Berliner Debatte Initial - Universität Stuttgart
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Berliner Debatte Initial 1 24. Jg. 2013 Bildung und Biologie Becker ADHS aus Sicht von Experten und Eltern Salaschek Bildgebende Hirnforschung Busch „Gold“ in Leben und Werk Richard Wagners Flige u.a. Leben mit dem Stalinschen Terror Koch Wohlfahrt elektronische Sonderausgabe ISBN 978-3-941880-56-6 ohne Wachstum © www.berlinerdebatte.de
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1 Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal © Berliner Debatte Initial e.V., Vorsitzender Erhard Berliner Debatte Initial erscheint bei WeltTrends, Crome, Ehrenpräsident Peter Ruben. c/o Universität Potsdam, August-Bebel-Straße 89, Berliner Debatte Initial erscheint viermal jährlich. D-14482 Potsdam, Tel. +49/331/977 45 40, Fax +49/331/977 46 96 Redaktionsrat: Harald Bluhm, Wladislaw Hedeler, Cathleen Kantner, Rainer Land, Udo Tietz, Andreas Preise: Einzelheft: 15 € Willisch. Jahresabonnement: 40 €, Institutionen 45 €, Studenten, Rentner und Arbeitslose 25 €. Redaktion: Ulrich Busch, Erhard Crome, Wolf- Ermäßigte Abos bitte nur direkt bei Berliner Debatte Dietrich Junghanns, Raj Kollmorgen, Thomas Müller, Initial bestellen. Nachweis (Kopie) beilegen. Das Dag Tanneberg, Matthias Weinhold. Abonnement gilt jeweils für ein Jahr und verlängert Redaktionelle Mitarbeit: Jonas Frister, Robert Stock, sich um jeweils ein Jahr, wenn nicht sechs Wochen Johanna Wischner. vor Ablauf gekündigt wird. Verantwortlicher Redakteur: Jan Wielgohs, in Bestellungen Einzelhefte und Abos im Webshop Vertretung Thomas Müller. V.i.S.P. für dieses Heft: oder per E-Mail: bestellung@welttrends.de Jonas Frister und Thomas Müller. Bestellungen Pdf im Webshop oder per E-Mail: leidenschaften@berlinerdebatte.de Copyright für einzelne Beiträge ist bei der Redaktion zu erfragen. www.berlinerdebatte.de E-Mail: redaktion@berlinerdebatte.de www.welttrends.de
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1 1 Bildung und Biologie Zusammengestellt von Jonas Frister und Thomas Müller Editorial 3 Nebenschwerpunkt: Leben mit dem Stalinschen Terror Zusammengestellt von Wladislaw Hedeler Ulrich Busch „Das Gold ist schuld!“ Irina Anatoljewna Flige Zur Rolle des Geldes im Leben Denkmale für die Opfer und im Werk Richard Wagners 6 des Sowjetterrors. Eine Bestandsaufnahme 80 Schwerpunkt: Alexander Dawydowitsch Margolis Bildung und Biologie. Orte der Erinnerung an den Terror Die pädagogische Präsenz in Sankt Petersburg und biowissenschaftlichen Wissens im Leningrader Gebiet 88 Thomas Müller Anatolij Rasumow Erziehung auf Zur Geschichte des biowissenschaftlicher Grundlage? Gedenkfriedhofes Lewaschowo 93 Aktuelle Tendenzen der Natura- lisierung im pädagogischen Feld 24 Lew Gudkow Spiele mit Stalin: Über das Nicole Becker Legitimationsdefizit des Putin-Regimes 99 Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie: ADHS aus Sicht von Experten und Eltern 35 *** Max Koch Jonas Frister Wohlfahrt ohne Wachstum. Die Hirnforschung Theoretische Debatte und aus der Sicht von Praktikern 51 sozialpolitische Implikationen 109 Ulrich Salaschek Mario Neukirch Bildgebende Hirnforschung Offshore-Windkraft als zwischen Hype und Kritik. Plan B der Energiekonzerne? 125 20 Jahre funktionelle Magnetresonanztomographie 64 Oliver Neun Die Geburt des amerikanischen „Neokonservatismus“. Daniel Bell, Michael Harrington und die Zeitschrift „Dissent“ 137
2 Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1 Besprechungen und Rezensionen Wladislaw Hedeler Zwei unangepasste Intellektuelle: Michael Nedo (Hg.): Karl Radek und Chaim Zhitlowsky 154 Ludwig Wittgenstein. Ein biographisches Album Gunther Teubner: Rezensiert von Mariele Nientied 148 Verfassungsfragmente. Gesellschaftlicher Konstitutionalismus Wolfgang Uwe Eckart: in der Globalisierung Medizin in der NS-Diktatur. Rezensiert von Oliver Römer 157 Ideologie, Praxis, Folgen Rezensiert von Regina Casper 151 Autoren 162
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1 3 Editorial Was bedeutet es, dass Neurobiologen in haben zugleich eine politische Dimension, da Fernsehtalkshows als Experten für Bildung Sachfragen auch Machtfragen sind. Darum und Erziehung auftreten? Was bedeutet es, lässt sich die inhaltliche Frage nach der päd- dass Kritiker der Institution Schule auf die agogischen Relevanz biowissenschaftlichen Hirnentwicklung von Heranwachsenden ver- Wissens nicht von der Frage trennen, welche weisen, wenn sie für Veränderungen werben? Wissenschaften als Produzenten legitimen Was bedeutet es, dass immer mehr Kinder Wissens über Bildung und Erziehung ak- und Jugendliche die Diagnose erhalten, an zeptiert werden und Zuständigkeit für die einer biologisch bedingten Aufmerksam- institutionalisierte pädagogische Praxis bean- keits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu spruchen dürfen. Gerade in diesen Punkten leiden, die medikamentös zu behandeln ist? scheint die Erziehungswissenschaft heute Was bedeutet es, dass Bildungsreformer Konkurrenz von den Biowissenschaften zu Methoden und Erkenntnismuster aus den bekommen, wobei vor allem Neurowissen- Biowissenschaften und der Medizin als schaftler versuchen, ihr Wissensgebiet als neuen Maßstab pädagogischer Forschung alternative Pädagogik zu etablieren. empfehlen? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich Die angesprochenen Phänomene sind Pädagogik und Biologie gegenwärtig nicht zunächst einmal zeitdiagnostisch interessant. zum ersten Mal begegnen. Deutlich wird dies Sie legen den Schluss nahe, dass biowissen- am modernen Bildungsbegriff, der für biolo- schaftliches Wissen im pädagogischen Feld gisch-organologische Interpretationen offen an Präsenz gewinnt. Das Spektrum reicht ist. Johann Friedrich Blumenbachs anthro- dabei von massenmedialen und populär- pologische Schrift über den „Bildungstrieb“ wissenschaftlichen Darstellungen über die (1781) oder Goethes bekannter Ausspruch, institutionalisierte pädagogische Praxis und Bildung sei „geprägte Form, die lebend sich die Lebenswelten von Eltern und Kindern entwickelt“, sind frühe Beispiele hierfür. bis zur Erziehungswissenschaft als Disziplin. Auch die Reformpädagogik um 1900 schreibt Die Phänomene deuten auch auf systema- sich auf die Fahnen, Pädagogik und Biologie tische Probleme, die mit der Verbindung miteinander zu verbinden. Dass die Biologie von Bildung und Biologie einhergehen. dabei Vorrang hat, stellt etwa Ellen Key klar, Sie beziehen sich u. a. auf das Verhältnis wenn sie in ihrem Buch „Das Jahrhundert des verschiedener Formen wissenschaftlichen Kindes“ die „Umwandlung der Pädagogik in und nicht-wissenschaftlichen Wissens, das psycho-physiologische Naturwissenschaft“ Verständnis pädagogischer Professionalität, propagiert. Für Key ist empirische Forschung die Abgrenzung zwischen „normalem“ und naturwissenschaftlicher Art der Schlüssel „pathologischem“ Verhalten und die diszi- dazu, „etwas über die wirkliche Natur des plinäre Identität einer Wissenschaft von der Kindes zu wissen“ und falsche Vorstellungen Erziehung. Diese systematischen Probleme über Bildung und Erziehung auszuräumen. In
