Beschluss der STIKO für die Empfehlung der COVID-19-Impfung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung STIKO-Empfehlung zur ...
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Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 3 Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut Beschluss der STIKO für die Empfehlung der COVID-19-Impfung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen COVID-19. gefährdet und sollten, trotz schwerer Erreichbarkeit, zu Beginn der Impfaktionen geimpft werden. Die Empfehlung tritt in Kraft, sobald ein erster Impfstoff zum Schutz vor COVID-19 zugelassen Bei zunehmender, aber weiterhin limitierter Impf- und in Deutschland verfügbar ist. Aufgrund be- stoffverfügbarkeit sollen Personengruppen der grenzter Impfstoffverfügbarkeit soll die Impfung 2. Stufe geimpft werden, gefolgt von den Menschen zunächst nur Personengruppen angeboten werden, in der jeweils nachfolgenden Stufe. Zu welchem die ein besonders hohes Risiko für schwere oder Zeitpunkt von einer Stufe zur nächsten gewechselt tödliche Verläufe einer COVID-19-Erkrankung ha- werden kann, soll lokal entschieden werden und ben oder die beruflich entweder besonders expo- richtet sich nach der Verfügbarkeit der Impfstoffe. niert sind oder engen Kontakt zu vulnerablen Per- Neue Evidenz zu den Risikogruppen wird fortlau- sonengruppen haben. fend weiter bewertet. Da in Bezug auf die Höhe des Risikos und die ange- Diese STIKO-Empfehlung setzt sich aus der allge- strebten Impfziele Unterschiede bestehen, emp- meinen Impfempfehlung und einer Empfehlung fiehlt die STIKO ein stufenweises Vorgehen (Priori- zur Priorisierung zusammen. Die Priorisierungs- sierungsempfehlung). In der 1. Stufe sollen folgen- empfehlung hat nur solange Gültigkeit, bis genü- de Personengruppen geimpft werden: gend Impfstoff verfügbar ist. Mittelfristig ist es das ▶▶ BewohnerInnen von Senioren- und Altenpfle- Ziel, allen Menschen einen gleichberechtigten Zu- geheimen gang zu einer Impfung gegen COVID-19 anbieten ▶▶ Personen im Alter von ≥ 80 Jahren zu können. ▶▶ Personal mit besonders hohem Expositions risiko in medizinischen Einrichtungen (z. B. in Für die Impfung gegen COVID-19 wird die Zulas- Notaufnahmen, in der medizinischen Betreu- sung und Verfügbarkeit eines ersten Impfstoffs ung von COVID-19-PatientInnen) (BNT162b2 der Firma BioNTech/Pfizer) in Europa ▶▶ Personal in medizinischen Einrichtungen mit bis spätestens Ende 2020 erwartet. Für eine voll- engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen (z. B. in ständige Impfserie sind bei diesem mRNA-Impf- der Onkologie oder Transplantationsmedizin) stoff zwei intramuskulär (i. m.) zu applizierende ▶▶ Pflegepersonal in der ambulanten und stationä- Impfstoffdosen in einem Mindestabstand von 21 Ta- ren Altenpflege gen notwendig. ▶▶ Andere Tätige in Senioren- und Altenpflege heimen mit Kontakt zu den BewohnerInnen Sobald weitere Impfstoffe zugelassen und verfügbar sind oder neue relevante Erkenntnisse mit Einfluss Innerhalb der Stufe 1 sind die ≥ 80-Jährigen und die auf diese Empfehlung bekannt werden, wird die BewohnerInnen von Altenpflegeheimen besonders STIKO ihre COVID-19-Impfempfehlung aktualisie-
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 4 ren und ggf. Indikationsgruppen anpassen. Die Stufe Personengruppen Publikation jeder Aktualisierung erfolgt im Epide- 1 ▶▶ BewohnerInnen von Senioren- und Altenpflegeheimen Personen im Alter von ≥ 80 Jahren miologischen Bulletin (Epid Bull) und wird auf der ▶▶ ▶▶ Personal mit besonders hohem Expositionsrisiko in RKI-Webpage bekannt gegeben. medizinischen Einrichtungen* ▶▶ Personal in medizinischen Einrichtungen mit engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen* ▶▶ Pflegepersonal in der ambulanten und stationären Hinweise zur praktischen Umsetzung: Altenpflege ▶▶ Für die Umsetzung der Empfehlung sind die ▶▶ Andere Tätige in Senioren- und Altenpflegeheimen mit Kontakt zu den BewohnerInnen Bundesländer bzw. die von ihnen beauftragten Stel- 2 ▶▶ Personen im Alter von ≥75 – 79 Jahren len verantwortlich. ▶▶ Personal mit hohem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen* ▶▶ Eine COVID-19-Impfung setzt eine sorgfältige ▶▶ Personen mit einer Demenz oder geistigen Behinderung Aufklärung der zu impfenden Person bzw. des ver- in Institutionen ▶▶ Tätige in der ambulanten oder stationären Versorgung antwortlichen Vorsorgebevollmächtigten voraus. Die von Personen mit Demenz oder geistiger Behinderung ▶▶ Personen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) STIKO verweist hierzu auf Kapitel 4.1 der S TIKO- 3 ▶▶ Personen im Alter von ≥70 – 74 Jahren Empfehlung 2020/2021 (Epid Bull 34/2020). ▶▶ Personen nach Organtransplantation ▶▶ Personen mit Vorerkrankungen mit hohem Risiko** ▶▶ Eine begonnene Impfserie muss zunächst mit ▶▶ BewohnerInnen und Tätige in Gemeinschafts dem gleichen Produkt abgeschlossen werden, auch unterkünften ▶▶ Enge Kontaktpersonen von Schwangeren wenn zwischenzeitlich andere Impfstoffe zugelas- ▶▶ Enge Kontaktpersonen bzw. Pflegende von Personen sen worden sind. Die Vervollständigung der Impf- mit hohem Risiko ▶▶ Personal mit moderatem Expositionsrisiko in medizini- serie bei Personen, die bereits die erste der beiden schen Einrichtungen* und in Positionen, die für die Aufrechterhaltung der Krankenhausinfrastruktur notwendigen Impfstoffdosen erhalten haben, hat besonders relevant sind ▶▶ Teilbereiche des ÖGD Priorität vor dem Beginn der Impfung neuer Perso- 4 ▶▶ Personen im Alter von ≥ 65 – 69 Jahren nen, die noch keine Impfung erhalten haben. Dafür ▶▶ Personen mit Vorerkrankungen mit moderat erhöhtem soll entsprechend Impfstoff zurückgelegt werden. Risiko** und deren engste Kontaktpersonen ▶▶ Personal mit niedrigem Expositionsrisiko in medizini- ▶▶ Zur Frage, wann Personen mit nachgewiesener- schen Einrichtungen* ▶▶ LehrerInnen maßen durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion eine ▶▶ ErzieherInnen Impfung angeboten werden sollte, kann die STIKO ▶▶ Personen mit prekären Arbeits- und/oder Lebens bedingungen auf Basis der aktuell vorliegenden Evidenz noch kei- 5 ▶▶ Personen im Alter von ≥ 60 – 64 Jahren ne endgültige Aussage machen. Nach überwiegen- ▶▶ Personal in Schlüsselpositionen der Landes- und Bundesregierungen der ExpertInnenmeinung sollten Personen, die eine ▶▶ Beschäftigte im Einzelhandel ▶▶ Beschäftigte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen labordiagnostisch gesicherte Infektion mit SARS- Sicherheit mit erhöhtem Expositionsrisiko CoV-2 durchgemacht haben, zunächst nicht geimpft ▶▶ Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur werden. 