Redaktionen protestieren gegen den Einheitsbrei - Journal B
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4 Monopol-Zeitung | 7. September 2017 ProtestAktion Stimmen Redaktionen protestieren Peter Stämpfli, Unternehmer «Der Wirtschaftsraum Bern ist der drittgrösste der gegen den Einheitsbrei Schweiz. Er ist zudem der grösste Industriestandort. Die Berner Bevölkerung und namentlich die Unternehmen sind auf eine breite, inhaltlich vertiefende und journalistisch hochstehende Berichterstattung über die Berner Wirtschaft angewiesen. Dazu sind regional verankerte Journalisten notwendig. Das neue Konzept von Tamedia muss dem Rechnung tragen.» Jacqueline Strauss, Direktorin Museum für Kommunikation «Auf die Eröffnung des neuen Museums für Kommunikation folgen automatisch die beiden wichtigsten Fragen: Was schreibt der ‹Bund›? Was Fades Risotto: Künftig werden mals setzten sich «Bund»- und BZ-Jour- der Medien) wird künftig noch rund 70 schreibt die BZ? nalisten gemeinsam für die Rettung der Redaktorinnen und Redaktoren umfas- die beiden Berner Zeitungen Die vergleichende Medien- und Meinungsvielfalt in Bern sen, der «Bund» (heute rund 45 festange- nur noch etwa halb so viele ein: «Vielfalt statt Einheitsbrei» lautete stelle Mitarbeitende) noch ungefähr 30. Zeitungslektüre Mitarbeitende beschäftigen. die Botschaft. Mit dem Wegfall eigenständiger Berner ist eine Deutlich über 100 Medienschaffende der Redaktionen für Politik, Wirtschaft, Kul- Der Medienplatz Bern hat in den letzten beiden Redaktionen schlossen sich dem tur und Sport geht – so die Befürchtung Motivation 15 Jahren eine lange Serie von Sparrunden Risotto-Protest an und konfrontierten die – auch der spezifische Blick aus Bern auf für unsere erlebt. Im kollektiven Gedächtnis haften Öffentlichkeit erstmals mit der Perspekti- nationale Themen verloren. Arbeit. Dem geblieben ist das Jahr 2009, als der «Bund», ve, dass der Medienplatz Bern der Haupt- Mit dem Risottoessen forderten die Jour- dem die Schliessung drohte, auch dank verlierer des Projekts «tamedia 2020» nalistinnen und Journalisten den Ver- Publikum hilft sie bei der öffentlichen Widerstands gerettet wurde. sein wird. Bern verliert fast die Hälfte waltungsrat auf, die Frage der Meinungs- Meinungsbildung. Um Nie allerdings hatten sich die Redaktio- der heute für Tamedia arbeitenden Jour- vielfalt bei seinem Sparvorhaben zu die Vielfalt des Berner nen von «Bund» und BZ zu einer gemein- nalistinnen und Journalisten. Sie wer- berücksichtigen. Er tat dies nicht: Das samen Aktion gegen Sparpläne vereinigt. den der zentralen Redaktion angeschlos- wurde am 23. August klar, als er die Plä- Kulturlebens angemessen zu Genau deshalb war das Risottoessen vom sen. Die «Berner Zeitung» (heute rund 150 ne für seine Zentralredaktion kommu- spiegeln, braucht es unbedingt 17. August für Bern eine Premiere: Erst- Mitarbeitende, inklusive Berner Oberlän- nizierte. auch Medienvielfalt.» STandpunkt der gewerkschaft Syndicom Und des Berufsverbands impressum Mujinga Kambundji, Spitzenleichtathletin Stellenabbau trotz satten Gewinns «Der Sport lebt von der Vielfalt. Es wäre schade, Was im Moment bei «Bund», «Berner Zei- finanzieren