4 Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1 der aktuellen Bildungslandschaft stößt man Rezeptwissen bis zur Rechtfertigung eige- auf ähnliche Argumente, um Verbindungen ner pädagogischer Überzeugungen reicht. von Bildung und Biologie zu plausibilisieren. Ulrich Salaschek lenkt schließlich den Blick In der Erziehungswissenschaft hat man die zurück auf biowissenschaftliche Deutungsan- Frage nach Nutzen und Nachteil der Bio- gebote. Seine These ist, dass die bildgebende wissenschaften für die Pädagogik in den Hirnforschung den Menschen als neuronale letzten Jahren intensiv erörtert. Gleichwohl Maschine begreift – ein Menschenbild, das steckt diese Diskussion in einer Sackgasse, etwa bei der zunehmenden Einnahme von in der diejenigen, die biowissenschaftliche Psychopharmaka handlungswirksam wird. Perspektiven auf Bildung und Erziehung Der erste Beitrag dieses Heftes ist einem unbedingt stärken möchten, und diejeni- ganz anderen Thema gewidmet: Richard gen, die diese Entwicklungen ablehnen, auf Wagner, vor 200 Jahren, am 22. Mai 1813, ihren Standpunkten beharren und zusehends in Leipzig geboren und vor 130 Jahren in aneinander vorbeireden. Venedig gestorben, war das größte Musik- Genau an dieser Stelle setzen die Beiträ- genie des 19. Jahrhunderts, ein Künstler ge des Themenschwerpunkts an. Jenseits von europäischem Rang und von säkularer rhetorischer Auseinandersetzungen geht Bedeutung. Aus Anlass des diesjährigen es ihnen darum, kritische Perspektiven Wagner-Jubiläums eröffnen wir den neuen auf die pädagogische Präsenz der Biowis- Jahrgang mit einem Essay von Ulrich Busch, senschaften zu entwickeln und Aspekte der die Rolle des Geldes im Werk Wagners anzusprechen, die bislang kaum Beachtung sowie dessen Verhältnis zu Geld, Kredit und fanden. Die Beiträge gehen zurück auf ein Schulden zum Gegenstand hat. Forschungsforum, das im März 2012 auf dem Im Nebenschwerpunkt präsentieren wir 23. Kongress der Deutschen Gesellschaft vier Beiträge, die sich mit der Bewältigung für Erziehungswissenschaft in Osnabrück des Stalinschen Terrors im heutigen Russland stattfand. Unter der leitenden Frage, wie sich auseinandersetzen. Wir setzen damit die das pädagogische Feld unter dem Einfluss Diskussion aus Heft 1/2012 fort. Die hier der Biowissenschaften wandelt, verbinden versammelten Texte gehen zurück auf eine sie theorieorientierte mit empirischen Zu- internationale Konferenz, die im Oktober gängen. Thomas Müller setzt sich mit dem 2012 in Sankt Petersburg stattfand. Es war Angebot auseinander, Erziehung und Bildung die 5. Tagung, die u. a. vom Moskauer Ros- auf biowissenschaftliche Grundlagen zu spen-Verlag – dort erscheint dieses Jahr der stellen. Er ordnet dieses Angebot in einen dazugehörige Sammelband –, von der Jelzin- größeren epistemischen Zusammenhang Stiftung, der Menschenrechtsorganisation ein, den er als naturalistisch bezeichnet, und „Memorial“ und der Lichatschow-Stiftung untersucht verschiedene Tendenzen einer organisiert wurde. Zu den Mitveranstaltern Naturalisierung des Pädagogischen. Am gehörten die Leningrader Eremitage, das Beispiel der ADHS beleuchtet Nicole Becker Staatsarchiv der Russischen Föderation und Grenzverschiebungen zwischen Medizin und das Archiv für sozialpolitische Geschichte Pädagogik. Sie kann zeigen, dass die Frage, (beide Moskau). Die Idee, „Leben im Terror“ ob ein verhaltensauffälliges Kind (noch) als als Tagungsthema zu wählen, geht zurück „schwierig“ oder (schon) als „krank“ gilt, von auf den Schriftsteller und Schirmherren der Experten höchst unterschiedlich bewertet Veranstaltung, Daniil Granin. Debattiert wird und Auswirkungen auf Familie und wurde über gesellschaftliche Mechanismen Schule hat. Ob die Hirnforschung bei Lehr- und Techniken des Terrors, Widerstand, kräften tatsächlich so nachgefragt ist, wie das Verhältnis von Terror und Sozium, den man zuweilen vermutet, untersucht Jonas Stellenwert regionaler Identitäten, die Ak- Frister. Er zeichnet ein differenziertes Bild der teure des Terrors sowie die Erinnerung an Erwartungen und Interessen professioneller den Terror und die Geschichtspolitik. Neben Pädagogen, das von der Sehnsucht nach dem Moskauer Soziologen Lew Gudkow und
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1 5 zwei Mitarbeitern der Petersburger Men- Rasumows Beitrag über den Gedenkfriedhof schenrechtsorganisation „Memorial“, Irina Lewaschowo ist der gleichnamigen Bro- Flige und Alexander Margolis, kommt auch schüre entnommen, die demnächst auch in Anatoli Rasumow zu Wort, der seit 1995 zu deutscher Sprache erscheint. Alle Aufsätze den Herausgebern des „Leningradskij Marti- des Nebenschwerpunkts handeln von einer rolog“ gehört und die Gruppe „Wiedergege- „unbewältigten Vergangenheit“, vom Umgang bene Namen“ leitet. Bis auf den heutigen Tag mit der Erinnerung, der Gedenkkultur und sind elf Bände erschienen, die Namenslisten, Geschichtspolitik in Russland im Allgemei- biografische Skizzen über die Opfer des nen und in Sankt Petersburg im Besonderen. Terrors und ausgewählte Dokumente über Planung und Durchführung des „Großen Thomas Müller, Terrors“ in und um Leningrad enthalten. Wladislaw Hedeler
