NICHTIGKEIT VON RECHTSGESCHÄFTEN WEGEN VERSTOSS GEGEN ANWALTLICHES BERUFS- ODER STANDESRECHT - JKU ePUB

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NICHTIGKEIT VON                         Ernest Schinewitz,
                                        MLS

RECHTSGESCHÄFTEN
WEGEN VERSTOSS
                                        Angefertigt am
                                        Institut für Zivilrecht

GEGEN                                   Beurteiler /

ANWALTLICHES                            Beurteilerin
                                        Univ.-Prof. Mag. Dr.

BERUFS- ODER                            Andreas Geroldinger

STANDESRECHT                            Mitbetreuung
                                        -

                                        Oktober/2020

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magister der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
Rechtwissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        jku.at
                                        DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich
oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Wien, 2.11.2020

Ernest Schinewitz

02. November 2020                                                                              2/44
Inhaltsverzeichnis

0.     Gender Erklärung .................................................................................................... 4
1.     Grund meines Studiums der Rechtswissenschaften .......................................... 4
2.     Anwaltliche Berufs- und Standespflichten ........................................................... 4
3.     Für Rechtsanwaltsberufe speziell geltende Rechtsnormen. .............................. 5
4.     Nichtigkeit ................................................................................................................ 5
5.     Die Bestimmung des § 879 ABGB ......................................................................... 6
     5.1.      § 879 ABGB als Zentralnorm der Inhaltskontrolle .................................................... 6
     5.2.      Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB ........................................................................... 7
       5.2.1.       Absolute und relative Nichtigkeit ............................................................................................. 7
       5.2.2.       Gesamt- oder Teilnichtigkeit .................................................................................................... 8
       5.2.3.       Ex tunc versus ex nunc ........................................................................................................... 8
     5.3.      § 879 Abs 1, 1. Fall ABGB – Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot ..................... 9
     5.4.      § 879 Abs 1, 2. Fall ABGB – Sittenwidrigkeit als Auffangtatbestand .................... 10
       5.4.1.       Überhöhte Honorarforderung ................................................................................................ 11
       5.4.2.       § 63 RSTDG („Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz“) ........................................... 11
       5.4.3.       Nebenbeschäftigung Richter ................................................................................................. 12
       5.4.4.       Verzicht auf Klage ................................................................................................................. 13
       5.4.5.       § 4 RL – BA 2015 – Verjährungseinrede ............................................................................... 13
     5.5.      §§ 879 Abs 2 Z 2, 1. Fall ABGB – An sich Lösen einer Streitsache....................... 14
       5.5.1.       Zession einer Honorarforderung (vgl S 11 und 33) ............................................................... 15
     5.6.      § 879 Abs 2 Z 2, 2. Fall ABGB – „pactum de quota litis“........................................ 17
       5.6.1.       Rechtsanwaltsfremde Leistungen durch Anwälte .................................................................. 18
       5.6.2.       Rechtsanwalt als Immobilienvermittler .................................................................................. 19
       5.6.3.       Anwaltsähnliche Berufe ......................................................................................................... 22
       5.6.4.       Versicherungsbüro als Schadenshelfer ................................................................................. 23
       5.6.5.       Beratung in Außenhandelsfragen .......................................................................................... 24
       5.6.6.       Werkvertrag ........................................................................................................................... 25
     5.7.      § 8 RAO – Vertretungsrecht des Rechtsanwaltes................................................... 25
       5.7.1.       Spielerschützer ...................................................................................................................... 26
       5.7.2.       Streitanteilsvereinbarung mit Ausländer ................................................................................ 27
     5.8.      §§ 16 Abs 2 RAO, 51 RL-BA 2015 ............................................................................. 28
       5.8.1.       Nachträgliches Honorar für Verfahrenshilfe .......................................................................... 29
       5.8.2.       Umwandlung Verfahrenshilfe im Innenverhältnis .................................................................. 30
     5.9.      § 9 Abs 2 RAO – Verletzung der Verschwiegenheit................................................ 32
       5.9.1.       Zession einer Honorarforderung – 9 RAO (vgl S 15) ............................................................ 33
       5.9.2.       Zession eines Darlehens ....................................................................................................... 34
     5.10.     § 36 RL-BA 1977 – Verbot der Beteiligung eines Rechtsanwaltsanwärters ................ 34
       5.10.1.          Darlehen/Umgehungsgeschäft .......................................................................................... 35
6. Übersicht und Analyse der in dieser Arbeit besprochenen OGH
Entscheidungen ............................................................................................................ 37
7.     Rechtliche Würdigung .......................................................................................... 38
8.     Conclusio ............................................................................................................... 40
9.     Literaturverzeichnis/Quellen ................................................................................ 41
10.         Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... 44

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0. Gender Erklärung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die Sprachform des generischen
Maskulinums angewandt. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche
Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

1. Grund meines Studiums der Rechtswissenschaften

Der Grund meines JUS-Studiums ist bei Univ. Prof. Dr. Karl Hannak (Ɨ) zu suchen. Karl Hannak
war Professor für Zivilrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und unterrichtete auch die
Teilnehmer des Bilanzbuchhalterkurses des Wirtschaftsförderungsinstitutes Wien. Dies auf derart
spannende Art und Weise, dass in mir der Wunsch entstand, mich mit dieser Materie genauer
auseinander zu setzen. Auf Grund meiner familiären und beruflichen Situation dauerte es fast drei
Jahrzehnte, bis ich mir diesen Wunsch erfüllen konnte.

2. Anwaltliche Berufs- und Standespflichten

Rechtsanwälte zählen in Österreich zu den freien Berufen. Diese unterscheiden sich von anderen
gewerblichen Professionen durch besondere Berufs- und Standespflichten. „Ubi societas ibi ius“,
wo Gesellschaft ist, da ist Recht, hatte schon Aristoteles postuliert. Für die Umsetzung dieses
Rechts kommt dem Anwalt eine besondere Rolle zu. Daher definiert § 1 RL-BA 2015 für den
Anwalt besondere Anforderungen an seine rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung,
seine Verschwiegenheit, seine Vertrauenswürdigkeit, seine Unabhängigkeit und an seine
Fähigkeit, für die Verteidigung der Grundrechte und die Wahrung von Freiheit und Rechtsfrieden
einzutreten.1 Dies erfordert einen differenzierten Zugang zum Erwerbseinkommen im Vergleich
zu anderen Wirtschaftstreibenden. „We never have and never will set any financial targets“ stand
als Slogan in einem Geschäftsbericht einer großen schwedischen Anwaltskanzlei2. Nicht
kurzfristiges Gewinnstreben, sondern die qualitativ hochwertigste Leistung für die Klienten soll im
Vordergrund stehen. Dieses als „lock-step“ bezeichnete Entlohnungsprinzip fand schon in
römischer Zeit seine Ausprägung für Ärzte oder Rechtsberater und verlangte diesen
Berufsständen grundsätzlich unentgeltliche Dienstleistung ab („honorium beneficium“).

1
    Vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 RL-BA 2015 (Stand 15.9.2018, rdb.at).
2
    Mannheimer Swartling, Annual and Sustainability Report 2017, 36.
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3. Für Rechtsanwaltsberufe speziell geltende Rechtsnormen.

