Besser spät als nie - Schnieper Architekten

 
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Besser spät als nie - Schnieper Architekten
Besser spät
                              als nie
Bei der Elektromobilität fährt die deutsche Automobilindustrie
Tesla hinterher. Woran liegt das?
Und: Wann ist der richtige Zeitpunkt für traditionelle
Hersteller umzustellen?

Eine Analyse.

Text: Thomas Ramge

• Im September 1993 macht bei der Internatio-           Vier Jahre später, im Herbst 1997, ist die Vi-
nalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt am         sion zur Mercedes-Benz A-Klasse gereift. Der
Main ein Konzeptfahrzeug von Daimler-Benz           Konzern begleitet die Markteinführung mit viel
auf sich aufmerksam. Es hat den Namen A93           Werbung. Die Fachpresse reagiert mit wohlwol-
und scheint auf den ersten Blick so gar nicht zur   lender Neugier. Mercedes mal ganz anders. Doch
Marke mit dem Stern zu passen. Die Besucher         als schwedische Autojournalisten den kleinen
wundern sich über das ungewöhnlich kleine und       Wagen einem Test unterziehen, kippt er bei
ungewöhnlich hohe Fahrzeug neben den Luxus-         einem abrupten Spurwechsel bei Tempo 60 um.
Limousinen, Familienkombis und Sportwagen,          Beim Elchtest durchgefallen: Was für eine Bla-
die man von Mercedes kennt.                         mage! Alle Welt macht sich lustig über die
    Dieses Konzeptfahrzeug hat keine übliche        selbstbewussten Entwickler aus Stuttgart. Die
Motorhaube, sondern eine seltsam kurze, schrä-      lösen daraufhin das Problem mit Stabilisatoren
ge Front, darunter einen kleinen Motor. Front-      im Fahrwerk und einem teuren, damals nur in
antrieb gab es bei Daimler-Benz noch nie. Den       der Luxusklasse verbreiteten Sicherheitssystem.
Grund dafür, dass man viel höher sitzen soll als    Doch im kollektiven Gedächtnis bleibt die A-
sonst, begründet der Konzern so: „Das liegt an      Klasse mit der Panne verhaftet. Der innovative
der neuen Sandwich-Bauweise der Bodengrup-          Sandwich-Boden gerät in den Hintergrund.
pe.“ Unter dem Innenraum des Fahrzeugs befin-           „Das war eigentlich jammerschade“, sagt
det sich eine Art doppelter Boden. Bei einem        der ehemalige Automanager Herbert Demel im
Unfall würde der Motor von der Fahrzeugfront        Rückblick. Demel hatte in den Neunzigerjahren
nach hinten unter den Fahrgastraum gleiten, das     leitende Funktionen beim Volkswagen-Konzern
soll das Auto sicherer machen. Zudem wäre in        inne, war unter anderem Vorstandsvorsitzender
dem doppelten Boden genug Platz für große Bat-      von Audi. Seine Meinung: „Die A-Klasse war
terien oder Wasserstofftanks, damit die Vision A    ein sehr gut entwickeltes Fahrzeug, auch mit
auch zum Elektroauto oder zum Brennstoffzel-        der Option für Elektro. Sie kam wie der A2 von
len-Fahrzeug werden könnte.                         Audi aber leider 15 Jahre zu früh.“             >

52                                                                                                       brand eins 04/21
Besser spät als nie - Schnieper Architekten
140 Jahre Elektromobilität

                                                                                                               1881
                                                                                                               Gustave Trouvé baut in Paris ein dreirädriges Fahrrad
                                                                                                               zum ersten Elektrofahrzeug um. Reichweite: 14 bis 26 Kilometer.

                                                                                                               1882
                                                                                                               Werner von Siemens konstruiert den elektrischen
                                                                                     1882                      Kutschenwagen namens Elektromote.

                                                                                                               1890
                                                                                                               Das erste amerikanische Elektrofahrzeug kommt auf den Markt –
                                                                                                               wieder ein Dreirad, aber mit immerhin 48 Kilometern Reichweite.

