NICHTIGKEIT VON RECHTSGESCHÄFTEN WEGEN VERSTOSS GEGEN ANWALTLICHES BERUFS- ODER STANDESRECHT - JKU ePUB
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Eingereicht von NICHTIGKEIT VON Ernest Schinewitz, MLS RECHTSGESCHÄFTEN WEGEN VERSTOSS Angefertigt am Institut für Zivilrecht GEGEN Beurteiler / ANWALTLICHES Beurteilerin Univ.-Prof. Mag. Dr. BERUFS- ODER Andreas Geroldinger STANDESRECHT Mitbetreuung - Oktober/2020 Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtwissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Wien, 2.11.2020 Ernest Schinewitz 02. November 2020 2/44
Inhaltsverzeichnis 0. Gender Erklärung .................................................................................................... 4 1. Grund meines Studiums der Rechtswissenschaften .......................................... 4 2. Anwaltliche Berufs- und Standespflichten ........................................................... 4 3. Für Rechtsanwaltsberufe speziell geltende Rechtsnormen. .............................. 5 4. Nichtigkeit ................................................................................................................ 5 5. Die Bestimmung des § 879 ABGB ......................................................................... 6 5.1. § 879 ABGB als Zentralnorm der Inhaltskontrolle .................................................... 6 5.2. Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB ........................................................................... 7 5.2.1. Absolute und relative Nichtigkeit ............................................................................................. 7 5.2.2. Gesamt- oder Teilnichtigkeit .................................................................................................... 8 5.2.3. Ex tunc versus ex nunc ........................................................................................................... 8 5.3. § 879 Abs 1, 1. Fall ABGB – Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot ..................... 9 5.4. § 879 Abs 1, 2. Fall ABGB – Sittenwidrigkeit als Auffangtatbestand .................... 10 5.4.1. Überhöhte Honorarforderung ................................................................................................ 11 5.4.2. § 63 RSTDG („Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz“) ........................................... 11 5.4.3. Nebenbeschäftigung Richter ................................................................................................. 12 5.4.4. Verzicht auf Klage ................................................................................................................. 13 5.4.5. § 4 RL – BA 2015 – Verjährungseinrede ............................................................................... 13 5.5. §§ 879 Abs 2 Z 2, 1. Fall ABGB – An sich Lösen einer Streitsache....................... 14 5.5.1. Zession einer Honorarforderung (vgl S 11 und 33) ............................................................... 15 5.6. § 879 Abs 2 Z 2, 2. Fall ABGB – „pactum de quota litis“........................................ 17 5.6.1. Rechtsanwaltsfremde Leistungen durch Anwälte .................................................................. 18 5.6.2. Rechtsanwalt als Immobilienvermittler .................................................................................. 19 5.6.3. Anwaltsähnliche Berufe ......................................................................................................... 22 5.6.4. Versicherungsbüro als Schadenshelfer ................................................................................. 23 5.6.5. Beratung in Außenhandelsfragen .......................................................................................... 24 5.6.6. Werkvertrag ........................................................................................................................... 25 5.7. § 8 RAO – Vertretungsrecht des Rechtsanwaltes................................................... 25 5.7.1. Spielerschützer ...................................................................................................................... 26 5.7.2. Streitanteilsvereinbarung mit Ausländer ................................................................................ 27 5.8. §§ 16 Abs 2 RAO, 51 RL-BA 2015 ............................................................................. 28 5.8.1. Nachträgliches Honorar für Verfahrenshilfe .......................................................................... 29 5.8.2. Umwandlung Verfahrenshilfe im Innenverhältnis .................................................................. 30 5.9. § 9 Abs 2 RAO – Verletzung der Verschwiegenheit................................................ 32 5.9.1. Zession einer Honorarforderung – 9 RAO (vgl S 15) ............................................................ 33 5.9.2. Zession eines Darlehens ....................................................................................................... 34 5.10. § 36 RL-BA 1977 – Verbot der Beteiligung eines Rechtsanwaltsanwärters ................ 34 5.10.1. Darlehen/Umgehungsgeschäft .......................................................................................... 35 6. Übersicht und Analyse der in dieser Arbeit besprochenen OGH Entscheidungen ............................................................................................................ 37 7. Rechtliche Würdigung .......................................................................................... 38 8. Conclusio ............................................................................................................... 40 9. Literaturverzeichnis/Quellen ................................................................................ 41 10. Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... 44 02. November 2020 3/44
