BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB

Die Seite wird erstellt Amalia Hecht
 
WEITER LESEN
BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
BIL ANZ 2022 + AUSBLICK 2023
          DER DEUTSCHEN STÄDT E   UN D   GEMEINDEN

   MIT STARKEN KOMMUNEN
SICHER DURCH UNSICHERE ZEITEN
BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
INHALT

                      Mit starken Kommunen durch unsichere Zeiten              4

                      Energieversorgung in Turbulenzen                         8

                      Kommunale Finanzen in der Krise                          11

                      Wohnungsbau bleibt drängende Aufgabe                     16

                      Steigende Flüchtlingszahlen als Herausforderung          20

                      Digitalisierung ist Dauerbaustelle                       24

                      Planungsverfahren vereinfachen und beschleunigen         27

                      Bundeswehr nachhaltig stärken                            28

                      Mobilität vor Ort zukunftssicher ausrichten              29

                      Klimaschutz und Klimaanpassung verbessern                31

                      Ausbau der Kindertagesbetreuung bleibt Herkulesaufgabe   33

                      Hass und Hetze gefährden lokale Demokratie               35

                      Ländliche Räume zu Zukunftsräumen umbauen                36

                      Breitbandversorgung flächendeckend sicherstellen         37

2   B I L A N Z 2022 | AUSBLICK 2023
BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
Voraussetzungen für Elektromobilität schaffen                              38

Resiliente Innenstädte und Ortskerne schaffen                              40

Bildung als Schlüssel zur Zukunft                                          43

Fachkräftemangel wirksam begegnen                                          44

Bevölkerungsschutz nachhaltig verbessern                                   45

Nationale Wasserstrategie umsetzen                                         46

Sozialpolitik zukunftssicher ausrichten                                    47

Medizinische Versorgung flächendeckend sicherstellen                       48

Reformbedarf bei der Pflege                                                49

Bürgerschaftliches Engagement als Fundament lokaler Demokratie              51

Kommunalwald auf Zukunftskurs bringen                                      52

Impressum                                                                  55

                                                          BIL ANZ 2022 | AUSBLICK 2023 3
BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
MI T STARKEN KOMMUNEN
    DURCH UNSICHERE ZEI TEN
    Explodierende Energiekosten in Folge des Ukraine-                                                                gebote oder ein gut funktionierender ÖPNV unverändert
    Kriegs, Herausforderungen bei der Versorgungssicher-                                                             und in gleichbleibender Qualität zur Verfügung stehen.
    heit, Inflation, die Bewältigung der Corona-Pandemie,
    aber auch Klimaschutz und Klimaanpassung sowie wei-                                                              Angesichts massiv steigender Energiepreise, einem
    ter steigende Flüchtlingszahlen zeigen: Unsere Städte                                                            spürbaren Personal- und Fachkräftemangel, weiterer
    und Gemeinden befinden sich im Dauer-Krisenmodus.                                                                Aufgabenzuweisungen durch Bund und Länder sowie
                                                                                                                     überbordender Standards und Regulierungsanforderun-
    Dra m atis ch e L a ge                                                                                           gen wird diese Aufgabenerfüllung zunehmend schwieri-
                                                                                                                     ger. Dies betrifft auch die Stadtwerke, kommunalen Ver-
    Die letzten Jahre zeigen: Immer neue Problemstellungen                                                           kehrsunternehmen und Sparkassen, die künftig weniger
    müssen in Zeiten knapper kommunaler Kassen bewältigt                                                             zur Finanzierung der Kommunen und der kommunalen
    und praxisgerechte Lösungen gefunden werden. Gleich-                                                             Daseinsvorsorge beitragen können. Wir benötigen eine
    zeitig besteht aber unverändert die Erwartungshaltung,                                                           Fokussierung auf das Wesentliche und eine Priorisie-
    dass kommunale Daseinsvorsorgeleistungen, wie eine                                                               rung der von den Kommunen zu leistenden Aufgaben.
    sichere Ver- und Entsorgung, die Bereitstellung bezahl-                                                          Ein unverändertes „Weiter so“ kann und wird es ange-
    baren Wohnraums, ein ausreichendes Angebot an Schu-                                                              sichts der aktuellen Herausforderungen kaum geben
    len und Kindergärten, aber auch Kultur- und Freizeitan-                                                          können.

        AKTUELLE PERSONALBEDARFE
        Öffentlicher Dienst
             Kommunalverwaltungen**                                                                                              145.000
               Kranken- und Altenpflege                                                   45.000                 ** Allg. Verwaltung,
                                                                                                                Ausländerbehörden, Bauämter,
                                      Schulen*                                      38.000                      Jugendämter, Ordnungsämter,                         Dem Staat fehlen nach aktueller
                                                                                                                Sozialämter/Soziale Arbeit,
                          Steuerverwaltung                                   27.000                             Feuerwehren, Kitas                                  Einschätzung des dbb beamten-
                               Bundespolizei                                 27.000                                                                                 bund und tarifunion fast 330.000
                                                                                                                                                                    Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
                                Landespolizei                              25.000
                                                                                                                                                                    Nicht nur wegen der Corona-Pan-
       Öffentlicher Gesundheitsdienst                            8.000
                                                                                                                                        Insge                       demie und den Herausforderungen
                                              Zoll            5.600                                                                 326.4samt
                                                                                                    10,3
                                                                                                                                           00                       in den Bereichen Bildung und
      Jus�z (Jus�zvollzug, Verwaltung)                       3.500
                                                                                                                                                                    innere Sicherheit brauchen vor
           Arbeitsagenturen/Jobcenter                      1.500
                                                                                                                                                                    allem Länder und Kommunen zu-
                                                       0               30.000              60.000           90.000         120.000                150.000
                                                                                                                                                                    sätzliches Personal, damit sie ihre
       *ohne Berücksichtigung des zusätzlichen Bedarfs durch weitergehende Konzepte zur Ganztagsbetreuung               Quelle: dbb, März 2021; Grafik: DStGB 2022
                                                                                                                                                                    Aufgaben erfüllen können.

4   B I L A N Z 2022 | AUSBLICK 2023
BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
Ob es gelingt, der derzeit dramatischen Krisenlage lang-
fristig Herr zu werden, entscheidet sich in den Städten
und Gemeinden. Hier erleben die Menschen den Staat
vor Ort. Sie erwarten eine leistungsstarke kommunale
                                                             „Ob es gelingt,
Daseinsvorsorge, ausreichend Kita-Plätze, eine funk-          der derzeit dramatischen
tionsfähige Schule sowie gute Angebote für Mobilität,
Kultur, Freizeit und Sport. Nur wenn es gelingt, das im       Krisenlage langfristig Herr zu werden,
angemessenen Rahmen zu gewährleisten, werden wir              entscheidet sich in den Städten und
die Gesellschaft zusammenhalten können. Das darf Bun-
des- und Landespolitik nie aus dem Blick verlieren. Nur
                                                              Gemeinden. Hier erleben die Menschen
mit starken Kommunen kommen wir sicher durch diese            den Staat vor Ort.“
unsicheren Zeiten.

M e h r Re al ität s s i n n

Erforderlich sind ein Umdenken und ein neuer Realitäts-
                                                              Erster Bürgermeister Dr. Uwe Brandl,
sinn. Die Grenze der gesamtstaatlichen Leistungsfähig-        Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
keit ist vielfach bereits erreicht. Zukunftsaufgaben wie
Energie-, Wärme- und Mobilitätswende, Klimaschutz
und Klimaanpassung, die Digitalisierung, die Stärkung
der Bildung, der Fachkräftemangel oder auch die Schaf-
fung bezahlbaren Wohnraums erfordern eine neue und         Ko nnexi tä t
realistische Einschätzung dessen, was noch leistbar ist.
                                                           Der Grundsatz „Wer bestellt, der bezahlt“ darf nicht wei-
Immer neue Rechtsansprüche, wie etwa der Anspruch
                                                           ter nur Lippenbekenntnis sein, sondern muss verbind-
auf Ganztagsbetreuung, und der weitere Aufwuchs von
                                                           liche Richtschnur für das politische Handeln von Bund
Standards führen bei den Bürgerinnen und Bürgern zu
                                                           und Ländern werden. Politische Vorhaben müssen von
einer Erwartungshaltung, der angesichts knapper perso-
                                                           der Ebene ausfinanziert werden, die sie auf den Weg
neller und finanzieller Ressourcen durch die Städte und
                                                           bringt. In den Gesetzgebungsverfahren müssen wirksa-
Gemeinden kaum noch entsprochen werden kann. Es be-
darf daher eines gemeinsamen Verständnisses von Bund,      me Kostenbremsen eingeführt werden. Außerdem ist es
Ländern und Kommunen, dass Leistungsversprechen            unabdingbar, dass die Kostenfolgen der Gesetzgebung
erst dann gemacht werden, wenn deren Umsetzbarkeit         verlässlich im Vorhinein ermittelt werden und diese
und vor allem die Finanzbarkeit geprüft und im Ergebnis    dann verpflichtend mit einer gleichzeitigen Abgabener-
sichergestellt sind. Das Konnexitätsprinzip muss zukünf-   höhung für deren Ausfinanzierung verbunden werden.
tig konsequent beachtet werden.                            Städte und Gemeinden können nicht immer neue Aufga-
                                                           ben zusätzlich erbringen, wenn die Finanzierung und die
                                                           Personalausstattung unzureichend sind.

