Fetale Alkoholspektrum-Störung bei Pflege- und Adoptivkindern - Bedeutung, Hilfen und Aktuelles
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Fetale Alkoholspektrum-Störung bei Pflege- und Adoptivkindern Bedeutung, Hilfen und Aktuelles Fachtagung 15. November 2014 Vortrag von Lenore Wittig 1
Fetales Alkoholsyndrom (FAS): Fehlbildungssyndrom beim Kind, Verursacht durch Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft. Fetale Alkoholspektrum-Störung (FASD): Oberbegriff für vier verschiedene Arten von alkoholbedingten Fehlbildungssyndromen beim Kind. 2
Mögliche Symptome von FASD • Zahlreiche Organschädigungen • Kleinwüchsigkeit und Gesichtsauffälligkeiten • Intelligenzminderung und Entwicklungsverzögerungen • Unruhe und kurze Aufmerksamkeitsspanne • Eingeschränkte Gedächtnisleistung • Probleme im abstrakten Denken und in den Exekutivfunktionen • Mangelhafte Impulskontrolle, emotionale Labilität, Naivität und Distanzlosigkeit 3 Bild: http://www.faskinder.de/images/faskinder/Fas_junge.jpg
Folgeschäden von FASD • Nicht heilbare Hirnschädigung • Zahlreiche körperliche, geistige und seelische Behinderungen und Verhaltensdefizite im sozialen Bereich • Schulversagen und Delinquenz • Entwicklung einer Sucht • Etwa 70 % der Erwachsenen können nicht selbständig leben und arbeiten • FASD = häufigste Ursache einer geistigen Entwicklungsstörung mit irreversiblen Folgen in Schule, sozialer Reifung und Lebensführung. • Bis zum Alter von 24 Jahren: Kosten für einen FASD-Patienten werden auf etwa 1 000 000 € geschätzt. 4
Epidemiologie • Häufigste Ursache einer geistigen Entwicklungsstörung • Deutschland: jährlich ca. 2100 Kinder mit FAS – jedes 330. Kind; • Außerdem jährlich ca. 4500 Kinder mit partiellem FAS • Gesamthäufigkeit 1 % • Ca. 80 % leben in Pflege- und Adoptivfamilien • Etwa jedes 4. Pflegekind ist von FASD betroffen. • 15-30% der Schwangeren konsumieren Alkohol 5
Wie wirkt Alkohol in der Schwangerschaft auf das ungeborene Kind? • Gelangt ungehindert zum Embryo / Fetus • Kann nicht abgebaut werden wegen unreifer Leber • Stört den Verlauf der Zellkernteilung und führt zu Wachstumsstörungen • Stört zeitgerechten Ablauf der Organanlage und führt zu Fehlbildungen • Gehirn wird besonders stark geschädigt 6 http://static1.kleinezeitung.at/system/galleries_520x335/upload/7/7/2/2471418/baby_070910apa726.jpg
Diagnostik • Bester Zeitrahmen zwischen 8 Monaten und 8 Jahren • In speziellen Diagnostikzentren: - Elterngespräch - medizinische Untersuchung - psychologische Testung - Beratung und Therapieplanung Verfahren: • S3-Leitlinie zur Diagnostik von FAS • 4-Digit-Diagnostic Code (pFAS, neurologische Entwicklungsstörungen und FAS-adult) • In Entwicklung: Leitlinien zur Diagnostik pFAS und alkoholbedingter neurologischer Entwicklungsstörung http://bilder.t-online.de/b/64/56/79/22/id_64567922/tid_da/ist-ihr-kind-gesund-.jpg 7
• Wachstumsminderung • Kraniofaziale Dysmorphie Fetales Alkohol Syndrom • Zentralnervöse Störungen: FAS - Mikrozephalie - kognitive + emotionale Einschränkungen Intrauterine Alkohol-Exposition • Wachstumsminderung Partielles fetales • Schwach ausgeprägte Alkoholsyndrom Gesichtsveränderungen pFAS • Zentralnervöse Störungen FASD Alkoholbedingte neurologische • Zentralnervöse Störungen Entwicklungsstörungen • Keine körperlich sichtbaren Merkmale ARND Alkoholbedingte • Nur körperliche Veränderungen Geburtsschäden (Gesicht und/ oder Organe) ARBD 8
Argumente für eine frühzeitige Diagnostik • Verstehen und Einordnen der Verhaltensauffälligkeiten, auch im sozialen Umfeld • Planung realistischer Ziele und Therapien • Zugang zu ergänzenden Hilfen: Behindertenstatus, Pflegestufe, Eingliederungshilfe, etc. Bild: FAS-Ambulanz der Universitätsklinik Münster 9
