BILANZ 2022 + AUSBLICK 2023 - DER DEUTSCHEN STÄDTE UND GEMEINDEN - MIT STARKEN KOMMUNEN - DSTGB
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BIL ANZ 2022 + AUSBLICK 2023 DER DEUTSCHEN STÄDT E UN D GEMEINDEN MIT STARKEN KOMMUNEN SICHER DURCH UNSICHERE ZEITEN
INHALT Mit starken Kommunen durch unsichere Zeiten 4 Energieversorgung in Turbulenzen 8 Kommunale Finanzen in der Krise 11 Wohnungsbau bleibt drängende Aufgabe 16 Steigende Flüchtlingszahlen als Herausforderung 20 Digitalisierung ist Dauerbaustelle 24 Planungsverfahren vereinfachen und beschleunigen 27 Bundeswehr nachhaltig stärken 28 Mobilität vor Ort zukunftssicher ausrichten 29 Klimaschutz und Klimaanpassung verbessern 31 Ausbau der Kindertagesbetreuung bleibt Herkulesaufgabe 33 Hass und Hetze gefährden lokale Demokratie 35 Ländliche Räume zu Zukunftsräumen umbauen 36 Breitbandversorgung flächendeckend sicherstellen 37 2 B I L A N Z 2022 | AUSBLICK 2023
Voraussetzungen für Elektromobilität schaffen 38 Resiliente Innenstädte und Ortskerne schaffen 40 Bildung als Schlüssel zur Zukunft 43 Fachkräftemangel wirksam begegnen 44 Bevölkerungsschutz nachhaltig verbessern 45 Nationale Wasserstrategie umsetzen 46 Sozialpolitik zukunftssicher ausrichten 47 Medizinische Versorgung flächendeckend sicherstellen 48 Reformbedarf bei der Pflege 49 Bürgerschaftliches Engagement als Fundament lokaler Demokratie 51 Kommunalwald auf Zukunftskurs bringen 52 Impressum 55 BIL ANZ 2022 | AUSBLICK 2023 3
MI T STARKEN KOMMUNEN DURCH UNSICHERE ZEI TEN Explodierende Energiekosten in Folge des Ukraine- gebote oder ein gut funktionierender ÖPNV unverändert Kriegs, Herausforderungen bei der Versorgungssicher- und in gleichbleibender Qualität zur Verfügung stehen. heit, Inflation, die Bewältigung der Corona-Pandemie, aber auch Klimaschutz und Klimaanpassung sowie wei- Angesichts massiv steigender Energiepreise, einem ter steigende Flüchtlingszahlen zeigen: Unsere Städte spürbaren Personal- und Fachkräftemangel, weiterer und Gemeinden befinden sich im Dauer-Krisenmodus. Aufgabenzuweisungen durch Bund und Länder sowie überbordender Standards und Regulierungsanforderun- Dra m atis ch e L a ge gen wird diese Aufgabenerfüllung zunehmend schwieri- ger. Dies betrifft auch die Stadtwerke, kommunalen Ver- Die letzten Jahre zeigen: Immer neue Problemstellungen kehrsunternehmen und Sparkassen, die künftig weniger müssen in Zeiten knapper kommunaler Kassen bewältigt zur Finanzierung der Kommunen und der kommunalen und praxisgerechte Lösungen gefunden werden. Gleich- Daseinsvorsorge beitragen können. Wir benötigen eine zeitig besteht aber unverändert die Erwartungshaltung, Fokussierung auf das Wesentliche und eine Priorisie- dass kommunale Daseinsvorsorgeleistungen, wie eine rung der von den Kommunen zu leistenden Aufgaben. sichere Ver- und Entsorgung, die Bereitstellung bezahl- Ein unverändertes „Weiter so“ kann und wird es ange- baren Wohnraums, ein ausreichendes Angebot an Schu- sichts der aktuellen Herausforderungen kaum geben len und Kindergärten, aber auch Kultur- und Freizeitan- können. AKTUELLE PERSONALBEDARFE Öffentlicher Dienst Kommunalverwaltungen** 145.000 Kranken- und Altenpflege 45.000 ** Allg. Verwaltung, Ausländerbehörden, Bauämter, Schulen* 38.000 Jugendämter, Ordnungsämter, Dem Staat fehlen nach aktueller Sozialämter/Soziale Arbeit, Steuerverwaltung 27.000 Feuerwehren, Kitas Einschätzung des dbb beamten- Bundespolizei 27.000 bund und tarifunion fast 330.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Landespolizei 25.000 Nicht nur wegen der Corona-Pan- Öffentlicher Gesundheitsdienst 8.000 Insge demie und den Herausforderungen Zoll 5.600 326.4samt 10,3 00 in den Bereichen Bildung und Jus�z (Jus�zvollzug, Verwaltung) 3.500 innere Sicherheit brauchen vor Arbeitsagenturen/Jobcenter 1.500 allem Länder und Kommunen zu- 0 30.000 60.000 90.000 120.000 150.000 sätzliches Personal, damit sie ihre *ohne Berücksichtigung des zusätzlichen Bedarfs durch weitergehende Konzepte zur Ganztagsbetreuung Quelle: dbb, März 2021; Grafik: DStGB 2022 Aufgaben erfüllen können. 4 B I L A N Z 2022 | AUSBLICK 2023
Ob es gelingt, der derzeit dramatischen Krisenlage lang- fristig Herr zu werden, entscheidet sich in den Städten und Gemeinden. Hier erleben die Menschen den Staat vor Ort. Sie erwarten eine leistungsstarke kommunale „Ob es gelingt, Daseinsvorsorge, ausreichend Kita-Plätze, eine funk- der derzeit dramatischen tionsfähige Schule sowie gute Angebote für Mobilität, Kultur, Freizeit und Sport. Nur wenn es gelingt, das im Krisenlage langfristig Herr zu werden, angemessenen Rahmen zu gewährleisten, werden wir entscheidet sich in den Städten und die Gesellschaft zusammenhalten können. Das darf Bun- des- und Landespolitik nie aus dem Blick verlieren. Nur Gemeinden. Hier erleben die Menschen mit starken Kommunen kommen wir sicher durch diese den Staat vor Ort.“ unsicheren Zeiten. M e h r Re al ität s s i n n Erforderlich sind ein Umdenken und ein neuer Realitäts- Erster Bürgermeister Dr. Uwe Brandl, sinn. Die Grenze der gesamtstaatlichen Leistungsfähig- Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes keit ist vielfach bereits erreicht. Zukunftsaufgaben wie Energie-, Wärme- und Mobilitätswende, Klimaschutz und Klimaanpassung, die Digitalisierung, die Stärkung der Bildung, der Fachkräftemangel oder auch die Schaf- fung bezahlbaren Wohnraums erfordern eine neue und Ko nnexi tä t realistische Einschätzung dessen, was noch leistbar ist. Der Grundsatz „Wer bestellt, der bezahlt“ darf nicht wei- Immer neue Rechtsansprüche, wie etwa der Anspruch ter nur Lippenbekenntnis sein, sondern muss verbind- auf Ganztagsbetreuung, und der weitere Aufwuchs von liche Richtschnur für das politische Handeln von Bund Standards führen bei den Bürgerinnen und Bürgern zu und Ländern werden. Politische Vorhaben müssen von einer Erwartungshaltung, der angesichts knapper perso- der Ebene ausfinanziert werden, die sie auf den Weg neller und finanzieller Ressourcen durch die Städte und bringt. In den Gesetzgebungsverfahren müssen wirksa- Gemeinden kaum noch entsprochen werden kann. Es be- darf daher eines gemeinsamen Verständnisses von Bund, me Kostenbremsen eingeführt werden. Außerdem ist es Ländern und Kommunen, dass Leistungsversprechen unabdingbar, dass die Kostenfolgen der Gesetzgebung erst dann gemacht werden, wenn deren Umsetzbarkeit verlässlich im Vorhinein ermittelt werden und diese und vor allem die Finanzbarkeit geprüft und im Ergebnis dann verpflichtend mit einer gleichzeitigen Abgabener- sichergestellt sind. Das Konnexitätsprinzip muss zukünf- höhung für deren Ausfinanzierung verbunden werden. tig konsequent beachtet werden. Städte und Gemeinden können nicht immer neue Aufga- ben zusätzlich erbringen, wenn die Finanzierung und die Personalausstattung unzureichend sind. BIL ANZ 2022 | AUSBLICK 2023 5