0. Gender Erklärung Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewandt. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll. 1. Grund meines Studiums der Rechtswissenschaften Der Grund meines JUS-Studiums ist bei Univ. Prof. Dr. Karl Hannak (Ɨ) zu suchen. Karl Hannak war Professor für Zivilrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und unterrichtete auch die Teilnehmer des Bilanzbuchhalterkurses des Wirtschaftsförderungsinstitutes Wien. Dies auf derart spannende Art und Weise, dass in mir der Wunsch entstand, mich mit dieser Materie genauer auseinander zu setzen. Auf Grund meiner familiären und beruflichen Situation dauerte es fast drei Jahrzehnte, bis ich mir diesen Wunsch erfüllen konnte. 2. Anwaltliche Berufs- und Standespflichten Rechtsanwälte zählen in Österreich zu den freien Berufen. Diese unterscheiden sich von anderen gewerblichen Professionen durch besondere Berufs- und Standespflichten. „Ubi societas ibi ius“, wo Gesellschaft ist, da ist Recht, hatte schon Aristoteles postuliert. Für die Umsetzung dieses Rechts kommt dem Anwalt eine besondere Rolle zu. Daher definiert § 1 RL-BA 2015 für den Anwalt besondere Anforderungen an seine rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung, seine Verschwiegenheit, seine Vertrauenswürdigkeit, seine Unabhängigkeit und an seine Fähigkeit, für die Verteidigung der Grundrechte und die Wahrung von Freiheit und Rechtsfrieden einzutreten.1 Dies erfordert einen differenzierten Zugang zum Erwerbseinkommen im Vergleich zu anderen Wirtschaftstreibenden. „We never have and never will set any financial targets“ stand als Slogan in einem Geschäftsbericht einer großen schwedischen Anwaltskanzlei2. Nicht kurzfristiges Gewinnstreben, sondern die qualitativ hochwertigste Leistung für die Klienten soll im Vordergrund stehen. Dieses als „lock-step“ bezeichnete Entlohnungsprinzip fand schon in römischer Zeit seine Ausprägung für Ärzte oder Rechtsberater und verlangte diesen Berufsständen grundsätzlich unentgeltliche Dienstleistung ab („honorium beneficium“). 1 Vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 RL-BA 2015 (Stand 15.9.2018, rdb.at). 2 Mannheimer Swartling, Annual and Sustainability Report 2017, 36. 02. November 2020 4/44
3. Für Rechtsanwaltsberufe speziell geltende Rechtsnormen. Für mit Sitz in Österreich tätige Anwälte gilt die RAO (Rechtsanwaltsordnung).3 Weiters sind die RL-BA 2015 (Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes) sowie weitere Vorschriften, wie z.B. ARAG (Ausbildungs-und Berufsprüfungsanrechnungsgesetz), AHK (Allgemeine Honorarrichtlinien), DSt (Disziplinarstatut), GeO-ÖRAK (Geschäftsordnung des österreichischen Rechtsanwaltskammertages), Grundsätze der Strafverteidigung (Arbeitsgruppe des österreichischen Rechtsanwaltskammertages), RATG (Rechtsanwaltstarifgesetz), RL Collaborative Law ( Kooperatives Anwaltsverfahren), RL-Mediation (Richtlinie für die Tätigkeit von Rechtsanwälten im Rahmen von Mediation), Urkundenrichtlinie sowie die Schlichtungsordnung der Rechtsanwaltskammer Wien. Auf europäischer Ebene sorgt die Organisation CCBE (Rat der Europäischen Anwaltschaften) für einheitliche Arbeitsregeln für Anwälte mit der „Charta der Grundprinzipien der Europäischen Rechtsanwälte“. 4. Nichtigkeit Die Nichtigkeit ist in vielerlei Bestimmungen geregelt, so vor allem im Zivilrecht in den Bestimmungen für die sogenannten AGBs oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen4 und hat im Konsumentenschutzrecht grundsätzlich den Schutz des schwächeren Vertragspartners im Blickfeld (vgl § 6 KschG). Auch europarechtliche Bestimmungen5 wirken in Form von Richtlinien mittelbar und sofern ihr Normzweck hinreichend klar und eindeutig ist und der nationale Gesetzgeber die Richtlinie nicht fristgerecht umgesetzt hat, unmittelbar auf das nationale Recht6. Zentral ist dabei stets die Frage, ob die Nichtigkeitsbestimmung den gesamten Vertrag für ungültig erklären will oder nur Teilnichtigkeit als Rechtsfolge verlangt. In den meisten Fällen bewegen wir uns im Bereich des zwingenden Rechts, d.h. ein Ausschluss dieser Nichtigkeitsgründe würde gem 879 ABGB gegen die guten Sitten verstoßen und damit Nichtigkeit der Vereinbarung bewirken. Rechtsanwälte werden unter bestimmten Bedingungen unter dem Terminus „Rechtsfreund“ in § 879 ABGB den Rechtsfolgen der Nichtigkeit unterworfen. 3 Die Urfassung löste die provisorische Rechtsanwaltsordnung vom 16. August 1849 ab und wurde im Reichsgesetzblatt (RGBl) Nr. 96 im Jahre 1868 veröffentlicht und trat mit 1. Jänner 1869 in Kraft. 4 Vgl § 864a ABGB. 5 Vgl RL 93/13/EWG 5.4.1993, Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. 6 Vgl EUGH 4.12.1974, C-41/74 Van Duyn; OGH 17.5.2004, 1 Ob 57/04w17. 02. November 2020 5/44
5. Die Bestimmung des § 879 ABGB 5.1. § 879 ABGB als Zentralnorm der Inhaltskontrolle Der § 879 ABGB erfasst private Rechtsgeschäfte aller Art und verhindert so den Missbrauch der Privatautonomie. In diesem Fall werden solche Rechtsgeschäfte eliminiert. Zuständig dafür sind die Gerichte. Die Norm des § 879 Abs 1 ABGB kann man auch als Generalnorm bezeichnen, indem sie gesetzliche Verbote und gute Sitten erfasst, ohne diese Termini zu definieren. Nach § 879 Abs 1 1. Fall muss sich die Nichtigkeit aus den gesetzlichen Verboten der jeweiligen Normen ergeben. Darüber hinaus verfolgt § 879 Abs 1 2. Fall das Ziel, den Missbrauch der Privatautonomie auch dort einzuschränken, wo der Gesetzgeber keine entsprechenden Regeln erlassen hat, es aber dem „allgemeinen Rechtsgefühl“ und den historisch gewachsenen Geschäftsgebarungen widersprechen würde, wenn Rechtsgeschäfte gelten, die den sogenannten „guten Sitten“ widersprächen. Hier kommt der historisch dispositive Charakter des ABGB zum Ausdruck, der noch nicht zur Gänze vom gesatzten Recht überlagert worden ist. 200 Jahre nach der Verlautbarung des ABGB hat sich die Gesellschaft doch wesentlich in Richtung Pluralismus verändert, sodass der Begriff der guten Sitten heute deutlich differenzierter betrachtet wird. Dies bringt eine erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich und es muss daher bei der Interpretation des § 879 im Regelfall auf höchstgerichtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Nach Krejci können nicht nur Verträge, Testamente, Notariatsakte, sondern sogar gerichtliche Vergleiche gegen § 879 verstoßen, sodass sich der Rechtsunterworfene letztlich nur auf rechtskräftige Gerichtsurteile stützen kann.7 Die Unerlaubtheit und damit Nichtigkeit von Rechtsgeschäften manifestiert sich vor allem auch bei Verletzung fundamentaler Rechtsgrundsätze, insbesondere bei jener von Grundrechten. Der österreichische Grundrechtskatalog, die Staatsgrundsätze von 1867 sind zwar als Abwehr- und Freiheitsrechte gegenüber der Staatsgewalt ausgelegt und wirken daher grundsätzlich nur bilateral, also Individuum gegen den Staat, ausnahmsweise entfalten aber einige Rechtsgrundsätze Drittwirkung (Grundsatz der mittelbaren Drittwirkung), also Wirksamkeit zwischen Rechtsanwendern untereinander. Dazu gehört insbesondere die Norm des § 879 ABGB, die auch über die Sittenwidrigkeit auf die Rechtsgestaltung der Bürger und Bürgerinnen einwirkt. Hier steht vor allem der Schutz des Einzelnen vor Missbrauch von Übermacht bei nachteiliger privatautonomer Rechtsgestaltung des stärkeren Vertragspartners im Fokus. Bei rechtsfreundlichen Vertretungen wird der Anwalt seinem Klienten in der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Erfolges oder Nichterfolges einer Rechtssache in der Regel überlegen 7 Vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 ABGB (Stand 1.11.2014, rdb.at). 02. November 2020 6/44
