Beitrag: Deutsche Russland-Politik-Manuskript - ZDF

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Manuskript

Beitrag: Deutsche Russland-Politik –
             Putins Freunde und die Gaspipeline

Sendung vom 27. Juli 2021

von Joachim Bartz, Christian Rohde und Ulrich Stoll

Anmoderation:
Man könnte es als gute Nachricht auffassen: Deutschland und
die USA haben sich zur umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord
Stream 2 geeinigt. Jetzt kann die Leitung schon im August
fertig werden, meinen die Betreiber, und künftig Gas aus
Russland direkt nach Deutschland transportieren. Doch die
Einigung hat viele Gegner. Der Kreml könne sein
geopolitisches Arsenal nun um ein gefährliches Instrument
erweitern, sagen sie. Joachim Bartz und Ulrich Stoll über die
Pipeline für Putins Politik – und ihre Folgen.

Text:
Es ist der 17. Januar 2021. Der russische Oppositionelle
Alexej Nawalny hat einen Giftmordanschlag überlebt. Aus
Berlin kehrt er nach Moskau zurück. An der Passkontrolle wird
der Kremlkritiker von seiner Frau getrennt und abgeführt.

Das russische Fernsehen berichtet so über die Rückkehr:

O-Ton Sendung "ЧП", am 18.1.2021:
Die deutschen Geheimdienste brachten ihren kostbaren
Agenten mit besonderem Chic zum Flughafen: ein schwarzer
Audi mit Geleitfahrzeug (...) Zum Geheimdienst hatte
Nawalny während seiner Zeit auf deutschem Boden eine
Arbeitsbeziehung. (...) Er tat alles entsprechend den
Forderungen von BND und Kriminalpolizei.

Der Fernsehsender, der aus Nawalny einen deutschen
Agenten macht, heißt NTW und gehört zur Gazprom Media
Holding, dem größten russischen Medienkonzern. Hinter NTW
steckt dieser Mann: Alexej Miller, ein Vertrauter Putins und
Chef des russischen Energiekonzerns Gazprom.
Gazprom baut die Gasleitung Nord Stream 2: von Russland
über die Ostsee nach Mecklenburg-Vorpommern – mit dem
Segen der Bundesregierung.

O-Ton Janis Kluge, Stiftung Wissenschaft und Politik:
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Geschäfte,
die wir mit Gazprom machen, dass die auch Strukturen in
Russland fördern, die, ja, mit dem politischen System, mit der
Propaganda, mit der Medienlandschaft dort verbunden sind -
und damit auch finanzieren, dass Propaganda beispielsweise
gegen Alexej Nawalny gesendet wird, aber auch Propaganda
gegen Deutschland gesendet wird.

Alexej Nawalny - kahlgeschoren und krank. Aufnahmen von
Ende März 2021 aus der Strafkolonie Nr. 2. Seine Ärztin darf
er nicht sehen. Sie wird festgenommen, als sie Nawalny
treffen will.

O-Ton Steffen Seibert, Regierungssprecher, am 18.1.2021:
Die russischen Behörden haben das Opfer eines
Mordanschlags mit C-Waffen verhaftet, und nicht die Täter.
Die Bundesregierung ruft die russische Regierung daher
nachdrücklich dazu auf, erstens Herrn Nawalny unverzüglich
freizulassen, und zweitens die Umstände des
Chemiewaffenangriffs auf russischem Boden vollumfänglich
aufzuklären.

Doch trotz der markigen Worte hält die Bundesregierung fest
an einem Lieblingsprojekt von Wladimir Putin: Nord Stream 2.
Die Pipeline werde die wirtschaftliche Zusammenarbeit
stärken, glaubt die Bunderegierung und hofft auf bessere
politische Beziehungen. Dabei kann Nord Stream 2 zur
Bedrohung werden für deutsche Partner wie die Ukraine.

Bisher fließt russisches Gas Richtung Westen durch die
ukrainische Transgas-Leitung. Die ist nicht einmal
ausgelastet.

Trotzdem wird neben Nord Stream 1 auch Nord Stream 2
gebaut. Gas wird von Russland nach Deutschland geliefert,
unter Umgehung der Ukraine. Die würde Millionen an
Transiteinnahmen verlieren – überlebenswichtig für das Land.
Auch aus diesem Grund waren die USA immer gegen die neue
Trasse.

Washington, vor wenigen Tagen. Als Angela Merkel den
amerikanischen Präsidenten trifft, kann sie ihn überzeugen:
Es wird keine Sanktionen gegen Firmen geben, die die
Pipeline bauen. Doch Bidens Zugeständnis hat einen Preis. Er
fordert harte Maßnahmen Deutschlands, falls Russland der
Ukraine schaden sollte.

Zurück in Berlin klingt das bei Angela Merkel so:

O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin, am 22.7.2021:
Dann haben wir natürlich auch die Möglichkeit, von der ich
nicht Gebrauch machen möchte, aber die wir immer haben:
Sanktionen zu machen. Also, wir sind ja nicht ohne jedes
Mittel, etwas zu tun.

Die Kanzlerin bleibt im Ungefähren und muss hoffen, dass
Russland sich an Verabredungen hält.

Putin lässt bisher offen, ob durch die Ukraine tatsächlich
weiter Gas fließen wird, wie vertraglich garantiert. Nord-
Stream-Lobbyisten und Ex-Kanzler Schröder sitzen in Sankt
Petersburg dabei als der Putin der Ukraine droht.

