014, 7 Ob 18/14v
44
   OGH 12.02.1987, 7 Ob 689/86
45
   Hussian, Bauprozess 91.
46 Hussian, FS Kropik, 40.
47
   OGH 06.11.1981, 1 Ob 569/81
48 Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1171.
49
   Müller/Goger, Bauablauf 37.
50 Müller/Goger, Bauablauf 37.
51
   Hussian, Anspruchsverlust bei Überschreitung des Kostenvoranschlages in Hofstadler, Aktuelle Entwicklungen in
Baubetrieb, Bauwirtschaft und Bauvertragsrecht (2019) 536.
52
   Hussian, in Hofstadler, Aktuelle Entwicklungen in Baubetrieb, Bauwirtschaft und Bauvertragsrecht 536.
12. Oktober 2020                                                                                              13/68
Darüber hinaus sind auch zufällige Ereignisse vom WB zu vertreten, sofern diese seinem
Risikobereich entspringen.53

Der Gesetzgeber definiert die Umstände des WB nicht näher, weshalb die Rsp auf Basis der
Sphärentheorie die Umstände des WB näher konkretisiert hat. Zusammenfassend können
demnach folgende Umstände dem WB zugeordnet werden54:

      Beistellung richtiger Unterlagen (Pläne, Gutachten, Berechnungen)55
      die Koordination der Leistungen (wenn verschiedene Unternehmer auf der Baustelle tätig
          sind)56
      die Tauglichkeit vom WB beigestellter Stoffe (Pläne, Baugrund, Vorleistungen,
          Ausschreibungsunterlagen)57
      Beschreibungsrisiko (genaue u eindeutige Beschreibung der geschuldeten Leistungen)
      vom WB erteilte Anweisungen
      Anordnungen des WB
      zeitgerechte Entscheidungen u Festlegungen des WB
      Bewilligungen und Genehmigungen (zB Baubewilligung)58
      Haftung für Erfüllungsgehilfen des WB59

Die Sphäre des WU wird mit den Grundgedanken der Erfolgsverbindlichkeit des Werkvertrags
beantwortet. Der WU schuldet dem WB einen bestimmten Erfolg. Bis zur Übergabe der
geschuldeten Leistung trägt der WU alle Risiken, welche nicht der Sphäre des WB zugeordnet
werden können.60 Zur Sphäre des WU werden demnach folgende Umstände zugeordnet:61

      Risiken, welche den technischen Ablauf des Betriebes betreffen
      Risiken, welche sich aus der Zufuhr von Rohstoffen ergeben
      Risiken der Arbeitskräftebeschaffung
      Risiken bei der Verletzung der Prüf- und Warnpflicht bei offensichtlichen Mängeln vom WB
          beigestellter Stoffe
      Kalkulationsrisiko62