und die journalistische Quali- einen Teil der Millionen-Gewinne in die wenn in Bern tung» und den anderen Tamedia-Titeln tät ausbauen. Stattdessen fliessen die Mil- Vielfalt zu investieren. Bern als Bundes- passiert, ist nur die Spitze des Eisbergs. lionen in die Taschen der Aktionäre. Und stadt verdient zwei eigenständige Zeitun- bald nur noch In den letzten 20 Jahren kannten die die Tamedia-Redaktionen bekommen ein gen. Tamedia erweckt den Eindruck, ihr eine Sichtweise grossen Zeitungshäuser in der Schweiz weiteres Abbauprogramm verschrieben. Abbauprogramm sei ohne Stellenabbau verbreitet bloss eine Antwort auf sinkende Abo- zu machen. Per 1. Januar 2018 werde nie- und Inserateeinnahmen: Abbau, Abbau, Qualität und Jobs erhalten mand entlassen. Das ist unglaubwürdig. würde.» Abbau. Sie strichen Stellen zusammen. In Die Mediengewerkschaft Syndicom und Denn der Konzern wird schleichend Stel- den Redaktionen verteilt sich immer mehr der Berufsverband Impressum wollen das len abbauen; darunter leidet die Qualität Christian Leumann, Arbeit auf immer weniger Schultern. nicht hinnehmen. Wo die Medienviel- der Zeitungen. Zeit für kritische Recher- Rektor der Universität Bern Medienschaffende wollen spannende falt stirbt, leidet die Demokratie. Darum che fehlt. «Als Universität mit Geschichten erzählen. Immerhin steht haben sie gemeinsam mit Angestell- Die Angestellten beider Zeitungen haben ihr Name darunter. An ihren Artikeln ten von «Bund» und «Berner Zeitung» dem Konzern-Management wiederholt internationaler Ausrichtung arbeiten sie, bis die Fakten stimmen und die vorliegende «Monopol-Zeitung» angeboten, gemeinsam den Umbau so zu und lokaler Verankerung in der der Text lesenswert ist – selbst wenn sie produziert. Syndicom und Impres- gestalten, dass Vielfalt, Qualität und Jobs Bundesstadt sind wir darauf dafür bis 22 Uhr am Computer hocken. sum erwarten von Tamedia, zumindest erhalten bleiben. Bislang vergebens. Auf Abbau reagieren die überlebenden angewiesen, sowohl aus Journalistinnen und Journalisten bislang lokalen als auch aus nationalen mit Mehrarbeit. Bis sie bei der nächsten Der Kampf um «Bund» und «Berner Zeitung» geht Perspektiven wahrgenommen Sparrunde selber entlassen werden. weiter. Helfen Sie mit, die Medienvielfalt in Bern zu zu werden. Bei zentralisierten 122 Millionen Franken: Kein Schweizer erhalten. Informationen dazu: Medienkonzern erwirtschaftete 2016 Wissenschaftsredaktionen mehr Gewinn als Tamedia. Für 2017 sieht es noch besser aus. Mit diesem Geld www.bernermedien.ch droht nun aber die Verengung liessen sich innovative Medienprojekte der Blickwinkel.»
MONOPOL Sonderausgabe zum Medienabbau www.bernermedien.ch ZE I T U N G 7. September 2017 Pedro Lenz, Schriftsteller Kahlschlag bei «Bund» und «Berner Zeitung» Bye-bye Bern Als junger Kolumnist durfte ich bei der Tageszeitung «Bund» viel lernen. «Immer dran, nie drin», sagte mir einmal ein Berner Beben Der «Bund» und die «Berner Zeitung» kommen ab 2018 mehrheitlich aus Zürich, nur das Lokale erfahrener Redaktor und meinte damit, bleibt in Bern. Der Tamedia-Verlag stärkt sein Medienmonopol weiter. Er schafft damit die dass es beim Journalismus unter ande- rem