Nur mit weniger Bürokratie und finanziell handlungs- und zum Klimaschutz leisten, sollte auf aufwändige Aus- fähigen Städten und Gemeinden werden wir die Her- gleichs- und Ersatzmaßmaßnahmen verzichtet werden. ausforderungen von morgen lösen können. Besonders Wir brauchen auch in der Energiepolitik eine Zeiten- in Krisenzeiten zeigt sich immer wieder, dass zu hohe wende und eine neue Herangehensweise. Kommunale Standards ein Hindernis für handlungsfähige Kommu- Planungs- und Genehmigungsverfahren können durch nen sind. Mehr Generalklauseln und Zielbestimmungen die Wiedereinführung einer EU-konformen Präklusions- und gleichzeitig weniger ausdifferenzierte Einzelfallre- regelung effektiv beschleunigt werden. Unter Beachtung gelungen sind erforderlich. Ob im Bereich von Kitas und der Anforderungen des Klimaschutzes und der Bezahl- Schulen, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und barkeit des Wohnens sollte anstatt auf marktübliche der Übertragungs- und Verteilnetze, bei Maßnahmen Standards zu setzen eine Überprüfung des baulichen zum kommunalen Klimaschutz oder beim Bau neuer und Anforderungsniveaus und die Formulierung von Min- bezahlbarer Wohnungen: Wir müssen Kompromisse fin- deststandards erfolgen. Die Prüfung der Auswirkung von den, um zu praxisgerechten, bezahlbaren und vor allem technischer Normung auf die Höhe von Baukosten muss zügigen Lösungen zu kommen. Immer neue und höhere zukünftig zum Pflichtprogramm gehören. Baukostenstei- Standards sind der falsche Weg. Der konsequente Abbau gerungen haben das Wohnen in den vergangenen Jahren überflüssiger Normen und Standards muss dabei stets in vielen Regionen teuer und unerschwinglich gemacht, mit einer Gesetzesfolgenabschätzung einhergehen. gleichzeitig fehlt in vielen Regionen bereits jetzt bezahl- barer Wohnraum. Energ iewe n d e bra u c h t e c h t e We n de Ein Schlüssel zur Bewältigung der zahlreichen Aufgaben Bei der Realisierung von Erneuerbare-Energien-Projek- ist es, die Digitalisierung der Verwaltung konsequent ten, die einen wichtigen Beitrag zur Energiesicherheit voranzutreiben. Dies gilt für alle Verwaltungsbereiche INVESTITIONSRÜCKSTAND HOCHRECHNUNGEN FÜR STÄDTE, GEMEINDEN & LANDKREISE Angaben in Mrd. Euro Sons�ges Brand- & Katastrophenschutz Informa�onsinfrastruktur 5,1 Straßen- & Verkehrsinfrastruktur 14,2 2,3 Sportstä�en, Bäder 8,5 39,6 Kultur 4,6 Insgesamt Wasserver- & -entsorgung 9,4 159 Der kommunale Investitionsstau Mrd. Euro ist mit 159 Mrd. Euro weiterhin besorgniserregend hoch. 19,6 Öffentliche Verwaltungsgebäude 45,6 Dies zeigt deutlich, dass die 10,5 Leistungsfähigkeit des Staates Kinderbetreuung Schulen, Erwachsenenbildung nicht unbegrenzt ist und derzeit an dringend notwendigen Investi- Quelle: KfW-Kommunalpanel 2022; Grafik DStGB 2022 tionen gespart werden muss. 6 B I L A N Z 2022 | AUSBL ICK 2023
und nicht nur im Bereich des Planens und Bauens. Da- bei ist darauf zu achten, dass durch digitale Angebote und Lösungen sowohl Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen als auch die Verwaltungen entscheidend „Der Grundsatz entlastet werden. Das vom Bund angekündigte Bürokra- „Wer bestellt, der tieentlastungsgesetz muss zudem zügig auf den Weg ge- bracht werden. bezahlt“ darf nicht weiter nur Lippenbekenntnis Bund und Länder sind gefordert, den Bürgerinnen und Bürgern und auch der Wirtschaft ehrlich zu kommuni- sein, sondern muss verbindliche zieren, was vom Staat in Zukunft noch prioritär geleistet Richtschnur für das politische werden kann und was nachrangig sein muss. Der Staat wird nicht alle Krisenfolgen ausgleichen können. Die Handeln von Bund und Ländern Bürgerinnen und Bürger müssen auch auf Einschrän- werden.“ kungen vorbereitet werden. Die Erwartungen an einen „Vollkaskostaat“ waren immer überzogen. Dies wird nun überdeutlich und sollte korrigiert werden. Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Ohne Eigenvorsorge und Eigenverantwortung wird es nicht gelingen, die vor uns liegenden Zukunftsaufgaben zu bewältigen. Es braucht eine neue Kultur der Kommu- nikation und ein kluges Erwartungsmanagement. Die Bürgerinnen und Bürger müssen auch auf Einschränkungen vorbereitet werden: Die Erwartungen an einen „VOLLKASKOSTAAT“ waren immer überzogen. Dies wird nun überdeutlich und sollte korrigiert werden. BIL ANZ 2022 | AUSBLICK 2023 7
ENERGIEVERSORGUNG IN TURBULENZEN Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist der die Kommunikation mit Anlagen zur Erzeugung erneu- Energiemarkt in massive Turbulenzen geraten. Zu ge- erbarer Energien verwundbar ist. Demzufolge müssen störten Lieferketten kommen steigende Preise hinzu, die auch die Maßnahmen der Cybersicherheit im Bereich Kommunen, Verbraucher und Wirtschaft stark belasten. der Energiewirtschaft hinterfragt und optimiert werden. Unternehmenspleiten drohen oder sind bereits gesche- Weiter muss die Bevölkerung für eine bessere Vorsor- hen, zudem wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung ge mit Blick auf einen Blackout beziehungsweise Span- bis hin zu einer Rezession befürchtet. Durch diese Ent- nungsabfälle (Brownouts) sensibilisiert werden. Ein wicklungen hat sich das energiewirtschaftliche Zieldrei- Blackout ist zwar unwahrscheinlich, aber keineswegs eck verschoben. Während in den vergangenen Jahren unmöglich. Eine Vorbereitung muss insbesondere durch im Interesse von Nachhaltigkeit und Klimaschutz eine gemeinsame Kommunikationskampagnen von Bund, CO2-neutrale Energie- und Wärmeerzeugung im Fokus Ländern und Kommunen angestoßen werden. stand, besteht aktuell die akute Herausforderung, eine bezahlbare und insbesondere sichere Energieversorgung A u swi rk u ng en a u f d i e Ko mmu nen zu gewährleisten. Die Kommunen unternehmen große u nd k o mmu na l e Unternehmen Anstrengungen, um das Energieeinsparziel von 20 Pro- zent zu erreichen. Die beste Maßnahme zur Beruhigung Die Lage am Energiemarkt führt aktuell dazu, dass die und Stabilisierung des Energiemarktes in Deutschland Kommunen von erheblichen Mehrkosten bei der Beschaf- ist jedoch die schnellstmögliche Diversifizierung der fung von Energie stark betroffen sind. Die Entwicklung Energieversorgung. Kurzfristig bedeutet dies den Bau am Energiemarkt belastet zudem unmittelbar die Liqui- von schwimmenden Flüssiggasterminals an den Küs- dität von Stadtwerken und kann sich daher auch auf die ten. Mittel- und langfristig ist jedoch der ambitionierte Haushalte der Eigentümer-Kommunen auswirken. Kom- Ausbau der erneuerbaren Energien von entscheidender munale Unternehmen berichten zudem von erheblichen Bedeutung. Um dies zu erreichen, müssen allerdings ins- Kostensteigerungen in anderen energieintensiven Spar- besondere Planungs- und Genehmigungsverfahren wei- ten, wie beispielsweise bei der Abwasserentsorgung so- ter beschleunigt und die