Bilanz der Menschlichkeit - spendeninfo
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Inhalt Corona Im Jahrhunderteinsatz ................................4 72.437 Rettungsdienst Aus ein paar Wochen wurde ein Jahr........8 Blut spenden Rotkreuz-Freiwillige Blut spenden in Zeiten der Pandemie......10 in Österreich Pflege & Betreuung Neue Sorgekultur nötig.............................14 11,1 Unsere Hilfe in Zahlen Das Rotkreuz-Jahr 2020............................18 Einsatz im Nahen Osten Geblieben, um zu helfen............................20 Millionen Freiwillige weltweit beim Individuelle Spontanhilfe Zum Leben zu wenig ...................................24 Roten Kreuz und Roten Halbmond Internationale Zusammenarbeit Ungleiches Warten ....................................28 Jugend Gemeinsam lesend durch den Lockdown .....................................................32 Die Leistungsbereiche des Österreichischen Roten Kreuzes ..............................................35 Impressum: Österreichisches Rotes Kreuz, Wiedner Hauptstraße 32, 1041 Wien. ZVR-Zahl: 432857691. www.roteskreuz.at, service@roteskreuz.at. Gesamtleitung: Mag. Thomas Marecek. Produktionsleitung und Chefredaktion: Mag. Ursula Fraisl. Schlussredaktion: Mag. Michael Achleitner. Coverfoto: ÖRK/LV Wien/Markus Hechenberger. Icons: The Noun Project, The Noun Project/ Mike Ashley, Martin Smith, Creative Stall; Info-Media. Produktion: Info-Media, 1010 Wien. Grafische Gestaltung: Constanze Nečas. Fotoredaktion: Annika Reidinger. Lektorat: Mag. Katharina Schindl, Mag. Sabine Wawerda. Druck: Gerin Druck, 2120 Wolkersdorf.
Vorwort R NA in einer Fetthülle, mit Spike-Proteinen gespickt, 120 bis 160 Nanometer groß. Wer hätte gedacht, dass ein so winziges Ding so großen Schaden anrichten kann? Innerhalb von Wochen hat das Coronavirus die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mühelos in die Knie gezwungen und Hilfsorganisationen gefordert wie nie zuvor. Kein Wunder, dass Covid auch das bestimmende Thema unseres Jahresberichtes ist. Das Rote Kreuz ist in erster Linie als „die Rettung“ bekannt. Das ist unser größter Leistungsbereich, der zusätzlich zum regulären Betrieb 2020 viele weitere Aufgaben übernommen hat – von Infektionstrans- porten bis zu Covid-Tests. Nicht ohne Stolz auf die mehr als 82.000 Mitarbeiter_innen weise ich jedoch bei vielen Gelegenheiten darauf hin, dass das Rote Kreuz weit mehr als „die Rettung“ ist. Das Spektrum unserer Leistungen ist breit und reicht von internationaler Katastrophenhilfe über Pflege bis hin zu Lernhilfeprogrammen. Wenn Sie die folgenden Seiten lesen, werden Sie bemerken, dass kein einziger dieser Leistungsbereiche so arbeiten konnte, wie wir das noch im Jahresbericht 2019 beschrieben haben. Man merkt, wie schnell es gehen kann, dass die Welt aus den Fugen gerät. Das Rote Kreuz möchte dann nicht nur Helfer in der Not sein, sondern auch Fels in der Brandung. Wir sind gefordert, wir sind anpassungs- fähig und verlässlich, wir sind – und bleiben – da, um zu helfen. Bitte überzeugen Sie sich davon, dass wir das tun – und vor allem: Bleiben Sie gesund. C Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer Präsident des Foto: ÖRK/Nadja Meister Österreichischen Roten Kreuzes www.roteskreuz.at/jahresbericht 3
JAHRESBERICHT 2020 Im Jahrhundert- einsatz VON VERA MAIR Testen, transportieren, tracen. In der Pandemiebekämpfung steht das Österreichische Rote Kreuz seit eineinhalb Jahren an vorderster Front. Ein Rückblick auf einen der größten Einsätze aller Zeiten. FACTS & FIGURES Mehr als Mehr als 1,6 Millionen durchgeführte 77.000 800.000 durchgeführte entgegengenommene Anrufe bei der Gesundheits- Covid-Tests 2020 Infektionstransporte hotline 1450 4
CORONA Sanitäter_innen im Corona-Einsatz ÖRK/LV Wien/KHD Dokuteam/Armin Fauland ÖRK/Giovanni Castell www.roteskreuz.at/jahresbericht 5