darauf ankomme, nahe am Gesche- Voraussetzung zur Verschmelzung der beiden Zeitungen. hen zu sein, ohne selbst Teil davon zu werden. Es ging darum, die Men- schen, über die man berichtete, ernst zu nehmen, ohne sich ihnen anzudienen. Irgendwann hat sich die Vorstel- lung von Nähe ver- wandelt. Heute wird Nähe oft mit Dis- tanzlosigkeit verwechselt. Was einst journalistische Neugierde war, ist einer verbreiteten Klatschsucht gewichen. «People» nennt sich zum Beispiel bei den meisten Zeitungen der Teil, der gerade nicht über People, also das Volk, berichtet, sondern über die, von denen angenommen wird, das Volk müsse zu ihnen aufschauen. Die People-Sei- ten sollten No-People heissen. Sogar die einst als Bastion des seriösen Jour- nalismus geltende Depeschenagentur sda betreibt einen People-Dienst, der sich darum kümmert, Klatschgeschich- ten, die bereits irgendwo erschienen Seit der Zürcher Tamedia-Verlag 2007 das Lokalredaktionen für den Erhalt der DNA wird ausgekernt und nur noch 70 der sind, anderen Zeitungen zugänglich zu Kommando über die Berner Zeitungen der einzelnen Titel sorgen. Es sollen sogar heute 150 Redaktionsmitglieder umfas- machen, ohne die Inhalte zu verifizie- übernommen hat, steht fest, dass er jeder- Kräfte freigespielt werden, die in neue sen. Sie verliert ihre eigenständige über- ren. Das wirkliche People staunt. zeit Entscheide fällen kann, die den Me- Gebiete wie den Datenjournalismus vor- regionale Redaktion und wird verzwei- dienplatz Bern ins Wanken bringen. Am dringen. Bis zum 1. Januar 2018 gibt es kei- felt versuchen, nationale Themen aus Dass es in der Bundesstadt trotz den Mittwoch, 23. August 2017, hat er einen ne Kündigung. regionaler Perspektive zu beleuchten. erwähnten Zerfallserscheinungen noch solchen Entscheid gefällt, aber in der Der «Bund», der schon 2009 beim letz- zwei Zeitungen gibt, in denen versucht Öffentlichkeit ertönte es wie Schalmei- Wo ist das Problem? ten grossen Abbau Haare lassen musste, wird, trotz ständig schwindenden Mit- enklang. Die Tamedia-Spitze eröffnet den Was Tamedia der Öffentlichkeit ver- ist gezwungen, weitere Teile seines Cha- teln ernsthaften Journalismus zu betrei- Mitarbeitenden in Zürich, Bern, Lausan- schweigt: Mindestens 61 Millionen Fran- rakters preiszugeben. In seinen Kernbe- ben, ist ein Trost. Im Idealfall sind «Bund» ne und Genf sowie der Öffentlichkeit den ken Ertragsausfall aus dem rückläufi- reichen Ausland, Inland, Wirtschaft, Kul- und BZ dran, ohne drin zu sein. Noch Entscheid zur Umsetzung des Projekts gen Inserategeschäft will der Verlag mit tur und Sport unterscheidet er sich nur gibt es Journalistinnen und Journalisten, «Tamedia 2020». Man verspricht trotz sin- dem Reformprojekt 2020 kompensieren. noch marginal von der BZ. denen es darum geht, recherchierte Bei- kender Einnahmen besseren Journalis- Würden diese Einbussen vollständig mit Das Projekt «Tamedia 2020» bedeutet für träge für ein lesendes und mitdenkendes mus: Alle Zeitungstitel bleiben erhalten. Stellenabbau aufgefangen, fielen kon- Bern: Konkurrenz und Vielfalt finden nur Publikum zu verfassen. Sie geben ihren Die Kompetenz in den Themenbereichen zernweit 400 bis 500 Jobs weg – rund ein noch auf der Mini-Spielwiese des Loka- Zeitungen eine eigene Farbe. Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft Drittel der Belegschaft. Tamedia will nie- len statt. Sogar auf YB und den SCB gibt es und Sport wird zusammengelegt in einer manden entlassen und setzt auf Pensio- aus Bern nur noch einen journalistischen Aus der Nähe schreiben ist eine Frage zentralen Redaktion, bei der alle Zeitun- nierungen und freiwillige Kündigungen. Blick. Die Gefahr ist real: «Bund» und BZ der Haltung. Aber es ist auch eine Fra- gen der Tamedia-Gruppe dieselben fertig Diese Rechnung geht nicht auf: Der not- werden so weit amputiert, dass ihr Zusam- ge der räumlichen Distanz. Journalisten gelayouteten Seiten beziehen. wendige mittelfristige Stellenabbau wird menschmelzen niemand mehr bedauert. müssen den Gegenstand, über den sie die «natürlichen Fluktuationen» wohl Das trifft wohl früher ein, als man denkt. schreiben, riechen und spüren. Das geht Lokales als Feigenblat t deutlich übertreffen. nicht aus der Ferne. Journalismus muss Während die nationale und internatio- Was Tamedia auch verschweigt: Bern In Dieser Sonderzeitung decken die dort stattfinden, wo die Menschen sind, nale Berichterstattung im Tamedia-Impe- bekommt diese Erschütterung besonders Journalisten AUf, was der Tamedia- um die es geht. Immer dran, nie drin! rium vereinheitlicht wird, sollen die heftig zu spüren. Die «Berner Zeitung» Konzern verschweigt.
2 Monopol-Zeitung | 7. September 2017 Chronik Medienmarkt im Umbruch Machtballung schreitet voran 1850 Verleger Franz Louis Jent gründet die Tageszeitung «Der Bund». Sie versteht sich als Sprachrohr des neuen Bundesstaates von 1848. Die Pressevielfalt schwindet: Die drei grössten Schweizer Medienhäuser Tamedia, Ringier und NZZ- Mediengruppe kontrollieren heute schon über 80 Prozent des Deutschschweizer Marktes. Das zeigt die Analyse des Zürcher Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög). 1888 Im Schweizer Pressemarkt setz- IMMER WENIGER MEDIENHÄUSER KONTROLLIEREN Kontrolleuren ist ausgegliche- Gründung des «Berner Tagblatts», te der Konzentrationsprozess EINEN IMMER GRÖSSEREN MARKTANTEIL ner als in den anderen Sprach- einer städtischen Tageszeitung. im internationalen Vergleich Die Konzentrationsrate zeigt, welchen Anteil die drei grössten regionen, obwohl die Tame- relativ spät ein, hat sich dann Medienhäuser im Markt kontrollieren. dia mit 35 Prozent Marktanteil 1979 aber sehr rasch beschleunigt. Presse 2001 Presse 2016 online 2010 online 2016 relativ dominant auftritt. Der Der Fusion von «Berner Tagblatt» Vor allem Ende der Nullerjah- Medienmarkt in der Romandie und «Berner Nachrichten» mit re fanden grosse Umwälzungen DEUTSCHSCHWEIZ ROMANDIE TESSIN ist durch eine hohe Medien- Standorten in Münsingen und statt. Dieser Prozess war vorab konzentration im Pressemarkt Langnau i. E. entspringt die durch die Übernahme von Edi- geprägt. KONZENTRATION «Berner Zeitung BZ». Es ist eine presse durch die Tamedia, den Besonders auffällig ist die 90% 89% 89% 87% politisch neutrale Forumszeitung. Verdrängungskampf der Gratis- 82% 79% 81% Dominanz der Tamedia, die 72% 60% 64% 62% Mit ihren