BESCHLUSSFASSUNG VOM 28.06.2022 ZUR VORPRÜFUNG 2022 - BFS
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Beschlussfassung vom 28.06.2022 zur Vorprüfung 2022 Die Auswahl der möglichen Früherkennungsuntersuchungen sowie deren Priorisierung wurden mit der Sachverständigengruppe abgestimmt. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) hat der Vorprüfung mit Schreiben vom 28.06.2022 zugestimmt. Das BMUV bittet darum, die ausführliche Begutachtung gemäß der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur wissenschaftlichen Bewertung von Früherkennungsuntersuchungen zur Ermittlung nicht übertragbarer Krankheiten (StrlSchGVwV-Früherkennung) für die Dual-Röntgen-Absorptiometrie zur Früherkennung der Osteoporose durchzuführen.
Vorprüfung 2022 gemäß Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur wissenschaftlichen Bewertung von Früherkennungsuntersuchungen zur Ermittlung nicht übertragbarer Krankheiten (StrlSchGVwV-Früherkennung) Autor A
Vorprüfung 2022 Identifizierung von Früherkennungsuntersuchungen In einer orientierenden Durchsicht der aktuellen wissenschaftlichen Literatur im April 2022 wurde nach Früherkennungsverfahren mit Anwendung ionisierender Strahlung oder radioaktiver Stoffe gesucht. Dabei wurden in erster Linie elektronische Literaturdatenbanken anhand von Schlagworten durchsucht. Zudem wurden Diskurse der Fachöffentlichkeit beispielsweise auf Informationsplattformen und Nachrichten- portalen berücksichtigt (u. a. Newsletter von AuntMinnie und Deutsches Ärzteblatt). Weiterhin wurden die Ergebnisse der Vorprüfung aus dem Jahr 2021 bei der Durchsicht mit einbezogen. Die identifizierten Untersuchungsverfahren wurden anhand der folgenden Kriterien der StrlSchGVwV-Früh- erkennung bewertet: • Es handelt sich um ein nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft anerkanntes Untersuchungsverfahren. • Bei der Früherkennungsuntersuchung soll eine Erkrankung erfasst werden, bei der es sich um eine schwere Krankheit handelt. • Die Krankheit ist in einem Frühstadium feststellbar. • Es ist eine Therapieform etabliert und verfügbar, die insbesondere im Frühstadium effektiv ist. • Eine Zielgruppe ist unter Berücksichtigung von Risikofaktoren definierbar. • Die Krankheit hat eine hohe Prävalenz. Zur Überprüfung der Kriterien wurden Informationen aus Studienpublikationen, Leitlinien, Health Technology Assessment-Berichten sowie epidemiologische Daten und Statistiken der Gesundheitsbericht- erstattung herangezogen. Es wurden insbesondere drei Früherkennungsuntersuchungen identifiziert, welche die Kriterien für eine ausführliche Begutachtung erfüllen: • Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA) zur Früherkennung der Osteoporose • Digitale Brusttomosynthese (DBT) zur Brustkrebsfrüherkennung • Virtuelle Koloskopie (CT-Kolonographie, CTC) zur Detektion von Adenomen und zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms Die detaillierte Prüfung der Kriterien ist in der Anlage dokumentiert. 3
Vorprüfung 2022 Tabelle 1-1 Erfüllung der Kriterien nach StrlSchGVwV-Früherkennung Früherken- Schwere Hohe Frühstadium Effektive Klare Zielgruppe Anerkanntes nungsun- Krankheit Präva- erkennbar Therapie Untersuchungs- tersuchung lenz verfahren (Indikation) Digitale Führende Häufig- Mikrokalk Therapeu- Frauen, welche Etabliertes Brusttomo- Krebstodes- ste oder Verän- tische Vor- die Kriterien für Verfahren in synthese ursache bei Krebser- derungen teile durch das deutsche der Abklärungs- (Brustkrebs) Frauen krankung der Gewebs- Operation Mammographie- diagnostik bei architektur früher Screening- Frauen Stadien Programm erfüllen Dual- Frakturen, 15-24 % Osteoporose Medikamen- Post-meno- DXA als Röntgen- Schmerzen, der ohne Fraktur töse Thera- pausale Frauen Goldstandard Absorptio- Funktions- Frauen pie zur Pro- als Risikogruppe für die metrie beeinträch- ab phylaxe Diagnose von (Osteo- tigung 60 Jah- klinisch Osteoporose porose) ren bedeutsa- betrof- mer Fraktu- fen ren CT-Kolono- Zweit- und Dritt- Langsam Unterbre- Männer und CTC zur Diag- graphie dritthäufig- und wachsende chung der Frau-en ab nose von (Darmkrebs) ste zweit- Darm- Adenom- 50 Jahren Darmpolypen Krebstodes- häufigste polypen Karzinom- und anderen ursache bei Krebser- (Adenome) Sequenz Veränderungen Männern krankung durch der Darmwand bzw. bei Män- Entfernung geeignet Frauen; nern von Darm- absolute 5- bzw. polypen Jahres- Frauen während Überlebens- realer rate ca. Koloskopie 50 % 4
Vorprüfung 2022 Priorisierung für die ausführliche Begutachtung Per Erlass vom 06.09.2021 wurde das BfS gebeten, entsprechend der StrlSchGVwV-Früherkennung eine ausführliche Bewertung für das Mammographie-Screening zur Brustkrebsfrüherkennung für Frauen jünger als 50 Jahre durchzuführen. Für die diesjährige Vorprüfung kommen mehrere Verfahren für eine ausführliche Begutachtung infrage, für die das BfS eine Priorisierung der Themen vorschlägt. Diese orientiert sich an der wissenschaftlichen Datenlage sowie der Relevanz für die gesundheitliche Versorgung in Deutschland: (1) Für die DXA liegen valide Screening-Studien zu klinisch relevanten Endpunkten vor, welche – bei nur geringem Strahlenrisiko – einen Hinweis auf einen Nutzen geben. Da die Untersuchung Relevanz für die gesundheitliche Versorgung in Deutschland hat, sollte sie einer ausführlichen Begutachtung unterzogen werden. (2) Die Evidenzlage zur DBT ist derzeit noch ungenügend und basiert vorwiegend auf Studien, welche die Detektionsraten von DBT versus DBT und synthetischer Mammographie oder von DBT versus digitaler Mammographie vergleichen. Eine randomisierte kontrollierte Studien zur Mortalitätsreduktion ist initiiert, Ergebnisse stehen allerdings noch aus. Das Verfahren sollte bei der ausführlichen Begutachtung zunächst zurückgestellt werden. (3) In Deutschland existiert seit 2019 ein organisiertes Früherkennungsangebot zur Darmkrebsfrüherkennung mittels realer Koloskopie. Vorliegende Studien lassen erkennen, dass die CTC möglicherweise eine Alternative für eine reale Koloskopie bei bestehenden Kontraindikationen darstellen kann. Es fehlt bislang jedoch eine valide Evidenzbasis hinsichtlich eines relevanten Endpunktes wie der Mortalitätsreduktion. Angesichts dieser Lage ist die CTC in der Begutachtung zurückzustellen. Anlagen • Vorprüfung „Dual-Röntgen-Absorptiometrie zur Früherkennung der Osteoporose“ • Vorprüfung „Digitale Brusttomosynthese zur Brustkrebsfrüherkennung“ • Vorprüfung „Virtuelle Koloskopie zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms“ 5