Akzeptanz in den Kommunen wie der Wasserversorgung. Auch die Energiebeschaffung weiter gefördert werden. wird schwieriger, bei entsprechenden Ausschreibungen der Kommunen gibt es immer häufiger keine Angebote Der mutmaßliche Angriff auf die Nordstream-Pipelines von Energieversorgern. Gemeinsam mit Unternehmen hat zugleich gezeigt, wie verletzlich die europäische aus der Energiewirtschaft haben die kommunalen Spit- Energieinfrastruktur ist. Gerade kritische Infrastruk- zenverbände daher eine Handreichung erarbeitet, um turen wie beispielsweise Energienetze oder die neuen Hilfestellungen zu geben, damit möglichst alle Kommu- Flüssiggasterminals müssen gegen mögliche Angriffe nen Energie zu bezahlbaren Preisen beschaffen können. besser geschützt werden. Dies betrifft auch die Versor- Gleichzeitig ist die Bundesregierung gefordert, den Ener- gungsinfrastrukturen in den Kommunen. So können giemarkt weiter zu stabilisieren, etwa indem sie Entlas- redundante Netzinfrastrukturen dabei helfen, die Ver- tungen der Verbraucher einschließlich von Kommunen sorgungssicherheit in einer Kommune im Krisenfall zu und Wirtschaft schafft. gewährleisten. Dies bedeutet aber auch, dass die hierzu notwendigen Investitionen gefördert beziehungsweise M a ßna hmen zu r E ntla stu ng die entstehenden Kosten im Rahmen der Regulierung vo n B ü rg ern, Wi rtscha f t u nd Ko mmun e n anerkannt werden. Der Lagebericht 2022 des Bundes- amtes für Sicherheit und Informationstechnik (BSI) hat Die Gas- und Strompreisbremse sind als Instrumente zudem aufgezeigt, dass im Rahmen hybrider Kriege auch zur Entlastung zu begrüßen. Wichtig ist, die Energieprei- 8 B I L A N Z 2022 | AUSB L ICK 2023
spreisbremse auch auf kommunale Abnahmestellen aus- finanzielle Lage ist bei vielen Stadtwerken aufgrund der zudehnen. Denn viele kommunale Haushalte sind durch Preissprünge am Energiemarkt äußerst angespannt. Die die stark gestiegenen Energiekosten extrem belastet. kommunalen Spitzenverbände haben deshalb mehrfach Diese Entwicklung bedroht viele freiwillige Angebote in gegenüber der Bundesregierung einen Schutzschirm den Gemeinden, wie etwa Sport- und Freizeiteinrichtun- für Stadtwerke gefordert. Bund und Länder haben den gen und damit letztlich auch den notwendigen gesell- Handlungsbedarf zwar anerkannt und den Schutzschirm schaftlichen Zusammenhalt vor Ort. Eine weitere Verteu- explizit angekündigt. Es ist allerdings erforderlich, die erung kommunaler Angebote zulasten der Bürgerinnen Hilfen schnell bereitzustellen und noch bestehende Lü- und Bürger würde außerdem die Inflation weiter anhei- cken zu schließen. zen. Die Preisbremsen für den Gas-, Wärme- und Strom- bereich sind daher zu begrüßen, zumal sie so ausgestal- E nerg i eei nsp a rma ßna hmen tet sind, dass sie bei den Verbrauchern einen Anreiz zum i n d en Ko mmu nen Energiesparen setzen. Im Sommer des Jahres 2022 hat das Bundeswirtschafts- Sch u tz s ch irm fü r S t a dt werke ministerium ein Energiesicherungspaket vorgelegt, das in die richtige Richtung weist. Die Energiesicherheit in Für die Stadtwerke stellen die Preisbremsen allerdings Deutschland kann maßgeblich durch Energieeinsparun- eine enorme administrative und finanzielle Herausforde- gen erreicht werden. Die Verordnungen haben allerdings rung dar. Positiv zu werten ist, dass durch dieses Instru- zu zahlreichen Nachfragen und Unsicherheiten infolge ment Zahlungsausfälle bei den Energiekunden begrenzt der kurzfristigen Umsetzung geführt. Jetzt wird es vor werden dürften, was zunächst einmal zu einer Entlas- allem darum gehen, die mittelfristigen Einsparziele für tung der Stadtwerke beitragen wird. kommende Winter stärker in den Fokus zu nehmen. Es gilt, Kommunen langfristig resilient und damit energieef- Wichtig ist aber, dass die Liquidität der Versorgungsun- fizient aufzustellen. Neben dem Ausbau der kommunalen ternehmen nicht weiter belastet werden darf. Denn die Wärmenetze und der erneuerbaren Energien sind auch STROMERZEUGUNG IN DEUTSCHLAND 2022 Anteile in % Zeitraum 1. bis 3. Quartal 2022 Sons�ge 17,34 TWh 4,0 % Gesamt 433,5 TWh Wind t lan 90,6 TWh Braunkohle gep 20,9 % 35 86,7 TWh is 20 54,4 % 20,0 % 45,6 % Auss�eg Kohle b 235,8 TWh Fossile Energien Steinkohle TWh 39,0 TWh 9,0 % 197,7 TWh Erneuerbare Energien 47,7 TWh in % Biomasse 11 % Solar 26,0 TWh 6,0 % Stromerzeugung in Deutschland Fällt 55,1 TWh Kernenergie 12,7 % Erdgas bis Ende des 3. Quartals 2022. i rlä rgi 23 nZ ng e 20 eru ng e . 04 uk . 58,1 TWh Insbesondere die klimaschädliche 15 en un bis ern ve 13,4 % � K eit eg z w f ! Lau ant Kohleverstromung hat den größ- Auss�eg bis 2022 gepl Wasser 13,0 TWh 3,0 % ten Anteil der Energieerzeugung Quelle: BDEW-Schnellsta�s�kerhebung, Desta�s, EEX, VGB, ZSW; Stand 10/2022; Grafik DStGB 2022 ausgemacht. BIL ANZ 2022 | AUSBLICK 2023 9
WEITERE INFOS im Bereich kommunaler Gebäude und Anlagen mittel- me aufeinander abzustimmen und möglichst flächende- und langfristige Energiesparpotentiale umzusetzen. Mit ckende Förderbedingungen anzubieten. 180.000 Gebäuden (Rathäuser, Schulen, Kindergärten, Sporthallen etc.), 2 Millionen kommunalen Wohnungen A u sb a u d er erneu erb a ren E nerg i en sowie rund 9 Millionen Lichtpunkten bergen kommuna- u nd Netza u sb a u g emei nsa m d enk en le Liegenschaften große Potentiale für Energieeinspa- rungen. Das ist nicht allein eine Frage des Klimaschutzes, Der Ausbau der erneuerbaren Energien konnte durch sondern auch der Entlastung kommunaler Haushalte. das sogenannte Oster- beziehungsweise Sommerpaket Hierfür bedarf es einer auskömmlichen, kohärenten und beschleunigt werden. Aus kommunaler Sicht ist hervor- langfristig aufgesetzten Förderung durch Bund und Län- zuheben, dass die Position der Kommunen, etwa beim der. Weitere Herausforderungen bei den nun anstehen- Ausbau von Photovoltaikanlagen in der Fläche, nochmals den Maßnahmen wird allerdings der anhaltende Fach- gestärkt worden ist. Ebenso wurde die finanzielle Betei- kräftemangel sowie unterbrochene Lieferketten sein. ligung der Gemeinden an der Windkraft an Land und an PV-Freiflächenanlagen erneut gestärkt. Problematisch Dez e n tral e Wä rm ewe n d e förde rn ist jedoch, dass beispielsweise die Photovoltaik-Branche mit längeren Umsetzungsphasen konfrontiert wird. Als Für den Klimaschutz und zur Verringerung von Abhän- Ursache hierfür werden ebenfalls gestörte Lieferket- gigkeiten ist das Gelingen der Wärmewende vor Ort von ten und gestiegene Preise genannt. Hinzukommt, dass überragender Bedeutung. Die Bundesregierung hat an- der Ausbau der Übertragungsnetze voranschreitet, die gekündigt, sich für eine flächendeckende kommunale Verteilnetze jedoch unterschiedlich gut ausgebaut wer- Wärmeplanung einzusetzen. Dabei ist zu beachten, dass den. Schlecht ausgebaute Verteilnetze verhindern aber der Gebäudebestand und die