VORSORGE FÜR MEDIZINISCHE ANGELEGENHEITEN
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Eingereicht von Gschwendtner Antonia Angefertigt am Institut für Recht der sozialen Daseinsvorsorge und Medizinrecht Beurteiler Univ.-Prof. Dr. Reinhard Resch VORSORGE FÜR Jänner 2022 MEDIZINISCHE ANGELEGENHEITEN Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at
Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Linz, am 10. Jänner 2022 Ort, Datum Unterschrift Gender Disclaimer Die in der Arbeit verwendete männliche Form ist auf alle Geschlechter zu beziehen. Durch die gewählte Diktion ist keine Diskriminierung intendiert. II
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................................... V I. Vorwort .....................................................................................................................................1 II. Einleitung: Selbstbestimmung und medizinische Behandlung .............................................1 III. Die Patientenverfügung nach PatVG .....................................................................................3 A. Regelungsgegenstand und Begrifflichkeiten .........................................................................4 B. Allgemeine Voraussetzungen ................................................................................................6 1. Persönlicher Anwendungsbereich .............................................................................................6 2. Höchstpersönlichkeit .................................................................................................................6 3. Entscheidungsfähigkeit .............................................................................................................7 4. Altersgrenze ..............................................................................................................................7 5. Sachlicher Anwendungsbereich ................................................................................................7 C. Die verbindliche Patientenverfügung ....................................................................................8 1. Formvorschriften .......................................................................................................................9 2. Inhaltserfordernisse ...................................................................................................................9 3. Ärztliches Aufklärungsgespräch .............................................................................................10 4. Juristische Mitwirkung ............................................................................................................12 5. Verbindlichkeitsdauer .............................................................................................................13 D. Die andere Patientenverfügung ...........................................................................................14 1. Einschätzung der Krankheitssituation .....................................................................................15 2. Abgelehnte Behandlung ..........................................................................................................15 3. Ärztliche Aufklärung...............................................................................................................15 4. Formvorschriften .....................................................................................................................16 E. Unwirksamkeit ........................................................................................................................18 F. Widerruf ..................................................................................................................................19 G. Sonstige Inhalte ...................................................................................................................21 H. Notfallsituationen ................................................................................................................22 I. Auffindbarkeit .........................................................................................................................22 1. Dokumentationspflicht ............................................................................................................22 2. ELGA ......................................................................................................................................23 J. Bringschuld oder Suchpflicht? ................................................................................................23 K. Register der Notariatskammer und Rechtsanwaltskammer .................................................24 L. Kostentragung .........................................................................................................................25 M. Vorliegen einer Patientenverfügung ....................................................................................25 III
N. Missbrauchsschutz ...............................................................................................................27 O. Haftung ................................................................................................................................28 IV. Die Vorsorgevollmacht........................................................................................................29 A. Überblick .............................................................................................................................29 B. Rechtsnatur ..........................................................................................................................30 C. Allgemeine Voraussetzungen ..............................................................................................30 1. Der Vollmachtgeber ................................................................................................................30 2. Formvorschriften .....................................................................................................................31 3. Juristische Mitwirkung und Aufklärung .................................................................................31 4. Registrierung ...........................................................................................................................32 5. Eignung des Vorsorgebevollmächtigten .................................................................................33 6. Wirkungsbereich .....................................................................................................................36 