Rotkreuz-Mitarbeiter_innen beim Coronatest JAHRESBERICHT 2020 C hina, 1. Dezember 2019. Die Volksrepublik meldet der Weltgesundheitsorganisation Fälle einer mysteriösen Lungenkrankheit. Während am 1. Jänner 2020 der Großteil der österreichischen Bevölkerung voll Zu- versicht ins neue Jahr blickt, tagen bereits die ersten Krisenstäbe. Die Krisenmanager_innen sind alarmiert. „Es war schnell klar, dass sich die Krankheit auch außerhalb Chinas ausbreiten wird“, erinnert sich Bundesrettungskommandant Gerry Foitik, der seit da- mals den Corona-Einsatz des Roten Kreuzes leitet. Zu diesem Zeitpunkt ist das Coronavirus noch unbekannt, niemand ahnt, dass Europa bald ein Brennpunkt der Pandemie sein wird. Als Katastrophen- und Einsatzorganisation füllt das Rote Kreuz sofort seine Lager auf. „Wir haben gekauft, was am Markt verfügbar war. Die Lage war teilweise so angespannt, dass sogar in China von hundert auf null herunterfährt, ist es für das Rote die Schutzausrüstungen knapp wurden“, sagt Foitik. Kreuz genau umgekehrt. Tausende Freiwillige werden Statt wie sonst Wasseraufbereitungsan- mobilisiert, die Hilfsorganisation übernimmt innerhalb lagen in Krisengebiete zu fliegen, kürzester Zeit zahlreiche zusätzliche Aufgaben. Das chartern die Rotkreuz-Logisti- Rote Kreuz unterstützt das Gesundheitsministerium ker_innen im Auftrag der Regie- beim Aufbau eines Krisenstabes. Im ganzen Land sind Mehr als rung ab März eigene Ma- Testteams unterwegs. Rotkreuz-Sanitäter_innen brin- 1,3 Millionen schinen, um Atemschutz- masken, Schutzoveralls gen Erkrankte mit Infektionstransporten ins Kranken- haus. Downloads der Stopp Corona-App bis Dezember 2020 und Handschuhe nach Entscheidend in der Krisenbewältigung ist auch die Österreich zu bringen. Kommunikation. Der Babyelefant wird zum Symbol für Rund Bis Ende 2020 sind es das Abstandhalten, das Rote Kreuz informiert darüber, 10.000 z. B. über 18 Millionen wie man sich vor dem Virus schützt. Um die Ausbreitung Nutzer_innen der Stopp Corona-App informierten bis Dezember ihre Kontakte FFP2-Masken. des Virus zu stoppen, geht das Rote Kreuz innovative über eine Covid-Erkrankung Wege und startet die Stopp Corona-App. Als bekannt oder einen Krankheitsverdacht. Von null auf hundert wird, dass mit Antikörpern von Genesenen Erkrankten Immer mehr Menschen in- geholfen werden kann, organisiert das Rote Kreuz im fizieren sich, am 25. Februar April die Rekonvaleszentenplasmaspende – bis Ende 2020 gibt es die ersten offiziellen des Jahres werden über 500 Spenden geleistet. Fälle in Österreich. Der große Weck- Das alles geschieht zusätzlich zum Regelbetrieb. ruf sind Bilder aus Italien: Armeekonvois „Die Lage war extrem instabil. Neben der Pandemie- transportieren Tote, Feldlazarette werden aufgebaut. bekämpfung war eine der wichtigsten Aufgaben, die Während das öffentliche Leben im ersten Lockdown Menschen weiter zu versorgen. Die Rettung, die Pflege, 6
CORONA Bundesrettungskommandant Gerry Foitik Mehr als 25.000 Menschen melden sich bis Ende 2020 beim Team Österreich, einer Initiative von Hitradio Ö3 und dem Roten Kreuz. Mitglieder der „Team Öster- reich“-Nachbarschaftshilfe übernehmen dringende Einkäufe für alle, die das Haus nicht verlassen können und Unterstützung brauchen. „Wir stehen mitten in einem Einsatz, der so noch nie da gewesen ist“, so Foitik. Auch die Helfer_innen sind direkt betroffen. „Bei Hochwasser kommt Unterstüt- zung sonst von Freiwilligen aus nicht überschwemm- die Blutspende wurden ja weiter benötigt“, sagt Foitik. ten Gebieten. Das Wasser geht meist nach wenigen In allen Bereichen gelten strenge Sicherheitsvorkeh- Wochen zurück. Bei Corona schwappt seit über einem rungen, vieles muss neu organisiert und ständig ange- Jahr eine Welle nach der anderen über das Land und passt werden. Manche Angebote, wie die Lernhäuser, die ganze Welt“, sagt der Bundesrettungskomman- machen online weiter. dant. Eine Belastung, die gerade den Helfer_innen viel abverlangt. Sie sind seit über einem Jahr im Dauerein- Kraft der Zivilgesellschaft satz. Ein Ende ist auch heute nicht in Sicht. Die Impfung Dass der Einsatz so reibungslos läuft, liegt daran, dass gibt Hoffnung. Genauso wie die Kraft der Zivilgesell- sich zusätzlich zu den hauptberuflichen Mitarbeiter_ schaft. „Wenn es darauf ankommt, steht Österreich innen und Zivildienern so viele Freiwillige engagieren. zusammen“, sagt Foitik. C Wir helfen, weil es unsere Aufgabe ist Mit Beginn der Corona-Pandemie sind die zahlreichen Helfer_innen des Roten Kreuzes in den Fokus der Öffentlichkeit getreten – auch als Expert_innen beim Aufbau katastrophentauglicher Strukturen in Einsatzstäben des Bundes. Genau dazu ist das Rote Kreuz da. Wir haben als Teil der größten humanitären Hilfsorganisation der Welt die nötige Expertise und sind im ganzen Land mit rund 72.500 Freiwilligen und rund 10.000 Angestellten tief verwurzelt. Wenn es eine große Krise oder Katastrophe gibt und alles rasch gehen muss, unterstüt- zen wir bei Bedarf die Behörden im humanitären Bereich – diese „auxiliary role“ ist sogar in einem eigenen Gesetz verankert, dem Rotkreuz-Gesetz. Das ist