Energieversorgungsinfra- die Möglichkeit, weitere erneuerbare Energiequellen struktur in den Kommunen sehr unterschiedlich sind. an das Netz der allgemeinen Versorgung anzubinden. Die Wärmewende muss daher dezentral ausgestaltet Insofern benötigen die Kommunen dringend Unterstüt- werden, um für die lokalen Strukturen maßgeschneider- zung bei der Ertüchtigung der Verteilnetze im unteren te Lösungen zu bieten. Alle Technologien, die das Ziel der und mittleren Spannungsbereich. Die aktuellen finan- Klimaneutralität fördern, müssen eine Chance erhalten. ziellen Rahmenbedingungen erschweren dieses Vorha- Dies gilt sowohl für Wärmekonzepte in städtischen Quar- ben. Denn mit der aktuellen Zinswende verringert sich tieren mit Mehrfamilienhäusern als auch in ländlichen das Interesse privater Kapitalgeber, die Generierung Regionen mit vielen Einfamilienhäusern. Voraussetzung von Fremdkapital wird erschwert. Hinzukommt, dass für die richtige kommunale Strategie im Bereich der Wär- der Eigenkapitalzins durch die Bundesnetzagentur zu me ist eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung. gering angesetzt worden ist, was die Kapitalerhöhung Damit diese allen Kommunen offensteht, ist eine vollum- zusätzlich erschwert. Dies verzögert die Umsetzung der fängliche Finanzierung durch Bund und Länder erfor- Klimaziele der Bundesregierung und muss zeitnah nach- derlich. So gibt es beispielsweise in Baden-Württemberg gebessert werden. Mit Blick auf die Flächenziele beim eine Pflicht zur Wärmeplanung für größere Kommunen, Ausbau ist aus kommunaler Sicht von Relevanz, dass die aber auch eine entsprechende Vollfinanzierung. Nicht zu- Länder diese gegebenenfalls auf die kommunale Ebene letzt wird es aber auch auf die anschließende Finanzie- „herunterbrechen“ oder die Flächen selbst in landeswei- rung der konkreten Umsetzung ankommen. Hierbei wird ten und regionalen Raumordnungsplänen bereitstellen es wichtig sein, die bereits vorhandenen Förderprogram- können. 10 B I L A N Z 2022 | AUSB L ICK 2023
KOMMUNALE F INANZEN IN DER K RISE Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bedeutet tion sind die Entlastungspakete des Bundes sehr wichtig, auch eine Zeitenwende für die Kommunalfinanzen. Es denn das Leben muss für die Bürgerinnen und Bürger be- steht zu befürchten, dass sich für die Städte und Gemein- zahlbar bleiben. Gleichzeitig bedeuten diese Entlastun- den die dramatischste Finanzsituation seit Bestehen der gen aber natürlich auch Steuerverluste für die öffentliche Bundesrepublik entwickelt. Bereits die Corona-Pande- Hand, auch für Städte und Gemeinden. mie hat die Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen erheblich beschädigt. Hinzu kommt die aktuelle Krisen- Rü ck b l i ck 2022 situation, die zu extremen Kostensteigerungen führt. Vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine betrugen die Nach der vierteljährlichen Kassenstatistik des Statisti- Energiekosten der Kommunen pro Jahr bundesweit etwa schen Bundesamtes haben die kommunalen Kern- und 5 Milliarden Euro. Nun steht zu erwarten, dass sich diese Extrahaushalte zum 30. Juni 2022 ein negatives Finanzie- Kosten trotz Energie- und Gaspreisbremse sowie umfas- rungssaldo von 1,6 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das send eingeleiteter Energiesparmaßnahmen mindestens Ergebnis fällt damit spürbar besser als bei den von der Co- verdoppeln. Auch die Sozialausgaben steigen in zweistel- rona-Pandemie geprägten Halbjahreszahlen in 2020 (-9,6 liger Milliardenhöhe. Die hohen Tariferwartungen in den Milliarden Euro) und 2021 (-5,8 Milliarden Euro) aus. Gehaltsverhandlungen für den öffentlichen Dienst wür- den die Kommunen nochmals über 15 Milliarden Euro Im Vergleich zum 1. Halbjahr 2021 zogen vor allem die pro Jahr kosten. Hinzu kommen Inflation und Zinswen- Einnahmen der Kommunen spürbar um 10,0 Prozent de. Die Steuereinnahmen können hier nicht ansatzweise (+13,6 Milliarden Euro) auf 149,36 Milliarden Euro an. mithalten. Alle Wirtschaftsforscher sagen eine Rezession Ursächlich für den Anstieg war im Wesentlichen eine voraus. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisensitua- weitere Erholung bei den Steuereinnahmen, die um 19,4 KOMMUNALER FINANZIERUNGSSALDO In Mrd. € Die Städte und Gemeinden befinden sich angesichts explodierender Ausgaben bei nur leicht steigenden Einnahmen in einer veritablen Finanzkrise. Nach der Prognose der kommunalen Spitzenverbände droht ein Kernhaushalte Quelle: Sta�s�sches Bundesamt, Bundesministerium der Finanzen, Eigene Berechnungen; Grafik: DStGB 2022 dauerhaftes strukturelles Defizit BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 11
Prozent höher als in den ersten sechs Monaten des ver- wand sind um 9,0 Prozent auf 35,6 Milliarden Euro aufge- gangenen Jahres ausfielen (+8,6 Milliarden Euro auf 52,9 wachsen. Hier spiegeln sich bereits deutlich die gestiege- Milliarden Euro). Insbesondere die Gewerbesteuerein- nen Energiekosten wider. Die Personalausgaben nahmen nahmen (netto) zogen mit +24,7 Prozent auf nunmehr deutlich um 7,9 Prozent auf 39,7 Milliarden Euro zu. Mit 29,4 Milliarden Euro nochmals deutlich an. Der russische +3,6 Prozent zogen die Ausgaben für soziale Leistungen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich im ersten Halbjahr weniger stark als im Vorjahreszeitraum an und beliefen noch nicht negativ auf die Wirtschaft ausgewirkt, sodass sich zum Ende des 1. Halbjahres 2022 auf 33,19 Milliar- sie sich weiter von der Corona-Krise erholen konnte und den Euro. Bei den Leistungen nach dem Asylbewerber- gestundete Zahlungen nachgeholt wurden. Die gemeind- leistungsgesetz gab es im 1. Halbjahr 2022 einen starken lichen Steuereinnahmen (netto) sind dabei in allen Län- Anstieg um 68,1 Prozent auf 2,0 Milliarden Euro, unter dern gestiegen, jedoch ragt Rheinland-Pfalz mit der im anderem wegen des Zuzugs von Schutzsuchenden aus der Land ansässigen BioNTech SE mit einem Wachstum von Ukraine. Die Ausgaben für Sachinvestitionen wurden um +62,7 Prozent deutlich heraus. Die geringste Zunahme 5,0 Prozent auf 16,8 Milliarden Euro erhöht. Davon gingen gab es in Brandenburg (+2,9 Prozent). Die Einnahmen 12,2 Milliarden Euro auf Baumaßnahmen zurück (+6,0 %). aus Verwaltungs- und Benutzungsgebühren erholten sich nochmals kräftig um 11,0 Prozent und beliefen sich Zusammenfassend zeugen die Halbjahreszahlen auf der auf 17,2 Milliarden Euro. Einnahmeseite von einer guten Entwicklung der Wirt- schaft nach der Corona-Pandemie, nebst einmaligen Auf der Ausgabenseite war weiter ein dynamischer An- Steuerrückzahlungen. Die negativen Auswirkungen des stieg, diesmal um 6,7 Prozent auf 151,0 Milliarden Euro, russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind hier noch feststellbar. Die Ausgaben für den laufenden Sachauf- nicht zu spüren. Anders sieht es auf der Ausgabenseite ENTWICKLUNG DER STEUEREINNAHMEN NACH EBENEN 1970–2024 Angaben in Mrd. 993,0 937,3 Gesamt 887,7 EU 799,3 833,2 Bund Länder 739,7 673,3 Kommunen 561,2 529,3 467,3 452,1 416,3 Inflationsgetrieben und unter 223,5 289,9 der Annahme eines robusten 186,6 139,8 200 123,8 132,4 126,2 Arbeitsmarktes ist nach den 112,5 147,8 78,8 48,5 57,1 59,8 77,0 69,1 92,8 107,5 Ergebnissen des AK Steuerschät- 31,5 38,4 17,0 26,2 9,4 0 zungen auch in den kommenden ´20 ´22* ´24* 1970 ´75 ´80 ´85 ´90 ´95 2000 ´05 ´08 ´10 ´15 ´19 ´21 ´23* Jahren mit einem wachsenden Steueraufkommen zu rechnen. Quellen: Sta�s�sches Bundesamt, *AK Steuerschätzungen (Oktober 2022); Grafik: DStGB 2022 12 B I L A N Z 2022 | AUSB L ICK 2023