53
   Krejci in Rummel, ABGB3 § 1168 Rz 10; Rebhahn/Kietaibl in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1168 ABGB Rz 22.
54
   Herrmann, Risikoüberwälzung 7.
55 OGH 19.05.2005, 6 Ob 274/04v
56
   Krejci in Rummel, ABGB3 § 1168 ABGB Rz 11
57 OGH 06.10.2000, 1 Ob 144/00h
58
   OGH 25.01.2005, 1 Ob 259/04a
59 Müller in Müller/Stempkowski, HB Claim-Management2 230.
60
   Koziol/Welser, Bürgerliches Recht II14 302 f.
61 Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1178.
62
   OGH 21.10.2008, 5 Ob 211/08 b
12. Oktober 2020                                                                                         14/68
Dem WU werden auch Umstände für die Vereitelung des Werkes bzw bei der Verzögerung der
Werkherstellung zugeordnet, wenn diese aus dem sog „neutralen Kreis“ resultieren.63 Man spricht
in diesem Zusammenhang von der sog neutralen Sphäre.64 Lt OGH werden demnach jene
Umstände verstanden, welche außerhalb der Ingerenz der Vertragsteile des Werkvertrags
liegen.65 Dh, jene Umstände, welche außerhalb der Einflussmöglichkeiten der Vertragsparteien
liegen.66 Schon nach allgemeinen Regeln des ABGB verliert der WU dann seinen
Entgeltanspruch, wenn das Werk durch Zufall vereitelt wird oder das Werk vor Übergabe durch
Umstände untergeht, die nicht in der Sphäre des WB liegen.67 Lt dem OGH wird unter dem Begriff
„Zufall“ alles verstanden, was nicht von einer der beiden Vertragsparteien verschuldet ist, also
alles, was trotz größtmöglicher Sorgfalt nicht abgewendet werden kann.68 Daher zählen auch
Leistungshindernisse zur neutralen Sphäre, welche die Allgemeinheit betreffen (zB Stromausfall,
geeignetes Wetter bei Herstellung des Bauwerkes etc).69 Zu den zufälligen Ereignissen zählen ua
auch die Fälle höherer Gewalt.70 Nach stRsp ist höhere Gewalt dann anzunehmen, wenn ein
„außergewöhnliches Ereignis von außen einwirkt, das nicht in einer gewissen Regelmäßigkeit
vorkommt bzw zu erwarten ist und selbst durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet
noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann“.71 Folglich kann festgehalten werden,
dass höhere Gewalt anhand von drei wesentlichen Kriterien, nämlich durch Unabwendbarkeit,
Außergewöhnlichkeit u ein von außen einwirkendes Ereignis, definiert wird. In diesem
Zusammenhang ist nun zu klären, ob die COVID-19 Pandemie unter diesen Tatbeständen
subsumiert werden kann.

Nach Karasek ist ein Ereignis unabwendbar, wenn sowohl der Eintritt als auch die daraus
resultierenden Folgen nicht verhindert werden können.72 Eine absolute Unabwendbarkeit von
Ereignissen ist idR selten gegeben, weshalb der OGH auf eine relative Unabwendbarkeit
abstellt.73 Der Begriff „unabwendbar“ wird in der österreichischen Rechtsordnung nur in § 9 des
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftungsgesetz (kurz „EKHG“) normiert. Unabwendbarkeit liegt
demnach dann vor, wenn jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt eingehalten
wurde. Es muss über die gewöhnliche Sorgfalt hinausgehende Aufmerksamkeit und Umsicht
angewendet werden.74 Dh, dass das Ereignis auch für einen besonders sorgfältigen Menschen –

63
   RIS-Justiz RS0021888
64
   Herrmann, Risikoüberwälzung 7.
65 RIS-Justiz RS0021888
66
   Hussian, in Hofstadler, Aktuelle Entwicklungen in Baubetrieb, Bauwirtschaft und Bauvertragsrecht 536.
67
   Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB4 § 1168 Rz 2.
68 RIS-Justiz RS0027344
69
   Rebhahn/Kietaibl in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1168 ABGB Rz 32.
70 Laimer/Schickmair in Resch, Coroana-HB Kap 11 Rz 24.
71
   OGH 19.12.2000, 1 Ob 93/00h
72 Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1188.
73
   OGH 16.03.1977, 1 Ob 533/77
74 Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1188; schon im römischen Recht wurde die übergroße Sorgfalt gefordert, vgl.

Hussian, Höhere Gewalt und Dispositionen am Beispiel COVID-19, bauaktuell (5/2020) 181 (181).
12. Oktober 2020                                                                                           15/68
der von vorhinein gefährliche Situationen meidet – unabwendbar ist.75 Als Sorgfaltsmaßstab ist
die Sorgfalt eines sachkundigen, erfahrenen Fachmannes iSd § 1299 ABGB heranzuziehen.76
Bereits bei geringfügiger Geschwindigkeitsübertretung kommt es gem § 9 EKGH zu keinem
Haftungsausschluss.77 Entscheidend ist demnach, dass – trotz Einhaltung der höchstmöglichen
Sorgfalt – das Ereignis mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln nicht abgewendet werden kann.78
Nach Kletečka liegt der Grund der Haftungsfreiheit darin, dass die Kalkulierbarkeit des
Haftpflichtigen gewährleistet werden soll.79 Folglich ist der Ausbruch der COVID-19 Pandemie
weder kalkulierbar, noch ist sie – trotz höchst möglicher Sorgfalt – abwendbar, weshalb die
COVID-19 Pandemie als ein unabwendbares Ereignis eingestuft werden kann.80