6 ▶▶ Alle übrigen Personen im Alter von < 60 Jahren ▶▶ Nach den bisher vorliegenden Daten gibt es kei- Tabelle | Stufenplan und Impfindikationsgruppen zur nen Hinweis darauf, dass die Impfung nach bereits Priorisierung der COVID-19-Impfung in Deutschland unbemerkt durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion Zur Einteilung des Personals in medizinischen Einrichtun- gen* und der Personen mit Vorerkrankungen** wird auf die eine Gefährdung darstellt. Entsprechend besteht kei- wissenschaftliche Begründung verwiesen (Tabelle 12, ne Notwendigkeit, vor Verabreichung einer Kapitel 10.2.1 bzw. Kapitel 10.1.2) COVID-19-Impfung das Vorliegen einer akuten asymptomatischen oder unerkannt durchgemachten SARS-CoV-2- Infektion labordiagnostisch auszu- ▶▶ Zu anderen planbaren Impfungen soll ein Min- schließen. destabstand von 14 Tagen vor Beginn und nach Ende ▶▶ Auch wenn der Mindestabstand zwischen 1. und der Impfserie eingehalten werden (Notfallimpfun- 2. Impfstoffdosis überschritten wurde, kann die gen sind davon ausgenommen). Impfserie fortgesetzt werden und muss nicht neu ▶▶ Im Allgemeinen wird eine Nachbeobachtungs- begonnen werden. zeit nach der COVID-19-Impfung von mindestens ▶▶ Wird nach Verabreichung der 1. Impfstoffdosis 5 Minuten empfohlen. Längere Nachbeobachtungs- eine SARS-CoV-2-Infektion labordiagnostisch gesi- zeiten von 15 – 30 Minuten sollten vorsichtshalber bei chert (positive PCR), soll die 2. Impfung vorerst bestimmten Risikopersonen eingehalten werden, nicht gegeben werden. z. B. bei Personen mit Gerinnungshemmung, ana-
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 5 phylaktischen oder stärkeren Reaktionen auf Imp- ▶▶ Die bisher vorliegenden Daten erlauben noch fungen in der Anamnese. Maßgeblich für diese Ent- nicht, die Wirksamkeit der COVID-19-mRNA-Impf- scheidungen sind die Angaben der Person selbst so- stoffe hinsichtlich einer Verhinderung oder Reduk- wie der ärztliche Eindruck des Gesundheitszustands. tion der Transmission abschließend zu bewerten. ▶▶ Die Impfung ist strikt intramuskulär (i. m.) und Bis zum Vorliegen neuer Daten zum Schutz der keinesfalls intradermal, subkutan oder intravas Impfung vor Transmission müssen deshalb auch kulär zu verabreichen. Bei PatientInnen unter Anti- nach Impfung die allgemein empfohlenen Schutz- koagulation soll die Impfung ebenfalls i. m. mit ei- maßnahmen (Beachtung von Abstands- und Hygie- ner sehr feinen Injektionskanüle und einer an- neregeln) weiterhin eingehalten werden. schließenden festen Komprimierung der Einstich- ▶▶ Für die Meldungen von über das übliche Maß stelle über mindestens 2 Minuten erfolgen. hinausgehenden Impfreaktionen und -komplikatio- ▶▶ Bisher liegen noch keine Daten zur Sicherheit und nen soll das etablierte Verfahren verwendet werden Wirksamkeit der Impfung in der Schwangerschaft (siehe Kapitel 4.9 „Impfkomplikationen und deren und Stillzeit vor. Die Impfung ist daher vorerst in der Meldung“ in den STIKO-Impfempfehlungen Schwangerschaft und Stillzeit nicht empfohlen. 2020/2021; Meldeformular des Paul-Ehrlich-Insti- ▶▶ Es ist aktuell nicht bekannt, ob man nach tuts: https://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit/ SARS-CoV-2-Exposition durch eine postexpositionel- pharmakovigilanz/meldeformulare-online-mel- le Impfung den Verlauf der Infektion günstig beein- dung/meldeformulare-online-meldung-node.html). flussen oder die Erkrankung noch verhindern kann. Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung................................................ 6 10.3. Öffentlicher Gesundheitsdienst und weitere Vorbemerkung....................................................... 7 Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur. 36 10.4. Personengruppen, die aufgrund ihrer 1. Hintergrund.................................................. 8 Wohn-/Lebens- und/oder Arbeits- 2. Öffentliches Interesse.................................. 8 verhältnisse besonders gefährdet sind........ 37 3. SARS-CoV-2-Erreger und Übertragung........ 8 11. Ethik.............................................................. 40 4. COVID-19-Krankheitsbild............................. 9 12. Mathematische Modellierung...................... 40 5. Immunität..................................................... 10 12.1. Hintergrund zur Modellierung..................... 40 12.2. Methodik....................................................... 40 6. COVID-19-Epidemiologie in Deutschland... 11 12.3. Ergebnisse der Modellierung....................... 43 6.1. IfSG-Meldedaten.......................................... 11 6.2. Epidemiologische Daten aus anderen 13. Impfstrategie und Priorisierung der zu Datenquellen................................................ 16 impfenden Bevölkerungsgruppen................ 45 6.3. Seroprävalenzdaten...................................... 16 14. Implementierung.......................................... 49 7. COVID-19-Impfstoffe.................................... 17 14.1. Alternative Maßnahmen für das Erreichen des Impfziels im Vergleich zur 7.1. mRNA-Impfstoffe......................................... 17 Impfung sowie deren Effektivität und 7.2. Vektorbasierte Impfstoffe............................. 20 Umsetzbarkeit.............................................. 49 8. Systematischer Review zur Sicherheit und 15. Impfakzeptanz in der Bevölkerung und Wirksamkeit.................................................. 22 der Ärzteschaft.............................................. 50 8.1. Methodik des systematischen Reviews....... 22 8.2. Ergebnisse des systematischen Reviews..... 23 16. Monitoring-Systeme zur Evaluation der Impfung bzw. der Impfempfehlung............. 51 9. Impfziele....................................................... 26 16.1. Impfquoten-Monitoring............................... 51 10. Risiko- und Indikationsgruppen für die 16.2. Evaluierung von Wirksamkeit und Impfempfehlung........................................... 26 Sicherheit der Impfstoffe.............................. 51 10.1. Risikofaktoren für einen schweren Literatur........................................................ 53 Krankheitsverlauf.......................................... 26 10.2. Personen mit einem erhöhten arbeitsbedingten Infektionsrisiko................ 32