D. Wirksamwerden ...................................................................................................................38 E. Beendigung und Änderung......................................................................................................40 F. Missbrauchsgefahr ..................................................................................................................41 G. Haftung ................................................................................................................................41 H. Einwilligung in die medizinische Behandlung bei einem entscheidungsunfähigen Patienten 43 I. Besonderheiten bei Sterilisation und medizinischer Forschung .............................................45 V. Spannungsverhältnis von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht ..............................46 VI. Diskussion ...........................................................................................................................49 VII. Literaturverzeichnis .............................................................................................................54 VIII. Judikaturverzeichnis ........................................................................................................59 IV
Abkürzungsverzeichnis aA anderer Ansicht AB Ausschussbericht ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch JGS 946 Abs Absatz Art Artikel ÄrzteG Ärztegesetz 1998 BGBl I 1998/169 AußStrG Außerstreitgesetz BGBl I 2003/111 BlgNR Beilage, -n zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates bspw beispielsweise bzw beziehungsweise dBGB deutsches Bürgerliches Gesetzbuch dRGBl 1896, 195 dh das heißt ELGA Elektronische Gesundheitsakte ErlRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage ErwSchG Erwachsenenschutz-Gesetz BGBl I 2013/158 et al et alii, et aliae etc et cetera f und der, die folgende ff und der, die folgenden gem gemäß GP Gesetzgebungsperiode GTelG Gesundheitstelematikgesetz 2012 BGBl I 2012/111 hA herrschende Ansicht hM herrschende Meinung idR in der Regel IERM Institut für Ethik und Recht in der Medizin iSd im Sinn des, - der iVm in Verbindung mit KAG nunmehr KAKuG; Krankenanstaltengesetz BGBl 1957/1 V
KAKuG Kranken- und Kuranstaltengesetz BGBl I 2002/65 krit kritisch leg cit legis citatae mE meines Erachtens ME Ministerialentwurf NO Notariatsordnung RGBl 1871/75 (Legalabkürzung: BGBl I 2005/164) oÄ oder Ähnliche(s) OGH Oberster Gerichtshof OTPG Organtransplantationsgesetz BGBl I 2012/108 ÖZVV Österreichisches Zentrales Vertretungsverzeichnis PatVG Patientenverfügungs-Gesetz BGBl I 2006/55 RAO Rechtsanwaltsordnung RGBl 1868/96 Rz Randziffer SN Stellungnahme StGB Strafgesetzbuch BGBl 1974/60 SWRÄG Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 BGBl I 2006/92 TubG Tuberkulosegesetz BGBl 1968/127 ua unter anderem UbG Unterbringungsgesetz BGBl 1990/155 usw und so weiter va vor allem vgl vergleiche Z Ziffer zB zum Beispiel VI
I. Vorwort Der medizinische Fortschritt bringt nicht nur Neuerungen in der Medizin, sondern auch die Rechtswissenschaften sind regelmäßig gefordert, sich den neuen Erkenntnissen anzupassen und sich weiterzuentwickeln. Die Lebenserwartung der Menschen bewegt sich seit Jahren kontinuierlich nach oben und vielen Gesellschaften steht eine Überalterung bevor. Die Angst vor der starken Abnahme der Lebensqualität ist oft größer als der Wunsch nach ein paar weiteren Jahren. Verschiedenste Ursachen können in allen Lebensabschnitten zu einem Verlust der Entscheidungsfähigkeit führen und es stellt sich die Frage „Wer entscheidet, wenn ich nicht mehr in der Lage bin?“. Die vorliegende Arbeit greift die Rechtsinstrumente Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht auf, die ein selbstbestimmtes Leben über die Entscheidungsunfähigkeit hinaus ermöglichen. Im ersten Kapitel findet sich eine Einleitung zum Selbstbestimmungsrecht und dem Begriff der medizinischen Behandlung iSd 2. ErwSchG. Daran schließt eine Auseinandersetzung mit dem Patientenverfügungsgesetz an und es wird das Vorgehen bei Vorliegen einer Patientenverfügung beleuchtet. Der dritte Abschnitt widmet sich der Vorsorgevollmacht. Der Schwerpunkt liegt auch hier auf der Vorsorge für medizinische Angelegenheiten und der Willenserforschung bei einem entscheidungsunfähigen Patienten. Eine umfassendere Erörterung sprengt den Rahmen dieser Arbeit. Da Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht einen teils überlappenden Anwendungsbereich haben, kann es zu einem Spannungsverhältnis der Vorsorgeinstrumente kommen. Dieses ist Thema des vierten Abschnitts. Eine abschließende Diskussion und Stellungnahme folgen. II. Einleitung: Selbstbestimmung und medizinische Behandlung Jeder Patient hat das Recht auf Selbstbestimmung. Dies ist einerseits einfachgesetzlich durch § 16 ABGB und § 110 StGB, andererseits grundrechtlich durch Art 8 EMRK gewährleistet.1 Art 8 EMRK ist ein Menschenrecht, das allen Menschen gleichermaßen zukommt. Der Schutzbereich Privatleben umfasst unter anderem das Recht auf körperliche Selbstbestimmung.2 Dem Erwachsenenschutzrecht ist das Prinzip der persönlichen Freiheit bzw der Vorrang der 1 Vgl F. Wallner, Medizinrecht (2019) 196; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 375. 2 Vgl Grabenwarter/Frank, B-VG Art 8 EMRK Rz 11. 1
Selbstbestimmung immanent.3 Ein wirksam bestellter Erwachsenenvertreter oder ein Vorsorgebevollmächtigter schließen das Recht auf Selbstbestimmung nicht aus.4 Nach § 252 S 1 ABGB kann eine volljährige Person, soweit sie entscheidungsfähig ist, nur selbst in eine medizinische Behandlung einwilligen. Bis zum 2. ErwSchG gab es im ABGB keine eigene Definition der „medizinischen Behandlung“, man orientierte sich daher am strafrechtlichen Begriffsverständnis.5 Mit der Reform definierte der Gesetzgeber in § 252 Abs 1 S 2 ABGB die „medizinische Behandlung“ im Zivilrecht. Demnach ist eine medizinische Behandlung eine Behandlung, die „von einem Arzt oder auf seine Anordnung hin vorgenommene diagnostische, therapeutische, rehabilitative, krankheitsvorbeugende oder geburtshilfliche Maßnahme an der volljährigen Person“. Die Behandlung muss aufgrund einer medizinischen Indikation in die Wege geleitet werden.6 Mit S 3 leg cit wird anerkannt, dass diese Maßnahmen sowie pflegerische Maßnahmen auch von anderen Gesundheitsberufen ergriffen werden und die Bestimmungen §§ 252 bis 254 ABGB daher sinngemäße Anwendung finden.7 Eine medizinische Behandlung darf nur mit der Einwilligung des Patienten durchgeführt werden. Das StGB normiert in § 110 StGB die „eigenmächtige Heilbehandlung“ als