richtig und gut so, in 192 Staaten der Welt hat das Rote Kreuz diese Funktion inne. Auch die Struktu- ren für große Einsätze stehen beim Roten Kreuz bereit und es gibt regelmäßig Fotos: ÖRK, ÖRK/Bogna Bylica, ÖRK/Nadja Meister Katastrophenübungen. Wir bereiten uns im Stillen darauf vor, im Notfall Leben zu retten. Normalerweise bemerkt man uns in dieser Rolle gar nicht. Bis etwas passiert – wie die Corona-Pandemie. Dass das Rote Kreuz eine Aufwandsentschädigung für zusätzliche Leistungen bekommt, die sonst nicht abgedeckt würden, weil es als Verein ohne Gewinnabsicht kostendeckend arbeiten muss, ist dabei nötig. Ich denke, die Menschen in Österreich verstehen das und sind froh, dass es uns gibt. Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes www.roteskreuz.at/jahresbericht 7
JAHRESBERICHT 2020 „Aus ein paar Wochen wurde ein Jahr“ INTERVIEW: URSULA FRAISL Eine normale 40-Stunden-Arbeitswoche von Notfallsanitäter Alex Meller beim Roten Kreuz in Eisenstadt sah vor der Pandemie folgendermaßen aus: Er betreute Patient_innen bei Krankentransporten oder bei Rettungseinsätzen und begleitete Rotkreuz-Notärzt_innen im Einsatzfahrzeug. Daneben hielt er freiwillig ein- bis zwei- mal im Monat Erste-Hilfe-Kurse ab. Dann kam Corona. Und nichts war mehr normal. W ie hat deine Tätigkeit als Corona- Und wie lange dauert ein Test in einer „Teststraße“ Tester begonnen? oder einem Testzentrum heute? Mein Dienstführender suchte in un- Mittlerweile vergeben wir zehn Termine pro zehn Minu- serer WhatsApp-Gruppe „für die ten. In einer Minute ist also alles erledigt – nur manchmal nächsten Wochen“ Mitarbeiter_in- kommt es zu Wartezeiten. nen, die bei der Bevölkerung Corona-Abstriche machen. Weil ich gern mal was Neues versuchen wollte, habe ich Fährst du immer noch als mobiler Tester zu Patien- zugesagt, eine Einschulung bekommen und bin seither -t_innen nach Hause? viermal die Woche für 12 Stunden als mobiler Tester oder Ja, in Ausnahmefällen. Wenn zum Beispiel jemand kein bei Teststationen im Dienst. Aus den „nächsten Wochen“ Auto hat, bettlägerig ist, niemanden hat, der die Kinder wurde mehr als ein Jahr. betreut, oder bereits unter starken Corona-Symptomen Zur Entspannung: leidet, machen wir immer noch die Tests zu Hause. Aber Alex beim Mountainbiken Kannst du dich an deinen ersten mobilen Testeinsatz mittlerweile funktioniert das mit den Teststraßen sehr gut erinnern? – wir haben uns ja auf einen wetterunabhängigen Ganz- Einen klassischen Infektionstransport kannten wir jahresbetrieb eingerichtet. zwar aus dem Rettungsdienst, aber der kommt normalerweise eher selten vor. Wir waren Wie kommst du mit der Schutzausrüstung zurecht? zusätzlich geschult, hatten alles vorbereitet, Anfangs dachte ich: 15 Minuten mit einer FFP2-Maske – sind zum Patienten nach Hause gefahren, das wird schwierig. Jetzt trage ich diese 9 bis 12 Stun- haben die Probe genommen. Das hat 45 Mi- den problemlos. Wir haben sogar mit dem Pulsoxymeter nuten gedauert. Man überprüft alles x-mal: Selbstversuche gemacht. Bis auf ein paar Druckstellen Was stellt man wo hin, wie greift man es an, haben wir keine Probleme. Nur wenn wir Patient_innen wie zieht man etwas an und aus, damit man we- mehrere Stockwerke die Stiegen hinauftragen müssen, der sich selbst noch jemand anderen ansteckt? schnaufen wir deutlich mehr als sonst. 8
„Beim Roten Kreuz zu arbeiten bedeutet für mich, RETTUNGSDIENST für Menschen da zu sein, die Hilfe brauchen. In der Coronazeit ist das umso stärker der Fall.“ ohne Grippe überstanden hat. Es wäre doch schön, wenn wir daraus etwas lernen und auch weiterhin – zum Bei- spiel wenn wir Husten oder Schnupfen haben – einen Mundschutz tragen, wenn wir mit dem Bus fahren oder ins Büro gehen. Du hast in diesem Jahr mehr gearbeitet als sonst. Bist du sehr gestresst? Nein, eigentlich nicht. Man hat ja sonst nichts vor und kann die freie Zeit mit gemeinsamem Kochen oder in der Natur verbringen. Ich gehe zum Beispiel gern Mountain- „Die Arbeitskleidung im 12-Stunden-Dienst hinterlässt zwar Druckstellen, ist aber sinnvoll: Sie schützt mich und andere“ biken und da habe ich auch Anleihen genommen, die mir im Arbeitsalltag helfen: Ich denke nicht dauernd an die Wer hat deine Tätigkeiten im regulären Rettungs- ganze Strecke, an alle Höhenmeter, die ich zurücklegen dienst übernommen? Der Corona-Einsatz war ja eine muss, sondern nur an die nächste Etappe. zusätzliche Aufgabe. Viele Freiwillige, die es sich einteilen konnten, weil sie stu- Dein Job war