Besser spät als nie - Schnieper Architekten
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Besser spät als nie Bei der Elektromobilität fährt die deutsche Automobilindustrie Tesla hinterher. Woran liegt das? Und: Wann ist der richtige Zeitpunkt für traditionelle Hersteller umzustellen? Eine Analyse. Text: Thomas Ramge • Im September 1993 macht bei der Internatio- Vier Jahre später, im Herbst 1997, ist die Vi- nalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt am sion zur Mercedes-Benz A-Klasse gereift. Der Main ein Konzeptfahrzeug von Daimler-Benz Konzern begleitet die Markteinführung mit viel auf sich aufmerksam. Es hat den Namen A93 Werbung. Die Fachpresse reagiert mit wohlwol- und scheint auf den ersten Blick so gar nicht zur lender Neugier. Mercedes mal ganz anders. Doch Marke mit dem Stern zu passen. Die Besucher als schwedische Autojournalisten den kleinen wundern sich über das ungewöhnlich kleine und Wagen einem Test unterziehen, kippt er bei ungewöhnlich hohe Fahrzeug neben den Luxus- einem abrupten Spurwechsel bei Tempo 60 um. Limousinen, Familienkombis und Sportwagen, Beim Elchtest durchgefallen: Was für eine Bla- die man von Mercedes kennt. mage! Alle Welt macht sich lustig über die Dieses Konzeptfahrzeug hat keine übliche selbstbewussten Entwickler aus Stuttgart. Die Motorhaube, sondern eine seltsam kurze, schrä- lösen daraufhin das Problem mit Stabilisatoren ge Front, darunter einen kleinen Motor. Front- im Fahrwerk und einem teuren, damals nur in antrieb gab es bei Daimler-Benz noch nie. Den der Luxusklasse verbreiteten Sicherheitssystem. Grund dafür, dass man viel höher sitzen soll als Doch im kollektiven Gedächtnis bleibt die A- sonst, begründet der Konzern so: „Das liegt an Klasse mit der Panne verhaftet. Der innovative der neuen Sandwich-Bauweise der Bodengrup- Sandwich-Boden gerät in den Hintergrund. pe.“ Unter dem Innenraum des Fahrzeugs befin- „Das war eigentlich jammerschade“, sagt det sich eine Art doppelter Boden. Bei einem der ehemalige Automanager Herbert Demel im Unfall würde der Motor von der Fahrzeugfront Rückblick. Demel hatte in den Neunzigerjahren nach hinten unter den Fahrgastraum gleiten, das leitende Funktionen beim Volkswagen-Konzern soll das Auto sicherer machen. Zudem wäre in inne, war unter anderem Vorstandsvorsitzender dem doppelten Boden genug Platz für große Bat- von Audi. Seine Meinung: „Die A-Klasse war terien oder Wasserstofftanks, damit die Vision A ein sehr gut entwickeltes Fahrzeug, auch mit auch zum Elektroauto oder zum Brennstoffzel- der Option für Elektro. Sie kam wie der A2 von len-Fahrzeug werden könnte. Audi aber leider 15 Jahre zu früh.“ > 52 brand eins 04/21
140 Jahre Elektromobilität 1881 Gustave Trouvé baut in Paris ein dreirädriges Fahrrad zum ersten Elektrofahrzeug um. Reichweite: 14 bis 26 Kilometer. 1882 Werner von Siemens konstruiert den elektrischen 1882 Kutschenwagen namens Elektromote. 1890 Das erste amerikanische Elektrofahrzeug kommt auf den Markt – wieder ein Dreirad, aber mit immerhin 48 Kilometern Reichweite. 1881 Um 1900 Rund 34 000 E-Fahrzeuge fahren auf amerikanischen Straßen. Sie haben knapp 40 Prozent Marktanteil, Benziner nur rund 20 Prozent. Die restlichen Autos fahren mit Dampfkraft. Das ändert sich in den Folgejahren. 1912 Die Zahl der E-Autos erreicht ihren Höhepunkt, aber der Markt- anteil sinkt bereits. Allein Ford baut schon mehr benzinbetriebene Autos als alle Elektroauto-Hersteller zusammen E-Fahrzeuge produzieren. 