Splitausgaben deckt sie zeitungen und den Zeitungs- 56% auf einen Marktanteil von die Stadt wie auch das Land ab. tausch zwischen der NZZ-Grup- 68 Prozent kommt. Unter den pe und der Tamedia geprägt. drei Akteuren mit den höchs- Seit einigen Jahren befindet 2001 2016 2010 2016 2001 2016 2010 2016 2001 2016 2010 2016 ten Marktanteilen befindet sich sich die Presselandschaft in zudem kein Westschweizer Ver- einer Konsolidierungsphase lag. Auch im Onlinemarkt ist ANZAHL MEDIENHÄUSER mit relativ stabiler, aber hoher die Tamedia der deutlich wich- 1993 Medienkonzentration. Substan- 28 13 8 9 11 7 5 6 6 7 4 4 tigste Kontrolleur mit einem Der «Bund» steht wegen Inserate- zielle Veränderungen wären Marktanteil von 62 Prozent. rückgang und der Konkurrenz momentan nur noch bei Zusam- durch die grössere BZ unter Druck. menschlüssen möglich – oder Auch im Tessin dominant MARTKANTEILE DER DREI STÄRKSTEN MEDIENHÄUSER «Bund»-Verleger Werner Stuber bei Zukäufen durch die gros- Der Tessiner Medienmarkt zeich- 40% Tamedia 68% Tamedia 21% Tamedia/Salvoni verkauft 41 Prozent der Aktien an sen Player. 23% Ringier 12% Ringier 21% Regiopress net sich durch einen mittelmäs- den Zürcher Ringier-Verlag. 19% NZZ-Mediengr. 10% Editions Suisses H. 20% Ringier sig konzentrierten Pressemarkt Entwicklung im Onlinemarkt aus. Dort ist die Konzentra- 35% Tamedia 62% Tamedia 46% Ticinonline 1995 Der Markt für professionel- tionsrate im sprachregionalen 23% Ringier 14% SRG SSR 27% S. Editrice C.d.T. Der Zürcher NZZ-Verlag übernimmt le Online-Informationsange- 13% SRG SSR 12% Swisscom 15% SRG SSR Vergleich am geringsten. Im die übrigen «Bund»-Aktien, nach bote wächst in allen Sprach- Onlinemarkt ist die Konzentra- dem Ausstieg von Ringier dann regionen zwar langsam, aber tion jedoch hoch. Die Ticinonline 80 Prozent. Die finanzielle Lage stetig. Dennoch herrscht im se- oder im Rundfunkmarkt cheren Angebote nur langsam SA hat sich mit ihrem Angebot der Zeitung bleibt prekär. Onlinemarkt in Bezug auf eini- eine dominante Stellung ein- wachsen. tio.ch, die als Onlineausgabe germassen reichweitenstar- nehmen. Neue Onlineange- Der Deutschschweizer Presse- von «20 minuti» auftritt, als ke Informationsangebote eine bote bleiben, mit Ausnahme markt ist durch eine mittlere stärkster Kontrolleur etabliert. geringere Vielfalt als im Pres- von watson.ch, oft Nischenpro- bis hohe Konzentration charak- Die Tamedia AG als Mehrheits- semarkt. Die Onlineangebote dukte mit geringer Reichwei- terisiert. Auch im Onlinemarkt eigentümer der Ticinonline werden mehrheitlich von den te. Angebote wie 20minuten.ch finden relativ wenige Verschie- SA tritt somit auch im dritten gleichen Medienhäusern kon- oder blick.ch gewinnen Nutzer, bungen statt. Das Kräfteverhält- sprachregionalen Onlinemarkt trolliert, die bereits im Pres- während die reichweiteschwä- nis unter den drei wichtigsten als stärkster Kontrolleur auf. 2003 Der «Bund» geht von der NZZ an Leserumfrage die Espace Media von BZ-Verleger Charles von Graffenried. Er etab- liert das «Berner Modell» mit zwei konkurrierenden Tageszeitungen «Ich vertraue den Zeitungsautoren» unter einem Verlagsdach. Gerade weil sie sich über die eine oder