im vergangenen Jahr sehr fordernd. dierten oder in Kurzarbeit waren, und Zivildiener haben da Hat es dich geärgert, wenn du in den sozialen Medien Großartiges geleistet und sehr viel übernommen. Es wur- mitbekommen hast, dass sich Menschen nicht an die den auch noch ein paar hauptberufliche Mitarbeiter_in- empfohlenen Maßnahmen halten? nen aufgenommen. Wenn sich jemand nicht an die Maßnahmen hält, die uns alle schützen sollen, und noch stolz drauf ist, und wir die Hattet ihr niemals Angst, euch selbst anzustecken? Konsequenzen davon im Rettungsdienst und in den Kran- Die Unsicherheit war am Anfang, also im März und Ap- kenhäusern sehen, finde ich das schon schwierig. ril 2020, natürlich noch größer. Aber wir wurden gut mit Informationen versorgt und ich bin stolz, dass sich bei Wie gehst du damit um? uns niemand im Dienst angesteckt hat. Das zeigt, dass es Ich habe im November mit „Social-Media-Fasten“ be- Seit mehr als einem Jahr ist wirklich etwas bringt, Hygienemaßnahmen einzuhalten, gonnen und das hat mir so gutgetan, dass ich nicht mehr Alex Meller im Corona-Einsatz Maske zu tragen und Abstand zu halten. damit aufgehört habe. Hältst du dich auch im privaten Bereich so streng an Als Sanitäter bist du schon geimpft die Maßnahmen? worden. Was hat das für dich ver- Ja, natürlich. Gespräche mit den Eltern und Geschwistern ändert? gibt es hauptsächlich online und Kaffee mit Oma und Ja, ich bin „glücklich geimpft“. Gerade Opa getrunken hab ich nur selten in der warmen Jahres- jetzt mit den verschiedenen Mutatio- zeit, draußen und mit Abstand. nen ist das eine große Erleichterung. Da geht es mir aber nicht nur um mich, Was sagt deine Freundin dazu, dass du in deinem sondern auch darum, dass ich nie- Job mit auf Covid-19 positiv getesteten Menschen zu manden anstecke. Meine über 90-jäh- tun hast? rigen Großeltern bekommen bald ihre Fotos: ÖRK/Alex Meller Sie ist da sehr verständnisvoll. Sie gehört wegen eines zweite Teilimpfung und ich hoffe, dass Immundefekts eigentlich zur Risikogruppe, hat aber fest- ich sie dann wieder besuchen kann, gestellt, dass sie wegen der allgemeinen Schutzmaß- und auch, dass wir einen halbwegs nahmen sogar das erste Jahr, seit sie sich erinnern kann, normalen Sommer erleben. C www.roteskreuz.at/jahresbericht 9
JAHRESBERICHT 2020 Blut spenden in Zeiten der Pandemie VON VIKTORIA POSCH Nach seiner Covid-19-Erkrankung hat Georg Mair im Frühjahr 2020 durch seine Rekonvaleszentenplasma- spende beim Roten Kreuz schwer erkrankte Menschen mit Antikörpern gegen Corona versorgt. FACTS & FIGURES 538 195 Rund 35 Rekonvaleszentenplasmaspenden wurden 2020 beim Roten Kreuz öster- Patient_innen Minuten dauert eine reichweit durchgeführt. Aus diesen Rekonvaleszenten- Spenden sind 692 therapeutische wurden mit diesen Spenden plasmaspende. Plasmaeinheiten entstanden. behandelt. 10
BLUT SPENDEN Georg Mair spendet Antikörper für an Covid-19 erkrankte Menschen Foto: ÖRK/Helmut Mitter www.roteskreuz.at/jahresbericht 11
JAHRESBERICHT 2020 Z unächst bekam er Fieber, dann Kopfschmer- zen. Die Zahnpasta schmeckte plötzlich völlig anders und ihm war ständig übel. Ein Test bestätigte: Der Wiener Orthopäde und Unfallchirurg Dr. Georg Mair hatte sich bei einem Patienten mit dem Coronavirus an- gesteckt. „Nach überstandener Krankheit hat mich meine Tochter auf die Möglichkeit einer Rekonvales- zentenplasmaspende beim Roten Kreuz hingewiesen. Das wollte ich machen, um anderen zu helfen und um wehgetan“, erklärt er sichtlich erleichtert. Die von ihm Klarheit zu haben“, so Georg Mair. gespendeten Antikörper wurden schon wenige Tage nach der Spende in einem Spital eingesetzt. Neue Möglichkeit, Leben zu retten Potenzielle Rekonvaleszentenplasmaspender_in- Nach seiner Covid-19-Erkrankung wollte Georg Mair nen müssen einen positiven PCR-Test vorweisen und also wissen, ob er Antikörper entwickelt hatte, die der sollten einen hochfieberhaften Krankheitsverlauf Körper zur Immunabwehr bildet. Der 48-jährige Wie- durchgemacht haben. Dann ist die Anzahl der ge- ner war einer der Ersten, die im Frühjahr 2020 eine bildeten Antikörper nämlich tendenziell höher. Das Rekonvaleszentenplasmaspende beim Roten Kreuz Wissen rund um diese Therapieoption wächst ständig: leisteten. Bei dieser Art der Spende wird das Blut aus Ärzt_innen erlangen immer mehr Erkenntnisse darü- der Armvene in eine Zentrifuge übergeleitet und dort ber, bei welchen Patient_innen und zu welchem Zeit- in seine Bestandteile zerlegt. Das Plasma wird gesam- punkt