Außergewöhnlichkeit liegt dann vor, wenn ein Ereignis im betroffenen Betrieb nicht in einer
gewissen Regelmäßigkeit vorkommt.81 Tritt ein Ereignis, welches trotz äußerst möglicher Sorgfalt
nicht abgewendet werden kann, in einer gewissen Regelmäßigkeit auf, so liegt keine
Außergewöhnlichkeit vor u der betroffene Vertragspartner hat für diese Schäden einzustehen.82
Der Begriff Regelmäßigkeit impliziert sohin auch die Vorhersehbarkeit.83 Dies sind somit
Ereignisse, mit welchen der WU bei typischen Bauablauf rechnen muss.84 Nach dem OGH ist für
die Beurteilung der Außergewöhnlichkeit ein Betrachtungszeitraum von 30 Jahren erforderlich.85
Ein dreißigjähriges Ereignis stellt demnach die statistische Wahrscheinlichkeit dar, dass ein
Ereignis einmal in 30 Jahren in dieser oder stärkerer Intensität eintritt.86 Beispielsweise hat der
OGH das 200-jährige Hochwasser im Jahr 201387 aber auch das Jahrhunderthochwasser im Jahr
200588 als höhere Gewalt eingestuft. Ausgehend vom OGH festgelegten Betrachtungszeitraum
würde dies im Zusammenhang mit COVID-19 bedeuten, dass keine höhere Gewalt vorliegen
würde, da im Jahr 2002 der Ausbruch der Infektionskrankheit SARS erfolgte. Statistisch gesehen
tritt demnach ein derartiger Ausbruch eines Virus rund alle 18 Jahre auf. Auch die Influenza tritt in
regelmäßigen Abständen in Erscheinung, weshalb bei Ausbruch eben dieser – zumindest aus
juristischer Sicht – nicht von einer Außergewöhnlichkeit gesprochen werden kann.89 Jedoch muss

75 Rabl/Riedler, Schuldrecht besonderer Teil3 Rz 14/43.
76 Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1188.
77
   Rabl/Riedler, Schuldrecht Rz 14/43.
78 Uitz/Parsche, Coronavirus – ein Praxisleitfaden bei Unterbrechung internationaler Lieferketten, ecolex (4/2020) 273

(275).
79 Kletečka, bauaktuell (3/2020) 89.
80 So auch Hussian, bauaktuell (5/2020) 181.
81
   Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1192.;
82
   Kletečka, bauaktuell (3/2020) 89.; zB bei Planbarkeit von periodisch auftretenden Ereignissen liegt keine
Außergewöhnlichkeit vor, vgl. Silbernagl/Raschauer, Höhere Gewalt und Privatautonomie, CuRe 2020/80.
83
   Nach Hussian muss ein Ereignis unvorhersehbar und außergewöhnlich sein, damit der Fall der höheren Gewalt
vorliegt. Den nur so kann eine Abgrenzung zu allgemeinen Lebensrisiken gelingen, vgl. Hussian, bauaktuell (5/2020)
182.
84
   Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1193.
85 OGH 19.12.2000, 1 Ob 93/00h – im Zusammenhang mit einem Jahrhundertsturm.
86
   Kropik, Die Bauabwicklung unter Einfluss von außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen - Fristverlängerung und
Mehrkosten, ZVB (6/2016) 268 (270).
87
   OGH 27.5.2019, 1 Ob 66/19s.
88 OGH 10.12.2018, 7 Ob 243/08y.
89
   Vgl. Uitz/Parsche, ecolex (4/2020) 275.
12. Oktober 2020                                                                                                  16/68
mMn differenziert werden. Jeder Virus ist für sich genommen individuell, weshalb COVID-19 nicht
mit anderen Viruserkrankungen verglichen werden kann. Aus juristischer Sicht wäre zwar
denkbar, COVID-19 in einem dreißigjährigen Betrachtungszeitraum einzubetten, jedoch müsste
es sich bei zukünftigen Virusausbrüchen um eine nahezu ähnliche Infektionserkrankung handeln.
COVID-19 stellt ein neuwertiges Virus dar. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass es zum
gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Impfstoff gibt u die Auswirkungen auf die Gesundheit der
Bevölkerung noch nicht abgeschätzt werden können. Das zeigt, dass eine Vergleichbarkeit und
damit verbundene Regelmäßigkeit zu anderen Infektionskrankheiten nicht gegeben ist u sohin
eine Außergewöhnlichkeit bejaht werden kann. Das Hauptargument für eine Außergewöhnlichkeit
liegt mE in der Intensität der weltweit – im Gegensatz zu den üblichen getätigten Maßnahmen bei
Auftreten der Influenza – getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie.90