Anlage 1 zur Vorprüfung 2022 Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA) zur Früherkennung der Osteoporose 1 Gesundheitsproblem Die Osteoporose ist eine systemische Skeletterkrankung, welche in erster Linie durch eine niedrige Knochendichte gekennzeichnet ist (DVO 2017). Die WHO definiert die Osteoporose allein anhand des Knochenmineralgehalts, wie er an der Hüfte oder der Lendenwirbelsäule gemessen wird (Kanis et al. 1994, WHO 1994). Osteoporose führt zu einer erhöhten Frakturneigung, typischerweise in Form von Hüft-, Wirbelkörper- und Handgelenksfrakturen. Als Risikofaktoren gelten ein fortgeschrittenes Lebensalter, weibliches Geschlecht, frühe Menopause (bei Frauen), positive Familienanamnese, niedriges Körpergewicht, mangelnde körperliche Aktivität und Kalzium- und Vitamin-D-arme Ernährung. Zudem kann eine sekundäre Osteoporose im Zusammenhang mit verschiedenen chronischen Erkrankungen oder medikamentösen Therapien auftreten. Eine manifeste oder schwere Osteoporose liegt vor, wenn zusätzlich zur verminderten Knochendichte mindestens eine Fragilitätsfraktur, also eine Fraktur ohne (adäquates) Trauma, aufgetreten ist. Die aktuelle Prävalenz der Osteoporose in Deutschland kann nur abgeschätzt werden. Das Robert-Koch- Institut berichtet, dass ab einem Alter von 50 Jahren ca. 15 % der Frauen und 6 % der Männer eine diagnostizierte Osteoporose angeben, mit steigender Prävalenz in höheren Altersgruppen (www.rki.de/geda). Eine Analyse von Abrechnungsdaten der Techniker Krankenkasse errechnet eine Osteoporoseprävalenz ab 50 Jahren von 24 % bei Frauen und 6 % bei Männern und eine jährliche Inzidenz von 2,1 % (Hadji et al. 2013). Übertragen auf die gesamte deutsche Bevölkerung ergab dies 6,3 Millionen Osteoporosebetroffene im Jahr 2009. Die Frakturrate innerhalb der Osteoporosepopulation betrug hier 52 %. Laut Krankenhausstatistik lag die jährliche Inzidenz von Hüftfrakturen 2004 bei 104,9 pro 100.000 Personen (Icks et al. 2008). Bevölkerungsbezogene Studien auf europäischer Ebene zeigen für Deutschland in der Altersgruppe 50-79 Jahre eine Prävalenz von osteoporotischen Wirbelkörpereinbrüchen von 7,6 % bei Frauen und 4,9 % bei Männern (IQWiG 2010). Eine geringe Knochendichte allein verursacht keine klinischen Beschwerden, diese treten erst durch Knochenbrüche auf. Osteoporotische Frakturen gehen mit Funktionsausfällen, Immobilität, chronischen Schmerzen und verminderter Lebensqualität einher (USPSTF 2018, IQWiG 2010). Auch ein Mortalitätsanstieg nach osteoporotischen Frakturen wird berichtet (DVO 2017). 2 Früherkennung und Diagnostik der Erkrankung Die Leitlinie des Dachverbands der deutschsprachigen wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften empfiehlt, bei Personen ab 50 Jahren eine klinische Abschätzung des Frakturrisikos anzubieten, insbesondere bei vorliegenden Risikofaktoren (DVO 2017). Bei bereits erfolgten Fragilitätsfrakturen sollte sie immer erfolgen. Ab einem 10-Jahres Risiko > 20 % für eine Schenkelhals- oder Wirbelkörperfraktur, sowie generell bei Frauen und Männern ab dem 70. Lebensjahr, sollte eine Basisdiagnostik erfolgen. Diese umfasst Anamnese, klinischen Befund, Knochendichtemessung, Basislabor sowie ggf. weiterführende bildgebende Diagnostik bei klinischen Hinweisen auf osteoporotische Wirbelkörperfrakturen (DVO 2017). Entscheidende Bedeutung bei der Diagnose kommt der Knochendichtemessung (Osteodensitometrie) zu. Dabei wird der Mineralsalzgehalt des Knochens pro Flächen- oder Volumeneinheit aus der Abschwächung der durchtretenden Röntgenstrahlung geschätzt. Der Goldstandard ist die zentrale Dual-Röntgen- Absorptiometrie (DXA), gemessen an Hüfte oder Lendenwirbelsäule. Daneben existieren weitere radiologische Verfahren wie die quantitative Computertomografie, die Dual-X-Ray Laser-Absorptiometrie,
Anlage 1 die digitale Röntgen-Radiogrammetrie und die radiografische Absorptiometrie (DVO 2017, IQWiG 2010). Als Methoden ohne Röntgenstrahlung werden quantitative Ultraschallverfahren eingesetzt, die jedoch nicht die Routinemessung darstellen sollen (DVO 2017), da sie nicht ausreichend standardisiert sind, keine zentralen Messungen ermöglichen und die Korrelation mit DXA-Werten zu ungenau ist (IQWiG 2010). Darüber hinaus gibt es mehrere Risikoscores, die anhand von klinischen Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen niedriger Knochendichte errechnen bzw. ggf. unter Einbeziehung der Knochendichtemessung das Frakturrisiko vorhersagen (beispielsweise das DVO-Modell oder das Fracture Risk Assessment Tool, FRAX). Die zentrale DXA-Messung ist geeignet zur Knochendichtemessung und Diagnose der Osteoporose sowie zur Abschätzung des Frakturrisikos und der Effektivität von Therapien (IQWiG 2010). Sie kann an der Lendenwirbelsäule oder am proximalen Femur erfolgen. Dabei tritt eine Strahlenbelastung je nach Körperregion und technischer Ausstattung von etwa 1 bis 15 μSV auf; die Untersuchungszeit beträgt 5 bis 10 Minuten (G-BA 2013, SSK 2015). Weicht der sogenannte T-Score oder T-Wert der DXA-Messung um mehr als 2,5 Standardabweichungen (SD) vom Mittelwert einer jungen, gesunden Person nach unten ab, so liegt eine Osteoporose vor (Kanis et al. 1994). Werte zwischen -1 und -2,5 SD werden als Osteopenie und somit als Vorstufe zur Osteoporose eingestuft. Jede Verringerung der Knochendichte um eine SD verdoppelt in etwa das Frakturrisiko (Marshall et al. 1996). Die Frakturvorhersage einer einmaligen DXA bleibt über mehrere Jahre gültig. Die DXA-Messung ist in hohem Grad standardisiert und es stehen umfangreiche Referenzdaten unterschiedlicher Personenkollektive zur Verfügung (G-BA 2013). Die Knochendichtemessung mittels DXA wird derzeit in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen bei vorangegangenen osteoporotischen Frakturen oder zur Therapieentscheidung gezahlt. 