Für mit Sitz in Österreich tätige Anwälte gilt die RAO (Rechtsanwaltsordnung).3 Weiters sind die
RL-BA 2015 (Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes) sowie weitere Vorschriften,
wie z.B. ARAG (Ausbildungs-und Berufsprüfungsanrechnungsgesetz), AHK (Allgemeine
Honorarrichtlinien), DSt (Disziplinarstatut), GeO-ÖRAK (Geschäftsordnung des österreichischen
Rechtsanwaltskammertages),            Grundsätze        der     Strafverteidigung       (Arbeitsgruppe   des
österreichischen         Rechtsanwaltskammertages),           RATG        (Rechtsanwaltstarifgesetz),    RL
Collaborative Law ( Kooperatives Anwaltsverfahren), RL-Mediation (Richtlinie für die Tätigkeit von
Rechtsanwälten im Rahmen von Mediation), Urkundenrichtlinie sowie die Schlichtungsordnung
der Rechtsanwaltskammer Wien. Auf europäischer Ebene sorgt die Organisation CCBE (Rat der
Europäischen Anwaltschaften) für einheitliche Arbeitsregeln für Anwälte mit der „Charta der
Grundprinzipien der Europäischen Rechtsanwälte“.

                4. Nichtigkeit

Die Nichtigkeit ist in vielerlei Bestimmungen geregelt, so vor allem im Zivilrecht in den
Bestimmungen für die sogenannten AGBs oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen4 und hat im
Konsumentenschutzrecht grundsätzlich den Schutz des schwächeren Vertragspartners im
Blickfeld (vgl § 6 KschG).
Auch europarechtliche Bestimmungen5 wirken in Form von Richtlinien mittelbar und sofern ihr
Normzweck hinreichend klar und eindeutig ist und der nationale Gesetzgeber die Richtlinie nicht
fristgerecht umgesetzt hat, unmittelbar auf das nationale Recht6. Zentral ist dabei stets die Frage,
ob die Nichtigkeitsbestimmung den gesamten Vertrag für ungültig erklären will oder nur
Teilnichtigkeit als Rechtsfolge verlangt. In den meisten Fällen bewegen wir uns im Bereich des
zwingenden Rechts, d.h. ein Ausschluss dieser Nichtigkeitsgründe würde gem 879 ABGB gegen
die guten Sitten verstoßen und damit Nichtigkeit der Vereinbarung bewirken. Rechtsanwälte
werden unter bestimmten Bedingungen unter dem Terminus „Rechtsfreund“ in § 879 ABGB den
Rechtsfolgen der Nichtigkeit unterworfen.

3
  Die Urfassung löste die provisorische Rechtsanwaltsordnung vom 16. August 1849 ab und wurde im
Reichsgesetzblatt (RGBl) Nr. 96 im Jahre 1868 veröffentlicht und trat mit 1. Jänner 1869 in Kraft.
4
  Vgl § 864a ABGB.
5
  Vgl RL 93/13/EWG 5.4.1993, Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.
6
  Vgl EUGH 4.12.1974, C-41/74 Van Duyn; OGH 17.5.2004, 1 Ob 57/04w17.

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5. Die Bestimmung des § 879 ABGB

          5.1.      § 879 ABGB als Zentralnorm der Inhaltskontrolle

Der § 879 ABGB erfasst private Rechtsgeschäfte aller Art und verhindert so den Missbrauch der
Privatautonomie. In diesem Fall werden solche Rechtsgeschäfte eliminiert. Zuständig dafür sind
die Gerichte. Die Norm des § 879 Abs 1 ABGB kann man auch als Generalnorm bezeichnen,
indem sie gesetzliche Verbote und gute Sitten erfasst, ohne diese Termini zu definieren. Nach §
879 Abs 1 1. Fall muss sich die Nichtigkeit aus den gesetzlichen Verboten der jeweiligen Normen
ergeben. Darüber hinaus verfolgt § 879 Abs 1 2. Fall das Ziel, den Missbrauch der
Privatautonomie auch dort einzuschränken, wo der Gesetzgeber keine entsprechenden Regeln
erlassen hat, es aber dem „allgemeinen Rechtsgefühl“ und den historisch gewachsenen
Geschäftsgebarungen widersprechen würde, wenn Rechtsgeschäfte gelten, die den sogenannten
„guten Sitten“ widersprächen. Hier kommt der historisch dispositive Charakter des ABGB zum
Ausdruck, der noch nicht zur Gänze vom gesatzten Recht überlagert worden ist. 200 Jahre nach
der Verlautbarung des ABGB hat sich die Gesellschaft doch wesentlich in Richtung Pluralismus
verändert, sodass der Begriff der guten Sitten heute deutlich differenzierter betrachtet wird. Dies
bringt eine erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich und es muss daher bei der Interpretation des §
879 im Regelfall auf höchstgerichtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

Nach Krejci können nicht nur Verträge, Testamente, Notariatsakte, sondern sogar gerichtliche
Vergleiche gegen § 879 verstoßen, sodass sich der Rechtsunterworfene letztlich nur auf
rechtskräftige Gerichtsurteile stützen kann.7

Die Unerlaubtheit und damit Nichtigkeit von Rechtsgeschäften manifestiert sich vor allem auch
bei Verletzung fundamentaler Rechtsgrundsätze, insbesondere bei jener von Grundrechten. Der
österreichische Grundrechtskatalog, die Staatsgrundsätze von 1867 sind zwar als Abwehr- und
Freiheitsrechte gegenüber der Staatsgewalt ausgelegt und wirken daher grundsätzlich nur
bilateral,      also   Individuum   gegen    den    Staat,   ausnahmsweise     entfalten   aber     einige
Rechtsgrundsätze Drittwirkung (Grundsatz der mittelbaren Drittwirkung), also Wirksamkeit
zwischen Rechtsanwendern untereinander. Dazu gehört insbesondere die Norm des § 879 ABGB,
die auch über die Sittenwidrigkeit auf die Rechtsgestaltung der Bürger und Bürgerinnen einwirkt.
Hier steht vor allem der Schutz des Einzelnen vor Missbrauch von Übermacht bei nachteiliger
privatautonomer         Rechtsgestaltung     des     stärkeren    Vertragspartners   im    Fokus.     Bei
rechtsfreundlichen Vertretungen wird der Anwalt seinem Klienten in der Einschätzung der
Wahrscheinlichkeit des Erfolges oder Nichterfolges einer Rechtssache in der Regel überlegen

7
    Vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 ABGB (Stand 1.11.2014, rdb.at).

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sein. Hier wirkt die Norm des § 879 für den Klienten nachteiligen Vertragsbestimmungen entgegen
und nimmt zusätzlich im Absatz 2 (Ansichlösen einer Rechtssache, quota litis) implizit Bezug auf
die Geschäftsbeziehung zwischen Anwalt und Klient.

          5.2.      Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB

                5.2.1. Absolute und relative Nichtigkeit

Die Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB ist differenziert zu betrachten. Sie definiert sich nach dem
Zweck und Umfang der Verbotsnorm oder einer Vertragsbestimmung. Nichtigkeit liegt vor, wenn
gesetzliche Bestimmungen dies ausdrücklich normieren, oder wenn dies die teleologische
Auslegung der Norm erfordert, auch wenn eine ausdrückliche Nichtigkeitsbestimmung in der Norm
fehlt.8 Eine Analogie nach einer „salomonischen Klausel“ anzunehmen, wäre allerdings verfehlt.
Es erwachsen aus der begründeten Nichtigkeit keine nicht vereinbarten Leistungsansprüche, die
– wären sie vereinbart gewesen – den Vertrag gültig gemacht hätten. Selbstverständlich kann
man Nichtigkeit vertraglich nicht von vorneherein ausschließen.

Generell ist zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit zu unterscheiden. Gesetzwidrigkeit
hat absolute Nichtigkeit zur Folge, wenn die Verbotsnorm dem Schutz von Allgemeininteressen
oder dem Schutz unbeteiligter Dritter dient.

