Der Erlass der Schenkungsanrechnung im System des neuen Pflichtteilsrechts
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Eingereicht von Felix Bodingbauer Angefertigt am Institut für Zivilrecht Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. Dr. Christian Der Erlass der Holzner Schenkungsanrechnung Oktober 2017 im System des neuen Pflichtteilsrechts Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at DVR 0093696
Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Linz, Oktober 2017 .................................................... Felix Bodingbauer 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 2/60
Abkürzungsverzeichnis aA anderer Ansicht ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Abs Absatz aF alte Fassung AnwBl Anwaltsblatt Blg Beilagen bzw beziehungsweise dh das heißt E Entscheidung EF-Z Zeitschrift für Familien- und Erbrecht ErbRÄG 2015 Erbrechts-Änderungsgesetz 2015 ErläutRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage f folgende ff fortfolgende FN Fußnote FS Festschrift gem gemäß GP Gesetzgebungsperiode hA herrschende Ansicht hM herrschende Meinung hL herrschende Lehre Hrsg Herausgeber idF in der Fassung idR in der Regel iSd im Sinne der/des JBl Juristische Blätter JEV Journal für Erbrecht und Vermögensnachfolge krit kritisch L Lehre MEntw Ministerialentwurf Mrd Milliarde(n) nF neue Fassung Nr Nummer NZ Österreichische Notariats-Zeitung OGH Oberster Gerichtshof 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 3/60
ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung PSR Die Privatstiftung RV Regierungsvorlage Rz Randziffer S Satz sog sogenannten SZ Sammlungszahl ua unter anderem uU unter Umständen va vor allem vgl vergleiche Das stellenweise den §§ des ABGB nachgestellte Kürzel nF nimmt auf die Rechtslage nach dem 01.01.2017, das Kürzel aF auf jene Rechtslage bis zum 31.12.2016 Bezug. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 4/60
Inhaltsverzeichnis Eidesstattliche Erklärung ........................................................................................................... 2 Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................................. 3 I. Einleitung .............................................................................................................................. 7 II. Charakter des Pflichtteilsrechts ......................................................................................... 9 III. Anrechnung im Pflichtteilsrecht ....................................................................................... 10 IV. Bewertung der Schenkung ................................................................................................ 11 1. Kritik an alter Rechtslage ..................................................................................................... 11 a) Bewegliche Sachen .............................................................................................................. 13 b) Unbewegliche Sachen ......................................................................................................... 14 c) Fazit über Stand der Lehre und Judikatur zu § 794 ABGB aF ............................................. 15 2. Die neue Bewertungsvorschrift des § 788 ABGB ................................................................ 15 a) Vermögensopfertheorie ........................................................................................................ 16 3. Kritik an der neuen Rechtslage ............................................................................................ 19 V. Anrechnungserlass – § 785 ABGB nF .............................................................................. 22 A. Bisherige Differenzierung zwischen Schenkung und Vorschuss ......................................... 22 B. Rechenmethode ................................................................................................................... 23 C. Arten des Erlasses ............................................................................................................... 23 1. Aufhebung der Vereinbarung des Erlasses der Anrechnung durch letztwillige Verfügung .. 24 D. Wirkung des Erlasses .......................................................................................................... 26 E. Form des Erlasses ............................................................................................................... 29 1. Unterschiedliche Formstrenge ............................................................................................. 29 2. Exkurs: Anrechnungsvereinbarungen beim Erbteil .............................................................. 30 3. Vergleich der Anrechnungsvereinbarungen auf den Erbteil mit jenen auf den Pflichtteil ..... 32 4. Lückenschließung durch analoge Anwendung des § 753 ABGB ......................................... 33 VI. Haftung des Geschenknehmers ....................................................................................... 37 A. Verteilung der Haftung ......................................................................................................... 38 1. Schenkungsanrechnung ohne Erlass der Anrechnung (Problem: unzureichender Nachlass) ............................................................................................................................. 38 2. Schenkungsanrechnung unter Erlass der Anrechnung (Probleme: unzureichender Nachlass; Insolvenz eines begünstigten Pflichtteilsberechtigten) ........................................ 39 3. „Methode der sukzessiven Gleichstellung“ .......................................................................... 40 4. Differenzierende Betrachtung Koglers ................................................................................. 42 B. Ausfallshaftung ..................................................................................................................... 43 C. Haftungsbegrenzung des pflichtteilsberechtigten Geschenknehmers ................................. 45 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 5/60
1. Haftung des anrechnungsbefreiten Pflichtteilsberechtigten im Falle mangelnder Pflichtteilsdeckung – eigener Lösungsversuch .................................................................... 46 2. Berechnungszeitpunkt des hypothetischen Pflichtteils ........................................................ 48 D. Haftung des Geschenknehmers bei überschuldeter Verlassenschaft? ............................... 52 VII. Fazit ..................................................................................................................................... 54 VIII. Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 56 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 6/60