Straftatbestand. Der dort verwendete Begriff „Heilbehandlung“ beschreibt „eine solche Maßnahme, die medizinisch indiziert, dh ein nach den Erkenntnissen der Medizin vertretbares Mittel ist, Krankheiten festzustellen, Krankheiten, Gebrechen, Beschwerden zu heilen oder zu lindern oder die Leistungsfähigkeit des Organismus zu steigern“8. Ob bei einer Heilbehandlung die Regeln der Schulmedizin angewandt werden oder nicht, ist für deren Einordnung als solche unerheblich.9 Die Subsumtion von kosmetischen Eingriffen unter Heilbehandlung ist umstritten. Die Begriffsverständnisse des ABGB und StGB unterscheiden sich um Nuancen, wobei der Begriff des StGB ein weiterer ist. Doch wer entscheidet, wenn der Patient dazu nicht mehr in der Lage ist? Entscheidungsfähig ist ein Patient nach § 24 Abs 2 ABGB, solange er die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, seinen Willen danach bestimmen und sich entsprechend verhalten kann. Entscheidungsunfähig ist er dann, wenn ihm diese Einsicht fehlt. Die 3 Vgl Barth/Ganner in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 15. 4 Vgl Barth/Ganner in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 15. 5 Vgl Neumayr in GmundKomm § 2 PatVG Rz 2; Kletečka-Pulker in Körtner et al, PatVG 81; Traar/Pesendorfer/ Fritz/Barth, Sachwalterrecht § 2 PatVG Rz 10. 6 Vgl ErlRV 1461 BlgNR 25. GP 29. 7 Vgl ErlRV 1461 BlgNR 25. GP 29f. 8 Soyer/Schumann in WK2 StGB § 110 Rz 6. 9 Vgl Soyer/Schumann in WK2 StGB § 110 Rz 7. 2
Entscheidungsfähigkeit kann dem Patienten nicht vorab abgesprochen werden, sondern es ist im Anlassfalles zu beurteilen, ob der Patient selbst entscheiden bzw einwilligen kann.10 Das Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit wird im Zweifel vermutet, so § 24 Abs 2 S 2 ABGB. Bei der Behandlung eines entscheidungsunfähigen Patienten ist das Behandlungsteam ua auf Vorsorgeinstrumente angewiesen, um die notwendige Einwilligung zu erhalten bzw den Willen des Patienten zu ergründen. Es kommen die Rechtsinstitute Erwachsenenschutzvertretung sowie Vorsorgevollmacht in Betracht. Für einen entscheidungsfähigen Patienten mit Erwachsenenschutzvertreter oder Vorsorgebevollmächtigten gilt:11 Sofern der Patient im Beurteilungszeitpunkt entscheidungsfähig ist und seinen Willen artikulieren kann, entscheidet er und nur er über die Durchführung bzw Nicht-Durchführung der medizinischen Behandlung. Der Patient kann vorab eine Patientenverfügung errichten und so sein Recht auf Selbstbestimmung ausüben. Er macht von seinem Selbstbestimmungsrecht nicht unmittelbar vor der Behandlung Gebrauch, sondern bereits zu einem zeitlich früheren Moment. 12 Unter den Begriff Patientenverfügung werden sowohl Vorausverfügungen wie beispielsweise der Widerspruch gegen eine postmortale Organentnahme nach § 5 OTPG, als auch die Patientenverfügung im engeren Sinn subsumiert.13 Regelungsgegenstand des PatVG sind ausschließlich letztere. Das Gesetz ist in fünf Abschnitte gegliedert. Der erste ist als „Allgemeine Bestimmungen“ betitelt, es folgen die Abschnitte „Verbindliche Patientenverfügung“, „Bedeutung anderer Patientenverfügungen“, „Gemeinsame Bestimmungen“ und schließlich „Schlussbestimmungen“. III. Die Patientenverfügung nach PatVG Im Jahr 2006 wurde das Patientenverfügungsgesetz Teil des österreichischen Rechtsbestands. Erstmals genannt wurde die Patientenverfügung bereits 1993 im KAG, aber über die Nennung hinaus wurde nur die Dokumentationspflicht festgehalten.14 Die Rechtsprechung blieb mit einem Fall15 überschaubar und daher entwickelte die Lehre eine eigene Definition:16 Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wird durch die Entscheidung in einem der Behandlung vorgelagerten Zeitpunkt gewahrt. 10 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 5; Barth/Marlovits in Barth/Ganner, HB des Erwachsenschutzrechts3 256; Kathrein, ÖJZ 2006, 561. 11 Vgl Barth/Marlovits in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 254. 12 Vgl Kletečka-Pulker/Grimm/Memmer/Stärker/Zahrl, Grundzüge des Medizinrechts (2019) 275. 13 Vgl Memmer in Aigner et al, Medizinrecht Kap I.8; Neumayr in GmundKomm § 1 PatVG Rz 10. 14 Vgl § 10 Abs 1 Z 7 KAG idF BGBl 1993/801. 15 Vgl OGH 16.7.1998, 6 Ob 144/98i. 16 Vgl Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterrecht Vor § 1 PatVG Rz 5. 3
Das PatVG unterscheidet nun zwischen einer verbindlichen und einer anderen Patientenverfügung. Erfüllt eine Verfügung nicht die Voraussausetzungen der §§ 4 bis 7 PatVG, so kann es sich nicht mehr um eine verbindliche Patientenverfügung handeln, die vom Behandlungsteam (zwingend) zu berücksichtigen ist. Gegebenenfalls handelt es sich um eine andere Patientenverfügung. A. Regelungsgegenstand und Begrifflichkeiten In § 2 PatVG finden sich zunächst Begriffsbestimmungen. Das PatVG versteht unter einer Patientenverfügung eine Willenserklärung, mit der der Patient eine medizinische Behandlung im Voraus ablehnt. Der Patient trifft Vorsorge für den Fall, dass er zu einem späteren Zeitpunkt seine Entscheidungsfähigkeit verliert und daher nicht mehr in medizinische Behandlungen einwilligen bzw sie ablehnen kann. Sie ist als solche nicht empfangsbedürftig.17 Sie adressiert den Arzt und andere Mitverantwortliche wie etwa das Pflegepersonal, Sanitäter, Erwachsenenschutzvertreter usw.18 Die genannte Behandlung muss konkretisiert sein und darf keine Aufforderung an den Arzt sein, eine Behandlung vorzunehmen.19 Die Patientenverfügung muss somit negativ formuliert sein. Nach § 2 Abs 1 PatVG ist sie ausschließlich dann maßgeblich, wenn der Verfügende nicht mehr entscheidungsfähig ist. Solange die Einwilligung zur Behandlung unmittelbar vom Patienten eingeholt werden kann, ist kein Raum für die Patientenverfügung. Der Begriff „entscheidungsfähig“ wird ebenso wie „medizinischen Behandlung“ vorausgesetzt. Siehe dazu II. Bis zur Einführung der Legaldefinition der medizinischen Behandlung im ABGB orientierte man sich für das PatVG am strafrechtlichen Begriffsverständnis.20 In den Erläuterungen verwendete der Gesetzgeber 2006 die Begriffe „medizinische Behandlung“ und „Heilbehandlung“.21 Der Begriff „Heilbehandlung“ ist dem ABGB fremd und ist dem Strafrecht entliehen. Siehe dazu II. Im Rahmen der PatVG-Novelle 2018 verwendete der Gesetzgeber ausschließlich den Begriff „medizinische Behandlung“.22 Eine medizinische Behandlung meint nun nicht mehr bloß Heilbehandlungen bzw therapeutische Maßnahmen, sondern alle diagnostischen, prophylaktischen und schmerzlindernden Maßnahmen, 17 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 383; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sach- walterrecht § 2 PatVG Rz 4. 18 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 6; Kotorman, ÖZPR 2011, 92 (92); Stadler, ÖZPR 2010, 120 (121); Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 388. 19 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 5. 20 Vgl Neumayr in GmundKomm § 2 PatVG Rz 2; Kletečka-Pulker in Körtner et al, PatVG 81; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterrecht § 2 PatVG Rz 10. 21 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP. 22 Vgl ErlRV 337 BlgNR 26. GP. 4
