Bern liebt Kokain Drogen 250 Kilogramm Kokain werden im Kanton Bern schätzungsweise pro Jahr konsumiert. Ein 25-Millionen-Franken-Business - rave ...
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Bern liebt Kokain Berner Zeitung, 28.1.2019 Drogen 250 Kilogramm Kokain werden im Kanton Bern schätzungsweise pro Jahr konsumiert. Ein 25-Millionen-Franken-Business. Jürg Steiner Wie stark deswegen der Konsum zent des konsumierten Kokains apothekeramt, untersucht seit 20 zunimmt, ist unklar. Jährliche entspricht. 2017 stellte die Poli- Jahren Partydrogen auf ihre Noch nie war qualitativ so gutes Abwasseruntersuchungen durch zei 25 Kilogramm Kokain sicher. Wirkstoffe, um Gesundheitsrisi- und gleichzeitig billiges Kokain ETH-Forscher suggerieren, dass Das würde einem Jahreskonsum ken bei den Konsumenten ein- auf dem Berner Markt wie heu- die Stadt Bern mit Partydestina- von 250 Kilogramm entsprechen zudämmen. Er stellt fest, dass te. Sagen Szenekenner. Der Preis tionen wie München und Berlin und einem Umsatz von 25 Mil- der Wirkstoffgehalt des in Bern pro Gramm, die übliche Handels- locker mithält. Über die Be- lionen Franken. Angesichts die- kursierenden Kokains aus Süd- einheit, bewege sich seit länge- schlagnahmungen der Berner ser Grössenordnung ist der amerika in der jungen Vergan- rer Zeit stabil um die 100 Fran- Kantonspolizei kann man den Strassendeal vor der Reitschule genheit deutlich gestiegen ist. ken. Kokain kann man deshalb Konsum quantitativ abschätzen: eher ein Randphänomen. Und ihm fällt auf, dass «Kokain auch mit schmalem Budget er- Aus Studien ist bekannt, dass die Daniel Allemann, Chemie- ein extrem positives Image hat. werben. konfiszierte Menge etwa 10 Pro- laborant am Berner Kantons- Es gilt als sehr cool.» Seite 2+3
Montag, 28. Januar 2019 Kokain für alle Drogen Das in Bern erhältliche Kokain ist reiner, billiger und deshalb für Jugendliche mit schmalem Geldbeutel erschwinglich geworden. Das macht den Strassendeal vor der von Tausenden junger Leute frequentierten Reitschule zum Problem. Allerdings nicht zum grössten. Jürg Steiner «Ich wurde beim Hinlaufen auf den Vorplatz der Reitschule fünf- mal für Koks angehauen und dreimal für Cannabis», schrieb der städtische Sicherheitsdirek- tor Reto Nause (CVP) vor zwei Monaten auf dem Kurznachrich- tendienst Twitter: «Ich glaube, dass wir ein Problem haben.» Die Frage ist, wo genau das Problem liegt. Niemand – weder Polizei noch Drogenfachleute – bestreitet, dass die illegale Droge Kokain in Europa boomt (siehe Kasten unten). Also auch in Bern. «Ko- kain putscht auf, macht hem- mungsloser und risikobereiter, Sieht Banalisierung als Problem: man ist leistungsfähiger. Die- Daniel Allemann vom Drug- se Wirkung ist völlig gesell- Checking. Foto: Raphael Moser schaftskonform», sagt Rahel Gall, Geschäftsleiterin der Suchthilfe- stiftung Contact. Die wahre Be- deutung von Kokain liegt aller- dings im Dunkeln. 3000 Linien pro Tag Das ETH-Wasserforschungsins- titut Eawag misst jedes Jahr Ko- kainrückstände in städtischen Abwässern und schliesst daraus auf den Konsum. 2018 registrier- te man auch in Bern eine sprung- hafte Zunahme, auf gut 2 Gramm Tageskonsum pro 1000 Perso- nen. Das wäre auf die Bevölke- rung hochgerechnet ein täglicher Gesamtkonsum von rund 300 Gramm. Oder in der Kokainwäh- «Kokain hat ein rung: mindestens 3000 Linien extrem positives pro Tag in der Stadt Bern. Jedoch: Ob die Zunahme der Werte im Image. Es gilt als Abwasser wirklich auf gestiege- sehr cool.» nen Konsum zurückzuführen ist oder auf die gestiegene Quali- tät des Stoffs, lässt sich nicht mit Daniel Allemann Sicherheit sagen. Kantonsapothekeramt Vom Kollegen