Die absolute Nichtigkeit ist „ex officio“ aufzugreifen und muss nicht vom Benachteiligten
eingewendet werden. Immer dort, wo es um den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit
geht, wird absolute Nichtigkeit zu prüfen sein.
Auf die absolute Nichtigkeit kann sich jedermann berufen, selbst jener Vertragspartner, der die
Nichtigkeit schon bei Vertragsabschluss kannte. Die absolute Nichtigkeit liegt im Interesse des
Ansehens des Rechtsanwaltsstandes. Sie wirkt „ex tunc“ und lässt den Vertrag von Anfang an
unwirksam werden.9

Relative Nichtigkeit liegt vor, wenn die Verbotsnorm Individualinteressen schützen soll.
Die relative Nichtigkeit ist nur auf Einwendung zu berücksichtigen. Nur Personen, die durch das
verletzte Verbot geschützt sind, können sich darauf berufen.10
Auf die relative Nichtigkeit einer Vertragsstelle kann sich jedoch nur der verkürzte Vertragspartner
berufen. Der Benachteiligende ist an seine Vereinbarung gebunden. Relative Nichtigkeit ist daher

8
   Vgl Kolmasch, Gesetzwidrigkeit, Lexis Briefings in lexis360.at (Stand 14.6.2020); OGH 4.7.1956, 7 Ob 657/81.
9
  Kolmasch, Gesetzwidrigkeit, Lexis Briefings in lexis360.at (Stand 14.6.2020).
10
   Vgl Kolmasch, ebendort.
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nicht „ex officio“, sondern nur auf Einwendung einer Partei anzuwenden, die aber auch das Recht
hat, sich auf eine solche Vertragsbestimmung einzulassen.

Wenn die den verkürzten Vertragspartner schützende Norm aber zugleich öffentliche Interessen
schützt, die absolute Nichtigkeit erfordern, ist von Amts wegen von der Ungültigkeit der
Vereinbarung auszugehen.11
Laut OGH kann sich selbst derjenige, welcher gegen § 879 ABGB verstoßen hat, auf die
Nichtigkeit berufen: „Ob der „Arbeitsvertrag auf Leistungen gerichtet war, die zur Befriedigung
ideeller oder materieller Bedürfnisse dienten, die mit der Rechtsordnung in Einklang stehen, ist
für die kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den Begriff „Arbeitsvertrag“ ohne Bedeutung (hier
Pornofilmdarstellerin)“.12

                5.2.2. Gesamt- oder Teilnichtigkeit

Ob Gesamt- oder Teilnichtigkeit vorliegt, ist ebenfalls mit dem Zweck der Norm zu prüfen. So sind
zum Beispiel Mietverträge, die mit unzulässigen Ablösevereinbarungen ausgestattet sind, nicht
zur Gänze nichtig. Nichtig sind nur jene Bestimmungen, die die ungesetzliche Ablöse betreffen,
während ansonsten ein gültiger Mietvertrag zustande gekommen ist.13
Die Teilungültigkeit einer Vereinbarung hat solange keine Auswirkung auf deren gültige
Bestimmungen, solange nicht wesentliche Vertragsbestandteile berührt werden.14 Sollte eine
solche Bestimmung nur infolge ihrer zeitlichen, umfänglichen oder räumlichen Ausdehnung
sittenwidrig sein, so führt das noch nicht zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages, vielmehr hat das
Gericht die sittenwidrige Klausel auf ein nicht mehr wegen Sittenwidrigkeit zu beanstandendes
Ausmaß              zu         reduzieren   („geltungserhaltende      Reduktion“).15    Sollten      einzelne
Vertragsbestimmungen nichtig sein, so ist primär der Normzweck entscheidend, ob die gesamte
Vereinbarung nichtig ist, oder die Gültigkeit der übrigen vertraglichen Bestimmungen aufrecht
bleibt.16

                5.2.3. Ex tunc versus ex nunc

Einerseits geht ein Teil der Lehre von einer ex tunc Wirkung als Regelfall der Nichtigkeit aus.
Andererseits             ist    diese   Problematik   bei   bereits   im   Erfüllungsstadium      befindlichen

11
   VGL Riedler in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar4 (2014) zu § 879 ABGB - Teil 3 Rz 47.
12
   Vgl OGH 18.11. 1986, 14 Ob 192/86.
13
   Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 3 Rz 51; OGH 6.6.1973, 5 Ob 73/73 JBL 1973, 617.
14
   Vgl OGH, 3.2.1960, 5 Ob 597/59.
15
   Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 3 Rz 51.
16
   Vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 ABGB (Stand 1.11.2014, rdb.at) Rz 514.
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Dauerschuldverhältnissen nicht leicht zu lösen.17 Obwohl die Rückabwicklung von bereits erfüllten
Verträgen fast immer mit großen Schwierigkeiten verbunden sein wird,18 erfordert es die
Grundidee des § 879 einen solcherart geschlossenen Vertrag mit ex tunc Wirkung zu vernichten.
Relative Nichtigkeit wird eher dort anzuwenden sein, wo die Normverletzungen gelinder
ausgefallen sind, sodass die Rückabwicklung im Verhältnis zur Normverletzung einen weitaus
größeren Eingriff in die Rechtsposition des einen Vertragspartners nach sich ziehen würde als die
Aufrechterhaltung des Vertrages, was ein Wahlrecht des Verletzten gerechtfertigt erscheinen
lässt. Letztendlich wird die Frage, ob „ex tunc“ oder „ex nunc“ immer im Einzelfall zu lösen sein.19

          5.3.      § 879 Abs 1, 1. Fall ABGB – Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot

§ 879 Abs 1, 1. Fall ABGB normiert, dass ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt,
nichtig ist. Gesetze im materiellen Sinn sind auch Rechtsverordnungen, nicht jedoch
Verwaltungsverordnungen, Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen.20 Verstöße gegen ein
ausländisches Gesetz oder gegen Völkerrecht sind iSd Bestimmung relevant, wenn ein
entsprechender Inlandsbezug besteht. Sittenwidrig können auch Verstöße gegen EU-Recht
sein.21
Aber nicht jedes Rechtsgeschäft, das gegen ein Gesetz oder Verordnung verstößt, ist nichtig. Die
Nichtigkeit muss entweder ausdrücklich angeordnet, oder vom Verbotszweck der entsprechenden
Norm erfasst sein.22 Es ist jedoch denkbar, dass selbst bei ausdrücklicher Anordnung der
Nichtigkeitsfolge der Zweck der entsprechenden Norm eine teleologische Reduktion rechtfertigt,
also die Nichtigkeit entsprechend modifiziert oder relativiert. Das entspricht der gängigen
Vorstellung, dass Nichtigkeit nur insoweit eintritt, als es der Zweck der Verbotsnorm erfordert.23
Ein Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Vorschriften würde keine Nichtigkeit nach sich ziehen.
So wurden Entgeltzusagen für Tätigkeiten, die gegen die Gewerbeordnung oder gegen
Winkelschreiberei verstoßen, als wirksam beurteilt.24 Demgemäß wäre auch ein Werkvertrag mit
einem Schwarzarbeiter („Pfuscher“) von dieser Regelung mitumfasst.