die zumindest auf eine ärztliche Anordnung hin erfolgen.23 Pesendorfer plädiert für ein funktionales Begriffsverständnis, das sich weiterhin an der strafrechtlichen Definition orientiert:24 Der Begriff „medizinische Behandlung“ soll nicht an die Vornahme und Anordnung des Person Arzt gebunden sein.25 Gegenstand solle die Ablehnung einer Maßnahme und nicht die Durchführung durch einen eingeschränkten Personenkreis sein.26 Dies passe nach wie vor besser ins Gefüge des PatVG, schließlich habe der Gesetzgeber 2006 auch mit diesem Verständnis gearbeitet.27 Die befürchtete Einschränkung auf die Ärzteschaft bleibt mE aus. Gem § 252 S 3 ABGB sollen die §§ 252 bis 254 ABGB auf die Maßnahmen anderer gesetzlicher Gesundheitsberufe sinngemäß angewendet werden. Nach den Worten des Gesetzgebers sind „die Grundwertungen der §§ 252 ff auf die Ausübung der Medizin insgesamt anwendbar“28. In der Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen zum SWRÄG Ministerialentwurf ist zu lesen, dass der Begriff „medizinisch“ in erster Linie auf die ärztliche Tätigkeit zu beziehen sei.29 Diese Stellungnahme stammt aus dem Jahr 2006, dem Geburtsjahr des PatVG. Ob es sich bei der Patientenverfügung um eine Willenserklärung im Sinne der Rechtsgeschäftslehre handeln muss, ist strittig.30 Die Einwilligung in eine medizinische Behandlung wird von Ganner als Rechtshandlung, wenn auch nicht iSd Rechtsgeschäftslehre eingeordnet.31 Dem gegenüber spricht Resch von einem Rechtsgeschäft bzw Engljähringer von einem höchstpersönlichen Dispositionsrecht.32 Einhelligkeit besteht jedoch bei Anwendung der Regeln über die Willensmängel bei Willenserklärungen – ob die Anwendung analog erfolgt oder nicht, hat auf das Ergebnis keine Auswirkung.33 Da dies für den Arzt anhand des Schriftstücks schwer zu beurteilen ist, kann sich dieser darauf verlassen, dass eine Verfügung, die den Kautelen des PatVG entspricht, 23 Vgl Kletečka-Pulker/Grimm/Memmer/Stärker/Zahrl, Grundzüge des Medizinrechts (2019) 275; Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 386. 24 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 386. 25 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 386; Stormann in Schwimann/Kodek, ABGB 5 I § 173 ABGB Rz 3. 26 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 386. 27 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 386. 28 ErlRV 1461 BlgNR 25. GP 29. 29 Vgl 40/SN - 385/ME 22. GP 2. 30 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 383; Engljähringer, Aufklärungspflicht 140ff. 31 Vgl Ganner, Selbstbestimmung im Alter 261 ff. 32 Vgl Resch in Kopetzki, Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit 52; Engljähringer, Aufklärungspflicht 151. 33 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachseneschutzrechts3 383; Wiebe in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 859 Rz 20. 5
den wahren Willen des Patienten widerspiegelt.34 Im Zweifelsfall trägt der Arzt die Beweislast für das Vorbringen von Mängeln.35 Da die Patientenverfügung keine Verfügungen nach dem Tod betrifft, kann sie nicht unter den Begriff der letztwilligen Verfügung subsumiert werden, obgleich die veralteten unscharfen Bezeichnungen „Patiententestament“ oder „psychiatrisches Testament“ anderes indizieren.36 B. Allgemeine Voraussetzungen 1. Persönlicher Anwendungsbereich Der Gesetzgeber bezeichnet in § 2 Abs 2 PatVG den Erstellenden als Patienten. Er stellt jedoch im selben Satz klar, dass eine aktuelle Erkrankung keine Voraussetzung ist. Das PatVG sieht auch an keiner anderen Stelle eine Reichweitenbegrenzung vor, dh Patientenverfügungen sind nicht für eine näher definierte Gruppe von Patienten vorgesehen, wie die eben genannte aktuelle Erkrankung oder das terminale Stadium des Patienten. Eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs hätte zu einer Beschneidung der Patientenautonomie geführt, die es durch die Einführung des PatVG zu stärken galt.37 Darüber hinaus ist es aus verfassungsrechtlicher Perspektive eine Ungleichbehandlung, die nicht rechtfertigbar ist.38 2. Höchstpersönlichkeit Die Patientenverfügung kann nach § 3 S 1 PatVG nur höchstpersönlich errichtet werden. Sie ist eine vertretungsfeindliche Disposition eines Individuums iSd § 250 Abs 1 Z 3 ABGB.39 Ein wirksam bestellter Erwachsenenvertreter oder ein Vorsorgebevollmächtigter steht dem Abschluss einer Patientenverfügung nicht entgegen.40 Es kommt ausschließlich auf das Vorhandensein der Entscheidungsfähigkeit im Errichtungszeitpunkt an. Unzulässig ist es eine Patientenverfügung für den Schutzbefohlenen zu errichten.41 34 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8. 35 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8. 36 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8. 37 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 1; Memmer, RdM 2006, 163 (164). 38 Vgl IERM 2014, 103. 39 Vgl ErlRV 1461 BlgNR 24. GP 28. 40 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 5; Neumayr in GmundKomm § 3 PatVG Rz 1; Kathrein, ÖJZ 2006, 555 (561); Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 3 PatVG Rz 4. 41 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 378; Neumayr in GmundKomm § 3 PatVG Rz 1; Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8; Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 3 PatVG Rz 3. 6