I. Einleitung Das Erbrecht ist wohl jener Bereich im Zivilrecht, der die mitunter größte finanzielle Auswirkung auf den einzelnen Rechtsunterworfenen hat. So wird Schätzungen zufolge der jährliche Vermögenstransfer über Erbschaften in Österreich im Jahr 2020 bereits bei EUR 20 Mrd liegen.1 Wiewohl natürlich nicht alleine die finanzielle Brisanz einer rechtlichen Materie ihre Relevanz für die Bevölkerung ausmacht, steht außer Frage, dass jeder als Erbe und/oder als Verstorbener2 – sterben muss ja bekanntlich jeder – mit dem Erbrecht in Berührung kommt. Rund ein Fünftel des Normenbestandes des ABGB befasst sich mit dem Erbrecht, weshalb das ErbRÄG 2015 eine Teilkodifikation darstellt, die die größte Reform im Kernbereich des Zivilrechts, seit Einführung des in seiner Urfassung aus dem Jahre 1811 stammenden Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, bedeutet.3 Auch im neuen Erbrecht hat sich der Gesetzgeber für die Beibehaltung des seit jeher diskutierten Pflichtteilsrechts4 entschieden, was bedeutet, dass das Gesetz auch weiterhin am Gedanken festhält, dass bestimmten nahen Angehörigen ein Mindestanteil am Vermögen des Verstorbenen zuteil werden soll.5 Das ErbRÄG 2015 hat hingegen die Anrechnung auf den Pflichtteil gravierend geändert, wobei diesbezüglich die wohl wichtigste Änderung die „Vereinheitlichung“ des Schenkungsbegriffes – die Schenkung wird nun als Vorschuss behandelt – ist, wodurch diese nun vom gesamten Pflichtteil und nicht wie bisher nur vom sog Schenkungspflichtteil abzuziehen ist. Neu geschaffen wurde auch die Bestimmung des § 785 ABGB, wonach es dem Verstorbenen als Schenker möglich ist, dem Geschenknehmer als Pflichtteilsberechtigten die Anrechnung der Schenkung zu erlassen. Nunmehr verläuft also die Zäsur nicht mehr wie bisher zwischen Vorempfängen und Vorschüssen auf der einen und Schenkungen auf der anderen Seite, sondern zwischen der Schenkung einerseits und der Schenkung unter Erlass der Anrechnung andererseits.6 Damit einher gehen aber auch (weiterhin) schwierige Fragestellungen. Schon immer hat etwa die Frage nach der Bewertung der Schenkung – Stichwort Vermögensopfertheorie – heftige 1 Humer, Aufkommen von Erbschaftssteuern 151. 2 In den Bestimmungen des ABGB idF ErbRÄG 2015 wurde der Begriff des Erblassers durch den Begriff des Verstorbenen oder des letztwillig Verfügenden ersetzt. 3 Rabl in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht 2. 4 Für eine Abschaffung Schauer, NZ 2001, 70 ff; Rabl, NZ 2014, 217 ff; dagegen Zöchling-Jud in Fischer-Czermak/Hopf/Kathrein/Schauer, ABGB 2011, 243 ff; Zöchling-Jud, ÖJZ 2008, 551 f; Welser, 17. ÖJT II/1, 95 ff. 5 6 Eccher, Erbrecht Rz 11/1. 6 Kletečka in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht 90. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 7/60
Diskussionen in Lehre und Rsp ausgelöst. Die nun geänderte Rechtslage lädt ein, diesen Diskurs fortzuführen. In weiterer Folge tun sich aber auch komplexe haftungsrechtliche Problemstellungen auf, wobei auch hier der bereits erwähnte Erlass der Anrechnung zahlreiche Fragenkomplexe eröffnet. Nicht zuletzt ist gerade das Erbrecht – ob seiner doch in sehr sensible Lebensbereiche vorstoßenden Natur – ein Rechtsgebiet, das etliche Formvorschriften anordnet, die ein zwischen den verschiedenen Interessen austarierendes Reglement schaffen. Auch hier scheinen sich wieder im Umfeld des neuen § 785 ABGB einige noch ungelöste Fragen zu ergeben. Ziel dieser Arbeit ist es, alte wie neue – sich durch das ErbRÄG 2015 (mitunter erstmals) stellende – Problematiken hinsichtlich der Schenkung im Erbrecht, deren Bewertung und Anrechnung, insbesondere den Erlass derselben und als logische Konsequenz daraus die dabei unter Umständen auftretende Haftung im Falle der Pflichtteilsverkürzung zu behandeln. Dabei wird es notwendig sein, Literatur und Judikatur zum alten Erbrecht heranzuziehen; vor allem sollen aber der Meinungsstand hinsichtlich der neuen Bestimmungen des ErbRÄG 2015 dargestellt und Lösungen für möglicherweise noch nicht geklärte Fragen vorgeschlagen werden. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 8/60
II. Charakter des Pflichtteilsrechts § 756 ABGB klassifiziert den Pflichtteil als „Anteil des Vermögens des Verstorbenen, der dem Pflichtteilsberechtigten zukommen soll“. Pflichtteilsberechtigt sind nach § 758 ABGB die Nachkommen und der Ehegatte oder eingetragene Partner des Verstorbenen. Entfallen ist sohin das Pflichtteilsrecht der Aszendenten. Die Höhe des Pflichtteils legt § 759 ABGB mit der Hälfte der nach der gesetzlichen Erbfolge zustehenden Quote fest. Seinem rechtlichen Charakter nach ist das Pflichtteilsrecht eine Rechtsposition, die auf dem objektiven Recht gegründet und dem Grunde und der Höhe nach davon unabhängig ist, ob der Berechtigte den Vermögenswert benötigt oder (aus moralischer Sicht) verdient hat, wenn man die Erbunwürdigkeitsgründe der §§ 772 ff ABGB und die Gründe für eine Pflichtteilsminderung (§ 776 ABGB) ausklammert.7 Das Pflichtteilsrecht stellt daher einen Eingriff in die materielle Testierfähigkeit des Verstorbenen dar und richtet sich somit gegen jene, die eine andere Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit haben als der Gesetzgeber.8 Bedauerlicherweise schweigt der Gesetzgeber über die ratio des nun reformierten Pflichtteils- und insbesondere auch des Anrechnungsrechts.9 Zwar wird in den Materialien10 hinsichtlich des weggefallenen Pflichtteilsrechts der Aszendenten vertreten, dass diese im Verlaufe ihres Lebens das Vermögen großteils selbst erwirtschaften würden und idR wohlhabender als die Kinder seien, sodass diese ob ihres im Regelfall späteren Todes keine Starthilfe mehr benötigten. ME ist aber der Begriff der „Starthilfe“ aus heutiger Sicht ganz generell verfehlt, wenn man beachtet, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung seit Beginn des 19. Jahrhunderts mehr als deutlich verdoppelt hat und nun – je nach Geschlecht – bei in etwa 80 Jahren liegt.11 Statistische Ausreißer außen vorgelassen, wird der durchschnittliche pflichtteilsberechtigte Nachkomme also ein Alter zwischen 50 und 60 Jahren aufweisen, sich also in der Mitte oder am Ende seiner wirtschaftlichen Schaffenskraft befinden, sicherlich aber nicht am Start. Insgesamt ist nach Rabl die Beantwortung diffiziler Detailfragen im Bereich des Pflichtteils- und Anrechnungsrechts durch die bloße Beibehaltung dieses Rechtsinstituts an sich sowie dessen tiefgreifende Reform deutlich erschwert worden.12 7 Rabl, NZ 2015, 322. 8 Rabl, NZ 2015, 323. 9 Zöchling-Jud in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht 72. 10 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 24. 11 Vgl Lebenserwartung laut Sterbetafeln 1868/71 bis 2000/02 (https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/sterbetafeln/index.html) Stand: 08.08.2017 12 Rabl, NZ 2015, 335. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 9/60