                                                                                      BIL ANZ 2022 | AUSBLICK 2023 5
BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
Nur mit weniger Bürokratie und finanziell handlungs-                             und zum Klimaschutz leisten, sollte auf aufwändige Aus-
    fähigen Städten und Gemeinden werden wir die Her-                                gleichs- und Ersatzmaßmaßnahmen verzichtet werden.
    ausforderungen von morgen lösen können. Besonders                                Wir brauchen auch in der Energiepolitik eine Zeiten-
    in Krisenzeiten zeigt sich immer wieder, dass zu hohe                            wende und eine neue Herangehensweise. Kommunale
    Standards ein Hindernis für handlungsfähige Kommu-                               Planungs- und Genehmigungsverfahren können durch
    nen sind. Mehr Generalklauseln und Zielbestimmungen                              die Wiedereinführung einer EU-konformen Präklusions-
    und gleichzeitig weniger ausdifferenzierte Einzelfallre-                         regelung effektiv beschleunigt werden. Unter Beachtung
    gelungen sind erforderlich. Ob im Bereich von Kitas und                          der Anforderungen des Klimaschutzes und der Bezahl-
    Schulen, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und                               barkeit des Wohnens sollte anstatt auf marktübliche
    der Übertragungs- und Verteilnetze, bei Maßnahmen                                Standards zu setzen eine Überprüfung des baulichen
    zum kommunalen Klimaschutz oder beim Bau neuer und                               Anforderungsniveaus und die Formulierung von Min-
    bezahlbarer Wohnungen: Wir müssen Kompromisse fin-                               deststandards erfolgen. Die Prüfung der Auswirkung von
    den, um zu praxisgerechten, bezahlbaren und vor allem                            technischer Normung auf die Höhe von Baukosten muss
    zügigen Lösungen zu kommen. Immer neue und höhere                                zukünftig zum Pflichtprogramm gehören. Baukostenstei-
    Standards sind der falsche Weg. Der konsequente Abbau                            gerungen haben das Wohnen in den vergangenen Jahren
    überflüssiger Normen und Standards muss dabei stets                              in vielen Regionen teuer und unerschwinglich gemacht,
    mit einer Gesetzesfolgenabschätzung einhergehen.                                 gleichzeitig fehlt in vielen Regionen bereits jetzt bezahl-
                                                                                     barer Wohnraum.
    Energ iewe n d e bra u c h t e c h t e We n de
                                                                                     Ein Schlüssel zur Bewältigung der zahlreichen Aufgaben
    Bei der Realisierung von Erneuerbare-Energien-Projek-                            ist es, die Digitalisierung der Verwaltung konsequent
    ten, die einen wichtigen Beitrag zur Energiesicherheit                           voranzutreiben. Dies gilt für alle Verwaltungsbereiche

        INVESTITIONSRÜCKSTAND
        HOCHRECHNUNGEN FÜR STÄDTE, GEMEINDEN & LANDKREISE
                                                                                                         Angaben in Mrd. Euro
                                                    Sons�ges
        Brand- & Katastrophenschutz
        Informa�onsinfrastruktur                         5,1                Straßen- & Verkehrsinfrastruktur
                                                  14,2
                                            2,3
        Sportstä�en, Bäder
                                        8,5                          39,6
        Kultur                        4,6
                                                         Insgesamt

        Wasserver- & -entsorgung      9,4                159                                                                      Der kommunale Investitionsstau
                                                         Mrd.
                                                          Euro                                                                    ist mit 159 Mrd. Euro weiterhin
                                                                                                                                  besorgniserregend hoch.
                                        19,6
        Öffentliche Verwaltungsgebäude
                                                                     45,6                                                         Dies zeigt deutlich, dass die
                                                  10,5                                                                            Leistungsfähigkeit des Staates
        Kinderbetreuung                                                       Schulen, Erwachsenenbildung                         nicht unbegrenzt ist und derzeit
                                                                                                                                  an dringend notwendigen Investi-
                                                                               Quelle: KfW-Kommunalpanel 2022; Grafik DStGB 2022
                                                                                                                                  tionen gespart werden muss.

6   B I L A N Z 2022 | AUSBL ICK 2023
BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
und nicht nur im Bereich des Planens und Bauens. Da-
bei ist darauf zu achten, dass durch digitale Angebote
und Lösungen sowohl Bürgerinnen und Bürger sowie
Unternehmen als auch die Verwaltungen entscheidend
                                                            „Der Grundsatz
entlastet werden. Das vom Bund angekündigte Bürokra-         „Wer bestellt, der
tieentlastungsgesetz muss zudem zügig auf den Weg ge-
bracht werden.                                               bezahlt“ darf nicht
                                                             weiter nur Lippenbekenntnis
Bund und Länder sind gefordert, den Bürgerinnen und
Bürgern und auch der Wirtschaft ehrlich zu kommuni-
                                                             sein, sondern muss verbindliche
zieren, was vom Staat in Zukunft noch prioritär geleistet    Richtschnur für das politische
werden kann und was nachrangig sein muss. Der Staat
wird nicht alle Krisenfolgen ausgleichen können. Die
                                                             Handeln von Bund und Ländern
Bürgerinnen und Bürger müssen auch auf Einschrän-            werden.“
kungen vorbereitet werden. Die Erwartungen an einen
„Vollkaskostaat“ waren immer überzogen. Dies wird nun
überdeutlich und sollte korrigiert werden.                   Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des
                                                             Deutschen Städte- und Gemeindebundes
Ohne Eigenvorsorge und Eigenverantwortung wird es
nicht gelingen, die vor uns liegenden Zukunftsaufgaben
zu bewältigen. Es braucht eine neue Kultur der Kommu-
nikation und ein kluges Erwartungsmanagement. 

Die Bürgerinnen und Bürger müssen auch auf Einschränkungen vorbereitet werden:

                    Die Erwartungen an einen
                      „VOLLKASKOSTAAT“ waren immer überzogen.
                            Dies wird nun überdeutlich und
                                           sollte korrigiert werden.

                                                                                       BIL ANZ 2022 | AUSBLICK 2023 7
BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
ENERGIEVERSORGUNG IN TURBULENZEN
    Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist der    die Kommunikation mit Anlagen zur Erzeugung erneu-
    Energiemarkt in massive Turbulenzen geraten. Zu ge-         erbarer Energien verwundbar ist. Demzufolge müssen
    störten Lieferketten kommen steigende Preise hinzu, die     auch die Maßnahmen der Cybersicherheit im Bereich
    Kommunen, Verbraucher und Wirtschaft stark belasten.        der Energiewirtschaft hinterfragt und optimiert werden.
    Unternehmenspleiten drohen oder sind bereits gesche-        Weiter muss die Bevölkerung für eine bessere Vorsor-
    hen, zudem wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung        ge mit Blick auf einen Blackout beziehungsweise Span-
    bis hin zu einer Rezession befürchtet. Durch diese Ent-     nungsabfälle (Brownouts) sensibilisiert werden. Ein
    wicklungen hat sich das energiewirtschaftliche Zieldrei-    Blackout ist zwar unwahrscheinlich, aber keineswegs
    eck verschoben. Während in den vergangenen Jahren           unmöglich. Eine Vorbereitung muss insbesondere durch
    im Interesse von Nachhaltigkeit und Klimaschutz eine        gemeinsame Kommunikationskampagnen von Bund,
    CO2-neutrale Energie- und Wärmeerzeugung im Fokus           Ländern und Kommunen angestoßen werden.
    stand, besteht aktuell die akute Herausforderung, eine
    bezahlbare und insbesondere sichere Energieversorgung       A u swi rk u ng en a u f d i e Ko mmu nen
    zu gewährleisten. Die Kommunen unternehmen große            u nd k o mmu na l e Unternehmen
    Anstrengungen, um das Energieeinsparziel von 20 Pro-
    zent zu erreichen. Die beste Maßnahme zur Beruhigung        Die Lage am Energiemarkt führt aktuell dazu, dass die
    und Stabilisierung des Energiemarktes in Deutschland        Kommunen von erheblichen Mehrkosten bei der Beschaf-
    ist jedoch die schnellstmögliche Diversifizierung der       fung von Energie stark betroffen sind. Die Entwicklung
    Energieversorgung. Kurzfristig bedeutet dies den Bau        am Energiemarkt belastet zudem unmittelbar die Liqui-
    von schwimmenden Flüssiggasterminals an den Küs-            dität von Stadtwerken und kann sich daher auch auf die
    ten. Mittel- und langfristig ist jedoch der ambitionierte   Haushalte der Eigentümer-Kommunen auswirken. Kom-
    Ausbau der erneuerbaren Energien von entscheidender         munale Unternehmen berichten zudem von erheblichen
    Bedeutung. Um dies zu erreichen, müssen allerdings ins-     Kostensteigerungen in anderen energieintensiven Spar-
    besondere Planungs- und Genehmigungsverfahren wei-          ten, wie beispielsweise bei der Abwasserentsorgung so-
    ter beschleunigt und die Akzeptanz in den Kommunen          wie der Wasserversorgung. Auch die Energiebeschaffung
    weiter gefördert werden.                                    wird schwieriger, bei entsprechenden Ausschreibungen
                                                                der Kommunen gibt es immer häufiger keine Angebote
    Der mutmaßliche Angriff auf die Nordstream-Pipelines        von Energieversorgern. Gemeinsam mit Unternehmen
    hat zugleich gezeigt, wie verletzlich die europäische       aus der Energiewirtschaft haben die kommunalen Spit-
    Energieinfrastruktur ist. Gerade kritische Infrastruk-      zenverbände daher eine Handreichung erarbeitet, um
    turen wie beispielsweise Energienetze oder die neuen        Hilfestellungen zu geben, damit möglichst alle Kommu-
    Flüssiggasterminals müssen gegen mögliche Angriffe          nen Energie zu bezahlbaren Preisen beschaffen können.
    besser geschützt werden. Dies betrifft auch die Versor-     Gleichzeitig ist die Bundesregierung gefordert, den Ener-
    gungsinfrastrukturen in den Kommunen. So können             giemarkt weiter zu stabilisieren, etwa indem sie Entlas-
    redundante Netzinfrastrukturen dabei helfen, die Ver-       tungen der Verbraucher einschließlich von Kommunen
    sorgungssicherheit in einer Kommune im Krisenfall zu        und Wirtschaft schafft.
    gewährleisten. Dies bedeutet aber auch, dass die hierzu
    notwendigen Investitionen gefördert beziehungsweise         M a ßna hmen zu r E ntla stu ng
    die entstehenden Kosten im Rahmen der Regulierung           vo n B ü rg ern, Wi rtscha f t u nd Ko mmun e n
    anerkannt werden. Der Lagebericht 2022 des Bundes-
    amtes für Sicherheit und Informationstechnik (BSI) hat      Die Gas- und Strompreisbremse sind als Instrumente
    zudem aufgezeigt, dass im Rahmen hybrider Kriege auch       zur Entlastung zu begrüßen. Wichtig ist, die Energieprei-