die Gabe des Rekonvaleszentenplasmas bei der melt, die restlichen Blutbestandteile werden wieder zu- Behandlung von Covid-19 die besten Therapieerfolge rück in den Körper geleitet. „Die Gabe von antikörper- bringt. haltigem Blutplasma hilft Patient_innen mit Covid-19, die diese Antikörper nicht schnell genug oder nicht in Viele Fragezeichen Vor der Blutspende der ausreichenden Qualität bilden können“, erklärt Covid-19 löste bei der Bevölkerung große Unsi- wird die Temperatur Dr. Ursula Kreil, stellvertretende medizinische Leiterin cherheit aus und warf viele Fragen auf – auch zum gemessen der Blutspendezentrale Thema Blutspenden. Geht das Blut aus? Soll ich an- für Wien, Niederöster- gesichts der aktuellen Lage Blut spenden? Finden reich und Burgenland. Blutspendeaktionen überhaupt statt? In der Zeit, Nach rund 35 Minuten in der weniger operiert wurde, sank der Blutverbrauch ist die Rekonvaleszen- um rund 15 Prozent. Nach den ersten Wochen tenplasmaspende ab- stieg der Bedarf jedoch wieder auf das regu- geschlossen. Unter dem läre Niveau an. Das Rote Kreuz beobachtete Mund-Nasen-Schutz lä- die Entwicklungen sehr genau, um die Versorgung der chelt Georg Mair so sehr, heimischen Spitäler sicherzustellen. Die Kernbotschaft dass man es in seinen Au- in der Kommunikation mit den Blutspender_innen gen sieht: „Es ist ein gutes während der Pandemie: Blutspendeaktionen finden Gefühl, und es hat nicht weiterhin statt. 12
Die Rotkreuz-Mitarbeiter_innen ermöglichen die Durchführung von Blutspendeaktionen unter sicheren Bedingungen BLUT SPENDEN Fotos: ÖRK/Helmut Mitter Veränderte Rahmenbedingungen vor noch nie Blut gespendet hatten, mit ihrer E-Mail- Eine Reihe von Schutzmaßnahmen ermöglicht die Adresse auf „Gib dein Bestes“, der digitalen Plattform Durchführung von Blutspendeaktionen unter sicheren zur Spender_innenmobilisierung. Die Plattform ver- Bedingungen: Blutspender_innen sollen allein kom- zeichnete einen deutlichen Anstieg der Besucher_in- men und werden bereits im Eingangsbereich nach nenzahlen. Registrierungen auf „Gib dein Bestes“ er- Risikofaktoren, wie etwa einem Kontakt zu erkrankten möglichen es den Blutspendediensten, interessierte Personen, befragt. Zusätzlich müssen Spender_innen Spender_innen mit wichtigen Informationen zum The- eine FFP2-Maske tragen. Auch auf die notwendigen ma zu versorgen und direkt um Unterstützung zu bit- Mindestabstände und darauf, dass sich die Spende- ten. „Die intensive Planungsarbeit, die Kooperationen r_innen nach ihrer Blutspende nicht allzu lange in den von vielen Organisationen und Unternehmen sowie Räumlichkeiten der Blutspendeaktion aufhalten, wird der aufrechte Spendewille der Bevölkerung haben uns geachtet – ganz nach dem Motto: „Bleib so lange wie über die Runden gebracht“, beschreibt Ursula Kreil die nötig, aber so kurz wie möglich!“ herausfordernde Situation. C Gearg Mair bei der Rekonvaleszenten Da Blutspendekaktionen schwer planbar waren, un- plasmaspende ter anderem deshalb, weil genug Platz zur Verfügung stehen musste, um die nötigen Sicherheitsabstände einhalten zu können, kam es 2020 in vielen Fällen zu Termin- bzw. Ortsänderungen. Teilweise mussten Blut- spendeaktionen abgesagt werden, da diese etwa an Hochschulen oder an Firmenstandorten durchgeführt worden wären, die in dieser Zeit geschlossen waren. Welle der Solidarität Covid-19 hat aber ganz deutlich die große Bereit- schaft der österreichischen Bevölkerung gezeigt, auch in diesen schwierigen Zeiten Blut zu spenden. Zwar wurde im Frühjahr 2020 weniger Blut gespendet als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, es konnten aber deutlich mehr Erstspender_innen gewonnen werden. So registrierte sich eine Vielzahl von Personen, die zu- www.roteskreuz.at/jahresbericht 13
JAHRESBERICHT 2020 Neue Sorgekultur nötig INTERVIEW: STEFAN MÜLLER Pflegeexpertin Monika Wild geht in Pension. Im Abschiedsinterview erklärt sie, woran es in der Pflege hakt und welche Reformen es bräuchte. FACTS & FIGURES 27 1 278.095 Jahre hat Monika Wild großes Fest hätte sie Menschen in Pflege und die Weichen in der Pflege sich zur Pensionierung Betreuung profitieren und Betreuung gestellt. verdient. von ihren Ideen. 14
PFLEGE & BETREUUNG Monika Wild Pflegeexpertin ÖRK/Gianmaria Gava www.roteskreuz.at/jahresbericht 15