aus, wo deutlich erhöhte Energiekosten sowie flücht- schen Verfahren befindliche Gesetzesvorhaben können lingsinduzierte Kosten bereits wahrnehmbar sind. Mit nicht berücksichtigt werden. Die infolge des Inflations- Blick auf den weiteren Jahresverlauf sind die Ausgaben ausgleichsgesetzes sowie des Jahressteuergesetzes 2022 noch deutlich stärker aufgewachsen. Hier konnten auch erwarteten Steuermindereinnahmen von bis zum Jahr die inflationsgetrieben gestiegenen Steuereinnahmen 2026 hochgerechnet rund 150 Milliarden Euro konnten nicht mehr mithalten. von Steuerschätzerinnen und -schätzern daher noch nicht abgebildet werden. Die volle Jahreswirkung allein Un sich e re Ein n a h m e e n t w i c k lu n g dieser beiden Gesetze wird voraussichtlich bei fast -40 Milliarden Euro liegen. Den Großteil der Mindereinnah- Der Arbeitskreis Steuerschätzungen geht auch für die men schultern Bund und Länder, gleichwohl sind die in- nächsten Jahre von einem robusten Steuerwachstum aus. folge der Gesetze ausbleibenden Steuereinnahmen für Nach der Herbst-Schätzung kann die öffentliche Hand bis die Städte und Gemeinden ebenfalls signifikant. zum Jahr 2026 mit Mehreinnahmen in Höhe von 126,4 Milliarden Euro im Vergleich zur Schätzung im Frühjahr Angesichts der weiteren Unwägbarkeiten des russischen 2022 rechnen. Hiervon entfallen 40,4 Milliarden Euro auf Angriffskrieges auf die Ukraine, der damit besonders un- die gemeindliche Ebene. Allerdings ist eine Ursache für sicheren Gas- und Energiepreisentwicklung sowie die das Wachstum jedoch die hohe Inflation, durch die auch weiterhin bestehenden globalen Lieferengpässe, ist die die Steuereinnahmen steigen. Steuerschätzung mit äußerst großen Unsicherheiten be- haftet. Dies zeigt auch der Blick auf die wirtschaftliche Die Steuerschätzung fußt methodisch korrekterweise Entwicklung. Nach der Gemeinschaftsdiagnose mehre- auf der aktuellen Rechtslage. Noch im parlamentari- rer Wirtschaftsforschungsinstitute wird für dieses Jahr STEUERSCHÄTZUNG FÜR GEMEINDEN AUSWIRKUNGEN JStG u. InflAusG Steuereinnahmen der Gemeinden (AK Steuerschätzungen 10/22) Steuereinnahmen der Gemeinden (AK Steuerschätzungen 10/22 abzgl. Mindereinnahmen Entwürfe JStG u. InflAusG) Abweichung der Schätzungen Im Zuge des Inflationsausgleichs- 132,4 gesetzes und des Jahressteuerge- in Milliarden Euro setzes 2022 zu erwartende Mindereinnahmen für die -3,2 -5,1 -5,3 -5,4 gemeindliche Ebene ab. 2022 2023 2024 2025 2026 Bis zum Jahr 2026 summieren Quelle: AK Steuerschätzungen (Oktober 2022), Bundesministerium der Finanzen; Grafik: DStGB 2022 sich diese auf fast 20 Mrd. Euro. BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 13
ein Rückgang der deutschen Wirtschaft um 0,4 Prozent auch an die Kommunen, also dorthin wo der Großteil der erwartet (Frühjahrsschätzung +3,1 Prozent). Die Euro- flüchtlingsinduzierten Ausgaben auch anfällt, weiterge- päische Kommission hat zuletzt für Deutschland für das reicht werden. Darüber hinaus muss kontinuierlich eva- Jahr 2023 eine Rezession in Höhe von -0,6 Prozent pro- luiert werden, ob die Mittel ausreichend sind, wenn die gnostiziert. Fluchtbewegungen sowohl aus der Ukraine als auch aus anderen Regionen nach Deutschland zunehmen. Expl o d ie re n d e A u s g a b e n Weiter setzt auch die Zinswende gerade die hochver- Infolge des Krieges in der Ukraine sind die kommunalen schuldeten Kommunen einem erheblichen finanziellen Ausgaben bereits im abgelaufenen Haushaltsjahr deutlich Druck aus, den sie aus eigener Kraft nicht bewältigen angestiegen. Noch deutlicher werden die Auswirkungen können. Mit Blick auf das Ziel der Erreichung der Gleich- des Krieges und der Inflation aber in diesem Jahr spürbar wertigkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land ist sein, wenn bestehende Energieverträge auslaufen und eine kommunale Altschuldenlösung daher unabdingbar. neue Tarifabschlüsse gefunden werden müssen. Hier stehen in erster Linie die Länder in der Verantwor- tung. Angesichts der notwendigen Summen wird es ohne Lagen die jährlichen Ausgaben der Kommunen für Ener- die Hilfe des Bundes jedoch nicht gehen. Dies ist aber gie vor dem Krieg jährlich noch bei rund 5 Milliarden Euro auch gerechtfertigt, schließlich sind die Altschulden zu- drohen diese sich, trotz Energie- und Gaspreisbremse so- mindest teilweise auf Bundesgesetzgebung zurückzu- wie umfassend eingeleiteter Energiesparmaßnahmen auf führen. Gepaart mit der über viele Jahre mangelhaften gut 10 Milliarden Euro zu verdoppeln. Hinzu kommen Finanzausstattung durch das jeweilige Land sowie not- weitere, teils zweistellige Milliarden-Mehrbelastungen. So wendigen Strukturwandelprozessen waren viele Kom- würden die Tarifforderungen die kommunalen Haushalte munen faktisch gezwungen, enorme Kassenkreditberge mindestens weitere 15 Milliarden Euro mehr kosten. anzuhäufen. Auch bei bestem Wirtschaften war die kom- munale Verschuldung nicht zu vermeiden. Die Sozialausgaben werden inflations- sowie rezessi- onsbedingt ebenfalls äußerst dynamisch ansteigen. Die Dü sterer A u sb l i ck – Flüchtlingsunterbringung und -versorgung stößt bereits A u fg a b enp ri o ri si eru ng no twend i g heute an die Grenzen des Möglichen in Städten und Ge- meinden und verursacht hohe Kosten. Hinsichtlich der Bringt man die zu erwartende Einnahmen- und Ausga- Ausgaben für Geflüchtete aus der Ukraine ist grundsätz- benentwicklung zusammen, dann ist der Ausblick äu- lich positiv zu vermelden, dass sich Bund und Länder am ßerst düster. Die Städte und Gemeinden steuern auf eine 3. November 2022 darauf verständigt haben, dass der veritable Finanzkrise zu. Für dieses Jahr haben die kom- Bund den Ländern für die Jahre 2022 und 2023 zusätzli- munalen Spitzenverbände im Sommer des vergangenen che Finanzmittel in Höhe von jeweils 1,5 Milliarden Euro Jahres einen negativen Finanzierungssaldo von 5,3 Mil- zur Verfügung stellt. Ferner gewährt der Bund den Län- liarden Euro angenommen. Es steht zu befürchten, dass dern ab dem Jahr 2023 eine allgemeine flüchtlingsbezo- dieses strukturelle Defizit nach den Entwicklungen der gene Pauschale in Höhe von 1,25 Milliarden Euro. Diese letzten Monate sogar nochmals anwächst. tritt an die Stelle der bisherigen Pauschale für unbeglei- tete minderjährige Flüchtlinge (in Höhe von 350 Millio- Oftmals einziger Hebel zur Ausgabenreduzierung ist die nen Euro). Zwingend erforderlich ist aber, dass die Mittel Kürzung bei Investitionen. Mit Blick auf die Zukunfts- 14 B I L A N Z 2022 | AUSB LICK 2023