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 6 Zusammenfassung hinsichtlich der Verhinderung der Transmission von V irus durch Geimpfte lässt mit Berechtigung SARS-CoV-2 wurde Anfang 2020 erstmals nachge- vermuten, dass auch durch die COVID-19-Impfstof- wiesen und hat sich seither pandemisch ausgebrei- fe die Transmission von SARS-CoV-2 in der Bevöl- tet. Die leichte Übertragbarkeit und die Infektiosität kerung reduziert wird. in der prä- und asymptomatischen Phase begüns tigen dessen Ausbreitung. In Deutschland sind bis Um die Dynamik der Ausbreitung von SARS-CoV-2 Mitte Dezember über 1,3 Millionen Menschen an deutlich abzuschwächen, muss ein Großteil der COVID-19 erkrankt und mehr als 22.000 Menschen Bevölkerung eine Immunität gegen das Virus ent- daran gestorben. wickeln. Effektive und sichere Impfstoffe können einen entscheidenden Beitrag bei der Bekämpfung Die übergeordneten Ziele, die mit einer COVID-19- der Pandemie leisten und werden es ermöglichen, Impfung erreicht werden sollen, wurden frühzeitig Kontaktbeschränkungen mittelfristig zu lockern. definiert und in einer gemeinsamen Stellungnahme der STIKO, des deutschen Ethikrates und der Leo- Zunächst wird in Europa ein Impfstoff zugelassen poldina wie folgt veröffentlicht.1 sein (BNT162b2). In der Zulassungsstudie4 wurde ▶▶ Verhinderung schwerer COVID-19-Verläufe für diesen eine Wirksamkeit gegen laborbestätigte (Hospitalisierung) und Todesfälle COVID-19-Erkrankung von 94 % über alle Alters- ▶▶ Schutz von Personen mit besonders hohem gruppen ermittelt. Die häufigste lokale Reaktion wa- arbeitsbedingten SARS-CoV-2-Expositionsri ren Schmerzen an der Einstichstelle (Impfung: siko (berufliche Indikation) 83 %; Placebo: 14 %). Unter den systemischen Reak- ▶▶ Verhinderung der Transmission von SARS- tionen waren Abgeschlagenheit (Impfung: 47 %; CoV-2 sowie Gewährleistung von Schutz in Placebo: 33 %), Kopfschmerzen (42 % vs. 34 %) so- Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler wie Muskelschmerzen (21 % vs. 11 %) die häufigsten Personen und in solchen mit hohem Ausbruchs Ereignisse. Über das übliche Ausmaß einer Impf potenzial reaktion hinausgehende gesundheitliche Schädi- ▶▶ Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen und gungen durch die Impfung wurden in den Zulas- des öffentlichen Lebens sungsstudien nicht beobachtet. Wie bei anderen neuen Impfstoffen auch, können durch Zulassungs- Das erste oben angegebene Ziel einer COVID-19- studien selten auftretende Nebenwirkungen nicht Impfempfehlung folgt grundsätzlichen ethischen ausgeschlossen werden. Überlegungen, ergibt sich aber zudem aus der Not- wendigkeit, mit den verfügbaren Impfstoffdosen Mittelfristig ist es das Ziel, allen Menschen einen möglichst viel gesundheitlichen Schaden durch die gleichberechtigten Zugang zu einer Impfung gegen COVID-19-Pandemie abzuwenden. Dieses Ziel ist COVID-19 anbieten zu können. Da initial der aufgrund der Datenlage zu den zur Zulassung an- COVID-19-Impfstoff nur in sehr begrenzten Men- stehenden Impfstoffen erreichbar. Das zweite Ziel gen zur Verfügung stehen wird, sollten diese dafür ist im Hinblick auf die Vermeidung von Erkrankun- genutzt werden, möglichst schnell die Anzahl an gen entsprechend auch erreichbar. Die Unterbre- Sterbefällen und schwere Krankheitsverläufen zu chung oder Verminderung der Transmission im senken. Ziel drei ist auf der Basis der verfügbaren Daten zur Wirkung der Impfstoffe derzeit nicht sicher beur- Gemäß der gesetzten Ziele, der verfügbaren wissen- teilbar. Ergebnisse aus Tiermodellen (sog. Challenge- schaftlichen Evidenz und den Ergebnissen aus einer Studien) und Beobachtungen in einer ersten Pha- mathematischen Modellierung empfiehlt die S TIKO se 3 Studie mit einem COVID-19 Vektorimpfstoff zunächst die stufenweise Impfung von Personen- lassen vermuten, dass die Impfstoffe auch die Trans- gruppen, um bei begrenzten Impfstoffressourcen mission reduzieren werden.2,3 Für die mRNA- diesen mit dem besten Effekt und gerecht zu vertei- Impfstoffe liegen hierzu bislang bei Menschen kei- len. Innerhalb einer Stufe sind die dort aufgeführten ne Daten vor. Die Wirksamkeit anderer Impfstoffe Personengruppen gleich priorisiert, so dass empfoh-
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 7 len ist, unter Berücksichtigung der lokalen Gegeben- und zu den Impfstoffen, bereits zur Anwendung heit mit den Impfungen parallel zu beginnen. Dabei kommenden aber auch kurz vor Zulassung stehen- ist es wichtig, dass unbedingt die Personen erreicht den, fortlaufend prüfen und ihre Empfehlung gege- werden, die das höchste Risiko haben, an COVID-19 benenfalls anpassen. schwer zu erkranken oder zu versterben. Der alles entscheidende Risikofaktor für eine schwe- Vorbemerkung re COVID-19-Erkrankung ist das zunehmende A lter Die „coronavirus-induced disease 2019“ (COVID-19)- > 60 Jahre. Modellierungsergebnisse belegen, dass Pandemie stellt die Gesellschaft vor besondere die größtmögliche Verhinderung von schweren Er- Herausforderungen. Um die Übertragung von krankungsfällen und Tod erzielt werden kann, wenn „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ die Impfung zuerst Menschen im Alter ≥ 80 Jahren (SARS-CoV-2) zu reduzieren und die Pandemie ein- angeboten wird. Zudem trat ein großer Anteil an zugrenzen bzw. zu beenden, muss ein Großteil der Todesfällen und Ausbrüchen unter BewohnerInnen Bevölkerung eine Immunität gegen das Virus er- von Alten- und Pflegeheimen auf. Durch eine ziel- werben. Bisher hat nur ein geringer Anteil der Be- gerichtete Impfung dieser beiden Personengruppen völkerung eine SARS-CoV-2-Infektion durchge- werden auch die meisten Hospitalisierungen ver- macht. Im August 2020 lag die Seroprävalenz von hindert und es wird die größte Anzahl an Lebens- spezifischen SARS-CoV-2-Antikörpern in einer Be- jahren gewonnen. Personen mit bestimmten Vorer- völkerungsstichprobe (30.000 BlutspenderInnen) krankungen haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko, in Deutschland bei 1,25 %.5 Bisher ist nicht geklärt, schwer an COVID-19 zu erkranken. Die Risikoerhö- wie lange ein Schutz nach Infektion besteht. Durch hung ist allerdings je nach Vorerkrankung sehr un- den Einsatz sicherer und effektiver Impfstoffe sol- terschiedlich und meist deutlich geringer als die al- len Einzelne und die Bevölkerung vor einer tersbedingte Risikoerhöhung. Personen mit Vorer- SARS-CoV-2-Infektion und/oder einer COVID-19- krankungen sind aufgrund ihres Risikos unter- Erkrankung geschützt werden. Durch Impfung soll schiedlichen Priorisierungsstufen zugeordnet eine relevante Bevölkerungsimmunität ausgebildet (Stufe 2, 3 und 4). Die