Redaktionen protestieren gegen den Einheitsbrei - Journal B

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Redaktionen protestieren gegen den Einheitsbrei - Journal B
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 ProtestAktion                                                                                                                              Stimmen

Redaktionen protestieren
                                                                                                                                           Peter Stämpfli, Unternehmer
                                                                                                                                           «Der Wirtschaftsraum Bern
                                                                                                                                           ist der drittgrösste der

gegen den Einheitsbrei
                                                                                                                                           Schweiz. Er ist zudem der
                                                                                                                                           grösste Industriestandort.
                                                                                                                                           Die Berner Bevölkerung und
                                                                                                                                           namentlich die Unternehmen
                                                                                                                                           sind auf eine breite,
                                                                                                                                           inhaltlich vertiefende und
                                                                                                                                           journalistisch hochstehende
                                                                                                                                           Berichterstattung über die
                                                                                                                                           Berner Wirtschaft angewiesen.
                                                                                                                                           Dazu sind regional verankerte
                                                                                                                                           Journalisten notwendig. Das
                                                                                                                                           neue Konzept von Tamedia
                                                                                                                                           muss dem Rechnung tragen.»

                                                                                                                                           Jacqueline Strauss, Direktorin Museum für
                                                                                                                                           Kommunikation
                                                                                                                                           «Auf die Eröffnung des neuen
                                                                                                                                           Museums für Kommunikation
                                                                                                                                           folgen automatisch die
                                                                                                                                           beiden wichtigsten Fragen:
                                                                                                                                           Was schreibt der ‹Bund›? Was
Fades Risotto: Künftig werden                  mals setzten sich «Bund»- und BZ-Jour-        der Medien) wird künftig noch rund 70         schreibt die BZ?
                                               nalisten gemeinsam für die Rettung der        Redaktorinnen und Redaktoren umfas-
die beiden Berner Zeitungen                                                                                                                Die vergleichende
                                               Medien- und Meinungsvielfalt in Bern          sen, der «Bund» (heute rund 45 festange-
nur noch etwa halb so viele                    ein: «Vielfalt statt Einheitsbrei» lautete    stelle Mitarbeitende) noch ungefähr 30.       Zeitungslektüre
Mitarbeitende beschäftigen.                    die Botschaft.                                Mit dem Wegfall eigenständiger Berner         ist eine
                                               Deutlich über 100 Medienschaffende der        Redaktionen für Politik, Wirtschaft, Kul-
Der Medienplatz Bern hat in den letzten        beiden Redaktionen schlossen sich dem         tur und Sport geht – so die Befürchtung
                                                                                                                                           Motivation
15 Jahren eine lange Serie von Sparrunden      Risotto-Protest an und konfrontierten die     – auch der spezifische Blick aus Bern auf     für unsere
erlebt. Im kollektiven Gedächtnis haften       Öffentlichkeit erstmals mit der Perspekti-    nationale Themen verloren.                    Arbeit. Dem
geblieben ist das Jahr 2009, als der «Bund»,   ve, dass der Medienplatz Bern der Haupt-      Mit dem Risottoessen forderten die Jour-
dem die Schliessung drohte, auch dank          verlierer des Projekts «tamedia 2020»         nalistinnen und Journalisten den Ver-         Publikum hilft sie bei der
öffentlichen Widerstands gerettet wurde.       sein wird. Bern verliert fast die Hälfte      waltungsrat auf, die Frage der Meinungs-      Meinungsbildung. Um
Nie allerdings hatten sich die Redaktio-       der heute für Tamedia arbeitenden Jour-       vielfalt bei seinem Sparvorhaben zu
                                                                                                                                           die Vielfalt des Berner
nen von «Bund» und BZ zu einer gemein-         nalistinnen und Journalisten. Sie wer-        berücksichtigen. Er tat dies nicht: Das
samen Aktion gegen Sparpläne vereinigt.        den der zentralen Redaktion angeschlos-       wurde am 23. August klar, als er die Plä-     Kulturlebens angemessen zu
Genau deshalb war das Risottoessen vom         sen. Die «Berner Zeitung» (heute rund 150     ne für seine Zentralredaktion kommu-          spiegeln, braucht es unbedingt
17. August für Bern eine Premiere: Erst-       Mitarbeitende, inklusive Berner Oberlän-      nizierte.
                                                                                                                                           auch Medienvielfalt.»