fähigkeit Deutschlands und dem bereits bestehenden Angesichts der insgesamt künftig deutlich stärker be- kommunalen Investitionsrückstand von zuletzt fast 160 grenzten Finanzmittel der öffentlichen Hand muss in Milliarden Euro wäre dies allerdings verheerend. Bund Deutschland darüber diskutiert werden, was der Staat und Länder stehen daher in der Pflicht, die kommunale noch leisten kann und leisten soll. Mittlerweile ist der Investitionsfähigkeit aufrecht zu erhalten. finanzielle Druck auf die öffentliche Hand so groß, dass ehrlicherweise festgestellt werden muss, dass nicht mehr Gerade in der Krise erwarten die Menschen und die alle staatlichen Leistungsversprechen erfüllbar sind. Die- Wirtschaft handlungsstarke Kommunen. Die Städte und se müssen auf den Prüfstand und es muss zu einer Pri- Gemeinden müssen daher endlich finanziell dauerhaft orisierung dessen kommen, was die öffentliche Hand in in die Lage versetzt werden, alle ihre Aufgaben erfül- Deutschland versprechen und erfüllen kann. len zu können, einschließlich der nötigen Investitionen. Neben der entsprechenden Finanzmittelausstattung, in erster Linie über Steuern und erst dann über Zuweisun- gen, braucht es künftig eine echte Konnexität und einen Verzicht auf einseitige Standardverschärfungen ohne Gegenfinanzierung. Es kann schlicht nicht sein, dass WEITERE INFOS die Kommunen bundesseitig beschlossene standard- verschärfende Regelungen - etwa im Bereich Kita oder Ganztag - allein tragen müssen. BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 15
WOHNUNGSBAU BLEIBT DRÄNGENDE AUFGABE Nach einer geringfügigen Erholung der Wohnungsbautä- GB von Beginn an aktiv mitgewirkt hat, Maßnahmen und tigkeit in den vergangenen Jahren gab es aber bereits im Handlungsempfehlungen für eine Bau-, Investitions- und Jahr 2021 – also noch vor Beginn des Ukraine-Kriegs – Innovationsoffensive vorgestellt. Das Bündnis schließt an einen merklichen Dämpfer. In diesem Jahr wurden in die Vorarbeiten des „Bündnisses für bezahlbares Woh- Deutschland lediglich 293.000 Wohnungen fertiggestellt. nen und Bauen“ und die Ergebnisse der „Kommission Dies waren nach Auskunft des Statistischen Bundesam- für nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik tes 4,2 Prozent oder 13.000 Wohnungen weniger als (Baulandkommission)“ sowie der Baukostensenkungs- noch im Vorjahr. Nachdem im Jahr 2020 erstmals mehr kommission aus der vergangenen Legislaturperiode an. als 300.000 neue Wohnungen entstanden waren, fiel die Viele Ansatzpunkte liegen beziehungsweise lagen somit Zahl im Jahr 2021 somit wieder auf das Niveau des Jah- bereits auf dem Tisch und müssen nun zügig umgesetzt res 2019 zurück. Dieser Trend dürfte sich angesichts der werden. Krisenereignisse im Jahr 2022 noch deutlich verschärfen. Die Bündnis-Empfehlungen umfassen unter Hinzu kommt: Es gibt zu wenige preisgebundene Woh- anderem folgende Maßnahmen: nungen. Während es im Jahr 2002 noch rund 2,6 Milli- onen Sozialwohnungen gab, hat sich ihre Zahl bis zum Neuausrichtung der Neubauförderung ab dem Jahr Jahr 2021 auf nur noch rund 1,09 Millionen verringert. 2023 sowie die Auflage eines Wohneigentumspro- Jährlich fallen etwa 60.000 weitere Wohnungen aus der gramms. sozialen Bindung. Um den hohen Bedarf an sozialem Erhöhung der linearen Abschreibung im Bereich Wohn- Wohnraum zu decken, hat die neue Bundesregierung gebäude von 2 auf 3 Prozent ab dem 01. Juli 2023. die Zielmarke bei 100.000 neuen Sozialwohnungen pro Dauerhafte Absicherung der Bundesmittel für die Jahr gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist eine deutliche Städtebauförderung. Angebotsausweitung an Wohnraum – insbesondere im Bundesweite Einführung eines digitalen Bauantrags. bezahlbaren Segment – dringend notwendig. Zeitlich befristete Erhöhung vergaberechtlicher Wert- grenzen für Wohnungsbauprojekte. Grundsätzlich positiv ist in diesem Zusammenhang die Einmal erteilte Typengenehmigungen im Bereich des Anzahl an erteilten Baugenehmigungen für Wohnungen seriellen Bauens sollen bundesweit gelten. zu werten. Sie stieg im Jahr 2021 mit 380.700 um 3,3 Pro- Anpassung von Immissionsschutzanforderungen zur zent gegenüber dem Vorjahr und war damit weiterhin Schaffung von zusätzlichem Wohnraum. deutlich höher als die Zahl der Baufertigstellungen. Dies Der Bund wird ab 2023 ein neues Förderprogramm führte Ende 2021 zu einem Überhang von 850.000 ge- „Klimafreundliches Bauen“ starten. Es soll sich nehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen. stärker am Lebenszyklus von Gebäuden ausrichten. Der seit dem Jahr 2008 anhaltende Anstieg des Bauüber- Fortentwicklung und Erleichterungen bei den Stell- hangs beschleunigte sich somit erneut und erreichte den platzregelungen im Bauordnungsrecht, um Neubau, höchsten Stand seit dem Jahr 1996. Umbau und Aufstockung zu erleichtern. Bedarfsgerechte Einrichtung kommunaler und regio- Bün d n is b ez ah lb a re r Woh n ra u m naler Bodenfonds. Im Oktober 2022 hat das vom Bundesbauministerium in- Diese Maßnahmen verdeutlichen, dass zur Zielerrei- itiierte Bündnis bezahlbarer Wohnraum, an dem der DSt- chung nicht nur die Kommunen, sondern vielfach auch 16 B I L A N Z 2022 | AUSBLICK 2023
der Bund und die Länder, insbesondere mit Blick auf eine gezielte Förderung des seriellen Bauens. So sollten ein- Anpassung der Landesbauordnungen, gefordert sind. mal erteilte Typengenehmigungen grundsätzlich bun- desweit gelten, sofern keine zwingenden landesrechtli- Ba u k o ste n ste i g e ru n ge n bre m s e n chen Aspekte dagegenstehen. Steigende Baukosten, Materialengpässe sowie Fachkräf- B a u la nd mo b i l i si eru ng verb essern temangel führen derzeit dazu, dass die gesteckten Ziele von 400.000 neuen Wohnungen bzw. 100.000 geförder- Ein Kernproblem bleibt die Mobilisierung von Bauland. ten Wohnungen pro Jahr in Deutschland nur schwer zu Es ist daher notwendig, dass in diesem Bereich weitere erreichen sein werden. So ist es bereits im Jahr 2021 zu Verbesserungen geschaffen werden. Dies gilt insbeson- einer starken Verteuerung der Bauleistungen im Neu- dere in stark nachgefragten Städten und Gemeinden und bau gekommen. Die Teuerungsrate lag bei 9,1 Prozent. in deren umliegenden Regionen. Dem Bau- und Immobi- Diese Preissteigerungen haben sich in Folge des Ukrai- lienpreisindex des Statistischen Bundesamtes zu Folge ne-Kriegs auch im Jahr 2022 fortgesetzt. Umso wichti- haben sich die Preise für Baulandgrundstücke (unbebaut, ger ist es, dass die beeinflussbaren Faktoren beim The- baureif) im Zeitraum von 2010 bis 2020 um 102 Prozent ma Wohnungsbau zügig angepasst werden. erhöht. Daher ist es zu begrüßen, dass der Bundesge- setzgeber bereits im Jahr 2021 mit dem Baulandmobi- Bund und Länder sind gehalten, unter Berücksichtigung lisierungsgesetz verschiedene Gesetzesänderungen auf der Anforderungen des Klimaschutzes und der Klima- den Weg gebracht hat, um eine bessere Aktivierung von anpassung die baulichen Standards und das bauliche Bauland zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu Anforderungsniveau im Sinne von notwendigen Min- ermöglichen. Neuer Wohnraum sollte hierbei vorrangig deststandards kritisch zu überprüfen. Hierzu gehört durch Innenentwicklungsmaßnahmen geschaffen wer- auch die Einrichtung einer unabhängigen Stelle zur Fol- den, um Stadt- und Ortskerne als attraktive und nutzungs- gekostenabschätzung in Normungsprozessen sowie die gemischte Wohn- und Versorgungsstandorte zu stärken. FERTIGGESTELLTE WOHNUNGEN INSGESAMT 2002–2021 350000 306.000 293.002 289.590 287.352 300000 278.008 284.816 247.722 293.000 Im Jahr 2021 wurden in Deutsch- 249.436 277.691 land nur rund 293 000 Wohnun- 268.103 245.325 250000 gen fertiggestellt. Dies waren 242.316 210.729 4,2 Prozent oder knapp 13.000 214.817 200.466 Wohnungen weniger als im 200000 175.927 183.110 Vorjahr. Diese abnehmende Tendenz wird sich aufgrund 158.987 159.832 150000 stark steigender Baukosten sowie 2002 ´03 ´04 ´05 ´06 ´07 ´08 ´09 ´10 ´11 ´12 ´13 ´14 ´15 ´16 ´17 ´18 ´19 ´20 2021 Material- und Personalengpässen Quellen: Sta�s�sches Bundesamt, Baugenehmigungen und Baufer�gstellungen, 2021; Grafik: DStGB 2022 fortsetzen. BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 17
Hierzu können aus kommunaler Sicht unter anderem N eu b a u u nd B esta nd zu sa mmen d enke n die Einführung einer Innenentwicklungsmaßnahme im Baugesetzbuch, ein weiter geschärftes kommunales Vor- Bei der Schaffung von Wohnraum darf der Fokus nicht al- kaufsrecht, in der Praxis vollziehbare Baugebote oder lein auf den Neubau gerichtet werden. Auch die Nachver- auch die Etablierung kommunaler Bodenfonds, die durch dichtung, der Um- und Aufbau von Bestandsimmobilien Bund und Länder unterstützt werden, beitragen. Letzte- sowie die bauliche Ertüchtigung und die Umnutzung von res sehen die Bündnis-Empfehlungen ausdrücklich vor. Leerständen müssen in den Blick genommen werden. Wohnungen werden als „leerstehend“ bezeichnet, wenn Mit kommunalen Bodenfonds können Städte und Ge- sie weder vermietet sind noch von der Eigentümerin meinden je nach Bedarf vor Ort steuern, was und wann oder dem Eigentümer selbst bewohnt werden. Ferien- gebaut wird. Bund und Länder sollten daher derartige In- und Freizeitwohnungen fallen nicht darunter. strumente finanziell unterstützen. Hierauf sind vor allem die strukturell durch Altschulden belasteten Kommu- Das BBSR hat bereits im Jahr 2018 ermittelt, dass an- nen angewiesen. In solchen Fonds werden Grundstücke nähernd 1,7 Millionen Wohnungen in Deutschland leer vorgehalten, über die die Kommunen verfügen können. standen. Das entspricht rund 4 Prozent des gesamten Bund und Länder sollten die Kommunen hier nicht nur fi- Wohnungsbestands. Dieses Potential muss bei der Lö- nanziell unterstützen, sondern auch eigene Grundstücke sung der Wohnungsfrage mitgenutzt werden. In einer in Bodenfonds einbringen. Einen solchen Weg geht etwa verstärkten Dezentralisierung von Wohnen und Arbeiten Baden-Württemberg mit einem bei der Landsiedlung Ba- und der Steigerung der Attraktivität ländlicher Räume, den-Württemberg GmbH geführten Grundstücksfonds, speziell durch einen Ausbau der Infrastruktur, liegt zu- der für finanzschwache Kommunen mit Engpässen am dem eine echte Chance zum Ausgleich zwischen wach- Wohnungsmarkt als Zwischenerwerber auftritt. senden Großstädten und dem ländlichen Raum. So z ial e Wo h n ra u m förd e ru n g Zudem kann die Umwandlung von leerstehenden Büro- weite r au sb au e n und Gewerbeflächen zu Wohnungen eine Chance bieten, Wohnraum zu schaffen und auch Wohnungen mit einer Um die gesteckten Wohnungsbauziele zu erreichen, bedarf Sozial- und Mietpreisbindung zu belegen. Nach Aussage es in Zukunft einer soliden Finanzierung und damit Woh- des Pestel-Instituts (Studie Bezahlbarer Wohnraum, Ja- nungsbauförderung durch Bund und Länder. Der DStGB nuar 2022) liegt der Median der Umbaukosten mit rund hat sowohl im Bündnis-Prozess Wohnen als auch mit Blick 1.200 Euro je Quadratmeter Wohnfläche weit unter den auf die Bund-Länder-Beratungen zur zukünftigen Ausge- Kosten für einen Neubau. Der Bund sollte insoweit finan- staltung der Städtebauförderung eine auskömmliche Fi- zielle Anreize zur Umnutzung setzen und auch Kommu- nanzierungsgrundlage gefordert. Die Mittel für die soziale nen beim (Zwischen-) Erwerb von Liegenschaften und Wohnraumförderung müssen langfristig auf mindestens 5 deren baulicher Umnutzung finanziell unterstützen. Milliarden Euro jährlich aufgestockt werden. Derzeit se- hen die Eckwerte der Finanzplanung des Bundes vor, dass Ko mmu na l e Wo hnu ng su nternehmen der Bund von 2022 bis 2026 insgesamt 14,5 Milliarden stä rk en Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellt. Es ist si- cherzustellen, dass die Länder diese Finanzmittel kofinan- Kommunale Wohnungsunternehmen sind wichtige Part- zieren und die Bundesmittel im Ergebnis uneingeschränkt ner der Städte und Gemeinden sowie Garanten einer dem sozialen Wohnungsbau zukommen. nachhaltigen Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. 18 B I L A N Z 2022 | AUSB L ICK 2023
WEITERE INFOS Die über 700 kommunalen Wohnungsunternehmen weltprüfungen (UP) oder die Eingriffs-Ausgleichs-Rege- besitzen in Deutschland rund 2,3 Millionen Wohnun- lung im Planungsrecht benannt. gen. Diese kommunalen Unternehmen sind nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtet. Sie sind vielmehr Die verbilligte Abgabe von Liegenschaften und Grund- schon von ihren Satzungszwecken her dem Ziel ver- stücken des Bundes an Kommunen durch die Bundes- pflichtet, preiswerten Wohnraum für breite Kreise der anstalt für Immobilienaufgaben (BImA) muss nach den Bevölkerung zu schaffen. Bei ihren Maßnahmen steht Erfahrungen des letzten Jahres weiter optimiert werden. städtebaulich die Stärkung der Innenstädte und Orts- Schwierigkeiten treten in der Praxis insbesondere bei der kerne im Vordergrund. Daher hat sich der DStGB im Verkehrswertermittlung auf. Es sollte zudem vom Bund Bündnis-Prozess für eine weitere Stärkung der kommu- angesichts der allgemeinen Preisentwicklung eine An- nale Wohnungsunternehmen ausgesprochen. Sie tragen hebung der Verbilligungsabschläge in der Verbilligungs- mit einer zurückhaltenden Mietenpolitik maßgeblich richtlinie (VerbRL) vorgenommen werden. Ein