Ein von außen einwirkendes Ereignis liegt lt Karasek dann vor, wenn das Ereignis nicht in
tatsächlichem Zusammenhang mit dem Betrieb des WU steht.91 Dh, dass das Ereignis nicht aus
dem funktionalen Betriebsbereich einer Partei stammen darf.92 Dazu zählen ua Naturereignisse
(Hochwasser, Erdbeben) aber auch Handlungen unbeteiligter Dritter (Diebstahl, Terroranschläge,
staatliche Maßnahmen etc).93 COVID-19, aber auch die dadurch bedingten staatlichen
Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, kann sohin als ein von außen auf den Betrieb
einwirkendes Ereignis eingeordnet werden.94

Als Zwischenergebnis kann sohin festgehalten werden, dass es sich bei COVID-19 um einen
Fall höherer Gewalt handelt.95 Auch der OGH hat bereits den Ausbruch des SARS – Virus im
Jahr 2002 – jedoch in einem anderen Zusammenhang – als höhere Gewalt eingestuft.96 Im
Ergebnis bedeutet dies, dass die Risiken der COVID-19 Pandemie, wie Erkrankungen von
Mitarbeitern, Lieferengpässe, Gebietssperren, gesetzliche Schutzmaßnahmen zur Vermeidung
der weiteren Ausbreitung des Virus, der WU trägt.97 Der WU erhält bei Vereitelung des Werks
oder bei Verzögerung der Werkherstellung kein Entgelt bzw keine Aufstockung des Werklohns.
Der WU trägt sohin die Preisgefahr.