3. Entscheidungsfähigkeit Im Errichtungszeitpunkt muss der Handelnde entscheidungsfähig sein gem § 3 S 2 PatVG. Zur Definition siehe II. Ob der Arzt die Entscheidung gutheißt, ist nicht relevant. Eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Gesprächspartnern schadet der Entscheidungsfähigkeit des Errichtenden nicht.42 Der Arzt hat auch eine aus seiner Sicht unvernünftige Entscheidung des Patienten zu akzeptieren.43 Besitzt der Patient im Errichtungszeitpunkt nicht die entsprechende Entscheidungsfähigkeit, so kann er weder eine verbindliche noch eine andere Patientenverfügung aufsetzen. Mit dem Erwachsenenschutz-Anpassungsgesetz verabschiedete sich der Gesetzgeber auch im PatVG vom Begriff der „Einsichts- und Urteilsfähigkeit“ und ersetzte sie mit „Entscheidungsfähigkeit“. 4. Altersgrenze Es ist kein Mindestalter im PatVG festgesetzt. Die widerlegliche Vermutung des § 173 ABGB ermöglicht es Patienten, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, eine verbindliche Patientenverfügung zu errichten. Der dort genannte Begriff „Einwilligung“ umfasst auch die Ablehnung einer Behandlung.44 Das ist insofern bemerkenswert, weil für die Vornahme einer lebensrettenden Maßnahme die Zustimmung der Obsorgeberechtigten einzuholen ist. Ein und dieselbe Maßnahme kann aber ohne Zustimmung der Obsorgeberechtigten abgelehnt werden.45 Die Entscheidungsfähigkeit des Minderjährigen ist einzelfallbezogen zu prüfen. Der Maßstab bei der Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit ist vor dem Hintergrund der schweren Folgen für Leben und Gesundheit streng zu formulieren.46 Die Motivation des Errichtenden ist unerheblich und findet demnach keine Erwähnung im Gesetz. Denkbar ist die Errichtung aufgrund einer religiösen Einstellung, des fortgeschrittenen Alters oder eine psychische Erkrankung. 5. Sachlicher Anwendungsbereich Wie bereits erläutert, kann eine Patientenverfügung die Vornahme von medizinischen Behandlungen ausschließen. Nicht unter den Begriff medizinische Behandlung fallen 42 Vgl Kathrein, ÖJZ 2006, 555 (561). 43 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8; Kathrein, ÖJZ 2006, 555 (559). 44 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 379. 45 Vgl Neumayr in GmundKomm § 3 PatVG Rz 2. 46 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrecht3 379. 7
Pflegemaßnahmen.47 Wie fließend die Übergänge verlaufen, sei am Beispiel der Nahrungszufuhr aufgezeigt:48 Zum einen kann Nahrung und Flüssigkeit dem Patienten angeboten werden, soweit er selbst noch darauf zurückgreifen kann. Sobald der Patient in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, bspw nach einer OP, ist er auf die Verabreichung von Nahrung und Flüssigkeit durch einen anderen angewiesen. In den beiden genannten Konstellationen ist von Pflegemaßnahmen die Rede. Eine Pflegemaßnahme kann nicht wirksam mittels Patientenverfügung abgelehnt werden. Sobald eine Nahrungsaufnahme in dieser Form nicht mehr möglich ist, müssen weitere Schritte gesetzt werden, um den Patienten zu versorgen. Die Nahrung kann auf enteralem Weg (Sondenernährung) gegeben werden. In anderen Situationen kann auch eine parenterale medizinische Applikation (venöser Zugang) angedacht werden. Im Bereich der palliativen Symptomlinderung wird mitunter eine intravenöse oder subcutane Versorgung gewählt, weil keine der erstgenannten Varianten mehr möglich ist. All diesen Varianten ist gemein, dass ihnen eine ärztliche Anordnung vorausgegangen ist. Es handelt sich mithin um medizinische Behandlungsformen, die im Wege einer Patientenverfügung vorab abgelehnt werden können. In anderen Gesetzen, beispielsweise dem Geschlechtskrankheitengesetz oder dem TubG, normierte Behandlungspflichten gehen dem PatVG vor. Nach § 13 PatVG kann der Patient in diesen Fällen nicht disponieren. C. Die verbindliche Patientenverfügung Entspricht eine Patientenverfügung den Voraussetzungen der §§ 4 bis 7 PatVG, handelt es sich um eine verbindliche Patientenverfügung. Eine verbindliche Patientenverfügung verpflichtet den Behandelnden im Einklang mit der Patientenverfügung vorzugehen. Sie ist ebenso bindend wie die aktuelle Ablehnung durch einen entscheidungsfähigen Patienten.49 Der Arzt muss keine Behandlungsentscheidung eines Vertreters einholen, sondern ist gem § 253 Abs 4 ABGB allein an die Patientenverfügung gebunden. Ob der Behandelnde selbst anderes vorgehen würde bzw ob die 47 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22 GP. 5; Neumayr in GmundKomm § 2 PatVG Rz 3; aA Kletečka-Pulker in Körtner et al, PatVG 82; krit Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 3 PatVG Rz 6. 48 Für das Beispiel vgl Wagner/ Homann/J. Wallner, RdM 2015, 62 (65f). 49 Vgl RIS-Justiz RS0128218; ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 6; Barth, FamZ 2006, 72 (73); Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 388. 8
Behandlung medizinisch indiziert ist, ist in diesem konkreten Szenario unerheblich.50 Der Arzt ist durch das Institut der verbindlichen Patientenverfügung in seiner Behandlungspflicht beschränkt.51 1. Formvorschriften Eine verbindliche Verfügung hat in jedem Fall schriftlich zu sein. Schriftlichkeit ist nach § 886 ABGB zu beurteilen und bedeutet daher Unterschriftlichkeit.52 An diesem Prozess hat ein in § 6 PatVG genannter Jurist mitzuwirken. Ein Notariatsakt, der ein höheres Anforderungsprofil aufweist, erfüllt das Kriterium in jedem Fall.53 Ist der Patient nicht mehr zu einer Unterschrift fähig, kann ein Handzeichen in Anwesenheit von zwei Zeugen, welche die Verfügung unterfertigen müssen, ausreichen. Die Notariatsordnung sieht in den §§ 52 ff Bestimmungen für gänzlich schreibunfähige Personen vor, die in casu anwendbar sind.54 Wie allgemein im Zivilrecht erfüllt die Formvorschrift einen Übereilungsschutz. Der Patient soll sich der Folgen dieses Rechtsaktes bewusst sein. 2. Inhaltserfordernisse § 4 PatVG sieht die Bestimmtheit des Inhalts vor. Inhalt kann nur werden, was innerhalb der gesetzliche Grenzen nach § 879 ABGB möglich ist.55 Die medizinische Behandlung ist möglichst genau zu beschreiben, damit im Anwendungszeitpunkt rasch erkennbar ist, ob die vorweggenommene Situation dem nunmehrigen Geschehen entspricht.56 Die Bezeichnung als „risikoreiche Operation“, ein „menschenunwürdiges Dasein“ oder „künstliche Lebensverlängerung“ ist nicht bestimmt genug.57 Der aufklärende Arzt hat mit dem Patienten die Behandlungen zu besprechen und zu benennen.58 Nicht nur der behandelnde Arzt muss die Bezeichnungen letztendlich verstehen, sondern auch der Patient selbst, um die Patientenverfügung bei Bedarf teilweise widerrufen zu können.59 Um der Bestimmtheit gerecht zu werden, geben Patientenanwaltschaften mitunter Formblätter aus, die die Suche nach den richtigen Formulierungen erleichtern. 50 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 2; OGH 7.7.2008, 6 Ob 286/07p; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachse- nenschutzrechts3 388f. 51 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 2. 52 Vgl RIS-Justiz RS0128219. 53 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 7. 54 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht, Kap I.8. 55 Vgl Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 4 PatVG Rz 1; Kathrein, ÖJZ 2006, 555 (562). 56 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 6; Neumayr in GmundKomm § 4 PatVG Rz 2. 57 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 6; Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht, Kap I.8; Sprohar-Heimlich in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht2 § 24 Rz 9. 58 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachenenschutzrechts3 392. 59 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachenenschutzrechts3 393. 9