                                                                                                        1881   Um 1900
                                                                                                               Rund 34 000 E-Fahrzeuge fahren auf amerikanischen Straßen.
                                                                                                               Sie haben knapp 40 Prozent Marktanteil, Benziner nur rund
                                                                                                               20 Prozent. Die restlichen Autos fahren mit Dampfkraft. Das ändert
                                                                                                               sich in den Folgejahren.

                                                                                                               1912
                                                                                                               Die Zahl der E-Autos erreicht ihren Höhepunkt, aber der Markt-
                                                                                                               anteil sinkt bereits. Allein Ford baut schon mehr benzinbetriebene
                                                                                                               Autos als alle Elektroauto-Hersteller zusammen E-Fahrzeuge
                                                                                                               produzieren.
                                                                                             1956
Fotos: © AUDI AG, mauritius images / BNA Photographic /Alamy,

                                                                                                               1956
                                                                                                               Die Auto Union, der erste deutsche staatliche Autokonzern, stattet
                                                                                                               seinen DKW-Schnelllaster mit Elektromotor aus. Er kommt unter
                                                                                                               anderem auf ostfriesischen Inseln zum Einsatz, wo Verbrenner bis
                                                                                                               heute nur sehr eingeschränkt erlaubt sind.
BMW via Auto Bild, picture-alliance / dpa

                                                                                                               1974
                                                                                                               In Amsterdam startet ein Car-Sharing-Projekt mit dreirädrigen
                                                                                                               Elektroautos für zwei Personen, die 30 Stundenkilometer
                                                                                                               fahren und binnen sieben Minuten aufgeladen werden können.
                                                                                                       1974

                                                                                                               1991
                                                                                                               BMW konzipiert einen Prototyp des Kleinwagens „E1“ (Abb. 1)
                                                                                                               mit rund 200 Kilometern Reichweite. Er kommt nie auf den Markt.

                                                                                                               Ab 1991
                                                                                                               entwickelt Daimler-Benz den Prototyp der späteren A-Klasse
                                                                                                               (Abb. 2) auch mit Elektroantrieb.
                                                                                                    1991 (1)