8   B I L A N Z 2022 | AUSB L ICK 2023
spreisbremse auch auf kommunale Abnahmestellen aus-                                                                                          finanzielle Lage ist bei vielen Stadtwerken aufgrund der
zudehnen. Denn viele kommunale Haushalte sind durch                                                                                          Preissprünge am Energiemarkt äußerst angespannt. Die
die stark gestiegenen Energiekosten extrem belastet.                                                                                         kommunalen Spitzenverbände haben deshalb mehrfach
Diese Entwicklung bedroht viele freiwillige Angebote in                                                                                      gegenüber der Bundesregierung einen Schutzschirm
den Gemeinden, wie etwa Sport- und Freizeiteinrichtun-                                                                                       für Stadtwerke gefordert. Bund und Länder haben den
gen und damit letztlich auch den notwendigen gesell-                                                                                         Handlungsbedarf zwar anerkannt und den Schutzschirm
schaftlichen Zusammenhalt vor Ort. Eine weitere Verteu-                                                                                      explizit angekündigt. Es ist allerdings erforderlich, die
erung kommunaler Angebote zulasten der Bürgerinnen                                                                                           Hilfen schnell bereitzustellen und noch bestehende Lü-
und Bürger würde außerdem die Inflation weiter anhei-                                                                                        cken zu schließen.
zen. Die Preisbremsen für den Gas-, Wärme- und Strom-
bereich sind daher zu begrüßen, zumal sie so ausgestal-                                                                                      E nerg i eei nsp a rma ßna hmen
tet sind, dass sie bei den Verbrauchern einen Anreiz zum                                                                                     i n d en Ko mmu nen
Energiesparen setzen.
                                                                                                                                             Im Sommer des Jahres 2022 hat das Bundeswirtschafts-
Sch u tz s ch irm fü r S t a dt werke                                                                                                        ministerium ein Energiesicherungspaket vorgelegt, das
                                                                                                                                             in die richtige Richtung weist. Die Energiesicherheit in
Für die Stadtwerke stellen die Preisbremsen allerdings                                                                                       Deutschland kann maßgeblich durch Energieeinsparun-
eine enorme administrative und finanzielle Herausforde-                                                                                      gen erreicht werden. Die Verordnungen haben allerdings
rung dar. Positiv zu werten ist, dass durch dieses Instru-                                                                                   zu zahlreichen Nachfragen und Unsicherheiten infolge
ment Zahlungsausfälle bei den Energiekunden begrenzt                                                                                         der kurzfristigen Umsetzung geführt. Jetzt wird es vor
werden dürften, was zunächst einmal zu einer Entlas-                                                                                         allem darum gehen, die mittelfristigen Einsparziele für
tung der Stadtwerke beitragen wird.                                                                                                          kommende Winter stärker in den Fokus zu nehmen. Es
                                                                                                                                             gilt, Kommunen langfristig resilient und damit energieef-
Wichtig ist aber, dass die Liquidität der Versorgungsun-                                                                                     fizient aufzustellen. Neben dem Ausbau der kommunalen
ternehmen nicht weiter belastet werden darf. Denn die                                                                                        Wärmenetze und der erneuerbaren Energien sind auch

   STROMERZEUGUNG
   IN DEUTSCHLAND 2022                                                                                          Anteile in %

   Zeitraum 1. bis 3. Quartal 2022                                                        Sons�ge 17,34 TWh 4,0 %
                                                                                                                                             Gesamt 433,5 TWh

                                                                                                           Wind
                                                               t
                                                            lan

                                                                                                           90,6 TWh
                                                                     Braunkohle
                                                         gep

                                                                                                           20,9 %
                                                      35

                                                                     86,7 TWh
                                                 is 20

               54,4 %                                                20,0 %                                                                   45,6 %
                                  Auss�eg Kohle b

              235,8 TWh
       Fossile Energien                                    Steinkohle
                                                                                        TWh                           39,0 TWh
                                                                                                                      9,0 %
                                                                                                                                              197,7 TWh
                                                                                                                                              Erneuerbare Energien
                                                           47,7 TWh
                                                                                          in %                   Biomasse
                                                           11 %                                                Solar
                                                                           26,0 TWh
                                                                            6,0 %
                                                                                                                                                                                              Stromerzeugung in Deutschland
                       Fällt

                                                                                                               55,1 TWh
                                                                     Kernenergie                               12,7 %
                                                                                Erdgas                                                                                                        bis Ende des 3. Quartals 2022.
                             i

                                             rlä rgi 23
                          nZ

                                                      ng

                                                e 20
                                                  eru
                                                ng e
                                                    .
                                                  04
                           uk

                                                                         .
                                                                                         58,1 TWh
                                                                                                                                                                                              Insbesondere die klimaschädliche
                                                                      15 en
                             un

                                                                   bis ern ve
                                                                                         13,4 %
                                 �

                                                                      K eit
                                     eg                                  z
                                 w

                                                                        f
                                           !                        Lau                              ant
                                                                                                                                                                                              Kohleverstromung hat den größ-
                                                                                Auss�eg bis 2022 gepl

                                                                                                                  Wasser 13,0 TWh 3,0 %                                                       ten Anteil der Energieerzeugung
                                                                                               Quelle: BDEW-Schnellsta�s�kerhebung, Desta�s, EEX, VGB, ZSW; Stand 10/2022; Grafik DStGB 2022
                                                                                                                                                                                              ausgemacht.