3 Therapeutische Intervention im Frühstadium Zur Vermeidung osteoporotischer Brüche können prophylaktische (verhaltensbezogene) Maßnahmen und spezifische medikamentöse Therapien unterschieden werden. Die DVO empfiehlt eine spezifische medikamentöse Therapie ab einem 10-Jahres Frakturrisiko von mehr als 30 % für Schenkelhalsfraktur und Wirbelkörperfraktur (DVO 2017). Zur Therapie werden antiresorptive Medikamente (die den Knochenumbau hemmen) und anabole Medikamente (die den Knochenanbau fördern) unterschieden. Der Nutzen einer medikamentösen Behandlung zur Vermeidung klinisch bedeutsamer Frakturen bei postmenopausalen Frauen mit Osteoporose (T-Score < -2,5 gemessen mit zentraler DXA) ohne Vorfrakturen wurde in einer Untersuchung des IQWiG aus 2010 gezeigt (IQWiG 2010). Für Frauen mit einer weniger erniedrigten Knochendichte konnte kein Nutzen einer medikamentösen Therapie festgestellt werden. Für einzelne Therapiemöglichkeiten bestehen Hinweise auf eine Schädigung, z. B. durch thromboembolische Ereignisse bei der Behandlung mit selektiven Östrogen-Rezeptor-Modulatoren (IQWiG 2010). 4 Aktuelle Studien und existierende wissenschaftliche Bewertungen Der Nutzen der Knochendichtemessung bei postmenopausalen Frauen ohne vorbestehende osteoporotische Frakturen wurde 2013 vom G-BA auf Grundlage einer wissenschaftlichen Bewertung des IQWiG (IQWiG 2010) beurteilt. Zusammenfassend wurde festgestellt, „dass es einen Hinweis auf einen Nutzen der Knochendichtemessung für postmenopausale Frauen ohne vorbestehende osteoporosetypische Frakturen gibt, wenn die Knochendichte mittels zentraler DXA-Messung bestimmt wurde“ (G-BA 2013). Jedoch leitete sich dieser Hinweis lediglich aus der Wechselwirkung zwischen Knochendichte und Therapieeffekt ab und beruht auf den Ergebnissen einer einzelnen Studie. Mittlerweile liegen Ergebnisse neuerer randomisierter kontrollierter Studien (RCT) vor (Shepstone et al. 2018, Rubin et al. 2018, Clark 2012, Merlijn et al. 2019), welche eine Strategie des Screenings mittels DXA mit der üblichen Versorgung vergleichen. Diese Studien verwenden klinische Risikofaktoren zur Vorhersage 2
Anlage 1 des Frakturrisikos, um Personen zu selektieren, welche eine einmalige DXA-Messung erhalten und bei positivem Testergebnis therapiert werden. Unter Berücksichtigung einer dieser neuen Studien empfiehlt die U.S. Preventive Services Task Force seit 2018 das Osteoporose-Screening mittels Knochendichtemessung für Frauen ab 65 Jahren sowie für postmenopausale Frauen unter 65, bei denen ein erhöhtes Risiko vorliegt (USPSTF 2018). Eine aktuelle vergleichende Nutzenbewertung des European Network for Health Technology Assessment kommt anhand von drei Screening-RCT zu dem Ergebnis, dass ein allgemeines Screening auf Osteoporose keinen Vorteil bezüglich symptomatischer Frakturen bringt (EUnetHTA 2019). Nach Abschluss der Evidenzrecherche der EUnetHTA-Bewertung wurden Ergebnisse einer weiteren Studie publiziert (Merlijn et al. 2019). Diese neue Studie und Ergebnisse zweier weiterer Studien flossen in eine Metaanalyse ein, in der Daten von insgesamt über 40.000 Teilnehmerinnen zusammenführt wurden (Merlijn et al. 2020). Obwohl nur eine der einbezogenen Studien für einen einzelnen Endpunkt einen statistisch signifikanten Vorteil zeigte, liefert die gemeinsame Analyse einen Hinweis auf ein reduziertes Frakturrisiko in der Screeninggruppe, vor allem für Hüftfrakturen (hazard ratio von 0,80; 95%-Konfidenzintervall: 0,71-0,91). Darüber hinaus wurde 2010 eine RCT mit 1.836 Frauen begonnen, bei der DXA-Messungen zum Screening auf Osteoporose eingesetzt werden: die POROS-Studie (Schneider et al. 2010). Allerdings wurden bisher keine Ergebnisse veröffentlicht. Unter Gesichtspunkten des Strahlenschutzes stellte die Strahlenschutzkommission in einer Stellungnahme 2015 fest, dass „die Anwendung der DXA zur […] Ermittlung der Knochendichte zur Früherkennung einer postmenopausalen Osteoporose nicht gerechtfertigt ist, wenn nicht zusätzliche Risikofaktoren vorliegen“ (SSK 2015). In jedem Fall sei die rechtfertigende Indikation zu stellen. 5 Zusammenfassende Bewertung Bei der Osteoporose handelt es sich um eine häufige Erkrankung, von der besonders Frauen im höheren Alter betroffen sind. Klinische Relevanz gewinnt sie durch Knochenbrüche und deren Folgen. Vor dem Auftreten von Frakturen kann die Osteoporose mittels Knochendichtemessung erkannt werden. Die zentrale DXA ist der Goldstandard zur Diagnose und ist auch geeignet, das Frakturrisiko vorherzusagen. Unterschiedliche medikamentöse Verfahren stehen zur Therapie zur Verfügung. Bezogen auf die Kriterien gemäß Kapitel 3.1 StrlSchGVwV-Früherkennung ergibt sich folgendes Bild: Kriterium Schwere Hohe Frühstadium Effektive Klare Anerkanntes Krankheit Prävalenz erkennbar Therapie Zielgruppe Verfahren Bewertung Ja Ja Ja Ja Ja Ja Begründung Frakturen, 15-24 % Osteoporose Medikamen- Geschlecht Goldstandard Schmerzen, der Frauen ohne Fraktur töse und Alter als für Diagnose Funktions- ab Therapie zur primäre beeinträch- 60 Jahren Prophylaxe Risikofaktoren tigung betroffen klinisch bedeutsamer Frakturen Das Osteoporose-Screening mittels DXA stellt sich als potentielle Kandidatin für eine ausführliche Bewertung gemäß Punkt 3.2 StrlSchGVwV-Früherkennung dar. 3
Anlage 1 Literatur Clark EM, Gould V, Morrison L, Ades AE, Dieppe P, Tobias JH. Randomized controlled trial of a primary care- based screening program to identify older women with prevalent osteoporotic vertebral fractures: Cohort for Skeletal Health in Bristol and Avon (COSHIBA). J Bone Miner Res 2012; 27(3): 664-671. Dachverband der Deutschsprachigen Wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften e.V. (DVO). Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der OSTEOPOROSE bei postmenopausalen Frauen und bei Männern; Leitlinie des Dachverbands der Deutschsprachigen Wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften e.V. 2017 EUnetHTA OTCA19 Assessment Team (2019). Screening for Osteoporosis in the General Population. Collaborative Assessment. EUnetHTA Report No. OTCA19. https://www.eunethta.eu Gemeinsamer Bundesausschuss. Abschlussbericht Beratungsverfahren gemäß § 135 Abs. 1 SGB V. Osteodensitometrie. 