Sozialrechtliche Hilfen • Anerkennung einer Schwerbehinderung mit Merkzeichen G, H und B • Beantragen von Pflegestufe 0 (eingeschränkte Alltagskompetenz), 1 oder 2 • Eingliederungshilfe: – Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung – Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, usw. • Finanzierung von Eingliederungshilfe: Bei seelischer Behinderung von Kindern über KJHG, sonst über Sozialhilfe. Geplanter Zuständigkeitswechsel für körperlich und geistig behinderte Hamburger Pflegekinder, die außerhalb von Hamburg leben 10
Auffälligkeiten in verschiedenen Lebensabschnitten Nach der Geburt und frühe Säuglingszeit : • Häufig Früh- / Mangelgeburt • Geringes Gewichts- und Größenwachstum • Auffälliges Gesicht, kaum fasziale Dysmorphien • Fehlbildungen an Herz (30%), Nieren u. Knochen • Lippen-Kiefer-Gaumenspalte • Alkoholentzugssyndrom / Irritabilität bei Polydrug-Müttern • Ein- und Durchschlafstörungen • Nächtliche Panikstörungen, exzessives Schreien • Saug- und Schluckprobleme, Fütter- und Gedeihstörungen • Hohe Infektanfälligkeit • Verringerte Schmerz- und Temperaturempfindlichkeit 11 Bild: http://autoimg.frauenzimmer.de/autoimg/552239/300x600/schlafstoerung-statt-adhs-bei-hyperaktiven-kindern.jpg
Probleme im Kindergartenalter • Kein Einschätzen von Gefahren • Distanzlosigkeit und mangelhafte soziale Feinfühligkeit • Reizüberflutung und Überforderung durch Gruppen Aggressives Verhalten • Versteht keine Regeln und kann sie nicht anwenden • Kann nicht aus Erfahrung lernen • Werden leicht zu Außenseitern Bild: FAS-Erste-Hilfe-Koffer; Schmidt, Fietzek, Holodynski, Feldmann 12
Probleme im Schulalter • Eingeschränkte Exekutivfunktionen erschweren Lernen und Durchführen komplexer Aufgaben. • Von Lehrern oft für faul / schlecht erzogen gehalten • Defizite im Sozialverhalten Ablehnung durch Mitschüler. • Überforderung durch Reizüberflutung unkontrolliertes und aggressives Verhalten (auch zu Hause) • Verführbarkeit durch mangelnde seelische Reife und eingeschränktes Gefahrenbewusstsein. • Dauerhafte Überforderung Hausaufgaben- und Schulverweigerung. 13 http://polpix.sueddeutsche.com/bild/1.597927.1357280047/860x860/stress-schulkindern.jpg
FASD und Pubertät • Kognitive und soziale Defizite nehmen zu • Häufig ADHS • Keine altersgemäße Reifeentwicklung • Verbale /körperliche Aggressionen gegenüber den Eltern • Schulwechsel und Ausbildungsabbrüche • Suchtmittelkonsum • Kleinkriminalität • Mangelhafte Impulskontrolle in der Sexualität • Depression 14 http://www.vornamen.ch/magazin/wp-content/uploads/panthermedia_A9875779_848x565-e1390318773378.jpg
Begabungen bei einem 18-Jährigen Menschen mit FASD (fasworld.de) • Sprachbegabung wie 20-Jähriger • Sprachverständnis wie 6-Jähriger • Körperliche Reife wie 18-Jähriger • Zeit / Geld / Mathe wie 8-Jähriger • Seelische Reife wie 6-Jähriger • Lesefähigkeit wie 16-Jähriger • Soziale Fähigkeiten wie 7-Jähriger • Alltagsfähigkeiten wie 11-Jähriger 15
FASD im Erwachsenenalter • Bei jährlich 6500 Neugeborenen mit FAS und pFAS kommen alle 20 Jahre circa 130000 betroffene Erwachsene zusammen , größtenteils ohne richtige Diagnose • Diagnostik mit Hilfe des (angepassten) 4-Digit-Codes an Berliner Charité möglich (Wissen um Alkoholexposition nötig!) • Etwa 70% leben in betreuten Wohnformen : - Wohngruppen der Behindertenhilfe (teilweise nicht passend) - anthroposophische Lebensgemeinschaften • Konzepte für Leben und Arbeiten speziell für FASD-Betroffene nötig • Arbeit in beschützten Arbeitsformen: - Reha-Beratung – Berufsbildungswerke - Behindertenwerkstatt 16