1956 Fotos: © AUDI AG, mauritius images / BNA Photographic /Alamy, 1956 Die Auto Union, der erste deutsche staatliche Autokonzern, stattet seinen DKW-Schnelllaster mit Elektromotor aus. Er kommt unter anderem auf ostfriesischen Inseln zum Einsatz, wo Verbrenner bis heute nur sehr eingeschränkt erlaubt sind. BMW via Auto Bild, picture-alliance / dpa 1974 In Amsterdam startet ein Car-Sharing-Projekt mit dreirädrigen Elektroautos für zwei Personen, die 30 Stundenkilometer fahren und binnen sieben Minuten aufgeladen werden können. 1974 1991 BMW konzipiert einen Prototyp des Kleinwagens „E1“ (Abb. 1) mit rund 200 Kilometern Reichweite. Er kommt nie auf den Markt. Ab 1991 entwickelt Daimler-Benz den Prototyp der späteren A-Klasse (Abb. 2) auch mit Elektroantrieb. 1991 (1) 1991 (2)brand eins 04/21 TIMING 53
Zu früh? für E-Autos kamen weder in Kalifornien noch sonstwo in den USA, sondern erst sehr viel spä- Es gibt keinen ter in China. Mit den gesetzlichen Anforderun- guten Zeit- Die Elchtest-Panne warf auch ein Licht auf die gen in Europa – die die Autoindustrie durch punkt für ein zögerliche Haltung der deutschen Automobil- Lobbying selbst beeinflusste – kamen die Kon- etabliertes industrie beim Thema E-Mobilität. Denn die zerne gut klar. Es reichte aus, die Effizienz der schwedischen Autotester waren mit einem klas- Motoren und der Abgasreinigung schrittweise Unternehmen, sischen Benzin-Modell umgefallen, mit Luft im zu verbessern. Warum und wann hätte ein klas- um auf eine Unterboden. Daimler-Benz hatte von dem Fahr- sischer Hersteller also den eigenen Erfolgspfad zeug aber auch eine Elektro-Variante serienreif verlassen sollen, um im großen Stil auf Elektro- radikal neue entwickelt und in kleiner Stückzahl produziert mobilität zu setzen? Technologie – mit für Elektroautos jener Zeit herausragenden Der Harvard-Ökonom Clayton Christensen zu setzen. Fahreigenschaften. Angetrieben wurde der E- fände hier ein Musterbeispiel für sein berühmtes Motor von einer von AEG entwickelten Batterie Innovatoren-Dilemma. Das besagt: Es gibt für mit einer Reichweite von 200 Kilometern, die ein etabliertes Unternehmen keinen guten Zeit- sukzessive hätte erweitert werden sollen. Wichti- punkt, um auf eine radikal neue Technologie ger jedoch: Mit den schweren Batterien im Unter- zu setzen. Das Risiko zu scheitern können nur boden hätte die A-Klasse den Elchtest mit Bra- Gründer eingehen. vour bestanden. Nur fand der E-Test eben nicht Rund zehn Jahre nach dem Elchtest machte statt. War Daimler-Benz seiner Zeit schlicht viel der Paypal-Gründer Elon Musk mit dem ersten zu weit voraus? Hatte die E-Mobilität damals kei- Tesla-Modell Roadster weltweit auf sich auf- ne Chance, oder hat der Konzern sie nur nicht merksam. Von 2008 bis 2012 verkaufte er davon konsequent vorangetrieben? zwar nur 2500 Stück. Im Unterschied zu Daim- Niemand kann wissen, was passiert wäre, ler setzte er jedoch konsequent auf Elektroautos, wenn der Autokonzern um die Jahrtausendwende mit dem Model S auch im Luxussegment. Tesla große Elektro-Ambitionen entwickelt und Audi ging mehrfach fast pleite, rettete sich auch dank umgehend nachgezogen hätte. Der kleine, 1999 staatlicher Kredite und trug schließlich zu jenem eingeführte Audi A2 hatte eine ganz ähnliche technischen und regulatorischen Paradigmen- Architektur wie die A-Klasse, mit Option für wechsel bei, dem sich heute keiner der etablier- Batterien und Wasserstoffantrieb. ten Hersteller entziehen