die andere der beiden Zeitungen in Bern mal ärgern, ist es für viele wichtig, dass es zwei Berner Blätter gibt. Und so zwei Sichtweisen auf Bern und die Welt. 2009 Der Tamedia-Verlag, der 2007 die Espace Media gekauft hat, dockt Medienvielfalt sei zentral für ankerte Zeitungen gibt», sagt mässig auf beide Berner Blätter: de in den Vordergrund zu rücken. den «Bund» an den «Tages-Anzei- die Demokratie wie auch für den Fankhauser. «Ich habe im Moment die BZ abon- Auch Irene Graf beginnt den Tag ger» an. Die überregionale Frühstückstisch, findet Gabriela niert, wechsle aber alle zwei Jahre mit einer Zeitung aus Bern: «Die Berichterstattung kommt aus Graber aus Bern. Sie will am Mor- Ohne Zeitung aus Bern geht es die Zeitung.» Zum Frühstück lese morgendliche ‹Bund›-Lektüre Zürich. Die Tamedia erwägt erst- gen – wie eben in einer Demokra- nicht, hat der Berner Guy Jost rea- er die abonnierte Zeitung, später ist mein Start in eine vielfältige mals eine Fusion von BZ und tie – eine Wahl haben: «Ich wähle lisiert: «Als ich für ein Jahr die NZZ im Café die andere Zeitung. «Ich Auseinandersetzung mit mir und «Bund». Die BZ wird verstärkt bewusst den ‹Bund›, und ich lese abonniert hatte, fehlte mir ganz suche unterschiedliche Sichtwei- der Welt.» Für sie ist aber klar: lokal positioniert. ihn mit Genuss.» deutlich der lokale Bezug, sodass sen auf nationale wie auch lokale «Ohne Vielfalt brauche ich auch ich wieder zum ‹Bund› wechsel- Themen», betont Cappis, «dafür den ‹Bund› nicht mehr.» 2018 Auch wenn Urs Fankhauser aus te.» Im Café werfe er auch einen brauche ich beide Berner Blätter.» «Bund» und BZ unterscheiden sich Bern die eine Zeitung liest, ist Blick in die BZ. «An einer Zeitung Fritz Gerber aus Langnau liest nur noch im Lokalteil. Ansonsten er froh, gibt es auch die ande- sind mir, im Gegensatz zum Inter- Manchmal ärgere sie der «Bund», die BZ. «Weil sie mehr über die enthalten sie die identischen re: «Ich will eine Zeitung lesen, net, die Autoren wichtig, denen gesteht Irene Graf aus Wabern Landregionen berichtet.» Wenn er Inhalte aus der zentralen die den Akzent auf die Bericht- ich vertraue», sagt Jost. Seinen bei Bern: «Wenn er einer Politi- von den Plänen einer Tamedia-Ein- Tamedia-Redaktion in Zürich. erstattung über das Ausland und erwachsenen Kindern gebe er den kerin Eigenschaften vom Hören- heitsredaktion hört, beschleichen die Schweiz legt. Lokale Themen Rat: «Lest mehrere Zeitungen.» sagen zuschreibt, will ich auch ihn Zweifel: «Wenn von immer wei- sind für mich weniger wichtig. Meinungsvielfalt gibt es für ihn die Einschätzung anderer Zeitun- ter weg, aus einer fernen Zentrale, Deshalb lese ich als Berner den nur, wenn es Zeitungsvielfalt gibt. gen kennen.» Der «Bund» helfe geschrieben wird, was hier bei uns ‹Bund›. Dennoch finde ich es für ihr aber, Themen über eine länge- gilt, dann bedeutet das nach meiner die Meinungsbildung wichtig, Christian Cappis aus Wohlen bei re Zeit zu verfolgen, Trash von Fak- Erfahrung eine Ausdünnung und dass es in Bern zwei regional ver- Bern verteilt seine Gunst gleich- ten zu trennen und Hintergrün- eine Verarmung», fürchtet Gerber.