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1 125 Mario Neukirch Offshore-Windkraft als Plan B der Energiekonzerne? Planung und Akteurskonstellationen der Startprojekte Windparks auf dem Meer sollen sich in den Status quo jetzt neu aufgestellt und blasen seit kommenden Jahren zu einer wichtigen Kom- Monaten zum Generalangriff auf die Energie- ponente der Energiewende entwickeln. Für wende. Neben der Kürzung der Photovoltaik- das Jahr 2020 rechnet das Bundesumweltmi- Förderung, den Debatten um Strompreise2 und nisterium mit einer Gesamtkapazität von zehn Netzausbau, stellt die Offshore-Windenergie Gigawatt in Nord- und Ostsee. Bis 2030 sollen 15 einen weiteren Schauplatz dar, auf dem man Prozent des Strombedarfs, entsprechend circa den Fortgang der Energiewende jeden Tag 25 Gigawatt, aus dieser Quelle geliefert werden. erneut zur Disposition gestellt sehen möchte. Doch die meisten Projekte liegen bereits seit Misslingt der rechtzeitige Aufbau der Wind- Jahren im Verzug und es erscheint aus heutiger parks auf See, deren Energie für den Ersatz der Sicht fraglich, inwieweit sich die ambitionierten verbliebenen Atomkraftwerke fest eingeplant Pläne überhaupt umsetzen lassen werden. So sei, müsste der Ausstieg verschoben werden, prognostizierte das Bremer Energie-Institut im so die Argumentationslinie. Jahr 2007 allein für die deutsche Nordsee eine Tatsächlich ist in jüngster Zeit mit dem installierte Gesamtkapazität von 3.100 Mega- Aufbau mehrerer Projekte begonnen worden. watt (MW) bis 2012 (Eikmeier/Jahn 2007: 45). Der folgende Artikel beleuchtet die Akteurs- Das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung struktur und den Realisierungsprozess dieser aus dem Jahr 2005 lag bei 2.000 bis 3.000 MW ersten Offshore-Windparks. Ein besonderer installierter Kapazität für das Jahr 2010 (Pres- Fokus wird dabei auf die durchaus ambiva- semitteilung des Bundeumweltministeriums lente Rolle der Energiekonzerne3 innerhalb vom 6.9.2005). Der tatsächlich erreichte Wert des Sektors gelegt. lag im Januar 2013 bei 280,3 MW.1 Legte man Zur Erklärung der Verzögerungen werden frühere Ankündigungen der Branche zugrunde, diverse Investitionsrisiken und allgemeine fiele das Bild noch pessimistischer aus. Hemmnisse benannt: Fehlende Kreditzusa- Für die öffentliche Kontroverse um die gen, weite Entfernungen der Standorte zur Energiewende und den Ausstieg aus der Küste, große Wassertiefen, Materialengpässe Atomkraft spielten diese Verzögerungen in den (zu wenig verfügbare Windanlagen, Installati- vergangenen Jahren kaum eine Rolle. Dies hat onsschiffe, Kabel [vgl. Neue Energie 12/2007: sich geändert, seitdem diejenigen konservati- 40ff.], verspäteter Netzanschluss). Byzio et al. ven Kräfte in Politik, Industrie und besonders (2005) haben Konfliktfelder beschrieben, die in der Energiewirtschaft, die sich traditionell zur Verzögerung oder Aufgabe vieler Projekte gegen den Ausbau der erneuerbaren Energi- geführt hatten: Im Zentrum standen Auseinan- en positionieren, vor dem Hintergrund der dersetzungen zwischen den Planern auf der ei- Fukushima-Katastrophe erfahren mussten, dass nen Seite, Naturschützern, Tourismus-Branche es mit der Stilllegung der Atomkraftwerke nun und Fischereiverbänden auf der anderen. Die ernst wird. Damals überrumpelt von Merkels Standorte in relativer Küstennähe stießen auf Atomausstieg, haben sich diese Bewahrer des massive Akzeptanzprobleme und es kam zu
126 Mario Neukirch Gerichtsverfahren. Im Ergebnis wurden die Der erste Standpunkt besagt, dass für die meisten Projekte weiter aufs Meer verlegt, was Betreiber der Atom- und Kohlekraftwerke ein zu höheren Entwicklungskosten führte. Ein Aufbau von (Offshore-)Windparks aus öko- weiteres Problem stellen administrative Hürden nomischen Gründen kontraproduktiv wäre. dar, welche insbesondere die Genehmigung Denn die Grundlastkraftwerke seien für den des Seekabels und die Netzanschlusszusage Dauerbetrieb auf hoher Kapazitätsauslastung betreffen.4 Angesichts der hohen Risiken waren konzipiert. Die Investitionskosten für den viele Investoren der Meinung, die Vergütung Anlagenbau rechneten sich nur, wenn über die sei nicht ausreichend. Bis heute ist die Vor- gesamte Betriebsdauer von circa 40 Jahren eine stellung weit verbreitet, dass die Windparks hohe Zahl an Volllaststunden erreicht werde. auf See vor allem von den Energiekonzernen Aufgrund der niedrigen Brennstoffkosten von aufgebaut werden müssten. Der Hintergrund Uran und Braunkohle kann mit jeder verkauften liegt nicht zuletzt darin, dass ursprünglich Kilowattstunde eine hohe Gewinnmarge erzielt die meisten Projekte von mittelständischen werden. Weil für die regenerativen Energien Planern realisiert werden sollten, diese aber im Netz der Einspeisevorrang besteht, mindert die erforderlichen Investitionen unterschätzten sich die Rentabilität der Grundlastkraftwerke und daher an finanzkräftigere Unternehmen im Prinzip mit jeder neuen Photovoltaikanlage verkaufen mussten. Zahlreiche Projekte wurden und jedem neuen Windpark. Auf diese Weise dann von den Energiekonzernen übernommen. wird erklärt, dass die Kraftwerksbetreiber nur Die etablierte Energiewirtschaft war derjenige einen niedrigen Anteil regenerativer Erzeu- Akteur, dem aufgrund seiner Erfahrungen im gungsanlagen betreiben, während die meisten Stromnetz- und Kraftwerksbetrieb und sei- Anlagen von neuen Markt-Akteuren errichtet ner finanziellen Kapazitäten am ehesten die werden. Quintessenz dieser Argumentation ist notwendigen Voraussetzungen zugesprochen ein kritisch gemeinter Hinweis an Politik und werden. Jedoch hat die Investitionszurückhal- Gesellschaft: „Mit den Energiekonzernen ist tung der Energiekonzerne wesentlich dazu eine Energiewende nicht machbar – auf sie kann beigetragen, dass sich der „Take-off“ um Jahre und darf man nicht bauen!“ Diese Einschätzung verzögert hat (Neukirch 2008).5 Überraschend wird u.a. von Greenpeace, Bund für Umwelt- oder nicht, es ist heute unübersehbar: Die ersten und Naturschutz sowie Teilen der Parteien Die Offshore-Windparks sind am Netz, weitere Linke und Bündnis 90/Die Grünen vertreten.6 befinden sich im Aufbau, Produktionskapazi- Die zweite (radikalere) Argumentation täten werden erweitert. Die Infrastruktur für stellt den Aspekt technisch-wirtschaftlicher eine – wenngleich verspätete - Umsetzung der Inkompatibilität weniger stark in den Fokus. ambitionierten Ziele der Bundesregierung für Grundsätzlich wird eine dezentrale Energie- den Offshore-Sektor steht im Prinzip bereit. wende befürwortet. Diesem Ziel stehe der Voraussetzung ist, dass die Förderung stabil Aufbau von Windparks in den Dimensionen bleibt, die Netzanschlüsse auf See rechtzeitig konventioneller Kraftwerke prinzipiell ent- bereitgestellt werden und der Netzausbau an gegen. Zudem werde die Machtstellung der Land in geeigneter Weise vorangetrieben wird Energiekonzerne erhalten. Denn „die teuren (vgl. Jarass/Obermair 2012). Offshore-Windparks können nur von den Strom-Oligopolisten geplant und finanziert werden, was ihnen die Monopolgewinne auch Energiekonzerne und Offshore-Wind- in Zukunft sichert“ (Pressemitteilung von Euro- kraft – Sargnagel oder Rettungsanker? solar, 20.6.2011). Ähnlich äußerte sich Sebastian Sladek, Geschäftsführer des Ökostromanbieters Im Wesentlichen gibt es zwei konträre Ein- Elektrizitätswerke Schönau: „Die Politik hat schätzungen darüber, welche Wirkungen ein sich entschieden, den Konzernen zu helfen, massiver Ausbau der Offshore-Windkraft für ihre zentralen Strukturen in das erneuerbare die künftige Rolle der Energiekonzerne im Zeitalter zu retten“ (neues-deutschland.de, gesamten Elektrizitätssektor zufolge hätte. 25.8.2012). Zahlreiche Fürsprecher einer
