Beitrag: Schutz gegen Masern?- Manuskript - ZDF

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Manuskript

Beitrag: Schutz gegen Masern? –
             Wie die Impfpflicht boykottiert wird

Sendung vom 16. Juni 2020

von Beate Frenkel und Jan Schneider

Anmoderation:
Ein Impfstoff gegen das Coronavirus - die meisten Menschen
wären froh, wenn es ihn gäbe. Eine kleine, aber laute Minderheit
von Impfgegnern wittert indes Verschwörung. Schon vor Corona
gab es Streit – und verunsicherte Eltern. Denn seit März sind sie
gesetzlich verpflichtet, ihre Kinder gegen Masern impfen zu
lassen. Die Krankheit kann schwere Folgen haben:
Hirnhautentzündung oder sogar den Tod. Und trotzdem
boykottieren Impfkritiker den Schutz, darunter sogar Ärzte. Sie
schüren Ängste statt aufzuklären. Beate Frenkel und Jan
Schneider berichten.

Text:
Die Pandemie - angeblich eine Lüge. Vor zwei Wochen
demonstrieren sie in Stuttgart gegen die Maßnahmen der
Bundesregierung, die vor dem Coronavirus schützen sollen,
darunter Impfgegner, die nicht etwa das gefährliche Virus
fürchten, sondern eine Impfpflicht dagegen.

O-Ton Natalie, Impfgegnerin:
Also, ich bin nicht dafür, dass ich meinen Körper impfen
muss, wenn ich für diese Impfung keinen Sinn sehe. Weil, wir
haben ein gutes starkes Immunsystem. Wenn wir das nicht
hätten, wären wir schon lange alle tot.

„Gib Gates keine Chance“ - Verschwörungstheorien, wie Bill
Gates habe das Virus erfunden, sind unter Impfgegnern
verbreitet. Es sind oft krude Theorien und längst widerlegte
Aussagen, die Ängste schüren - und sie verunsichern Eltern.

Das erlebt auch der Kinderarzt Jakob Maske in seiner Berliner
Praxis. Gegen Corona gibt es gar keinen Impfstoff, grundsätzlich
auch keine gesetzliche Impfpflicht gegen Infektionskrankheiten.
Nur bei Masern wird eine Ausnahme gemacht – und die ist
begründet: Die Virusinfektion ist extrem ansteckend und kann zu
schwerwiegenden Schäden führen. In einem von 1.000 Fällen
endet sie tödlich.

O-Ton Jakob Maske, Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte Berlin:
Eins, zwei, drei.

Ein Pieks mit dem Impfstoff schützt dagegen.

O-Ton Jakob Maske, Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte Berlin:
Die Zahl der verunsicherten Eltern nimmt deutlich zu, durch
eben die öffentlichen oder vor allen Dingen auch sozialen
Medien. Wir sehen, dass viele Eltern zweifeln, ob Impfungen
noch gut sind. Aber durch unsere Aufklärung erreichen wir
eigentlich, dass wir diese skeptischen Eltern auch dazu
bringen, ihre Kinder so zu impfen, wie es wirklich gut für sie
ist.

Das Masernschutzgesetz schreibt seit 1. März vor: Kinder ab
einem Jahr brauchen für den Kita- und Schulbesuch einen
Impfnachweis. In der Regel sind es Kinderärzte, die diese
Impfung bescheinigen.

Berlin 2017

Gegen den „Impfwahnsinn und Panikmache“ protestierten
Impfgegner schon vor Corona. Die Weltgesundheitsorganisation
erklärte sie bereits 2019 zur globalen Bedrohung. Die Masern
sollten längst ausgerottet sein, stattdessen steigt weltweit die Zahl
der Infektionen und Todesfälle. Trotzdem gibt es sogar Ärzte, die
behaupten, nicht die Masern, sondern das Impfen sei gefährlich:

Berlin 2019, Quelle: YouTube

O-Ton Dr. Carola Javid-Kistel, Ärztin, Quelle: YouTube:
Die Impfstoffe, die erst mal drin sind im Kind, die kriegt man
nicht mehr raus.