O-Ton Wladimir Putin, Präsident Russland, am 6.6.2021:
Alles ist möglich, wir sind bereit dazu. Wir wollen das, doch
es braucht guten Willen unserer ukrainischen Partner.

O-Ton Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, MdB,
Außenpolitischer Sprecher:
Die Ukraine ist das beste Beispiel dafür, dass eine solche
Pipeline einfach nicht nur ein Privatprojekt ist, weil wir es
schon oft erlebt haben, dass wenn es politische
Schwierigkeiten gegeben hat, es keinerlei Hemmungen gab
auf der russischen Seite, mitten im Winter die Gaspipelines
einfach abzudrehen und dann politische Preise oder auch
mehr Geld zu fordern.

In Moskau geht der Kreml immer wieder rigoros gegen
Oppositionelle vor. Nawalny-Demonstrationen werden
niedergeknüppelt.

O-Ton Roderich Kiesewetter, CDU, MdB, Obmann Auswärtiger
Ausschuss:
Die Konsequenz wird mittelfristig sein, dass wir uns
entscheiden müssen: Setzen wir die Menschenrechte hinten
an und lassen wir es zu, dass Russland weiterhin unsere
politischen Prozesse beeinflusst durch hybride
Desinformation, durch Mordversuche im Ausland, durch
Unterdrückung der Opposition. Oder aber sagen wir: Das war
der Schritt zu weit, und hiermit stoppen wir zunächst Nord
Stream 2, indem wir kein Gas bestellen.
Doch der derzeit wichtigste Mann in der CDU sieht das seit
Langem anders:

O-Ton frontal:
Beim Thema "Nord Stream 2" - wären Sie da trotzdem nicht
bereit, doch Ihre Position zu revidieren?

O-Ton Armin Laschet, CDU-Vorsitzender, am 25.1.2021:
Nein.

Energiepolitik scheinen dem Kanzlerkandidaten der Union
wichtiger als Menschenrechte.

O-Ton Armin Laschet, CDU-Vorsitzender, am 25.1.2021:
Man muss trotzdem Felder suchen, wo man kooperiert. (…)
Die Energieversorgung Deutschlands ist eine wichtige Frage,
die beantwortet werden muss.

Braucht Deutschland die Pipeline wirklich für eine sichere
Energieversorgung? Das ist mehr als fraglich - so steht es in
einem Gutachten des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung:

O-Ton Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung:
Es ist ein Fehler, diese Pipeline gebaut zu haben und auch
solange noch an ihr festzuhalten, weil es eben Probleme
hervorbringt. Also, energiewirtschaftlich benötigen wir diese
Pipeline nicht. Sie ist unnötig. Sie ist teuer. Sie widerspricht
den Energiewende- und Klimazielen.

Wem nutzt sie also, die Pipeline? Der Hafen Mukran auf
Rügen. Hier werden Bauarbeiten und Betrieb von
Nord Stream 2 koordiniert. Die Regierung von Mecklenburg-
Vorpommern hofft auf Arbeitsplätze, ist froh über die
Pipeline, die aus Russland kommt.

Im Juni 2021 veranstaltet die Landesregierung einen
sogenannten Russlandtag: Blumen von der SPD-
Ministerpräsidentin für den russischen Botschafter – trotz
gravierender Menschenrechtsverletzungen

O-Ton Manuela Schwesig SPD, Ministerpräsidentin
Mecklenburg-Vorpommern:
Ich glaube, dass es gerade wichtig ist, in schwierigen Zeiten
im Dialog zu bleiben.

Gesponsort wird das Wirtschaftstreffen von russischen
Oligarchen.
O-Ton Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, MdB,
Außenpolitischer Sprecher:
Ich verstehe nicht, warum sie solange an einem so falschen
Projekt festhalten. Es gibt nun einzelne Leute, die daran
verdienen wie Gerhard Schröder. Es gibt Leute wie Frau
Schwesig, die Gazprom-Gelder ins eigene Land holen. Und
ich glaube, dass es bei den vielen jetzigen Funktionären der
Sozialdemokratie einfach eine falsch verstandene Russland-
Politik, die die Ostpolitik von Willy Brandt einfach überträgt in
die Zeit von Putin. Und das passt nicht mehr.

Mecklenburg-Vorpommern hatte sogar die Stiftung Klima und
Umwelt MV gegründet. Angeblich soll sie Umweltprojekte
fördern. Chef ist Schwesigs Vorgänger Erwin Sellering.

O-Ton Erwin Sellering, SPD, ehemaliger Ministerpräsident
Mecklenburg-Vorpommern:
Ganz klar ist: Wir machen Klimaschutz. Und in der Tat: Als
zeitweiliger Nebenzweck steht da drin, dass wir bei der
Vollendung von Nord Stream 2 helfen.

Das Geld dafür kommt ausschließlich aus Russland, von der
Gazprom-Firma Nord Stream 2, 20 Millionen Euro.

O-Ton Janis Kluge, Stiftung Wissenschaft und Politik:
Ich glaube tatsächlich, dass bei vielen deutschen Politikern
die Überzeugung echt ist, dass man eben etwas für die
deutsch-russische Freundschaft tut, wenn man so ein Projekt
unterstützt. Aber diese Kalkulation ist in meinen Augen
unvollständig, denn es gibt auch einen sehr, sehr großen
außenpolitischen Preis, den Deutschland für diese Pipeline
bezahlt.

Nord Stream 2 – wirtschaftlich fragwürdig und schädlich fürs
Klima. Ob sich die deutsch-russischen Beziehungen wirklich
verbessern – völlig offen.

Alexej Nawalny jedenfalls sitzt weiter in Haft.

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