Offshore-Windkraft als Plan B der Energiekonzerne? 127 konsequent dezentralen Energiewende finden ist. Das Ostsee-Projekt „Sky 2000“ ist gänzlich sich darüber hinaus in der Umwelt- und Anti- aufgegeben worden, konkrete Investitionszu- AKW-Bewegung. sagen gibt es hierzulande bisher keine. Vieles Beide Positionen betrachten die Energie- spricht dafür, dass das Vorgehen E.ons weniger wirtschaft mit großer Skepsis. Ein wesentli- als Ausnahme von der Regel zu interpretieren cher Unterschied liegt in der Wahrnehmung ist, sondern als „Spitze des Eisbergs“.8 der Offshore-Windparks. Werden sie zum Rettungsanker der Energiekonzerne oder entwickeln sie sich zu ihren Sargnägeln? Auf Vom Pilotprojekt zum technisch- diese Frage kann bis dato keine abschließende wirtschaftlichen Mainstream: Antwort erfolgen. Vor dem Hintergrund ihres Die Startphase (2008-2015) bisherigen Investitionsverhaltens drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass aus Sicht der Trotz allem richtet sich der Blick fortwährend Betroffenen eher letzteres befürchtet wird. auf die Energiekonzerne. Diese scheinen jedoch Denn die Milliarden-schweren Investitionen unentwegt am traditionellen Geschäftsmodell für Offshore-Windparks, von denen seitens festzuhalten, innerhalb dessen für die Nutzung der Konzernzentralen immer wieder die Rede regenerativer Energien enge Grenzen existie- ist, müssen sehr differenziert betrachtet wer- ren.9 Vor dem Hintergrund, dass mittlerweile den. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der auch neue Akteure wie Stadtwerke und andere weitaus größte Teil der Projekte im Ausland mittelständische Akteure Offshore-Windpro- realisiert wurde, insbesondere in Großbri- jekte weit vorangetrieben haben, nimmt die tannien.7 Darüber hinaus muss unterschieden Glaubwürdigkeit der Erklärungen, weshalb werden, ob es sich um bloße Ankündigungen Investitionsentscheidungen wiederholt ver- und den vergleichsweise wenig kapitalin- schoben werden, immer weiter ab. Dennoch, tensiven Erwerb von Entwicklungsrechten seit kurzem zeichnen sich gewisse Änderungen handelt, oder ob tatsächlich der Erhalt von ab. So befinden sich heute u.a. auch zwei Pro- Netzanbindungszusagen vorgetrieben und jekte der Energiekonzerne im Aufbau (vgl. Tab. Kaufverträge für Windanlagen, Umspannwerke 1 und 2). Gleichwohl scheinen die Alternativen und Fundamente abgeschlossen werden. Nun der „großen Vier“ heute alles andere als rosig: hat es in der Vergangenheit eine Reihe von Hätte man sich aus dem ungeliebten Sektor, Beispielen dafür gegeben, dass Aktivitäten der möglicherweise auch ohne sie expandieren auf dem Sektor vor allem simuliert wurden. wird, gänzlich herausziehen und sich weiterhin Der Vorwurf besteht darin, dass Projekte dem Vorwurf des Blockierens der Energie- gekauft, dann aber nicht realisiert werden, wende aussetzen sollen? Oder haben sich um die Entwicklung zu blockieren. „Die Zeit“ die Strategien tatsächlich geändert? Sollte der hatte in diesem Zusammenhang „Malefiz auf Offshore-Windsektor nun aktiv vorangetrieben See“ getitelt (zeit.de, 26.8. 2010). Beispielhaft werden, ohne Rücksicht darauf, eventuell das war die Einschätzung des (damaligen) E.on- eigene Geschäftsmodell zu gefährden? Vorstandes Berhard Fischer über die Rolle Die Vergangenheit ist bekannt: Die Ener- seines Unternehmens: „Wir sind die Nummer giekonzerne hatten das (implizite) Angebot, eins im Offshore-Business!“ (Zitiert nach: Neue das ursprünglich von der rot-grünen Bun- Energie 1/2007: 42), anlässlich des Erwerbs desregierung (vgl. Pressemitteilung des Bun- des zu entwickelnden Offshore-Windparks desumweltministeriums, 06.09.2005) an sie „Delta Nordsee“. Im Jahr 2006 verfügte E.on gerichtet worden war, die alte Machtstellung zudem über die Rechte zur Entwicklung vier qua Realisierung großflächiger Windparks auf weiterer Windparks. Realisiert wurde einzig See in das „grüne Zeitalter“ zu retten, nicht das relativ kleine Projekt „Alpha Ventus“ mit annehmen wollen. Und die Frage, ob sie sich zwölf Windanlagen, das vom Bund mit 50 Mio. in den nächsten Jahren massiv in den Sektor Euro gefördert wurde – und an dem E.on, neben einkaufen werden, ist für heute irrelevant. Vattenfall und EWE, zu einem Drittel beteiligt Um die aktuelle Tendenz zu bestimmen, gilt
128 Mario Neukirch es im Folgenden, die Akteursstrukturen und sind unterteilt nach Windparks mit einem der Entwicklungsgeschwindigkeiten der Start- vier großen Energiekonzerne als Entwickler projekte zu untersuchen und miteinander zu und Hauptinvestoren (Tab. 2) sowie Vorhaben vergleichen. Gemeint sind damit alle realisierten ohne deren Beteiligung (Tab. 1). Die Tabellen Vorhaben und jene, die sich aktuell im Aufbau bieten Übersichten zur Investorenstruktur, befinden. Ein Abbruch dieser Projekte wäre mit technischen Rahmendaten und der „Biogra- so hohen Kosten verbunden, dass eine zügige phie“ der Projekte. Umsetzung anzunehmen ist. Ausgehend von den üblichen Bauzeiten und den Aussagen der Entwickler kann davon ausgegangen werden, Startprojekte im Vergleich dass die Startprojekte bis 2015 vollständig ans Netz gehen werden. Der Zeitraum vom Im folgenden Abschnitt werden die Konzern- Baubeginn des ersten Projekts im Jahr 2008, und Nicht-Konzern-Projekte nach unter- bis zur voraussichtlichen Inbetriebnahme schiedlichen Gesichtspunkten miteinander des letzten wird als Startphase definiert, also verglichen. Bei diesen Windparks handelt es sich 2008 bis 2015. Innerhalb der Startphase geht um diejenigen, bei denen angesichts des noch es für den Sektor darum zu beweisen, dass die immer frühen Stadiums des Sektors, am ehesten reibungslose und planmäßige Umsetzung von von einer geradlinigen Umsetzung gesprochen Offshore-Windparks der Normalfall ist. Das werden kann. Nur um einen Vergleich dieser betrifft die Finanzierung, das Finden adäqua- Projekte geht es. Aus der folgenden Tabelle 3 ter Investoren, das zeitliche Koordinieren der geht hervor, dass die „Nicht-Konzerne“ insge- Bereitstellung des Netzanschlusses mit dem samt konsequenter geplant haben und mehr Aufbau des Windparks, die Zuverlässigkeit Anlagen installieren als die Energiekonzerne. der Windanlagen und damit verbunden, deren Letzteren kommt damit für die Startphase eine Wirtschaftlichkeit. zweitrangige Bedeutung zu. Hinsichtlich dieser Bedingungen