sein. Hier wirkt die Norm des § 879 für den Klienten nachteiligen Vertragsbestimmungen entgegen und nimmt zusätzlich im Absatz 2 (Ansichlösen einer Rechtssache, quota litis) implizit Bezug auf die Geschäftsbeziehung zwischen Anwalt und Klient. 5.2. Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB 5.2.1. Absolute und relative Nichtigkeit Die Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB ist differenziert zu betrachten. Sie definiert sich nach dem Zweck und Umfang der Verbotsnorm oder einer Vertragsbestimmung. Nichtigkeit liegt vor, wenn gesetzliche Bestimmungen dies ausdrücklich normieren, oder wenn dies die teleologische Auslegung der Norm erfordert, auch wenn eine ausdrückliche Nichtigkeitsbestimmung in der Norm fehlt.8 Eine Analogie nach einer „salomonischen Klausel“ anzunehmen, wäre allerdings verfehlt. Es erwachsen aus der begründeten Nichtigkeit keine nicht vereinbarten Leistungsansprüche, die – wären sie vereinbart gewesen – den Vertrag gültig gemacht hätten. Selbstverständlich kann man Nichtigkeit vertraglich nicht von vorneherein ausschließen. Generell ist zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit zu unterscheiden. Gesetzwidrigkeit hat absolute Nichtigkeit zur Folge, wenn die Verbotsnorm dem Schutz von Allgemeininteressen oder dem Schutz unbeteiligter Dritter dient. Die absolute Nichtigkeit ist „ex officio“ aufzugreifen und muss nicht vom Benachteiligten eingewendet werden. Immer dort, wo es um den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geht, wird absolute Nichtigkeit zu prüfen sein. Auf die absolute Nichtigkeit kann sich jedermann berufen, selbst jener Vertragspartner, der die Nichtigkeit schon bei Vertragsabschluss kannte. Die absolute Nichtigkeit liegt im Interesse des Ansehens des Rechtsanwaltsstandes. Sie wirkt „ex tunc“ und lässt den Vertrag von Anfang an unwirksam werden.9 Relative Nichtigkeit liegt vor, wenn die Verbotsnorm Individualinteressen schützen soll. Die relative Nichtigkeit ist nur auf Einwendung zu berücksichtigen. Nur Personen, die durch das verletzte Verbot geschützt sind, können sich darauf berufen.10 Auf die relative Nichtigkeit einer Vertragsstelle kann sich jedoch nur der verkürzte Vertragspartner berufen. Der Benachteiligende ist an seine Vereinbarung gebunden. Relative Nichtigkeit ist daher 8 Vgl Kolmasch, Gesetzwidrigkeit, Lexis Briefings in lexis360.at (Stand 14.6.2020); OGH 4.7.1956, 7 Ob 657/81. 9 Kolmasch, Gesetzwidrigkeit, Lexis Briefings in lexis360.at (Stand 14.6.2020). 10 Vgl Kolmasch, ebendort. 02. November 2020 7/44
nicht „ex officio“, sondern nur auf Einwendung einer Partei anzuwenden, die aber auch das Recht hat, sich auf eine solche Vertragsbestimmung einzulassen. Wenn die den verkürzten Vertragspartner schützende Norm aber zugleich öffentliche Interessen schützt, die absolute Nichtigkeit erfordern, ist von Amts wegen von der Ungültigkeit der Vereinbarung auszugehen.11 Laut OGH kann sich selbst derjenige, welcher gegen § 879 ABGB verstoßen hat, auf die Nichtigkeit berufen: „Ob der „Arbeitsvertrag auf Leistungen gerichtet war, die zur Befriedigung ideeller oder materieller Bedürfnisse dienten, die mit der Rechtsordnung in Einklang stehen, ist für die kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den Begriff „Arbeitsvertrag“ ohne Bedeutung (hier Pornofilmdarstellerin)“.12 5.2.2. Gesamt- oder Teilnichtigkeit Ob Gesamt- oder Teilnichtigkeit vorliegt, ist ebenfalls mit dem Zweck der Norm zu prüfen. So sind zum Beispiel Mietverträge, die mit unzulässigen Ablösevereinbarungen ausgestattet sind, nicht zur Gänze nichtig. Nichtig sind nur jene Bestimmungen, die die ungesetzliche Ablöse betreffen, während ansonsten ein gültiger Mietvertrag zustande gekommen ist.13 Die Teilungültigkeit einer Vereinbarung hat solange keine Auswirkung auf deren gültige Bestimmungen, solange nicht wesentliche Vertragsbestandteile berührt werden.14 Sollte eine solche Bestimmung nur infolge ihrer zeitlichen, umfänglichen oder räumlichen Ausdehnung sittenwidrig sein, so führt das noch nicht zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages, vielmehr hat das Gericht die sittenwidrige Klausel auf ein nicht mehr wegen Sittenwidrigkeit zu beanstandendes Ausmaß zu reduzieren („geltungserhaltende Reduktion“).15 Sollten einzelne Vertragsbestimmungen nichtig sein, so ist primär der Normzweck entscheidend, ob die gesamte Vereinbarung nichtig ist, oder die Gültigkeit der übrigen vertraglichen Bestimmungen aufrecht bleibt.16 5.2.3. Ex tunc versus ex nunc Einerseits geht ein Teil der Lehre von einer ex tunc Wirkung als Regelfall der Nichtigkeit aus. Andererseits ist diese Problematik bei bereits im Erfüllungsstadium befindlichen 11 VGL Riedler in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar4 (2014) zu § 879 ABGB - Teil 3 Rz 47. 12 Vgl OGH 18.11. 1986, 14 Ob 192/86. 13 Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 3 Rz 51; OGH 6.6.1973, 5 Ob 73/73 JBL 1973, 617. 14 Vgl OGH, 3.2.1960, 5 Ob 597/59. 15 Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 3 Rz 51. 16 Vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 ABGB (Stand 1.11.2014, rdb.at) Rz 514. 02. November 2020 8/44