                                                                                                                                                                                               BIL ANZ 2022 | AUSBLICK 2023 9
WEITERE INFOS

     im Bereich kommunaler Gebäude und Anlagen mittel-            me aufeinander abzustimmen und möglichst flächende-
     und langfristige Energiesparpotentiale umzusetzen. Mit       ckende Förderbedingungen anzubieten.
     180.000 Gebäuden (Rathäuser, Schulen, Kindergärten,
     Sporthallen etc.), 2 Millionen kommunalen Wohnungen          A u sb a u d er erneu erb a ren E nerg i en
     sowie rund 9 Millionen Lichtpunkten bergen kommuna-          u nd Netza u sb a u g emei nsa m d enk en
     le Liegenschaften große Potentiale für Energieeinspa-
     rungen. Das ist nicht allein eine Frage des Klimaschutzes,   Der Ausbau der erneuerbaren Energien konnte durch
     sondern auch der Entlastung kommunaler Haushalte.            das sogenannte Oster- beziehungsweise Sommerpaket
     Hierfür bedarf es einer auskömmlichen, kohärenten und        beschleunigt werden. Aus kommunaler Sicht ist hervor-
     langfristig aufgesetzten Förderung durch Bund und Län-       zuheben, dass die Position der Kommunen, etwa beim
     der. Weitere Herausforderungen bei den nun anstehen-         Ausbau von Photovoltaikanlagen in der Fläche, nochmals
     den Maßnahmen wird allerdings der anhaltende Fach-           gestärkt worden ist. Ebenso wurde die finanzielle Betei-
     kräftemangel sowie unterbrochene Lieferketten sein.          ligung der Gemeinden an der Windkraft an Land und an
                                                                  PV-Freiflächenanlagen erneut gestärkt. Problematisch
     Dez e n tral e Wä rm ewe n d e förde rn                      ist jedoch, dass beispielsweise die Photovoltaik-Branche
                                                                  mit längeren Umsetzungsphasen konfrontiert wird. Als
     Für den Klimaschutz und zur Verringerung von Abhän-          Ursache hierfür werden ebenfalls gestörte Lieferket-
     gigkeiten ist das Gelingen der Wärmewende vor Ort von        ten und gestiegene Preise genannt. Hinzukommt, dass
     überragender Bedeutung. Die Bundesregierung hat an-          der Ausbau der Übertragungsnetze voranschreitet, die
     gekündigt, sich für eine flächendeckende kommunale           Verteilnetze jedoch unterschiedlich gut ausgebaut wer-
     Wärmeplanung einzusetzen. Dabei ist zu beachten, dass        den. Schlecht ausgebaute Verteilnetze verhindern aber
     der Gebäudebestand und die Energieversorgungsinfra-          die Möglichkeit, weitere erneuerbare Energiequellen
     struktur in den Kommunen sehr unterschiedlich sind.          an das Netz der allgemeinen Versorgung anzubinden.
     Die Wärmewende muss daher dezentral ausgestaltet             Insofern benötigen die Kommunen dringend Unterstüt-
     werden, um für die lokalen Strukturen maßgeschneider-        zung bei der Ertüchtigung der Verteilnetze im unteren
     te Lösungen zu bieten. Alle Technologien, die das Ziel der   und mittleren Spannungsbereich. Die aktuellen finan-
     Klimaneutralität fördern, müssen eine Chance erhalten.       ziellen Rahmenbedingungen erschweren dieses Vorha-
     Dies gilt sowohl für Wärmekonzepte in städtischen Quar-      ben. Denn mit der aktuellen Zinswende verringert sich
     tieren mit Mehrfamilienhäusern als auch in ländlichen        das Interesse privater Kapitalgeber, die Generierung
     Regionen mit vielen Einfamilienhäusern. Voraussetzung        von Fremdkapital wird erschwert. Hinzukommt, dass
     für die richtige kommunale Strategie im Bereich der Wär-     der Eigenkapitalzins durch die Bundesnetzagentur zu
     me ist eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung.          gering angesetzt worden ist, was die Kapitalerhöhung
     Damit diese allen Kommunen offensteht, ist eine vollum-      zusätzlich erschwert. Dies verzögert die Umsetzung der
     fängliche Finanzierung durch Bund und Länder erfor-          Klimaziele der Bundesregierung und muss zeitnah nach-
     derlich. So gibt es beispielsweise in Baden-Württemberg      gebessert werden. Mit Blick auf die Flächenziele beim
     eine Pflicht zur Wärmeplanung für größere Kommunen,          Ausbau ist aus kommunaler Sicht von Relevanz, dass die
     aber auch eine entsprechende Vollfinanzierung. Nicht zu-     Länder diese gegebenenfalls auf die kommunale Ebene
     letzt wird es aber auch auf die anschließende Finanzie-      „herunterbrechen“ oder die Flächen selbst in landeswei-
     rung der konkreten Umsetzung ankommen. Hierbei wird          ten und regionalen Raumordnungsplänen bereitstellen
     es wichtig sein, die bereits vorhandenen Förderprogram-      können. 

10   B I L A N Z 2022 | AUSB L ICK 2023
KOMMUNALE F INANZEN IN DER K RISE

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bedeutet        tion sind die Entlastungspakete des Bundes sehr wichtig,
auch eine Zeitenwende für die Kommunalfinanzen. Es          denn das Leben muss für die Bürgerinnen und Bürger be-
steht zu befürchten, dass sich für die Städte und Gemein-   zahlbar bleiben. Gleichzeitig bedeuten diese Entlastun-
den die dramatischste Finanzsituation seit Bestehen der     gen aber natürlich auch Steuerverluste für die öffentliche
Bundesrepublik entwickelt. Bereits die Corona-Pande-        Hand, auch für Städte und Gemeinden.
mie hat die Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen
erheblich beschädigt. Hinzu kommt die aktuelle Krisen-      Rü ck b l i ck 2022
situation, die zu extremen Kostensteigerungen führt.
Vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine betrugen die      Nach der vierteljährlichen Kassenstatistik des Statisti-
Energiekosten der Kommunen pro Jahr bundesweit etwa         schen Bundesamtes haben die kommunalen Kern- und
5 Milliarden Euro. Nun steht zu erwarten, dass sich diese   Extrahaushalte zum 30. Juni 2022 ein negatives Finanzie-
Kosten trotz Energie- und Gaspreisbremse sowie umfas-       rungssaldo von 1,6 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das
send eingeleiteter Energiesparmaßnahmen mindestens          Ergebnis fällt damit spürbar besser als bei den von der Co-
verdoppeln. Auch die Sozialausgaben steigen in zweistel-    rona-Pandemie geprägten Halbjahreszahlen in 2020 (-9,6
liger Milliardenhöhe. Die hohen Tariferwartungen in den     Milliarden Euro) und 2021 (-5,8 Milliarden Euro) aus.
Gehaltsverhandlungen für den öffentlichen Dienst wür-
den die Kommunen nochmals über 15 Milliarden Euro           Im Vergleich zum 1. Halbjahr 2021 zogen vor allem die
pro Jahr kosten. Hinzu kommen Inflation und Zinswen-        Einnahmen der Kommunen spürbar um 10,0 Prozent
de. Die Steuereinnahmen können hier nicht ansatzweise       (+13,6 Milliarden Euro) auf 149,36 Milliarden Euro an.
mithalten. Alle Wirtschaftsforscher sagen eine Rezession    Ursächlich für den Anstieg war im Wesentlichen eine
voraus. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisensitua-      weitere Erholung bei den Steuereinnahmen, die um 19,4

                                      KOMMUNALER
                                      FINANZIERUNGSSALDO
                                                                                                                                                                In Mrd. €

       Die Städte und Gemeinden
          befinden sich angesichts
 explodierender Ausgaben bei nur
  leicht steigenden Einnahmen in
einer veritablen Finanzkrise. Nach
   der Prognose der kommunalen
       Spitzenverbände droht ein       Kernhaushalte
                                                                        Quelle: Sta�s�sches Bundesamt, Bundesministerium der Finanzen, Eigene Berechnungen; Grafik: DStGB 2022
 dauerhaftes strukturelles Defizit

                                                                                                          BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 11
Prozent höher als in den ersten sechs Monaten des ver-                                                      wand sind um 9,0 Prozent auf 35,6 Milliarden Euro aufge-
     gangenen Jahres ausfielen (+8,6 Milliarden Euro auf 52,9                                                    wachsen. Hier spiegeln sich bereits deutlich die gestiege-
     Milliarden Euro). Insbesondere die Gewerbesteuerein-                                                        nen Energiekosten wider. Die Personalausgaben nahmen
     nahmen (netto) zogen mit +24,7 Prozent auf nunmehr                                                          deutlich um 7,9 Prozent auf 39,7 Milliarden Euro zu. Mit
     29,4 Milliarden Euro nochmals deutlich an. Der russische                                                    +3,6 Prozent zogen die Ausgaben für soziale Leistungen
     Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich im ersten Halbjahr                                                   weniger stark als im Vorjahreszeitraum an und beliefen
     noch nicht negativ auf die Wirtschaft ausgewirkt, sodass                                                    sich zum Ende des 1. Halbjahres 2022 auf 33,19 Milliar-
     sie sich weiter von der Corona-Krise erholen konnte und                                                     den Euro. Bei den Leistungen nach dem Asylbewerber-
     gestundete Zahlungen nachgeholt wurden. Die gemeind-                                                        leistungsgesetz gab es im 1. Halbjahr 2022 einen starken
     lichen Steuereinnahmen (netto) sind dabei in allen Län-                                                     Anstieg um 68,1 Prozent auf 2,0 Milliarden Euro, unter
     dern gestiegen, jedoch ragt Rheinland-Pfalz mit der im                                                      anderem wegen des Zuzugs von Schutzsuchenden aus der
     Land ansässigen BioNTech SE mit einem Wachstum von                                                          Ukraine. Die Ausgaben für Sachinvestitionen wurden um
     +62,7 Prozent deutlich heraus. Die geringste Zunahme                                                        5,0 Prozent auf 16,8 Milliarden Euro erhöht. Davon gingen
     gab es in Brandenburg (+2,9 Prozent). Die Einnahmen                                                         12,2 Milliarden Euro auf Baumaßnahmen zurück (+6,0 %).
     aus Verwaltungs- und Benutzungsgebühren erholten
     sich nochmals kräftig um 11,0 Prozent und beliefen sich                                                     Zusammenfassend zeugen die Halbjahreszahlen auf der
     auf 17,2 Milliarden Euro.                                                                                   Einnahmeseite von einer guten Entwicklung der Wirt-
                                                                                                                 schaft nach der Corona-Pandemie, nebst einmaligen
     Auf der Ausgabenseite war weiter ein dynamischer An-                                                        Steuerrückzahlungen. Die negativen Auswirkungen des
     stieg, diesmal um 6,7 Prozent auf 151,0 Milliarden Euro,                                                    russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind hier noch
     feststellbar. Die Ausgaben für den laufenden Sachauf-                                                       nicht zu spüren. Anders sieht es auf der Ausgabenseite