1991
                                                                (2)brand eins 04/21 TIMING                                                                                       53
Besser spät als nie - Schnieper Architekten
Zu früh?                              für E-Autos kamen weder in Kalifornien noch
                                                     sonstwo in den USA, sondern erst sehr viel spä-
                                                                                                         Es gibt keinen
                                                     ter in China. Mit den gesetzlichen Anforderun-      guten Zeit-
Die Elchtest-Panne warf auch ein Licht auf die       gen in Europa – die die Autoindustrie durch         punkt für ein
zögerliche Haltung der deutschen Automobil-          Lobbying selbst beeinflusste – kamen die Kon-
                                                                                                         etabliertes
industrie beim Thema E-Mobilität. Denn die           zerne gut klar. Es reichte aus, die Effizienz der
schwedischen Autotester waren mit einem klas-        Motoren und der Abgasreinigung schrittweise         Unternehmen,
sischen Benzin-Modell umgefallen, mit Luft im        zu verbessern. Warum und wann hätte ein klas-       um auf eine
Unterboden. Daimler-Benz hatte von dem Fahr-         sischer Hersteller also den eigenen Erfolgspfad
zeug aber auch eine Elektro-Variante serienreif      verlassen sollen, um im großen Stil auf Elektro-
                                                                                                         radikal neue
entwickelt und in kleiner Stückzahl produziert       mobilität zu setzen?                                Technologie
– mit für Elektroautos jener Zeit herausragenden         Der Harvard-Ökonom Clayton Christensen          zu setzen.
Fahreigenschaften. Angetrieben wurde der E-          fände hier ein Musterbeispiel für sein berühmtes
Motor von einer von AEG entwickelten Batterie        Innovatoren-Dilemma. Das besagt: Es gibt für
mit einer Reichweite von 200 Kilometern, die         ein etabliertes Unternehmen keinen guten Zeit-
sukzessive hätte erweitert werden sollen. Wichti-    punkt, um auf eine radikal neue Technologie
ger jedoch: Mit den schweren Batterien im Unter-     zu setzen. Das Risiko zu scheitern können nur
boden hätte die A-Klasse den Elchtest mit Bra-       Gründer eingehen.
vour bestanden. Nur fand der E-Test eben nicht           Rund zehn Jahre nach dem Elchtest machte
statt. War Daimler-Benz seiner Zeit schlicht viel    der Paypal-Gründer Elon Musk mit dem ersten
zu weit voraus? Hatte die E-Mobilität damals kei-    Tesla-Modell Roadster weltweit auf sich auf-
ne Chance, oder hat der Konzern sie nur nicht        merksam. Von 2008 bis 2012 verkaufte er davon
konsequent vorangetrieben?                           zwar nur 2500 Stück. Im Unterschied zu Daim-
    Niemand kann wissen, was passiert wäre,          ler setzte er jedoch konsequent auf Elektroautos,
wenn der Autokonzern um die Jahrtausendwende         mit dem Model S auch im Luxussegment. Tesla
große Elektro-Ambitionen entwickelt und Audi         ging mehrfach fast pleite, rettete sich auch dank
umgehend nachgezogen hätte. Der kleine, 1999         staatlicher Kredite und trug schließlich zu jenem
eingeführte Audi A2 hatte eine ganz ähnliche         technischen und regulatorischen Paradigmen-
Architektur wie die A-Klasse, mit Option für         wechsel bei, dem sich heute keiner der etablier-
Batterien und Wasserstoffantrieb.                    ten Hersteller entziehen kann: „Es geht nun
    Die strategischen Überlegungen beschreibt        nicht mehr darum, ob sie in Elektroautos inves-
Herbert Demel, der in seiner langen Karriere         tieren, sondern nur noch wann und mit welcher
auch noch für Fiat und Magna im Topmanage-           Geschwindigkeit, welche weiteren technischen
ment wirkte (siehe auch brand eins 01/2017:          Optionen sie sich noch offenhalten wollen und
„Lasst uns Pferde stehlen“) * und heute als Ho-      wie viel sie in diese investieren“, sagt Demel.
norarprofessor an der Technischen Universität        Heute gehört Daimler eher zu den Späten unter
Wien lehrt, rückblickend so: Mit der A-Klasse        den Spätzündern.
und dem A2 wollten Daimler und Audi auf
der sicheren Seite sein, falls die Nachfrage nach
alternativen, umweltfreundlichen Antrieben                      Abgehängt?
schnell steigen sollte – zum Beispiel durch recht-
liche Vorgaben auf dem wichtigen Automarkt           Im Februar dieses Jahres untersuchte eine Studie
Kalifornien. Dort war damals schon eine ver-         des Center of Automotive Management (CAM)
pflichtende E-Auto-Quote für Automobilher-           die Anbieter von Elektrofahrzeugen, traditionelle
steller im Gespräch.                                 Hersteller ebenso wie Start-ups, auf ihre Innova-
    Beim Schach nennt man das Lavieren: Es           tionsstärke bei sogenannten BEVs – batterie-
geht darum, sich Optionen offenzuhalten, Zeit        elektrischen Fahrzeugen. Bewertet wurden dabei
verstreichen zu lassen, den Gegner zu beobach-       die Fortschritte bei Reichweite, Ladegeschwin-
ten, um auf Entwicklungen des Spiels reagieren       digkeit und sparsamem Verbrauch. Wenig über-
zu können. Gesetzlich vorgeschriebene Quoten         raschend führt Tesla die Rangfolge an. Er- >

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Besser spät als nie - Schnieper Architekten
1992
                                                                                                                                                                                                                  Volkswagen erprobt eine E-Version des „Golfs“. Der „Citystromer“
                                                                                                                                                                                                                  bleibt ein Versuchsfahrzeug in Kleinstserie, das man nicht kaufen
                                                                                                                                                                                                                  kann.

                                                                                                                                                                                                  1992

                                                                                                                                                                                                                  1993
                                                                                                                                                                                                                  Das handgefertigte erste Serien-E-Kleinfahrzeug „Hotzenblitz“
                                                                                                                                                                                                                  ist für Öko-Enthusiasten ab 32 000 D-Mark frei erhältlich.
Fotos (von oben): © ap / dpa / picture alliance / Süddeutsche Zeitung Photo, Sven Döring /Agentur Focus, dpa /AP Photo / Tsugufumi Matsumoto, picture-alliance / dpa,

                                                                                                                                                                                                                  Bis 1997
                                                                                                                                                                                                                  entwickelt Daimler-Benz die A-Klasse mit E-Motor bis zur Serien-
                                                                                                                                                                                                           1993   reife weiter. Das E-Auto wird aber nie massenhaft produziert.