kann: „Es geht nun Die strategischen Überlegungen beschreibt nicht mehr darum, ob sie in Elektroautos inves- Herbert Demel, der in seiner langen Karriere tieren, sondern nur noch wann und mit welcher auch noch für Fiat und Magna im Topmanage- Geschwindigkeit, welche weiteren technischen ment wirkte (siehe auch brand eins 01/2017: Optionen sie sich noch offenhalten wollen und „Lasst uns Pferde stehlen“) * und heute als Ho- wie viel sie in diese investieren“, sagt Demel. norarprofessor an der Technischen Universität Heute gehört Daimler eher zu den Späten unter Wien lehrt, rückblickend so: Mit der A-Klasse den Spätzündern. und dem A2 wollten Daimler und Audi auf der sicheren Seite sein, falls die Nachfrage nach alternativen, umweltfreundlichen Antrieben Abgehängt? schnell steigen sollte – zum Beispiel durch recht- liche Vorgaben auf dem wichtigen Automarkt Im Februar dieses Jahres untersuchte eine Studie Kalifornien. Dort war damals schon eine ver- des Center of Automotive Management (CAM) pflichtende E-Auto-Quote für Automobilher- die Anbieter von Elektrofahrzeugen, traditionelle steller im Gespräch. Hersteller ebenso wie Start-ups, auf ihre Innova- Beim Schach nennt man das Lavieren: Es tionsstärke bei sogenannten BEVs – batterie- geht darum, sich Optionen offenzuhalten, Zeit elektrischen Fahrzeugen. Bewertet wurden dabei verstreichen zu lassen, den Gegner zu beobach- die Fortschritte bei Reichweite, Ladegeschwin- ten, um auf Entwicklungen des Spiels reagieren digkeit und sparsamem Verbrauch. Wenig über- zu können. Gesetzlich vorgeschriebene Quoten raschend führt Tesla die Rangfolge an. Er- > 54 brand eins 04/21
1992 Volkswagen erprobt eine E-Version des „Golfs“. Der „Citystromer“ bleibt ein Versuchsfahrzeug in Kleinstserie, das man nicht kaufen kann. 1992 1993 Das handgefertigte erste Serien-E-Kleinfahrzeug „Hotzenblitz“ ist für Öko-Enthusiasten ab 32 000 D-Mark frei erhältlich. Fotos (von oben): © ap / dpa / picture alliance / Süddeutsche Zeitung Photo, Sven Döring /Agentur Focus, dpa /AP Photo / Tsugufumi Matsumoto, picture-alliance / dpa, Bis 1997 entwickelt Daimler-Benz die A-Klasse mit E-Motor bis zur Serien- 1993 reife weiter. Das E-Auto wird aber nie massenhaft produziert. 1997 Toyota führt den „Prius“ als erstes Großserienmodell mit spar- samem Hybridmotor ein. Bis heute verkauften die Japaner davon mauritius images / ZUMA Press, Inc. /Alamy, Patrick T. Fallon / Bloomberg via Getty Images, picture alliance / Reuters weltweit knapp vier Millionen Exemplare. 1997 2007 Daimler testet in London eine elektrische „Smart“-Flotte von 100 Fahrzeugen. 2008 Tesla stellt den „Roadster“ mit Lithium-Ionen-Akkus vor und verkauft davon rund 2500 Exemplare. 2008 2009 Daimler produziert rund 2000 „E-Smarts“ für seine Car2go-Flotte. BMW bietet privaten Kunden „E-Minis“ zum Leasing an, vor allem in Los Angeles, New York und London. 2010 Nissan startet mit dem „Leaf“, dem ersten Elektrogroßserien- fahrzeug, das ausschließlich als E-Auto konzipiert wurde. 2010 2012 Tesla bringt seine Erfolgs-Limousine „Model S“ auf den Markt und baut ein eigenes Netz mit Schnellladestationen auf, die sogenannten Supercharger. Der E-Smart wird in Großserie gebaut. 2012 2012 brand eins 04/21 TIMING 55