        ENTWICKLUNG DER STEUEREINNAHMEN
        NACH EBENEN 1970–2024 Angaben in Mrd.
                                                                                                                                               993,0
                                                                                                                                               937,3
                                 Gesamt                                                                                                        887,7
                                 EU                                                                                       799,3                833,2
                                 Bund
                                 Länder                                                                                                        739,7
                                                                                                                  673,3
                                 Kommunen
                                                                                                     561,2
                                                                                                 529,3

                                                                           467,3       452,1
                                                              416,3

                                                                                                                                                                Inflationsgetrieben und unter
                                            223,5
                                                    289,9
                                                                                                                                                                der Annahme eines robusten
                                   186,6                                                                                              139,8
                200
                         123,8
                                                                                                                                  132,4
                                                                                                                                126,2
                                                                                                                                                                Arbeitsmarktes ist nach den
                                                                                                                            112,5              147,8

                78,8                                          48,5          57,1         59,8
                                                                                                 77,0 69,1           92,8
                                                                                                                                               107,5            Ergebnissen des AK Steuerschät-
                                            31,5       38,4
                         17,0       26,2
                 9,4
                  0                                                                                                                                             zungen auch in den kommenden
                                                                                                                               ´20 ´22* ´24*
                  1970    ´75       ´80      ´85        ´90    ´95           2000          ´05    ´08   ´10           ´15   ´19 ´21 ´23*
                                                                                                                                                                Jahren mit einem wachsenden
                                                                                                                                                                Steueraufkommen zu rechnen.
                                                                      Quellen: Sta�s�sches Bundesamt, *AK Steuerschätzungen (Oktober 2022); Grafik: DStGB 2022

12   B I L A N Z 2022 | AUSB L ICK 2023
aus, wo deutlich erhöhte Energiekosten sowie flücht-                                                            schen Verfahren befindliche Gesetzesvorhaben können
lingsinduzierte Kosten bereits wahrnehmbar sind. Mit                                                            nicht berücksichtigt werden. Die infolge des Inflations-
Blick auf den weiteren Jahresverlauf sind die Ausgaben                                                          ausgleichsgesetzes sowie des Jahressteuergesetzes 2022
noch deutlich stärker aufgewachsen. Hier konnten auch                                                           erwarteten Steuermindereinnahmen von bis zum Jahr
die inflationsgetrieben gestiegenen Steuereinnahmen                                                             2026 hochgerechnet rund 150 Milliarden Euro konnten
nicht mehr mithalten.                                                                                           von Steuerschätzerinnen und -schätzern daher noch
                                                                                                                nicht abgebildet werden. Die volle Jahreswirkung allein
Un sich e re Ein n a h m e e n t w i c k lu n g                                                                 dieser beiden Gesetze wird voraussichtlich bei fast -40
                                                                                                                Milliarden Euro liegen. Den Großteil der Mindereinnah-
Der Arbeitskreis Steuerschätzungen geht auch für die                                                            men schultern Bund und Länder, gleichwohl sind die in-
nächsten Jahre von einem robusten Steuerwachstum aus.                                                           folge der Gesetze ausbleibenden Steuereinnahmen für
Nach der Herbst-Schätzung kann die öffentliche Hand bis                                                         die Städte und Gemeinden ebenfalls signifikant.
zum Jahr 2026 mit Mehreinnahmen in Höhe von 126,4
Milliarden Euro im Vergleich zur Schätzung im Frühjahr                                                          Angesichts der weiteren Unwägbarkeiten des russischen
2022 rechnen. Hiervon entfallen 40,4 Milliarden Euro auf                                                        Angriffskrieges auf die Ukraine, der damit besonders un-
die gemeindliche Ebene. Allerdings ist eine Ursache für                                                         sicheren Gas- und Energiepreisentwicklung sowie die
das Wachstum jedoch die hohe Inflation, durch die auch                                                          weiterhin bestehenden globalen Lieferengpässe, ist die
die Steuereinnahmen steigen.                                                                                    Steuerschätzung mit äußerst großen Unsicherheiten be-
                                                                                                                haftet. Dies zeigt auch der Blick auf die wirtschaftliche
Die Steuerschätzung fußt methodisch korrekterweise                                                              Entwicklung. Nach der Gemeinschaftsdiagnose mehre-
auf der aktuellen Rechtslage. Noch im parlamentari-                                                             rer Wirtschaftsforschungsinstitute wird für dieses Jahr

   STEUERSCHÄTZUNG FÜR GEMEINDEN
   AUSWIRKUNGEN JStG u. InflAusG
                   Steuereinnahmen der Gemeinden (AK Steuerschätzungen 10/22)

                   Steuereinnahmen der Gemeinden (AK Steuerschätzungen 10/22 abzgl. Mindereinnahmen Entwürfe JStG u. InflAusG)

                   Abweichung der Schätzungen

                                                                                                                                                                Im Zuge des Inflationsausgleichs-
           132,4                                                                                                                                                gesetzes und des Jahressteuerge-
                                                                                                                             in Milliarden Euro                 setzes 2022 zu erwartende
                                                                                                                                                                Mindereinnahmen für die
                                          -3,2                   -5,1                          -5,3                           -5,4
                                                                                                                                                                gemeindliche Ebene ab.
                   2022                  2023                    2024                          2025                          2026                               Bis zum Jahr 2026 summieren
                                                               Quelle: AK Steuerschätzungen (Oktober 2022), Bundesministerium der Finanzen; Grafik: DStGB 2022
                                                                                                                                                                sich diese auf fast 20 Mrd. Euro.

                                                                                                                                                                BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 13
ein Rückgang der deutschen Wirtschaft um 0,4 Prozent         auch an die Kommunen, also dorthin wo der Großteil der
     erwartet (Frühjahrsschätzung +3,1 Prozent). Die Euro-        flüchtlingsinduzierten Ausgaben auch anfällt, weiterge-
     päische Kommission hat zuletzt für Deutschland für das       reicht werden. Darüber hinaus muss kontinuierlich eva-
     Jahr 2023 eine Rezession in Höhe von -0,6 Prozent pro-       luiert werden, ob die Mittel ausreichend sind, wenn die
     gnostiziert.                                                 Fluchtbewegungen sowohl aus der Ukraine als auch aus
                                                                  anderen Regionen nach Deutschland zunehmen.
     Expl o d ie re n d e A u s g a b e n
                                                                  Weiter setzt auch die Zinswende gerade die hochver-
     Infolge des Krieges in der Ukraine sind die kommunalen       schuldeten Kommunen einem erheblichen finanziellen
     Ausgaben bereits im abgelaufenen Haushaltsjahr deutlich      Druck aus, den sie aus eigener Kraft nicht bewältigen
     angestiegen. Noch deutlicher werden die Auswirkungen         können. Mit Blick auf das Ziel der Erreichung der Gleich-
     des Krieges und der Inflation aber in diesem Jahr spürbar    wertigkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land ist
     sein, wenn bestehende Energieverträge auslaufen und          eine kommunale Altschuldenlösung daher unabdingbar.
     neue Tarifabschlüsse gefunden werden müssen.                 Hier stehen in erster Linie die Länder in der Verantwor-
                                                                  tung. Angesichts der notwendigen Summen wird es ohne
     Lagen die jährlichen Ausgaben der Kommunen für Ener-         die Hilfe des Bundes jedoch nicht gehen. Dies ist aber
     gie vor dem Krieg jährlich noch bei rund 5 Milliarden Euro   auch gerechtfertigt, schließlich sind die Altschulden zu-
     drohen diese sich, trotz Energie- und Gaspreisbremse so-     mindest teilweise auf Bundesgesetzgebung zurückzu-
     wie umfassend eingeleiteter Energiesparmaßnahmen auf         führen. Gepaart mit der über viele Jahre mangelhaften
     gut 10 Milliarden Euro zu verdoppeln. Hinzu kommen           Finanzausstattung durch das jeweilige Land sowie not-
     weitere, teils zweistellige Milliarden-Mehrbelastungen. So   wendigen Strukturwandelprozessen waren viele Kom-
     würden die Tarifforderungen die kommunalen Haushalte         munen faktisch gezwungen, enorme Kassenkreditberge
     mindestens weitere 15 Milliarden Euro mehr kosten.           anzuhäufen. Auch bei bestem Wirtschaften war die kom-
                                                                  munale Verschuldung nicht zu vermeiden.
     Die Sozialausgaben werden inflations- sowie rezessi-
     onsbedingt ebenfalls äußerst dynamisch ansteigen. Die        Dü sterer A u sb l i ck –
     Flüchtlingsunterbringung und -versorgung stößt bereits       A u fg a b enp ri o ri si eru ng no twend i g
     heute an die Grenzen des Möglichen in Städten und Ge-
     meinden und verursacht hohe Kosten. Hinsichtlich der         Bringt man die zu erwartende Einnahmen- und Ausga-
     Ausgaben für Geflüchtete aus der Ukraine ist grundsätz-      benentwicklung zusammen, dann ist der Ausblick äu-
     lich positiv zu vermelden, dass sich Bund und Länder am      ßerst düster. Die Städte und Gemeinden steuern auf eine
     3. November 2022 darauf verständigt haben, dass der          veritable Finanzkrise zu. Für dieses Jahr haben die kom-
     Bund den Ländern für die Jahre 2022 und 2023 zusätzli-       munalen Spitzenverbände im Sommer des vergangenen
     che Finanzmittel in Höhe von jeweils 1,5 Milliarden Euro     Jahres einen negativen Finanzierungssaldo von 5,3 Mil-
     zur Verfügung stellt. Ferner gewährt der Bund den Län-       liarden Euro angenommen. Es steht zu befürchten, dass
     dern ab dem Jahr 2023 eine allgemeine flüchtlingsbezo-       dieses strukturelle Defizit nach den Entwicklungen der
     gene Pauschale in Höhe von 1,25 Milliarden Euro. Diese       letzten Monate sogar nochmals anwächst.
     tritt an die Stelle der bisherigen Pauschale für unbeglei-
     tete minderjährige Flüchtlinge (in Höhe von 350 Millio-      Oftmals einziger Hebel zur Ausgabenreduzierung ist die
     nen Euro). Zwingend erforderlich ist aber, dass die Mittel   Kürzung bei Investitionen. Mit Blick auf die Zukunfts-