17
   Vgl Rattacher in Riedler (Hrsg), Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers (2019) Rücktrittsrechte;
Leitner in Urtz (Hrsg), ÖStZ Spezial - Die neue Immobiliensteuer Update 2013 2 (2013) Steuerrechtliche
Konsequenzen der Rückabwicklung einer Grundstücksveräußerung 472;
Artmann/Haglmüller in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), Großkommentar zum ABGB - Klang-Kommentar - GesbR
- §§ 1175 bis 1216e ABGB3 (2016) zu § 1192 ABGB Rz 35, Rz 18.
Huber in Wiesner/Hirschler/Mayr (Hrsg), Handbuch der Umgründungen (17. Lfg 2018) zu § 32 UmgrStG Rz 4.
18
   Vgl Klausberger in Keiler/Klauser (Hrsg), Österreichisches und Europäisches Verbraucherrecht zu § 3 KSchG (5.
Lfg 2019) Rz 63; 4; Riedler in Schwimann/Kodek, § 870 ABGB Rz 18.
19
   Vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 (2014) § 879 ABGB.
20
   Vgl Bollenberger/Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) zu § 879
ABGB Rz 2.
21
   Vgl OGH 3.3.1931, 4 Ob 99/31 SZ 13/76 (hier: Übertretung eines ausländischen Verbotsgesetzes).
22
   Vgl Bollenberger/Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), § 879 ABGB Rz 3;
Kolmasch in Schwimann/Neumayr (Hrsg), ABGB Taschenkommentar4 (2017) zu § 879 ABGB Rz 3.
OGH 23.3.1983, 1 Ob 825/82 RDW 1984, 9; OGH 4.10.1989, 3 Ob 525/89 JBl 1990, 318.
23
   Vgl OGH 9.9.1986, 6 Ob 135/66 JBl 1967, 432; OGH 28.3.1979, 3 Ob 522/78 SZ 52/52.
24
   Vgl OGH 21.12.1967, 1 Ob 264/67 JBl 1968, 366.
02. November 2020                                                                                            9/44
5.4.      § 879 Abs 1, 2. Fall ABGB – Sittenwidrigkeit als Auffangtatbestand

Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn ein Vertrag, eine Vertragsbestimmung, oder eine einseitige
rechtserhebliche Handlung zwar nicht gegen eine konkrete rechtliche Norm verstößt, aber
dennoch rechtswidrig ist.25 Rechtswidrig deswegen, weil eine Interessenabwägung eine grobe
Verletzung von rechtlich geschützten Interessen ergibt, bzw. ein grobes Missverhältnis zwischen
den durch die Handlung verletzten und durch sie geförderten Interessen besteht.26 § 879 Abs 1,
2. Fall ABGB bildet daher einen Auffangtatbestand für solche Rechtsgeschäfte, die der
Gesetzgeber nicht ausdrücklich mit einem Verbot belastet hat. Dabei sind bei der Beurteilung
derartiger Rechtsgeschäfte die Grundrechte, die natürlichen Rechtsgrundsätze sowie die
allgemein anerkannten Normen der Moral zu berücksichtigen.27
Die Normen, welche die guten Sitten begründen, finden sich jedoch nicht in den Gesetzen. Es ist
daher zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit immer das Gesamtbild eines Rechtsgeschäftes
entscheidend. Merkmale können die Ausnutzung von Machtpositionen (vergleiche Wucher), die
Schädigung von unbeteiligten Dritten, Freiheitsbeschränkungen eines Vertragspartners, oder –
wie oben erwähnt – schwere Äquivalenzstörungen sein. Abgestellt soll dabei immer weniger auf
das Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft (also aller billig und gerecht Denkenden)28 werden, da
dies eine relativ ungenaue und wenig nachvollziehbare Vorgangsweise darstellt.29 Ähnlich verhält
es sich mit der Berufung auf die anerkannten Normen der Moral, zumal Moral ebenso ein
individuelles und nicht allgemein gültiges Kriterium darstellt, welches für die Definition und
Interpretation eines juristischen Tatbestandes nur ungenügend geeignet erscheint.
Die Fälle einer möglichen sittenwidrigen Vereinbarung sind schier unüberschaubar. Für diese
Arbeit interessant ist die Sittenwidrigkeit im Hinblick auf bestimmte Berufsstände, insbesondere
die Angehörigen der Rechtsanwaltsberufe. Für diese gilt, dass ein Verhalten, welches im
normalen Wirtschaftsleben völlig unbeanstandet wäre, für sie dennoch problematisch sein kann.
Wie im Kapitel 2 bereits erwähnt, verlangt die Rechtsordnung von Rechtsanwälten im Rahmen
ihrer Standesordnungen besondere Verhaltensweisen; einerseits zum Schutz ihrer Klienten,
andererseits zum Erhalt des Vertrauens in den Berufsstand und nicht zuletzt in die
Rechtsstaatlichkeit, sollen Rechtsanwälte doch eine wichtige Aufgabe zur Einhaltung der
Rechtsordnung in der Gesellschaft einnehmen.
Nichts desto trotz muss Standeswidrigkeit nicht automatisch Sittenwidrigkeit und damit die
Nichtigkeit der betreffenden Vereinbarung bedeuten. Ob diese vorliegt, ist im Einzelfall zu prüfen.
So wäre zum Beispiel die Vereinbarung eines überhöhten Anwaltshonorars erst dann sittenwidrig,

25
   Kolmasch in Schwimann/Neumayr (Hrsg), ABGB Taschenkommentar4 (2017) zu § 879 ABGB Rz 4.
26
   Bollenberger/Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, § 879 ABGB Rz 5; Riedler in Schwimann/Kodek, § 879
ABGB - Teil 1 Rz 8.
27
   Dagegen: Riedler in Schwimann/Kodek (Hrsg), § 879 ABGB - Teil 1 Rz 8.
28
   Vgl OGH 27.1.1954, 3 Ob 816/53 JBl 1954, 436.
29
   Vgl wiederum: Riedler in Schwimann/Kodek (Hrsg), § 879 ABGB - Teil 1 Rz 8.
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wenn dieses auch zusätzliche Wuchertatbestände beinhaltet.30 Ebenso ist eine ohne Zustimmung
des Mandanten erfolgte Zession der Honorarforderung eines Rechtsanwaltes deshalb nichtig, weil
eine Zession nicht ohne Bekanntgabe der Daten des Klienten geschehen kann und diese daher
das Verschwiegenheitsgebot des § 9 RAO verletzt (vgl S 17 und 37).31

                5.4.1. Überhöhte Honorarforderung

In 7 Ob 80/07a vom 18.4.2007 hat der OGH die außerordentliche Revision der klagenden Partei
gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer hatte den Beklagten, einen Rechtsanwalt, wegen einer seiner Ansicht nach
überhöhter Honorarforderung geklagt. Der Kläger machte nunmehr für einen Teil des
Pauschalhonorars Sittenwidrigkeit und Wucher gem § 879 ABGB geltend. Sein Rechtsmittel
wurde jedoch vom OGH mit der Begründung zurückgewiesen, dass selbst wenn gegen den
Beklagten ein Disziplinarverfahren bei der Rechtsanwaltskammer wegen standeswidriger
Vereinbarung eines zu hohen Honorars anhängig ist, reiche das Vorliegen einer Standeswidrigkeit
nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung nicht für die Annahme einer Sittenwidrigkeit
und daraus folgender Nichtigkeit iSd § 879 ABGB aus.32

In einer weiteren Rechtssache wegen überhöhten Rechtsanwaltshonorars, 7 Ob 8/06m vom
26.4.2006, wies der OGH den außerordentlichen Revisionsrekurs mangels Voraussetzung des §
528 Abs 1 ZPO (keine erhebliche Rechtsfrage) zurück, da es dem Revisionswerber nicht gelang,
Argumente gegen die Nichtigkeit einer Streitanteilsvereinbarung (pactum de quota litis) zu
formulieren. Hier war das ausschlagende Argument für die Entscheidung des OGH das Verbot
der     Streitanteilsvereinbarung,   welches   nicht   nur   dem    Schutz    des    Ansehens   des
Rechtsanwaltsstandes dient, sondern vor allem dem Schutz der Klienten vor Übervorteilung durch
den besser informierten Anwalt.33