des Kollegen des Kollegen: Die Feinverteilung des Kokains passiert vor allem über das weit verzweigte Freundenetzwerk. Foto: Getty Sehr gute Kenntnisse des in Bern konsumierten Kokains hat der Chemielaborant Daniel Alle- bucht und von örtlichen Sozial- lich erhöhten Wirkung auch hef- Kokain, die Droge von Kreativen kain hat ein extrem positives mann. Er arbeitet in der Läng- arbeitern begleitet. tig überrascht werden. und Bankern: Dieses Bild sei Image. Es gilt als sehr cool.» gasse im Labor des Berner Kan- Allemann stellt einen klaren komplett veraltet, sagt Allemann: Diese Begeisterung und tonsapothekeramts und ist ein Trend fest: Die Kokainqualität Deal im Freundenetzwerk «Kokainkonsumenten gibt es gleichzeitige Banalisierung sei inzwischen europaweit an- steigt. Seit ungefähr 2010 nimmt Allemann schränkt ein: Die Pro- heute in praktisch allen sozialen es, die ihm am meisten Sorgen erkannter Pionier auf dem Ge- der Kokaingehalt der gegen 300 ben, die ins Labor gebracht wer- Schichten, Berufen und Alters- mache – vor allem bei den ganz biet des Drug-Checking, zu Proben, die vom Labor jährlich den, stammten praktisch nie aus gruppen.» Kenner und Studien Jungen, die häufig ziemlich ah- Deutsch: des amtlich bewilligten untersucht werden, kontinuier- dem Strassenhandel, wie er auf bestätigen: In den letzten Jahren nungslos mit Pülverchen und Testens illegaler Drogen. Seit 20 Jahren analysiert Allemann mit lich zu. Heute liegt der Wirkstoff- gehalt oft bei über 80 Pro- der Schützenmatte stattfindet. Der Kokaingehalt dieser meist in «Viele Leute ist der Grammpreis trotz besse- rer Qualität um zwei Drittel auf Pillen experimentierten. seinem Team in Zusammen- zent (siehe Grafik). Die Anteile Papier gewickelten Ein-Gramm- konsumieren etwa 100 Franken gesunken. Vorteile der Banalisierung arbeit mit Contact die in der Ber- der beliebten Streckmittel – Ba- Kügelchen dürfte deutlich gerin- Ein Gramm reicht in der Re- Typische Konsumenten gebe es ner Partygesellschaft kursieren- bymilchpulver, das Pferdeent- ger sein. «Die meisten Leute, die Kokain massvoll gel für mindestens zehn nicht, sagt Contact-Geschäftslei- den Substanzen – etwa Kokain, wurmungspräparat Levamisol zu uns kommen, geben an, den und begeben sich Schnupfdosen – das liegt auch terin Rahel Gall. Jeder und jede LSD, Ecstasy, Amphetamine – auf oder das Schmerzmittel Phena- Stoff von Freunden zu bezie- in einem Schülerbudget drin. Die könne es sein. Der Bauarbeiter, ihre Inhaltsstoffe. cetin – sind rückläufig. hen», sagt Allemann. Über den weder in Beratung Mehrzahl der Drug-Checking- der vor der Büez eine Linie zieht. Jeden Mittwochabend an der Speichergasse in der Berner In- Diesen Befund bestätigt die Kantonspolizei. Grundsätzlich Kollegen des Kollegen des Kolle- gen: So läuft die Kokain-Feinver- noch Betreuung.» Nutzer sei zwischen 20 und 30 Jahre alt, ab und zu kämen aber Die Lehrerin, die sich nach Schul- schluss Entspannung gönnt. nenstadt und regelmässig im senkt die bessere Kokainqualität teilung in Bern normalerweise. auch User aus der Generation Minderjährige Schüler, die mit il- mobilen Labor an einer Party das Gesundheitsrisiko. Aller- Und eher selten über die afrika- Robert Hämmig Ü-50 vorbei, sagt Allemann. Was legalem Kokain ihr Gangsterima- kann man als mindestens 18-jäh- dings kann man von der plötz- nischen Strassendealer. Suchtfacharzt ihm in letzter Zeit auffällt: «Ko- ge schärfen. riger Konsument seinen Stoff gratis analysieren lassen. Eine Sozialarbeiterin oder ein Sozial- So kommt das Kokain nach Bern arbeiter ist auch dabei. Kurz vor Weihnachten 2018 Ein so heftiger Schlag ins Herz auch über Afrika und neuerdings