Auswertung der Literatur zu und somit die weitere Ausbreitung des Virus verhin- Vorerkrankungen wird fortlaufend aktualisiert und dert oder zumindest begrenzt werden. Mit der die Empfehlung bzw. die Zugehörigkeit zu be- Zu lassung erster Impfstoffe wird zum Jahres stimmten Stufen ggf. angepasst. wechsel 2020/21 gerechnet. Trotz aller Bemühun- gen die Impfstoffproduktion voranzutreiben, wer- Gleichzeitig empfiehlt die STIKO die Impfung dem den zu Beginn nicht ausreichend Impfstoffdosen Personal in medizinischen Einrichtungen und in verfügbar sein, um allen impfbereiten Menschen der Altenpflege, die ein hohes Expositionsrisiko ha- eine Impfung anzubieten. In Deutschland hat die ben. Ein indirekter Schutz von besonders gefährde- Ständige Impfkommission (STIKO) auch während ten Menschen wird erwartet, wenn die Transmissi- einer Pandemie die Aufgabe, Impfempfehlungen on auf diese vulnerablen Gruppen verhütet wird für die Bevölkerung zu geben, sofern mindestens und Personal in der ambulanten und stationären ein Impfstoff zugelassen ist. Bei Impfstoffknapp- Altenpflege und z. B. in der Onkologie einen Impf- heit muss entschieden werden, welchen Personen schutz haben. In Abhängigkeit von der Impfstoff- oder Personengruppen vorrangig die Impfung an- verfügbarkeit soll die Impfung in weiteren Stufen geboten werden soll. Unter Berücksichtigung der auf Personengruppen mit geringerem Risiko und medizinisch-epidemiologischen Erkenntnisse zur systemrelevante Personen ausgeweitet werden. COVID-19-Pandemie und ethischer Grundsätze hat die STIKO Impfziele aufgestellt (siehe Kapitel 9 Unter der Berücksichtigung der Impfquoten, der und das Positionspapier des Deutschen Ethikrates, Erhebungen zur Impfakzeptanz sowie der Studien der Leopoldina und der STIKO1). Bezogen auf die zur Impfeffektivität und -sicherheit wird die STIKO einzelnen Impfziele wurden unter Berücksich die Empfehlung regelmäßig evaluieren. Sie wird die tigung des Erkrankungs-, Sterblichkeits- und Infek- wissenschaftliche Evidenz zum Erkrankungsrisiko tionsrisikos Personengruppen identifiziert, die prio
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 8 ritär durch Impfung geschützt werden sollten. Die 200 Impfstoffkandidaten geforscht; 52 Kandidaten Personengruppen sind unter Berücksichtigung die- befinden sich in der klinischen und 162 in der präkli- ser Ziele in einer Matrix (s. Tab. 14) aufgelistet. nischen Evaluation.11 Diverse COVID-19-Impfstoffe befinden sich aktuell noch in der Entwicklung, von denen einige im Lau- 2. Öffentliches Interesse fe des kommenden Jahres möglicherweise zugelas- Die bisher ergriffenen Infektionsschutzmaßnah- sen werden. Daten aus Zulassungsstudien sowie men zur Bekämpfung der Pandemie wirken sich in aus der Impfstoffüberwachung nach der Zulassung fast allen Lebensbereichen einschneidend auf die werden sukzessive veröffentlicht werden und die Bevölkerung aus, v. a. in den Bereichen des Gesund- Evidenzbasis verbreitern. Falls Impfstoffe mit unter- heitswesens, des sozialen Lebens und der Wirt- schiedlichem Profil zur Verfügung stehen, wird die schaft. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht der STIKO gegebenenfalls differentielle Empfehlungen Schutz von Personengruppen mit einem besonders zu den einzelnen Produkten geben. Daher wird die hohen Risiko für einen schweren und ggf. tödlichen vorliegende Empfehlung im Sinne einer living Verlauf von COVID-19. Effektive und sichere Imp- guideline fortlaufend aktualisiert werden. Aktualisie- fungen stellen einen wichtigen Baustein zum rungen von STIKO-Empfehlungen werden entspre- Schutz der Bevölkerung und zur Eindämmung der chend der STIKO-Geschäftsordnung in ein Stel- Pandemie dar und können dazu beitragen, die Not- lungnahmeverfahren gegeben. wendigkeit von Kontaktbeschränkungen mittelfris- tig zu reduzieren. Das öffentliche Interesse an einer COVID-19-Impfempfehlung wird daher als sehr 1. Hintergrund hoch eingeschätzt. Im Dezember 2019 wurde erstmals über die Häu- fung von Pneumonien unklarer Genese in Wuhan, in der Provinz Hubei in China berichtet.6 Am 7. Ja- 3. SARS-CoV-2-Erreger und -Übertragung nuar 2020 konnte das verantwortliche Virus, ein Coronaviren sind 60 bis 160 nm große, behüllte neues Beta-Coronavirus, erstmals aus dem Rachen- einzelsträngige RNA-Viren, die beim Menschen abstrich eines Patienten isoliert werden.7 Das Virus und anderen Säugetieren (z. B. Hunde, Katzen, Dro- erhielt den Namen „Schweres Akutes Respirato medaren, Fledertiere) sowie bei Vögeln vorkom- risches Syndrom Coronavirus 2“ (Severe Acute men.12,13 SARS-CoV-2 ist neben SARS-CoV und Respiratory Syndrome Corona Virus 2, SARS-CoV-2) MERS-(Middle East Respiratory Syndrome-)CoV das und die Erkrankung den Namen coronavirus-induced dritte zoonotische Coronavirus, bei dem im 21. Jahr- disease 2019 (COVID-19).8 Bis Ende Januar 2020 wa- hundert erstmalig eine Übertragung vom Tier auf ren in China fast 8.000 COVID-19-Erkrankungen den Menschen nachgewiesen wurde mit der Folge labordiagnostisch bestätigt worden und aus 18 wei- lebensbedrohlicher Erkrankungen. Im Gegensatz teren Ländern wurde über das Auftreten von SARS- zu SARS-CoV und MERS-CoV kam es bei SARS- CoV-2-Infektionen berichtet. Daraufhin erklärte die CoV-2 zu einer sehr raschen und globalen Ausbrei- Weltgesundheitsorganisation (WHO) COVID-19 am tung.8,14 Die Massenverbreitung erfolgt durch die 30. Januar 2020 zu einer Gesundheitlichen Notlage Übertragung von Mensch zu Mensch via Tröpfchen- Internationaler Tragweite (Public Health Emergency infektion und über Aerosole. Die Infektion mit of International Concern, PHEIC).9 Am 11. März 2020 SARS-CoV-2 erfolgt über die Aufnahme virushal erklärte die WHO COVID-19 zur Pandemie. Zu die- tiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, sem Zeitpunkt hatte sich SARS-CoV-2 bereits auf Singen und Niesen einer infizierten Person entste- über 114 Länder ausgebreitet, mit über 118.000 bestä- hen. Menschen geben v. a. beim Husten und Niesen tigten COVID-19-Fällen und mehr als 4.291 Todes- Speicheltröpfchen ab,15 die sich in einem Abstand fällen.10 Bis zum 11. Dezember 2020 wurden weltweit von etwa 1 – 2 m von der Infektionsquelle ausbrei- 69 Mio. COVID-19-Fälle und 1,6 Mio. Todesfälle an ten.16 Gleichzeitig werden virushaltige Partikel in die WHO gemeldet (https://covid19.who.int/). Mit Form von Bioaerosolen ausgeschieden, die z. B. Stand 10. Dezember 2020 wird an mehr als auch bereits beim Atmen, Sprechen, Schreien, Sin-