 STandpunkt der gewerkschaft Syndicom Und des Berufsverbands impressum
                                                                                                                                           Mujinga Kambundji, Spitzenleichtathletin

Stellenabbau trotz satten Gewinns                                                                                                          «Der Sport lebt von der Vielfalt.
                                                                                                                                           Es wäre schade,
Was im Moment bei «Bund», «Berner Zei-         finanzieren und die journalistische Quali-    einen Teil der Millionen-Gewinne in die       wenn in Bern
tung» und den anderen Tamedia-Titeln           tät ausbauen. Stattdessen fliessen die Mil-   Vielfalt zu investieren. Bern als Bundes-
passiert, ist nur die Spitze des Eisbergs.     lionen in die Taschen der Aktionäre. Und      stadt verdient zwei eigenständige Zeitun-
                                                                                                                                           bald nur noch
In den letzten 20 Jahren kannten die           die Tamedia-Redaktionen bekommen ein          gen. Tamedia erweckt den Eindruck, ihr        eine Sichtweise
grossen Zeitungshäuser in der Schweiz          weiteres Abbauprogramm verschrieben.          Abbauprogramm sei ohne Stellenabbau           verbreitet
bloss eine Antwort auf sinkende Abo-                                                         zu machen. Per 1. Januar 2018 werde nie-
und Inserateeinnahmen: Abbau, Abbau,           Qualität und Jobs erhalten                    mand entlassen. Das ist unglaubwürdig.        würde.»
Abbau. Sie strichen Stellen zusammen. In       Die Mediengewerkschaft Syndicom und           Denn der Konzern wird schleichend Stel-
den Redaktionen verteilt sich immer mehr       der Berufsverband Impressum wollen das        len abbauen; darunter leidet die Qualität     Christian Leumann,
Arbeit auf immer weniger Schultern.            nicht hinnehmen. Wo die Medienviel-           der Zeitungen. Zeit für kritische Recher-     Rektor der Universität Bern
Medienschaffende wollen spannende              falt stirbt, leidet die Demokratie. Darum     che fehlt.                                    «Als Universität mit
Geschichten erzählen. Immerhin steht           haben sie gemeinsam mit Angestell-            Die Angestellten beider Zeitungen haben
ihr Name darunter. An ihren Artikeln           ten von «Bund» und «Berner Zeitung»           dem Konzern-Management wiederholt
                                                                                                                                           internationaler Ausrichtung
arbeiten sie, bis die Fakten stimmen und       die vorliegende «Monopol-Zeitung»             angeboten, gemeinsam den Umbau so zu          und lokaler Verankerung in der
der Text lesenswert ist – selbst wenn sie      produziert. Syndicom und Impres-              gestalten, dass Vielfalt, Qualität und Jobs   Bundesstadt sind wir darauf
dafür bis 22 Uhr am Computer hocken.           sum erwarten von Tamedia, zumindest           erhalten bleiben. Bislang vergebens.
Auf Abbau reagieren die überlebenden                                                                                                       angewiesen, sowohl aus
Journalistinnen und Journalisten bislang                                                                                                   lokalen als auch aus nationalen
mit Mehrarbeit. Bis sie bei der nächsten               Der Kampf um «Bund» und «Berner Zeitung» geht                                       Perspektiven wahrgenommen
Sparrunde selber entlassen werden.                     weiter. Helfen Sie mit, die Medienvielfalt in Bern zu                               zu werden. Bei zentralisierten
122 Millionen Franken: Kein Schweizer
                                                       erhalten. Informationen dazu:
Medienkonzern erwirtschaftete 2016                                                                                                         Wissenschaftsredaktionen
mehr Gewinn als Tamedia. Für 2017 sieht
es noch besser aus. Mit diesem Geld
                                                       www.bernermedien.ch                                                                 droht nun aber die Verengung
liessen sich innovative Medienprojekte                                                                                                     der Blickwinkel.»
Redaktionen protestieren gegen den Einheitsbrei - Journal B
MONOPOL
   Sonderausgabe zum Medienabbau
   www.bernermedien.ch
                                                                               ZE I T U N G                                                   7. September 2017

 Pedro Lenz, Schriftsteller                     Kahlschlag bei «Bund» und «Berner Zeitung»

Bye-bye
Bern
Als junger Kolumnist durfte ich bei der
Tageszeitung «Bund» viel lernen. «Immer
dran, nie drin», sagte mir einmal ein
                                               Berner Beben
                                               Der «Bund» und die «Berner Zeitung» kommen ab 2018 mehrheitlich aus Zürich, nur das Lokale
erfahrener Redaktor und meinte damit,          bleibt in Bern. Der Tamedia-Verlag stärkt sein Medienmonopol weiter. Er schafft damit die
dass es beim Journalismus unter ande-
rem darauf ankomme, nahe am Gesche-
                                               Voraussetzung zur Verschmelzung der beiden Zeitungen.
hen zu sein, ohne selbst Teil davon zu
                       werden. Es ging
                       darum, die Men-
                       schen, über die
                       man berichtete,
                       ernst zu nehmen,
                       ohne sich ihnen
                       anzudienen.