JAHRESBERICHT 2020 K önnen Sie sich noch an Ihre erste Patientin erinnern? 1980 war ich nach meiner Gesund- heits- und Krankenpflegeausbildung in einem Landesspital tätig. Um 9 Uhr hat das Team immer gefrühstückt. Währenddessen hat eines Tages meine Glocke geläutet. Ich wollte zur Patientin. Die Stationsleiterin hat gesagt: Nein, wir frühstücken jetzt, das müssen sie akzeptieren. Bald kam jemand aus dem Zimmer gelaufen – ich sollte schnell kommen. Die Patientin lag im Sterben. Sie lag mitten im Zimmer. Sie hatte Stuhl gehabt und ihn Woran liegt das? überall hingeschmiert. Die anderen im Zimmer haben Die Sorge für andere gibt es auch innerhalb der Fa- zugesehen. Es war wirklich furchtbar. milie, daher wird zu wenig gesehen, dass spezifische Fachkompetenzen nötig sind, um jemanden bei der Wie hat Sie das geprägt? Alltagsbewältigung zu unterstützen. Diese Sorgearbeit Ich war 17 Jahre alt. Damals habe ich mir geschwo- wird unterschätzt. Was es noch braucht, besonders in ren: Nie wieder lasse ich mir von jemandem sagen, der gehobenen Gesundheits- und Krankenpflege, ist dass ich nicht in ein Zimmer gehen soll. Es hat mich Organisationsarbeit, also Manager_innen. Es braucht darin bestärkt, dass meine Arbeit wichtig ist, aber auch Leadership, um Teams zu führen, nur dann kann dass man sie auch richtig machen muss. Egal welche Pflege gut funktionieren. Regeln es gibt, an erster Stelle steht immer der Pa- tient bzw. die Patientin. Hat sich an der Wertschätzung nichts geändert, seit Sie selbst in der Pflege tätig waren? Hat die Corona-Krise gezeigt, wie wichtig Pflege Wenig. Es ist ein Relikt aus alten Zeiten, dass Tätigkeiten, und Betreuung sind? die hauptsächlich Frauen machen, immer unterschätzt Man hat gesehen, was da geleistet wird. Es wird seit werden. Was mich stört, ist, dass wir es als Gesellschaft Jahrzehnten unterschätzt, was in diesem Beruf gefor- immer noch nicht geschafft haben, diese Arbeit nach der dert wird. Leistung und den Kompetenzen, die dafür nötig sind, zu bezahlen, sondern das nach alten Klischees tun. Zur Person Wie schafft man das – eine neue Wertschätzung der Pflege? Monika Wild, gefragte Lektorin, Vortragende Dass irgendwer auf dem Balkon steht und klatscht, das und Expertin im Bereich der Pflege. 1993 bis braucht keiner. Die Wertschätzung muss sich so ausdrü- 2020 war sie Leiterin der Pflege und Betreuung im Roten Kreuz, davor selbst in der Pflege tätig. cken, dass ein entsprechender Prozentsatz des Staats- budgets für Pflege ausgegeben wird. Es bräuchte andere Personalschlüssel, eine bessere Work-Life-Balance für Die Leitung des Bereiches „Gesundheit und Soziale Dienste“ die Pflegenden, damit die Sorgearbeit genügend Raum hat Petra Schmidt übernommen. bekommt, bessere Rahmenbedingungen – sonst arbeitet petra.schmidt@roteskreuz.at man nur sein Pensum ab und ist wieder weg. 16
PFLEGE & BETREUUNG Die Rezepte, wie die Pflege reformiert wer- Wie sollte denn die Pflege in 20 Jahren aussehen? den soll, liegen schon lange in der Schublade. Es gibt mehr Dienstleistungen, die zu Hause erbracht Warum ist es so schwer, sie umzusetzen? werden, mehr präventive Angebote, um die Phase der Die Expert_innen haben schon 2000 gewusst, Pflegebedürftigkeit nach hinten zu verschieben, damit ich was 2020, 2030 auf uns zukommen wird – die statt 15 nur mehr drei Jahre Unterstützung brauche. Es Zahl der zu Pflegenden steigt und es gibt viel zu gibt Angebote, die mehr auf Rehabilitation und Remo- wenig Personal. Aber damals hat es noch halb- bilisierung setzen. Dazu muss der soziale Zusammenhalt wegs funktioniert. Da sind die Frauen noch mit überdacht werden, damit es nicht mehr so auf die Kernfa- 55 in Person gegangen und konnten zu Hau- milie ankommt, sondern in Richtung Nachbarschaftshilfe se ihre Angehörigen betreuen. Jetzt steigt der geht. Wir brauchen eine neue Sorgekultur. Wenn wir das Druck durch die Bevölkerung und die Politik nicht schaffen, muss jede Unterstützungsleistung durch hat das Thema verstärkt aufgenommen. Professionist_innen erbracht werden. Das würde das Budget für die Langzeitpflege stark in die Höhe schnellen Muss in Österreich etwas passieren, bevor lassen. Wir reden dann von etwa zwölf Prozent des Brut- etwas passiert? toinlandsproduktes für Pflege, derzeit sind es drei. Ich sehe keine mutige Politik, es wird an kleinen Stell- schrauben gedreht. Den Pflegeregress abzuschaffen war Wie sieht Ihre Bilanz aus, worauf sind Sie stolz? leider genau die verkehrte Entscheidung. Man hat die Stolz bin ich, dass ich immer gerne arbeiten gegangen bin. andere Säule nicht bedient. Die Leute wollen zu Hause Was gelungen ist, sollen andere beurteilen. Die Pflege- bleiben. Wir müssen die