III. Anrechnung im Pflichtteilsrecht Grob gesagt stellen sich im Pflichtteilsrecht zwei besondere Fragen. Einerseits ist dies die meist weitgehend unproblematische Berechnung des Pflichtteils, andererseits, wie sich die Höhe des Pflichtteils durch lebzeitige Zuwendungen des Verstorbenen ändern kann, was gemeinhin das Anrechnungsrecht regelt. Hier stehen sich der Pflichtteilsberechtigte mit seinem Interesse, vom Vermögen des Erblassers etwas bzw möglichst viel zu erhalten, und der Verstorbene, mit dem Interesse, frei über sein Eigentum zu verfügen, gegenüber.13 Durch das ErbRÄG 2015 wurde im Anrechnungsrecht eine bisher gesetzlich nicht genau 14 geregelte, jedoch vom OGH in JB 114 entwickelte Rechenmethode gesetzlich positiviert , der sich auch die hL15 angeschlossen hat, und somit der Vorschlag Umlaufts16 umgesetzt, die Anrechnung von der Hinzurechnung zu unterscheiden. Die nunmehr in § 787 ABGB normierte Rechenmethode sieht vor, dass zunächst die zu berücksichtigenden Zuwendungen der Verlassenschaft rechnerisch hinzugeschlagen werden und hievon die Werte der Pflichtteile zu ermitteln sind. Sodann ist vom nun vergrößerten Pflichtteil des Geschenknehmers seine eigene – im zweipersonalen Verhältnis zum Verstorbenen – anzurechnende Zuwendung in Abzug zu bringen, was die eigentliche Anrechnung darstellt. Diese Anrechnung bezieht sich nun aber als wesentliche Änderung des ErbRÄG 2015 auf den ganzen Pflichtteil, also auf den von der gesamten Verlassenschaft berechneten Teil, und nicht mehr bloß auf den vormaligen sog Schenkungspflichtteil.17 13 Vgl Rabl, NZ 2015, 335. 14 OGH 5.2.1884 GlU 9872. 15 4 4 Vgl Welser in Rummel/Lukas §§ 788, 789 Rz 5; Eccher in Schwimann/Kodek, ABGB III §§ 788, 789 Rz 9; Likar- Peer in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht, 410. 16 Umlauft in Österreichischer Juristentag, 17. ÖJT II/2, 132 ff. 17 Eccher, Erbrechtsreform 186. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 10/60
IV. Bewertung der Schenkung Schon der Begriff „Schenkungsanrechnung“ legt nahe, dass nicht nur die Fragen rund um die Anrechnung per se von Interesse sind, wie beispielsweise die Vereinbarung einer Anrechnung, die dabei einzuhaltende Form oder die Aktivlegitimation hinsichtlich des Anrechnungsbegehrens, sondern auch dem Schenkungsbegriff selbst immense Bedeutung zukommt. So stellt sich einerseits die Frage, was überhaupt unter einer Schenkung zu verstehen ist, insbesondere kommt es aber nach gelungener Qualifizierung als Schenkung vor allem auf die Bewertung derselben an. Der in einen Geldbetrag umgerechnete Wert der Schenkung wird – wie bereits erwähnt – der Verlassenschaft hinzugeschlagen. Ausgehend vom sich daraus ergebenden Wert werden im Anschluss die Pflichtteile ermittelt. Daraus lässt sich schließen, dass die Bewertung der Zuwendung das Ausmaß der Pflichtteilserhöhung entscheidend beeinflusst. Zutreffend stellt Schauer daher fest, dass die Regeln über die Bewertung der Schenkung in einem evidenten Ausmaß die praktische Effektivität der Anrechnung als Instrument zum Schutz des Pflichtteils bestimmen.18 Beachtet werden muss, dass die Bewertung der Zuwendungen konsequenterweise auch auf die Haftung des Geschenknehmers sowie eine etwaige Haftungsfreistellung ausstrahlt. 1. Kritik an alter Rechtslage § 794 ABGB aF stellte bei der Bewertung hinsichtlich beweglicher Sachen auf den Zeitpunkt des Erbanfalles, bei unbeweglichen Sachen auf den Zeitpunkt des Empfanges ab. Diese Vorschrift, aus dem Urbestand des ABGB aus 1811 stammend, wurde als verfehlt und unzureichend angesehen, da sie davon auszugehen schien, dass Wertverluste durch ordentlichen Gebrauch nur bei beweglichen Sachen möglich sind, sie wollte diese aber dem Anrechnungspflichtigen nicht zur Last legen. Diese Differenzierung – der Gesetzgeber schien 1811 davon auszugehen, dass es bei Liegenschaften keine Wertveränderung gibt19 – ist heute nicht mehr zeitgemäß, außerdem ließ diese Norm viele Fragen unbeantwortet. So gab § 794 ABGB aF keine Antwort darauf, wie Wertsteigerungen zu behandeln sind oder wie mit der Zuordnung außerordentlicher Wertverluste oder -steigerungen umzugehen ist, abhängig davon, in welcher Sphäre sich diese ereignen. Ebenso blieb fraglich, was im Falle des Verlustes oder Unterganges der Sache zu passieren hatte.20 18 Schauer, NZ 1998, 23. 19 Vgl Nippel, Erläuterung V 151 f. 20 5 Eccher, Erbrecht Rz 7/29. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 11/60
Zutreffend stellt ua Umlauft fest, dass auch der Liegenschaftswert uU höchst volatil sein kann, so etwa infolge einer sich ändernden Nachfrage oder einer Umwidmung des Grundstückes. Entsprechendes gilt für ein Gebäude, dessen Wert durch Abnützung erheblich abnehmen kann.21 Wenngleich die gesetzgeberische Annahme einer höheren Wertbeständigkeit von unbeweglichen Sachen bei Liegenschaften noch weitgehend gestimmt haben dürfte, so war sie mE aber gerade für unbewegliche Sachen wie Häuser bereits zur Zeit des Normerlasses im Jahr 1811 nicht haltbar. Auch erlag der Gesetzgeber mit seiner Annahme einer Geldwertstabilität aus heutiger Sicht einem gewaltigen Irrtum, kann doch von einer solchen Stabilität im Hinblick auf die dem Ersten Weltkrieg folgende Weltwirtschaftskrise oder die erst 2007 einsetzende Finanzkrise keine Rede sein.22 Veranschaulicht sei diese zu Recht kritisierte Differenzierung anhand folgenden Beispiels, das aber die Problematik der unterschiedlichen Bewertungszeiptunkte isoliert veranschaulichen soll, weshalb hier außer Betracht bleibt, dass nach alter Rechtslage bloß auf den Schenkungspflichtteil anzurechnen war: Bsp 1: Man stelle sich einen Vater vor, der einen Sohn A und eine Tochter B hat. 10 Jahre vor seinem Tod wendet er A einen neuen PKW im Wert von EUR 50.000 zu, B erhält eine Liegenschaft im Wert von ebenso EUR 50.000. Bei beiden Zuwendungen handelt es sich – nach altem wie neuem Recht – um anrechnungspflichtige Zuwendungen. Als der Vater stirbt – testamentarische Alleinerbin ist eine Freundin des Verstorbenen –, befinden sich im Nachlass EUR 100.000, das Auto ist nur mehr EUR 5.000 wert, der Wert der Liegenschaft hat sich auf EUR 55.000 erhöht. Bewertet man bei Berechnung der Pflichtteile – dem Wortlaut des § 794 ABGB aF streng folgend – nun das Auto als bewegliche Sache zum Erbanfallszeitpunkt, die Liegenschaft jedoch im Empfangszeitpunkt, ergibt sich eine Berechnungsgrundlage von EUR 160.000. Die Pflichtteilsquote jedes Kindes beträgt 1/4, wodurch sich ein Pflichtteil iHv EUR 40.000 je Kind ergibt. Darauf müsste sich der Sohn aber nun lediglich EUR 5.000 anrechnen lassen, die Tochter hingegen würde nichts mehr bekommen. Im Hinblick auf den Ausgleichsgedanken war dieses Ergebnis schier unverständlich, wobei dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden konnte, dies gewollt zu haben.23 Da sich, wie bereits ausgeführt, die historischen Annahmen des Gesetzgebers aus späterer Perspektive schlichtweg 21 Umlauft, Anrechnung 244. 22 Vgl Umlauft, Anrechnung 245. 23 Umlauft, Anrechnung 247. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 12/60