war keines Die Gesamtkapazität der Startvorhaben der ersten drei Projekte innerhalb der Start- liegt bei 2.087 MW. Der Anteil der von den phase, „Alpha Ventus“, „Baltic 1“ und „Bard Energiekonzernen entwickelt wird, beträgt Offshore“ problemfrei. Alpha Ventus wäre 33,1 Prozent. Den übrigen Projekten (1) bis unter den Normbedingungen des Erneuerbare- (5) kommt mit 66,9 Prozent für die Startphase Energien-Gesetz – vor allem aufgrund zu hoher die wichtigere Bedeutung zu.15 Verzögerungen Risiken, angesichts kaum erprobter Technologie bereits genehmigter Projekte können unter- (hinsichtlich Wassertiefe, Küstenentfernung schiedliche Ursachen haben, bspw. Material- und Anlagentypen) – unwirtschaftlich gewesen engpässe, Gerichtsentscheidungen, fehlende und daher auf zusätzliche Subventionen ange- Netzanschlussgenehmigung und erforderliche wiesen. Im Projekt „Bard Offshore“ kam es zu Netzausbaumaßnahmen. All diese Faktoren langen Verzögerungen aufgrund technischer betreffen jedoch im Prinzip Konzern- wie Probleme mit den Windanlagen aus eigener Nicht-Konzernprojekte gleichermaßen und Herstellung. Die Bereitstellung des Netzan- müssten sich daher nivellieren. Dieses ist aber schlusses von „Baltic 1“ erfolgte mit knapp nicht der Fall. Denn die Energiekonzerne benö- einem Jahr Verzögerung, was zu gerichtlichen tigen im Durchschnitt 2,1 Jahre länger als die Auseinandersetzungen führte. Die Startpha- übrigen Entwickler, bevor deren genehmigte se kann als überwunden gelten, wenn das Projekte in die Bauphase treten. Die Quote Auftreten solcher Probleme tatsächlich eine der Projekte, bei denen eine Fristverlängerung Ausnahme und nicht die Regel darstellt. Dass des Baustarts erwirkt werden musste, liegt für dies nach Abschluss der Startprojekte der Fall die Konzern-Projekte bei 50 Prozent, bei den sein wird, ist eine optimistische Grundannahme übrigen sind es 40 Prozent. Damit die Anlage für die Definition der Startphase.10 nach Fertigstellung direkt in Betrieb gehen Die folgenden Tabellen 1 und 2 enthalten kann, muss das Bundesamt für Seeschifffahrt einen Überblick der Startprojekte. Letztere und Hydrographie (BSH) den Übertragungs-
Tab. 1: Startprojekte (Nicht-Energiekonzerne) Projekt Investoren, Genehmigt seit Baubeginn Zeitraum Anlagen- Downscaling12 Verzögerung (lfd. Num- Entwickler zwischen zahl, -größe, aufgrund feh- mer) Genehmigung Windpark- lender Netz- und Baube- Gesamt- anschluss- ginn (Jahre)11 größe zusage Bard Off- Bard-Gruppe 11.4.2007 150 MW am Netz 3,0 80 x 5 MW nein nein shore I (1) (37,5%, Stand: Jan. 400 MW 2013) Baubeginn: April 2010 Global Windreich AG (14%), 31.5.2006 6,3 80 x 5 MW nein nein Tech I (2) SWM (25%), HSE Fristverlängerung Sept. 2012 400 MW (25%), EGL (24%), für Baubeginn: bis Fa. Meltl (10%) 31.12. 2012 Borkum Trianel GmbH 13.6.2008 3,3 40 x 5 MW Ja, zuvor: 6 bis 12 West II, Windkraftwerk Okt. 2011 200 MW 80 x 5MW Monate Phase I (3) Borkum II GmbH 400 MW & Ko KG (circa 40 Offshore-Windkraft als Plan B der Energiekonzerne? Stadtwerke) Meerwind Wind MW GmbH 16.5.2007 Fristver- 5,3 80 x 3,6 MW Ja, zuvor: circa 12 Süd/Ost (4) (80% Blackstone, längerung bis Aug. 2012 288 MW 80x 5 MW Monate 20% Windland 30.6.2014 400 MW Energieerzeu-gungs GmbH) Borkum EWE (90%)/Enova 29.9.2010 1,8 30 x 3,6MW nein nein Riffgat (5) Offshore-Wind-park Juni 2012 108 MW Riffgat GmbH & Ko.KG (10%) Quellen: BSH, IWR, Neue Energie (div. Ausgaben), Sonne, Wind und Wärme (div. Ausgaben), wind:research/windreich.ag 129
Tab. 2: Startprojekte (Energiekonzerne) Mario Neukirch Projekt (lfd. Investoren/ Genehmigt seit Baubeginn Dauer Ge- Anlagenzahl/ Downscaling Verzögerung Nummer) Entwickler nehmigung -größe; aufgrund feh- bis Baubeginn Windpark- lender Netz- (Jahre) größe anschlussge- nehmigung Alpha Ventus Vattenfall, E.on und 9.11.2001 In Betrieb: April 2010 6,8 12 x 5 MW nein nein (6) EWE (je 33,3%) Baubeginn: Sep. 2008 60 MW Baltic I (7) EnBW (24,3MW, 5.4.2006 In Betrieb: Mai 2011 3,9 21 x 2,3 nein nein 50,3%) und 19 Stadt- Baubeginn: März 48,3 MW werke (24 MW, ca. 2010 49,7%) Dan Tysk (8) Vattenfall (51%, ca. 23.8.2005 Februar 2013 7,5 80 x 3,6 MW Ja, zuvor: 146,9 MW), Stadt- Fristverlängerung 288 MW 80 x 5 MW 6 bis 12 werk München (49%, bis 31.12.2013 400 MW Monate ca. 141,12 MW) Nordsee RWE Juni 2004 Aug. 2012 8,2 48 x Ja, zuvor: Ost (9) Fristverlängerung 6,15 MW 80 x 5 MW mindestens bis 31.12.2012 295 MW 400 MW 1 Jahr Quellen: vgl. Tab. 1, zusätzlich: EnBW Tab. 3: Vergleich Konzern- und Nicht-Konzern-Projekte Durchschnitt Fristverlänge- Downscaling Durchschnitt- Durchschnitt Zu installie- Verzögerte liche Dauer von rung für Bau Anlagengröße/ liche Anlagen- liche Windpark- rende Kapazi- Netzanschluss- der Baugeneh- beginn erwirkt? -zahl (MW) größe (MW) größe (MW) tät insgesamt zusage migung bis (MW) zum Baubeginn (Jahre) Nicht-Konzern- 4,513 2 Projekte 2 Projekte 4,44 279 1.396 2 Projekte Projekte (40%) (40%) (40%) (lfd. Nr. 1-5) Konzern-Projekte 6,6 2 Projekte 2 Projekte 4,26 21.014 691 2 Projekte (lfd. Nr. 6-9) (50%) (50%) (50%) 130 Quellen: Tab. 1-2; eigene Berechnungen
Offshore-Windkraft als Plan B der Energiekonzerne? 131 netzbetreiber anweisen, den rechtzeitigen Netz- Die Energiekonzerne im Vergleich anschluss bereitzustellen. Das Fehlen dieser untereinander sogenannten Netzanschlusszusage bewirkt weitere Verzögerungen vieler Startprojekte Obgleich den Energiekonzernen insgesamt (Quote bei Konzern-Projekten: 50 Prozent, gewiss keine pro-aktive Rolle zukommt, las- übrige: 40 Prozent).16 Die übrigen Vorhaben sen sich doch zwischen ihnen beachtliche verwenden um 4,4 Prozent leistungsstärkere Unterschiede feststellen (vgl. Tab. 4). Da es Windanlagen und werden im Durchschnitt in der folgenden Darstellung auch darauf an- um 32,8 Prozent größer geplant (279, bzw. kommt, wer tatsächlich wie viel investiert, wird 210 MW). Diese Unterschiede ergaben sich berücksichtigt, dass an den Projekten (6) bis als Konsequenz eines stärker ausgeprägten (8) neben dem Planer auch andere Investoren Down-scaling bei den Konzern-Projekten. So mit insgesamt 185 MW beteiligt sind (vgl. wurden 50 Prozent der Konzern-Windparks Tab. 2). Diese Beteiligungen werden von der nachträglich, hinsichtlich Anlagengröße oder Gesamtkapazität der unter Konzern-Obhut -zahl, kleiner dimensioniert (übrige: 40 Prozent). entwickelten Projekte (691 MW, vgl. Tab.3) Angesichts der niedrigen Zahl der Projekte, abgezogen. Der Anteil der Energiekonzerne ist die Möglichkeit, dass die Werte stark von an den Investitionen in die Startprojekte liegt Zufallseffekten überlagert werden, nicht zu damit bei 24,2 