Dauerschuldverhältnissen nicht leicht zu lösen.17 Obwohl die Rückabwicklung von bereits erfüllten Verträgen fast immer mit großen Schwierigkeiten verbunden sein wird,18 erfordert es die Grundidee des § 879 einen solcherart geschlossenen Vertrag mit ex tunc Wirkung zu vernichten. Relative Nichtigkeit wird eher dort anzuwenden sein, wo die Normverletzungen gelinder ausgefallen sind, sodass die Rückabwicklung im Verhältnis zur Normverletzung einen weitaus größeren Eingriff in die Rechtsposition des einen Vertragspartners nach sich ziehen würde als die Aufrechterhaltung des Vertrages, was ein Wahlrecht des Verletzten gerechtfertigt erscheinen lässt. Letztendlich wird die Frage, ob „ex tunc“ oder „ex nunc“ immer im Einzelfall zu lösen sein.19 5.3. § 879 Abs 1, 1. Fall ABGB – Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot § 879 Abs 1, 1. Fall ABGB normiert, dass ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig ist. Gesetze im materiellen Sinn sind auch Rechtsverordnungen, nicht jedoch Verwaltungsverordnungen, Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen.20 Verstöße gegen ein ausländisches Gesetz oder gegen Völkerrecht sind iSd Bestimmung relevant, wenn ein entsprechender Inlandsbezug besteht. Sittenwidrig können auch Verstöße gegen EU-Recht sein.21 Aber nicht jedes Rechtsgeschäft, das gegen ein Gesetz oder Verordnung verstößt, ist nichtig. Die Nichtigkeit muss entweder ausdrücklich angeordnet, oder vom Verbotszweck der entsprechenden Norm erfasst sein.22 Es ist jedoch denkbar, dass selbst bei ausdrücklicher Anordnung der Nichtigkeitsfolge der Zweck der entsprechenden Norm eine teleologische Reduktion rechtfertigt, also die Nichtigkeit entsprechend modifiziert oder relativiert. Das entspricht der gängigen Vorstellung, dass Nichtigkeit nur insoweit eintritt, als es der Zweck der Verbotsnorm erfordert.23 Ein Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Vorschriften würde keine Nichtigkeit nach sich ziehen. So wurden Entgeltzusagen für Tätigkeiten, die gegen die Gewerbeordnung oder gegen Winkelschreiberei verstoßen, als wirksam beurteilt.24 Demgemäß wäre auch ein Werkvertrag mit einem Schwarzarbeiter („Pfuscher“) von dieser Regelung mitumfasst. 17 Vgl Rattacher in Riedler (Hrsg), Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers (2019) Rücktrittsrechte; Leitner in Urtz (Hrsg), ÖStZ Spezial - Die neue Immobiliensteuer Update 2013 2 (2013) Steuerrechtliche Konsequenzen der Rückabwicklung einer Grundstücksveräußerung 472; Artmann/Haglmüller in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), Großkommentar zum ABGB - Klang-Kommentar - GesbR - §§ 1175 bis 1216e ABGB3 (2016) zu § 1192 ABGB Rz 35, Rz 18. Huber in Wiesner/Hirschler/Mayr (Hrsg), Handbuch der Umgründungen (17. Lfg 2018) zu § 32 UmgrStG Rz 4. 18 Vgl Klausberger in Keiler/Klauser (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verbraucherrecht zu § 3 KSchG (5. Lfg 2019) Rz 63; 4; Riedler in Schwimann/Kodek, § 870 ABGB Rz 18. 19 Vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 (2014) § 879 ABGB. 20 Vgl Bollenberger/Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) zu § 879 ABGB Rz 2. 21 Vgl OGH 3.3.1931, 4 Ob 99/31 SZ 13/76 (hier: Übertretung eines ausländischen Verbotsgesetzes). 22 Vgl Bollenberger/Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), § 879 ABGB Rz 3; Kolmasch in Schwimann/Neumayr (Hrsg), ABGB Taschenkommentar4 (2017) zu § 879 ABGB Rz 3. OGH 23.3.1983, 1 Ob 825/82 RDW 1984, 9; OGH 4.10.1989, 3 Ob 525/89 JBl 1990, 318. 23 Vgl OGH 9.9.1986, 6 Ob 135/66 JBl 1967, 432; OGH 28.3.1979, 3 Ob 522/78 SZ 52/52. 24 Vgl OGH 21.12.1967, 1 Ob 264/67 JBl 1968, 366. 02. November 2020 9/44
5.4. § 879 Abs 1, 2. Fall ABGB – Sittenwidrigkeit als Auffangtatbestand Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn ein Vertrag, eine Vertragsbestimmung, oder eine einseitige rechtserhebliche Handlung zwar nicht gegen eine konkrete rechtliche Norm verstößt, aber dennoch rechtswidrig ist.25 Rechtswidrig deswegen, weil eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung von rechtlich geschützten Interessen ergibt, bzw. ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und durch sie geförderten Interessen besteht.26 § 879 Abs 1, 2. Fall ABGB bildet daher einen Auffangtatbestand für solche Rechtsgeschäfte, die der Gesetzgeber nicht ausdrücklich mit einem Verbot belastet hat. Dabei sind bei der Beurteilung derartiger Rechtsgeschäfte die Grundrechte, die natürlichen Rechtsgrundsätze sowie die allgemein anerkannten Normen der Moral zu berücksichtigen.27 Die Normen, welche die guten Sitten begründen, finden sich jedoch nicht in den Gesetzen. Es ist daher zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit immer das Gesamtbild eines Rechtsgeschäftes entscheidend. Merkmale können die Ausnutzung von Machtpositionen (vergleiche Wucher), die Schädigung von unbeteiligten Dritten, Freiheitsbeschränkungen eines Vertragspartners, oder – wie oben erwähnt – schwere Äquivalenzstörungen sein. Abgestellt soll dabei immer weniger auf das Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft (also aller billig und gerecht Denkenden)28 werden, da dies eine relativ ungenaue und wenig nachvollziehbare Vorgangsweise darstellt.29 Ähnlich verhält es sich mit der Berufung auf die anerkannten Normen der Moral, zumal Moral ebenso ein individuelles und nicht allgemein gültiges Kriterium darstellt, welches für die Definition und Interpretation eines juristischen Tatbestandes nur ungenügend geeignet erscheint. Die Fälle einer möglichen sittenwidrigen Vereinbarung sind schier unüberschaubar. Für diese Arbeit interessant ist die Sittenwidrigkeit im Hinblick auf bestimmte Berufsstände, insbesondere die Angehörigen der Rechtsanwaltsberufe. Für diese gilt, dass ein Verhalten, welches im normalen Wirtschaftsleben völlig unbeanstandet wäre, für sie dennoch problematisch sein kann. Wie im Kapitel 2 bereits erwähnt, verlangt die Rechtsordnung von Rechtsanwälten im Rahmen ihrer Standesordnungen besondere Verhaltensweisen; einerseits zum Schutz ihrer Klienten, andererseits zum Erhalt des Vertrauens in den Berufsstand und nicht zuletzt in die Rechtsstaatlichkeit, sollen Rechtsanwälte doch eine wichtige Aufgabe zur Einhaltung der Rechtsordnung in der Gesellschaft einnehmen. Nichts desto trotz muss Standeswidrigkeit nicht automatisch Sittenwidrigkeit und damit die Nichtigkeit der betreffenden Vereinbarung bedeuten. Ob diese vorliegt, ist im Einzelfall zu prüfen. So wäre zum Beispiel die Vereinbarung eines überhöhten Anwaltshonorars erst dann sittenwidrig, 25 Kolmasch in Schwimann/Neumayr (Hrsg), ABGB Taschenkommentar4 (2017) zu § 879 ABGB Rz 4. 26 Bollenberger/Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, § 879 ABGB Rz 5; Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 8. 27 Dagegen: Riedler in Schwimann/Kodek (Hrsg), § 879 ABGB - Teil 1 Rz 8. 28 Vgl OGH 27.1.1954, 3 Ob 816/53 JBl 1954, 436. 29 Vgl wiederum: Riedler in Schwimann/Kodek (Hrsg), § 879 ABGB - Teil 1 Rz 8. 02. November 2020 10/44