                                                                                                                                                                                                                  1997
                                                                                                                                                                                                                  Toyota führt den „Prius“ als erstes Großserienmodell mit spar-
                                                                                                                                                                                                                  samem Hybridmotor ein. Bis heute verkauften die Japaner davon
mauritius images / ZUMA Press, Inc. /Alamy, Patrick T. Fallon / Bloomberg via Getty Images, picture alliance / Reuters

                                                                                                                                                                                                                  weltweit knapp vier Millionen Exemplare.

                                                                                                                                                                                                    1997          2007
                                                                                                                                                                                                                  Daimler testet in London eine elektrische „Smart“-Flotte
                                                                                                                                                                                                                  von 100 Fahrzeugen.

                                                                                                                                                                                                                  2008
                                                                                                                                                                                                                  Tesla stellt den „Roadster“ mit Lithium-Ionen-Akkus vor und
                                                                                                                                                                                                                  verkauft davon rund 2500 Exemplare.

                                                                                                                                                                                                           2008   2009
                                                                                                                                                                                                                  Daimler produziert rund 2000 „E-Smarts“ für seine Car2go-Flotte.

                                                                                                                                                                                                                  BMW bietet privaten Kunden „E-Minis“ zum Leasing an, vor allem
                                                                                                                                                                                                                  in Los Angeles, New York und London.

                                                                                                                                                                                                                  2010
                                                                                                                                                                                                                  Nissan startet mit dem „Leaf“, dem ersten Elektrogroßserien-
                                                                                                                                                                                                                  fahrzeug, das ausschließlich als E-Auto konzipiert wurde.
                                                                                                                                                                                                           2010

                                                                                                                                                                                                                  2012
                                                                                                                                                                                                                  Tesla bringt seine Erfolgs-Limousine „Model S“ auf den Markt
                                                                                                                                                                                                                  und baut ein eigenes Netz mit Schnellladestationen auf, die
                                                                                                                                                                                                                  sogenannten Supercharger.

                                                                                                                                                                                                                  Der E-Smart wird in Großserie gebaut.