Die Ärztin meint, Impfschäden würden vertuscht. Eine
Verschwörungstheorie, die hier gut ankommt:

O-Ton Dr. Carola Javid-Kistel, Ärztin, Quelle: YouTube:
Das ist ein wirklicher Angriff auf unsere Gesundheit. Und
wenn dann immer geredet wird von Herdenimmunität und
Herdenschutz und ich sehe aber, wie die Herde immer
kränker wird, dann möchte nicht Teil dieser Herde sein,
wirklich nicht.

O-Ton Demo, Quelle: YouTube:
Jawohl! Auf in die gesunde Herde!
Eine Ärztin, die vor Impfungen warnt.

Wir recherchieren im Internet und finden noch andere Mediziner,
die sich auf ihrer Webseite offen gegen das Impfen aussprechen -
zum Beispiel: „Impfen nützt nichts, Impfen schützt nicht,
Impfen schadet!“

In impfkritischen Internetforen stoßen wir auf Eltern, die nach
Schlupflöchern suchen, und auf viele Tipps, wie man die
Impfpflicht am besten umgehen könnte. Wir geben uns selbst als
Kritiker aus. Immer wieder fällt das Stichwort: Impfunfähigkeit.

Eine Arztpraxis gibt online Anleitungen, inklusive Mustertexten,
wie man am besten an eine Impfunfähigkeits-Bescheinigung
kommt.

Ein Kinderarzt bietet sie per Mail gegen Geld direkt an:

"Bitte senden sie uns einen normalen Brief, (…) einen
frankierten Rückumschlag, mögliche gesundheitlich-
relevante Probleme in der Familie, Vergütung der
Bescheinigung (10 Euro – bitte in Silberpapier einwickeln)
und wir senden Ihnen schnellstmöglich eine
Impfunfähigkeitsbescheinigung (…) Wolfgang Scheel"

Eigentlich ist die Bescheinigung für sehr seltene Fälle gedacht,
zum Beispiel für schwerkranke Kinder mit Immunschwächen, die
wirklich nicht geimpft werden dürfen.

Jakob Maske findet das Angebot des Kollegen verantwortungslos.
Schließlich geht es hier um den Schutz von Kindern.

O-Ton Frontal 21:
Schockiert Sie so was, wenn Sie so was sehen von einem
Kollegen?

O-Ton Jakob Maske, Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte Berlin:
Ich bin absolut schockiert, dass so was ein Arzt durchführt,
absolut schockierend für mich.

Der Kinderarzt, der per Mail die Bescheinigung anbietet, macht
aus seiner Einstellung keinen Hehl. Auf einem sogenannten
Impformationskongress im April lässt sich Dr. Scheel als
unerschrockener Kämpfer gegen die Impfpflicht feiern:

„Heute freue ich mich ganz besonders auf den Kinder- und
Jugendarzt Dr. Wolfgang Scheel“ [Quelle:
Impformationskongress.com]

Der erklärt online, wie er Eltern hilft, die Masernimpfung zu
umgehen:
O-Ton Dr. Wolfgang Scheel, Kinder- und Jugendarzt, Quelle:
Impformationskongress.com:
Es kann Sie niemand, niemand - und auch der Papst
persönlich - nicht zwingen, Ihr Kind impfen zu lassen. Eine
Impfpflicht gibt es nicht (…) Aber es gibt eben eine
Nachweispflicht. Und Sie können - und dabei helfen wir
schon – nachweisen, dass ihr Kind nicht geimpft werden
darf.

Für den Nachweis reicht angeblich die Angabe einer familiären
Vorerkrankung. Wir machen die Probe und schreiben dem Arzt
unter falschem Namen, erfinden ein Kind namens Jakob und
bitten um die Bescheinigung. Die zehn Euro packen wir in
Alupapier, wie von Dr. Scheel erbeten.

Eine Woche später liegt die Antwort aus der Kinderarztpraxis im
Briefkasten. Die "Impfunfähigkeits-Bescheinigung" für Jakob –
für ein Kind das es gar nicht gibt. Dr. Scheel hat trotzdem ein
Attest geschickt.