wenn dieses auch zusätzliche Wuchertatbestände beinhaltet.30 Ebenso ist eine ohne Zustimmung des Mandanten erfolgte Zession der Honorarforderung eines Rechtsanwaltes deshalb nichtig, weil eine Zession nicht ohne Bekanntgabe der Daten des Klienten geschehen kann und diese daher das Verschwiegenheitsgebot des § 9 RAO verletzt (vgl S 17 und 37).31 5.4.1. Überhöhte Honorarforderung In 7 Ob 80/07a vom 18.4.2007 hat der OGH die außerordentliche Revision der klagenden Partei gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer hatte den Beklagten, einen Rechtsanwalt, wegen einer seiner Ansicht nach überhöhter Honorarforderung geklagt. Der Kläger machte nunmehr für einen Teil des Pauschalhonorars Sittenwidrigkeit und Wucher gem § 879 ABGB geltend. Sein Rechtsmittel wurde jedoch vom OGH mit der Begründung zurückgewiesen, dass selbst wenn gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren bei der Rechtsanwaltskammer wegen standeswidriger Vereinbarung eines zu hohen Honorars anhängig ist, reiche das Vorliegen einer Standeswidrigkeit nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung nicht für die Annahme einer Sittenwidrigkeit und daraus folgender Nichtigkeit iSd § 879 ABGB aus.32 In einer weiteren Rechtssache wegen überhöhten Rechtsanwaltshonorars, 7 Ob 8/06m vom 26.4.2006, wies der OGH den außerordentlichen Revisionsrekurs mangels Voraussetzung des § 528 Abs 1 ZPO (keine erhebliche Rechtsfrage) zurück, da es dem Revisionswerber nicht gelang, Argumente gegen die Nichtigkeit einer Streitanteilsvereinbarung (pactum de quota litis) zu formulieren. Hier war das ausschlagende Argument für die Entscheidung des OGH das Verbot der Streitanteilsvereinbarung, welches nicht nur dem Schutz des Ansehens des Rechtsanwaltsstandes dient, sondern vor allem dem Schutz der Klienten vor Übervorteilung durch den besser informierten Anwalt.33 5.4.2. § 63 RSTDG („Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz“) Der Wortlaut des RSTDG macht deutlich, dass der Gesetzgeber nicht nur Anwälte, sondern sämtliche Beteiligte in einer Jurisdiktion ähnlich strengen Maßstäben unterwerfen will, um den Rechtsunterworfenen einen Rechtsstandard zu gewährleisten, der modernen, demokratischen (Grundrechts-)Standards entspricht. Das RSTDG regelt das Dienstverhältnis der Richter und Staatsanwälte sowie der Anwärter zu beiden Berufen. Als Nebengeschäft iSd Gesetzes gilt jede Tätigkeit, die diese Personen 30 Vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 ABGB, Rz 58; OGH 8.1.1963, 8Ob 367/62, RS0038770. 31 Vgl OGH 19.9.2000, 10 OB 91/00. 32 Vgl OGH 18.4.2007, 7 Ob 80/07a. 33 Vgl OGH 26.4.2006, 7 Ob 8/06m. 02. November 2020 11/44
außerhalb ihres Dienstverhältnisses ausüben. Ein Richter darf keine Nebenbeschäftigungen ausüben, die die Würde seines Amtes beeinträchtigen und ihm die Ausübung seines Richteramtes nicht unwesentlich erschweren würden, sowie die Vermutung einer allfälligen Befangenheit in Ausübung seiner Richterpflichten hervorrufen könnten. Auch das zeitliche Ausmaß einer etwaigen Nebenbeschäftigung ist insofern zu beachten, als dass es die sorgfältige und pflichtbewusste Ausübung des Richteramtes gefährden könnte. Weiters darf er keine Organfunktion in einer juristischen Gesellschaft, die auf Gewinn ausgerichtet ist, ausüben und für eine derartige Funktion keinerlei Entgelt annehmen. Sollte der Richter eine mit diesen Grundsätzen vereinbarungsfähige Nebenbeschäftigung annehmen, so hat er umgehend die vorgesetzte Dienstbehörde zu informieren, welche diese Tätigkeit zu prüfen und eventuell in Form einer schriftlichen Weisung zu untersagen hat. 5.4.3. Nebenbeschäftigung Richter Die Rechtssache 4 Ob 134/19p vom 22.8.2019 verdeutlicht das einleitend Gesagte. Für Richter gilt derselbe Standard wie für Rechtsfreunde (Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Notare und alle die sich für solche ausgeben). Der OGH wies in o. a. Causa die außerordentliche Revision wegen Fehlens einer rechtserheblichen Frage gem § 508a Abs 2 iVm § 502 Abs 1 ZPO zurück. Eine Investorin kaufte im Jahr 1996 eine Liegenschaft in Salzburg. Sie beauftragte ihren Neffen, einen Rechtsanwalt, mit der Projektabwicklung, dieser wiederum einen Richter (Erstbeklagter) mit der Mitwirkung am Zustandekommen des Rechtsgeschäftes. Die Investorin schloss mit dem Neffen und mit dem Richter unbefristete Mietverträge ab, da sie an langfristigen Mietverhältnissen interessiert war. 2007 verkaufte die Investorin die Immobilie weiter. Der Käufer veräußerte diese wiederum an seinen Vater (Kläger). In den Verträgen wurde auf die existierenden Mietverträge hingewiesen. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Räumung der betreffenden Räumlichkeiten einerseits wegen Irrtums bezüglich der unbefristeten Mietvereinbarung, vor allem aber wegen Verstoßes gegen die guten Sitten iSd § 879 Abs 1 ABGB, weil der beklagte Richter durch seine Mitwirkung an der Projektabwicklung eine unzulässige Nebenbeschäftigung iSd § 63 RStDG ausgeübt hätte. Die Vorinstanzen wiesen das Räumungsbegehren ab. Arglistiges Verhalten liege nicht vor und § 63 RStDG ziele auf die Einhaltung und Sicherung der Unabhängigkeit und Neutralität des Rechtsprechungsorgans ab. Verstöße dagegen seien zwar disziplinär relevant, würden aber keinesfalls Nichtigkeit auf zivilrechtliche Vereinbarungen nach sich ziehen.34 34 Vgl hierzu Kolmasch in Schwimann/Neumayr, § 879 ABGB Rz 3; Bollenberger/Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, § 879 ABGB Rz 3; Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 3. 02. November 2020 12/44
Der OGH bestätigte die Rechtsansicht der Vorinstanzen bezüglich des Anfechtungsbegehrens des Klägers wegen List und führte zu § 63 RSTG aus: „Indem der Kläger sich auf den Verstoß des Erstbeklagten gegen § 63 Abs 6 RStDG berief, übersah er, dass diese standesrechtliche Bestimmung bezüglich der Meldepflicht über die Aufnahme einer erwerbsmäßigen Nebenbeschäftigung die Dienstbehörde in die Lage versetzen soll, die Nebenbeschäftigung im Fall einer möglichen Behinderung bei der Erfüllung der Dienstpflichten zu untersagen. Eine Verletzung der Meldepflicht ist grundsätzlich als bloße Ordnungswidrigkeit zu beurteilen und daher nur in Ausnahmefällen als Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG zu ahnden“.35 Verstöße gegen standesrechtliche Bestimmungen können zwar Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts begründen. Allerdings kommt es hier stets auf den konkreten Inhalt der jeweiligen Vorschrift an. Der Kläger hatte seine Argumentation zwar mit Beispielen aus der Rechtsprechung unterstützt, dabei aber übersehen, dass Standeswidrigkeiten alleine noch keine Nichtigkeit der Vereinbarung auslösen.36 5.4.4. Verzicht auf Klage Der OGH wies in 7 Ob 223/07f vom 17.10.2007 die außerordentliche Revision