                       Irgendwann hat
                       sich die Vorstel-
                       lung von Nähe ver-
wandelt. Heute wird Nähe oft mit Dis-
tanzlosigkeit verwechselt. Was einst
journalistische Neugierde war, ist einer
verbreiteten Klatschsucht gewichen.
«People» nennt sich zum Beispiel bei
den meisten Zeitungen der Teil, der
gerade nicht über People, also das Volk,
berichtet, sondern über die, von denen
angenommen wird, das Volk müsse
zu ihnen aufschauen. Die People-Sei-
ten sollten No-People heissen. Sogar
die einst als Bastion des seriösen Jour-
nalismus geltende Depeschenagentur
sda betreibt einen People-Dienst, der
sich darum kümmert, Klatschgeschich-
ten, die bereits irgendwo erschienen           Seit der Zürcher Tamedia-Verlag 2007 das     Lokalredaktionen für den Erhalt der DNA        wird ausgekernt und nur noch 70 der
sind, anderen Zeitungen zugänglich zu          Kommando über die Berner Zeitungen           der einzelnen Titel sorgen. Es sollen sogar    heute 150 Redaktionsmitglieder umfas-
machen, ohne die Inhalte zu verifizie-         übernommen hat, steht fest, dass er jeder-   Kräfte freigespielt werden, die in neue        sen. Sie verliert ihre eigenständige über-
ren. Das wirkliche People staunt.              zeit Entscheide fällen kann, die den Me-     Gebiete wie den Datenjournalismus vor-         regionale Redaktion und wird verzwei-
                                               dienplatz Bern ins Wanken bringen. Am        dringen. Bis zum 1. Januar 2018 gibt es kei-   felt versuchen, nationale Themen aus
Dass es in der Bundesstadt trotz den           Mittwoch, 23. August 2017, hat er einen      ne Kündigung.                                  regionaler Perspektive zu beleuchten.
erwähnten Zerfallserscheinungen noch           solchen Entscheid gefällt, aber in der                                                      Der «Bund», der schon 2009 beim letz-
zwei Zeitungen gibt, in denen versucht         Öffentlichkeit ertönte es wie Schalmei-      Wo ist das Problem?                            ten grossen Abbau Haare lassen musste,
wird, trotz ständig schwindenden Mit-          enklang. Die Tamedia-Spitze eröffnet den     Was Tamedia der Öffentlichkeit ver-            ist gezwungen, weitere Teile seines Cha-
teln ernsthaften Journalismus zu betrei-       Mitarbeitenden in Zürich, Bern, Lausan-      schweigt: Mindestens 61 Millionen Fran-        rakters preiszugeben. In seinen Kernbe-
ben, ist ein Trost. Im Idealfall sind «Bund»   ne und Genf sowie der Öffentlichkeit den     ken Ertragsausfall aus dem rückläufi-          reichen Ausland, Inland, Wirtschaft, Kul-
und BZ dran, ohne drin zu sein. Noch           Entscheid zur Umsetzung des Projekts         gen Inserategeschäft will der Verlag mit       tur und Sport unterscheidet er sich nur
gibt es Journalistinnen und Journalisten,      «Tamedia 2020». Man verspricht trotz sin-    dem Reformprojekt 2020 kompensieren.           noch marginal von der BZ.