14   B I L A N Z 2022 | AUSB LICK 2023
fähigkeit Deutschlands und dem bereits bestehenden         Angesichts der insgesamt künftig deutlich stärker be-
kommunalen Investitionsrückstand von zuletzt fast 160      grenzten Finanzmittel der öffentlichen Hand muss in
Milliarden Euro wäre dies allerdings verheerend. Bund      Deutschland darüber diskutiert werden, was der Staat
und Länder stehen daher in der Pflicht, die kommunale      noch leisten kann und leisten soll. Mittlerweile ist der
Investitionsfähigkeit aufrecht zu erhalten.                finanzielle Druck auf die öffentliche Hand so groß, dass
                                                           ehrlicherweise festgestellt werden muss, dass nicht mehr
Gerade in der Krise erwarten die Menschen und die          alle staatlichen Leistungsversprechen erfüllbar sind. Die-
Wirtschaft handlungsstarke Kommunen. Die Städte und        se müssen auf den Prüfstand und es muss zu einer Pri-
Gemeinden müssen daher endlich finanziell dauerhaft        orisierung dessen kommen, was die öffentliche Hand in
in die Lage versetzt werden, alle ihre Aufgaben erfül-     Deutschland versprechen und erfüllen kann.   
len zu können, einschließlich der nötigen Investitionen.
Neben der entsprechenden Finanzmittelausstattung, in
erster Linie über Steuern und erst dann über Zuweisun-
gen, braucht es künftig eine echte Konnexität und einen
Verzicht auf einseitige Standardverschärfungen ohne
Gegenfinanzierung. Es kann schlicht nicht sein, dass                                                    WEITERE INFOS
die Kommunen bundesseitig beschlossene standard-
verschärfende Regelungen - etwa im Bereich Kita oder
Ganztag - allein tragen müssen.

                                                                                     BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 15
WOHNUNGSBAU BLEIBT DRÄNGENDE AUFGABE
     Nach einer geringfügigen Erholung der Wohnungsbautä-        GB von Beginn an aktiv mitgewirkt hat, Maßnahmen und
     tigkeit in den vergangenen Jahren gab es aber bereits im    Handlungsempfehlungen für eine Bau-, Investitions- und
     Jahr 2021 – also noch vor Beginn des Ukraine-Kriegs –       Innovationsoffensive vorgestellt. Das Bündnis schließt an
     einen merklichen Dämpfer. In diesem Jahr wurden in          die Vorarbeiten des „Bündnisses für bezahlbares Woh-
     Deutschland lediglich 293.000 Wohnungen fertiggestellt.     nen und Bauen“ und die Ergebnisse der „Kommission
     Dies waren nach Auskunft des Statistischen Bundesam-        für nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik
     tes 4,2 Prozent oder 13.000 Wohnungen weniger als           (Baulandkommission)“ sowie der Baukostensenkungs-
     noch im Vorjahr. Nachdem im Jahr 2020 erstmals mehr         kommission aus der vergangenen Legislaturperiode an.
     als 300.000 neue Wohnungen entstanden waren, fiel die       Viele Ansatzpunkte liegen beziehungsweise lagen somit
     Zahl im Jahr 2021 somit wieder auf das Niveau des Jah-      bereits auf dem Tisch und müssen nun zügig umgesetzt
     res 2019 zurück. Dieser Trend dürfte sich angesichts der    werden.
     Krisenereignisse im Jahr 2022 noch deutlich verschärfen.
                                                                 Die Bündnis-Empfehlungen umfassen unter
     Hinzu kommt: Es gibt zu wenige preisgebundene Woh-          anderem folgende Maßnahmen:
     nungen. Während es im Jahr 2002 noch rund 2,6 Milli-
     onen Sozialwohnungen gab, hat sich ihre Zahl bis zum         Neuausrichtung der Neubauförderung ab dem Jahr
     Jahr 2021 auf nur noch rund 1,09 Millionen verringert.        2023 sowie die Auflage eines Wohneigentumspro-
     Jährlich fallen etwa 60.000 weitere Wohnungen aus der         gramms.
     sozialen Bindung. Um den hohen Bedarf an sozialem            Erhöhung der linearen Abschreibung im Bereich Wohn-
     Wohnraum zu decken, hat die neue Bundesregierung              gebäude von 2 auf 3 Prozent ab dem 01. Juli 2023.
     die Zielmarke bei 100.000 neuen Sozialwohnungen pro          Dauerhafte Absicherung der Bundesmittel für die
     Jahr gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist eine deutliche       Städtebauförderung.
     Angebotsausweitung an Wohnraum – insbesondere im             Bundesweite Einführung eines digitalen Bauantrags.
     bezahlbaren Segment – dringend notwendig.                    Zeitlich befristete Erhöhung vergaberechtlicher Wert-
                                                                   grenzen für Wohnungsbauprojekte.
     Grundsätzlich positiv ist in diesem Zusammenhang die         Einmal erteilte Typengenehmigungen im Bereich des
     Anzahl an erteilten Baugenehmigungen für Wohnungen            seriellen Bauens sollen bundesweit gelten.
     zu werten. Sie stieg im Jahr 2021 mit 380.700 um 3,3 Pro-    Anpassung von Immissionsschutzanforderungen zur
     zent gegenüber dem Vorjahr und war damit weiterhin            Schaffung von zusätzlichem Wohnraum.
     deutlich höher als die Zahl der Baufertigstellungen. Dies    Der Bund wird ab 2023 ein neues Förderprogramm
     führte Ende 2021 zu einem Überhang von 850.000 ge-            „Klimafreundliches Bauen“ starten. Es soll sich
     nehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen.        stärker am Lebenszyklus von Gebäuden ausrichten.
     Der seit dem Jahr 2008 anhaltende Anstieg des Bauüber-       Fortentwicklung und Erleichterungen bei den Stell-
     hangs beschleunigte sich somit erneut und erreichte den       platzregelungen im Bauordnungsrecht, um Neubau,
     höchsten Stand seit dem Jahr 1996.                            Umbau und Aufstockung zu erleichtern.
                                                                  Bedarfsgerechte Einrichtung kommunaler und regio-
     Bün d n is b ez ah lb a re r Woh n ra u m                     naler Bodenfonds.

     Im Oktober 2022 hat das vom Bundesbauministerium in-        Diese Maßnahmen verdeutlichen, dass zur Zielerrei-
     itiierte Bündnis bezahlbarer Wohnraum, an dem der DSt-      chung nicht nur die Kommunen, sondern vielfach auch

16   B I L A N Z 2022 | AUSBLICK 2023
der Bund und die Länder, insbesondere mit Blick auf eine                                                                gezielte Förderung des seriellen Bauens. So sollten ein-
Anpassung der Landesbauordnungen, gefordert sind.                                                                       mal erteilte Typengenehmigungen grundsätzlich bun-
                                                                                                                        desweit gelten, sofern keine zwingenden landesrechtli-
Ba u k o ste n ste i g e ru n ge n bre m s e n                                                                          chen Aspekte dagegenstehen.