Pflege zu Hause stärken und dienste im Roten Kreuz, die es, als ich angefangen habe, leistbare Angebote ausweiten. gar nicht überall gegeben hat, sind stark ausgebaut wor- den. Fachlich und in der Qualitätssicherung haben wir mit Muss der Staat mehr Aufgaben übernehmen? den Landesverbänden sicher viel auf die Beine gestellt. C In Österreich ist Pflege eine Aufgabe der Familie und der Staat unterstützt sie dabei. Bei uns ist die Erwartungs- haltung, dass das die Familie macht, die kriegt dafür ein bisserl Geld – aber es gibt keinen Rechtsanspruch auf Sachleistungen. Das wird in 20 Jahren nicht mehr ge- Danke, Monika! Fotos: ÖRK/Gianmaria Gava, ÖRK/Jürg Christandl, ÖRK/Thomas Holly Kellner, ÖRK/Isabelle Grubert hen, das geht zum Teil jetzt schon nicht mehr, weil die Ich möchte mich ganz persönlich bei Monika Wild bedanken. Familienstrukturen nicht mehr da sind. Es gibt die Leute Der Mix aus innovativen Ideen, Geduld, Beharrlichkeit und nicht mehr, die diese Aufgabe übernehmen können. Da Kampfgeist in der Umsetzung sowie Empathie, Bodenständig- braucht es mehr Sachleistungen. keit und Herzlichkeit im Umgang mit allen Menschen, gleich ob Kolleg_innen, Klient_innen, Mitbewerber_innen oder Was ist hier von der Pflegereform zu erwarten? Parter_innen, sowie ihr profundes Wissen werden uns fehlen. Ich wünsche mir wirklich, dass etwas Gescheites heraus- Sie hätte ein großes Dankesfest verdient, kommt, aber die Kompetenzen des Bundes sind begrenzt. das durch die Corona-Pandemie verhin- Das Thema Sachleistungen zum Beispiel kann die Reform dert wurde. Stattdessen an dieser Stelle: aufgrund der Kompetenztrennung zwischen Bund und Danke, Monika! Ländern gar nicht aufgreifen. Michael Opriesnig, Generalsekretär des Öster- Sitzen Sie dann da und verzweifeln? reichischen Roten Kreuzes und Ich bin gelernte Österreicherin. Wenn es vor der Reform verantwortlich für Gesundheits- und Soziale Dienste heißt, an diesen Kompetenzen soll nichts geändert wer- den, weiß ich, was zu erwarten ist. www.roteskreuz.at/jahresbericht 17
UNSERE HILFE IN ZAHLEN 2020 INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT KURSE, AUS- UND WEITERBILDUNG Asien € 11.950.149 50,1 % Teilnehmer_innen an Rotkreuz-Kursen 236.574 Afrika € 4.420.397 18,5 % davon Teilnehmer_innen an Erste-Hilfe-Kursen 118.212 Amerika € 1.165.083 4,9 % Teilnehmer_innen an Jugendrotkreuz-Kursen* 82.315 Europa € 4.948.958 20,8 % Global € 1.352.246 5,7 % Gesamtvolumen € 23.836.833 100 % SUCHDIENST 4.473 Einsatztage verbrachten unsere Das Suchdienst-Netzwerk klärt Kriegsschicksale und sucht Delegierten in 18 Ländern bzw. Regionen. nach Verschwundenen. Die Bewegungseinschränkungen durch die Pandemie und mangelnde Digitalisierung haben den Zugang zu den Suchdiensten und die Suche 2020 erschwert. BLUTSPENDEDIENST Die steigende Zahl an Asylanträgen und rasche Asylanerken- Anzahl der Blutspender_innen in Österreich: 211.556 nungen in Österreich haben zu einem 45%-igen Anstieg der Anzahl der abgenommenen Vollblutspenden in Zahl der Familienzusammenführungsfälle im Österreichischen ganz Österreich: 332.917 Roten Kreuz geführt. Abgenommene Vollblutspenden: Suchfälle auf tracetheface.org 7.239 Burgenland 18.170 Suchfälle 514 Kärnten 17.134 Fälle in der Familienzusammenführung 833 Niederösterreich 73.406 Oberösterreich 52.800 Salzburg 33.040 RETTUNGSDIENST Steiermark 45.709 Betreute Patient_innen 2.714.005 Tirol 39.691 Notarzteinsätze 147.340 Vorarlberg 15.608 Fahrzeuge im Rettungsdienst 2.208 Wien 37.359 Einsatzfahrten 3.150.298 Rekonvaleszentenplasma wurde 2020 als Gefahrene Kilometer 104.923.544 Behandlungsmöglichkeit für Covid-19-Erkrankte eingesetzt. Vom Roten Kreuz durchgeführte 538 Rekonvaleszentenplasmaspenden JUGENDROTKREUZ Daraus gewonnene therapeutische 692 Hauptberufliche Mitarbeiter_innen* 63 Plasmaeinheiten Freiwillige Mitarbeiter_innen* 10.039 Damit behandelte Patient_innen 195 Mitglieder in Jugendgruppen 6.926 Jugendgruppen 452 * Abfrage nach Schuljahr