90 So auch Uitz/Parsche, ecolex (4/2020) 275.; so auch Kletečka, bauaktuell (3/2020) 91.
91
   Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1190.
92
   Uitz/Parsche, ecolex (4/2020) 275.
93 Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1190.; Uitz/Parsche, ecolex (4/2020) 275.
94
   Uitz/Parsche, ecolex (4/2020) 275.
95
   So auch die hA vgl. Berlakovits/Hofer, Zivilrechtliche Auswirkungen des Coronavirus auf Bauprojekte, bauaktuell
(2/2020) 66; Gallistel/Lessiak, ZVB, 175; Kletečka, bauaktuell (3/2020) 91; Uitz/Parsche, ecolex (4/2020) 275;
Hussian, bauaktuell (5/2020) 182.
96 Vgl. OGH 14.06.2005 4 Ob 103/05h
97
   Vgl. Berlakovits/Hofer, bauaktuell (2/2020) 66; Gallistel/Lessiak, ZVB, 175; Uitz/Parsche, ecolex (4/2020) 275;
Müller/Kall, Sechs Wochen COVID-19-Maßnahmen auf Baustellen – eine Zwischenbilanz, ÖVI News (2/2020) 11
(13); Graf/Brandstätter, ZaK (7/2020) 206; aA Kletečka/W.Müller, Rechtspanorama, Die Presse v 23.03.2020 14,
wonach die neutrale Sphäre zu teilen ist und die gegenseitigen vertraglichen Verpflichtungen bei höherer Gewalt iSd
§ 1104 ABGB ruhen.
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Folglich lässt dies den Trugschluss zu, dass sämtliche störenden Einflüsse aus dem neutralen
Bereich im Zusammenhang mit COVID-19 dem WU zugeordnet werden. Jedoch bedarf dies einer
genaueren Differenzierung. Nach dem OGH werden dem WB die von ihm beigestellten Stoffe
oder von ihm erteilten Anweisungen und alle sonstigen auf Seiten des WB liegenden störenden
Einflüsse zugeordnet. Dabei hat auch der WB alle zufälligen Ereignisse zu vertreten, welche sich
in seiner Sphäre ereignen. Stellt demnach der WB die für die Ausführung notwendigen Pläne bei
u kann der von WB beauftragte Architekt die Pläne aufgrund COVID-19 bedingter Umstände nicht
erstellen bzw dem WU nicht zur Verfügung stellen, so handelt es sich dabei um einen auf Seiten
des WB liegenden Umstand, welcher der Sphäre des WB zugeordnet wird. Das gleiche Bild
zeichnet sich, wenn die vertragliche Verpflichtung des WU von einer Vorleistung der vom WB
beauftragten Dritten abhängt. Kann die Vorleistung der vom WB beauftragten Dritten aufgrund
COVID-19 bedingter Umstände nicht durchgeführt werden u wird folglich die Herstellung des
Werkes verzögert, so handelt es sich auch hier um einen auf Seiten des WB liegenden Umstand.98
In beiden Fällen hat der WU einen Anspruch auf zusätzlichen Werklohn. Der WB trägt demnach
die Preisgefahr.

b) Risikoverteilung in der ÖNORM B 2110

Die ÖNORM B 2110 als allgemeine Vertragsbestimmungen für die Durchführung von
Bauleistungen muss zw den Vertragsparteien vereinbart werden, damit diese Anwendung findet.
Vor allem bei öffentlichen Bauvorhaben ist es gängige Praxis, dass die ÖNORM B 2110 zw den
Vertragsparteien vereinbart wird.

Auch die ÖNORM B 2110 geht von der Grundregel aus, dass der WU nur dann Anspruch auf ein
Entgelt hat, wenn er den geschuldeten Erfolg erfüllt hat. Dies ergibt sich aus Pkt 12.1.1 Z1 der
ÖNORM B 2110. Demnach trägt der WU bis zur Übernahme die Gefahr seiner Leistungen –
insbesondere die Zerstörung, Beschädigung oder Diebstahl seiner Leistungen.99 Umfasst sind
demnach auch die Zerstörung, Beschädigung und Diebstahl der von WB vertragsgemäß
beigestellten Stoffe. Der WU trägt die Leistungs- und Preisgefahr.100 Das Risiko des zufälligen
Untergangs des Werkes wird jedoch unter Pkt 12.1.1 Z 2 der ÖNORM B 2110 zu Gunsten des
WU eingeschränkt. Demnach trägt der WB das Risiko der Bauleistungen, wenn dieses durch ein
unabwendbares Ereignis zerstört oder beschädigt wird und der WU alle zur Abwehr der Folgen
derartiger Ereignisse notwendigen u zumutbaren Maßnahmen getroffen hat.101

98 Vgl. Graf/Brandstätter, ZaK (7/2020) 206.
99
   Pkt. 12.1.1 Z1 der ÖNORM B 2110 lautet: Bis zur Übernahme trägt der AN in der Regel die Gefahr für seine
Leistungen. Hierunter fallen insbesondere Zerstörung (Untergang), Beschädigung oder Diebstahl. Dies gilt auch für
beigestellte Materialien, Bauteile oder sonstige Gegenstände, die der AN vertragsgemäß vom AG oder von anderen
AN übernommen hat.
100
    Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 2038.
101 Pkt. 12.1.1 Z2 der ÖNORM B2110 lautet: Werden jedoch die Bauleistungen oder Teile hiervon oder vom AG dem