Warum macht der Arzt das? Wir bitten um ein Interview, schicken
ihm unsere Fragen - keine Antwort, auch am Telefon kein
Durchkommen. Wir besuchen ihn in seiner Praxis – auch jetzt
kein Interview. Stattdessen verweist er hinterher per Mail auf die
vielen Eltern, die sich an ihn wenden, um so dem „Impfzwang“
zu entgehen. Warum er Kindern ein ärztliches Attest ausstellt, die
er nicht kennt, erklärt er später auf Nachfrage so,

Zitat:
„Die Eltern nehmen den Riesenaufwand auf sich, um
Wegstrecken zu uns über 6-7-8 Stunden zu bewältigen!“

Die Bundesärztekammer sieht darin auch rechtliche Probleme:

O-Ton Dr. Heidrun Gitter, Vorstand Bundesärztekammer:
In diesem Falle wäre das so, denn er hat das Kind nie
gesehen. Er hat sich also nie davon überzeugt, dass
tatsächlich eine anerkannte Gegenanzeige für eine
Masernimpfung vorliegt. Und dann hätte er ein unrichtiges
Zeugnis ausgestellt und das müsste staatsanwaltschaftlich
geprüft werden.

In der Kassenärztlichen Vereinigung ist Dr. Scheel schon länger
als Impfgegner aufgefallen. Im Februar demonstrierten vor dem
Gebäude Eltern dafür, dass er seine Zulassung als Kassenarzt
behalten darf. Dass der Arzt Impfunfähigkeits-Bescheinigungen
ausstellt, ohne Patienten untersucht zu haben, war hier nicht
bekannt.

O-Ton Dr. Johannes Fechner, Kassenärztliche Vereinigung
Baden-Württemberg:
Wenn der Arzt das in Einzelfällen, und es gibt sicher
medizinisch begründbare Einzelfälle, das tut oder die
Kinderärzte das tun, dann ist es in Ordnung. Wenn es aber
am Fließband ausgestellt wird und gar noch ohne
Untersuchung oder auch ohne körperlichen Kontakt, dann ist
es sicher schwierig und würde auch verfolgt werden.

Um das Masernschutzgesetz zu umgehen, scheuen Impfgegner
vor strafbaren Handlungen nicht zurück: Sie geben in ihren Foren
Tipps, wo man einen Blanko-Impfpass erhält. Wir probieren es
aus. Auch den Arztstempel gibt es im Online-Shop.

O-Ton Jakob Maske, Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte Berlin:
Selbstverständlich kann man Impfpässe käuflich erwerben
und diese auch selbst ausfüllen. Das ist allerdings eine
Urkundenfälschung und kann strafrechtlich verfolgt werden.

117 Kinder betreuen sie in der städtischen Kindertagesstätte in
Kehl. Wer von ihnen gegen die Masern geimpft ist und wer nicht,
sollen Erzieherinnen wie Gabi Schellbach kontrollieren. Doch die
Impfpässe sind nicht immer vollständig ausgefüllt:

O-Ton Gabi Schellbach, Leiterin Kindergarten Kreuzmatt,
Kehl:
Teilweise fehlen die Stempel der Ärzte, teilweise wurden
Kreuzchen nachgetragen, wo wir nicht wissen, wer dieses
gemacht hat.

Wie also sollen Kindergärten und Schulen überprüfen, ob die
Impfnachweise echt sind oder nicht? Nachfrage beim
Bundesgesundheitsministerium – dazu gibt es keine Antwort.

Die Verantwortung lastet allein auf ihren Schultern. Und auch die
Sorge, dass die Kleinsten, die noch zu jung sind für die Impfung,
mit den Masern gefährdet werden. Deswegen möchte sich Gabi
Schellbach wenigstens auf Bescheinigungen verlassen können,
die von Ärzten ausgestellt sind.

O-Ton Gabi Schellbach, Leiterin Kindergarten Kreuzmatt,
Kehl:
Ich vertraue den Ärzten und dann erwarte ich auch, dass die
ehrlich sind und auch ehrliche Bescheinigungen ausstellen.

Solange Ärzte Eltern dabei unterstützen, die Impfpflicht zu
umgehen, bleibt das Risiko, dass Kinder der gefährlichen
Maserninfektion schutzlos ausgeliefert sind.
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