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 9 gen entstehen.17–22 Bioaerosole verbleiben länger in Für die Basisreproduktionszahl (R0) von SARS- der Luft, während sich größere Partikel auf Oberflä- CoV-2 wurde in mehreren systematischen Reviews chen ablagern. Nach experimentellen Studien bleibt ein mittlerer Wert (Median) von 3,3 bis 3,8 ermit- das Virus in Aerosolen bis zu 3 Stunden infek telt.45 – 47 Durch infektionspräventive Maßnahmen, tiös.23,24 In Stuhlproben von COVID-19-PatientIn- wie z. B. Abstand halten, das Tragen von Mund- nen wurde mittels PCR die wochenlange Persistenz Nase-Bedeckungen, regelmäßigem Lüften geschlos- von Virus-RNA nachgewiesen. Ob hierbei tatsäch- sener Räume, Isolation Infizierter und Quarantäne lich infektiöse Viruspartikel vorliegen und es zu fä- von Kontaktpersonen, kann die natürliche Übertra- kalen Infektionsübertragungen kommen kann, ist gungsrate deutlich gesenkt werden.45,46 Im Gegen- bisher nicht abschließend geklärt.25 – 30 Bei jedem satz zu SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) Einzelfall einer infizierten Person gibt es zahlreiche kann SARS-CoV-2 bereits durch infizierte, aber Faktoren, die auf die Transmission Einfluss haben, (noch) asymptomatische Personen übertragen wer- z. B. Höhe der Infektionsdosis und Viruslast, Größe den.38,48,49 Dies erschwert die Eindämmung einer der Partikel, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Umge- Pandemie wesentlich. Umso bedeutender ist bei bung, Raumluftwechselrate und das Tragen einer COVID-19 der Schutz der Bevölkerung durch eine Mund-Nase-Bedeckung.31 Übertragungen im Außen präventive Impfung. bereich kommen insgesamt selten vor.32 Bei Wah- rung des Mindestabstandes sorgt die Luftbewegung im Freien für eine sehr geringe Übertragungswahr- 4. COVID-19 Krankheitsbild scheinlichkeit. Im Vergleich zu einer Transmission COVID-19 ist primär eine Erkrankung des Respira- in geschlossenen Räumen schätzt eine im Preprint tionstraktes, die nach der Infektion mit dem SARS- erschienene japanische Studie das Risiko für eine CoV-2-Erreger auftreten kann. Das klinische Bild Übertragung im Freien 19-mal niedriger ein.33 von COVID-19 ist zwar individuell sehr unterschied- lich ausgeprägt, aber kennzeichnend sind Fieber, Eine Übertragung durch kontaminierte Oberflä- Schnupfen, trockener anhaltender Husten, Atem- chen ist theoretisch vorstellbar,34 da SARS-CoV-2- not, Müdigkeit sowie eine Störung des Geruchs- Viren unter Laborbedingungen auf Flächen eine und/oder Geschmackssinns bis hin zur vorüberge- gewisse Zeit lang infektiös bleiben können.24,35 Im henden Anosmie. Es können eine Vielzahl weiterer Vergleich zur aerogenen SARS-CoV-2-Übertragung Symptome und klinischer Zeichen vorkommen, wie wird die Bedeutung der Verbreitung des Virus durch z. B. Hals- und Kopfschmerzen, Glieder- und Mus- kontaminierte Flächen aktuell gering einge- kelschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, schätzt.36,37 Die Inkubationszeit beträgt 2 – 14 Tage Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhö, (im Durchschnitt 5 – 6 Tage).38,39 Als Haupteintritts- Konjunktivitis, Thromboembolien oder ein akutes pforten für SARS-CoV-2 gelten die Schleimhäute Koronarsyndrom.50 – 52 des Nasen-Rachen-Raums; eine Aufnahme via Kon- junktiven und Tränennasengang wird diskutiert, Der Krankheitsverlauf variiert hinsichtlich Sympto- konnte allerdings bislang nicht eindeutig belegt matik und Schwere: Es können asymptomatische, werden.40–42 symptomarme oder schwere Infektionen mit Pneu- monie und weiteren Organbeteiligungen auftreten, Zielzellen von SARS-CoV-2 sind unter anderem die zum Lungen- und Multiorganversagen bis zum nasale und bronchioalveoläre Epithelzellen, an die Tod führen können. Prä- und asymptomatische das Spike-(S)-Glykoprotein des Virus über den SARS-CoV-2-Infektionen sind epidemiologisch be- A ngiotensin-Converting-Enzym-(ACE-)2-Rezeptor deutsam, da sie unbemerkt zur Weiterverbreitung bindet, um in die Wirtszelle einzudringen.43,44 Für von SARS-CoV-2 beitragen. In jüngeren Altersgrup- etliche Impfstoffkandidaten ist das Glykoprotein S pen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, eine zentrale Zielstruktur. Eine hohe ACE-2-Rezep- sind schwere Verläufe seltener53 und asymptomati- tor-Dichte besteht z. B. im Atemwegstrakt, aber auch sche SARS-CoV-2-Infektionen häufiger. Insgesamt im Darm, an Gefäßzellen, in der Niere und im gibt es unterschiedliche Angaben über den Anteil Herzmuskel. an asymptomatischen Infektionen. Basierend auf
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 10 Daten des COVID-19-Ausbruches auf dem Kreuz- noch nicht wieder erholt und leidet weiterhin unter fahrtschiff Diamond Princess mit überwiegend älte- schweren Allgemeinsymptomen. Daten aus Eng- ren Menschen liegt der Anteil asymptomatischer land deuten darauf hin, dass etwa 40 % der hospita- Infektionen bei 18 %.54 Mittels serologischer Unter- lisierten Erkrankten längerfristige Unterstützung suchungen, die im Anschluss an den COVID-19- benötigen und bei etwa 10 % der nicht hospitalisier- Ausbruch in Heinsberg durchgeführt wurden, wur- ten, mild Erkrankten Symptome länger als 4 Wo- de ein Anteil von 22 % asymptomatischer Infektio- chen andauern.62 nen bestimmt.55 Ein systematischer Review ergab eine Rate von asymptomatischen Infektionen von Besonders häufig wird über Luftnot, Muskelschmer- bis zu 45 %.56 Die Analyse von 44.415 COVID-19- zen, Gedächtnisstörungen, Schlaf- und Konzentra- PatientInnen in Wuhan/China ergab bei 81 % der tionsstörungen, eine ausgeprägte Erschöpfung und PatientInnen einen milden, bei 14 % einen schwe- Müdigkeit berichtet.63 – 65 Unter diesen PatientInnen ren und bei 5 % der PatientInnen einen intensiv sind nicht nur diejenigen, die sich von einer schwe- pflichtigen Verlauf.57 Nehmen die respiratorischen ren stationär behandelten oder intensivpflichtigen Symptome an Schwere zu, führt die Hypoxie, ein- Erkrankung erholen, sondern auch solche mit ei- hergehend mit einer ausgeprägten Luftnot, zur sta- nem eher milden Krankheitsverlauf. In einer pros- tionären Aufnahme. Besonders betroffen sind ältere pektiven Beobachtungsstudie wurden zwischen Personen > 60 Jahre und Personen mit Vorerkran April und Juni 2020 100 Rekonvaleszenten unab- kungen.58 Durch die Testhäufigkeit in unterschied- hängig von der Ausprägung der Symptomatik im lichen Gruppen wird das Alter der diagnostizierten Durchschnittsalter von 49 Jahren nach einer durch- COVID-19-PatientInnen beeinflusst. Zu Beginn der gemachten COVID-19-Erkrankung untersucht und Pandemie war