Monopol-Zeitung | 7. September 2017 3 Interviews Stimmen Die Politik ist alarmiert Alec von Graffenried, Stadtpräsident Bern «‹Bund› und BZ gehören zu Bern wie der Zytglogge und der Bären- graben. Medien- vielfalt stellt für Politik und direkte Demokratie eine notwendige Grundlage und Voraussetzung zur Meinungsbildung dar. Die unabhängigen Qualitätstageszeitungen haben bisher diese Medienvielfalt garantiert. Ich hoffe Regula Rytz, Parteipräsidentin Grüne Schweiz: «Es Raphael Lanz, Stadtpräsident Thun: «Ein Einheits sehr, dass diese auch ist wichtig, verschiedene Meinungen zu kennen.» brei bietet keinen Mehrwert, für den man bezahlt.» künftig erhalten bleiben kann.» Regula Rytz, spielt es in einem Morgen lese ich «Bund» und Raphael Lanz, Sie sind seit 2011 sich diese Problematik noch. kleinen Land überhaupt eine Rol- «BZ». Diese setzen oft verschie- Stadtpräsident von Thun. Die Es geht das Gefühl für ande- Bänz Friedli, le, woher die Inhalte kommen? dene Schwerpunkte und haben Stadt ist auch bekannt als das Tor re, insbesondere auch ländliche Autor und Kabarettist unterschiedliche Thesen – so- Ich habe drei Tageszeitungen zum Berner Oberland. Findet Regionen verloren. «Journalismus soll die und verschiedene Wochenzei- wohl national wie auch lokal. diese Region heute eine Plattform tungen abonniert und bezah- für ihre Anliegen? Machen Sie sich Hoffnungen? Wahrheit aufzeigen. Die le gerne einen fairen Preis Die Medienunternehmer sagen, Wir haben zumindest das Glück, Ich glaube schon, dass es Tame- Tamedia- für Medienqualität. Es ist in ein breites Angebot sei nicht mehr dass es hier weiterhin das «Thu- dia interessieren muss, ob man Spitze der kleinräumigen Schweiz finanzierbar. ner Tagblatt» (TT) und die «Jung- den Bedürfnissen der Leserin- ausserordentlich wichtig, dass Klar, die Medienwelt hat sich frau Zeitung» gibt. Aber es gab nen und Leser gerecht wird. Ich macht aber die Vielfalt der publizistischen massiv verändert – durch die Zeiten, da hatten die «Berner erwarte vom Verlag, dass er nicht genau das Medien erhalten bleibt. Digitalisierung ebenso wie Zeitung» und der «Bund» Regio- nur stromlinienförmig ökono- durch die Globalisierung der nalbüros bei uns. Ich stelle fest, misch vorgeht, sondern auch Gegenteil: Wieso ist dies wichtig? Werbung. Werbung fliesst ins dass es mit der zunehmenden solche Aspekte berücksichtigt. Sie ver- Politik ist ein Wettbewerb der Ausland ab. Doch gerade Tame- Konzentration schwieriger wird, Ansonsten könnte die Rechnung schleiert Ideen und Argumente. Damit dia holt die im Zeitungsmarkt der Meinungsvielfalt gerecht zu nur kurzfristig aufgehen. Denn verlorenen Werbegelder über ein Einheitsbrei bietet keinen mit Ausdrücken wie die eigenen Online-Marktplätze Mehrwert, für den man bezah- ‹Kompetenzzentrum› wieder herein. Würde das Geld, len will. und ‹computergestützte «Die Menschen wollen das Tamedia über Seiten wie «Es wird schwieriger, Homegate, Ricardo oder Tutti Wie lesen Sie Zeitungen? Recherche› den Abbau wissen, was vor ihrer der Meinungsvielfalt verdient, in den Journalismus Jeden Morgen hole ich zwei von Stellen, von Haustür passiert.» investiert, dann könnte der gerecht zu werden.» TT, eine BZ, einen «Bund «und schleichende