Steigende Baukosten, Materialengpässe sowie Fachkräf-                                                                   B a u la nd mo b i l i si eru ng verb essern
temangel führen derzeit dazu, dass die gesteckten Ziele
von 400.000 neuen Wohnungen bzw. 100.000 geförder-                                                                      Ein Kernproblem bleibt die Mobilisierung von Bauland.
ten Wohnungen pro Jahr in Deutschland nur schwer zu                                                                     Es ist daher notwendig, dass in diesem Bereich weitere
erreichen sein werden. So ist es bereits im Jahr 2021 zu                                                                Verbesserungen geschaffen werden. Dies gilt insbeson-
einer starken Verteuerung der Bauleistungen im Neu-                                                                     dere in stark nachgefragten Städten und Gemeinden und
bau gekommen. Die Teuerungsrate lag bei 9,1 Prozent.                                                                    in deren umliegenden Regionen. Dem Bau- und Immobi-
Diese Preissteigerungen haben sich in Folge des Ukrai-                                                                  lienpreisindex des Statistischen Bundesamtes zu Folge
ne-Kriegs auch im Jahr 2022 fortgesetzt. Umso wichti-                                                                   haben sich die Preise für Baulandgrundstücke (unbebaut,
ger ist es, dass die beeinflussbaren Faktoren beim The-                                                                 baureif) im Zeitraum von 2010 bis 2020 um 102 Prozent
ma Wohnungsbau zügig angepasst werden.                                                                                  erhöht. Daher ist es zu begrüßen, dass der Bundesge-
                                                                                                                        setzgeber bereits im Jahr 2021 mit dem Baulandmobi-
Bund und Länder sind gehalten, unter Berücksichtigung                                                                   lisierungsgesetz verschiedene Gesetzesänderungen auf
der Anforderungen des Klimaschutzes und der Klima-                                                                      den Weg gebracht hat, um eine bessere Aktivierung von
anpassung die baulichen Standards und das bauliche                                                                      Bauland zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu
Anforderungsniveau im Sinne von notwendigen Min-                                                                        ermöglichen. Neuer Wohnraum sollte hierbei vorrangig
deststandards kritisch zu überprüfen. Hierzu gehört                                                                     durch Innenentwicklungsmaßnahmen geschaffen wer-
auch die Einrichtung einer unabhängigen Stelle zur Fol-                                                                 den, um Stadt- und Ortskerne als attraktive und nutzungs-
gekostenabschätzung in Normungsprozessen sowie die                                                                      gemischte Wohn- und Versorgungsstandorte zu stärken.

   FERTIGGESTELLTE WOHNUNGEN
   INSGESAMT 2002–2021
       350000

                                                                                                                         306.000
                                                                                                                     293.002
                289.590                                                                                    287.352
       300000                    278.008                                                               284.816
                                                                                           247.722                                 293.000                            Im Jahr 2021 wurden in Deutsch-
                                        249.436                                          277.691                                                                      land nur rund 293 000 Wohnun-
                  268.103
                                                                             245.325
       250000
                                                                                                                                                                      gen fertiggestellt. Dies waren
                            242.316
                                                    210.729
                                                                                                                                                                      4,2 Prozent oder knapp 13.000
                                                                       214.817

                                                                                   200.466
                                                                                                                                                                      Wohnungen weniger als im
       200000
                                                       175.927
                                                                             183.110
                                                                                                                                                                      Vorjahr. Diese abnehmende
                                                                                                                                                                      Tendenz wird sich aufgrund
                                              158.987                  159.832
       150000                                                                                                                                                         stark steigender Baukosten sowie
                2002 ´03   ´04    ´05   ´06   ´07    ´08   ´09   ´10   ´11   ´12   ´13    ´14    ´15    ´16    ´17    ´18    ´19   ´20 2021
                                                                                                                                                                      Material- und Personalengpässen
                                                                   Quellen: Sta�s�sches Bundesamt, Baugenehmigungen und Baufer�gstellungen, 2021; Grafik: DStGB 2022
                                                                                                                                                                      fortsetzen.

                                                                                                                                                                      BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 17
Hierzu können aus kommunaler Sicht unter anderem             N eu b a u u nd B esta nd zu sa mmen d enke n
     die Einführung einer Innenentwicklungsmaßnahme im
     Baugesetzbuch, ein weiter geschärftes kommunales Vor-        Bei der Schaffung von Wohnraum darf der Fokus nicht al-
     kaufsrecht, in der Praxis vollziehbare Baugebote oder        lein auf den Neubau gerichtet werden. Auch die Nachver-
     auch die Etablierung kommunaler Bodenfonds, die durch        dichtung, der Um- und Aufbau von Bestandsimmobilien
     Bund und Länder unterstützt werden, beitragen. Letzte-       sowie die bauliche Ertüchtigung und die Umnutzung von
     res sehen die Bündnis-Empfehlungen ausdrücklich vor.         Leerständen müssen in den Blick genommen werden.
                                                                  Wohnungen werden als „leerstehend“ bezeichnet, wenn
     Mit kommunalen Bodenfonds können Städte und Ge-              sie weder vermietet sind noch von der Eigentümerin
     meinden je nach Bedarf vor Ort steuern, was und wann         oder dem Eigentümer selbst bewohnt werden. Ferien-
     gebaut wird. Bund und Länder sollten daher derartige In-     und Freizeitwohnungen fallen nicht darunter.
     strumente finanziell unterstützen. Hierauf sind vor allem
     die strukturell durch Altschulden belasteten Kommu-          Das BBSR hat bereits im Jahr 2018 ermittelt, dass an-
     nen angewiesen. In solchen Fonds werden Grundstücke          nähernd 1,7 Millionen Wohnungen in Deutschland leer
     vorgehalten, über die die Kommunen verfügen können.          standen. Das entspricht rund 4 Prozent des gesamten
     Bund und Länder sollten die Kommunen hier nicht nur fi-      Wohnungsbestands. Dieses Potential muss bei der Lö-
     nanziell unterstützen, sondern auch eigene Grundstücke       sung der Wohnungsfrage mitgenutzt werden. In einer
     in Bodenfonds einbringen. Einen solchen Weg geht etwa        verstärkten Dezentralisierung von Wohnen und Arbeiten
     Baden-Württemberg mit einem bei der Landsiedlung Ba-         und der Steigerung der Attraktivität ländlicher Räume,
     den-Württemberg GmbH geführten Grundstücksfonds,             speziell durch einen Ausbau der Infrastruktur, liegt zu-
     der für finanzschwache Kommunen mit Engpässen am             dem eine echte Chance zum Ausgleich zwischen wach-
     Wohnungsmarkt als Zwischenerwerber auftritt.                 senden Großstädten und dem ländlichen Raum.

     So z ial e Wo h n ra u m förd e ru n g                       Zudem kann die Umwandlung von leerstehenden Büro-
     weite r au sb au e n                                         und Gewerbeflächen zu Wohnungen eine Chance bieten,
                                                                  Wohnraum zu schaffen und auch Wohnungen mit einer
     Um die gesteckten Wohnungsbauziele zu erreichen, bedarf      Sozial- und Mietpreisbindung zu belegen. Nach Aussage
     es in Zukunft einer soliden Finanzierung und damit Woh-      des Pestel-Instituts (Studie Bezahlbarer Wohnraum, Ja-
     nungsbauförderung durch Bund und Länder. Der DStGB           nuar 2022) liegt der Median der Umbaukosten mit rund
     hat sowohl im Bündnis-Prozess Wohnen als auch mit Blick      1.200 Euro je Quadratmeter Wohnfläche weit unter den
     auf die Bund-Länder-Beratungen zur zukünftigen Ausge-        Kosten für einen Neubau. Der Bund sollte insoweit finan-
     staltung der Städtebauförderung eine auskömmliche Fi-        zielle Anreize zur Umnutzung setzen und auch Kommu-
     nanzierungsgrundlage gefordert. Die Mittel für die soziale   nen beim (Zwischen-) Erwerb von Liegenschaften und
     Wohnraumförderung müssen langfristig auf mindestens 5        deren baulicher Umnutzung finanziell unterstützen.
     Milliarden Euro jährlich aufgestockt werden. Derzeit se-
     hen die Eckwerte der Finanzplanung des Bundes vor, dass      Ko mmu na l e Wo hnu ng su nternehmen
     der Bund von 2022 bis 2026 insgesamt 14,5 Milliarden         stä rk en
     Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellt. Es ist si-
     cherzustellen, dass die Länder diese Finanzmittel kofinan-   Kommunale Wohnungsunternehmen sind wichtige Part-
     zieren und die Bundesmittel im Ergebnis uneingeschränkt      ner der Städte und Gemeinden sowie Garanten einer
     dem sozialen Wohnungsbau zukommen.                           nachhaltigen Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik.