das Durchschnittsalter der erkrank- mit gesunden Alters-gepaarten Kontrollen vergli- ten PatientInnen höher, da vor allem symptomati- chen. In der kardiovaskulären Magnetresonanz sche PatientInnen getestet wurden. Im Zeitraum tomografie (CMR), die zwei bis drei Monate (im Mit- von März/April 2020 bis Juni/Juli 2020 hat sich das tel 71 Tage (Spanne: 64– 92)) nach der COVID-19- mediane Alter der diagnostizierten SARS-CoV-2- Diagnose erfolgte, zeigten 78 % eine Herzbeteili- Infizierten signifikant reduziert und ist von 40,8 Jah- gung und 60 % eine fortbestehende myokardiale ren (Interquartilsabstand [IQR]: 29,0 – 54,1) auf Entzündung, unabhängig von vor der COVID-19- 35,8 Jahre (IQR: 24,0–50,2) in den USA zurückge- Erkrankung bestehenden Symptomen.66 Ein syste- gangen.59 In einer Metaanalyse, in die Daten aus matischer Review, der die Folgen von COVID-19 auf 34 geografischen Regionen einflossen, wurde die al- die psychische Gesundheit untersuchte, stellte fest, tersspezifische Fallsterblichkeitsrate berechnet. Der dass ein hoher Anteil der Rekonvaleszenten an post- Zusammenhang zwischen Alter und Fallsterblich- traumatischen Belastungsstörungen, Angststörun- keitsrate war exponentiell: 0,002 % im Alter von gen oder Depressionen leidet. PatientInnen, die 10 Jahren; 0,01 % im Alter von 25 Jahren; 0,4 % im schon vor der C OVID-19-Erkrankung eine psychiat- Alter von 55 Jahren; 1,4 % im Alter von 65 Jahren; rische Erkrankung hatten, berichteten über eine 4,6 % im Alter von 75 Jahren; 15 % im Alter von Symptomverschlechterung.67 Die Ursachen der 85 Jahren.60 In einer weiteren Metanalyse wurde das Langzeitfolgen von COVID-19 sind unklar und hin- geschlechtsspezifische COVID-19-Sterberisiko in sichtlich der Prognose und möglicher Therapie Europa ermittelt. Daten von 23 Ländern, die die Zahl optionen besteht dringender Forschungsbedarf.63 von C OVID-19-Fällen und -Todesfällen nach Ge- schlecht berichteten, wurden gepoolt. Die Stichprobe schloss 484.919 Männer und 605.229 Frauen mit 5. Immunität COVID-19 ein. Das Risiko an COVID-19 zu sterben Eine SARS-CoV-2-Infektion induziert innerhalb von war bei Männern signifikant erhöht (RR = 1,6; 95% zwei Wochen nach Symptombeginn die Bildung KI 1,53 – 1,68).61 von Antikörpern.68 Neutralisierende Antikörper sind im Median in der zweiten Woche nach Symptom Ein Teil der COVID-19-PatientInnen hat sich auch beginn nachweisbar.69 – 71 Bei der Mehrzahl der un- Wochen oder Monate nach Beginn der Erkrankung tersuchten Personen bleiben die Antikörperkonzen-
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 11 trationen über einen Zeitraum von mindestens fünf 6. COVID-19-Epidemiologie Monaten relativ stabil. Niedrigere Antikörperkon- in Deutschland zentrationen und ein schnellerer Rückgang wurden bei Personen beobachtet, die einen asymptomati- 6.1 IfSG-Meldedaten schen oder sehr milden Verlauf hatten, im Vergleich Die Daten zur COVID-19-Epidemiologie beruhen zu moderat oder schwer Erkrankten.72 Zur Persis- auf den Meldedaten, die nach dem Infektions- tenz von Antikörpern über diesen Zeitraum hinaus schutzgesetz (IfSG) erhoben und an das Robert lassen sich im Moment noch keine Aussagen tref- Koch-Institut (RKI) übermittelt werden. Alle labor- fen. Zusätzlich wurde bei Erkrankten eine T-Zell- diagnostischen PCR-Nachweise von SARS-CoV-2 Reaktivität gegen unterschiedliche SARS-CoV-2- werden unabhängig vom Vorhandensein oder der Proteine festgestellt, die sowohl an der Schutzver- Ausprägung einer klinischen Symptomatik als mittlung als auch an der pulmonalen Immunpatho- COVID-19-Fälle gewertet. Die Infektionsausbrei- logie beteiligt sein kann.73 – 77 SARS-CoV-2-spezifi- tung hat in Deutschland und auch weltweit eine sche-T-Zellen konnten auch bei Infizierten nachge- wechselhafte Dynamik und daher gibt die Darstel- wiesen werden, die keine Antikörpertiter aufwiesen lung der Epidemiologie vielfach nur eine Moment- und asymptomatisch waren.78 Ob spezifische T-Zel- aufnahme wieder. Die ersten COVID-19-Fälle traten len auch bei fehlendem Antikörpernachweis Schutz in Deutschland im Januar 2020 auf. Mit Datenstand bieten, ist noch unklar. 08.12.2020 wurden 1.197.709 labordiagnostisch bestätigte COVID-19-Fälle an das RKI übermittelt, Seltene Fälle von Reinfektionen und Zweiterkran- knapp 82.000 Fälle (7,0 %) wurden hospitalisiert, kungen sind beschrieben, bei denen mittels 19.342 Personen (1,6 %) sind verstorben. Dies ent- Genomsequenzierung nachgewiesen werden konn- spricht einer kumulativen Inzidenz von 1.440 te, dass die Viren, die während der Krankheitsepiso- COVID-19-Fällen/100.000 Einwohnern (Einw.). Im den nachgewiesen wurden, unterschiedlich waren, März haben die täglich übermittelten Fallzahlen in es sich also nicht um eine protrahierte Virusaus- Deutschland deutlich zugenommen und die erste scheidung derselben Infektion handelte.79–83 Re Infektionswelle erreichte ihr Maximum Mitte März infektionen bei endemischen Coronaviren (HCoV) mit knapp 6.000 täglich übermittelten Fällen. Um kommen vor und die HCoV-Immunität nimmt mit die Pandemie einzudämmen, wurde Mitte März der Zeit ab.84,85 Es ist nicht bekannt, ob eine Reinfek- 2020 auf Basis eines Bund-Länder-Beschlusses ent- tion mit einer Transmission einhergehen kann. schieden, eine weitgehende Einschränkung des Zweiterkrankungen sind nach bisherigem Kenntnis- öffentlichen Lebens umzusetzen. Der erste „Lock- stand selten und wurden vor allem im Zusammen- down“ führte zu einem deutlichen Rückgang der hang mit Immundefizienz/-suppression beobachtet. Infektionsfallzahlen, die sich zwischen Mitte Mai und Mitte Juli auf einem niedrigen Niveau stabili- In-vitro-Untersuchungen lassen die Vermutung zu, sierten. Seit Anfang September nehmen die Fallzah- dass es nach vorangegangenen Infektionen mit len wieder deutlich zu. Aktuell ereignet sich eine HCoV zu einer kreuzreaktiven Immunantwort auf zweite, weit intensivere Infektionswelle. Ab Anfang SARS-CoV-2 kommen kann.86 Zur Frage, ob es nach November galt bundesweit ein zweiter „Teil-Lock- HCoV-Infektionen zur Bildung neutralisierender down“, der ab Mitte Dezember ausgeweitet wurde. Antikörper gegen SARS-CoV-2 kommt, liegen kont- Das bisherige Maximum der zweiten Infektions roverse Daten vor.86,87 Klinische Daten zu einem (par- welle wurde in der 3. Novemberwoche mit knapp tiellen) Schutz vor COVID-19 durch früher durchge- 24.000 Fällen täglich erreicht (s. Abb. 1). machte HCoV-Infektionen wurden bislang nicht er- hoben. Präexistente SARS-CoV-2-reaktive CD4+ Ge- Bezüglich der regionalen Verteilung kann man ak- dächtnis-T-Zellen bei Menschen ohne bisherige tuell feststellen, dass sich SARS-CoV-2 flächen SARS-CoV-2-Exposition, die möglicherweise auf vo- deckend im Bundesgebiet ausgebreitet hat. Mitte rangegangene HCoV-Infektionen zurückzuführen November (Stand: 08.12.2020) wurden aus allen sind, können sowohl an der Kontrolle als auch an der 412 Kreisen COVID-19-Fälle gemeldet. Die 7-Tage- Pathologie von COVID-19 beteiligt sein.88–90 Inzidenz liegt in 297 Kreisen (72%) bei > 100 Fällen/