Abbau gestoppt eine NZZ aus dem Briefkasten. Leistung, Qualität werden. Ich informiere mich gerne in und Lokalbezug.» gedruckten Zeitungen – auch dieser möglich ist, braucht Man kann die Eigentümer aber werden. Debatten verarmen. Ich meine Kinder haben übrigens es die Medienvielfalt. Wenn nicht dazu zwingen. mache mir Sorgen, was in eini- schon damit begonnen. Sie Marc Lüthi, CEO SC Bern aber künftig alle Zeitungen Das stimmt. Deshalb muss gen Jahren ist. starten einfach ihre Lektüre «Mein Credo in denselben Inhalt haben, wird die Politik die demokratische anderswo. Ich starte mit einem die Welt auf einen kleinen Öffentlichkeit schützen, wenn Was ändert sich, wenn künftig die Gesamtüberblick, dann studie- Bezug auf den SCB Ausschnitt reduziert. In unse- es wegen Abbau und Konzent- überregionale Berichterstattung re ich berufsbedingt das Loka- lautet: ‹Only no news rem föderalistischen System, ration zu einem Marktversagen zu Politik, Wirtschaft, Gesell- le, anschliessend die Kantonspo- are bad news.› in dem wir auch lokal vieles kommt. Und zwar mit einer schaft für «Bund», BZ, das TT litik, da ich für die SVP auch im mitbestimmen können, ist aktiven Medienförderung, wie und den «Berner Oberländer» aus Grossen Rat sitze. Am Abend lese Für uns ist eine grosse die regionale Verankerung sie viele europäische Länder einer einzigen Zentralredaktion ich dann vertieft Nationales und Präsenz in den Medien zentral. Die Menschen wollen kennen. stammt – die sich mehrheitlich in Internationales. Dafür reicht es wissen, was vor ihrer Haustür Zürich befindet? morgens meist nicht. wichtig. Aber es geht passiert. Das geht nur mit Bedeutet eine Medienförderung Bereits der Kanton Bern ist viel- nicht nur um möglichst Journalisten, die lokale Boden- nicht das Ende der publizistischen fältig. Themen wie der Finanz Was kann die Öffentlichkeit tun? viel SCB, es geht um haftung haben. Unabhängigkeit? ausgleich oder der Tourismus Wer selber Zeitungen abon- In der Schweiz hat der Kanton werden hier im Berner Ober- niert, gibt dem Qualitätsjour- möglichst viel Meinung, Braucht es dazu mehrere Zeitun- Freiburg für die Zeitung «La Li- land ganz anders beleuchtet als nalismus sicher eine Chance. möglichst differenzierte gen in einer Stadt? berté» ein interessantes Modell in der Stadt Bern. Es braucht die- Denn es gibt schon nachvoll- Meinung – und um Medien sind die Wachhunde gefunden. Staatsnahe Unter- se unterschiedlichen Perspek- ziehbare ökonomische Gründe, einer Demokratie. Als Bürgerin nehmen haben Zeitungsaktien tiven, sonst werden die Leu- die Tamedia zu diesem Schritt eine möglichst grosse und Nationalrätin ist es für gekauft. Entscheidend ist: Trotz te übergangen. Wenn künftig bewegen. Trotzdem müssen Vielfalt. Der SCB mich wichtig, verschiedene dieser indirekten Subventionie- vorrangig in Zürich entschie- politische Entscheidungsträger Meinungen zu kennen. Ich will rung ist die Zeitung vollkom- den wird, wie und ob ein The- ihre Bedenken deponieren – braucht das, Bern nicht in einer Blase leben. Am men unabhängig geblieben. ma behandelt wird, verschärft und das tun wir auch. braucht das.»
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