AN übergebene Materialien, Bauteile oder sonstige für das Bauwerk bestimmte Gegenstände durch ein
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Wilhelm102 stellt klar, dass die Begriffe unabwendbar u zumutbar einer Auslegung bedürfen.
Unabwendbarkeit liegt vor, wenn das Ereignis trotz äußerst möglicher Sorgfalt iSd § 9 EKHG
seitens des WU nicht abgewendet werden kann. Demnach steht die Unabwendbarkeit des
Ereignisses im Gegensatz zu dem Begriff zumutbar, da dieser die verkehrsübliche, gewöhnliche
Sorgfalt voraussetzt.103 Das würde bedeuten, dass der WU bei Vorliegen eines unabwendbaren
Ereignisses von seiner Haftung befreit wird, wenn er für die Abwehr der Folgen bloß die
gewöhnliche Sorgfalt angewendet hat.104 Dies würde keinen Sinn ergeben, weshalb Wilhelm von
einem Redaktionsversehen ausgeht.105 Demnach ist mit der Formulierung „zumutbare
Maßnahmen“ die äußerst möglichen Maßnahmen zu verstehen.106 Können die Folgen eines
unabwendbaren Ereignisses nicht durch die äußerst mögliche Sorgfalt abgewendet werden, so
behält der WU bei Beschädigung oder Zerstörung des Werkes seinen Entgeltanspruch.107 Der WB
trägt sohin die Preisgefahr. Ist die Wiederherstellung der Leistung möglich, so trägt der WU die
Leistungsgefahr.108 Dh, der WU muss die Leistung – gegen Vergütung der für die
Wiederherstellung notwendigen Leistungen – nochmals erbringen.109 Ist hingegen die
Wiederherstellung nicht möglich, so trägt der WB die Preis- und Leistungsgefahr.110

Unterbleibt die Ausführung der Leistung aufgrund von Umständen auf Seiten des WB, so kommt
§ 1168 (1) S1 ABGB zur Anwendung.111 Der WU behält seinen Anspruch auf Entgelt. Darüber
hinaus sieht die ÖNORM B 2110 unter Pkt 7.4.5 einen Entgeltanspruch des WU vor, wenn die
Leistung gemindert wird oder Teile der Leistungen entfallen. Man spricht in diesem
Zusammenhang von der sog Nachteilsabgeltung. Wird demnach die Auftragssumme um mehr als
5 % unterschritten, so muss der WB dem WU diesen Nachteil – sofern dieser nicht durch neue
Einheitspreise oder durch andere Entgelte abgedeckt ist – abgelten.112 Der WB trägt die
Preisgefahr.

Wird die Herstellung des Werkes aufgrund von Umständen auf Seiten des WB verzögert, so
spricht die ÖNORM B 2110 in Pkt 3.7.2 von der sog Störung der Leistungserbringung. Eine
Störung der Leistungserbringung liegt demnach vor, wenn die Ursache nicht aus der Sphäre des

unabwendbares Ereignis beschädigt oder zerstört und hat der AN alle zur Abwehr der Folgen solcher Ereignisse
notwendigen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, trägt der AG die Gefahr.
102
    Wilhelm, Beschädigung des Bauwerks vor Übernahme – Leistungsgefahr und Solidarhaftung mehrerer
Auftragnehmer nach der ÖNORM B 2110, ecolex (9/2000), 634.
103
    Wilhelm, ecolex (9/2000), 634.
104
    Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 2039.
105 Wilhelm, ecolex (9/2000), 634.
106
    Wilhelm, ecolex (9/2000), 634; zust Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 2039.
107 Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 2039.
108
    Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 2039.
109 Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 2039.
110
    Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 2039.
111 OGH 21.10.2008,1Ob200/08f; Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1533, Wenusch, ÖNORM B 21102 Pkt 7 Rz 216.
112
    Wenusch, Gefahrtragung beim Werkvertrag nach der ÖNORM B 2110, ZRB (3/2013) 115 (127).
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WU resultiert und keine Leistungsänderung113 ist. Demonstrativ werden in der ÖNORM B 2110
Pkt      3.7.2     vom   Leistungsumfang114       abweichende        Bodenverhältnisse,        Vorleistungen,
Behinderungen, welche der Sphäre des WB zugeordnet werden, angeführt. Die ÖNORM B 2110
konkretisiert zwar unter Pkt 7 die gesetzliche Regelung bei Verzögerung, welche durch Umstände
auf Seiten des WB verursacht wurden.115 Jedoch stellt auch im Anwendungsbereich der ÖNORM
B 2110 § 1168 (1) S2 ABGB bei Verzögerung die maßgebliche Anspruchsgrundlage dar.116 Der
WB trägt demnach die Preisgefahr.