staunt könnte man hingegen darüber sein, wie den letztmöglichen Zeitpunkt der Entscheidung dicht Volkswagen den Kaliforniern auf den Fer- zum Umstieg Gedanken machen.“ In einigen sen ist. Der Konzern ist zwar spät in die Elektro- Konzernen sollen Entwicklungsingenieure nach mobilität eingestiegen und hat erst Ende 2019 wie vor der Überzeugung sein, dass batterie-elek- beziehungsweise 2020 die ausschließlich für trische Fahrzeuge technologisch nicht wirklich Batterien entwickelten Modelle ID.3 und ID.4 sinnvoll sind. Doch auch sie werden nicht gegen auf den Markt gebracht. Dabei wurde aber zu- den Strom schwimmen können, wenn die Politik gleich ein modularer E-Antrieb-Baukasten (MEB) mithilfe von Gesetzen und Subventionen Elektro- geschaffen, eine Art Plattform, auf der alle Mar- autos für Kunden immer attraktiver macht. ken des Konzerns – sowie Partner – rasch eigene Politische Entscheidungen können Kipp- Varianten entwickeln können. punkte in Märkten herbeiführen. Bezogen auf Die Idee dahinter: Durch mehr Volumen sol- die Timing-Frage erhöht das für klassische len die Entwicklungskosten pro Fahrzeug sinken, Hersteller die Unsicherheit. Denn zumindest in und die Innovationsgeschwindigkeit soll steigen. Demokratien werden manchmal Gesetze verab- Für die Volkswagen-Gruppe scheint dieses Prin- schiedet, mit denen auch große Unternehmen zip auch in der neuen Auto-Ära gut zu funktio- trotz ihrer starken Lobby nicht rechnen kön- nieren. Sie hat in Sachen Elektromobilität nicht nen. Die Autokonzerne wähnten sich lange si- nur Konkurrenten wie Renault, Hyundai und die cher vor staatlichen Vorgaben – oder unterliefen PSA-Gruppe (Peugeot, Citroën, Opel) hinter sich sie mit Schummel-Software, was den Diesel- gelassen, sondern auch BMW, jenen Hersteller, Skandal auslöste. Danach aber wurden die Kar- der vor acht Jahren mit seinem i3 gut im Rennen ten neu gemischt. Die Prämie für Elektrofahr- zu liegen schien. Nach Produktionsproblemen zeuge in Höhe von bis zu 9000 Euro plus verloren die Münchener jedoch ihren Elan und Steuererleichterungen in Deutschland, als über- lavieren nun wie Daimler in Sachen Elektro- raschender wirtschaftlicher Stimulus in der Innovation irgendwo im Mittelfeld herum. Corona-Rezession, kam für Volkswagen zum Der Versuch, Risiken durch Lavieren zu mi- richtigen Zeitpunkt. Die Verkäufe des ID.3 nah- nimieren, ist riskant. Das beschreibt Stefan Brat- men gerade Fahrt auf. Das war eher Glück als zel, der Direktor des CAM, in der von ihm gelei- gutes Timing. teten Innovationsstudie. Für ihn gibt es nicht Großbritannien und Kalifornien haben be- den einen richtigen Zeitpunkt für Autohersteller, reits angekündigt, ab 2030 und 2035 Verbren- um auf Elektromobilität umzusteigen. Jeder Her- nungsmotoren zu verbieten. Trotzdem ist es steller müsse strategisch entscheiden, und zwar nicht ausgeschlossen, dass Politiker für andere „immer im Abgleich mit der eigenen Kompetenz, Leitmärkte auch Vorgaben machen, die andere schnell neue Kompetenz aufzubauen“. Warte das technische Entwicklungen als batterie-elektri- Management eines Automobilherstellers lange, sche Autos begünstigen. Lobbyismus in Brüssel müsse es sich zutrauen, dafür dann besonders und Berlin scheint für die Autoindustrie nicht schnell besonders gut zu werden. Oder deutlich mehr so gut zu funktionieren wie in der Zeit vor günstiger. Letzteres ist für europäische Hersteller dem Diesel-Skandal und der Fridays-for-Future- „Die allerdings kaum möglich, da aus China eine Bewegung. Nachzügler Reihe von Elektro-Auto-Start-ups mit neuen Und auch China, wo die Elektromobilität in Marken auf den Weltmarkt drängt. den vergangenen Jahren staatlich stark gefördert müssen sich Demnach