Prozent. unterschätzen. Dennoch bestätigt der Vergleich Am ehesten lässt sich der EnBW so etwas den Gesamteindruck, dass das Agieren der wie ein „Early Mover“-Status zuschreiben. Energiekonzerne im Offshore-Sektor bis heute Obgleich das Projekt „Baltic 1“ insgesamt von großer Behutsamkeit geprägt ist. mit 48,3 MW recht klein dimensioniert ist, kommt ihm als erstem kommerziellen Offshore-Windpark in der Bundesrepublik eine gewisse Vorreiter-Position zu. Für das zweite EnBW-Projekt „Baltic2“ (288 MW) bestehen ebenfalls gute Realisierungschancen bis 2018. Im RWE-Windpark „Nordsee Ost“ Tab. 4: Energiekonzerne im Offshore-Sektor Energie- Start-Projekte Anteil (%) Bis Ende 2012 Bemerkungen Einschätzung konzern (MW), insg. am Netz (MW) Gesamt 506 MW position EnBW 24 4,8 24 Early Mover 1 durch Baltic 1, Kooperation mit Stadtwer- ken RWE 295 58,3 0 Nutzung des 2 Anlagentyps „6M“ mit 6,15 MW Vattenfall 167 33,0 20 wird erstes 3 Projekt schnel- ler als E.on realisieren E.on 20 4,0 20 - 4 Quellen: Tab. 1-3; eigene Berechnungen
132 Mario Neukirch werden 48 Windanlagen der Größe 6,15 MW kapazität der Vorhaben (1) bis (5) werden die verbaut. In allen anderen Startprojekten liegt Investitionen weiterer Nicht-Konzern-Akteure die Anlagengröße bei maximal 5,0 MW. Damit (185 MW) berücksichtigt (s.o.), so dass sich der steht RWE im Gegensatz zu vielen anderen Anteil der Nicht-Konzerne an der Gesamtin- Projektentwicklern, die ursprünglich mit der vestition auf 75,8 Prozent beläuft. Fünf-Megawatt-Klasse geplant hatten, sich Aus Tabelle 5 geht hervor, dass die vier dann jedoch für die besser erprobte 3,6 MW genannten Akteursgruppen als Investoren zu Anlage von Siemens entschieden (vgl. Sonne, verhältnismäßig homogenen Teilen für die Wind & Wärme 10/2012: 57). Insofern kommt Startphase von Relevanz sind. Für Projekt (1) RWE eine Pionierrolle bei der Etablierung der wurde unterstellt, dass Entwickler und zugleich neuen Größenklasse zu. Vattenfall und E.on Anlagenlieferant Bard, weiterhin Eigentümer sind je zu einem Drittel am stark subventio- der Anlage sein wird. Der ursprüngliche In- nierten Pilotprojekt „Alpha Ventus“ beteiligt. vestor, Südweststrom GmbH, ein Verbund Während E.on seit Jahren vollmundig auf seine von circa 55 Stadt- und Gemeindewerken, großen Offshore-Pläne verweist (s.o.)17, begann hatte im November 2012 seine Investitions- Vattenfall jüngst mit der Installation der An- zusage komplett storniert (Pressemitteilung lagenfundamente des Windparks „Dan Tysk“. der Südweststrom GmbH vom 20.11.2012). Unabhängig von den Startprojekten planen Den Projektentwicklern Bard Offshore und die Energiekonzerne weitere Windparks, die Windreich kommt als Investoren eine zentrale jedoch auf das Ranking keinen Einfluss haben. Bedeutung zu. Als einzige planten sie (Start) Windparks à 400 MW und verwenden zugleich die Fünf-MW-Anlage. Für die Durchsetzung Wenn nicht die Energiekonzerne – dieser Größenklasse als Standard (gegenüber Wer dann? 3,6MW [s.o.]) gehen beide Unternehmen be- achtliche finanzielle Risiken ein. Letztere rela- Bei den Investoren der Projekte (1) bis (5) han- tivieren sich jedoch dadurch, dass sie über eine delt es sich im Wesentlichen um vier Gruppen: gute finanzielle Absicherung verfügen. Denn Stadtwerke, Entwickler von Offshore-Wind- sowohl bei Willi Balz (Windreich-Gründer), als parks, Finanzinvestoren sowie Unternehmen auch Arngolt Bekker (Bard-Gründer) handelt der Energiebranche. Zusätzlich zur Gesamt- es sich um Milliardäre mit entsprechenden Tab. 5: Neue Akteure/ Nicht-Konzern-Akteure im Offshore-Sektor Akteursgruppen Wichtigste Einzelinvestoren Start-Pro- Anteil der Anteil der jekte (MW), Nicht- Startpro insg. 1581 Konzern- jekte gesamt MW Projekte (%) (%) Stadtwerke (SW) Trianel GmbH18: 200MW, 465 29,4 22,3 SW München: 241 MW, einzelne Stadtwerke: 24MW Unternehmen der Wind- Bard Gruppe: 400 MW, 525 33,2 25,2 energie-Branche Windreich AG: 56MW, Windland GmbH: 58MW, Enova: 11MW Finanzbranche, Einzelinves- Blackstone: 230MW, 270 17,1 13,0 toren Fa. Meltl: 40 MW Diverse sonstige Unterneh- EGL: 96MW, HSE: 100MW, 313 19,8 15,0 men der Energiewirtschaft EWE: 117MW Quellen: Tab. 1-4, windreich.ag; eigene Berechnungen
Offshore-Windkraft als Plan B der Energiekonzerne? 133 Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung. Es ist die Tatsache nichts, dass aus einem Offshore- denkbar, dass sie Teile der von ihnen geplanten Standort deutlich mehr Strom gewonnen wird Windparks selbst erwerben bzw. langfristig in als eine Wind- (oder Photovoltaik-)anlage eigener Hand belassen. Gemeinsam mit zwei derselben Größe an Land liefern würde. Das anderen Projektentwicklern sind sie Eigentü- gesamte „Projekt Offshore-Wind“ ist auf lang- mer von gut einem Viertel der Startprojekte. fristige Kostensenkungen angewiesen. Voraus- Eine andere wichtige Investorengruppe sind setzung dafür ist, dass zumindest ein Großteil zahlreiche Stadtwerke, allen voran die SW der geplanten Vorhaben in absehbarer Zeit München und der Stadtwerke-Verbund Trianel tatsächlich gebaut wird. Eben daran erscheinen (22,3 Prozent der Startprojekte). Schließlich sind jedoch Zweifel angebracht. Aus heutiger Sicht der Finanzsektor und diverse Unternehmen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Energiewirtschaft als Investorengruppe sich die einsetzende begrenzte Dynamik des der Startphase zu benennen. Sektors über die Startphase hinaus fortsetzen wird. Abgesehen von den Startprojekten, gibt es heute sechs weitere Vorhaben (Gesamtka- Fazit und Ausblick pazität circa 1,7 Gigawatt), die nach Recher- chen des Autors voraussichtlich im Zeitraum Nach Jahren des Zögerns, des Hinhaltens und 2015 bis 2018 mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täuschung der Öffentlichkeit hinsichtlich den Betrieb aufnehmen werden.19 Auch bei ihrer Absichten, angeblich kurzfristig Windan- diesen Folgeprojekten werden die führenden lagen auf See zu installieren, lassen sich heute Energiekonzerne als Investoren zweitrangig wenngleich sehr zaghafte Bauaktivitäten der sein (E.on und EnBW je ein Projekt). Diese Energiekonzerne auf deutschen Meeren feststel- vorsichtige Schätzung steht in deutlichem len. Über das hoch subventionierte Testprojekt Gegensatz zu traditionell optimistischen „Alpha Ventus“ und das kleinere Projekt „Baltic Prognosen der Branche.20 Ein erster Grund 1“ hinaus haben RWE und Vattenfall mit dem der Skepsis liegt in den Verzögerungen bei der Aufbau jeweils eines großen Windparks auf Bereitstellung der Netzanschlüsse. Dabei geht See begonnen. Diese Entwicklung kommt es nicht nur um die