auch weil die Droge Crystal Meth 2017 beschlagnahmte die Kan- Qualität wird immer besser gelang der Berner Staatsanwalt- des Kokainhandels ist selten. via Osteuropa Richtung Schweiz. hoch im Kurs ist. Deshalb gelangt tonspolizei rund 25 Kilogramm «Das Gefährlichste», erklärt Al- schaft zusammen mit der Kan- Trotzdem war die Staatsanwalt- Sehr häufig dienen Wohnungen viel und qualitativ guter Stoff nach Kokain. Gemäss der Waadtländer lemann den Zweck des Drug- tonspolizei ein Coup: Nach jahre- schaft für Besondere Aufgaben als Zwischenlager, wo Händler die Europa. Studie beläuft sich der konfiszierte Checking, seien «Leute, die nicht langen Ermittlungen wurde laut auf Anfrage nicht bereit, zu den bestellte Ware abholen, sie teilen, Wie die Kantonspolizei bestä- Anteil an der kursierenden Ko- über Zusammensetzung und einer Mitteilung gegen sieben Schwierigkeiten im Kampf gegen strecken und an Feinverteiler wei- tigt, dominieren Nigerianer den kainmenge auf ungefähr 10 Pro- Konzentration der Substanzen Afrikaner Anklage erhoben, weil den Kokainimport Richtung Bern tergeben. Diese sind lokal als Berner Kokainhandel. Oft ist ihr zent. Bedeutet: Im Kanton Bern im Bild sind, die sie sich zufüh- sie 2014 und 2015 den Schmuggel Stellung zu nehmen. Kuriere, unter Umständen mit dem Aufenthaltsstatus prekär. Aller- würden ungefähr 250 Kilogramm ren. Besonders, wenn sie neben von 110 Kilogramm Kokain aus Lageberichte der europäischen Velo, mit so geringen Mengen dings ist das Geschäft auch für Kokain pro Jahr gehandelt, der Kokain noch Alkohol, Cannabis Holland in die Schweiz organisiert Polizeibehörde und eine ausführli- unterwegs, dass sie in der Regel Schweizer lukrativ. Laut Insi- Umsatz beliefe sich auf mindes- oder Ecstasy-Pillen konsumie- haben sollen. Der Stoff wurde in che Studie der Universität Lau- höchstens eine Verzeigung dern kann man mit einem Gramm- tens 25 Millionen Franken. ren.» Das mobile Berner Drug- von Bodypackern verschluckten sanne über den Kokainmarkt in riskieren. Die Grenze zum preis von 30 Franken rechnen, Letzte Woche hielt die Kan- Checking-Labor ist das einzige Fingerlingen, aber auch verpackt der Waadt zeichnen das Bild einer «schweren Fall» liegt bei 18 wenn man Kokain etwa im Um- tonspolizei auf der Schützenmatte in der Schweiz, deshalb werden in Autopneus eingeführt. Eine flexiblen, filigranen, der Illegalität Gramm. fang von 500 Gramm kauft. Schon sechs Männer an und konfiszier- Allemann und sein Team von den wichtige Rolle spielte eine als angepassten Organisation. Das In den USA haben die Kokain- bei einem Verkaufspreis von 100 te 85 Gramm Kokain. Eine erfolg- Städten Zürich, Basel und bald Kokaindepot benützte Wohnung Kokain gelangt aus Südamerika kartelle gemäss den europäischen Franken pro Gramm ist der Busi- reiche Razzia. Ein Tropfen auf den auch Genf für Einsätze ge- in Köniz. über die USA und Spanien, aber Ermittlern Absatzprobleme, nessplan steil. heissen Stein. (jsz)
irgendwo auftauchen, wenn er vom Reitschule-Vorplatz ver- schwände. «Die Nachfrage ist der Hauptgrund dafür, dass auch in Bern so viel Kokain im Umlauf ist.» Unter Leistungsdruck Das Hauptproblem beim Kokain ist das hohe Risiko einer psychi- schen Abhängigkeit – man möchte den Kick immer stärker und immer häufiger erleben, zu- mal das Herunterkommen un- angenehm sein kann. Starkkon- sumenten kombinieren deshalb mitunter Kokain mit Heroin, weil Letzteres die harte Landung nach dem Kokain-Höhenflug abfedern Setzt auf Information: Rahel Gall, kann. Geschäftsleiterin Suchthilfestif- Was sich laut Rahel Gall zu- tung Contact. Foto: Christian Pfander spitzt, ist der mit Alkohol unter- legte