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 12 100.000 Einw. und davon in 28 Kreisen bei > 250 COVID-19 tritt in allen Altersgruppen auf. In Fällen/100.000. Aktuelle Inzidenzwerte der Land- Deutschland sind Männer und Frauen ähnlich häu- kreise können dem RKI-Dashboard entnommen fig betroffen. Die höchsten altersspezifischen Inzi- werden (https://corona.rki.de/). denzen werden bei den 20 – 29-Jährigen und den > 90-Jährigen gemessen und die niedrigsten Im Rahmen der ersten SARS-CoV-2-Infektionswelle Inzidenzen bei Kindern im Alter von < 10 Jahren, wurden die höchsten wöchentlichen Inzidenzen bei und den 60 – 79-Jährigen (s. Abb. 3). Die niedrigen den > 80-Jährigen mit 81 Fällen/100.000 Einw. Inzidenzen bei den 60 – 79-Jährigen lassen vermu- gemessen. Bei den 15 – 69-Jährigen lag das wöchent- ten, dass Personen in dieser Altersgruppe sich be- liche Maximum niedriger und betrug 44 – 53 Fälle/ ständiger an die empfohlenen Kontaktbeschränkun- 100.000 Einw. Bei Kindern und Jugendlichen lagen gen halten und so Infektionen verhindern können. die wöchentlichen Inzidenzen zwischen 7 – 10/ In den höheren Altersgruppen steigt der Anteil an 100.000 und waren damit am niedrigsten von allen Menschen, die in Pflegeheimen leben, und hier ist Altersgruppen. Im Mai und Juni gingen die Infek das Risiko für COVID-19-Ausbrüche und damit das tionszahlen in allen Altersgruppen zurück. Ab An- Infektionsrisiko hoch. fang Juli nahmen die Fallzahlen leicht zu; blieben aber, bis auf die erhöhten Werte bei den 15 – 34-Jäh- Für 747.900 (62 %) der übermittelten Fälle liegen rigen bis Mitte September, auf einem stabilen Niveau klinische Informationen vor. Hiervon wurde für mit wöchentlich weniger als 20 Fällen/100.000 16 % angegeben, dass keine, bzw. keine für Einw. Danach setzte eine exponentielle Zunahme in COVID-19 bedeutsamen Symptome vorliegen. In allen Altersgruppen ein. Die wöchentlichen Inzi- Tabelle 1 werden die Anzahl und Anteile der bei denzen der 47. Meldewoche liegen zwischen 60/ COVID-19 häufig genannten Symptome, bzw. klini- 100.000 bei den 0 – 4-Jährigen und 201/100.000 bei schen Zeichen dargestellt. Seit der 17. Kalenderwo- den 15 – 34-Jährigen (s. Abb. 2). che (KW) kann für COVID-19-Fälle auch Geruchs- und Geschmacksverlust als Symptom in einer eige- Anzahl übermittelte COVID-19-Fälle 20.000 Erkrankungsbeginn Meldedatum 18.000 16.000 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 Erkrankungsbeginn, ersatzweise Meldedatum (2020) Abb. 1 | Anzahl der an das RKI übermittelten COVID-19-Fälle nach Erkrankungsbeginn, ersatzweise nach Meldedatum seit dem 01.03.2020 (Stand 08.12.2020)
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 13 COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner 250,0 0 – 4 Jährige 35 – 59 Jährige 5 – 14 Jährige 60 – 79 Jährige 15 – 34 Jährige 80 + Jährige 200,0 COVID-19 Fälle/ 100.000 Einwohner 150,0 100,0 50,0 0,0 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 Meldewoche Meldewoche Abb. 2 | Übermittelte COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner in Deutschland nach Altersgruppen und Meldewoche (KW 10 – 47; Stand 08.12.2020) COVID-19-Fälle/100.000 Einw. 3.500 männlich weiblich 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 0–9 10 – 19 20 – 29 30 – 39 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 – 89 90 – 99 100 + Altersgruppe (Jahre) Abb. 3 | Übermittelte COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner (kumulative Inzidenz) in Deutschland nach Altersgruppen und Geschlecht (Stand 8.12.2020).
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 14 Klinisches Merkmal Grundgesamtheit Anzahl (%) weiter steigendem Alter geht der Anteil stationär Husten 747.900 297.331 (40) versorgter COVID-19-Fälle wieder zurück, er beträgt Fieber 747.900 216.187 (29) bei den ≥ 90-Jährigen knapp 18 % (s. Abb. 4). Män- Schnupfen 747.900 191.537 (26) ner (7,1 %) werden etwas häufiger hospitalisiert als Halsschmerzen 747.900 159.283 (21) Frauen (6,0 %). Der Rückgang des Anteils stationär Pneumonie* 747.900 10.436 (1) behandelter PatientInnen bei den Hochbetagten ist Geruchs- oder 603.113 128.825 (21) möglicherweise darauf zurückzuführen, dass man Geschmacksverlust** aufgrund des hohen Alters eine Krankenhausein- Tab. 1 | COVID-19-relevante oder häufig genannte Symptome, weisung vermeiden möchte. bzw. klinische Zeichen (Stand 08.12.2020) * Aufgrund mangelnder Diagnostik und ggf. unterlassener Insgesamt wurden bis zum 08.12.2020 19.342 Meldungen wird von einer deutlichen zahlenmäßigen COVID-19-Todesfälle an das RKI übermittelt. Von Untererfassung ausgegangen. ** Geruchs und Geschmacksverlust werden seit der den Todesfällen sind 16.851 (87 %) Personen 70 Jah- 17. Kalenderwoche erfasst. re und älter; das mediane Alter der Verstorbenen beträgt 83 Jahre (s. Tab. 2). Der extrem hohe Anteil an Todesfällen bei den ≥ 70-Jährigen wird deutlich, nen Übermittlungskategorie angegeben werden. wenn man im Vergleich dazu ihren Anteil von 13 % Von 603.113 Fällen, die neu in dieser Kategorie er- an der Gesamtzahl der übermittelten COVID-19- fasst wurden und Angaben zur Klinik enthalten, ha- Fälle betrachtet. ben 128.825 (21 %) mindestens eines dieser beiden Symptome angegeben. Der Anteil verstorbener Personen an allen übermit- telten COVID-19-Fällen liegt bei den ≤ 59-Jährigen Der Anteil stationär versorgter Fälle steigt mit dem unter 0,3 %. Die Zahl der Verstorbenen nimmt mit Alter kontinuierlich an; er beträgt bei den 50 – 59- zunehmendem Alter kontinuierlich zu und steigt Jährigen 5 % und bei den 80 – 89-Jährigen 29 %. Mit von 1,6 % bei den 60 – 69-Jährigen, auf 5,8 % bei Anzahl übermittelter COVID-19-Fälle Anteil Hospitalisierte 250.000 30 % Hospitalisierung Ja Nein Anteil Hospitalisierter 25 % 200.000 20 % 150.000 15 % 100.000 10 % 50.000 5% 0 0 0–9 10 – 19 20 – 29 30 – 39 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 – 89 90 + Abb. 4 | Relativer Anteil der hospitalisierten COVID-19-Fälle in Deutschland nach Altersgruppen (Stand 08.12.2020).