Seekabel, sondern auch allerdings so spät und zugleich so zögerlich, um die Problematik des stagnierenden Netz- dass man den Eindruck gewinnen muss, sie ausbaus an Land. Zudem stellt sich die Frage, entfalteten gerade so viel Aktivität, um den welche Akteursgruppen langfristig investieren Vorwurf der Untätigkeit zurückzuweisen. Mit werden. Nach den Erfahrungen der letzten deutlich größerer Konsequenz vorangetrieben Jahre muss davon ausgegangen werden, dass wird der Sektor heute insbesondere durch mit- die Energiekonzerne ihre Projekte weiterhin telständische Unternehmen des Energiesektors. im bisherigen Tempo vorantreiben und die An erster Stelle sind diejenigen zu nennen, die technischen Potenziale der Standorte nicht unmittelbar am Aufbau der Projekte beteiligt ausschöpfen werden. Inwieweit die Stadtwerke, sind. Von der Initiative der Energiekonzerne sobald deren Eigenbedarf einmal gewährleistet war der Sektor zu keiner Zeit abhängig. ist, weitere Anlagen erwerben werden, erscheint Wenn es nicht zu weiteren Verzögerun- zumindest fraglich. Schließlich wird der Sektor gen kommt, werden bis Ende 2015 sämtliche für Investmentfonds wie Blackstone nur attrak- Startprojekte, entsprechend einer Windanla- tiv bleiben, wenn die Förderung langfristig auf genkapazität von knapp 2,1 Gigawatt auf See einem Niveau gehalten wird, dass mit deren installiert sein. Verglichen damit, dass allein hohen Renditeansprüchen in Einklang steht. in den letzten drei Jahren circa fünf Gigawatt Das werden sich jedoch die Stromkunden, die Onshore-Wind- und mehr als 20 Gigawatt an ohnehin seit Jahren mit rapide zunehmenden Photovoltaikanlagen den Betrieb aufgenommen Preisen konfrontiert sind, nicht unbegrenzt haben, erscheint dies, angesichts hoher Inves- bieten lassen. Damit sich trotzdem weiterhin titionskosten und langer Planungszeiten, als Investoren finden, müssten deutliche Kosten- ein recht mäßiges Ergebnis. Daran ändert auch
134 Mario Neukirch senkungen erzielt werden. Dafür gibt es im einzuordnen. Prekär ist der Zeitpunkt der Debatte. Moment allerdings keine Anzeichen. Angesichts der anstehenden Bundestagswahlen Was bedeuten diese Ergebnisse und Ein- müsste sich derjenige, der gegen die Strompreis- bremse stimmt, den Vorwurf gefallen lassen, schätzungen für die eingangs dargestellten die Verantwortung für wachsende Strompreise Positionen, die sich kritisch auf den Sektor zu tragen. Jürgen Trittin (Grüne) hatte die Vor- und die Rolle der Energiekonzerne beziehen? schläge der Regierung als „Ausbaubremse für Grundsätzlich bestätigt das Investitionsver- Erneuerbaren Energien“ bezeichnet (Interview halten der Konzerne eher die erste Position mit der Passauer Neuen Presse, 29.1.2013). („Sargnagel“) als die zweite („Rettungsanker“). 3 Mit den „Energiekonzernen“ sind im Kontext des Artikels stets E.on, Vattenfall, EnBW und RWE Aus kritischer Perspektive werden ein Zurück- gemeint. Als Betreiber von mehr als 80 Prozent drängen der Konzerne sowie die Umstellung der installierten konventionellen Kraftwerke auf regenerative Energien gleichermaßen sind sie die wichtigsten Akteure des deutschen befürwortet. Die Realisierung der Startpro- Stromsektors. jekte trägt dazu bei, diese Ziele zu verfolgen. 4 Für den Bau der Stromleitung müssen zwei Ver- Vorangetrieben wird der Sektor auch durch fahren bei jeweils unterschiedlichen Behörden kommunale Stadt- und Gemeindewerke, die zu durchlaufen werden: Eines für die Ausschließliche Wirtschaftszone beim Bundesamt für Seeschiff- Recht häufig in einem Atemzug mit demokra- fahrt und Hydrographie (BSH) und eines für das tisierter Energieversorgung genannt werden. Küstenmeer beim angrenzenden Bundesland. Für Einzig eine vollständig dezentralisierte Versor- die Vergabe einer Netzanschlusszusage, welche gungsstruktur ist mit Offshore-Windenergie den Netzbetreiber dazu veranlasst, den Anschluss nicht machbar. Aus Sicht derjenigen, die eine bereitzustellen, muss der Projektentwickler etliche beschleunigte Energiewende propagieren, die Vorleistungen erbringen (vgl. Bruns et al. 2012). 5 In Dänemark hat der erste Offshore-Windpark gleichzeitig die traditionellen Energiekonzerne seinen Betrieb im Jahr 1991 aufgenommen. In der weiter in die Defensive treibt, stellt sich die Bundesrepublik dauerte es bis April 2010, bevor Frage der Angemessenheit grundsätzlicher die Testanlage „Alpha Ventus“ ans Netz ging. Kritik der Projekte. 6 Die Position stützt sich etwa auf ein Gutachten des Selbst wenn sich in den nächsten Jahren Sachverständigenrates für Umweltfragen(bspw. ein deutlich optimistischeres Szenario realisie- SRU 2011: 173). Die Kritiker fühlten sich zudem bestätigt, nachdem die Energiekonzerne EdF und ren sollte, als es hier vorgeschlagen wird: Die E.on von der britischen Regierung forderten, ihre Bedeutung der Offshore-Windenergie bleibt Ziele für Strom aus erneuerbaren Energien bis auf absehbare Zeit so gering, dass sie keine zum Jahr 2020 auf 20 Prozent zu begrenzen, da prinzipiellen Weichenstellungen (Byzio et al. sie ansonsten ihre Investitionsplanung zum Bau 2008, S. 148ff.) innerhalb des Stromsektors von Atomkraftwerken in Großbritannien stoppen begründen könnte. Dies gilt zum einen für die würden (taz.de, 25.3.2009). Frage, ob es tatsächlich zu einer weitgehenden 7 Siehe http://www.renewableuk.com/en/re- newable-energy/wind-energy/offshore-wind/ Verdrängung konventioneller Energien aus development-rounds.cfm (Stand: 13.1.2013). dem Markt kommen wird. Unklar bleibt zum 8 So hatten bis 2012 außer dem Testprojekt Alpha andern, ob ggf. ein Wechsel zu erneuerbaren Ventus und Baltic 1 (EnBW) keine weiteren Energien vornehmlich zentral oder dezentral Anlagen der Energiekonzerne den Betrieb auf- erfolgen wird. Ganz sicher hingegen ist, dass der genommen. Mit den Besonderheiten E.ons als Atomausstieg nicht vom Erfolg der Offshore- Planer von Offshore-Windanlagen haben sich die Branchenmagazine der erneuerbaren Energien Projekte abhängig ist.21 befasst (vgl. etwa Neue Energie 6/2006, S. 14f., 12/2007, S. 43 und Sonne, Wind und Wärme 9/2006, S. 98ff.). Bis 2018 erscheint einzig die Anmerkungen Umsetzung der Konzern-Projekte Amrumbank West (E.on) und Baltic 2 (EnBW) wahrscheinlich 1 Siehe http://www.offshore-windenergie.net (s.u.). (Stand: 26.2.2013). 9 Allein im Jahr 2012 haben RWE und Vattenfall in 2 Ganz aktuell ist in diesen Kontext auch der Vor- NRW bzw. in Sachsen je ein Braunkohlekraftwerk stoß von Bundesumweltminister Altmaier zur in Betrieb genommen. Auch E.on und EnBW Einführung einer sogenannten Strompreisbremse lassen neue Kohlekraftwerke errichten (vgl.