als falsch erwiesen hatten, nahm die Praxis eine Korrektur des § 794 ABGB aF vor.24 Den kompletten Meinungsstand der Lehre sowie die dazu vorhandene Judikatur flächendeckend abzubilden, scheint ob der überbordenden Meinungsvielfalt und der wandelnden Judikatur nahezu unmöglich. Es kann aber hier auch dahingestellt bleiben, ist doch Kern dieser Arbeit die Schenkungsanrechnung nach dem ErbRÄG 2015. Dennoch soll hier überblicksartig und exemplarisch dargestellt werden, wie Judikatur und Lehre auf die „missglückte“ Bestimmung reagiert haben, dies auch, um die grundlegend abgeänderte Nachfolgeregelung in § 788 ABGB nF sowie deren Motivation besser verstehen zu können: a) Bewegliche Sachen Grundsätzlich gab es hinsichtlich beweglicher Sachen – mit einigen Abwandlungen – zwei Meinungen. Welser orientierte sich sehr stark am Gesetzeswortlaut, indem er vertrat, dass bewegliche Sachen nach ihrem Zustand beim Erbanfall zu bewerten sind, wobei der typisch eintretende Wertverlust durch Abnützung dem Anrechnungsverpflichteten zugute kommen solle.25 Die überwiegende Ansicht vertrat hingegen, dass die Sache im Zustand ihres Empfanges, jedoch nach dem Wert im Zeitpunkt des Erbanfalles zu bewerten ist.26 Dies lief aber nach Schauer dem Ziel des Gesetzgebers zuwider, wonach die durch den Gebrauch eintretende Wertminderung zugunsten des Anrechnungsverpflichteten ausfallen solle.27 Deshalb machte Kralik – im Wesentlichen die Grundgedanken der hA übernehmend – die Einschränkung, dass eine durch normale Abnutzung entstehende Wertminderung zu ermitteln und vom Sachwert in Abzug zu bringen ist. Hiebei könne es aber nicht auf den Zustand der Sache im Zuteilungszeitpunkt ankommen, da ansonsten ein Pflichtteilsberechtigter, der die Sache gut behandelt, benachteiligt würde. Aus diesem Grund sei die Abnützung also abstrakt zu berechnen.28 Vergleicht man diese beiden Meinungen, kommt man zu dem Schluss, dass diese übereinstimmen, wenn sich der Wert der Sache bei gleichbleibendem Zustand ändert.29 Umlauft 24 Grundsätzliches zur richterlichen Rechtsfortbildung und zur Auslegung contra legem F. Bydlinski, JBl 1971, 617; aA Rabl, NZ 1999, 294 ff, der entgegen der hA die Bewertung grundsätzlich nach dem Wortlaut des § 794 ABGB aF vornehmen will und bloß eine inflationsbedingte Geldentwertung in Anschlag bringt. 25 4 Welser in Rummel/Lukas § 794 Rz 3; JBl 1992, 709. 26 2 Vgl Ehrenzweig, Familien- und Erbrecht , 517, der § 794 ABGB aF dahingehend interpretiert, dass er das Wort 2 "Wert" im Wege einer einschränkenden Auslegung durch „Zustand“ ersetzt; ebenso auch Weiß in Klang III 952, der 2 diese Bewertung aus der Notwendigkeit der Gleichheit der Wertmesser schließt; Gschnitzer/Faistenberger, Erbrecht 84; Scheffknecht, NZ 1968, 129 ff, der für die Anrechnung der Schenkung beweglicher und unbeweglicher Sachen die Bewertung nach dem Zustand der Sache im Zeitpunkt des Empfanges, aber mit dem wahren Wert im Zeitpunkt der Zuteilung annimmt; Ertl, Inflation 212 f, Sperl, vgl auch FS Reimer 91 ff, der die "physische Beschaffenheit" der Sache im Zeitpunkt des Empfanges, aber ihren Wert beim Erbanfall heranzieht. 27 Schauer, NZ 1998, 23 ff. 28 Kralik, Erbrecht 299. 29 Schauer, NZ 1998, 23 ff. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 13/60
differenzierte bei Wertveränderungen, die zwischen Zuwendungs- und Erbanfallszeitpunkt auftreten, einerseits zwischen einem sich ändernden Wertmesser (Geld) und andererseits wertverändernden Umständen, die die Sache selbst betreffen, wo es sich also um den physischen oder rechtlichen Zustand der Sache handelt.30 Unterschiede zwischen der Meinung Welsers und der hA ergeben sich aber, wenn die Wertveränderung aus einer Änderung des physischen oder rechtlichen Zustandes der Sache resultiert. Dies zeigt ein von Ehrenzweig stammendes Beispiel:31 Bsp 2: Wurde dem Zuwendungsempfänger ein Kalb geschenkt, das sich mittlerweile zur Kuh entwickelt hat, wäre nach der hA der heutige Wert eines Kalbes anzusetzen, wohingegen nach Welser der Wert der Kuh in Anschlag zu bringen wäre.32 b) Unbewegliche Sachen Wie bereits erwähnt, wurde auch die (nicht mehr zeitgemäß erscheinende33) Regelung, unbewegliche Sachen wie etwa Liegenschaften auf den Empfangszeitpunkt zu bewerten, als unzureichend gewertet, weshalb Lehre und Rechtsprechung versuchten, diese beginnend vom Empfangstag an aufzuwerten, dies freilich auf unterschiedlichen Ansatzpunkten basierend. Einige Entscheidungen sprachen davon, dass eine Geldentwertung iSd Gleichstellung unter den pflichtteilsberechtigten Kindern zu berücksichtigen sei.34 Andere Entscheidungen stellten im Rahmen der Bewertung auch auf im Zeitpunkt der Zuwendung unbekannte Gewinn- oder Realisierungs- bzw Verwertungschancen ab.35 Diese wären etwa denkbar, wenn im Nachhinein Bodenschätze gefunden werden, sich das Grundstück also beispielsweise als Erdölfeld herausstellt, vorstellbar ist aber auch schlicht eine erhöhte Nachfrage. Dadurch löste man sich schließlich von einer rein geldwertorientierten Wertanpassung.36 Aus diesen Überlegungen heraus entwickelten sich in der Rsp Tendenzen – denen weitgehend auch die Lehre folgte –, nicht etwa anhand eines Inflationsindexes, insbesondere des Verbraucherpreisindexes, zu valorisieren, sondern den Wert der Liegenschaft ausgehend von ihrem damaligen Zustand zu ermitteln.37 Dass hingegen Wertsteigerungen bewirkende 30 Umlauft, Anrechnung 243. 31 2 Ehrenzweig, Familien- und Erbrecht 517. 32 Vgl Schauer, NZ 1998, 23 ff. 33 Siehe IV. 1. 34 2 OGH 01.07.1976, 7 Ob 596/76; OGH 12.07.1984, 6 Ob 13/84; Weiß in Klang III 952; Gschnitzer/Faistenberger, 2 Erbrecht , 83; vgl hingegen Kralik, Erbrecht 299, FN 21. 35 Kralik, Erbrecht 299. 36 Schauer, NZ 1998, 23. 37 2 OGH 12.1.1984, 6 Ob 805/82; OGH 8 Ob 518/83 = SZ 57/90; NZ 1984, 132, Welser in Rummel § 794 Rz 6; Kralik, Erbrecht 298 f; Scheffknecht, NZ 1968, 133; Sperl in FS Reimer 94 ff. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 14/60