denen es darum geht, recherchierte Bei-        kender Einnahmen besseren Journalis-         Würden diese Einbussen vollständig mit         Das Projekt «Tamedia 2020» bedeutet für
träge für ein lesendes und mitdenkendes        mus: Alle Zeitungstitel bleiben erhalten.    Stellenabbau aufgefangen, fielen kon-          Bern: Konkurrenz und Vielfalt finden nur
Publikum zu verfassen. Sie geben ihren         Die Kompetenz in den Themenbereichen         zernweit 400 bis 500 Jobs weg –­ rund ein      noch auf der Mini-Spielwiese des Loka-
Zeitungen eine eigene Farbe.                   Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft    Drittel der Belegschaft. Tamedia will nie-     len statt. Sogar auf YB und den SCB gibt es
                                               und Sport wird zusammengelegt in einer       manden entlassen und setzt auf Pensio-         aus Bern nur noch einen journalistischen
Aus der Nähe schreiben ist eine Frage          zentralen Redaktion, bei der alle Zeitun-    nierungen und freiwillige Kündigungen.         Blick. Die Gefahr ist real: «Bund» und BZ
der Haltung. Aber es ist auch eine Fra-        gen der Tamedia-Gruppe dieselben fertig      Diese Rechnung geht nicht auf: Der not-        werden so weit amputiert, dass ihr Zusam-
ge der räumlichen Distanz. Journalisten        gelayouteten Seiten beziehen.                wendige mittelfristige Stellenabbau wird       menschmelzen niemand mehr bedauert.
müssen den Gegenstand, über den sie                                                         die «natürlichen Fluktuationen» wohl           Das trifft wohl früher ein, als man denkt.
schreiben, riechen und spüren. Das geht        Lokales als Feigenblat t                     deutlich übertreffen.
nicht aus der Ferne. Journalismus muss         Während die nationale und internatio-        Was Tamedia auch verschweigt: Bern             In Dieser Sonderzeitung decken die
dort stattfinden, wo die Menschen sind,        nale Berichterstattung im Tamedia-Impe-      bekommt diese Erschütterung besonders          Journalisten AUf, was der Tamedia-
um die es geht. Immer dran, nie drin!          rium vereinheitlicht wird, sollen die        heftig zu spüren. Die «Berner Zeitung»         Konzern verschweigt.
Redaktionen protestieren gegen den Einheitsbrei - Journal B
2                                                                                                                                                                 Monopol-Zeitung | 7. September 2017

Chronik                               Medienmarkt im Umbruch

                                     Machtballung schreitet voran
1850
Verleger Franz Louis Jent gründet
die Tageszeitung «Der Bund». Sie
versteht sich als Sprachrohr des
neuen Bundesstaates von 1848.
                                     Die Pressevielfalt schwindet: Die drei grössten Schweizer Medienhäuser Tamedia, Ringier und NZZ-
                                     Mediengruppe kontrollieren heute schon über 80 Prozent des Deutschschweizer Marktes. Das zeigt die Analyse
                                     des Zürcher Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög).

1888                                 Im Schweizer Pressemarkt setz-         IMMER WENIGER MEDIENHÄUSER KONTROLLIEREN                                                 Kontrolleuren ist ausgegliche-
Gründung des «Berner Tagblatts»,     te der Konzentrationsprozess           EINEN IMMER GRÖSSEREN MARKTANTEIL                                                        ner als in den anderen Sprach-
einer städtischen Tageszeitung.      im internationalen Vergleich           Die Konzentrationsrate zeigt, welchen Anteil die drei grössten                           regionen, obwohl die Tame-
                                     relativ spät ein, hat sich dann        Medienhäuser im Markt kontrollieren.                                                     dia mit 35 Prozent Marktanteil
1979                                 aber sehr rasch beschleunigt.              Presse 2001    Presse 2016       online 2010        online 2016                      relativ dominant auftritt. Der
Der Fusion von «Berner Tagblatt»     Vor allem Ende der Nullerjah-                                                                                                   Medienmarkt in der Romandie
und «Berner Nachrichten» mit         re fanden grosse Umwälzungen              DEUTSCHSCHWEIZ                 ROMANDIE                       TESSIN                  ist durch eine hohe Medien-
Standorten in Münsingen und          statt. Dieser Prozess war vorab                                                                                                 konzentration im Pressemarkt
Langnau i. E. entspringt die         durch die Übernahme von Edi-                                                                                                    geprägt.