Für die Lesenden muss erkennbar sein, dass der Verfügung eine reflektierte Entscheidung zu Grunde liegt. § 4 S 2 PatVG spricht von einer zutreffenden Einschätzung seitens des Patienten. Der Gesetzgeber wollte dadurch übereilten und uninformierten Entscheidungen einen Riegel vorschieben.60 Dieses Erfordernis knüpft an die ärztliche Aufklärung nach § 5 PatVG an. 3. Ärztliches Aufklärungsgespräch Gem § 5 S 1 PatVG hat der Arzt den Patienten umfassend aufzuklären und ihn über das Wesen und die Folgen einer verbindlichen Verfügung zu informieren. Die Aufklärung durch einen Arzt vor Errichtung der Patientenverfügung ist einem ad hoc Behandlungsgespräch nachempfunden. Vor der Behandlung muss der Arzt den Patienten aufklären und seine Zustimmung einholen. Damit der Patient sein Selbstbestimmungsrecht ausüben kann, muss er alle Informationen, die für seine Entscheidungsfindung nötig sind, in einer verständlichen Form erhalten.61 Das Gesetz spricht lediglich vom „aufklärenden Arzt“, es sieht also keine Einschränkung hinsichtlich Fachgebiete vor.62 Fachärzte sind allerdings nach § 31 Abs 3 ÄrzteG angehalten, sich nicht außerhalb des eigenen Fachgebiets zu bewegen. Ein Allgemeinmediziner wiederum muss für fachspezifische Fragen auf einen Facharzt verweisen, wenn er in dieser Frage nicht lege artis aufklären kann und würde in seinem solchen Fall nach § 1299 ABGB haften.63 Wird die Verfügung nicht aus aktuellem Anlass errichtet, hat eine Totalaufklärung bzw eine Aufklärung nach den Richtlinien der Rechtsprechung zu erfolgen.64 Nach der Rechtsprechung ist der Umfang der Aufklärung in Verbindung mit der Dringlichkeit des Eingriffs zu beurteilen:65 Je weniger akut der Eingriff vorzunehmen ist, desto mehr Raum und Zeit bleibt für eine Aufklärung. Der Arzt hat nach § 5 S 2 PatVG die Entscheidungsfähigkeit des Patienten zu dokumentieren. Das Fehlen würde demnach die Unwirksamkeit der Patientenverfügungen nach sich ziehen und ist in der Krankengeschichte des Patienten festzuhalten. In den Materialien zu § 14 PatVG merkt der Gesetzgeber hingegen an, dass das Fehlen der Dokumentation der Entscheidungsfähigkeit nur 60 Vgl ErlRV 1299 BlgNr 22. GP 6; Kathrein, ÖJZ 2006, 555 (559). 61 Vgl ErlRV 1299 BlgNr 22. GP 6; Neumayr in GmundKomm § 5 PatVG Rz 1; Sprohar-Heimlich in Gruber/ Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht2 § 24 Rz 15. 62 Vgl Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 5 PatVG Rz 1; Neumayr in Körtner et al, PatVG 183; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterrecht § 5 PatVG Rz 5; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 397. 63 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 397; Neumayr in Körtner et al, PatVG 183. 64 Vgl Memmer, RdM 2006, 163 (168); Neumayr in Körtner et al, PatVG 183; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterrecht § 5 PatVG Rz 10. 65 Vgl RIS-Justiz RS0026313. 10
bedeuten kann, dass diese im Errichtungszeitpunkt gegeben war.66 So sieht dies auch Memmer.67 Das Gesetz bindet den Juristen nicht in diesen Prozess ein, obschon es sich bei der Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit gleichermaßen um eine Rechtsfrage handelt.68 S 2 leg cit verpflichtet den Arzt darzulegen, „dass und aus welchen Gründen der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt“. Der Gesetzgeber nimmt an, dass ein Patient eine Lage richtig einschätzt, wenn er sich die Patientenverfügung auf eine Krankheit bezieht, die den Patienten selbst oder seine Angehörigen betrifft, oder der Patient beruflich mit diesem Leiden konfrontiert war.69 Im Regelfall ist jedoch davon auszugehen, dass sich der Errichtende unweigerlich mit dem eigenen Sterbeprozess auseinandergesetzt hat, und somit eine reflektierte Entscheidung trifft.70 Schließlich hält er verbindlich fest, dass bestimmte Maßnahmen eben nicht gesetzt werden mögen, womit eine Lebensverkürzung eintritt. Ärzte sind nicht verpflichtet Aufklärungsgespräche nach dem § 5 PatVG zu führen. Es liegt im Rahmen ihrer Privatautonomie eine derartige Aufklärung abzulehnen oder uU eine begonnene aus ethischen Gründen etc abzubrechen.71 Diese ärztliche Aufklärungsgespräch wird im Rahmen eines Werkvertrags, der Dienstleistungselementen aufweist, erbracht.72 Schuldinhalt dieses Vertrages ist die Aufklärung und die Bestätigung in Schriftform nach § 5 PatVG.73 Der Patient kontrahiert entweder mit einem frei praktizierenden Arzt oder mit einem Krankenanstaltsträger.74 Das Aufklärungsgespräch erfolgt idealerweise vor der Errichtungshandlung mit einem Juristen, denn § 10 Abs 1 Z 3 PatVG gibt einen engen zeitlichen Rahmen vor.75 Im Unterschied zur zeitlich unmittelbar der Behandlung vorgelagerten Aufklärung kann für eine Patientenverfügung kein Aufklärungsverzicht abgegeben werden.76 66 Vgl ErlRV 1299 22. GP 10. 67 Vgl Memmer, RdM 2006, 163 (169); aA Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 403; Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 5 PatVG Rz 4. 68 Vgl Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 5 PatVG Rz 2; ErlRV 1299 22. GP 7. 69 Vgl ErlRV 1299 22. GP 6. 70 Vgl Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 4 Rz 2. 71 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechst3 396. 72 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 395f. 73 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechst3 396. 74 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 395f. 75 Vgl Neumayr in GmundKomm § 5 PatVG Rz 2; Kunz/Gepart, FamZ 2006, 81 (85); Kletečka-Pulker in Körtner et al, PatVG 83; Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 6 Rz 3; Sprohar-Heimlich in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht2 § 24 Rz 20. 76 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8; Sprohar-Heimlich in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht2 § 24 Rz 15; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 395; Glanzer, Sachwalterschaft Kap V. 11