                                                                                                                                                                              2012                         2012

                                                                                                                                                                        brand eins 04/21 TIMING                                                                                   55
Besser spät als nie - Schnieper Architekten
staunt könnte man hingegen darüber sein, wie          den letztmöglichen Zeitpunkt der Entscheidung
dicht Volkswagen den Kaliforniern auf den Fer-        zum Umstieg Gedanken machen.“ In einigen
sen ist. Der Konzern ist zwar spät in die Elektro-    Konzernen sollen Entwicklungsingenieure nach
mobilität eingestiegen und hat erst Ende 2019         wie vor der Überzeugung sein, dass batterie-elek-
beziehungsweise 2020 die ausschließlich für           trische Fahrzeuge technologisch nicht wirklich
Batterien entwickelten Modelle ID.3 und ID.4          sinnvoll sind. Doch auch sie werden nicht gegen
auf den Markt gebracht. Dabei wurde aber zu-          den Strom schwimmen können, wenn die Politik
gleich ein modularer E-Antrieb-Baukasten (MEB)        mithilfe von Gesetzen und Subventionen Elektro-
geschaffen, eine Art Plattform, auf der alle Mar-     autos für Kunden immer attraktiver macht.
ken des Konzerns – sowie Partner – rasch eigene           Politische Entscheidungen können Kipp-
Varianten entwickeln können.                          punkte in Märkten herbeiführen. Bezogen auf
    Die Idee dahinter: Durch mehr Volumen sol-        die Timing-Frage erhöht das für klassische
len die Entwicklungskosten pro Fahrzeug sinken,       Hersteller die Unsicherheit. Denn zumindest in
und die Innovationsgeschwindigkeit soll steigen.      Demokratien werden manchmal Gesetze verab-
Für die Volkswagen-Gruppe scheint dieses Prin-        schiedet, mit denen auch große Unternehmen
zip auch in der neuen Auto-Ära gut zu funktio-        trotz ihrer starken Lobby nicht rechnen kön-
nieren. Sie hat in Sachen Elektromobilität nicht      nen. Die Autokonzerne wähnten sich lange si-
nur Konkurrenten wie Renault, Hyundai und die         cher vor staatlichen Vorgaben – oder unterliefen
PSA-Gruppe (Peugeot, Citroën, Opel) hinter sich       sie mit Schummel-Software, was den Diesel-
gelassen, sondern auch BMW, jenen Hersteller,         Skandal auslöste. Danach aber wurden die Kar-
der vor acht Jahren mit seinem i3 gut im Rennen       ten neu gemischt. Die Prämie für Elektrofahr-
zu liegen schien. Nach Produktionsproblemen           zeuge in Höhe von bis zu 9000 Euro plus
verloren die Münchener jedoch ihren Elan und          Steuererleichterungen in Deutschland, als über-
lavieren nun wie Daimler in Sachen Elektro-           raschender wirtschaftlicher Stimulus in der
Innovation irgendwo im Mittelfeld herum.              Corona-Rezession, kam für Volkswagen zum
    Der Versuch, Risiken durch Lavieren zu mi-        richtigen Zeitpunkt. Die Verkäufe des ID.3 nah-
nimieren, ist riskant. Das beschreibt Stefan Brat-    men gerade Fahrt auf. Das war eher Glück als
zel, der Direktor des CAM, in der von ihm gelei-      gutes Timing.
teten Innovationsstudie. Für ihn gibt es nicht            Großbritannien und Kalifornien haben be-
den einen richtigen Zeitpunkt für Autohersteller,     reits angekündigt, ab 2030 und 2035 Verbren-
um auf Elektromobilität umzusteigen. Jeder Her-       nungsmotoren zu verbieten. Trotzdem ist es
steller müsse strategisch entscheiden, und zwar       nicht ausgeschlossen, dass Politiker für andere
„immer im Abgleich mit der eigenen Kompetenz,         Leitmärkte auch Vorgaben machen, die andere
schnell neue Kompetenz aufzubauen“. Warte das         technische Entwicklungen als batterie-elektri-
Management eines Automobilherstellers lange,          sche Autos begünstigen. Lobbyismus in Brüssel
müsse es sich zutrauen, dafür dann besonders          und Berlin scheint für die Autoindustrie nicht
schnell besonders gut zu werden. Oder deutlich        mehr so gut zu funktionieren wie in der Zeit vor
günstiger. Letzteres ist für europäische Hersteller   dem Diesel-Skandal und der Fridays-for-Future-      „Die
allerdings kaum möglich, da aus China eine            Bewegung.                                           Nachzügler
Reihe von Elektro-Auto-Start-ups mit neuen                Und auch China, wo die Elektromobilität in
Marken auf den Weltmarkt drängt.                      den vergangenen Jahren staatlich stark gefördert
                                                                                                          müssen sich
    Demnach müssten sich, ihrer zögerlichen           wurde, bleibt unberechenbar. Vor der Corona-        jetzt intensiv
Haltung entsprechend, nicht nur Daimler-Benz          krise drosselten Zentralregierung, Provinzen und    über den
und BMW raschen Kompetenzaufbau zutrauen,             Kommunen die Kaufprämien für E-Autos über-
sondern auch Fiat, Ford und die großen japani-        raschend – woraufhin der Absatz stark sank. We-
                                                                                                          letztmöglichen
schen Hersteller Toyota, Mazda und Honda.             nig später wurden die staatlichen Subventionen      Zeitpunkt der
    Weil die einen vorausfahren, müssen die an-       noch mal angehoben, dann wieder gekürzt und         Entscheidung
deren nachziehen – dieses Herdenverhalten ver-        sollen nun spätestens im Jahr 2022 auslaufen –
stärkt den Trend noch. Bratzel drückt es so aus:      zu einem Zeitpunkt, an dem die deutschen Her-
                                                                                                          Gedanken
„Die Nachzügler müssen sich jetzt intensiv über       steller in China endlich so weit sein wollten, >    machen.“
56                                                                                                             brand eins 04/21
Besser spät als nie - Schnieper Architekten
2013
                                                                                                                                               Renault stellt den günstigen Kleinwagen „Zoe“ (Abb. 1) vor.
                                                                                                                                               Die Batterie (Abb. 2) muss zusätzlich gemietet werden. Bis heute
                                                                                                                                               haben die Franzosen rund 300 000 Exemplare verkauft.
                                                                                                                       2013 (1)
                                                                                                                                               Das reicht für den Titel „meistverkauftes Elektroauto in Europa“.