Offshore-Windkraft als Plan B der Energiekonzerne? 135 http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/ einer [...] Netzanschlusszusage durch das BSH zu klima_und_energie/121123_bund_klima_ener- nehmenden Hürden sind hoch. So muss nicht gie_kokw_verfahrensstand_liste.pdf; Stand: nur die Genehmigung erteilt […] sein, sondern 7.1.2013). es müssen auch sämtliche Untersuchungen, wie 10 Die Vorab-Definition einer Phase ist prinzipiell z.B. Baugrunduntersuchungen, abgeschlossen mit analytischen Risiken behaftet. Niemand kann sein. Das mit Abstand größte Investment ist letztlich mit Sicherheit vorhersagen, dass bis jedoch erforderlich, weil alle Verträge für den 2015 sämtliche Start-Windparks vollständig ans Bau eines Offshore Windparks erforderlicher Netz geschlossen sein werden. Auch ist denkbar, Komponenten, wie Windkraftanlagen, Umspann- dass spätere Projekte zeitlich unmittelbar an die werk, Parkverkabelung und Errichtungslogistik Fertigstellung einiger Startprojekte angrenzen, verbindlich abgeschlossen sein müssen. All diese oder es sogar zu Überschneidungen kommt. Es Verträge erfordern hohe Anzahlungen im zwei- ist also durchaus möglich, dass man bspw. im stelligen Millionenbereich“ (Pressemitteilung der Jahr 2020 den Zeitraum der Startphase und die Windreich AG vom 23. November 2012). Startprojekte anders definieren würde. Für eine 17 Bei keinem anderen der Energiekonzerne ist das technikhistorische Betrachtung würde man zudem Auseinanderklaffen zwischen dem Engagement die Startphase genauer untergliedern. Denkbar auf dem deutschen und internationalen Markt wäre eine Zweiteilung: 2008 bis 2011: Vom Beginn so eklatant wie bei E.on. So hat E.on-Tochter, zur Inbetriebnahme der drei Pionierprojekte E.on Climate & Renewables im Jahr 2011 in New (s.o.) und 2012-2015 als Periode beschleunigter York den „Global Energy Award“ in der Kategorie Umsetzung der Startprojekte: Zwischen Juni 2012 „Grüner Stromerzeuger des Jahres“ gewonnen. In und Februar 2013 begann der Aufbau von fünf der Begründung der Jury heißt es: „Insbesondere der insgesamt neun Windparks (Tab. 1 und 2). bei der Entwicklung der Offshore-Windkraft 11 „Baubeginn“ heißt, dass tatsächlich mit dem hat E.on eine weltweit führende Position.“ (Zi- Einsetzen der Fundamente auf See begonnen tiert nach: E.on-Pressemeldung vom 7.12.2011; wird. URL: http://www.eon.com/de/presse/news/ 12 Ein Down-scaling („kleiner dimensionieren“) pressemitteilungen/2011/12/7/e-dot-on-ist- liegt vor, wenn ein Windpark im Vergleich zur gruener-stromerzeuger-des-jahres.html; Stand: ursprünglichen Planung verkleinert wurde. Dies 7.1.12.). Bezieht sich die Begründung auf reale kann sich sowohl auf die Anlagengröße (zwei Investitionen des Konzerns, können eigentlich Fälle), als auch die Anlagenzahl beziehen (zwei nur die Märkte Großbritanniens und Dänemarks Fälle). gemeint sein, wo E.on tatsächlich sehr aktiv ist. 13 Um eine Beeinträchtigung des Vergleichs zu 18 Die Trianel GmbH ist ein Verbund aus circa 50 vermeiden, ist bei der Berechnung des Durch- Stadt- und Gemeindewerken. Ein geringer Teil schnittswertes das Projekt „Borkum Riffgat“ stammt aus dem europäischen Ausland (vgl. http:// nicht berücksichtigt worden. Die kurze Dauer www.trianel.com/de/trianelportrait/struktur. zwischen Genehmigung und Baubeginn erklärt html; Stand: 4.1.13). sich darüber, dass es um den Windpark zu jah- 19 Dabei handelt es sich um: MEG Offshore 1 (wind- relangen gerichtlichen Auseinandersetzungen reich), Butendiek (WPD), Borkum Riffgrund 1 gekommen war. Während dieser Zeit hatte der (Dong), Nordergründe (Energiekontor), Baltic Planer die Entwicklungsarbeiten an dem Projekt 2 (EnBW) und Amrumbank West (E.on). fortgesetzt. Da sich der Standort innerhalb der 20 Den Planern zufolge soll zwischen 2013 und 2015 12-Seemeilen-Zone befindet, musste zudem nur der Aufbau von 22 Projekten in Nord- und Ostsee eines statt zweier Genehmigungsverfahren für starten. Von einer Inbetriebnahme der Projekte die Kabeltrasse durchlaufen werden. könnte in diesem Fall bis 2018 ausgegangen 14 Nicht berücksichtigt wurde Vorhaben (6), da es werden (vgl. http://www.offshore-windenergie. als Pilotprojekt bewusst (und legitimer Weise) net/windparks; Stand: 20.2.2013). kleiner dimensioniert war. 21 Erstens befinden sich zahlreiche konventionelle 15 Berücksichtigte man zusätzlich, dass auch einige Kraftwerke im Bau oder in der Planung. Die Stadtwerke sowie der Netzbetreiber EWE an Stilllegung alter Kraftwerke und insbesondere Konzern-Projekten als Investoren beteiligt sind, auch die Stilllegung von acht AKW seit 2011 wird verschöbe sich die Relevanz der Energiekonzerne dadurch vollständig kompensiert (Bundesnetz- noch weiter zu deren Ungunsten (s.u.). agentur 2011: 84f.). Daraus folgt zweitens, dass 16 Verzögerungen der Netzanschlusszusage lassen die vielen Wind- und Photovoltaikanlagen, die seit darauf schließen, dass die Projekte nicht mit der 2011 in Betrieb gegangen sind, zur Versorgungs- erforderlichen Konsequenz vorangetrieben wur- sicherheit im Prinzip gar nicht gebraucht worden den. So erläutert Willi Balz, Chef der Windreich wären. Allein in den Jahren 2011 und 2012 wurde AG (Planer des Vorhabens (2)): „Die zur Erlangung eine Gesamtkapazität von circa 20 Gigawatt an
136 Mario Neukirch Photovoltaik, Onshore-Wind- und Biogasanla- Byzio, Andreas; Mautz, Rüdiger; Schumann, Michael gen neu aufgestellt. Diese könnten einen hohen (2005); unter Mitarbeit von Wolf Rosenbaum: Beitrag zur Ersetzung künftig stillzulegender Energiewende in schwerer See – Konflikte um AKW leisten. Das immer wieder von Gegnern die Offshore-Windkraftnutzung. München: der Energiewende an die Wand gezeichnete Oekom Verlag. Angstszenario der „Stromlücke“ ist von großen Byzio, Andreas; Mautz, Rüdiger; Rosenbaum, Wolf Teilen der Öffentlichkeit als Täuschungsmanö- (2008): Auf dem Weg zur Energiewende: Die ver mit dem Ziel erkannt worden, die geringe Entwicklung der Stromproduktion aus erneuerba- Akzeptanz für den Bau neuer Kohlekraftwerke ren Energien in Deutschland. Universitätsverlag zu verbessern (zeit.de, 12. April 2011). Drittens Göttingen. gehen Energie-Experten wie Jochen Flasbarth Eikmeier, Bernd; Jahn, Katrin (2007): Entwicklung (Vorsitzender des Bundesumweltamtes) und Olav der Stromversorgung in Norddeutschland – Wie Hohmeyer (Mitglied des Sachverständigenrat für schnell wächst der Anteil der Offshore-Wind- Umweltfragen) davon aus, dass ein Atomausstieg parks? In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen bereits deutlich vor 2022 möglich wäre, nämlich 57. Jg., Heft 1, S. 43-47. 2015, bzw. 2017 (Hohmeyer et al. 2011, UBA Hohmeyer, Olav et al. (2011): Atomausstieg 2015 und 2011). Eine Abhängigkeit des beschleunigten regionale Versorgungssicherheit. Kurzgutachten Atomausstiegs von der Energieproduktion durch des Zentrum für Nachhaltige Energiesysteme Offshore-Windanlagen wird von keiner der beiden (ZNES) an der Universität Flensburg, 27. April. Studien gesehen. Jarass, Lorenz; Obermair, Gustav M. (2012): Welchen Netzausbau erfordert die Energiewende? Unter Berücksichtigung des Netzentwicklungsplans Literatur 2012. Wiesbaden: Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG Münster. Bruns, Elke; Futterlieb, Matthias; Ohlhorst, Dörte; Neukirch, Mario (2008): Energiewirtschaft und Wenzel, Bernd (2012): Netze als Rückgrat der Windkraft: Eine Länder vergleichende Politik- Energiewende. Hemmnisse für die Integration analyse zur deutschen Offshore-Windenergie. erneuerbarer Energien in Strom-, Gas- und Wär- In: Ökologisches Wirtschaften 2/2008,S. 43-46. menetze. Unter Mitarbeit von Frank Sailer und Sachverständigenrat für Umweltfragen (2011): Wege Thorsten Müller. Universitätsverlag der TU Berlin. zur 100 Prozent erneuerbaren Stromversorgung. Bundesnetzagentur (Hrsg.) (2011): Bericht zu den Sondergutachten. Januar 2011, Berlin. Auswirkungen des Kernkraftausstiegs auf die Umweltbundesamt (Hrsg.) (2011): Hintergrundpapier Übertragungsnetze und die Versorgungssicher- zur Umstrukturierung der Stromversorgung in heit. Zugleich: Bericht zur Notwendigkeit eines Deutschland. Mai, geänderte Verfassung vom Reservekernkraftwerks im Sinne der Neuregelun- September. gen des Atomgesetzes. 31. August 2011.
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