4. Juristische Mitwirkung § 6 Abs 1 PatVG sieht vor, dass die Patientenverfügung schriftlich unter Mitwirkung eines Rechtsanwalts, eines Notars, eines rechtskundigen Mitarbeiters der Patientenvertretungen oder nach Möglichkeit vor einem rechtskundigen Mitarbeiter eines Erwachsenenschutzvereins errichtet wird. In diesem Gespräch müssen die Möglichkeit des Widerrufs und die Folgen der Patientenverfügung thematisiert werden. Der Jurist übernimmt bei der Errichtung eine Belehrungsfunktion, trägt grundsätzlich die Verantwortung für den Text und übernimmt eine Beglaubigungsfunktion.77 Er hat sicherzustellen, dass die Patientenverfügung verständlich und gesetzeskonform ist.78 Der Patient kann die Verfügung bereits im Vorfeld verfassen und zum Termin mitnehmen oder der Jurist verfasst für den Patienten einen entsprechenden Text.79 Bernat nimmt nur im letzteren Fall eine Textverantwortlichkeit einschließlich der möglichen haftungsrechtlichen Folgen des Juristen an.80 Die hA und der Gesetzgeber nehmen keine Differenzierung vor.81 Neumayr stimmt Bernat grundsätzlich zu, doch er lässt die Frage offen, wie mit einer Verfügung aus dritter Hand umzugehen ist.82 Die Belehrung beinhaltet bspw, dass Angehörige im Anwendungsbereich der Verfügung keine Entscheidungsbefugnis mehr haben, dito Erwachsenenvertretung, die Verbindlichkeit, Rechtsfolgen, § 13 PatVG, etc.83 Es ist erneut auf die Todesfolge durch Unterlassen von medizinischen Maßnahmen hinzuweisen, weil dem Arzt aufgrund der Verbindlichkeit kein Handlungsspielraum bleibt.84 Die Entscheidungsfähigkeit ist von dem beratenden Arzt zu attestieren. Der Jurist hat sich bei seinem Kontakt mit dem Errichtenden vom Vorliegen zu vergewissern bzw sind Notare und Rechtsanwälte zu einer Prüfung nach § 52 NO bzw § 10 Abs 4 RAO angehalten.85 Dieser Überprüfung ist vor allem dann Bedeutung beizumessen, wenn seit der ärztlichen Aufklärung ein geraumer Zeitraum vergangen ist.86 Wenn das Verhalten des Patienten 77 Vgl Kunz/Gepart, FamZ 2006, 81 (82); Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 404; IERM 2009, 55; Neumayr in GmundKomm § 6 PatVG Rz 1; Sprohar-Heimlich in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht2 § 24 Rz 20. 78 Vgl ErlRV 1299 22. GP 7. 79 Vgl ErlRV 1299 22. GP 7; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 407; Kunz/Gepart, FamZ 2006, 81 (83); Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 6 Rz 1. 80 Vgl Bernat in Körtner et al, PatVG 65; Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 6 Rz 1. 81 Vgl Kunz/Gepart, FamZ 2006, 81 (82); Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 404; IERM 2009, 55; Sprohar-Heimlich in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht2 § 24 Rz 20; ErlRV 1299 22. GP 7. 82 Vgl Neumayr in GmundKomm § 6 PatVG Rz 1. 83 Vgl ErlRV 1299 22. GP 7; Kunz/Gepart, FamZ 2006, 81 (82) 84 Vgl ErlRV 1299 22. GP 7; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 408. 85 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 405; Memmer, RdM 2006, 163 (167). 86 Vgl Kunz/Gepart, FamZ 2006, 81 (85); Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 405. 12
während der juristischen Beratung an dessen Entscheidungsfähigkeit zweifeln lässt, ist der Arzt zu kontaktieren.87 Ebenso ist die Möglichkeit der Speicherung im Patientenverfügungsregister zu thematisieren88 bzw kann nach § 6 Abs 2 PatVG die Verfügung in der Elektronischen Gesundheitsakte, kurz ELGA, abgelegt werden. Der Patient kann dieser Speicherung widersprechen. Die Unterschrift des Patienten hat mit Beisetzung des Datums zu erfolgen, so § 6 Abs 1 PatVG. Die Aufklärung muss von dem juristischen Bearbeiter gem § 6 Abs 2 PatVG bestätigt werden. Wenn der Patient ein Vorsorgepaket, also eine Kombination von Vorsorgevollmacht oder Erwachsenenvertretung mit einer Patientenverfügung abschließen möchte, muss er dazu ein Notariat, eine Kanzlei oder einen Erwachsenenschutzverein aufsuchen. Eine Patientenvertretung ist dazu nicht befugt. Nach § 11 PatVG kann der Patient auch sonstige Inhalte in die Patientenverfügung mitaufnehmen. Beispielhaft zählt das Gesetz die „Benennung einer konkreten Vertrauensperson, die Ablehnung des Kontakts zu einer Person oder die Verpflichtung zur Information einer bestimmten Person“ auf. Die Wirksamkeit dieser sonstigen Inhalte richtet sich nicht nach dem PatVG, dh die Formvorschriften sind auf § 11 PatVG nicht anzuwenden.89 5. Verbindlichkeitsdauer Gem § 7 Abs 1 PatVG ist eine wirksam errichtete Patientenverfügung für einen Zeitraum von acht Jahren verbindlich. Es kann abweichend eine kürzere Geltungsdauer gewählt werden, eine längere ist hingegen ausgeschlossen. Um eine Verlängerung vorzunehmen, muss der Patient erneut ein ärztliches Aufklärungsgespräch in Anspruch nehmen, selbst wenn an der Verfügung nichts geändert werden soll.90 Idealerweise findet dieses vor Ablauf der alten Verfügung statt, damit keine Lücke entsteht. Die Verbindlichkeitsdauer soll gewährleisten, dass sich der Patient regelmäßig mit der Thematik auseinandersetzt und gegebenenfalls Änderungen vornimmt.91 Möglicherweise bieten neue Behandlungsmethoden eine neue Sichtweise und die Verfügung wird obsolet. 87 Vgl Kunz/Gepart, FamZ 2006, 81 (85). 88 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 409. 89 Vgl Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterrecht § 11 PatVG Rz 1; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 407. 90 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 8; Neumayr in GmundKomm § 7 PatVG Rz 2; krit Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB II5 § 7 Rz 2. 91 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 8; Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8. 13
Für die Erneuerung sieht das PatVG in § 7 Abs 1 keine Form vor. Es ist aber davon auszugehen, dass Unterschriftlichkeit notwendig ist, weil sonst keine nachweisbare Willenserklärung vorliegt.92 § 7 Abs 2 PatVG spricht die Erneuerung der Verfügung unter Mitwirkung von Personen nach § 6 Abs 1 PatVG an. In diesem Fall sind die Formvorschriften nach § 6 PatVG einzuhalten. Im Gegensatz zur ärztlichen Aufklärung ist dieser Schritt für die Erneuerung nicht zwingend vorgesehen. Entscheidet sich der Patient binnen offener Geltungsdauer eine Änderung vorzunehmen, ist dies gem § 7 Abs 3 PatVG als Erneuerung der Verfügung zu behandeln. Die Errichtungsregeln sind in diesem Fall anzuwenden.93 Im Rahmen dieser Änderung ist auf die Einheitlichkeit des Dokuments Bedacht zu nehmen, um Widersprüchlichkeiten zu vermeiden.94 § 7 Abs 3 PatVG sieht vor, dass mit einer Änderung die Verbindlichkeitsdauer von neuem zu laufen beginnt. Als Erneuerungsdatum ist das Datum der Bestätigung des ärztlichen Aufklärungsgesprächs zu werten.95 Nach § 7 Abs 4 PatVG ist die Erneuerung oder Änderung auch in dem Register vorzunehmen, in dem die Verfügung gespeichert wurde. Unter Register ist der Patientenverfügungsregister der Notariats- bzw Rechtsanwaltskammer zu verstehen. In § 7 Abs 5 PatVG wird der Fall angesprochen, dass der Patient seine Entscheidungsfähigkeit verliert. Dann entfaltet die Verfügung unbefristete Wirksamkeit. Handelt es sich um einen vorübergehenden Verlust, so steht der Erneuerung nach Wiedererlangung der Entscheidungsfähigkeit nichts im Wege.96 Das Ereignis hemmt den Ablauf der Frist.97 D. Die andere Patientenverfügung Die erläuternden Erfordernisse sind für eine verbindliche Patientenverfügung notwendig und müssen kumulativ vorliegen. Entfällt ein Kriterium, kann es sich um keine verbindliche Patientenverfügung iSd PatVG handeln, die vom Behandlungsteam zwingend zu berücksichtigen ist. 92 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8. 