müssten sich, ihrer zögerlichen wurde, bleibt unberechenbar. Vor der Corona- jetzt intensiv Haltung entsprechend, nicht nur Daimler-Benz krise drosselten Zentralregierung, Provinzen und über den und BMW raschen Kompetenzaufbau zutrauen, Kommunen die Kaufprämien für E-Autos über- sondern auch Fiat, Ford und die großen japani- raschend – woraufhin der Absatz stark sank. We- letztmöglichen schen Hersteller Toyota, Mazda und Honda. nig später wurden die staatlichen Subventionen Zeitpunkt der Weil die einen vorausfahren, müssen die an- noch mal angehoben, dann wieder gekürzt und Entscheidung deren nachziehen – dieses Herdenverhalten ver- sollen nun spätestens im Jahr 2022 auslaufen – stärkt den Trend noch. Bratzel drückt es so aus: zu einem Zeitpunkt, an dem die deutschen Her- Gedanken „Die Nachzügler müssen sich jetzt intensiv über steller in China endlich so weit sein wollten, > machen.“ 56 brand eins 04/21
2013 Renault stellt den günstigen Kleinwagen „Zoe“ (Abb. 1) vor. Die Batterie (Abb. 2) muss zusätzlich gemietet werden. Bis heute haben die Franzosen rund 300 000 Exemplare verkauft. 2013 (1) Das reicht für den Titel „meistverkauftes Elektroauto in Europa“. 2013 (2) Volkswagen kontert mit dem Einbau von Elektromotoren in den Kleinwagen „Up“ und ein Jahr später in den „Golf“. imago / Peter Widmann, AP Photo / Justin Pritchard, imago images / Jan Huebner, BMW präsentiert den futuristischen „i3“ (Abb. 3). Das Auto wurde bewusst unter der Submarke BMW i entwickelt. Die Fachpresse ist angetan, die Kunden sind zunächst zurückhaltend. In der Zentrale hat der i3 zunächst nur wenige Freunde. Das Entwick- lungsteam ist enttäuscht und zerfällt. Im Oktober 2020 feiert man 2013 (3) dann auch in München die Produktion des 200 000. Fahrzeugs. 2017 Tesla entwickelt das Mittelklasse-Fahrzeug „Model 3“. Mit rund 450 000 verkauften Exemplaren bis März 2020 ist es das meistverkaufte Elektroauto der Welt. 2017 2018 Porsche kündigt an, nur noch für seinen Sportwagen-Klassiker „911“ Benzinmotoren zu entwickeln und diese für umwelt- freundliche synthetische Kraftstoffe zu optimieren. Alle anderen Modelle sollen schrittweise auf Hybrid oder batterie-elektrischen Antrieb umgestellt werden. 2019 Die deutschen Premiumhersteller Audi (E-Tron, Abb. 1) und Mercedes (EQC, Abb. 2) bringen rein batterie-elektrische SUVs auf den Markt. Es handelt sich um sogenannte Konversions- 2019 (2) modelle: Sie wurden für Verbrenner entwickelt und für den Elektro- antrieb angepasst. 2019 (1) Volkswagen startet seine lange angekündigte Modell-Offensive Fotos (von oben): © Sven Krieger /Auto Bild, mauritius images / Matthew Richardson /Alamy, mit reinen E-Autos und präsentiert das Modell „ID.3“ (Abb. 3). Die Produktion im Jahr 2020 läuft durch Probleme bei der Fahr- zeugsoftware holprig an. Die Verkäufe entwickeln sich dafür umso besser, in Deutschland unter anderem dank der hohen Elektroauto-Prämie. 2020 Tesla ist an der Börse so viel Wert wie alle Traditionshersteller 2019 (3) weltweit zusammengerechnet. mauritius images / VDWI Automotive /Alamy 2021 Jaguar will ab 2025 nur noch E-Autos verkaufen. Ford Europa und Volvo kündigen Gleiches für 2030 an. General Motors verspricht, ab 2035 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr anzubieten. brand eins 04/21 TIMING 57