                5.4.2. § 63 RSTDG („Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz“)

Der Wortlaut des RSTDG macht deutlich, dass der Gesetzgeber nicht nur Anwälte, sondern
sämtliche Beteiligte in einer Jurisdiktion ähnlich strengen Maßstäben unterwerfen will, um den
Rechtsunterworfenen einen Rechtsstandard zu gewährleisten, der modernen, demokratischen
(Grundrechts-)Standards entspricht.
Das RSTDG regelt das Dienstverhältnis der Richter und Staatsanwälte sowie der Anwärter zu
beiden Berufen. Als Nebengeschäft iSd Gesetzes gilt jede Tätigkeit, die diese Personen

30
   Vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 ABGB, Rz 58; OGH 8.1.1963, 8Ob 367/62, RS0038770.
31
   Vgl OGH 19.9.2000, 10 OB 91/00.
32
   Vgl OGH 18.4.2007, 7 Ob 80/07a.
33
   Vgl OGH 26.4.2006, 7 Ob 8/06m.
02. November 2020                                                                               11/44
außerhalb ihres Dienstverhältnisses ausüben. Ein Richter darf keine Nebenbeschäftigungen
ausüben, die die Würde seines Amtes beeinträchtigen und ihm die Ausübung seines Richteramtes
nicht unwesentlich erschweren würden, sowie die Vermutung einer allfälligen Befangenheit in
Ausübung seiner Richterpflichten hervorrufen könnten. Auch das zeitliche Ausmaß einer etwaigen
Nebenbeschäftigung ist insofern zu beachten, als dass es die sorgfältige und pflichtbewusste
Ausübung des Richteramtes gefährden könnte. Weiters darf er keine Organfunktion in einer
juristischen Gesellschaft, die auf Gewinn ausgerichtet ist, ausüben und für eine derartige Funktion
keinerlei Entgelt annehmen. Sollte der Richter eine mit diesen Grundsätzen vereinbarungsfähige
Nebenbeschäftigung annehmen, so hat er umgehend die vorgesetzte Dienstbehörde zu
informieren, welche diese Tätigkeit zu prüfen und eventuell in Form einer schriftlichen Weisung
zu untersagen hat.

                5.4.3. Nebenbeschäftigung Richter

Die Rechtssache 4 Ob 134/19p vom 22.8.2019 verdeutlicht das einleitend Gesagte. Für Richter
gilt derselbe Standard wie für Rechtsfreunde (Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Notare
und alle die sich für solche ausgeben). Der OGH wies in o. a. Causa die außerordentliche Revision
wegen Fehlens einer rechtserheblichen Frage gem § 508a Abs 2 iVm § 502 Abs 1 ZPO zurück.

Eine Investorin kaufte im Jahr 1996 eine Liegenschaft in Salzburg. Sie beauftragte ihren Neffen,
einen Rechtsanwalt, mit der Projektabwicklung, dieser wiederum einen Richter (Erstbeklagter) mit
der Mitwirkung am Zustandekommen des Rechtsgeschäftes. Die Investorin schloss mit dem
Neffen und mit dem Richter unbefristete Mietverträge ab, da sie an langfristigen Mietverhältnissen
interessiert war. 2007 verkaufte die Investorin die Immobilie weiter. Der Käufer veräußerte diese
wiederum an seinen Vater (Kläger). In den Verträgen wurde auf die existierenden Mietverträge
hingewiesen. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Räumung der betreffenden
Räumlichkeiten einerseits wegen Irrtums bezüglich der unbefristeten Mietvereinbarung, vor allem
aber wegen Verstoßes gegen die guten Sitten iSd § 879 Abs 1 ABGB, weil der beklagte Richter
durch seine Mitwirkung an der Projektabwicklung eine unzulässige Nebenbeschäftigung iSd § 63
RStDG ausgeübt hätte.
Die Vorinstanzen wiesen das Räumungsbegehren ab. Arglistiges Verhalten liege nicht vor und §
63 RStDG ziele auf die Einhaltung und Sicherung der Unabhängigkeit und Neutralität des
Rechtsprechungsorgans ab. Verstöße dagegen seien zwar disziplinär relevant, würden aber
keinesfalls Nichtigkeit auf zivilrechtliche Vereinbarungen nach sich ziehen.34

34
   Vgl hierzu Kolmasch in Schwimann/Neumayr, § 879 ABGB Rz 3;
Bollenberger/Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, § 879 ABGB Rz 3; Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB
- Teil 1 Rz 3.
02. November 2020                                                                                           12/44
Der OGH bestätigte die Rechtsansicht der Vorinstanzen bezüglich des Anfechtungsbegehrens
des Klägers wegen List und führte zu § 63 RSTG aus: „Indem der Kläger sich auf den Verstoß
des Erstbeklagten gegen § 63 Abs 6 RStDG berief, übersah er, dass diese standesrechtliche
Bestimmung          bezüglich   der   Meldepflicht   über    die   Aufnahme      einer    erwerbsmäßigen
Nebenbeschäftigung die Dienstbehörde in die Lage versetzen soll, die Nebenbeschäftigung im
Fall einer möglichen Behinderung bei der Erfüllung der Dienstpflichten zu untersagen. Eine
Verletzung der Meldepflicht ist grundsätzlich als bloße Ordnungswidrigkeit zu beurteilen und daher
nur in Ausnahmefällen als Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG zu ahnden“.35
Verstöße gegen standesrechtliche Bestimmungen können zwar Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts
begründen. Allerdings kommt es hier stets auf den konkreten Inhalt der jeweiligen Vorschrift an.
Der Kläger hatte seine Argumentation zwar mit Beispielen aus der Rechtsprechung unterstützt,
dabei aber übersehen, dass Standeswidrigkeiten alleine noch keine Nichtigkeit der Vereinbarung
auslösen.36

                5.4.4. Verzicht auf Klage

Der OGH wies in 7 Ob 223/07f vom 17.10.2007 die außerordentliche Revision gemäß 508a Abs
2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück (keine erhebliche Rechtsfrage
im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO).37
Selbst wenn der Verzicht des Anwaltes den Rechtsanspruch seines Klienten mit Klage
durchzusetzen, als Standeswidrigkeit zu qualifizieren gewesen wäre, wie die außerordentliche
Revision unterstellte, hätte dies nicht zwangsläufig die Sittenwidrigkeit der Verzichtsvereinbarung
iSd § 879 ABGB zur Folge gehabt.38

                5.4.5. § 4 RL – BA 2015 – Verjährungseinrede

In 6 Ob 34/04z vom 27.5.2004 gab der OGH der Revision nicht Folge.
Ein Kläger, der an Zuckerkrankheit litt, war bei einem Augenarzt in Behandlung und ließ sich in
Folge in einem Landeskrankenhaus operieren. Über die Risiken der Operation wurde er nicht
aufgeklärt. Der Kläger leitete ein Schiedsverfahren durch den beklagten Rechtsanwalt ein. Dieser
holte von der Direktorin eine für die Gebietskörperschaft abgegebene Bestätigung ein, dass auf
die     Verjährungseinrede      bis   zu    einem    bestimmten     Zeitpunkt     nach    Abschluss    des

