Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen

Die Seite wird erstellt Jennifer Conrad
 
WEITER LESEN
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?!
                Hintergründe und Auswirkungen

                   Univ.-Prof. Dr. Michael Kirchler
      Universität Innsbruck, Institut für Banken und Finanzen

        BAFIT Netzwerk, 22.04.2021, Universität Innsbruck
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Übersicht
1.   Wie beeinflusst der „Rahmen“ (Frame, Kontext) unsere Entscheidungen?

2.   Was sind Anker und wie verändern sie unsere Entscheidungen?

3.   Wie sehr beeinflussen uns soziale Normen und Rankings (soziale Vergleiche)?

        Für Fragen während des Vortrags ist der folgende Chat eingerichtet:
 https://arsnova.uibk.ac.at/; Zugangsschlüssel: (Button "Student/in"): 63 80 92 60

Aufbau:
- Experimentelle Studien
- Anwendungsbeispiele in der Praxis
                                                                               2
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Wofür entscheiden sie sich? Framingeffekt
Eine Seuche bedroht unser Land: Es werden 600 Todesopfer erwartet.
Die Befragten (aufgeteilt in Gruppe 1 und 2) müssen zwischen zwei Hilfsprogrammen wählen:

Gruppe 1: [Gain Domain]
Programm A: Sichere Rettung von 200 Menschen. 400 sterben.                [72%]
Programm B: Rettung von 600 Menschen mit p=1/3 oder
             niemanden mit p=2/3.                                         [28%]

Gruppe 2: [Loss Domain]
Programm C: Sicherer Tod von 400 Menschen. 200 gerettet.                  [22%]
Programm D: Niemand stirbt mit p=1/3 oder 600 Menschen
             sterben mit p=2/3.                                           [78%]

Quelle: „Asian Disease Problem“, Tversky und Kahneman (1981).

WICHTIG: Auch bei Entscheidungen unter Risiko mit monetären Auszahlungen sind wir risikofreudig im
Verlustbereich und risikoavers im Gewinnbereich!                                                3
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Entscheiden professionelle Entscheider „besser“?
• Studie von Sheffer et al. (2017).
• Forschungsfrage: Weisen PolitikerInnen ähnliche
  (größere/kleinere) Biases auf als die Bevölkerung, die sie
  vertreten?
• Experimente mit Nationalparlamenten in BEL, CAN, ISR.
   – 164 ParlamentarierInnen
   – 1557 repräsentative. WählerInnen

• Ergebnisse (schwarz: Politiker; grau: Wähler):
   – Starker Framingeffekt - Keine Unterschiede zw. beiden
      Samples.
                                                               4
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Gedankenexperiment 1

Annahme: Fußballspiel zwischen FC Salzburg und FC Wacker Innsbruck
                                  3:0
     Anpfiff                    Ende 1. HZ                3:3
                                   0:3
Welche Fans sind glücklicher?
                                                                     5
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Framingeffekte am Finanzmarkt I
Stellen sie sich jeweils vor, dass sie die Aktie vor einem Jahr gekauft haben und sie
nun die Entwicklung beobachten. […]
Frage: “Wie zufrieden sind sie mit der Aktienkursentwicklung auf einer Skala von -4
bis +4, wobei -4 “sehr unzufrieden” und +4 “sehr zufrieden” darstellt?”

                                                                                 6
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Framingeffekte am Finanzmarkt II
• Forschungsfrage: Welchen Einfluss haben Renditen und der Weg, wie diese
  erzielt wurden, auf die Investorenzufriedenheit? (Schwaiger et al., 2019)

• ExperimentteilnehmerInnen:
   – 150 Finance Professionals aus der EU.
   – 576 Studierende der UIBK.

• Ergebnisse: Anfänglicher Verlust
  und späterer Gewinn machen
  am glücklichsten (DUP, DUN).

                                                                              7
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Framingeffekte am Finanzmarkt II
• Forschungsfrage: Welchen Einfluss hat die Skalierung der Y-Achse in Charts auf
  die Risikowahrnehmung und die Investitionshöhe? (Huber & Huber, 2019)
• Key Investor Information Document (KIID; Commission Regulation (EU) No
  583/2010): Renditen als Balkendiagramm
  mit linearer Y-Achse in Charts.

• “Für wie riskant halten sie
  dieses Wertpapier?” [Risikowahrnehmung]
• “Wie wahrscheinlich ist es, dass sie
  in dieses Wertpapier investieren?”