Aufwendungen, die der Zuwendungsempfänger auf die Sache gemacht hat, nicht berücksichtigt werden, ist einleuchtend, sind doch die vom Verstorbenen zugewendeten Sachen anrechnungstechnisch in Anschlag zu bringen, nicht aber jene Wertsteigerungen, die aus der Sphäre des Beschenkten stammen.38 Dies wird wohl noch verständlicher, wenn man sich vorstellt, dass ansonsten jeder investierte Euro des Beschenkten seinen eigenen Pflichtteil mindern würde – ein denkbar unbefriedigendes Ergebnis. c) Fazit über Stand der Lehre und Judikatur zu § 794 ABGB aF Insgesamt kamen Rsp und Lehre weitgehend zu dem Ergebnis, bewegliche und unbewegliche Sachen gleich zu bewerten, es kam also auf den Wert im Erbanfallszeitpunkt an, wobei der Zustand im Zeitpunkt des Empfanges hierfür heranzuziehen war. Schied der Gegenstand aus dem Vermögen des Zuwendungsempfängers aus – denkbar wäre hier der Untergang oder die Veräußerung –, blieb nach überwiegender Ansicht die Anrechnungspflicht aufrecht.39 Offen blieben an dieser Stelle etwa noch Sonderfragen bezüglich der Bewertung von Bargeld oder Unternehmen.40 2. Die neue Bewertungsvorschrift des § 788 ABGB Mit § 788 ABGB nF hat der Gesetzgeber auf die oben geschilderte Kritik41 zur Vorgängerbestimmung des § 794 ABGB aF reagiert und die Bestimmung an moderne ökonomische Gegebenheiten angepasst. Frühere Entwürfe zur Erbrechtsreform beinhalteten noch die in Rechtsfortbildung zu § 794 ABGB aF gebildeten Rechtsauffassungen42, doch schon im zur Begutachtung versendeten Ministerialentwurf folgte der Umschwung zur von Schauer43 vorgeschlagenen einheitlichen Bewertung aller Sachen im Schenkungszeitpunkt mit einer Aufwertung nach dem Verbraucherpreisindex auf den Todeszeitpunkt.44 Dadurch, dass nunmehr nur durch den Verbraucherpreisindex aufgewertet wird, bleiben alle anderen wertverändernden Umstände außer Betracht, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob vom Zuwendungsempfänger veranlasst oder nicht.45 38 Umlauft, Anrechnung 254. 39 4 4 Welser in Rummel/Lukas § 794 Rz 11 ; aA Unger, System VI , 211 f, der im Falle der Veräußerung nur die noch vorhandene Bereicherung zur Anrechnung heranziehen will. 40 Vgl hiezu Schauer, NZ 1998, 23 ff, mwN. 41 Siehe IV. 1. 42 Siehe IV. 1. c) 43 Vgl Schauer, NZ 1998, 23 ff. 44 Eccher, Erbrechtsreform Rz 188. 45 Völkl/Bardeau, Erben NEU 45. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 15/60
Rabl scheint die Neuregelung hinsichtlich der Bewertungsvorschriften weitgehend zu begrüßen, wenngleich er gegen die konkrete Festlegung einer Valorisierung nach dem Verbraucherpreisindex ist und er eine allgemeinere Formulierung präferiert hätte, müsse doch auch beachtet werden, dass jener Verbraucherpreisindex nicht von einer „Statistik Austria“ sondern der Bundesanstalt „Statistik Österreich“ publiziert werde.46 Auch der OGH begrüßte in seiner Stellungnahme zum Ministerialentwurf diese Neuregelung.47 a) Vermögensopfertheorie § 788 ABGB ordnet expressis verbis an, dass „die geschenkte Sache auf den Zeitpunkt zu bewerten ist, in dem die Schenkung wirklich gemacht wurde.“ Auch die ErläutRV weisen darauf hin, dass es bei der Ermittlung des für die Bewertung relevanten Empfangszeitraumes darauf ankommt, ob dem Geschenknehmer die geschenkte Sache auch tatsächlich zukommt, sohin das Vermögensopfer erbracht, und die Schenkung dem Gesetzeswortlaut folgend eben wirklich gemacht wurde.48 Angemerkt sei aber auch, dass sich im Ministerialentwurf in § 788 ABGB die Wendung „wirklich gemacht“ noch nicht findet, sondern hier nur davon die Rede ist, dass die geschenkte Sache auf den Zeitpunkt der Schenkung zu bewerten sei.49 Der Terminus „wirklich“ soll nach Hasch und Wolfgruber nun ausdrücklich auf die Vermögensopfertheorie verweisen50, wohingegen Rucker eher der Ansicht ist, dass sich die Wortfolge „wirklich gemacht“ auf eine wirkliche Übergabe bezieht, zumindest aber nicht eindeutig auf die Vermögensopfertheorie verweist51, was mE in Zusammenschau mit den ErläutRV nur schwer argumentierbar ist. Rabl kritisiert hiezu, dass die Vermögensopfertheorie zwar in den ErläutRV genannt, nicht jedoch im Gesetz ausdrücklich konkretisiert sei, was darunter zu verstehen ist52, weshalb er befürchtet, dass eine Schenkung auf den Todesfall an nicht Pflichtteilsberechtigte das leichteste Mittel sei, um Pflichtteilsansprüche zu untergraben, da der Zeitpunkt des Vermögensopfers nicht genau geregelt sei.53 Apathy teilt diese Befürchtung aber nicht, und zwar genau aufgrund dessen, dass die Vermögenstheorie eben nicht hinreichend im Gesetz konkretisiert sei. So sei den Gerichten ein entsprechendes Ermessen eingeräumt, das Vermögensopfer erst im Todeszeitpunkt anzunehmen.54 46 Rabl, NZ 2015, 342. 47 Stellungnahme Oberster Gerichtshof MEntw Nr 32, 15. 48 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 35. 49 MEntw 100/ME XXV. GP 21. 50 Hasch/Wolfgruber, PSR 2016, 25. 51 Rucker, NZ 2016, 87. 52 Vgl Stellungnahme bpv Hügel Rechtsanwälte OG, Univ.Prof. Dr. Hanns F. Hügel MEntw Nr 41, 5 ff. 53 Rabl, NZ 2015, 341. 54 Apathy, ÖJZ 2016, 807; krit aber Müller/Melzer in Deixler-Hübner/Schauer, Erbrecht NEU 93. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 16/60
Festgestellt werden kann somit, dass die Vermögensopfertheorie letztlich zwar in den ErläutRV erwähnt, aber auch hier nicht umfassend definiert wird und eine gesetzliche Positivierung gänzlich fehlt. Unklar bleibt also, ab wann ein Vermögensopfer nun tatsächlich vorliegt. Exemplarisch weisen die ErläutRV nur darauf hin, dass das Vermögensopfer etwa bei einem Schenkungsvertrag ohne Widerrufsvorbehalt erbracht ist oder wenn keine Möglichkeit mehr für den Zuwendenden besteht, die zugewendete Sache zurück zu erwerben. Vice versa ist ein Vermögensopfer als nicht erbracht anzusehen, wenn ein Rückschenkungsangebot des Beschenkten besteht, beim Widerruf einer Privatstiftung, wenn Letztbegünstigter der Stifter ist, aber auch im Falle anderer Stifterrechte, die einen Rückerwerb ermöglichen. Hingegen schließt ein bloßes Nutzungsrecht das Vermögensopfer nicht gemeinhin aus.55 In Anbetracht neuerer OGH-Judikatur56 gilt aber das Vermögensopfer bei Vorbehalt eines Fruchtgenussrechts als nicht erbracht. Ein Vermögensopfer ist im Einklang mit den ErläutRV bereits dann zu verneinen, wenn der Zuwendende die Zuwendung einseitig wieder beseitigen kann, da er dann eben sein Vermögen noch nicht endgültig aufgegeben hat.57 Die Frage, ob ein