                                                                            KONZENTRATION
«Berner Zeitung BZ». Es ist eine     presse durch die Tamedia, den                                                                                                   Besonders auffällig ist die
                                                                                                              90%         89%                    89% 87%
politisch neutrale Forumszeitung.    Verdrängungskampf der Gratis-                  82%                 79%         81%                                              Dominanz der Tamedia, die
                                                                                                72%
                                                                                          60%                                       64% 62%
Mit ihren Splitausgaben deckt sie    zeitungen und den Zeitungs-              56%                                                                                    auf einen Marktanteil von
die Stadt wie auch das Land ab.      tausch zwischen der NZZ-Grup-                                                                                                   68 Prozent kommt. Unter den
                                     pe und der Tamedia geprägt.                                                                                                     drei Akteuren mit den höchs-
                                     Seit einigen Jahren befindet            2001 2016 2010 2016        2001 2016 2010 2016         2001 2016 2010 2016              ten Marktanteilen befindet sich
                                     sich die Presselandschaft in                                                                                                    zudem kein Westschweizer Ver-
                                     einer Konsolidierungsphase                                                                                                      lag. Auch im Onlinemarkt ist
                                                                            ANZAHL MEDIENHÄUSER
                                     mit relativ stabiler, aber hoher                                                                                                die Tamedia der deutlich wich-
1993                                 Medienkonzentration. Substan-             28 13       8     9       11    7     5     6         6       7      4    4           tigste Kontrolleur mit einem
Der «Bund» steht wegen Inserate-     zielle Veränderungen wären                                                                                                      Marktanteil von 62 Prozent.
rückgang und der Konkurrenz          momentan nur noch bei Zusam-
durch die grössere BZ unter Druck.   menschlüssen möglich – oder                                                                                                     Auch im Tessin dominant
                                                                            MARTKANTEILE DER DREI STÄRKSTEN MEDIENHÄUSER
«Bund»-Verleger Werner Stuber        bei Zukäufen durch die gros-                                                                                                    Der Tessiner Medienmarkt zeich-
                                                                                    40% Tamedia           68% Tamedia                    21% Tamedia/Salvoni
verkauft 41 Prozent der Aktien an    sen Player.
                                                                                    23% Ringier           12% Ringier                    21% Regiopress
                                                                                                                                                                     net sich durch einen mittelmäs-
den Zürcher Ringier-Verlag.                                                         19% NZZ-Mediengr.     10% Editions Suisses H.        20% Ringier                 sig konzentrierten Pressemarkt
                                     Entwicklung im Onlinemarkt                                                                                                      aus. Dort ist die Konzentra-
                                                                                    35% Tamedia           62% Tamedia                    46% Ticinonline
1995                                 Der Markt für professionel-                                                                                                     tionsrate im sprachregionalen
                                                                                    23% Ringier           14% SRG SSR                    27% S. Editrice C.d.T.
Der Zürcher NZZ-Verlag übernimmt     le Online-Informationsange-                    13% SRG SSR           12% Swisscom                   15% SRG SSR                 Vergleich am geringsten. Im
die übrigen «Bund»-Aktien, nach      bote wächst in allen Sprach-                                                                                                    Onlinemarkt ist die Konzentra-
dem Ausstieg von Ringier dann        regionen zwar langsam, aber                                                                                                     tion jedoch hoch. Die Ticinonline
80 Prozent. Die finanzielle Lage     stetig. Dennoch herrscht im          se- oder im Rundfunkmarkt                 cheren Angebote nur langsam                      SA hat sich mit ihrem Angebot
der Zeitung bleibt prekär.           Onlinemarkt in Bezug auf eini-       eine dominante Stellung ein-              wachsen.                                         tio.ch, die als Onlineausgabe
                                     germassen      reichweitenstar-      nehmen. Neue Onlineange-                  Der Deutschschweizer Presse-                     von «20 minuti» auftritt, als
                                     ke Informationsangebote eine         bote bleiben, mit Ausnahme                markt ist durch eine mittlere                    stärkster Kontrolleur etabliert.
                                     geringere Vielfalt als im Pres-      von watson.ch, oft Nischenpro-            bis hohe Konzentration charak-                   Die Tamedia AG als Mehrheits-
                                     semarkt. Die Onlineangebote          dukte mit geringer Reichwei-              terisiert. Auch im Onlinemarkt                   eigentümer der Ticinonline
                                     werden mehrheitlich von den          te. Angebote wie 20minuten.ch             finden relativ wenige Verschie-                  SA tritt somit auch im dritten
                                     gleichen Medienhäusern kon-          oder blick.ch gewinnen Nutzer,            bungen statt. Das Kräfteverhält-                 sprachregionalen Onlinemarkt
                                     trolliert, die bereits im Pres-      während die reichweiteschwä-              nis unter den drei wichtigsten                   als stärkster Kontrolleur auf.

2003
Der «Bund» geht von der NZZ an       Leserumfrage
die Espace Media von BZ-Verleger
Charles von Graffenried. Er etab-
liert das «Berner Modell» mit zwei
konkurrierenden Tageszeitungen
                                     «Ich vertraue den Zeitungsautoren»
unter einem Verlagsdach.             Gerade weil sie sich über die eine oder die andere der beiden Zeitungen in Bern mal ärgern, ist es für viele
                                     wichtig, dass es zwei Berner Blätter gibt. Und so zwei Sichtweisen auf Bern und die Welt.