Tesla und die jungen chinesischen Marken in der räte des Konzerns vielleicht mal sagen: „Die „Wenn gehobenen Mittelklasse und im Premiumseg- Krise kam für Volkswagen genau zum richtigen ment anzugreifen. Zeitpunkt.“ Deutschland Bei Daimler gab es bis zur Pandemie keine Automobilland Krise, aber dafür sehr viele Unentschlossene. bleiben möchte, Genau richtig? Meissner ist überzeugt: „Wenn Deutschland Au- muss die Zeit tomobilland bleiben möchte, muss die Zeit der Zu früh? Zu spät? Genau richtig? Die entschei- Zweifler sehr schnell Vergangenheit werden.“ der Zweifler dende Frage, wenn es ums Timing geht, lautet: Große Hersteller treten gerade die Flucht sehr schnell Lohnt es sich, auf weitere Informationen zu war- nach vorn an. Ford Europa und Volvo haben ten oder ist „Der Punkt des maximalen Grü- angekündigt, von 2030 an keine Autos mit Ver- Vergangenheit belns“ (siehe brand eins 05/2018 **) bereits über- brennungsmotoren mehr zu bauen. Jaguar will werden.“ schritten und der Zustand einer sogenannten schon in vier Jahren komplett auf Elektro um- Analyse-Paralyse eingetreten? stellen. Bei den Briten hat es damit zu tun, dass Philip Meissner, Professor für strategisches sie keine konkurrenzfähigen Benzin-Motoren Management und Entscheidungsfindung an der mehr zu bieten haben und daher ein bis zwei ESCP Business School Berlin, sagt: „Zum Zeit- Milliarden Euro in eine neue Motorengeneration punkt der Entscheidung kann ein traditioneller investieren müssten, um bei dieser Technik wie- Automobilkonzern nicht wissen, ob jetzt der der den Anschluss zu finden. Da fällt die Ent- richtige Zeitpunkt ist.“ Das liegt in der Natur scheidung zur frühen Umstellung leichter. der Sache. Eine Entscheidung wird immer in Die Zweifler in den deutschen Konzernen Unsicherheit und mit Risiko getroffen, sonst werden darauf hinweisen, dass Strom in vielen wäre sie eine logische Schlussfolgerung. Das gilt Wachstumsmärkten, zum Beispiel in Indien oder auch für die Elektromobilität. Für Meissner Südamerika, aus fossilen Brennstoffen gewonnen kommt es da auf zwei Dinge an: Erstens: „Ver- wird und Elektroantrieb daher gar nicht gut für stehen die Automanager wirklich, wie sich der die Umwelt sei. Sie werden sagen, dass dort Bio- eigene Markt gerade verändert?“ So hätten sich kraftstoffe eine wichtige Rolle spielen werden. die meisten deutschen Hersteller zum Beispiel Sie werden nicht aufhören zu bremsen. lange geweigert, wie Tesla Ladeinfrastruktur im Die Mercedes A-Klasse gibt es, knapp 25 eigenen System mitzudenken, man betreibe ja Jahre nach dem Elchtest, jetzt auch mit Hybrid- auch keine Tankstellen. Motor. Das Modell hat gerade mal 70 Kilometer Zweitens: „Entscheidungen für Strategie- elektrische Reichweite. – wechsel in Konzernen sind immer das Ergebnis eines Kampfes zwischen Zweiflern und jenen, die von den Fähigkeiten des eigenen Unterneh- mens besonders überzeugt sind.“ Die entschei- dende Frage laute daher: „Wie lange brauchen die Überzeugten, sich über die Zweifler hinweg- zusetzen?“ Eine große Chance auf ein gutes Timing gibt es Meissner zufolge in dem Moment, in dem auch die stärksten Zweifler die Veränderung wirklich verstehen wollen. Aber nur echte Über- zeugung führe dann dazu, dass neue Kompe- tenzen auch tatsächlich schnell und konsequent ausgebaut werden. Dass dies in traditionell behä- bigen Organisationen ebenso möglich sei, stelle zurzeit Volkswagen unter Beweis. Der Diesel- Skandal habe den Veränderungsprozess be- * b1.de/herbert_demel schleunigt. Rückblickend werden die Aufsichts- ** b1.de/zeitpunktderentscheidung 58 brand eins 04/21
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