                                                                                               2013 (2)                                        Volkswagen kontert mit dem Einbau von Elektromotoren in den
                                                                                                                                               Kleinwagen „Up“ und ein Jahr später in den „Golf“.
imago / Peter Widmann, AP Photo / Justin Pritchard, imago images / Jan Huebner,

                                                                                                                                               BMW präsentiert den futuristischen „i3“ (Abb. 3). Das Auto wurde
                                                                                                                                               bewusst unter der Submarke BMW i entwickelt. Die Fachpresse
                                                                                                                                               ist angetan, die Kunden sind zunächst zurückhaltend. In der
                                                                                                                                               Zentrale hat der i3 zunächst nur wenige Freunde. Das Entwick-
                                                                                                                                               lungsteam ist enttäuscht und zerfällt. Im Oktober 2020 feiert man
                                                                                                                                    2013 (3)   dann auch in München die Produktion des 200 000. Fahrzeugs.

                                                                                                                                               2017
                                                                                                                                               Tesla entwickelt das Mittelklasse-Fahrzeug „Model 3“.
                                                                                                                                               Mit rund 450 000 verkauften Exemplaren bis März 2020 ist es
                                                                                                                                               das meistverkaufte Elektroauto der Welt.

                                                                                                                             2017              2018
                                                                                                                                               Porsche kündigt an, nur noch für seinen Sportwagen-Klassiker
                                                                                                                                               „911“ Benzinmotoren zu entwickeln und diese für umwelt-
                                                                                                                                               freundliche synthetische Kraftstoffe zu optimieren. Alle anderen
                                                                                                                                               Modelle sollen schrittweise auf Hybrid oder batterie-elektrischen
                                                                                                                                               Antrieb umgestellt werden.

                                                                                                                                               2019
                                                                                                                                               Die deutschen Premiumhersteller Audi (E-Tron, Abb. 1) und
                                                                                                                                               Mercedes (EQC, Abb. 2) bringen rein batterie-elektrische SUVs
                                                                                                                                               auf den Markt. Es handelt sich um sogenannte Konversions-
                                                                                                                                    2019 (2)   modelle: Sie wurden für Verbrenner entwickelt und für den Elektro-
                                                                                                                                               antrieb angepasst.
                                                                                                2019 (1)
                                                                                                                                               Volkswagen startet seine lange angekündigte Modell-Offensive
Fotos (von oben): © Sven Krieger /Auto Bild, mauritius images / Matthew Richardson /Alamy,

                                                                                                                                               mit reinen E-Autos und präsentiert das Modell „ID.3“ (Abb. 3).
                                                                                                                                               Die Produktion im Jahr 2020 läuft durch Probleme bei der Fahr-
                                                                                                                                               zeugsoftware holprig an. Die Verkäufe entwickeln sich dafür
                                                                                                                                               umso besser, in Deutschland unter anderem dank der hohen
                                                                                                                                               Elektroauto-Prämie.

                                                                                                                                               2020
                                                                                                                                               Tesla ist an der Börse so viel Wert wie alle Traditionshersteller
                                                                                                                                    2019 (3)   weltweit zusammengerechnet.
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                                                                                                                                               2021
                                                                                                                                               Jaguar will ab 2025 nur noch E-Autos verkaufen. Ford Europa
                                                                                                                                               und Volvo kündigen Gleiches für 2030 an. General Motors
                                                                                                                                               verspricht, ab 2035 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren
                                                                                                                                               mehr anzubieten.