pauscha- zu einer sozialgerechten Entwicklung in den Städten ler Verweis auf die beihilferechtliche Unzulässigkeit eines und Gemeinden bei. Wegen ihrer besonderen Rolle soll- solchen Vorgehens erscheint nicht schlüssig. ten kommunale Wohnungsunternehmen auch in ihrer Gründungsphase sowie mit dem Ziel einer Stärkung S o nd era b schrei bu ng en ü b erp rü fen, kommunaler Kooperationen bevorzugt in staatliche Verg a b erecht verei nfa chen Förderprogramme zur Stadtentwicklung und zum Woh- nungsbau einbezogen werden. Am 31. Dezember 2021 endete die Frist für die Sonder-Ab- schreibung im Mietwohnungsbau. Abgeschrieben werden Verfah ren s ab lä u fe ve re i n fa c h e n konnten jährlich bis zu 5 Prozent der Anschaffungs- und un d b es ch l eu n i ge n Herstellungskosten über einen Zeitraum von 4 Jahren, zusätzlich zur regulären linearen Neubau-AfA von zwei Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen nicht Prozent. Insoweit reicht aus Sicht des DStGB die nunmehr nur im Bereich des Ausbaus der Erneuerbaren Energi- vom Bund angekündigte Anhebung der linearen AfA für en, sondern auch im Bereich sonstiger relevanter Infra- den Neubau von Wohnungen von zwei auf drei Prozent strukturprojekte deutlich vereinfacht und beschleunigt nicht aus. Im Sinne einer echten Anreizwirkung sollte der werden. Es ist in diesem Zusammenhang erfreulich, dass Bund die Wiedereinführung der ergänzenden Sonder-Ab- der Gesetzgeber verschiedene Forderungen des DStGB schreibung prüfen. aufgegriffen hat. Das im November 2022 vorgelegte Ge- setz zur Stärkung der Digitalisierung in Bauleitplanver- Der Bund bleibt schließlich aufgefordert, effektive ver- fahren greift etwa die Forderung nach einer Umstellung gaberechtliche Vereinfachungen sowohl im Bereich des des förmlichen Beteiligungsverfahrens im Bauleitplan- Wohnungsbaus als auch im Bereich der Realisierung verfahren auf ein digitales Verfahren als Regelverfahren sonstiger kommunaler Infrastrukturprojekte (Klima- auf. Auch die Beschleunigung des Bauleitplanverfahrens schutz; Klimaanpassung) umzusetzen. Hierbei kann eine durch Vermeidung von Redundanzen bei der Änderung Orientierung an den zeitlich befristeten Regelungen des von Planentwürfen zielt in die richtige Richtung. Die- „LNG-Beschleunigungsgesetzes“ erfolgen. Dieses sieht se sinnvollen Ansätze müssen auch im kommenden unter anderem den Verzicht auf die Losvergabe, kürzere Jahr im Rahmen der vom Bund angekündigten „großen Fristen im Vergabeverfahren sowie maßgebliche Erleich- BauGB-Novelle“ weiterentwickelt und umgesetzt wer- terungen und Fristverkürzungen bei vergaberechtlichen den. Beispielhaft seien die Bereiche der komplexen Um- Nachprüfungsverfahren vor. BIL ANZ 2022 | AUSBL ICK 2023 19
S T E I GE N DE F LÜCH T L I N GSZ A H L E N ALS H E RAUSF OR DE RUN G Wie bereits in den Jahren 2015/2016 stellt auch aktuell Ortskräften belegt. Hinzu kommen die aus der Ukraine die Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flücht- geflohenen Menschen, die zunächst mit überwältigender lingen die Städte und Gemeinden vor große Herausforde- Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung in Privatun- rungen. Derzeit sind allein rund 1,1 Millionen Menschen terkünften aufgenommen wurden. Je länger der Krieg in aus der Ukraine in Deutschland registriert. Die neue Form der Ukraine andauert, desto schwieriger wird allerdings der Kriegsführung durch Russland mit Angriffen auf zivile die private Unterbringung, die häufig auf provisorischen Infrastruktur und der beginnende Winter werden wahr- Strukturen aufbaut. Die Kommunen sind daher schon seit scheinlich zu weiteren Fluchtbewegungen führen. Umso einiger Zeit gefordert, auch für die Kriegsvertriebenen aus wichtiger ist die verstärkte Unterstützung der Ukraine der Ukraine in den Kommunen Unterkunftsmöglichkeiten beim Wiederaufbau der zerstörten Energie-Infrastruktur. zu schaffen. Dabei treffen die Geflüchteten vielerorts auf Nach der Aufhebung vieler Corona-bedingter Reisebe- einen angespannten Wohnungsmarkt, besonders in den schränkungen steigt auch die Zahl der Asylbewerber aus Ballungsräumen, aber auch in vielen anderen Städten und anderen Ländern erneut deutlich an. Von Januar bis No- Gemeinden. Die Kommunen stehen daher immer häufiger vember 2022 sind nach Angaben des BAMF über 190.000 vor der Frage, ob sie Turnhallen belegen, Container anmie- Asylerstanträge gestellt worden. Dies entspricht einer Zu- ten oder Traglufthallen oder Zeltunterkünfte bauen müs- nahme um rund 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hinzu sen, um die Unterbringung sicherzustellen. kommt zudem noch eine nicht unerhebliche Zahl illegal Eingereister. Insbesondere über die sogenannte Balkan- Im Vergleich zu den Jahren 2015/2016 sind in der aktu- route kommen viele Menschen nach Deutschland, zumeist ellen Situation die Rahmenbedingungen deutlich ange- aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei. Dabei spielt of- spannter. Die Beschäftigten in den Kommunen sind nach fenbar auch die Entscheidung des EU-Beitrittskandidaten mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie erschöpft und Serbien eine Rolle, Staatsangehörigen aus deutlich mehr teilweise an der Belastungsgrenze. Die Energie- und Wirt- Staaten als die EU es vorsieht, die visafreie Einreise zu er- schaftskrise führt außerdem dazu, dass die finanziellen möglichen. Deutschland ist weiter innerhalb der EU das Mittel der Kommunen ohnehin eingeschränkt sind und für Hauptzielland von irregulärer Sekundärmigration aus die Unterbringung geflüchteter Menschen weniger Mittel Griechenland, aber auch aus Italien und Spanien. Auf die- bereitstehen. Gerade bei den Kriegsflüchtlingen aus der sem Weg kommen vor allem anerkannte, aber noch nicht Ukraine muss schnell und ohne längere Planungsmöglich- integrierte Geflüchtete nach Deutschland. Deutschland keiten Integration organisiert werden, da sie kein Asylver- verzeichnet damit wie seit vielen Jahren im EU-Vergleich fahren durchlaufen. mit Abstand die meisten Asylanträge. Um die Situation gut zu bewältigen ist ein gemeinsames Die Folgen dieses Ankunftsgeschehens zeigen sich in Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen notwendig. den Städten und Gemeinden mittlerweile sehr deutlich. Der Flüchtlingsgipfel der kommunalen Spitzenverbän- Trotz professionell entwickelter Unterbringungsstruk- de mit der Bundesministerin des Innern und Vertretern turen ist die Mehrzahl der staatlichen und kommunalen der Innenministerkonferenz im Oktober 2022 hat erste Unterkünfte mit Asylbewerbern, Flüchtlingen, Migran- Ergebnisse zur Unterstützung der Kommunen gebracht. ten aus dem Resettlement-Programm und afghanischen Der Bund wird über die Bundesanstalt für Immobilien- 20 B I L A N Z 2022 | AUSB LICK 2023
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