18   B I L A N Z 2022 | AUSB L ICK 2023
WEITERE INFOS

Die über 700 kommunalen Wohnungsunternehmen                weltprüfungen (UP) oder die Eingriffs-Ausgleichs-Rege-
besitzen in Deutschland rund 2,3 Millionen Wohnun-         lung im Planungsrecht benannt.
gen. Diese kommunalen Unternehmen sind nicht auf
Gewinnmaximierung ausgerichtet. Sie sind vielmehr          Die verbilligte Abgabe von Liegenschaften und Grund-
schon von ihren Satzungszwecken her dem Ziel ver-          stücken des Bundes an Kommunen durch die Bundes-
pflichtet, preiswerten Wohnraum für breite Kreise der      anstalt für Immobilienaufgaben (BImA) muss nach den
Bevölkerung zu schaffen. Bei ihren Maßnahmen steht         Erfahrungen des letzten Jahres weiter optimiert werden.
städtebaulich die Stärkung der Innenstädte und Orts-       Schwierigkeiten treten in der Praxis insbesondere bei der
kerne im Vordergrund. Daher hat sich der DStGB im          Verkehrswertermittlung auf. Es sollte zudem vom Bund
Bündnis-Prozess für eine weitere Stärkung der kommu-       angesichts der allgemeinen Preisentwicklung eine An-
nale Wohnungsunternehmen ausgesprochen. Sie tragen         hebung der Verbilligungsabschläge in der Verbilligungs-
mit einer zurückhaltenden Mietenpolitik maßgeblich         richtlinie (VerbRL) vorgenommen werden. Ein pauscha-
zu einer sozialgerechten Entwicklung in den Städten        ler Verweis auf die beihilferechtliche Unzulässigkeit eines
und Gemeinden bei. Wegen ihrer besonderen Rolle soll-      solchen Vorgehens erscheint nicht schlüssig.
ten kommunale Wohnungsunternehmen auch in ihrer
Gründungsphase sowie mit dem Ziel einer Stärkung           S o nd era b schrei bu ng en ü b erp rü fen,
kommunaler Kooperationen bevorzugt in staatliche           Verg a b erecht verei nfa chen
Förderprogramme zur Stadtentwicklung und zum Woh-
nungsbau einbezogen werden.                                Am 31. Dezember 2021 endete die Frist für die Sonder-Ab-
                                                           schreibung im Mietwohnungsbau. Abgeschrieben werden
Verfah ren s ab lä u fe ve re i n fa c h e n               konnten jährlich bis zu 5 Prozent der Anschaffungs- und
un d b es ch l eu n i ge n                                 Herstellungskosten über einen Zeitraum von 4 Jahren,
                                                           zusätzlich zur regulären linearen Neubau-AfA von zwei
Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen nicht           Prozent. Insoweit reicht aus Sicht des DStGB die nunmehr
nur im Bereich des Ausbaus der Erneuerbaren Energi-        vom Bund angekündigte Anhebung der linearen AfA für
en, sondern auch im Bereich sonstiger relevanter Infra-    den Neubau von Wohnungen von zwei auf drei Prozent
strukturprojekte deutlich vereinfacht und beschleunigt     nicht aus. Im Sinne einer echten Anreizwirkung sollte der
werden. Es ist in diesem Zusammenhang erfreulich, dass     Bund die Wiedereinführung der ergänzenden Sonder-Ab-
der Gesetzgeber verschiedene Forderungen des DStGB         schreibung prüfen.
aufgegriffen hat. Das im November 2022 vorgelegte Ge-
setz zur Stärkung der Digitalisierung in Bauleitplanver-   Der Bund bleibt schließlich aufgefordert, effektive ver-
fahren greift etwa die Forderung nach einer Umstellung     gaberechtliche Vereinfachungen sowohl im Bereich des
des förmlichen Beteiligungsverfahrens im Bauleitplan-      Wohnungsbaus als auch im Bereich der Realisierung
verfahren auf ein digitales Verfahren als Regelverfahren   sonstiger kommunaler Infrastrukturprojekte (Klima-
auf. Auch die Beschleunigung des Bauleitplanverfahrens     schutz; Klimaanpassung) umzusetzen. Hierbei kann eine
durch Vermeidung von Redundanzen bei der Änderung          Orientierung an den zeitlich befristeten Regelungen des
von Planentwürfen zielt in die richtige Richtung. Die-     „LNG-Beschleunigungsgesetzes“ erfolgen. Dieses sieht
se sinnvollen Ansätze müssen auch im kommenden             unter anderem den Verzicht auf die Losvergabe, kürzere
Jahr im Rahmen der vom Bund angekündigten „großen          Fristen im Vergabeverfahren sowie maßgebliche Erleich-
BauGB-Novelle“ weiterentwickelt und umgesetzt wer-         terungen und Fristverkürzungen bei vergaberechtlichen
den. Beispielhaft seien die Bereiche der komplexen Um-     Nachprüfungsverfahren vor.   

                                                                                     BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 19
S T E I GE N DE F LÜCH T L I N GSZ A H L E N
     ALS H E RAUSF OR DE RUN G

     Wie bereits in den Jahren 2015/2016 stellt auch aktuell         Ortskräften belegt. Hinzu kommen die aus der Ukraine
     die Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flücht-         geflohenen Menschen, die zunächst mit überwältigender
     lingen die Städte und Gemeinden vor große Herausforde-          Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung in Privatun-
     rungen. Derzeit sind allein rund 1,1 Millionen Menschen         terkünften aufgenommen wurden. Je länger der Krieg in
     aus der Ukraine in Deutschland registriert. Die neue Form       der Ukraine andauert, desto schwieriger wird allerdings
     der Kriegsführung durch Russland mit Angriffen auf zivile       die private Unterbringung, die häufig auf provisorischen
     Infrastruktur und der beginnende Winter werden wahr-            Strukturen aufbaut. Die Kommunen sind daher schon seit
     scheinlich zu weiteren Fluchtbewegungen führen. Umso            einiger Zeit gefordert, auch für die Kriegsvertriebenen aus
     wichtiger ist die verstärkte Unterstützung der Ukraine          der Ukraine in den Kommunen Unterkunftsmöglichkeiten
     beim Wiederaufbau der zerstörten Energie-Infrastruktur.         zu schaffen. Dabei treffen die Geflüchteten vielerorts auf
     Nach der Aufhebung vieler Corona-bedingter Reisebe-             einen angespannten Wohnungsmarkt, besonders in den
     schränkungen steigt auch die Zahl der Asylbewerber aus          Ballungsräumen, aber auch in vielen anderen Städten und
     anderen Ländern erneut deutlich an. Von Januar bis No-          Gemeinden. Die Kommunen stehen daher immer häufiger
     vember 2022 sind nach Angaben des BAMF über 190.000             vor der Frage, ob sie Turnhallen belegen, Container anmie-
     Asylerstanträge gestellt worden. Dies entspricht einer Zu-      ten oder Traglufthallen oder Zeltunterkünfte bauen müs-
     nahme um rund 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hinzu           sen, um die Unterbringung sicherzustellen.
     kommt zudem noch eine nicht unerhebliche Zahl illegal
     Eingereister. Insbesondere über die sogenannte Balkan-          Im Vergleich zu den Jahren 2015/2016 sind in der aktu-
     route kommen viele Menschen nach Deutschland, zumeist           ellen Situation die Rahmenbedingungen deutlich ange-
     aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei. Dabei spielt of-       spannter. Die Beschäftigten in den Kommunen sind nach
     fenbar auch die Entscheidung des EU-Beitrittskandidaten         mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie erschöpft und
     Serbien eine Rolle, Staatsangehörigen aus deutlich mehr         teilweise an der Belastungsgrenze. Die Energie- und Wirt-
     Staaten als die EU es vorsieht, die visafreie Einreise zu er-   schaftskrise führt außerdem dazu, dass die finanziellen
     möglichen. Deutschland ist weiter innerhalb der EU das          Mittel der Kommunen ohnehin eingeschränkt sind und für
     Hauptzielland von irregulärer Sekundärmigration aus             die Unterbringung geflüchteter Menschen weniger Mittel
     Griechenland, aber auch aus Italien und Spanien. Auf die-       bereitstehen. Gerade bei den Kriegsflüchtlingen aus der
     sem Weg kommen vor allem anerkannte, aber noch nicht            Ukraine muss schnell und ohne längere Planungsmöglich-
     integrierte Geflüchtete nach Deutschland. Deutschland           keiten Integration organisiert werden, da sie kein Asylver-
     verzeichnet damit wie seit vielen Jahren im EU-Vergleich        fahren durchlaufen.
     mit Abstand die meisten Asylanträge.
                                                                     Um die Situation gut zu bewältigen ist ein gemeinsames
     Die Folgen dieses Ankunftsgeschehens zeigen sich in             Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen notwendig.
     den Städten und Gemeinden mittlerweile sehr deutlich.           Der Flüchtlingsgipfel der kommunalen Spitzenverbän-
     Trotz professionell entwickelter Unterbringungsstruk-           de mit der Bundesministerin des Innern und Vertretern
     turen ist die Mehrzahl der staatlichen und kommunalen           der Innenministerkonferenz im Oktober 2022 hat erste
     Unterkünfte mit Asylbewerbern, Flüchtlingen, Migran-            Ergebnisse zur Unterstützung der Kommunen gebracht.
     ten aus dem Resettlement-Programm und afghanischen              Der Bund wird über die Bundesanstalt für Immobilien-

20   B I L A N Z 2022 | AUSB LICK 2023
Sie können auch lesen