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 15 Altersgruppe (in Jahren) Geschlecht 0–9 10 – 19 20 – 29 30 – 39 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 – 89 90 + männlich 2 3 15 29 106 427 1.167 2.666 4.573 1.415 weiblich 5 – 9 17 47 168 468 1.381 4.165 2.651 gesamt 7* 3* 24 46 153 595 1.635 4.047 8.738 4.066 Tab. 2 | Übermittelte COVID-19-Todesfälle nach Altersgruppe und Geschlecht (Angaben verfügbar für 19.314 Todesfälle (Stand 08.12.2020) * Sieben der Fälle werden derzeit noch validiert. den 70 – 79-Jährigen, auf 12,0 % bei den 80 – 89- schiede. Bei den hospitalisierten COVID-19-Fällen Jährigen und 15,6 % bei den ≥ 90-Jährigen an überwog der Anteil der Männer mit 55 %. Noch (s. Abb. 5). Männer versterben etwas häufiger als deutlicher war der Unterschied in Bezug auf Patient Frauen (1,8 % versus 1,5 %). Der Anteil Verstorbener Innen, die intensivmedizinisch behandelt wurden; an allen Fällen ist im Verlauf der Pandemie zurück- hier betrug der Anteil der Männer 70 %.91 gegangen. Zu Beginn war der Anteil an Personen, die ohne COVID-19-spezifische Symptome oder Ausbruchsgeschehen milde Symptome getestet wurden, aufgrund der Die Epidemiologie von COVID-19 wird aufgrund eingeschränkten Testmöglichkeiten gering. Das hat der hohen Infektiosität von Ausbrüchen in verschie- sich inzwischen geändert, so dass durch das große denen Situationen bzw. Umfeldern bestimmt. Etwa Testangebot auch Fälle entdeckt werden, die zu Be- ein Viertel der insgesamt gemeldeten COVID-19- ginn der Pandemie nicht diagnostiziert worden wä- Fälle lässt sich Ausbrüchen zuordnen, wobei die An- ren. In der deskriptiven Analyse der deutschen gaben zum Umfeld häufig unvollständig waren. Bei COVID-19-Meldedaten zeigen sich hinsichtlich der ca. 35 % der Ausbrüche handelt es sich um kleinere Krankheitsschwere geschlechtsspezifische Unter- Ausbrüche mit 2 – 4 Fällen. In der ersten Infektions- Anzahl übermittelter COVID-19-Fälle Anteil Verstorbener 250.000 18,0 % Verstorben Ja Nein Anteil Verstorbener 16,0 % 200.000 14,0 % 12,0 % 150.000 10,0 % 8,0 % 100.000 6,0 % 4,0 % 50.000 2,0 % 0 0,0 % 0–9 10 – 19 20 – 29 30 – 39 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 – 89 90 + Abb. 5 | Relativer Anteil der verstorbenen COVID-19-Fälle in Deutschland nach Altersgruppen (Stand 08.12.2020)
Epidemiologisches Bulletin 2 | 2021 14. Januar 2021 (online vorab) 16 welle konnten viele COVID-19-Fälle Ausbrüchen in zahl der intensivmedizinisch behandelten Patien- Senioren- und Pflegeheimen, Krankenhäusern und tinnen keine speziellen Risikofaktoren vorlagen. In Flüchtlingsunterkünften zugeordnet werden. In neun der damals 14 registrierten Fälle hatte die den KW 23 – 32, zwischen den Infektionswellen, SARS-CoV-2-Infektion die Entscheidung zur Been- wurde häufiger der Arbeitsplatz oder der private digung der Schwangerschaft oder den Geburtsmo- Haushalt als wahrscheinliches Infektionsumfeld dus beeinflusst.92 Die Raten von Frühgeburten und angegeben. Zu den Ausbrüchen am Arbeitsplatz ge- Kaiserschnittentbindungen lagen im Vergleich zum hören auch Ausbrüche in fleischverarbeitenden Be- bundesdeutschen Durchschnitt vergangener Jahre trieben, die einen großen Anteil an den Fällen zu leicht höher, jedoch geringer im Vergleich zu inter- Beginn des Sommers ausmachten. Ab Mitte August national publizierten Daten.95 war der größte Anteil der Fälle durch Ausbrüche in privaten Haushalten verursacht. In den letzten Wo- 6.3 Seroprävalenzdaten chen nimmt die Zahl der Ausbrüche in Alten- und Erste Ergebnisse (Datenstand vom 19.08.2020) ei- Pflegeheimen wieder stetig zu. ner vom RKI überregional durchgeführten Seroprä- valenzstudie, in der Seren von 30.000 erwachsenen Für weitere detaillierte Informationen und aktuelle BlutspenderInnen untersucht wurden, zeigten Daten wie z. B. die regionale Verteilung von einen Positivenanteil mit spezifischen Antikörpern COVID-19 und Angaben zu den intensivmedizi- gegen SARS-CoV-2 von 1,25 %.5 In dieser Zwischen- nisch behandelten COVID-19-PatientInnen wird auf analyse war die Seroprävalenz bei Männern signifi- die täglichen Situationsberichte des RKI zu kant höher als bei Frauen (1,48 bzw. 0,96 %). Eine COVID-19 verwiesen. Seroprävalenzstudie mit Blutentnahmen zwischen Ende Mai und Ende Juni 2020 unter 1.538 Schüler 6.2 Epidemiologische Daten aus anderen Innen der Klassenstufen 8 bis 11 von 13 Schulen in Datenquellen Sachsen ermittelte einen Positivenanteil von 0,7 %.96 Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektio- In Bayern wurden zwischen Januar und Juli 2020 logie (DGPI) sammelt seit Mitte März 2020 die über 11.000 Blutproben von Kindern und Jugend Daten hospitalisierter Kinder und Jugendlicher mit lichen auf SARS-CoV-2-Antikörper untersucht. Es COVID-19 in Deutschland in einem Register mit zeigten sich erhebliche regionale Unterschiede, je- dem Ziel, die Epidemiologie und klinischen Charak- doch keine signifikanten Unterschiede bzgl. Alter teristika dieser Fälle zu untersuchen.92,93 In der oder Geschlecht. Der Anteil seropositiver Kinder Mehrzahl der Fälle blieb der Verlauf ohne wesentli- und Jugendlicher lag für den Zeitraum von April bis che Komplikationen. Juli im Durchschnitt bei 0,87 %. Die Autoren postu- lierten, dass die Zahl seropositiver Kinder und Ju- Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin gendlicher in Bayern sechsmal höher läge, als die erforscht mit der am 03.04.2020 gestarteten Zahl der gemeldeten SARS-CoV-2-Infektionen mit CRONOS Register-Studie Auswirkungen einer PCR-Nachweis für diese Altersgruppe im selben Infektion mit SARS-CoV-2 auf die Gesundheit von Zeitraum.97 Allerdings muss bedacht werden, dass Müttern und ihren Neugeborenen mit dem Ziel, zum angegeben Zeitraum Tests nur eingeschränkt eine Grundlage für die Beratung infizierter Schwan- verfügbar waren und dementsprechend Untersu- gerer und die Betreuung der Neugeborenen zu chungen mit hoher Wahrscheinlichkeit prioritär bei schaffen, die auf in Deutschland erhobenen Daten Personen mit schweren Symptomen durchgeführt beruht und durch regelmäßige Updates auf die Dy- wurden. Kinder und Jugendliche mit leichteren Be- namik der Entwicklung einzugehen.94 Mit Stand schwerden hatten möglicherweise nur einge- vom 5. Dezember 2020 waren 643 Patientinnen schränkten Zugang zu PCR-Testungen. registriert, von denen 473 bereits entbunden waren; 427 waren zwischenzeitlich von COVID-19 genesen. 24 (5,1 %) Frauen wurden wegen COVID-19 intensiv medizinisch behandelt. Eine Zwischenauswertung der Daten vom 01.10.2020 zeigte, dass bei der Mehr-
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