21. Februar 2013. https://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/1655/ Hadji P, Klein S, Gothe H, Häussler B, Kless T, Schmidt T, Steinle T, Verheyen F, Linder R. The epidemiology of osteoporosis--Bone Evaluation Study (BEST): an analysis of routine health insurance data. Dtsch Arztebl Int. 2013 Jan;110(4):52-7 Icks A, Haastert B, Wildner M et al. Inzidenz von Hüftfrakturen in Deutschland - Auswertung der Krankenhausdiagnosestatistik 2004. DMW 133(04):125 bis 128 Institut für Qualität und Wirtschaftlicheit im Gesundheitswesen (IQWiG). Osteodensitometrie bei primärer und sekundärer Osteoporose. IQWiG-Bericht Nr. 73, 2010 Kanis J, Melton LJ, Christiansen C, Johnston C, Khaltaev N. The diagnosis of osteoporosis. J Bone Miner Res 1994; 9(8): 1137-1141 Marshall D, Johnell O, Wedel H. Meta-analysis of how well measures of bone mineral density predict occurrence of osteoporotic fractures. BMJ 1996; 312:1254 Merlijn, T., et al. (2019). "The Effect of a Screening and Treatment Program for the Prevention of Fractures in Older Women: A Randomized Pragmatic Trial." J Bone Miner Res 34(11): 1993-2000. Merlijn, T., et al. (2020). "Fracture prevention by screening for high fracture risk: a systematic review and meta-analysis." Osteoporos Int 31: 251-257 Rubin KH, Rothmann MJ, Holmberg T, Høiberg M, Möller S, Barkmann R, Glüer CC, Hermann AP, Bech M, Gram J, Brixen K. Effectiveness of a two-step population-based osteoporosis screening program using FRAX: the randomized Risk-stratified Osteoporosis Strategy Evaluation (ROSE) study. Osteoporos Int. 2018 Mar;29(3):567-578 Schneider DL, Worley K, Beard MK, Iannini M, Ko M, McCallum J et al. The primary care osteoporosis risk of fracture screening (POROS) study: design and baseline characteristics. Contemp Clin Trials 2010; 31(4): 336- 344. Schnell-Inderst P, Hunger T, Hintringer K, Schwarzer R, Seifert-Klauss V, Gothe H, Wasem J, Siebert U. „Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL)“. HTA-Bericht 280, Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) 2011 Shepstone L, Lenaghan E, Cooper C, Clarke S, Fong-Soe-Khioe R, Fordham R, Gittoes N, Harvey I, Harvey N, Heawood A, Holland R, Howe A, Kanis J, Marshall T, O'Neill T, Peters T, Redmond N, Torgerson D, Turner D, McCloskey E; SCOOP Study Team. Screening in the community to reduce fractures in older women (SCOOP): a randomised controlled trial. Lancet. 2018 Feb 24;391(10122):741-747 Strahlenschutzkommission (2015). “Strahlenhygienische Aspekte bei Röntgenuntersuchungen zur Bestimmung der Körperzusammensetzung (insbesondere Knochendichtemessungen) mittels Dual X-ray 4
Anlage 1 Absorptiometry (DXA)”. Abgerufen am 25.05.2020 unter: https://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2015/DXA.pdf?__blob=publicationFile US Preventive Services Task Force, Curry SJ, Krist AH, Owens DK, Barry MJ, Caughey AB, Davidson KW, Doubeni CA, Epling JW Jr, Kemper AR, Kubik M, Landefeld CS, Mangione CM, Phipps MG, Pignone M, Silverstein M, Simon MA, Tseng CW, Wong JB. Screening for Osteoporosis to Prevent Fractures: US Preventive Services Task Force Recommendation Statement. JAMA. 2018 Jun 26;319(24):2521-2531 World Health Organisation. Assessment of fracture risk and its application to screening for postmenopausal osteoporosis: report of a WHO Study Group. Genf: WHO; 1994. (World Health Organization technical report series; Band 843) 5
Anlage 2 zur Vorprüfung 2022 Digitale Brustomosynthese zur Brustkrebsfrüherkennung 1 Gesundheitsproblem Als Brustkrebs (Mammakarzinom) werden bösartige Neubildungen der Brustdrüse bezeichnet. Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung und krebsbedingte Todesursache bei Frauen in Deutschland. Mammakarzinome werden, wenn sie fortschreiten, oft als Knoten oder Verhärtungen in der Brust wahrgenommen, gerade Frühstadien machen sich jedoch oft nicht bemerkbar. Im Jahr 2018 erkrankten 69.900 Frauen an Brustkrebs und 18.591 starben daran. Etwa eine von acht Frauen erkrankt somit im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs (RKI 2021). Die Daten des deutschen Mammographie- Screening-Programms zeigen, dass die 2-Jahres-Inzidenz mit einer Zunahme der Brustdichte zunimmt und sich signifikant von der Referenzgruppe mit der niedrigsten Brustdichte unterscheidet (Weigel et al. 2020). Fast drei von zehn betroffenen Frauen sind zum Zeitpunkt der Diagnosestellung jünger als 55 Jahre alt (www.krebsdaten.de/brustkrebs, Stand: 29.11.2021, Abruf am 10.02.2021). Die absolute 5-Jahres- Überlebensrate beträgt 79 %, die 10-Jahres-Überlebensrate 67 % (RKI 2021). Relevant für die Diagnose und teilweise die Prognose sind beispielsweise Dichte des Brustgewebes, Alter bei Erkrankung, Tumorart, histopathologische Eigenschaften oder Rezeptorbesetzung des Tumors (Bertrand et al. 2013). 2 Früherkennung und Diagnostik der Erkrankung Zur Brustkrebsfrüherkennung ist in Deutschland für Frauen im Alter von 50-69 Jahren ein organisiertes, qualitätsgesichertes Screeningprogramms mittels digitaler zweidimensionaler (2D) Röntgen- Mammographie (DM) etabliert. Ein anderes mögliches Untersuchungsverfahren zur Früherkennung von Brustkrebs ist die digitale Brusttomosynthese (DBT). Während der Untersuchungwerden schrittweise Röntgenaufnahmen aus mehreren Winkeln erstellt, aus denen eine Serie von Schichtaufnahmen berechnet wird. Die Aufnahmen ermöglichen eine schichtweise Darstellung der Brust. Aus diesen Schichtaufnahmen kann auch eine 2D Darstellung, die sogenannte synthetische Mammographie (s2D), errechnet werden. Im Vergleich zu einer herkömmlichen DM soll durch die schichtweise Darstellung bei der DBT das Brustdrüsengewebe besser beurteilbar werden, da die Strukturen des Brustgewebes ohne Überlagerungen zu erkennen sind. Davon könnten vor allem Frauen mit einem dichten, unregelmäßigen Brustdrüsengewebe profitieren. Dieses weisen meistens jüngere Frauen auf (Sprague et al. 2014), denn ab den Wechseljahren wird das Drüsengewebe in der Brust nach und nach durch Fettgewebe ersetzt, wodurch sich Tumoren besser erkennen lassen. Dichtes Brustgewebe führt auch dazu, dass bei betroffenen Frauen im Mammographie-Screening häufiger Intervalltumoren auftreten, welche generell ein schlechteres Outcome haben (Nguyen et al. 2020). Eine zunehmende mammographische Dichte ist sowohl mit einer Abnahme der Sensitivität als auch der Spezifität verbunden, wobei durch die DBT die Sensitivität erhöht werden kann (Leitlinienprogramm Onkologie 2020). Während die DM zur Früherkennung insgesamt mit einer vergleichsweise geringen Strahlenexposition verbunden ist, geht die DBT bedingt durch die höhere Anzahl an Aufnahmen mit einer geringfügig höheren Strahlenexposition einher (Giampietro et al. 2020). Bisher wird die DBT vorwiegend im Rahmen der Abklärung unklarer Befunde einer DM als zusätzliches diagnostisches Verfahren neben den Standardaufnahmen eingesetzt (Leitlinienprogramm Onkologie 2020). Für den primären Einsatz der DBT bei symptomatischen Personen exisiteren derzeit keine ausreichenden Daten (Leitlinienprogramm Onkologie 2020).