gemäß 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück (keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO).37 Selbst wenn der Verzicht des Anwaltes den Rechtsanspruch seines Klienten mit Klage durchzusetzen, als Standeswidrigkeit zu qualifizieren gewesen wäre, wie die außerordentliche Revision unterstellte, hätte dies nicht zwangsläufig die Sittenwidrigkeit der Verzichtsvereinbarung iSd § 879 ABGB zur Folge gehabt.38 5.4.5. § 4 RL – BA 2015 – Verjährungseinrede In 6 Ob 34/04z vom 27.5.2004 gab der OGH der Revision nicht Folge. Ein Kläger, der an Zuckerkrankheit litt, war bei einem Augenarzt in Behandlung und ließ sich in Folge in einem Landeskrankenhaus operieren. Über die Risiken der Operation wurde er nicht aufgeklärt. Der Kläger leitete ein Schiedsverfahren durch den beklagten Rechtsanwalt ein. Dieser holte von der Direktorin eine für die Gebietskörperschaft abgegebene Bestätigung ein, dass auf die Verjährungseinrede bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Abschluss des 35 OGH 22.8.2019, 4 Ob 134/19p. 36 Vgl OGH 14.5.1992, 6 Ob 553/92: Verstoß einer Honorarvereinbarung gegen § 16 Abs 2 bis 4 RAO; OGH 5.4.2000, 9 ObA 80/00f, Verstoß gegen § 36 RL-BA 1977 durch einen Vertrag über die Beteiligung eines Rechtsanwaltsanwärters am Unternehmen des Rechtsanwalts; auch OGH 26.11.2012, 9 Ob 34/12h. 37 Vgl OGH 17.10.2007, 7 Ob 223/07, RIS-Justiz RS0107199. 38 Vgl Anmerkungen zu Fußnote 35. 02. November 2020 13/44
Schiedsverfahrens verzichtet würde, übersah aber dabei, dass die Rechtsträgerschaft des Landes bereits auf eine neu gegründete GmbH übergegangen war. Die Schadenersatzklage gegen das Land als Rechtsträger des Krankenhauses, wurde daher wegen Verjährung abgewiesen, gegen die GmbH obsiegte der Kläger jedoch und schloss darauffolgend einen Vergleich. In weiterer Folge klagte der Kläger den Rechtsanwalt auf Schadenersatz und begehrte Feststellung, dass der Beklagte wegen Versäumens der rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den behandelnden Arzt und der dadurch wegen Verjährung abgewiesenen Schadenersatzansprüche gegen den Krankenhausträger entstandenen und zukünftigen Schäden haften sollte. Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht führte aus, dass ein Rechtsanwalt auf Grund seiner Bevollmächtigung für die sachverständige Vertretung seines Klienten hafte, wobei ein „Handeln unter einer vertretbaren Rechtsansicht noch keine Verletzung der Sorgfaltspflicht bedeute“.39 Wenn der Rechtsanwalt den Anspruch des Mandanten erst nach Eintritt der Verjährung geltend mache, so hafte er grundsätzlich. Eine ordentliche Revision wurde für zulässig erachtet, weil die Rechtsfrage, ob ein Vergleich über denselben Anspruch zur Verneinung des Feststellungsinteresses gegenüber den anderen Personen führen kann, eine erhebliche Rechtsfrage sei. Der Revisionswerber stützte sich auf § 3 RL-BA (heute § 4), „dass Einwendungen eines Anwalts gegen eine Forderung nicht die Ehre und das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes beeinträchtigen dürften“. Jedoch ist für die Annahme einer Sittenwidrigkeit oder Nichtigkeit gem § 879 ABGB das Vorliegen einer Standeswidrigkeit nicht ausreichend.40 Wenn die gesetzliche Norm nicht explizit anordnet, dass ihm widersprechende Geschäfte nichtig seien, so kommt es darauf an, ob der Verbotszweck die Ungültigkeit ausdrücklich verlangt, oder ob sich die verletzte Norm mit der Verhängung einer Bestrafung begnügt. Grundsätzlich sind Verträge gültig, wenn sich das Verbot nur an einen der beiden Partner richtet.41 Die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Standesregel dient nicht dem Schutz des Ansehens des Rechtsanwaltsstandes und nicht dem Schutz des Geschäftspartners oder Gegners des Rechtsanwalts.42 Daher ist die vom Revisionswerber erhobene Verjährungseinrede nicht als sittenwidrig zu beurteilen. 5.5. §§ 879 Abs 2 Z 2, 1. Fall ABGB – An sich Lösen einer Streitsache Ansichlösen meint die Übertragung des Eigentums oder den endgültigen Erwerb der streitverfangenen Sache, die Abtretung des streitigen Anspruchs an Zahlung statt und ferner jeden 39 Vgl OGH 27.5.2004, 6 Ob 34/04z. 40 RIS-Justiz RS0038374 25.09.1979, rdb.at. 41 RIS-Justiz RS0016840 25.09.1979, rdb.at. 42 Vgl OGH 27.5.2004, 6 Ob 34/04z. 02. November 2020 14/44
Akt, wodurch der Rechtsanwalt Teilhaber der Streitsache wird,43 etwa in der Form, dass sich ein Rechtsanwalt die strittige Forderung gegen Zahlung eines Teilbetrags zedieren lässt, um sie anschließend selbst einzutreiben.44 Nach § 879 Abs 2 Z 2, 1. Fall ABGB ist ein Vertrag nichtig, mit dem „ein Rechtsfreund eine ihm anvertraute Sache ganz oder teilweise an sich löst.“ Ein Verstoß gegen diesen Tatbestand zieht (absolute) Nichtigkeit nach sich. Forderungen daraus sind nicht durchsetzbar und im Hinblick auf eine solche Vereinbarung bereits erbrachte Leistungen können bereicherungsrechtlich gem § 877 ABGB45 zurückgefordert werden. Dieses Verbot des Ansichlösens der Streitsache betrifft auch artverwandte Berufe, wie Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Buchprüfer und Notare,46 weiters Personen, die sich als Angehörige einer der genannten Berufsgruppen ausgeben und diesen vorbehaltenen Leistungen erbringen.47 Für Rechtsanwälte und Notare soll diese Norm darüber hinaus auch für nicht berufstypische Tätigkeiten gelten.48 Versicherungsberater und Schadenshelfer49 sowie juristische oder natürliche Personen, die die Prozesskosten gegen einen entsprechenden Anteil am obsiegten Betrag übernehmen (Prozessfinanzierer)50 sind jedoch ausgenommen, solange der ihnen zukommende Betrag nicht wucherisch und daher sittenwidrig ist. Es geht vor allem um den Schutz des Mandanten, der üblicherweise in der Einschätzung des Prozesserfolges seinem Rechtsfreund unterlegen ist. Ihm fehlen in der Regel die Fachexpertise und Erfahrung, und er wird daher seinem Anwalt in dieser Beziehung immer im Nachteil sein.51 Aus diesem Grund ist ein Rechtsanwalt, der selbst Mandant ist, nicht schützenswert.52 Aber auch die Wahrung des Standesansehens wird als wichtiger Zweck dieser Norm angesehen. 5.5.1. Zession einer Honorarforderung (vgl S 11 und 33) In 10 Ob 91/00f vom 19.9.2000 entschied der OGH über die Revision zweier Rechtsanwälte gegen ein Urteil des Oberlandesgerichtes Wien. Ein dritter Rechtsanwalt besaß eine Honorarforderung gegen eine Journalistin, die beklagte Partei. Die klagenden Parteien vertraten den Rechtsanwalt bei der Geltendmachung seines Honorars gegenüber der Journalistin. Da der Rechtsanwalt (in Folge Zedent) einen 43 Gschnitzer in Klang/Gschnitzer, ABGB2 IV/1 (1968) 196; Wagner, JBl 2001, 416 (https://rdb.manz.at/document/rdb.tso.LI0107270019?execution=e1s2&highlight=JBL+2001%2C+416, abgefragt am 19.1.2020); Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 17. 