                                                                                             brand eins 04/21 TIMING                                                                                               57
Besser spät als nie - Schnieper Architekten
Tesla und die jungen chinesischen Marken in der      räte des Konzerns vielleicht mal sagen: „Die        „Wenn
gehobenen Mittelklasse und im Premiumseg-            Krise kam für Volkswagen genau zum richtigen
ment anzugreifen.                                    Zeitpunkt.“
                                                                                                         Deutschland
                                                         Bei Daimler gab es bis zur Pandemie keine       Automobilland
                                                     Krise, aber dafür sehr viele Unentschlossene.       bleiben möchte,
        Genau richtig?                               Meissner ist überzeugt: „Wenn Deutschland Au-
                                                                                                         muss die Zeit
                                                     tomobilland bleiben möchte, muss die Zeit der
Zu früh? Zu spät? Genau richtig? Die entschei-       Zweifler sehr schnell Vergangenheit werden.“        der Zweifler
dende Frage, wenn es ums Timing geht, lautet:            Große Hersteller treten gerade die Flucht       sehr schnell
Lohnt es sich, auf weitere Informationen zu war-     nach vorn an. Ford Europa und Volvo haben
ten oder ist „Der Punkt des maximalen Grü-           angekündigt, von 2030 an keine Autos mit Ver-
                                                                                                         Vergangenheit
belns“ (siehe brand eins 05/2018 **) bereits über-   brennungsmotoren mehr zu bauen. Jaguar will         werden.“
schritten und der Zustand einer sogenannten          schon in vier Jahren komplett auf Elektro um-
Analyse-Paralyse eingetreten?                        stellen. Bei den Briten hat es damit zu tun, dass
    Philip Meissner, Professor für strategisches     sie keine konkurrenzfähigen Benzin-Motoren
Management und Entscheidungsfindung an der           mehr zu bieten haben und daher ein bis zwei
ESCP Business School Berlin, sagt: „Zum Zeit-        Milliarden Euro in eine neue Motorengeneration
punkt der Entscheidung kann ein traditioneller       investieren müssten, um bei dieser Technik wie-
Automobilkonzern nicht wissen, ob jetzt der          der den Anschluss zu finden. Da fällt die Ent-
richtige Zeitpunkt ist.“ Das liegt in der Natur      scheidung zur frühen Umstellung leichter.
der Sache. Eine Entscheidung wird immer in               Die Zweifler in den deutschen Konzernen
Unsicherheit und mit Risiko getroffen, sonst         werden darauf hinweisen, dass Strom in vielen
wäre sie eine logische Schlussfolgerung. Das gilt    Wachstumsmärkten, zum Beispiel in Indien oder
auch für die Elektromobilität. Für Meissner          Südamerika, aus fossilen Brennstoffen gewonnen
kommt es da auf zwei Dinge an: Erstens: „Ver-        wird und Elektroantrieb daher gar nicht gut für
stehen die Automanager wirklich, wie sich der        die Umwelt sei. Sie werden sagen, dass dort Bio-
eigene Markt gerade verändert?“ So hätten sich       kraftstoffe eine wichtige Rolle spielen werden.
die meisten deutschen Hersteller zum Beispiel        Sie werden nicht aufhören zu bremsen.
lange geweigert, wie Tesla Ladeinfrastruktur im          Die Mercedes A-Klasse gibt es, knapp 25
eigenen System mitzudenken, man betreibe ja          Jahre nach dem Elchtest, jetzt auch mit Hybrid-
auch keine Tankstellen.                              Motor. Das Modell hat gerade mal 70 Kilometer
    Zweitens: „Entscheidungen für Strategie-         elektrische Reichweite. –
wechsel in Konzernen sind immer das Ergebnis
eines Kampfes zwischen Zweiflern und jenen,
die von den Fähigkeiten des eigenen Unterneh-
mens besonders überzeugt sind.“ Die entschei-
dende Frage laute daher: „Wie lange brauchen
die Überzeugten, sich über die Zweifler hinweg-
zusetzen?“
    Eine große Chance auf ein gutes Timing gibt
es Meissner zufolge in dem Moment, in dem
auch die stärksten Zweifler die Veränderung
wirklich verstehen wollen. Aber nur echte Über-
zeugung führe dann dazu, dass neue Kompe-
tenzen auch tatsächlich schnell und konsequent
ausgebaut werden. Dass dies in traditionell behä-
bigen Organisationen ebenso möglich sei, stelle
zurzeit Volkswagen unter Beweis. Der Diesel-
Skandal habe den Veränderungsprozess be-                * b1.de/herbert_demel
schleunigt. Rückblickend werden die Aufsichts-          ** b1.de/zeitpunktderentscheidung

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