35
   OGH 22.8.2019, 4 Ob 134/19p.
36
   Vgl OGH 14.5.1992, 6 Ob 553/92: Verstoß einer Honorarvereinbarung gegen § 16 Abs 2 bis 4 RAO; OGH
5.4.2000, 9 ObA 80/00f, Verstoß gegen § 36 RL-BA 1977 durch einen Vertrag über die Beteiligung eines
Rechtsanwaltsanwärters am Unternehmen des Rechtsanwalts; auch OGH 26.11.2012, 9 Ob 34/12h.
37
   Vgl OGH 17.10.2007, 7 Ob 223/07, RIS-Justiz RS0107199.
38
   Vgl Anmerkungen zu Fußnote 35.
02. November 2020                                                                                      13/44
Schiedsverfahrens verzichtet würde, übersah aber dabei, dass die Rechtsträgerschaft des Landes
bereits auf eine neu gegründete GmbH übergegangen war.
Die Schadenersatzklage gegen das Land als Rechtsträger des Krankenhauses, wurde daher
wegen Verjährung abgewiesen, gegen die GmbH obsiegte der Kläger jedoch und schloss
darauffolgend einen Vergleich.
In weiterer Folge klagte der Kläger den Rechtsanwalt auf Schadenersatz und begehrte
Feststellung,       dass   der   Beklagte     wegen   Versäumens   der   rechtzeitigen   gerichtlichen
Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den behandelnden Arzt und der dadurch
wegen Verjährung abgewiesenen Schadenersatzansprüche gegen den Krankenhausträger
entstandenen und zukünftigen Schäden haften sollte.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht führte aus, dass ein
Rechtsanwalt auf Grund seiner Bevollmächtigung für die sachverständige Vertretung seines
Klienten hafte, wobei ein „Handeln unter einer vertretbaren Rechtsansicht noch keine Verletzung
der Sorgfaltspflicht bedeute“.39 Wenn der Rechtsanwalt den Anspruch des Mandanten erst nach
Eintritt der Verjährung geltend mache, so hafte er grundsätzlich.
Eine ordentliche Revision wurde für zulässig erachtet, weil die Rechtsfrage, ob ein Vergleich über
denselben Anspruch zur Verneinung des Feststellungsinteresses gegenüber den anderen
Personen führen kann, eine erhebliche Rechtsfrage sei.
Der Revisionswerber stützte sich auf § 3 RL-BA (heute § 4), „dass Einwendungen eines Anwalts
gegen eine Forderung nicht die Ehre und das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes
beeinträchtigen dürften“. Jedoch ist für die Annahme einer Sittenwidrigkeit oder Nichtigkeit gem §
879 ABGB das Vorliegen einer Standeswidrigkeit nicht ausreichend.40 Wenn die gesetzliche Norm
nicht explizit anordnet, dass ihm widersprechende Geschäfte nichtig seien, so kommt es darauf
an, ob der Verbotszweck die Ungültigkeit ausdrücklich verlangt, oder ob sich die verletzte Norm
mit der Verhängung einer Bestrafung begnügt. Grundsätzlich sind Verträge gültig, wenn sich das
Verbot nur an einen der beiden Partner richtet.41 Die vom Revisionswerber ins Treffen geführte
Standesregel dient nicht dem Schutz des Ansehens des Rechtsanwaltsstandes und nicht dem
Schutz des Geschäftspartners oder Gegners des Rechtsanwalts.42 Daher ist die vom
Revisionswerber erhobene Verjährungseinrede nicht als sittenwidrig zu beurteilen.

          5.5.      §§ 879 Abs 2 Z 2, 1. Fall ABGB – An sich Lösen einer Streitsache

Ansichlösen meint die Übertragung des Eigentums oder den endgültigen Erwerb der
streitverfangenen Sache, die Abtretung des streitigen Anspruchs an Zahlung statt und ferner jeden

39
   Vgl OGH 27.5.2004, 6 Ob 34/04z.
40
   RIS-Justiz RS0038374 25.09.1979, rdb.at.
41
   RIS-Justiz RS0016840 25.09.1979, rdb.at.
42
   Vgl OGH 27.5.2004, 6 Ob 34/04z.
02. November 2020                                                                                 14/44
Akt, wodurch der Rechtsanwalt Teilhaber der Streitsache wird,43 etwa in der Form, dass sich ein
Rechtsanwalt die strittige Forderung gegen Zahlung eines Teilbetrags zedieren lässt, um sie
anschließend selbst einzutreiben.44
Nach § 879 Abs 2 Z 2, 1. Fall ABGB ist ein Vertrag nichtig, mit dem „ein Rechtsfreund eine ihm
anvertraute Sache ganz oder teilweise an sich löst.“ Ein Verstoß gegen diesen Tatbestand zieht
(absolute) Nichtigkeit nach sich. Forderungen daraus sind nicht durchsetzbar und im Hinblick auf
eine solche Vereinbarung bereits erbrachte Leistungen können bereicherungsrechtlich gem § 877
ABGB45 zurückgefordert werden.
Dieses Verbot des Ansichlösens der Streitsache betrifft auch artverwandte Berufe, wie
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Buchprüfer und Notare,46 weiters Personen, die sich als
Angehörige einer der genannten Berufsgruppen ausgeben und diesen vorbehaltenen Leistungen
erbringen.47 Für Rechtsanwälte und Notare soll diese Norm darüber hinaus auch für nicht
berufstypische Tätigkeiten gelten.48 Versicherungsberater und Schadenshelfer49 sowie juristische
oder natürliche Personen, die die Prozesskosten gegen einen entsprechenden Anteil am
obsiegten Betrag übernehmen (Prozessfinanzierer)50 sind jedoch ausgenommen, solange der
ihnen zukommende Betrag nicht wucherisch und daher sittenwidrig ist. Es geht vor allem um den
Schutz des Mandanten, der üblicherweise in der Einschätzung des Prozesserfolges seinem
Rechtsfreund unterlegen ist. Ihm fehlen in der Regel die Fachexpertise und Erfahrung, und er wird
daher seinem Anwalt in dieser Beziehung immer im Nachteil sein.51 Aus diesem Grund ist ein
Rechtsanwalt, der selbst Mandant ist, nicht schützenswert.52 Aber auch die Wahrung des
Standesansehens wird als wichtiger Zweck dieser Norm angesehen.

                5.5.1. Zession einer Honorarforderung (vgl S 11 und 33)

In 10 Ob 91/00f vom 19.9.2000 entschied der OGH über die Revision zweier Rechtsanwälte gegen
ein Urteil des Oberlandesgerichtes Wien.
Ein dritter Rechtsanwalt besaß eine Honorarforderung gegen eine Journalistin, die beklagte
Partei. Die klagenden Parteien vertraten den Rechtsanwalt bei der Geltendmachung seines
Honorars gegenüber der Journalistin. Da der Rechtsanwalt (in Folge Zedent) einen