Mischkonsum unterschied- licher Substanzen. Bis zu einem gewissen Grad präge das Leis- tungsdenken auch den Konsum von Freizeitdrogen: Man will sich mit Substanzkombinationen sel- ber übertreffen, und das kann bei Missgriffen zu ernsten körperli- chen Problemen führen. Kokain verengt die Blutgefäs- se, treibt Herzfrequenz und Blut- druck in die Höhe. Gleichzeitig reduziert es beispielsweise die Wirkung von Ecstasy. Man kann also ziemlich viel intus haben – ohne wirklich etwas zu spüren. Viel Wasser zu trinken, ist ein gu- «Die Wirkung von ter Tipp, damit man mindestens der drohenden Dehydrierung Kokain ist völlig entgegenwirkt. «Darüber hin- aus», sagt Rahel Gall, «funktio- gesellschafts niert die Vorbeugung nur, wenn konform.» es uns gelingt, die Konsumenten gut zu informieren.» Rahel Gall Geschäftsleiterin Contact. Gelegentlich eine Linie Frank Zobel, Vizedirektor von Sie wolle die Banalisierung nicht formation und Beratung für Sucht Schweiz, bringt den Kokain- schönreden, doch: «Weil Kokain Konsumenten von Freizeitdro- konsum in der Schweiz auf eine in der Öffentlichkeit kein Tabu gen wie auch die mobilen Ein- knappe Formel. 80 Prozent sind ist, steigen auch die Chancen, sätze an Partys nun selber. Im Gelegenheitsanwender und Konsumentinnen und Konsu- Prinzip müsste man mit einem konsumieren 20 Prozent des menten mit Informationen über solchen Angebot aber nicht nur Stoffs. Die restlichen 20 Prozent Risiken zu erreichen», sagt in Bern, sondern auch in Subzen- Kokser ziehen sich schnupfend, Gall. Konsumiert würden psy- tren wie Biel, Burgdorf, Thun, inhalierend oder spritzend 80 choaktive Substanzen sowieso, Langenthal oder Interlaken prä- Prozent des Pulvers rein. ob sie legal sind wie Alkohol oder sent sein, findet Gall. Der Berner Arzt und Psychiater verboten wie Kokain. Aber: In- Sie versteht, dass man sich als Robert Hämmig beschäftigt sich formierte Konsumenten könnten Eltern über die Nähe des Kokain- seit 1984 mit Suchtfragen, früher den Umgang mit Drogen eher im Strassendeals zur jugendlichen unter anderem als leitender Arzt Griff behalten. Ausgehmeile auf der Schützen- Schwerpunkt Sucht der Universi- matte Sorgen macht. «Man kann tären Psychiatrischen Dienste Der Deal vor der Reitschule es nicht vom Tisch wischen», Bern, heute als leitender Arzt der Dieser Grundsatz bestimmt die sagt sie, «die Verfügbarkeit einer Suchtfachpraxis Dr. Robert AG. Prioritäten: Nachdem der Kan- Substanz erhöht deren Konsum.» Auf Anfrage hält er zur Situation ton per Ende 2018 die Unterstüt- Besonders angesichts der spür- in Bern fest, dass eine massive zung dafür eingestellt hat, finan- bar gesunkenen Preise. Aller- Zunahme des Kokainkonsums ziert Contact die stationäre In- dings würde dieser Handel sonst bereits «seit den 80er-Jahren kolportiert wird». Es stimme, dass der Kokainkonsum etwas zu-, der Kokaingehalt in Proben des «Drug Checking» Heroinkonsum etwas abgenom- men habe. in Gewichtsprozent Hämmig bestätigt aber auch, 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 dass heute «viele Leute Kokain massvoll konsumieren und sich 100 weder in Beratung noch Betreu- ung begeben». Problemfälle gebe 80 es, aber «eine massive Zunahme beobachten wir nicht». Es komme regelmässig vor, dass abhängige 60 Kokainkonsumenten plötzlich beschliessen aufzuhören – und 40 das auch schaffen. Süchtige, die mit dem Reissen nach Kokain 20 kämpfen, können sich laut Häm- mig medikamentös oder mittels transkranieller Magnetstimulation Anzahl Proben: 200 400 600 800 (wie bei der Nikotinentwöhnung) Grafik: ake / Quelle: Kantonsapothekeramt Bern behandeln lassen. (jsz)
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