2009
Der Tamedia-Verlag, der 2007 die
Espace Media gekauft hat, dockt      Medienvielfalt sei zentral für       ankerte Zeitungen gibt», sagt             mässig auf beide Berner Blätter:                 de in den Vordergrund zu rücken.
den «Bund» an den «Tages-Anzei-      die Demokratie wie auch für den      Fankhauser.                               «Ich habe im Moment die BZ abon-                 Auch Irene Graf beginnt den Tag
ger» an. Die überregionale           Frühstückstisch, findet Gabriela                                               niert, wechsle aber alle zwei Jahre              mit einer Zeitung aus Bern: «Die
Berichterstattung kommt aus          Graber aus Bern. Sie will am Mor-    Ohne Zeitung aus Bern geht es             die Zeitung.» Zum Frühstück lese                 morgendliche ‹Bund›-Lektüre
Zürich. Die Tamedia erwägt erst-     gen – wie eben in einer Demokra-     nicht, hat der Berner Guy Jost rea-       er die abonnierte Zeitung, später                ist mein Start in eine vielfältige
mals eine Fusion von BZ und          tie – eine Wahl haben: «Ich wähle    lisiert: «Als ich für ein Jahr die NZZ    im Café die andere Zeitung. «Ich                 Auseinandersetzung mit mir und
«Bund». Die BZ wird verstärkt        bewusst den ‹Bund›, und ich lese     abonniert hatte, fehlte mir ganz          suche unterschiedliche Sichtwei-                 der Welt.» Für sie ist aber klar:
lokal positioniert.                  ihn mit Genuss.»                     deutlich der lokale Bezug, sodass         sen auf nationale wie auch lokale                «Ohne Vielfalt brauche ich auch
                                                                          ich wieder zum ‹Bund› wechsel-            Themen», betont Cappis, «dafür                   den ‹Bund› nicht mehr.»
2018                                 Auch wenn Urs Fankhauser aus         te.» Im Café werfe er auch einen          brauche ich beide Berner Blätter.»
«Bund» und BZ unterscheiden sich     Bern die eine Zeitung liest, ist     Blick in die BZ. «An einer Zeitung                                                         Fritz Gerber aus Langnau liest
nur noch im Lokalteil. Ansonsten     er froh, gibt es auch die ande-      sind mir, im Gegensatz zum Inter-         Manchmal ärgere sie der «Bund»,                  die BZ. «Weil sie mehr über die
enthalten sie die identischen        re: «Ich will eine Zeitung lesen,    net, die Autoren wichtig, denen           gesteht Irene Graf aus Wabern                    Landregionen berichtet.» Wenn er
Inhalte aus der zentralen            die den Akzent auf die Bericht-      ich vertraue», sagt Jost. Seinen          bei Bern: «Wenn er einer Politi-                 von den Plänen einer Tamedia-Ein-
Tamedia-Redaktion in Zürich.         erstattung über das Ausland und      erwachsenen Kindern gebe er den           kerin Eigenschaften vom Hören-                   heitsredaktion hört, beschleichen
                                     die Schweiz legt. Lokale Themen      Rat: «Lest mehrere Zeitungen.»            sagen zuschreibt, will ich auch                  ihn Zweifel: «Wenn von immer wei-
                                     sind für mich weniger wichtig.       Meinungsvielfalt gibt es für ihn          die Einschätzung anderer Zeitun-                 ter weg, aus einer fernen Zentrale,
                                     Deshalb lese ich als Berner den      nur, wenn es Zeitungsvielfalt gibt.       gen kennen.» Der «Bund» helfe                    geschrieben wird, was hier bei uns
                                     ‹Bund›. Dennoch finde ich es für                                               ihr aber, Themen über eine länge-                gilt, dann bedeutet das nach meiner
                                     die Meinungsbildung wichtig,         Christian Cappis aus Wohlen bei           re Zeit zu verfolgen, Trash von Fak-             Erfahrung eine Ausdünnung und
                                     dass es in Bern zwei regional ver-   Bern verteilt seine Gunst gleich-         ten zu trennen und Hintergrün-                   eine Verarmung», fürchtet Gerber.