Zur Situation von Pflege- und Adoptiveltern • Tragen einen großen Teil der Last des Syndroms • Erfahren oft Unverständnis und Schuldzuweisungen durch Fachleute und privates Umfeld • Müssen Enttäuschung über die Grenzen ihrer Arbeit mit den Kindern verarbeiten • Erleben die Gefährdung ihrer Ehe und Familie durch jahrelange Überlastung • Erfahren Unterstützung durch engagierte Einzelpersonen und durch Selbsthilfegruppen 17
Was brauchen Pflege- und Adoptivfamilien? • Information der Öffentlichkeit über FASD • Abklärung des mütterlichen Alkoholkonsums in der Schwangerschaft durch Sozialarbeiter und stützende Begleitung • Frühzeitige Diagnostik, Verlaufsplanung und Einleitung flankierender Maßnahmen • Unterstützung durch soziales Netz und Fachkräfte • Entlastung durch zusätzliche Betreuungsleistungen • Austausch in Selbsthilfegruppen, Supervision • Innere Haltung: Lasst die Kinder glücklich sein .. … und die Eltern ebenso! 18 Bild: http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/mi/milagro/text/regular/360277.gif
Diagnostik- und Beratungsadressen FAS-Ambulanz der Tagesklinik Walstedde Tel. 02387-9194-6100 www.tagesklinik-walstedde.de FASD-Zentrum Charité Berlin fasd-zentrum@charité.de Evangelischer Verein Sonnenhof, Fr. Gela Becker sonnenhof-ev@t-online.de (www.e.v.-sonnenhof.de) KMG Rehabilitationszentrum Sülzhayn (stationär) h.hoff-emden@kmg-kliniken.de (www.kmg-kliniken.de) Frau Gila Schindler, RA für Kinder- u. Jugendhilferecht heidelberg@sojura.de 19
Informationen • Selbsthilfegruppe FASD Deutschland e.V. www.fasd-deutschland.de • Universität Münster, Forschungsbereich FASD (Dr. Feldmann) www.fetales-alkoholsyndrom.de • Homepage der Drogenbeauftragten www.drogenbeauftragte.de • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung www.bzga.de • S3-Leitlinie zur Diagnostik www.awmf.org 20
Literatur • Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Die Fetale Alkoholspektrum-Störung; Die wichtigsten Fragen der sozialrechtlichen Praxis; 2014 • FASD Deutschland: Lebenslang durch Alkohol • FASD Deutschland, G. Michalowski: Wenn FASD Kinder älter werden (www. FASD Netz Nordbayern: FASD-Tagung Erlangen Mai 2014) • Dr. H. Hoff-Emden: Erwachsene mit FASD „Mission impossible“ in www.FASD Netz Nordbayern, s.o.) • M. N. Landgraf, F. Heinen2013: Fetales Alkoholsyndrom, S3-Leitlinie zur Diagnostik • K.Lepke, G. Michalowski, R. Feldmann, FASD Deutschland e.V. 2014 : FASD: Wenn Liebe allein nicht ausreicht • H.-L. Spohr 2014 : Das Fetale Alkoholsyndrom • Grit Wagner 2012: Ich, das Kind aus der Schnapsflasche • J. Wagner (in H.-L. Spohr 2014, s. oben): Neuropsychologische Diagnostik • H. Schmidt, M. Fietzek, M. Holodynski, R. Feldmann 2013: FAS-Erste-Hilfe-Koffer • www.moses-online.de: FASD (Moses Online Magazin November 2013); Ratgeber Schule (Moses Online MagazinDezember2013) 21
Inhalte der Dokumentationen 1. Band (Juni 2013) • FASD – Grundlagen und vertiefende Informationen • Persönliche Berichte von betroffenen Pflege- und Adoptiveltern und von erwachsenen Pflegegeschwistern • Förderliche Rahmenbedingungen an Kitas für FASD-Kinder • Erklärungen zu Pflegestufe 0 und zur Beantragung von Schulbegleitung • Das FASD-Konzept eines Kreisjugendamts • Anschriften von Diagnostikzentren und Lebensgemeinschaften, Links und Literaturhinweise 2. Band (November 2014) • FASD – Bedeutung und Hintergründe • Persönliche Berichte betroffener Pflegeeltern • Sozialrechtliche Leistungen • Auswirkung von Drogen – und Tablettenkonsum auf das (un-)geborene Kind 22
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