93 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 8; Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrecht3 416f. 94 Vgl ErlRV 1299 BlgNR 22. GP 8. 95 Vgl ErlRV 337 BlgNR 26. GP 3; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 417; Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8. 96 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8; Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachse- nenschutzrechts3 415; Neumayr in GmundKomm § 7 PatVG Rz 4. 97 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 415; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwal- terrecht § 7 Rz 4. 14
Nach § 8 PatVG sind andere Patientenverfügungen jedoch der Ermittlung des Patientenwillens zu Grunde zu legen. Gem § 9 Abs 1 S 1 PatVG wirken sie umso verbindlicher, je mehr sie in ihrer Form und ihrem Inhalt der verbindlichen Verfügung nahekommen. In § 9 PatVG findet sich dazu eine demonstrative Aufzählung von Kriterien, die Anhaltspunkte bieten können. Z 1 nennt die Bezugnahme auf die Krankenhaussituation, Z 2 beschreibt die Maßnahmen, Z 3 bezieht sich auf eine vorangegangene ärztliche Aufklärung, Z 4 auf die Einhaltung von Formerfordernissen und Z 5 und Z 6 legen das Augenmerk auf die letzte Erneuerung bzw deren Häufigkeit. Diese Ziffern müssen nicht alle erfüllt sein, sie wirken als bewegliches System, die unterschiedlich stark gewichtet werden können.98 Ist eine eindeutige Auslegung der Erklärung nicht möglich, so muss der Arzt andere Faktoren in die Behandlungsentscheidung miteinfließen lassen, um einen mutmaßlichen Willen zu eruieren.99 1. Einschätzung der Krankheitssituation Während § 4 S 2 PatVG für die verbindliche Verfügung eine zutreffende Einschätzung der Folgen vorsieht, spricht § 9 Z 1 leg cit von einer Einschätzung der Krankheitssituation und deren Folgen. Auf diese Einschätzung der Situation können die Beschreibung der Situation durch den Patienten, das Erleben bzw Miterleben einer derartigen Krankheitssituation, usw hinweisen.100 Die Folgen können entweder vom Patienten direkt angesprochen werden, sie sind Bestandteil eines ärztlichen Aufklärungsgesprächs gewesen oder der Patient hat sich das Wissen in sonstiger geeigneter Weise angeeignet.101 2. Abgelehnte Behandlung Nach § 9 Z 2 PatVG ist eine konkrete Beschreibung der abgelehnten Behandlung ein Hinweis auf eine informierte Entscheidung des Patienten. An dieser Stelle sei auf das oben ausgeführte verwiesen. 3. Ärztliche Aufklärung Die bei der verbindlichen Patientenverfügung zwingend vorgesehene ärztliche Aufklärung ist für die andere Patientenverfügung ein wichtiges Indiz für die ernsthafte Auseinandersetzung. Bei der 98 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 419; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwal- terrecht § 9 PatVG Rz 2. 99 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8; Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommen- tar II5 § 9 PatVG Rz 1. 100 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 419; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwa- lterrecht § 9 PatVG Rz 4. 101 Vgl Pesendorfer in Barth/Ganner, HB des Erwachsenenschutzrechts3 419; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwa- lterrecht § 9 PatVG Rz 6; Kathrein, ÖJZ 2006, 555 (564). 15
anderen Patientenverfügung ist wie bei der aktuellen Einwilligung ein Aufklärungsverzicht grundsätzlich zulässig.102 Nach der Rechtsprechung lässt sich der Patientenwille leichter befolgen, wenn der Arzt die Entscheidungsfähigkeit bei Errichtung bestätigt und dokumentiert.103 4. Formvorschriften Die §§ 4 bis 7 PatVG müssen für eine andere Patientenverfügung nicht eingehalten werden. Sie kann demnach sogar formfrei errichtet werden. Die Errichtungsmodalität kann wichtige Anhaltspunkte für die Entscheidungsfähigkeit oder die Ernstlichkeit der Erklärung bieten.104 Die Bindungswirkung einer anderen Patientenverfügung ist eine Einzelfallentscheidung. Von einer mündlichen Überlieferung durch zB nahe Angehörige ist aber dennoch dringend abzuraten, weil das Behandlungsteam ad hoc nicht beurteilen kann, ob die Person die Wahrheit spricht. Ehegatten oder Kinder werden im Fall der Entscheidungsunfähigkeit des Patienten nicht ex lege zum gesetzlichen Vertreter und dürfen eine solche Entscheidung nicht treffen, wenngleich sie bei der Eruierung des wahren Willen eine wichtige Stütze sein können.105 Daher ist für die andere Patientenverfügung ebenso eine schriftliche Errichtung anzuraten. Die andere Patientenverfügung schließt die Bestellung eines Vertreters durch Erwachsenenvertretung oder Vorsorgevollmacht nicht aus.106 In Auslegungsfragen ist dieser eine wichtige Anlaufstelle für das Behandlungsteam. Ob es dem Errichtenden darauf angekommen ist, eine verbindliche Verfügung zu erstellen und erst im Zuge des Errichtungsprozesses einem der Beteiligten ein Fehler unterlaufen ist, der die Verbindlichkeit ausschließt, ist zu vernachlässigen.107 Im Jahr 2017 veröffentlichte das New England Journal of Medicine folgende Krankengeschichte:108 Ein 70-jähriger Patient wurde bewusstlos auf der Straße gefunden und hatte einen erhöhten Blutalkohol. Im Zuge der Untersuchung konnten die Behandelnden Vorerkrankungen sowie ein Tattoo „Do NOT Resuscitate“, kurz DNR, auf seiner Brust ausmachen. Die Notfallmediziner entschieden, sich über das Tattoo hinwegzusetzen. Später konnte eine schriftliche Patientenverfügung ausfindig gemacht werden, die auch einen DNR – Vermerk 102 Vgl Memmer in Aigner et al, Handbuch Medizinrecht Kap I.8; Memmer, RdM 2006, 163 (172); Glanzer, Sachwalterschaft Kap V. 103 Vgl OGH 16.7.1998, 6 Ob 144/98i. 104 Vgl Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterrecht § 9 PatVG Rz 14. 105 Vgl Kletečka-Pulker, Kardiol 2014, 5 (8). 106 Vgl Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterrecht § 8 PatVG Rz 6; Pesendorfer, iFamZ 2019, 19 (19). 107 Vgl RIS-Justiz RS0128220. 108 Vgl Holt/Sarmento/Kett/Goodman, NEJM 2017, 2192 (2192). 16
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