Redaktionen protestieren gegen den Einheitsbrei - Journal B
Monopol-Zeitung | 7. September 2017                                                                                                                                        3
 Interviews                                                                                                                                       Stimmen

Die Politik ist alarmiert
                                                                                                                                                 Alec von Graffenried,
                                                                                                                                                 Stadtpräsident Bern
                                                                                                                                                 «‹Bund› und BZ gehören
                                                                                                                                                 zu Bern wie der Zytglogge
                                                                                                                                                 und der
                                                                                                                                                 Bären-
                                                                                                                                                 graben.
                                                                                                                                                 Medien-
                                                                                                                                                 vielfalt
                                                                                                                                                 stellt für
                                                                                                                                                 Politik und
                                                                                                                                                 direkte Demokratie eine
                                                                                                                                                 notwendige Grundlage
                                                                                                                                                 und Voraussetzung
                                                                                                                                                 zur Meinungsbildung
                                                                                                                                                 dar. Die unabhängigen
                                                                                                                                                 Qualitätstageszeitungen
                                                                                                                                                 haben bisher diese
                                                                                                                                                 Medienvielfalt
                                                                                                                                                 garantiert. Ich hoffe
Regula Rytz, Parteipräsidentin Grüne Schweiz: «Es                       Raphael Lanz, Stadtpräsident Thun: «Ein Einheits­                        sehr, dass diese auch
ist wichtig, verschiedene Meinungen zu kennen.»                         brei bietet keinen Mehrwert, für den man bezahlt.»                       künftig erhalten
                                                                                                                                                 bleiben kann.»
Regula Rytz, spielt es in einem    Morgen lese ich «Bund» und           Raphael Lanz, Sie sind seit 2011     sich diese Problematik noch.
kleinen Land überhaupt eine Rol-   «BZ». Diese setzen oft verschie-     Stadtpräsident von Thun. Die         Es geht das Gefühl für ande-        Bänz Friedli,
le, woher die Inhalte kommen?      dene Schwerpunkte und haben          Stadt ist auch bekannt als das Tor   re, insbesondere auch ländliche     Autor und Kabarettist
                                   unterschiedliche Thesen – so-
Ich habe drei Tageszeitungen                                            zum Berner Oberland. Findet          Regionen verloren.                  «Journalismus soll die
und verschiedene Wochenzei-        wohl national wie auch lokal.        diese Region heute eine Plattform
tungen abonniert und bezah-                                             für ihre Anliegen?                   Machen Sie sich Hoffnungen?
                                                                                                                                                 Wahrheit aufzeigen. Die
le gerne einen fairen Preis        Die Medienunternehmer sagen,         Wir haben zumindest das Glück,       Ich glaube schon, dass es Tame-     Tamedia-
für Medienqualität. Es ist in      ein breites Angebot sei nicht mehr   dass es hier weiterhin das «Thu-     dia interessieren muss, ob man      Spitze
der kleinräumigen Schweiz          finanzierbar.                        ner Tagblatt» (TT) und die «Jung-    den Bedürfnissen der Leserin-
ausserordentlich wichtig, dass     Klar, die Medienwelt hat sich        frau Zeitung» gibt. Aber es gab      nen und Leser gerecht wird. Ich     macht aber
die Vielfalt der publizistischen   massiv verändert – durch die         Zeiten, da hatten die «Berner        erwarte vom Verlag, dass er nicht   genau das
Medien erhalten bleibt.            Digitalisierung ebenso wie           Zeitung» und der «Bund» Regio-       nur stromlinienförmig ökono-
                                   durch die Globalisierung der         nalbüros bei uns. Ich stelle fest,   misch vorgeht, sondern auch
                                                                                                                                                 Gegenteil:
Wieso ist dies wichtig?            Werbung. Werbung fliesst ins         dass es mit der zunehmenden          solche Aspekte berücksichtigt.      Sie ver-
Politik ist ein Wettbewerb der     Ausland ab. Doch gerade Tame-        Konzentration schwieriger wird,      Ansonsten könnte die Rechnung       schleiert
Ideen und Argumente. Damit         dia holt die im Zeitungsmarkt        der Meinungsvielfalt gerecht zu      nur kurzfristig aufgehen. Denn
                                   verlorenen Werbegelder über                                               ein Einheitsbrei bietet keinen      mit Ausdrücken wie
                                   die eigenen Online-Marktplätze                                            Mehrwert, für den man bezah-        ‹Kompetenzzentrum›
                                   wieder herein. Würde das Geld,                                            len will.