Anlage 2 3 Therapeutische Intervention im Frühstadium Für Mammakarzinome in lokoregional begrenzten Stadien stellt die Operation - wo möglich die brusterhaltende Therapie mit nachfolgender Bestrahlung der betreffenden Brust - das Vorgehen der Wahl dar (Leitlinienprogramm Onkologie 2020). Bei Mammakarzinomen im Stadium I (kleiner Tumor ohne Lymphknoten- oder Fernmetastasen) ist das 5-Jahres-Überleben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nicht und bei Mammakarzinomen im Stadium II so gut wie nicht eingeschränkt (RKI 2021). Bei lokal fortgeschrittenen Stadien wird die komplette Entfernung der betreffenden Brust (Mastektomie) empfohlen (Leitlinienprogramm Onkologie 2020). Im Gegensatz dazu liegt im metastasierten Stadium der Schwerpunkt auf einer systemischen Therapie. Ab- hängig vom Vorhandensein bestimmter Rezeptoren auf dem Tumorgewebe und weiteren Faktoren kann dies eine endokrine (z. B. antihormonelle) Therapie, eine Antikörper- oder eine Chemotherapie sein (Leitlinienprogramm Onkologie 2020). Bei Mammakarzinomen im Stadium IV (Vorliegen von Fernmetastasen) beträgt das 5-Jahres-Überleben 29 % (RKI 2019). 4 Aktuelle Studien und existierende wissenschaftliche Bewertungen Laut der aktuellen deutschen interdisziplinären S3-Leitlinie von Juni 2021 ist die DM die einzige zur Brustkrebs-Früherkennung empfohlene Maßnahme (Leitlinienprogramm Onkologie 2021). Die Expertinnen und Experten der S3-Leitlinie sehen für keine der anderen bildgebenden Untersuchungen (Tomosynthese, Sonographie, Magnetresonanztomographie (MRT) oder weitere Verfahren) eine ausreichende Evidenz für eine Reduktion der Brustkrebsmortalität. Das betrifft nach Aussage der Leitlininenautor*innen sowohl den ergänzenden als auch den substitutiven Einsatz zum Mammographie-Screening. Dennoch halten sie die DBT aufgrund des Sensitivitätsgewinns und der sehr guten Spezifität für das derzeit meistversprechende Verfahren für die Screening-Anwendung. Die European Commission Initiative on Breast Cancer (ECIBC) Guidelines Development Group (GDG) spricht für asymptomatische Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren mit einem durchschnittlichen Brustkrebsrisiko eine bedingte Empfehlung für die Brustkrebsfrüherkennung in einem organisierten Screening-Programm entweder mittels DBT oder mittels DM aus. Sie empfiehlt jedoch explizit nicht die Durchführung beider Untersuchungen (beides bedingte Empfehlungen mit sehr geringer Evidenz) (https://healthcare- quality.jrc.ec.europa.eu/european-breast-cancer-guidelines/screening-tests, Stand: 29.10.2021, Abruf am 11.02.2022). Die US Preventive Services Task Force (USPSTF) schreibt in den Empfehlungen von 2016, dass die derzeitige Evidenz unzureichend ist, um Nutzen und Risiken der DBT als primäre Screening-Methode zu bewerten (https://uspreventiveservicestaskforce.org/uspstf/draft-update-summary/breast-cancer-screening1, Stand: 29.04.2021, Abruf am 11..02.2022). Die Überarbeitung der Empfehlungen zum Brustkrebs-Screening durch die USPSTF ist noch nicht abgeschlossen. Frauen mit dichtem Brustgewebe könnten möglicherweise von einer schichtweisen Darstellung des Brust- drüsengewebes profitieren. Aus diesem Grund empfiehlt die deutsche S3-Leitlinie, dass die Erprobung der DBT in einem qualitätsgesicherten Programm erwogen werden sollte (Empfehlungsgrad B, Level of Evidence 1b, starker Konsens). Die Autor*innen der Leitlinie geben allerdings auch zu bedenken, dass objektive Kriterien für eine standardisierte Dichte-Bemessung fehlen. Dies schränke die Zuverlässigkeit von Empfehlungen zum Einsatz zusätzlicher Bildgebung zum Mammographie-Screening sowie zur DM in der Früherkennung ein (Leitlinienprogramm Onkologie 2021). Für asymptomatische Frauen mit einer mammographisch dichten Brust schlägt die ECIBC GDG nach unserem Verständnis folgendes Prozedere vor: wird bei einer DM dichtes Brustgewebe festgestellt, so soll im organisierten Screening keine zusätzliche DBT gemacht werden, sondern erst bei der nächsten regulären 2
Anlage 2 Screening-Untersuchung anstelle der DM eine DBT durchgeführt werden (bedingte Empfehlungen mit sehr geringer Evidenz) (https://healthcare-quality.jrc.ec.europa.eu/european-breast-cancer-guidelines/dense- breast, Stand: 29.10.2021, Abruf am 11.02.2022). Die USPSTF folgert in ihren Empfehlungen von 2016, dass die derzeitige Evidenz nicht ausreichend ist, um Nutzen und Risiken für ein ergänzendes Untersuchungsverfahren, darunter auch DBT, für Frauen mit einer dichten Brust nach einer negativen DM abzuwägen (https://uspreventiveservicestaskforce.org/uspstf/draft- update-summary/breast-cancer-screening1, Stand: 29.04.2021, Abruf am 11.02.2022). Die Empfehlung ist in Überarbeitung. Es existieren mehrere systematische Reviews teils mit Meta-Analysen, welche die DBT mit unterschiedlichen Untersuchungsmethoden insbesondere hinsichtlich diagnostischer Genauigkeit vergleichen (z. B. Alabousi et al. 2021, Giampietro et al. 2020, Houssami et al. 2021, Heywang-Köbrunner et al. 2022). Der systematische Review von Alabousi et al. von 2021 stützt sich auf 32 Studien vorwiegend aus den USA und Europa und vergleicht die DM, die Kombination von DBT und DM, die Kombination von DBT und s2D sowie die DBT alleine bezogen auf die Zielparameter Detektionsrate von Brustkrebs, invasive Detektionsrate von Brustkrebs, Wiedereinbestellungsrate und positiv prädiktiver Wert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Kombination von DBT und s2D oder die Kombination von DBT und DM statistisch signifikant höhere Brustkrebsdetektionsraten, invasive Brustkrebsdetektionsraten und positive prädiktive Werte aufweisen im Vergleich zur DM alleine. Die Kombination von DBT und s2D reduziert die Wiedereinbestellungsrate bzgl. zusätzlicher Bildgebung und Biopsien. Die Untersuchung ausschließlich mit DBT bietet keinen zusätzlichen Nutzen im Vergleich zur DM alleine hinsichtlich der vier untersuchten Zielparameter. Die Verwendung von kombinierter DBT und s2D kommt zu vergleichbar verbesserten Detektionsraten bei Reduzierung der Wiedereinbestellungsrate, der Strahlendosis und der Gesamtkosten des Gesundheitssystems. Zusammenfassend kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die DM durch die Kombination von DBT und s2D ersetzt werden sollte. Giampietro et al. (2020) analysieren die gleichen Untersuchungsmethoden miteinander wie Alabousi et al (2021) und schlussfolgern aus ihren Berechnungen basierend auf 18 Studien, die Frauen ab 40 Jahren ein- schließen, dass die DBT im Vergleich zur DM weder die Wiedereinbestellungsrate noch die Raten falsch positiver oder falsch negativer reduziert. Sie schränken jedoch ein, dass die Evidenz aufgrund der Heterogenität als niedrig bewertet wird. Sie konnten hingegen feststellen, dass die DBT die Detektionsraten von Brustkrebs insgesamt und invasivem Brustkrebs im Vergleich zur DM erhöht. Houssami et al. (2021) vergleichen DBT mit DM und legen den Fokus ihrer Analyse auf die Brustkrebsdetektionsrate sowie auf die Rate von Intervallkarzinomen. Die Meta-Analyse von fünf prospektiven Studien zeigt, dass die DBT die Detektionsrate im Vergleich zur DM signifikant erhöht. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass ein Screening mit DBT keinen messbaren Einfluss auf die Raten der Intervallkarzinome hat. Der systematische Review von Heywang-Köbrunner et al. (2022), welcher das jüngste Suchdatum aufweist, beschränkt sich auf den Vergleich von DBT plus s2D versus DM und schließt keine neuen Publikationen in die Meta-Analyse ein, welche nicht auch schon von Alabousi et al. (2021), Giampietro et al. (2020) oder Houssami et al. (2021) hätten eingeschlossen werden können. Die Meta-Analyse zeigt, dass DBT plus s2D im Vergleich zur DM mit einer höheren Brustkrebsdetektionsrate sowie einer niedrigeren Wiedereinbestellungsrate verbunden ist. Bzgl. Biospieraten konnten keine Unterschiede festgestellt werden. Einzelstudien vergleichen DBT und DM differenziert nach Brustdichte und Alter der Teilnehmerinnen (z. B. Lowry et al. 2020, Contant et al. 2019). 3
Anlage 2 Lowry et al. (2020) stellen bei den Screeninguntersuchungen von Frauen zwischen 40 und 79 Jahren fest, dass die Verbesserung von Wiedereinbestellungsraten und Detektionsraten bei der Untersuchung mittels DBT im Vergleich zu den anderen Untersuchungsverfahren bei der Baseline-Untersuchung am größten war. Bei weiteren Screening-Runden variierte der Nutzen der DBT mit dem Alter und der Brustdichte. Hier zeigte sich, dass Frauen mit extrem dichtem Brustgewebe nicht in Form einer niedrigeren Wiedereinbestellungsrate oder höheren Detektionsrate profitierten. Contant et al. (2019) werteten Kohorten-Daten aus, welche bei Früherkennungsuntersuchungen von Frauen zwischen 40 und 74 Jahren erhoben wurden. Es zeigte sich, dass Untersuchungen mittels DBT mit einer höheren Detektion von kleineren, nodal-negativen, HER2-negativen, invasiven Krebsarten verbunden war im Vergleich zur DM. Die Untersuchungen mit DBT waren im Vergleich zur DM für alle Altersgruppen unabhängig von der Brustdichte ebenfalls mit einer niedrigeren Wiedereinbestellungsrate und einer höheren Detektionsrate verbunden. Die größte Zunahme der Detektionsrate und die größte Verschiebung zu kleinen, nodal-negativen invasiven Krebsarten lies sich für mittels DBT untersuchte Frauen von 40- 49 Jahren nachweisen (unabhängig von der Brustdichte). Die Ergebnisse zeigen, dass ein Screening mittels DBT im Vergleich zur DM mit einer höheren Spezifität und einem höheren Anteil von Brustkrebs mit guter Prognose einhergeht. Der aktuellste systematische Review (Heywang-Köbrunner et al. 2022) zum Vergleich von DBT plus s2D versus DM berichtet Ergebnisse u. a. stratifiziert nach Brustdichte. Es zeigt sich eine statistisch signifikant höhere Zunahme der Detektionsrate von Brustkrebs bei Frauen mit dichtem versus nicht-dichtem Brustgewebe bei der Verwendung von DBT plus s2D im Vergleich zu DM alleine. Generell resultiert aus der Verwendung von DBT plus s2D im Vergleich zu DM alleine eine statistisch signifikant niedrigere Wiedereinbestellungsrate, diese ist bei Frauen mit nicht -dichtem Brustgewebe im Vergleich zu dichtem Brustgewebe deutlicher ausgeprägt. Heindel et al. (2022) untersuchen in der deutschen randomisierten ToSyMa-Studie die Detektionsrate und Intervallkarzinomrate von invasivem Brustkrebs bei fast 100.000 für das deutsche Mammographie- Screening-Programm anspruchsberechtigten Frauen (50-69 Jahre). Die Ergebnisse dieser Studie belegen, dass die Detektionsrate von invasivem Brustkrebs für DBT plus s2D im Vergleich zu DM signifikant höher ist. Neben etlichen Studien zur diagnostischen Güte der DBT im Vergleich zur DM (z. B. ToSyMa, siehe oben; RETomo in Italien (Pattacini et al. 2022))) ist nur eine laufende, randomisierte Studie bekannt, welche die DBT auch hinsichtlich der Brustkrebsmortalität untersucht (TMIST in USA). In der Tomosynthesis Mammographic Imaging Screening Trial (TMIST) sollen mehr als 160.000 Teilnehmerinnen eingeschlossen werden und entweder mit DBT oder DM jährlich (bei Frauen vor der Menopause; baseline plus vier Screening-Runden) oder 2-jährlich (bei Frauen nach der Menopause; baseline plus zwei Screening-Runden) untersucht werden. Die Studie soll 2030 abgeschlossen sein. Eine Studie in einer Region in Spanien untersucht die Brustkrebsmortalität acht Jahre nach einer Umstrukturierung des exisitierenden Mammographie-Screnning-Programms mit Einführung der DBT (Castellano et al. 2021). Die Autoren zeigen, dass die Brustkrebsmortalität im Vergleich zur umliegenden Vergleichsregion ohne DBT abnimmt. 5 Zusammenfassende Bewertung Bei Brustkrebs handelt es sich um eine häufige und schwere Erkrankung, deren Prognose sich durch frühere Therapie deutlich verbessern lässt. Die digitale Brusttomosynthese ist ein Untersuchungsverfahren, 4
Anlage 2 welches sich zur Detektion von Brustkrebsfrühstadien eignet, allerdings fehlen bisher Ergebnisse aussagekräftiger Studien zur Reduktion der Brustkrebsmortalität. Bezogen auf die Kriterien gemäß Kapitel 3.1 StrlSchGVwV-Früherkennung ergibt sich folgendes Bild: Kriterium Schwere Hohe Frühstadium Effektive Klare Zielgruppe Anerkanntes Krankheit Prävalenz erkennbar Therapie Verfahren Bewertung Ja Ja Ja Ja Ja Ja Begründung Führende Häufigste Mikrokalk oder Therapeu- Frauen, welche Etabliertes Krebs- Krebser- Veränderungen tische die Einschluss- Verfahren in todesur- krankung der Gewebs- Vorteile kriterien für das der sache bei bei Frauen architektur durch deutsche Abklärungs- Frauen Operation Mammographie- diagnostik früher Screening- Stadien Progrmm erfüllen Die digitale Tomosynthese zur Brustkrebsfrüherkennung stellt sich als potentielle Kandidatin für eine ausführliche Begutachtung gemäß Punkt 3.2 StrlSchGVwV-Früherkennung dar. Jedoch ist die Evidenzlage noch ungenügend und stützt sich vorwiegend auf Studien, welche die Detektionsraten von digitaler Brusttomosynthese mit digitaler Bursttomosynthese und synthetischer Mammographie oder digitaler Mammographie vergleicht. Eine randomisierte kontrollierte Studie zur Mortalitätsreduktion ist initiiert, die Ergebnisse stehen allerdings noch aus. Das Verfahren sollte bei der ausführlichen Begutachtung zunächst zurückgestellt werden. 5