Vermögensopfer als erbracht anzusehen ist, wenn der Stifter einen umfassenden Änderungsvorbehalt und einen Widerrufsvorbehalt zu seinen Gunsten vereinbart hat, hatte der OGH erstmals in der E 10 Ob 45/07a behandelt und verneint. Offen geblieben ist in dieser E hingegen die Frage, ob die Zurückbehaltung von bloßen Nutzungsrechten ein Vermögensopfer hindert. Behält sich der Stifter am eingebrachten Vermögen beispielsweise ein Fruchtgenussrecht vor, ist nach Schauer das Vermögensopfer als erbracht anzusehen, da der Stifter nicht mehr Eigentümer ist und folglich seinen Substanzwert eingebüßt hat. Es ist ihm also trotz Fruchtgenussrecht nicht möglich, sein ehemaliges Vermögen zu „versilbern“, ebenso wenig kann er es zum Zwecke der Kreditbesicherung einsetzen. Klarerweise ist der durch das vorbehaltene Nutzungsrecht verminderte Wert bei der Berechnung in Anschlag zu bringen, was aber nach Schauer nichts daran ändert, dass eine solche Schenkung trotz des vorbehaltenen Fruchtgenusses ihrem Charakter nach unter Aufopferung des Vermögens erbracht sei.58 Da Widerrufs- und Änderungsvorbehalte im Hinblick auf Vermögenswidmungen an Stiftungen in der Praxis häufig sind, diese aber das Vermögensopfer verhindern, beginnt auch die in § 782 ABGB normierte Zweijahresfrist oftmals nicht vor dem Tod des Stifters zu laufen. Das Stiftungsvermögen ist daher erst ab diesem Zeitpunkt nach den Regeln des § 788 ABGB zu bewerten, weshalb Vermögenswidmungen, die vor Erbringung des Vermögensopfers als Zuwendungen ausgeschüttet werden, keine Berücksichtigung finden.59 55 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 34. 56 OGH 6.8.2015, 2 Ob 125/15y 57 OGH 2 Ob 125/15y EF-Z 2015, 275. 58 Schauer, JEV 2007, 90. 59 Klampfl, JEV 2015, 126. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 17/60
A. Tschugguel – in seiner Besprechung der im Wesentlichen ähnlich argumentierenden E 2 Ob 125/15y – differenziert in der Frage, ob ein Vermögensopfer vorliegt oder nicht, zwischen dem Vorbehalt sämtlicher oder nur bestimmter Nutzungsrechte, wobei es hier lohnt, die von ihm vorgebrachten, etwas ausführlicheren dogmatischen Erläuterungen widerzugeben:60 Zunächst hält A. Tschugguel fest, dass alleine eine unwiderrufliche Schenkung nicht – zumindest nicht zwingend – für ein erbrachtes Vermögensopfer spricht, was im sich ansonsten auftuenden Widerspruch zur Schenkung auf den Todesfall begründet liege. Ebenso wie bei der unwiderruflichen Schenkung unter Lebenden verliere der Zuwendende auch bei der Schenkung auf den Todesfall das Verfügungsrecht über die Sache. Im Falle der Zuwiderhandlung sei nach der hM erst der Nachlass zum Schadenersatz verpflichtet, nach einer Gegenmeinung entstehe der Schadenersatzanspruch bereits lebzeitig.61 Eingedenk dieser Rechtslage bei der Schenkung auf den Todesfall wäre es aber wenig einsichtig, wenn alleine der bloße Abschluss eines formgültigen Schenkungsvertrages unter Lebenden die Zweijahresfrist des § 782 ABGB auslösen würde, führe dieser Vertragsschluss doch nur dazu, dass er nicht mehr über die Sache verfügen könne. Vergleicht man beide Rechtsinstitute, ist nach A. Tschugguel zu prüfen, ob angesichts des bei der Schenkung unter Lebenden sofort eintretenden Eigentumsverlustes ein Unterschied zur Schenkung auf den Todesfall besteht, bei der der Eigentumsverlust ja erst – wie der Name schon sagt – auf den Todesfall eintritt. Aus Sicht des Zuwendenden mache es keinen Unterschied, ob er im Falle der Schenkung auf den Todesfall schuldrechtlich, oder im Falle der Schenkung unter Lebenden sachenrechtlich nicht mehr über die Sache verfügen könne. Insofern sei also – natürlich nur hinsichtlich der Beurteilung, ob ein Vermögensopfer vorliege – kein Unterschied auszumachen. Relevantes Kriterium für das Vorliegen eines Vermögensopfers könne abseits der Unwiderruflichkeit der Schenkung daher nur die Aufgabe von Nutzungsrechten sein. Bei einer Liegenschaft könne aber nur für den Fall, dass sämtliche Nutzungen durch die Begründung eines beschränkt dinglichen Rechts zurückbehalten werden, ein Vermögensopfer verneint werden. Dies sei in der Regel nur bei einem Fruchtgenussrecht iSd § 509 ABGB denkbar. Behalte sich der Schenkende also ein Fruchtgenussrecht zurück, so sei seine Stellung mit jenem Geschenkgeber, der sein Vermögen über im Wege einer Schenkung auf den Todesfall zuwendet, vergleichbar: Die Verfügungsbefugnis über die Substanz gehe verloren, die Nutzungen stünden ihm aber aufgrund eines absoluten, beschränkt dinglichen Rechts zu. Hinsichtlich der Schenkung auf den Todesfall komme man aufgrund des bis zum Tode fortbestehenden Eigentums zum selben Schluss. 60 OGH 2 Ob 125/15y EF-Z 2015, 276 (A. Tschugguel). 61 4 So auch Parapatits in Schwimann/Kodek, ABGB IV § 954 Rz 20, mwN. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 18/60
Eine Unterscheidung sei also nicht geboten, weshalb bei Zurückbehaltung sämtlicher Nutzungsrechte im Ergebnis das Vermögensopfer selbst dann nicht als erbracht anzusehen sei, wenn die Schenkung unter Lebenden ohne Widerrufsmöglichkeit vertraglich vereinbart wurde.62 3. Kritik an der neuen Rechtslage Hauptkritik an § 788 ABGB nF ist vor allem eine nicht hinreichende Differenzierung hinsichtlich der Art der zugewendeten Sachen. ME wurde hier ausgehend von der harten Kritik, die an der Vorgängerbestimmung § 794 ABGB aF geübt wurde63, in die andere Richtung über das Ziel hinausgeschossen. Wurde nach alter Rechtslage mit wenig überzeugenden Argumenten zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen differenziert, so gibt es nach neuer Rechtslage überhaupt keine Differenzierung mehr beim Bewertungszeitpunkt – selbst da nicht, wo es Sinn machen würde. Die nun positivierte Bewertung im Zeitpunkt, wo „die Schenkung wirklich gemacht wurde“, samt Aufwertung auf den Todeszeitpunkt durch den Verbraucherpreisindex scheint für Unternehmen, Unternehmensteile, Geld und sonstige bewegliche Sachen angemessen.64 Dass dieser einheitliche Bewertungsmaßstab aber gerade für unbewegliche Sachen zu extremen Verzerrungen führen kann, zeigt folgendes Beispiel in Anlehnung an Umlauft:65 Bsp 3: Ein Vater mit zwei Söhnen und einer Tochter besitzt drei gleich große, landwirtschaftlich genutzte Liegenschaften mit jeweils einem Hektar. Den beiden Söhnen wendet er im Jahr 2010 lebzeitig jeweils einen Hektar zu, die Tochter soll die dritte Liegenschaft im Erbwege erhalten. 2010 sind die Liegenschaften jeweils EUR 100.000 wert. Durch eine Umwidmung der Liegenschaften, gesteigerte Nachfrage, sowie Ansiedelung florierender Betriebe in der Umgebung liegt der Wert der Liegenschaften im Jahr 2016 bereits bei EUR 3.000.000, der Wert jeder Liegenschaft hat sich also seit dem Zuwendungszeitpunkt verdreißigfacht. Als der Vater 2016 stirbt, erhält die Tochter nun schließlich ihre Liegenschaft im Erbwege. Wendet man die vom Gesetz vorgeschriebenen Bewertungsregeln an, sind die Liegenschaften im Zuwendungszeitpunkt zu bewerten und mit dem Verbraucherpreisindex zu valorisieren. Dieser hat sich im Zeitraum von 2005 bis 2016 um 22,3 % gesteigert.66 Nimmt man zur leichteren 62 AA Rucker, NZ 2016, 87, die auf die Eigentümerstellung abzustellen scheint. 63 Siehe IV. 1. 64 Stellungnahme Österreichische Notariatskammer MEntw Nr 8, 19 f. 65 Umlauft, NZ 2015, 122 ff. 66 Quelle: STATISTIK AUSTRIA (https://www.statistik.at/web_de/statistiken/wirtschaft/preise/verbraucherpreisindex_vpi_hvpi/index.html) Stand: 01.09.2017 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 19/60