Im Gegensatz zu den gesetzlichen Bestimmungen versucht die ÖNORM B 2110 unter Pkt 7.2.1
bzw Pkt 7.2.2 die Sphärentheorie näher zu konkretisieren. Gem Pkt 7.2.1 werden alle vom WB
zur Verfügung gestellten Unterlagen (zB Ausschreibungs-, Ausführungsunterlagen), verzögerte
Auftragserteilung, Stoffe (zB Baugrund, Materialien, Vorleistungen) und Anordnungen (zB
Leistungsänderungen) der Sphäre des WB zugeordnet.

Darüber hinaus werden Ereignisse dem WB zugeordnet, wenn diese
      1) „die vertragsgemäße Ausführung der Leistungen objektiv unmöglich machen, oder
      2) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom AN nicht in
             zumutbarer Weise abwendbar sind“.117
      „Ist    im   Vertrag   keine   Definition    der    Vorhersehbarkeit       von     außergewöhnlichen
      Witterungsverhältnissen oder Naturereignissen festgelegt, gilt das 10-jährliche Ereignis als
      vereinbart“.118

Beide Ziffern betreffen Ereignisse aus der neutralen Sphäre.119 Nach Z 1 trägt der WB das Risiko,
wenn die vertragsgemäße Ausführung der Leistungen objektiv unmöglich wird. Dass die
störenden Umstände aus der Sphäre des WB stammen oder dem WB ein Verschulden trifft, ist
dabei nicht Voraussetzung.120 Dazu später in Kapitel B.2.

Nach Z 2 werden Ereignisse dem WB zugeordnet, wenn diese bei Vertragsabschluss weder
vorhersehbar waren noch vom WU in zumutbarer Weise abwendbar sind. Vorhersehbarkeit liegt

113
    Gem Pkt 3.7.1 handelt es sich bei Leistungsänderungen um Leistungsabweichungen, welche vom Auftraggeber
angeordnet werden.
114 Die ÖNORM B 2110 verwendet den Begriff Leistungsumfang (oder Bau-Soll) als Synonym für den geschuldeten

Erfolg. Gemäß Pkt 3.8 wird unter dem Begriff Leistungsumfang alle Leistungen des WU, welche durch den Vertrag
(zB bestehend aus Leistungsverzeichnis, Plänen, Baubeschreibung etc) und den daraus abzuleitenden, objektiv zu
erwartenden Umständen der Leistungserbringung festgelegt werden, verstanden.
115
    Müller, Die Mehrkostenforderung – Nachweisführung, konkret oder global? in Hofstadler/Heck, 10. Grazer
Baubetriebs- & Baurechtsseminar (2018) 100.
116
    Müller, in Hofstadler/Heck, 10. Grazer Baubetriebs- & Baurechtsseminar 100.; Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1293.
117 Siehe Pkt 7.2.1 ÖNORM B 2110.
118
    Siehe Pkt 7.2.1 ÖNORM B 2110.
119 Kletečka, bauaktuell (3/2020) 91.
120
    Kletečka, bauaktuell (3/2020), 91.
12. Oktober 2020                                                                                           20/68
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