44 Vgl hierzu: Kolmasch in Schwimann/Neumayr, § 879 ABGB Rz 9; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 Rz 17. 45 Condictio sine causa. Diese Norm wird auf alle verbotenen und sittenwidrigen Verträge angewandt. Vgl https://rdb.manz.at/document/1101_1_abgbrummel_abgb_p0877, abgefragt am 19.1.2020. 46 Vgl OGH 26.4.2006, 7 Ob 8/06m; OGH 23.2.1992, 5 Ob 28/99z. 47 Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 16; OGH 13.4.1999, 4 Ob 81/99m. 48 Vgl OGH 26.4.2006, 7 Ob 8/06m. 49 Vgl OGH 13.4.1999, 4 Ob 81/99m. 50 Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 17; OGH 13.7.1994, 3 Ob 503/93. 51 Vgl OGH 19.9.2000,10 Ob 91/00f. 52 Vgl OGH ebendort. 02. November 2020 15/44
Liquiditätsengpass erlitt, übertrug er seine Honorarforderung an die beiden Rechtsanwälte (Zessionare). Zedent und Zessionare hielten vertraglich fest, dass diese Vereinbarung kein pactum de quota litis darstellen sollte. Sie verzichteten sowohl in zivil- als auch in standesrechtlicher Hinsicht auf die Geltendmachung dieser Einrede. Die positive Erledigung eines diesbezüglichen Auskunftsersuchens an den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer war also für die Vertragspartner Voraussetzung für die Wirksamkeit dieses Rechtsgeschäftes. Nachdem die beiden Rechtsanwälte die Klage beim Erstgericht eingebracht hatten, beantragte die Journalistin die Abweisung des Klagebegehrens. Die Zessionsvereinbarung leide unter zwei Nichtigkeitsgründen: einerseits werde die streitverfangene Sache im Sinne des § 879 Abs 2 Z 2 ABGB an sich gelöst und verstoße andererseits gegen die in § 9 Abs 2 RAO gesetzlich normierte anwaltliche Verschwiegenheitspflicht, weshalb Nichtigkeit auch nach § 879 Abs 1 ABGB vorliege (vgl S 36). Das Erstgericht wies die Klage ab. Auch das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Berufung bewerte die Gültigkeit der vorliegenden Zession im Sinne der anwaltlichen Verschwiegenheit und lege dar, dass die Zession für sich kein verbotenes „pactum de quota litis“ darstelle. Nach § 879 Abs 2 Z 2 2. Fall ABGB könne Nichtigkeit aber auch durch das Ansichlösen (§ 879 Abs 2 Z 2 1. Fall ABGB) einer streitverfangenen Sache vorliegen, worauf die Berufung nicht einginge. Ansichlösen einer streitverfangenen Sache ziehe Nichtigkeit nach sich.53 Als Ansichlösen der Streitsache werde jede Vereinbarung oder Verfügung, durch die ein Rechtsanwalt Eigentum an einer Streitsache erwirbt, angesehen.54 Da die Kläger den Zedenten schon bei der Geltendmachung seiner Honorarforderungen an die Beklagte vertreten hätten, sei die Streitsache den klagenden Anwälten bereits vor der Zession anvertraut gewesen. Die Honoraransprüche wurden von der Beklagten auch in weiterer Folge nicht beglichen. Darum seien diese zum Datum der Zessionsvereinbarung nach wie vor streitverfangen gewesen. Ein Ansichlösen einer anvertrauten Streitsache liege bereits mit der vertraglichen Übereinkunft bezüglich der Abtretung streitverfangener Ansprüche vor. Daher handle es sich in casu um den Verkauf/Kauf einer Honorarforderung, welcher als nichtig angesehen werden müsse. Daher hätten die beiden Anwälte die ihnen vom Zedenten überlassene Streitsache durch den Kauf der Honorarforderungen an sich gelöst und damit den Tatbestand des § 879 Abs 2 Z 2 ABGB erfüllt, welcher solche Vereinbarungen als sittenwidrig und daher für absolut nichtig erklärt. 53 So auch Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 16. 54 Vgl OGH 18.3.1959, 5 Ob 40/59; OGH 24.9.1996, 5 Ob 2320/96d. 02. November 2020 16/44
„Die zitierte Bestimmung diene nicht nur dem Schutz des Klienten, der die Prozessaussichten nicht abschätzen könne, sondern auch dem Schutz des Ansehens des Rechtsanwaltsstandes“.55 Der OGH sah in casu das "Ansichlösen" differenzierter und sprach aus, dass es einen Unterschied macht, ob ein Rechtsfreund eine ihm anvertraute Streitsache, oder eine einem anderen Rechtsanwalt anvertraute Sache an sich löst. In casu muss zwischen anvertrauter Streitsache oder einem anderen Rechtsfreund gehörende Streitsache unterschieden werden. Der vorrangige Zweck der Nichtigkeitsdrohung ist der Schutz der Klienten, welche die Prozessaussichten nicht abschätzen können.56 Es steht einem Anwalt daher frei, die Streitsache eines anderen Advokaten an sich zu lösen.57 Ein Wissensnachteil besteht nicht bei einem Klienten, der selbst Anwalt ist. Daher ist der Tatbestand des Ansichlösens einer streitverfangenen Sache im Sinne des § 879 Abs 2 Z 2 ABGB hier nicht gegeben. 5.6. § 879 Abs 2 Z 2, 2. Fall ABGB – „pactum de quota litis“ Unter einem „pactum de quota litis“ versteht man nach § 879 Abs 2 Z 2 2. Fall ABGB die prozentuelle Bemessung des Honorars nach dem ersiegten Erfolg. Selbst angemessene Honorare wären nach dieser Norm unzulässig. Das quota litis Verbot kann als Individualschutznorm gesehen werden. Es soll damit der Klient des Rechtsfreundes vor unlauteren Spekulationen geschützt werden, da dieser – auf Grund seines fachlichen Wissens und seiner informativen Möglichkeiten – immer gegenüber dem Anwalt im Nachteil sein wird.58 Problematisch wird diese Ansicht, wenn man bedenkt, dass die Vereinbarung eines zahlenmäßig fest bestimmten Erfolgshonorars von der Rechtsprechung durchaus als zulässig angesehen wird59. Auch ein für den Fall des Misserfolges bestimmter, niedrigerer Honorarbetrag wird akzeptiert, falls die für den Erfolg oder Misserfolg festgesetzten Beträge nicht in einem auffallenden Missverhältnis stehen.60 Das Erfolgshonorar darf nicht so gestaffelt sein, dass es einer Streitanteilsvereinbarung (quota litis) gleichkommt.61 Eine weitere, nicht unwichtige Sichtweise kann darin begründet werden, dass das Verbot der quota litis nach 879 Abs 2 Z 2 ABGB auch und vor allem dem Ansehen des Berufstandes dient.62 Nach Brandstetter soll überdies verhindert werden, dass die Unabhängigkeit des Rechtsfreundes beeinträchtigt und dieser den Prozess zu seiner eigenen wirtschaftlichen Angelegenheit macht.63 55 Vgl OGH 19.9.2000, 10Ob91/00f. 56 Vgl ebendort. 57 So auch Kolmasch in Schwimann/Neumayr, § 879 ABGB Rz 8. 58 Gschnitzer in Klang/Gschnitzer, ABGB2 IV/1, 196; Krejci in Rummel, ABGB3 § 879 Rz 206; OGH 7 Ob 474/56, SZ 29/78; OGH 23.2.1999, 5 Ob 28/99z, RdW 1999, 463 = HS 30.356. 59 Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 2 Rz 17; OGH 23.2.1999, 5 Ob 28/99z. 60 OBDK 28.5.1990, Bkd 21/90, AnwBl 1991/3617 (1.1.1991) 25. 61 Keinert, Das zivilrechtliche Verbot der quota litis, in Buchegger/Burgstaller/Keinert/Kininger/Rinner (Hrsg), Beiträge zum Zivilprozeßrecht (1982) 106 ff und 110. 62 Vgl Riss, RdW 2010, Heft 12, 16.12.2010, 762; Kolmasch in Schwimann/Neumayr, § 879 ABGB Rz 8; OGH 5.10.1966, 6 Ob 311/66. 63 Brandstetter, quota litis, Lexis Briefings in lexis360.at (28.3.2020) abgerufen am 19.8.2020. 02. November 2020 17/44