43
   Gschnitzer in Klang/Gschnitzer, ABGB2 IV/1 (1968) 196; Wagner, JBl 2001, 416
(https://rdb.manz.at/document/rdb.tso.LI0107270019?execution=e1s2&highlight=JBL+2001%2C+416, abgefragt am
19.1.2020); Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 17.
44
   Vgl hierzu: Kolmasch in Schwimann/Neumayr, § 879 ABGB Rz 9; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB
Praxiskommentar4 Rz 17.
45
   Condictio sine causa. Diese Norm wird auf alle verbotenen und sittenwidrigen Verträge angewandt. Vgl
https://rdb.manz.at/document/1101_1_abgbrummel_abgb_p0877, abgefragt am 19.1.2020.
46
   Vgl OGH 26.4.2006, 7 Ob 8/06m; OGH 23.2.1992, 5 Ob 28/99z.
47
   Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 16; OGH 13.4.1999, 4 Ob 81/99m.
48
   Vgl OGH 26.4.2006, 7 Ob 8/06m.
49
   Vgl OGH 13.4.1999, 4 Ob 81/99m.
50
   Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 17; OGH 13.7.1994, 3 Ob 503/93.
51
   Vgl OGH 19.9.2000,10 Ob 91/00f.
52
   Vgl OGH ebendort.
02. November 2020                                                                                      15/44
Liquiditätsengpass erlitt, übertrug er seine Honorarforderung an die beiden Rechtsanwälte
(Zessionare). Zedent und Zessionare hielten vertraglich fest, dass diese Vereinbarung kein
pactum de quota litis darstellen sollte. Sie verzichteten sowohl in zivil- als auch in
standesrechtlicher Hinsicht auf die Geltendmachung dieser Einrede. Die positive Erledigung eines
diesbezüglichen Auskunftsersuchens an den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer war also für
die Vertragspartner Voraussetzung für die Wirksamkeit dieses Rechtsgeschäftes.

Nachdem die beiden Rechtsanwälte die Klage beim Erstgericht eingebracht hatten, beantragte
die Journalistin die Abweisung des Klagebegehrens. Die Zessionsvereinbarung leide unter zwei
Nichtigkeitsgründen: einerseits werde die streitverfangene Sache im Sinne des § 879 Abs 2 Z 2
ABGB an sich gelöst und verstoße andererseits gegen die in § 9 Abs 2 RAO gesetzlich normierte
anwaltliche Verschwiegenheitspflicht, weshalb Nichtigkeit auch nach § 879 Abs 1 ABGB vorliege
(vgl S 36).

Das Erstgericht wies die Klage ab. Auch das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die
Berufung bewerte die Gültigkeit der vorliegenden Zession im Sinne der anwaltlichen
Verschwiegenheit und lege dar, dass die Zession für sich kein verbotenes „pactum de quota litis“
darstelle.

Nach § 879 Abs 2 Z 2 2. Fall ABGB könne Nichtigkeit aber auch durch das Ansichlösen (§ 879
Abs 2 Z 2 1. Fall ABGB) einer streitverfangenen Sache vorliegen, worauf die Berufung nicht
einginge. Ansichlösen einer streitverfangenen Sache ziehe Nichtigkeit nach sich.53 Als
Ansichlösen der Streitsache werde jede Vereinbarung oder Verfügung, durch die ein
Rechtsanwalt Eigentum an einer Streitsache erwirbt, angesehen.54

Da die Kläger den Zedenten schon bei der Geltendmachung seiner Honorarforderungen an die
Beklagte vertreten hätten, sei die Streitsache den klagenden Anwälten bereits vor der Zession
anvertraut gewesen. Die Honoraransprüche wurden von der Beklagten auch in weiterer Folge
nicht beglichen. Darum seien diese zum Datum der Zessionsvereinbarung nach wie vor
streitverfangen gewesen. Ein Ansichlösen einer anvertrauten Streitsache liege bereits mit der
vertraglichen Übereinkunft bezüglich der Abtretung streitverfangener Ansprüche vor. Daher
handle es sich in casu um den Verkauf/Kauf einer Honorarforderung, welcher als nichtig
angesehen werden müsse.

Daher hätten die beiden Anwälte die ihnen vom Zedenten überlassene Streitsache durch den Kauf
der Honorarforderungen an sich gelöst und damit den Tatbestand des § 879 Abs 2 Z 2
ABGB erfüllt, welcher solche Vereinbarungen als sittenwidrig und daher für absolut nichtig erklärt.

53
     So auch Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 1 Rz 16.
54
     Vgl OGH 18.3.1959, 5 Ob 40/59; OGH 24.9.1996, 5 Ob 2320/96d.
02. November 2020                                                                              16/44
„Die zitierte Bestimmung diene nicht nur dem Schutz des Klienten, der die Prozessaussichten
nicht abschätzen könne, sondern auch dem Schutz des Ansehens des Rechtsanwaltsstandes“.55

Der OGH sah in casu das "Ansichlösen" differenzierter und sprach aus, dass es einen Unterschied
macht, ob ein Rechtsfreund eine ihm anvertraute Streitsache, oder eine einem anderen
Rechtsanwalt anvertraute Sache an sich löst. In casu muss zwischen anvertrauter Streitsache
oder einem anderen Rechtsfreund gehörende Streitsache unterschieden werden. Der vorrangige
Zweck der Nichtigkeitsdrohung ist der Schutz der Klienten, welche die Prozessaussichten nicht
abschätzen können.56 Es steht einem Anwalt daher frei, die Streitsache eines anderen Advokaten
an sich zu lösen.57 Ein Wissensnachteil besteht nicht bei einem Klienten, der selbst Anwalt ist.
Daher ist der Tatbestand des Ansichlösens einer streitverfangenen Sache im Sinne des § 879
Abs 2 Z 2 ABGB hier nicht gegeben.

          5.6.        § 879 Abs 2 Z 2, 2. Fall ABGB – „pactum de quota litis“

Unter einem „pactum de quota litis“ versteht man nach § 879 Abs 2 Z 2 2. Fall ABGB die
prozentuelle Bemessung des Honorars nach dem ersiegten Erfolg. Selbst angemessene
Honorare            wären   nach   dieser    Norm      unzulässig.       Das     quota     litis   Verbot     kann     als
Individualschutznorm gesehen werden. Es soll damit der Klient des Rechtsfreundes vor
unlauteren Spekulationen geschützt werden, da dieser – auf Grund seines fachlichen Wissens
und seiner informativen Möglichkeiten – immer gegenüber dem Anwalt im Nachteil sein wird.58
Problematisch wird diese Ansicht, wenn man bedenkt, dass die Vereinbarung eines zahlenmäßig
fest bestimmten Erfolgshonorars von der Rechtsprechung durchaus als zulässig angesehen
wird59. Auch ein für den Fall des Misserfolges bestimmter, niedrigerer Honorarbetrag wird
akzeptiert, falls die für den Erfolg oder Misserfolg festgesetzten Beträge nicht in einem
auffallenden Missverhältnis stehen.60 Das Erfolgshonorar darf nicht so gestaffelt sein, dass es
einer Streitanteilsvereinbarung (quota litis) gleichkommt.61
Eine weitere, nicht unwichtige Sichtweise kann darin begründet werden, dass das Verbot der
quota litis nach 879 Abs 2 Z 2 ABGB auch und vor allem dem Ansehen des Berufstandes dient.62
Nach Brandstetter soll überdies verhindert werden, dass die Unabhängigkeit des Rechtsfreundes
beeinträchtigt und dieser den Prozess zu seiner eigenen wirtschaftlichen Angelegenheit macht.63