                                                                                                                                                 und ‹computergestützte
«Die Menschen wollen               das Tamedia über Seiten wie          «Es wird schwieriger,
                                   Homegate, Ricardo oder Tutti                                              Wie lesen Sie Zeitungen?            Recherche› den Abbau
wissen, was vor ihrer                                                   der Meinungsvielfalt
                                   verdient, in den Journalismus                                             Jeden Morgen hole ich zwei          von Stellen, von
Haustür passiert.»                 investiert, dann könnte der          gerecht zu werden.»                  TT, eine BZ, einen «Bund «und
                                   schleichende Abbau gestoppt                                               eine NZZ aus dem Briefkasten.
                                                                                                                                                 Leistung, Qualität
                                   werden.                                                                   Ich informiere mich gerne in        und Lokalbezug.»
                                                                                                             gedruckten Zeitungen – auch
dieser möglich ist, braucht        Man kann die Eigentümer aber         werden. Debatten verarmen. Ich       meine Kinder haben übrigens
es die Medienvielfalt. Wenn        nicht dazu zwingen.                  mache mir Sorgen, was in eini-       schon damit begonnen. Sie           Marc Lüthi, CEO SC Bern
aber künftig alle Zeitungen        Das stimmt. Deshalb muss             gen Jahren ist.                      starten einfach ihre Lektüre        «Mein Credo in
denselben Inhalt haben, wird       die Politik die demokratische                                             anderswo. Ich starte mit einem
die Welt auf einen kleinen         Öffentlichkeit schützen, wenn        Was ändert sich, wenn künftig die    Gesamtüberblick, dann studie-
                                                                                                                                                 Bezug auf den SCB
Ausschnitt reduziert. In unse-     es wegen Abbau und Konzent-          überregionale Berichterstattung      re ich berufsbedingt das Loka-      lautet: ‹Only no news
rem föderalistischen System,       ration zu einem Marktversagen        zu Politik, Wirtschaft, Gesell-      le, anschliessend die Kantonspo-    are bad news.›
in dem wir auch lokal vieles       kommt. Und zwar mit einer            schaft für «Bund», BZ, das TT        litik, da ich für die SVP auch im
mitbestimmen können, ist           aktiven Medienförderung, wie         und den «Berner Oberländer» aus      Grossen Rat sitze. Am Abend lese    Für uns ist eine grosse
die regionale Verankerung          sie viele europäische Länder         einer einzigen Zentralredaktion      ich dann vertieft Nationales und    Präsenz in den Medien
zentral. Die Menschen wollen       kennen.                              stammt – die sich mehrheitlich in    Internationales. Dafür reicht es
wissen, was vor ihrer Haustür                                           Zürich befindet?                     morgens meist nicht.
                                                                                                                                                 wichtig. Aber es geht
passiert. Das geht nur mit         Bedeutet eine Medienförderung        Bereits der Kanton Bern ist viel-                                        nicht nur um möglichst
Journalisten, die lokale Boden-    nicht das Ende der publizistischen   fältig. Themen wie der Finanz­       Was kann die Öffentlichkeit tun?    viel SCB, es geht um
haftung haben.                     Unabhängigkeit?                      ausgleich oder der Tourismus         Wer selber Zeitungen abon-
                                   In der Schweiz hat der Kanton        werden hier im Berner Ober-          niert, gibt dem Qualitätsjour-      möglichst viel Meinung,
Braucht es dazu mehrere Zeitun-    Freiburg für die Zeitung «La Li-     land ganz anders beleuchtet als      nalismus sicher eine Chance.        möglichst differenzierte
gen in einer Stadt?                berté» ein interessantes Modell      in der Stadt Bern. Es braucht die-   Denn es gibt schon nachvoll-
                                                                                                                                                 Meinung – und um
Medien sind die Wachhunde          gefunden. Staatsnahe Unter-          se unterschiedlichen Perspek-        ziehbare ökonomische Gründe,
einer Demokratie. Als Bürgerin     nehmen haben Zeitungsaktien          tiven, sonst werden die Leu-         die Tamedia zu diesem Schritt       eine möglichst grosse
und Nationalrätin ist es für       gekauft. Entscheidend ist: Trotz     te übergangen. Wenn künftig          bewegen. Trotzdem müssen            Vielfalt. Der SCB
mich wichtig, verschiedene         dieser indirekten Subventionie-      vorrangig in Zürich entschie-        politische Entscheidungsträger
Meinungen zu kennen. Ich will      rung ist die Zeitung vollkom-        den wird, wie und ob ein The-        ihre Bedenken deponieren –          braucht das, Bern
nicht in einer Blase leben. Am     men unabhängig geblieben.            ma behandelt wird, verschärft        und das tun wir auch.               braucht das.»
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