Berechnung eine Steigerung von 20 % an, so ergibt sich bei den Söhnen pro Grundstück ein Wert von EUR 120.000, beide Grundstücke zusammengerechnet ergeben sohin einen Wert von EUR 240.000. Addiert man diesen Wert wiederum dem Wert hinzu, den die Liegenschaft der Tochter im Zuwendungszeitpunkt hat (EUR 3.000.000) ergibt sich eine Berechnungsgrundlage für die Pflichtteile iHv EUR 3.240.000. Die Pflichtteilsquote pro Kind beträgt 1/6, weshalb sich pro Kind ein Pflichtteil iHv EUR 540.000 ergibt. Darauf haben sich die Kinder – sofern kein Erlass nach § 785 ABGB besteht – die Zuwendung nach den oben geschilderten Bewertungsgrundlagen anrechnen zu lassen. Das mit EUR 3.000.000 zu bewertende Grundstück der Tochter deckt den Pflichtteil nicht nur ab, sondern übersteigt diesen sogar bei weitem, weshalb ihr Pflichtteil gedeckt ist. Die Söhne haben nach Anrechnung ihrer mit EUR 120.000 bewerteten Grundstücke jeweils einen Pflichtteilsergänzungsanspruch iHv EUR 420.000 gegen die Schwester, weshalb diese in Summe Pflichtteilsergänzungsansprüchen iHv EUR 840.000 ausgesetzt ist. Bedenkt man, dass jeder im Jahr 2016 ein Grundstück im Wert von EUR 3.000.000 besitzt, scheint es doch grob unbillig, die Tochter für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haften zu lassen. Umlauft plädiert daher dafür, dass Liegenschaften, aber unter Umständen auch Gegenstände wie Kunstwerke67, als grundsätzlich durch Besitzkontinuität gekennzeichnete Wertanlagen, mit dem Wert in der Verlassenschaft zu verzeichnen sind, den sie im Zeitpunkt des Todes haben. Gerade bei diesen würden die Preise weit stärker ansteigen, als der Verbraucherpreisindex sich erhöhe.68 Die Bewertung einer Liegenschaft im Todeszeitpunkt hat den Vorteil, dass sowohl die Chance des Zuwendungsempfängers, mit einem Investment (etwa durch einen erzielten Verkaufserlös) noch mehr „herauszuschlagen“, aber auch das Risiko eintretender Verluste durch Fehlinvestments vom Handelnden getragen und sohin nicht berücksichtigt werden. Grenze findet eine dadurch möglicherweise auftretende Haftung ja ohnehin im erzielten Verkaufserlös69 und in der Höhe des Pflichtteilsanspruches, sofern Redlichkeit gegeben ist.70 Auf den Punkt gebracht würde dies bedeuten, dass der Pflichtteilsberechtigte für sein Handeln selbst verantwortlich ist, was ihm – wie jede Handlung im wirtschaftlichen Alltag – zum Vor-, aber auch zum Nachteil gereichen kann. Einen redlichen Pflichtteilsberechtigten trifft aber selbst im Falle eines verlustreichen Geschäftes die Haftung nicht in vollem Umfang, sondern begrenzt durch einen Verkaufserlös einerseits und die Pflichtteilshöhe andererseits. 67 Umlauft, NZ 2015, 125. 68 Umlauft, NZ 2015, 121 ff. 69 Siehe VI. C. 70 Umlauft, NZ 2015, 123. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 20/60
ME hat die Kritik Umlaufts einiges für sich; doch angesichts der Kritik zur alten Rechtslage kann es nicht zielführend sein, Bewertungsvorschriften an eher vage Parameter wie „Besitzkontinuität“ im Allgemeinen oder Liegenschaften im Speziellen zu knüpfen. Wenngleich es müßig erscheint, de lege lata über von § 788 ABGB abweichende Bewertungsmodalitäten zu spekulieren, wäre meiner Ansicht nach besser die von der Rsp entwickelte Formel „Zustand der geschenkten Sache im Schenkungszeitpunkt, Wert im Todeszeitpunkt“71 fortzuentwickeln gewesen. Natürlich kann man sich auch hier wieder Extrembeispiele ausmalen. Hat etwa jemand eine kleine Liegenschaft erhalten und darauf mit all seinen Mitteln sein Wohnheim errichtet, kann eine Vervielfachung des Liegenschaftswertes im Todeszeitpunkt problematisch werden. Zwar hat der Zuwendungsempfänger einen hohen Wert in seinem Vermögen, jedoch wird es ihm schwer fallen, Pflichtteilsergänzungsansprüche zu befriedigen, ohne sein Wohnheim zu gefährden. Dass jeder Bewertungsvorschrift – wie der Name schon sagt – auch eine gewisse „Wertung“ immanent ist, bleibt nicht zu bezweifeln. Der Versuch, eine Regelung zu schaffen, die sämtliche Fälle zufriedenstellend löst und keine „Ausreißer“ ermöglicht, erscheint von vornherein fast aussichtlos. Es kann also nur darum gehen, zumindest das Gros der Fälle „fair“ bzw billig zu regeln. Dafür würde sich oben gemachter Vorschlag mE am besten eignen. 71 Vgl Stellungnahme Österreichischer Rechtsanwaltskammertag MEntw Nr 14, 19. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 21/60
V. Anrechnungserlass – § 785 ABGB nF A. Bisherige Differenzierung zwischen Schenkung und Vorschuss Bereits der Urentwurf zum ABGB enthielt die Möglichkeit, die Anrechnung zu erlassen.72 Im bisherigen Recht wurde in Hinblick auf die Anrechnung aber – wie bereits oben erwähnt – zwischen Schenkung und Vorschuss differenziert. Der Vorschuss stellte eine vertragliche Zuwendung dar, bei welcher die Verrechnung auf den Erb- bzw Pflichtteil ausdrücklich oder konkludent vereinbart wurde, dies jedoch mit dem fundamentalen Unterschied, dass der Vorschuss – wie der Name es vermuten lässt – bereits als Leistung im Hinblick auf die Pflichtteilsdeckung zu betrachten war.73 Obschon unter der Marginalrubrik „Anrechnung beim Erbteil“ stehend, war die Schenkung nach bisher geltender Rechtslage, gestützt auf § 791 ABGB aF, in Anlehnung an die Ausführungen Zeillers auch auf den Pflichtteil nicht anzurechnen74, was auch Eccher75 festgestellt hat. Das ErbRÄG 2015 betrachtet jede unentgeltliche Zuwendung unbeschadet ihrer Bezeichnung als Schenkung de facto als Vorschuss. Entgegen vielen76 zeigt sich Rabl in seiner Fundamentalkritik an der Gleichsetzung von Vorempfängen und Schenkungen nicht überzeugt und erkennt kein klares Konzept. Der Pflichtteil als zwingendes Recht und somit losgelöst vom Willen des Erblassers verhalte sich nämlich gerade gegensätzlich zur Schenkung, die eine freiwillige Zuwendung ohne Gegenleistung verkörpere. Der Vorschuss diene eben genau dazu, eine Leistung in Anrechnung auf eine spätere Schuld (der Pflichtteilslast) zu erwirken. Daraus lasse sich schließen, dass derjenige, der einen Vorschuss erbringen würde, sich auch darum zu bemühen habe, eine entsprechende Vereinbarung, mit den eben geschilderten Konsequenzen, zu schließen; würde dies nicht gewünscht, sei eine Schenkungsvereinbarung zu schließen. Das ErbRÄG 2015 würde diese Gegebenheiten ins genaue Gegenteil verkehren, woraus resultieren würde, dass derjenige, der sein Kind beschenken wolle, im Schenkungsvertrag festhalten müsse, dass diese Zuwendung beim künftig zustehenden Pflichtteil keinen Einfluss habe.77 Der Schenkung nach bisherigem Verständnis entspricht nun also weitgehend die in § 785 ABGB nF geregelte Schenkung unter Erlass der Anrechnung. Nunmehr wird also differenziert zwischen der (bloßen) Schenkung und einer Schenkung unter Erlass der 72 Ofner, Der Ur-Entwurf 487. 