                                                                                   8
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Framingeffekte am Finanzmarkt II
• ExperimentteilnehmerInnen (Huber & Huber, 2019): 193 Studierende der UIBK.
• Grafik: Risikowahrnehmung (NARROW minus WIDE), 7-stufige Likert-Skala.
• “Enge” Skalierung der Y-Achse führt zu höherem wahrgenommenen Risiko.

                                                                        9
Bessere (finanz)wirtschaftliche Entscheidungen treffen?! - Hintergründe und Auswirkungen
Gedankenexperiment 2

                       10
Gedankenexperiment 2
1.   Bitte geben Sie als Identifikationscode die erste und zweite Ziffer Ihrer
     Sozialversicherungsnummer an: ________

2.   Wären Sie bereit den präsentierten Wein zu einem Preis, der diesen 2
     Ziffern entspricht, zu kaufen?
          JA
          Nein

3.   Bitte geben Sie den maximalen Preis an, zu dem Sie den Wein kaufen
     würden: __________

                                                                                 11
Gedankenexperiment 2 - Ankereffekt
Zahlungsbereitschaft in USD für diverse Produkte (Ariely et al., 2003):
                                            60.0                                                                  55.6

                     Zahlungsbereitschaft
                                            50.0

                                            40.0                               37.6
                                                                                                           34.6
                                                                                                    29.3
                                            30.0                                             26.8
                                                                        24.6
                                                          22.5
                                                                 18.1                 16.1
                                            20.0
                                                   11.7
                                            10.0

                                             0.0
                                                          Rarer Wein                    Computertastatur
                                                    SV-Nr 00-19           SV-Nr 20-39        SV-Nr 40-59
                                                    SV-Nr 60-79           SV-Nr 80-99

Einschätzungen von Produkten und individuelle Erfahrungen sind stark von arbiträren
Ankern beeinflusst (e.g., von zufälligen Ankern wie der SV-Nummer).
Anker wirken stärker bei unsicheren und bei neuen Entscheidungssituationen.
Anker in der Praxis
• Alltägliches: Reihenfolge von Fragen beeinflusst Aussagen über
  Lebenszufriedenheit. „How happy are you?“ und „How often are you dating?“
  (Strack et al., 1988).

• Finanzmarkt: Bewertungen von Aktien sind arbiträr  Anker
  (e.g., Peerschätzungen, historische Erfahrungen) treiben Einschätzung.
• Teamentscheidungen: erste Argumente beeinflussen Sitzungsverlauf (i.e., sind
  Anker für weitere Argumente).

          WICHTIG: v.a. auch unsere Peers sind Referenzpunkte 
               soziale Referenzpunkte / sozialer Vergleich

                                                                            13
Beispiele aus der Praxis

14
Anker- oder Lockvogeleffekt in der Konsumwelt
Studie von Ariely (2009): wie beeinflussen Lockvögel unser Kaufverhalten?
Der Lockvogel (print subscription USD 125) funktioniert. Der Anteil der Wahl des
Zielprodukts (Print & web subscription) stieg von 32 auf 84%.

                                                                               15
The Decoy Effect – Weitere Beispiele
• Speisenkartendesign in Restaurants (teure Menüs oder seltene Weine
  dienen als Lockvogel um moderat-teure Produkte billiger erscheinen zu
  lassen). Siehe auch das contrast principle in der Psychologie.
• Premium Produkte unterschiedlicher Industrien (e.g., TV-sets, high-end
  Sportequipment).

16
Framing- und Ankereffekte in der Praxis

                                          17
Soziale Normen und sozialer Vergleich

                                        18
Hintergründe
Asch conformity experiment (Asch, 1951):
    • Gruppe mit 8 TN, davon 7 Schauspieler.
    • A, B, oder C? Schauspieler geben falsche Antwort.
    • 37% der Antworten der TN waren falsch und somit
      konform mit den Schauspielern.

Easterlin Paradox:
    • Kein durchschnittlicher Anstieg des Glücksniveaus in OECD-Ländern seit 1970.
    • ABER – sozialer Vergleich: zu jedem Zeitpunkt sind diejenigen mit hohem
       Einkommen innerhalb eines Landes am glücklichsten.

Soziales Umfeld:
    • ZimmerkollegInnen im College beeinflussen Noten und somit Zukunftschancen
      massiv (Sacerdote, 2001).
                                                                                     19
Hintergründe
Witze mit eingespielten Lachern
werden als besser empfunden
als solche ohne Lacher – obwohl
ProbandInnen wissen, dass es Fake ist
(Cai et al., 2019).