55
   Vgl OGH 19.9.2000, 10Ob91/00f.
56
   Vgl ebendort.
57
   So auch Kolmasch in Schwimann/Neumayr, § 879 ABGB Rz 8.
58
   Gschnitzer in Klang/Gschnitzer, ABGB2 IV/1, 196; Krejci in Rummel, ABGB3 § 879 Rz 206; OGH 7 Ob 474/56, SZ
29/78; OGH 23.2.1999, 5 Ob 28/99z, RdW 1999, 463 = HS 30.356.
59
   Vgl Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 2 Rz 17; OGH 23.2.1999, 5 Ob 28/99z.
60
   OBDK 28.5.1990, Bkd 21/90, AnwBl 1991/3617 (1.1.1991) 25.
61
   Keinert, Das zivilrechtliche Verbot der quota litis, in Buchegger/Burgstaller/Keinert/Kininger/Rinner (Hrsg), Beiträge
zum Zivilprozeßrecht (1982) 106 ff und 110.
62
   Vgl Riss, RdW 2010, Heft 12, 16.12.2010, 762; Kolmasch in Schwimann/Neumayr, § 879 ABGB Rz 8; OGH
5.10.1966, 6 Ob 311/66.
63
    Brandstetter, quota litis, Lexis Briefings in lexis360.at (28.3.2020) abgerufen am 19.8.2020.
02. November 2020                                                                                                     17/44
Riedler folgend liegt nach der Rechtsprechung ein nach § 879 Abs 2 Z 2 unzulässiges pactum de
quota litis dann vor, wenn sich „die Höhe des Honorars ausschließlich an einem Teil des ersiegten
Betrages orientiert, also für den Fall des Nichterfolges gar kein oder nur ein unverhältnismäßig
geringes Honorar vereinbart ist“.64 Folglich liegt auch nach Riedler eine derartige
Streitanteilsvereinbarung dann vor, wenn das vereinbarte – wenn auch angemessene – Honorar
prozentuell nach dem ersiegten Betrag bestimmt wird. Honorarvereinbarungen, welche bei Erfolg
ein sehr hohes und bei Misserfolg ein relativ niedriges Entgelt vorsehen, unterliegen daher der
Bestimmung des § 879 Abs 2 Z 2. Pauschalhonorare die sich nach einem gewissen Prozentsatz
des Streitwertes bestimmen, sind aber zulässig. Für Riedler ist vor diesem Hintergrund die
rechtspolitische Rechtfertigung des quota litis Verbotes fragwürdig.65 Differenziert argumentiert
auch Brandstätter, wenn er diese Verbotsnorm sowohl verfassungs- als auch europarechtlich für
unbedenklich hält: „Das Verbot der quota litis ist in der Lehre sehr umstritten, da viele es als
rechtspolitisch ungerechtfertigt ansehen. Der VfGH hat das Verbot jedoch bereits mehrmals
bestätigt. Gegen das Verbot des pactum de quota litis bestehen auch keine europarechtlichen
Bedenken.“ 66
Betroffen sind nicht nur Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Buchprüfer und Wirtschaftsprüfer,
sondern auch Personen, die diesen Berufsgruppen vorbehaltene Leistungen erbringen, ohne
dazu berechtigt zu sein.67 Dass sie den Anschein erwecken, einer dieser Berufsgruppen
anzugehören, ist nicht erforderlich.

Im     angloamerikanischen       Raum      wird    diese    Problematik      gänzlich     anders     gesehen.
Streitanteilsvereinbarungen sind dort absolut üblich. Dies führt dazu, dass sich Anwälte bei
potentiellen Klienten intensiv um die Beauftragung einer voraussichtlich lukrativen Streitsache
bewerben. Dies mag dem europäischem Standesdenken "abträglich" für das Ansehen seines
Berufsstandes erscheinen. Es hat allerdings auch den Vorteil für die Klienten – selbst für wenig
Vermögende – dass sie ohne Kostenrisiko den Klagsweg bestreiten können. Der Anwalt wird
seinerseits nur dann für eine derartige Vorgangsweise werben, wenn sie ihm aussichtsreich
erscheint. Dadurch ist für alle Beteiligten – nicht zuletzt auch für den das Rechtssystem
finanzierenden Steuerzahler – eine betriebswirtschaftlich und volkwirtschaftlich vorteilhafte
Situation gegeben.

                5.6.1. Rechtsanwaltsfremde Leistungen durch Anwälte

Auch die Frage, wie weit das Streitanteilsverbot für Anwälte reicht, ist eine eigene Betrachtung
wert. Denn viele Anwälte sind nicht nur in ihrem originären Umfeld, nämlich als rechtsfreundlicher

64
   Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 2 Rz 17.
65
   Riedler, ebendort.
66
   Brandstetter, quota litis, Lexis Briefings in lexis360.at (28.3.2020) abgerufen am 19.8.2020.
67
   Wiederum Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 ABGB - Teil 2 Rz 16; OGH 17.7.2018, 4 Ob 14/18i, rdb.at.
02. November 2020                                                                                         18/44
Berater und Verteidiger ihrer Klienten tätig, sondern versuchen, ihr Geschäftsfeld durch laterale
Diversifikation zu erweitern. Sie nützen ihre Kontakte, um zum Beispiel im Immobiliengeschäft
oder in anderen Wirtschaftszweigen tätig zu werden.

                5.6.2. Rechtsanwalt als Immobilienvermittler

In GH 26 Os 9/14 I vom 15.6.2015 stellte der OGH gemäß Art 89 Abs 2 B-VG iVm Art 139 Abs 1
Z 1 B-VG den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, § 51 RL-BA 1977 (Richtlinien für die
Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes
und des Rechtsanwaltsanwärters)68 wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter
hatte in diesem Verfahren über eine Berufung des Kammeranwalts gegen ein freisprechendes
Erkenntnis des Disziplinarrats der Wiener Rechtsanwaltskammer zu entscheiden.

Nicht bestritten wurde der vom Disziplinarrat festgestellte Sachverhalt. Der Beschuldigte, der auch
als eingetragener Anwalt tätig war, beschäftigte sich schon mehreren Jahren mit dem Kauf und
Verkauf von Liegenschaften. Dazu gründete er eine GmbH, deren Alleingesellschafter und
selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer er war. Diese GmbH hatte alle notwendigen
Gewerbeberechtigungen.

Der Beschuldigte war vornehmlich als Masseverwalter tätig und hatte daher Zugriff auf Immobilien
der von ihm verwalteten Unternehmen. Er vermittelte diese Immobilien an andere Masseverwalter,
wobei er diesen jedoch kein Honorar in Rechnung stellte, sondern seine Provisionsansprüche –
in der Regel 3 % vom Kaufpreis – ausschließlich gegenüber den späteren Käufern geltend
machte. Der Anwalt achtete penibel auf die Trennung seiner Dienstleistungen als Rechtsanwalt
von jener als Geschäftsführer der GmbH. Die anwaltliche Betreuung der Abschlüsse und die
Errichtung der Kaufverträge übernahm in den meisten Fällen der Masseverwalter selbst.

Dier Berufung richtete sich nunmehr gegen die Rechtseinschätzung des Disziplinarrates. Dieser
begründete den Freispruch damit, dass der Beschuldigte nicht gegen das Verbot des § 51
RL-BA 1977 verstoßen habe, welcher für Rechtsanwälte ein absolutes Verbot Provisionen zu
vereinbaren, normierte. Zu prüfen blieb, ob ein Rechtsanwalt, der gleichzeitig Gesellschafter und
Geschäftsführer einer Immobilienmaklergesellschaft war, solche Geschäfte abschließen dürfe.
Eine Norm, welche einem Anwalt außerhalb seiner anwaltlichen Tätigkeit die Vereinbarung eines
Maklerlohns verbiete, sei nach Auffassung des Disziplinarrates nicht existent. Eine solche Norm
würde auch in die verfassungsrechtlich geschützten Rechte auf Freiheit der Erwerbstätigkeit und
auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 und 6 StGG)

68
   § 51 RL-BA 1977 lautete: „Dem Rechtsanwalt ist es ausnahmslos untersagt, für seine Tätigkeit einen Maklerlohn
(Provision) zu vereinbaren oder entgegenzunehmen“.

02. November 2020                                                                                              19/44
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