73 Vgl OGH SZ 59/146. 74 Rabl, NZ 1998, 7 ff. 75 Eccher, Erbfolge, 104. 76 Kletečka in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht 92; Zankl in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht 112; Eccher, Erbrechtsreform 168; Schauer, ÖJZ 2017, 58. 77 Rabl, NZ 2015, 336 f. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 22/60
Anrechnung, wobei Kletečka mit dem Ansinnen, Begriffsverwirrungen zu vermeiden, vorschlägt, von „Vorschuss-Schenkungen“ und „befreiten Schenkungen“ zu sprechen.78 Obzwar die befreite Schenkung der Schenkung nach altem Recht ähnelt, muss aber dennoch beachtet werden, dass sich die Durchführung der Anrechnung geändert hat. Schenkungen wurden nach alter Rechtslage kraft expliziter Anordnung in § 787 Abs 2 ABGB aF nur beim Schenkungspflichtteil berücksichtigt, was bedeutet, dass dem Beschenkten trotz Anrechnung seiner Schenkung immer sein gemeiner Pflichtteil, ergo seine jeweilige Quote vom reinen Nachlass79, erhalten blieb.80 B. Rechenmethode Wie eingangs erwähnt, sind nach neuer Rechtslage alle befreiten Schenkungen zur Berechnung der Höhe des Anspruches des jeweiligen Pflichtteilsberechtigten heranzuziehen, mit der wichtigen Ausnahme, dass die befreite Schenkung, die er selbst erhalten hat, und sich durch den Erlass nicht anrechnen lassen muss, bei Berechnung der Pflichtteilshöhe dieses konkreten Pflichtteilsberechtigten eben nicht hinzugeschlagen wird.81 Nach den ErläutRV dient dies dazu, dass diese anrechnungsfreie Zuwendung nicht zu einer Pflichtteilserhöhung und somit zu einer weiteren Begünstigung ebendieses (anrechnungsbefreiten) Pflichtteilsberechtigten führt.82 C. Arten des Erlasses Gem § 785 ABGB sind „Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte auf dessen Pflichtteil insoweit nicht anzurechnen, als der Verstorbene den Erlass dieser Anrechnung letztwillig verfügt oder mit ihm vereinbart hat“. Aus dieser gesetzlichen Bestimmung ergibt sich klar, dass es zwei Möglichkeiten gibt, die Anrechnung einer nach dem Gesetz hinzu- und anrechnungsbefreiten Schenkung, sohin einer wie oben erläuterten „Vorschuss-Schenkung“, zu erlassen, diese also untechnisch gesprochen in eine sog „befreite Schenkung“ zu verwandeln. Diese zwei Formen sind einerseits der einseitige Erlass und andererseits der vereinbarte Erlass.83 78 Kletečka in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht 105. 79 Anstelle des Begriffes „Nachlass“ tritt nunmehr mit dem ErbRÄG 2015 in Einklang mit der JN und dem AußStrG der Begriff „Verlassenschaft“, was jedoch wiederum die EU-Erbrechtsverordnung zu negieren scheint, die vom „Nachlass“ spricht. 80 Zöchling-Jud, AnwBl 2000, 717. 81 Eccher, Erbrechtsreform 183. 82 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 24. 83 Kogler, Formvorschriften 90. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 23/60
Aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 716 ABGB gibt es im Falle der einseitigen Verfügung über den Anrechnungserlass – klarerweise aber auch im Falle anderer letztwilliger Verfügungen durch den Verstorbenen – keine Selbstbindung.84 Das ErbRÄG 2015 positiviert also nunmehr in Abkehr von der Ansicht Zeillers85, der Erlass der Anrechnung auf den Pflichtteil könne nur mittels letztwilliger Verfügung getroffen werden, die Möglichkeit einer Vereinbarung über den Erlass der Anrechnung, wobei auch die Frage, ob der Erlass der Anrechnung überhaupt möglich ist, nach der alten Rechtslage höchst umstritten war.86 Nach wohl hM zum alten Recht war ein letztwillig verfügter Anrechnungserlass nur zulasten der Testamentserben, nicht aber zulasten der Pflichtteilsberechtigten möglich.87 Schauer stimmte dieser Auffassung mit Recht zu, da das Pflichtteilsrecht nicht disponibel sei und ansonsten einer Pflichtteilsvereitelung Tür und Tor geöffnet wäre.88 1. Aufhebung der Vereinbarung des Erlasses der Anrechnung durch letztwillige Verfügung Dass es für den künftigen Erblasser keine Selbstbindung an einen letztwillig verfügten Erlass gibt und somit ein letztwillig verfügter Erlass (einseitig) auch wieder letztwillig beseitigt werden kann, wurde bereits erörtert. Fraglich bleibt aber, ob es möglich ist, dass ein Geschenkgeber einen zwischen ihm und dem Geschenknehmer vereinbarten Erlass später durch letztwillige Verfügung wieder aufheben kann. Unter Heranziehung der wörtlichen Interpretation spricht nach Kogler die bezüglich der Aufhebung angeordnete Form eines Pflichtteilsverzichts gegen eine letztwillige Aufhebbarkeit eines vereinbarten Erlasses, das bloße Schriftformerfordernis für die Errichtung einer solchen Vereinbarung aber wiederum dafür.89 Die teleologisch-systematische Interpretation führt nach Kogler hingegen zum Ergebnis, dass die Aufhebung des vereinbarten Erlasses durch letztwillige Verfügung möglich ist und zwar aus mehreren Gründen. Wie noch zu zeigen sein wird90, bekommt der Zuwendungsempfänger beim Erlass der Anrechnung ja mehr als seinen gesetzlichen Pflichtteil, die Aufhebung des Erlasses hat also bloß zur Folge, dass wieder der gesetzliche Grundfall eintritt. Aus diesem Grund gleiche die 84 § 716 ABGB nF lautet: „Die Erklärung in einer letztwilligen Verfügung, wonach jede spätere letztwillige Verfügung überhaupt oder dann unwirksam sein soll, wenn sie nicht in einer besonderen Form errichtet oder besonders gekennzeichnet wird, gilt als nicht beigesetzt.“ 85 Zeiller, Commentar II/2, 819. 86 14 Vgl Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Rechts II Rz 2353. 87 Schauer, JBl 1980, 457. 88 Schauer, JBl 1980, 457. 89 Kogler, Formvorschriften 103. 90 Siehe V. D. 11. Oktober 2017 Felix Bodingbauer 24/60
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