Anstieg der Selbstmordraten nach
Medienberichten über einen Selbstmord:
Beispiel anhand von Autounfällen
(Phillips, 1979).

                                            20
Hintergründe
• Forschungsfrage: Wie reagieren Finance Professionals auf Rankings bei
  Investments? (Kirchler et al., 2018)
• Laborexperiment mit 657 Bankern im EU-Raum.
                                                  Prozentsatz investiert in riskantes Asset
   – BASELINE: Aufteilung in riskantes
                                             120
      Investment (Index) oder risikofreien
                                             110
      Zins über 8 Perioden.
                                             100
   – RANKING: wie BASELINE; nach jeder
                                              90
      Periode wurde Ranking eingeblendet.
                                                    80

                                                    70

                                                    60
                                                              BASELINE               RANKING
                                                         Rang 1-3 in Vorperiode   Rang 4-6 in Vorperiode
                                                                                                21
Nudging und soziale Normen
• Problem: viel Leute zahlen zu spät Ihre Steuern.
  Lösung: smartes Zahlungsaufforderungsdesign, um Zahlungsrate zu erhöhen.
• Treatments (Halpern, 2016):
    – Control: vereinfachte Zahlungsaufforderung („make it easy“).
    – Local norm: Control + „9 von 10 Steuerzahlern in Ihrer Stadt zahlen fristgerecht.”
    – Debt norm: Control plus „viele
      Menschen mit ähnlichen Steuerschulden
      haben bereits bezahlt.”
    – Local & debt norm: Kombination.

                                            Steuerzahlungsraten der unterschiedlichen Treatments
Problembereiche – Social Media, Social Investing

                                            Entspricht das
                                            Kopieren eines
                                            Portfolios eines
                                            anderen (einer
                                            anderen)
                                            tatsächlich
                                            MEINEN
                                            Präferenzen
                                            hinsichtlich Risiko,
                                            Verlustaversion
                                            und bspw. ESG-
                                            Faktoren (SRI)?

                                                      23
„Problembereiche und Positives“ –
 Onlineplattformen, Social Media
                   Beispiel einer
                   Buchsuche auf
                   amazon.de

                                    24
Take Home Message
1.   Wie gehen wir mit Framingeffekten um?
     – Überlegen ob wir gleich entscheiden würden, wenn eine
        identische Entscheidung in einem anderen Kontext
        präsentiert werden würde.
     – Selbstreflexion!

2.   Was machen wir mit Ankern/Referenzpunkten?
     – Unabhängige Einschätzungen vorab. „Zuerst überlegen,
        dann (zu den anderen) schauen.“
     – Individuelle Reflexion, wo Anker liegen (e.g., Peer-Verhalten,
        eigene Entscheidungen der Vergangenheit).
                                                                        25
Take Home Message
3.   Was sind die Vor- und Nachteile von Rankings/sozialem Vergleich?
     – VT: mehr Performance (im Schnitt).
     – NT: mehr antisoziales Verhalten; ggf. höheres Risk-Taking.
     – Unternehmensebene: Analyse, ob Rankings/Wettbewerb
                                                                120
        immer geeignet sind (VT vs. NT).

                                                            Prozentsatz investiert in
                                                                110

                                                                riskantes Asset
                                                                100
     – Individuelle Ebene: Reflexion darüber, wann mich          90
                                                                 80
        Peerverhalten beeinflusst.                               70
                                                                                        60
                                                                                               BASELINE            RANKING
                                                                                    Rang 1-3 in Vorperiode   Rang 4-6 in Vorperiode

                                                                                                                       26
Literaturempfehlungen, Lehrveranstaltungen BSc
Ariely, Dan (2009), Predictably Irrational.                  Vielen Dank für Ihre
                                                              Aufmerksamkeit!
Halpern, David (2015), Inside the Nudge Unit.
                                                            michael.kirchler@uibk.ac.at
Lewis, Michael (2017), The Undoing Project.
Kahneman, Daniel (2011), Thinking, Fast and Slow.   Für Fragen ist der folgende Chat eingerichtet:
                                                             https://arsnova.uibk.ac.at/;
                                                            Zugangsschlüssel: 63 80 92 60
Thaler, Richard and Sunstein, Cass (2009), Nudge.
---
VU/SE Behavioral Finance
VU/SE Betriebliche Entscheidungen und gesell-
schaftliche Verantwortung
VU/PS Nudging
etc…
                                                                                          27
Sie können auch lesen