Riedler folgend liegt nach der Rechtsprechung ein nach § 879 Abs 2 Z 2 unzulässiges pactum de quota litis dann vor, wenn sich „die Höhe des Honorars ausschließlich an einem Teil des ersiegten Betrages orientiert, also für den Fall des Nichterfolges gar kein oder nur ein unverhältnismäßig geringes Honorar vereinbart ist“.64 Folglich liegt auch nach Riedler eine derartige Streitanteilsvereinbarung dann vor, wenn das vereinbarte – wenn auch angemessene – Honorar prozentuell nach dem ersiegten Betrag bestimmt wird. Honorarvereinbarungen, welche bei Erfolg ein sehr hohes und bei Misserfolg ein relativ niedriges Entgelt vorsehen, unterliegen daher der Bestimmung des § 879 Abs 2 Z 2. Pauschalhonorare die sich nach einem gewissen Prozentsatz des Streitwertes bestimmen, sind aber zulässig. Für Riedler ist vor diesem Hintergrund die rechtspolitische Rechtfertigung des quota litis Verbotes fragwürdig.65 Differenziert argumentiert auch Brandstätter, wenn er diese Verbotsnorm sowohl verfassungs- als auch europarechtlich für unbedenklich hält: „Das Verbot der quota litis ist in der Lehre sehr umstritten, da viele es als rechtspolitisch ungerechtfertigt ansehen. Der VfGH hat das Verbot jedoch bereits mehrmals bestätigt. Gegen das Verbot des pactum de quota litis bestehen auch keine europarechtlichen Bedenken.“ 66 Betroffen sind nicht nur Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Buchprüfer und Wirtschaftsprüfer, sondern auch Personen, die diesen Berufsgruppen vorbehaltene Leistungen erbringen, ohne dazu berechtigt zu sein.67 Dass sie den Anschein erwecken, einer dieser Berufsgruppen anzugehören, ist nicht erforderlich. Im angloamerikanischen Raum wird diese Problematik gänzlich anders gesehen. Streitanteilsvereinbarungen sind dort absolut üblich. Dies führt dazu, dass sich Anwälte bei potentiellen Klienten intensiv um die Beauftragung einer voraussichtlich lukrativen Streitsache bewerben. Dies mag dem europäischem Standesdenken "abträglich" für das Ansehen seines Berufsstandes erscheinen. Es hat allerdings auch den Vorteil für die Klienten – selbst für wenig Vermögende – dass sie ohne Kostenrisiko den Klagsweg bestreiten können. Der Anwalt wird seinerseits nur dann für eine derartige Vorgangsweise werben, wenn sie ihm aussichtsreich erscheint. Dadurch ist für alle Beteiligten – nicht zuletzt auch für den das Rechtssystem finanzierenden Steuerzahler – eine betriebswirtschaftlich und volkwirtschaftlich vorteilhafte Situation gegeben. 5.6.1. Rechtsanwaltsfremde Leistungen durch Anwälte Auch die Frage, wie weit das Streitanteilsverbot für Anwälte reicht, ist eine eigene Betrachtung wert. Denn viele Anwälte sind nicht nur in ihrem originären Umfeld, nämlich als rechtsfreundlicher 64 Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 2 Rz 17. 65 Riedler, ebendort. 66 Brandstetter, quota litis, Lexis Briefings in lexis360.at (28.3.2020) abgerufen am 19.8.2020. 67 Wiederum Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 2 Rz 16; OGH 17.7.2018, 4 Ob 14/18i, rdb.at. 02. November 2020 18/44
Berater und Verteidiger ihrer Klienten tätig, sondern versuchen, ihr Geschäftsfeld durch laterale Diversifikation zu erweitern. Sie nützen ihre Kontakte, um zum Beispiel im Immobiliengeschäft oder in anderen Wirtschaftszweigen tätig zu werden. 5.6.2. Rechtsanwalt als Immobilienvermittler In GH 26 Os 9/14 I vom 15.6.2015 stellte der OGH gemäß Art 89 Abs 2 B-VG iVm Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, § 51 RL-BA 1977 (Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters)68 wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben. Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hatte in diesem Verfahren über eine Berufung des Kammeranwalts gegen ein freisprechendes Erkenntnis des Disziplinarrats der Wiener Rechtsanwaltskammer zu entscheiden. Nicht bestritten wurde der vom Disziplinarrat festgestellte Sachverhalt. Der Beschuldigte, der auch als eingetragener Anwalt tätig war, beschäftigte sich schon mehreren Jahren mit dem Kauf und Verkauf von Liegenschaften. Dazu gründete er eine GmbH, deren Alleingesellschafter und selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer er war. Diese GmbH hatte alle notwendigen Gewerbeberechtigungen. Der Beschuldigte war vornehmlich als Masseverwalter tätig und hatte daher Zugriff auf Immobilien der von ihm verwalteten Unternehmen. Er vermittelte diese Immobilien an andere Masseverwalter, wobei er diesen jedoch kein Honorar in Rechnung stellte, sondern seine Provisionsansprüche – in der Regel 3 % vom Kaufpreis – ausschließlich gegenüber den späteren Käufern geltend machte. Der Anwalt achtete penibel auf die Trennung seiner Dienstleistungen als Rechtsanwalt von jener als Geschäftsführer der GmbH. Die anwaltliche Betreuung der Abschlüsse und die Errichtung der Kaufverträge übernahm in den meisten Fällen der Masseverwalter selbst. Dier Berufung richtete sich nunmehr gegen die Rechtseinschätzung des Disziplinarrates. Dieser begründete den Freispruch damit, dass der Beschuldigte nicht gegen das Verbot des § 51 RL-BA 1977 verstoßen habe, welcher für Rechtsanwälte ein absolutes Verbot Provisionen zu vereinbaren, normierte. Zu prüfen blieb, ob ein Rechtsanwalt, der gleichzeitig Gesellschafter und Geschäftsführer einer Immobilienmaklergesellschaft war, solche Geschäfte abschließen dürfe. Eine Norm, welche einem Anwalt außerhalb seiner anwaltlichen Tätigkeit die Vereinbarung eines Maklerlohns verbiete, sei nach Auffassung des Disziplinarrates nicht existent. Eine solche Norm würde auch in die verfassungsrechtlich geschützten Rechte auf Freiheit der Erwerbstätigkeit und auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 und 6 StGG) 68 § 51 RL-BA 1977 lautete: „Dem Rechtsanwalt ist es ausnahmslos untersagt, für seine Tätigkeit einen Maklerlohn (Provision) zu vereinbaren oder entgegenzunehmen“. 02. November 2020 19/44
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