Anlage 2 Literatur Alaboussi M, Wadera A, Al-Ghita MK et al. (2021) Performance of Digital Breast Tomosynthesis, Synthetic Mammography, and Digital Mammography in Breast Cancer Screening: A Systematic Review and Meta- Analysis. J Nat Cancer Inst 113(6): 680-690. doi: 10.1093/jnci/djaa205 Bertrand KA, Tamimi RM, Scott CG et al. (2013) Mammographic density and risk of breast cancer by age and tumor characteristics. Breast Cancer Res. 15(6): R104. doi: 10.1186/bcr3570 Cristina Romero Castellano CR, Angulo PMA, Hernández JC (2021 Breast cancer mortality after eight years of an improved screening program using digital breast tomosynthesis. J Med Screen 28(4): 456–463. doi: 10.1177/09691413211002556 Contant EF, Barlow WE, Herschorn SD et al. (2019) Association of Digital Breast Tomosynthesis vs Digital Mammography With Cancer Detection and Recall Rates by Age and Breast Density. JAMA Oncol 5(5): 635- 642. doi: 10.1001/jamaoncol.2018.7078 Giampietro RR, Cabral MVG, Lima SAM et al. (2020) Accuracy and Effectiveness of Mammography versus Mammography and Tomosynthesis for Population-Based Breast Cancer Screening: A Systematic Review and Meta-Analysis. Sci Rep 10, 7991. https://doi.org/10.1038/s41598-020-64802-x Heindel W, Weigel S, Gerß J et al. (2022): Digital breast tomosynthesis plus synthesised mammography versus digital screening mammography for the detection of invasive breast cancer (TOSYMA): a multicentre, open-label, randomised, controlled, superiority trial. Lancet Oncol 23(5): 601-611. doi: 10.1016/S1470-2045(22)00194-2 Heywang-Köbrunner SH, Jänsch A, Hacker A et al. (2022): Digital breast tomosynthesis (DBT) plus synthesised two-dimensional mammography (s2D) in breast cancer screening is associated with higher cancer detection and lower recalls compared to digital mammography (DM) alone: results of a systematic review and meta-analysis. Eur Radiol 32(4): 2301-2312. doi: 10.1007/s00330-021-08308-8 Houssami N, Hofvind S, Soerensen AL et al. (2021) Interval breast cancer rates for digital breast tomosyn- thesis versus digital mammography population screening: An individual participant data meta-analysis. EClinicalMedicine 34: 100804. doi: 10.1016/j.eclinm.2021.100804 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms, Version 4.4, 2021, AWMF Registernummer: 032-045OL, http://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/mammakarzinom/ (Abruf am 11.02.2022) Lowry KP, Coley RY, Miglioretti DL et al. (2020) Screening Performance of Digital Breast Tomosynthesis vs Digital Mammography in Community Practice by Patient Age, Screening Round, and Breast Density. JAMA Netw Open 3(7): e2011792. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2020.11792 Nguyen TL, Li S, Dite GS et al. (2020) Interval breast cancer risk associations with breast density, family history and breast tissue aging. Int J Cancer 15; 147(2): 375–382. doi: 10.1002/ijc.32731 Pattacini P, Nitrosi A, Rossi PG et al. (2022) A Randomized Trial Comparing Breast Cancer Incidence and Interval Cancers after Tomosynthesis Plus Mammography versus Mammography Alone. Radiology 303: 256-266. doi: 10.1148/radiol.211132 Robert Koch-Institut (RKI) (2021) Krebs in Deutschland für 2017/2018. 13. Ausgabe. Hrsg. Robert Koch- Institut und Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V.. doi: 10.25646/8353 Sprague BL, Gangnon RE, Burt V et al. (2014) Prevalence of Mammographically Dense Breasts in the United States. J Nat Cancer Inst 106(10): dju255. doi: 10.1093/jnci/dju255 6
Anlage 2 Weigel S, Heindel W, Dietz C et al. (2020) Stratification of Breast Cancer Risk in Terms of the Influence of Age and Mammographic density. Fortschr Röntgenstr 192: 678–685. doi: https://doi.org/10.1055/a-1100- 0016 7
Anlage 3 zur Vorprüfung 2022 Virtuelle Koloskopie zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms 1 Gesundheitsproblem Darmkrebs wächst über Jahre sehr langsam und unbemerkt und ist somit eine Erkrankung, die häufig lange symptomlos bleibt. Treten Beschwerden auf, ist die Krankheit meist bereits fortgeschritten. Mögliche Symptome sind Blutungen und Stuhlverhalt, wenn der Tumor das Darmlumen einengt. Prinzipiell umfasst Darmkrebs alle malignen Tumoren des Darms, häufig werden hierunter jedoch nur die Tumoren im Dick- und Enddarm verstanden (kolorektales Karzinom). Meist entwickelt sich ein kolorektales Karzinom aus gutartigen Vorstufen, den sogenannten Adenomen (Duarte et al. 2018), welche aus Drüsenzellen der Schleimhaut bestehen und häufig Polypen bilden. Diese können in der Regel im Rahmen einer Darmspiegelung (reale Koloskopie) identifiziert und gegebenenfalls entfernt werden. Laut Robert-Koch-Institut (RKI 2021) betrifft etwa jede achte Krebserkrankung in Deutschland den Dickdarm bzw. den Mastdarm. Im Jahr 2018 erkrankten 33.920 Männer und 26.710 Frauen neu an einem kolorektalen Karzinom (ICD-10 C18-C20). Im Laufe des Lebens erkrankt einer von 15 Männern und eine von 19 Frauen an Darmkrebs. Ab einem Alter von 50 Jahren steigt die Inzidenz deutlich an (Birkner 2003), nur etwa 10 % der Krebserkrankungen tritt vor dem 55. Lebensjahr auf. Dem entspricht das vergleichsweise hohe mittlere Erkrankungsalter von im Median 72 Jahren (Männer) bzw. 75 Jahren (Frauen) (RKI 2021). Im Jahr 2018 starben 13.240 Männer und11.008 Frauen an Darmkrebs, das mittlere Sterbealter lag bei 76 bzw. 80 Jahren (RKI 2021). Gemessen an den absoluten Überlebensraten lebt fünf Jahre nach Diagnosestellung noch etwa die Hälfte der Erkrankten (RKI 2021). Seit 2002 werden in Deutschland Maßnahmen zur Vorsorge und Früherkennung von Darmkrebs angeboten. Die Analyse zeitlicher Trends in den ersten 10 Jahren nach der Einführung zeigt einen Rückgang von Inzidenz und Mortalität (Brenner et al. 2016). Von den Autoren wird diskutiert, dass dieser Rückgang zumindest zum Teil hierdurch bedingt sein könnte. Außerdem zeigt sich ein deutlicher Anstieg von bereits im in-situ Stadium diagnostizierten, also noch auf die oberste Schleimhautschicht begrenzten, Darmtumoren (RKI 2016). 2 Früherkennung und Diagnostik der Erkrankung Da sich Darmkrebs in der Regel aus langsam wachsenden Adenomen entwickelt, ist er eine der wenigen Tumorerkrankungen, die sich durch ein erfolgreiches Screening fast vollständig verhindern oder heilen ließe (Bundesgesundheitsministerium 2018). Hierzu eignet sich die reale Koloskopie, welche nicht nur eine frühe Erkennung ermöglicht und die Möglichkeit der Biopsieentnahme zur histologischen Diagnostik bietet, sondern auch die Entstehung von Darmkrebs durch Entfernung der Polypen unterbinden kann (Winawer et al. 1993, Citarda et al. 2001). Die reale Koloskopie gilt somit als Goldstandard in der Kolondiagnostik. Von der realen Koloskopie zu unterscheiden ist die virtuelle Koloskopie mittels Computertomographie (CT), auch CT-Kolonographie (CTC) genannt. Sie ist in der Heilkunde ein etabliertes Verfahren. Hierbei wird mit speziellen Bildverarbeitungsprogrammen aus einem CT-Datensatz eine dreidimensionale Darstellung der inneren Darmoberfläche errechnet, die eine Beurteilung ähnlich der realen Koloskopie ermöglicht. Das Leitlinienprogramm Onkologie (2017) empfiehlt, „Patienten, bei denen eine Koloskopie aus technischen Gründen nur inkomplett durchgeführt werden konnte, […eine] CTC als Alternative zur Beurteilung des restlichen Kolons [anzubieten]“. Sowohl bei der realen als auch der virtuellen Koloskopie ist es notwendig, eine Darmreinigung beispielsweise mittels Trinklösung und eingeschränkter Nahrungsaufnahme durchzuführen.
Anlage 3 Vorteile CTC Nachteile CTC gering invasiv gegenüber realer Koloskopie Exposition gegenüber ionisierender Strahlung (da ohne Sedierung und ohne Koloskop) (mit low-dose-Technik ca. 0,8-1,6 Millisievert effektive Dosis) kein Risiko für Verletzungen bzw. Blutungen keine zuverlässige Unterscheidung durch Koloskop verschiedener Darmwandschichten keine Sichtbehinderung durch massive Detektion flacher, eingesunkener und kleiner Elongation, Knickbildung oder eingeschränkte (< 10 mm) Polypen schwierig Kooperationsbereitschaft kurze Untersuchungszeit keine sichere Differenzierung zwischen T1- und T2-Tumoren sowie T2- und T3-Tumoren Sicht auf Darmschleimhaut aus verschiedenen keine Erkennung entzündlicher Blickwinkeln möglich und in tieferen Schichten Veränderungen der Darmwand genaue Lokalisation von Läsionen bei suspekten Befunden zusätzliche, reale Koloskopie zur Biopsiegewinnung und/oder Zweitbefundung jederzeit möglich therapeutischen Intervention notwendig 3 Therapeutische Intervention im Frühstadium Da dem Darmkrebs in der Regel langsam wachsende Vorstufen (Adenome) vorausgehen, ist es das Ziel der Früherkennung, diese zu erkennen und zu entfernen. Hierzu eignet sich die reale Koloskopie. Durch die Abtragung von Polypen bzw. Adenomen während der Koloskopie kann die Entstehung von Karzinomen effektiv verhindert (Unterbrechung der sogenannten Adenom-Karzinom-Sequenz) (Winawer et al. 1993, Citarda et al. 2001) und die Darmkrebs-Mortalität gesenkt werden (Zauber et al. 2012). 4 Aktuelle Studien und existierende wissenschaftliche Bewertungen Randomisierte kontrollierte Studien (RCT) zum Screening von kolorektalem Karzinom mittels CTC mit Endpunkt Mortalitätsreduktion wurden bisher nicht initiiert. RCT zum Screening mittels realer Koloskopie werden derzeit durchgeführt; deren Ergebnisse stehen weiterhin aus (z. B. SCREESCO, CONFIRM, COLONPREV, NordICCin). RCT zum Screening mittels Sigmoidoskopie (Darstellung nur des unteren Teils des Dickdarms) konnten eine Mortalitäsreduktion zeigen (PLCO, Flexible Sigmoidoscopy Study, NORCCAP). Da eine reale Koloskopie den Darmabschnitt einer Sigmoidoskopie per Definition mit einschließt, gehen Lauby- Secretan et al. (2018) davon aus, dass eine reale Koloskopie zumindest genauso effektiv ist - bezogen auf die Detektion von fortgeschrittenen Adenomen und kolorektalen Karzinomen - wie die Sigmoidoskopie. Ein weiterer wichtiger Outcome-Parameter für die Koloskopie als Früherkennungsmaßnahme ist die Detektionsrate von Adenomen (Corley et al. 2014, Kaminski et al. 2010). In einer systematischen Übersichtsarbeit, basierend auf vier Veröffentlichungen (Johnson et al. 2007, Johnson et al. 2008, Pickhardt et al. 2003, Zalis et al. 2012), wurden diesbezüglich virtuelle und reale Koloskopie verglichen (Lin et al. 2016). Diese deutet auf eine hohe Übereinstimmung für Polypen ab 6 mm hin, kleinere Polypen wurden in dieser Analyse nicht einbezogen. Bezogen auf flache Läsionen kleiner als 6 mm weisen andere Studien auf eine höhere Detektionsrate der realen Koloskopie hin (Sakamoto et al. 2012). Duarte et al. (2018) haben drei randomisierte, klinische Studien zum Vergleich von realer und virtueller Koloskopie bei der Früherkennung des kolorektalen Karzinoms bei Personen ab 50 Jahren einer Meta- 2
Anlage 3 Analyse unterzogen (Sali et al. 2015, Scott et al. 2004, Stoop et al. 2012). Die Ergebnisse von Duarte et al. deuten darauf hin, dass die CTC der realen Koloskopie bezüglich der Detektionsrate von fortgeschrittenen kolorektalen Adenomen mit einer Größe von mehr als 9 mm unterlegen ist. Zusammenfassend weisen die Autoren darauf hin, dass die reale Koloskopie der Goldstandard bleiben sollte, die CTC dennoch eine Option für das Screening von kolorektalem Karzinom in asymptomatischen Personen darstellt, insbesondere für solche Personen, bei denen es nicht möglich ist, eine reale Koloskopie durchzuführen, oder die eine solche ablehnen. Die Analyse der Teilnahmeraten bei Duarte et al. (2018) zeigt, dass die CTC besser akzeptiert wird als die reale Koloskopie. Die Meta-Analyse von Zhu et al. (2020), welche diese drei und zwei weitere Publikationen (Forbes et al. 2006, You et al. 2015) eingeschlossen hat, bestätigt die Ergebnisse hinsichtlich der Teilnahmeraten von Duarte et al. (2018). Bei der CTC ist zudem unklar, ab welcher Polypengröße eine reale Koloskopie durchgeführt und in welchem Intervall Patienten mit unauffälligem Befund oder kleineren Polypen kontrolliert werden sollten (Pox und Schmiegel 2010). Die US Preventive Services Task Force (USPSTF) empfiehlt ein Intervall für die Durchführung einer CTC von 5 Jahren (USPSTF 2021). Ende 2018 ist die Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme in Kraft getreten. Diese überführt das bisherige Angebot zur individuellen Früherkennung von Darmkrebs in ein organisiertes Früherkennungsprogramm und orientiert sich an der im Jahr 2010 veröffentlichten „Europäischen Leitlinien für die Qualitätssicherung des Darmkrebs-Screenings". Gesetzlich Krankenversicherte ab dem Alter von 50 bis 65 Jahren erhalten seit Juli 2019 alle 5 Jahre von ihrer Krankenkasse eine persönliche Einladung zur Teilnahme an der Darmkrebsfrüherkennung. Diese enthält eine ausführliche Patienteninformation zum Test auf nicht sichtbares Blut im Stuhl und zur Darmspiegelung. Nach einer Pressemitteilung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) hat „die Anzahl der vertragsärztlichen Untersuchungen zur Früherkennungskoloskopie im Rahmen der Darmkrebsvorsorge […] 2019 [im Vergleich zu 2018] stark zugenommen“ (https://www.zi.de/presse/presseinformationen/10-juli-2020, Abruf am 30.06.2021). Der relative Zuwachs von 14,4 Prozent ist die deutlichste Steigerung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Jahren seit Einführung dieser Krebsfrüherkennungsmaßnahme im Jahr 2004. „Die besonders starke Zunahme im dritten und vierten Quartal, in denen die Zuwachsquoten bei 24,3 Prozent bzw. 19,9 Prozent lagen, deutet darauf hin, dass das Einladungsverfahren hier eine zentrale Rolle spielt.“ (https://www.zi.de/presse/presseinformationen/10-juli-2020, Abruf am 30.06.2021). In der G-BA-Richtlinie wird die CTC nicht erwähnt, auch nicht als alternative Untersuchungsmethode. Für Deutschland finden sich weitere Empfehlungen zu Früherkennung, Diagnostik und Therapie des kolorektalen Karzinoms in der gleichnamigen S3-Leitlinie (Leitlinienprogramm Onkologie 2019). Hier wird die folgende Empfehlung als Soll-Empfehlungsgrad auf der begrenzten Evidenzbasis von Fall-Kontroll- Studien ausgesprochen: „Die CT-Kolonographie … sollte[n] nicht für die Darmkrebs-…Früherkennung in der asymptomatischen Bevölkerung eingesetzt werden. Bei inkompletter Koloskopie (z. B. Adhäsionen) und fortbestehendem Wunsch des Patienten auf komplette Kolonbeurteilung sollte eine CT- … Kolonographie erfolgen.“ Dagegen existieren außerhalb Europas aktuelle Empfehlungen der USPSTF aus dem Jahr 2021, von der die CTC alle 5 Jahre als mögliche Option für das Darmkrebs-Screening für Personen von 50-75 Jahren aufgeführt wird (Empfehlungsgrad A), allerdings werden die Strahlenrisiken in die Bewertung nicht mit einbezogen. Der Nachweis der Wirksamkeit der CTC bezieht sich dabei auf Studien zu Testcharakteristika. Die International Agency for Research on Cancer (IARC) schlussfolgert in ihrem Handbuch zum Darmkrebs- Screening mittels CTC, dass die existierende Evidenz ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zugunsten der CTC aufweist. Als Nutzen der CTC führt die IARC die hohe Sensitivität für fortgeschrittene Adenome und Krebs sowie die Möglichkeit der Identifikation von Zufallsbefunden außerhalb des Darms auf. Zu den 3
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