LEISTUNGSVOLUMEN 2020 Alle Informationen zum Leistungsvolumen des Österreichischen Roten Kreuzes im Jahr 2020 finden Sie auf www.roteskreuz.at/Leistungsvolumen2020. TEAM ÖSTERREICH Mitglieder 88.365 Einsätze 35 Ausgabestellen der Team Österreich Tafel 118 Dadurch versorgte Personen 749.210 Mit umfassenden Informationen zu Herkunftsländern unterstützt ACCORD Asylverfahren. Die ZAHLEN, DATEN, FAKTEN Datenbank ecoi.net enthält Bezirksstellen 133 371.643 Dokumente. 2020 wurden Hauptberufliche Mitarbeiter_innen 10.236 282 Einzelanfragen bearbeitet und 17 Länderberichte und Dossiers Zivildienstleistende** 4.269 erstellt. Freiwillige Mitarbeiter_innen 72.437 Die mit der Diakonie betriebene Einsatzstunden von freiwilligen Rotkreuz-Helfer_innen 10.808.935 medizinische Hilfseinrichtung Amber Unterstützende Mitglieder und Spender_innen 1.085.211 Med versorgte in 4.282 Stunden 3.187 Menschen ohne Krankenversicherung. ** Fast 1.000 außerordentliche Zivildiener waren zusätzlich zwischen einem Fachärzt_innen, Ärzt_innen für und drei Monaten im Einsatz – hauptsächlich im Rettungsdienst, in der Allgemeinmedizin, Therapeut_innen Pflege und Betreuung und im Katastrophenhilfsdienst. Weitere 410 junge und Dolmetscher_innen spendeten Männer haben ihren Zivildienst verlängert. ihre Zeit für 7.981 Behandlungen. Zudem lieferte das Rote Kreuz 12.500 Packungen Medikamente. PFLEGE UND BETREUUNG Service und Information über das Rote Kreuz wurden von 4,5 Millionen Betreute Personen 278.095 Menschen auf www.roteskreuz.at ab- gerufen. Aus der jungen Zielgruppe Mit Rufhilfe ausgestattete Personen 49.995 kamen 261.000 Likes in den sozialen Patient_innen und ihre Angehörigen, die von Hospizteams Medien. 2.998 des Roten Kreuzes begleitet wurden Individuelle Spontanhilfe (betreute Personen) 3.077 Familien mit schulpflichtigen Kindern, die Sozialhilfe/Mindestsicherung Foto: ÖRK/Markus Hechenberger Mobile Pflege und Betreuung (betreute Personen) 33.061 beziehen, stehen Schulstartpakete zu. Psychosozial betreute Personen 37.154 2020 wurden 44.389 Pakete verteilt. Davon Anrufer_innen bei der Ö3-Kummernummer 20.568
JAHRESBERICHT 2020 Geblieben, um zu helfen VON STEFAN MÜLLER Im Libanon kommen viele Krisen zusammen. Seit einer Explosion im Hafen von Beirut hat sich die Lage verschärft. Das Rote Kreuz passt seine Projekte entsprechend an. FACTS & FIGURES 5,4 80 % 1,5 aller Befragten halten Millionen Euro wurden das Rote Kreuz für die Millionen Flüchtlinge für Hilfsprojekte des ÖRK vertrauenswürdigste aus Syrien leben im im Libanon eingesetzt. Hilfsorganisation. Libanon. 20
EINSATZ IM NAHEN OSTEN Lisa Taschler Rotkreuz-Delegierte im Libanon ÖRK/Thomas Marecek www.roteskreuz.at/jahresbericht 21
JAHRESBERICHT 2020 E s fühlte sich an wie ein Erdbeben, als am 4. Au- gust 2020 eine gewaltige Explosion den Hafen von Beirut erschütterte, die den Libanon, ein leidgeprüftes Land im Nahen Osten, noch wei- ter ins Chaos stürzte. 2.750 Tonnen Ammoni- umnitrat flogen in einem Lagerhaus in die Luft. Die verheerenden Folgen werden noch lange zu spüren sein. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Preise sind gestiegen, mehr als die Hälfte der rund sechs Mil- lionen Einwohner_innen lebt unter der Armutsgrenze, fast 90 Prozent der 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich im Land befinden, leben in extremer Armut. Rasche Nothilfe Umso wichtiger ist die Unterstützung durch internatio- Sofort startete das Libanesische Rote Kreuz einen nale Geldgeber_innen und die Arbeit des Roten Kreu- Großeinsatz mit 75 Ambulanzen und 375 Sanitäte- zes, um den Menschen zu helfen. Auch damit sie den r_innen, richtete zwei Triage-Stationen ein, leistete Glauben an eine gute Zukunft nicht verlieren. medizinische Hilfe, errichtete Notunterkünfte für 5.000 Lisa Taschler kann sich gut an den Tag erinnern, als Personen und rief die Bevölkerung zum Blutspenden plötzlich die Wände wackelten. Es war kurz nach 6 Uhr auf. In dieser Situation machte sich eine Kooperation Abend und die Delegierte des Roten Kreuzes war zum mit dem Österreichischen Roten Kreuz zum Aufbau Glück nicht in ihrer Wohnung, die nur einen Kilometer des Blutspendedienstes bezahlt. Die Internationale vom Explosionsort entfernt liegt. „Es hat alle Türen und Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesell- Fenster herausgerissen“, erzählt sie. „In der Stadt sind schaften gab rasch Nothilfefonds frei. Weltweit riefen Häuser und Mauern eingestürzt. Auf den Straßen la- nationale Rotkreuzgesellschaften, auch in Österreich, gen Verletzte. Die Zerstörung war immens.“ Rund zu Spenden auf. Die vernetzte Hilfsmaschinerie des 5.000 Menschen wurden verletzt. Mehr als 200 star- Roten Kreuzes lief an. „Es war schön, auch die Hilfsbe- ben. Zigtausende wurden obdachlos. reitschaft der Menschen hier im Libanon zu sehen“, Nicht erst seit dem Erdbeben: Das Libanesische Rote Kreuz verteilt bereits seit Jahren Hilfsgüter an syrische Flüchtlinge Lisa Taschler mit syrischem Flüchtlings- kind in Haouch er-Rafqa 22
Nach der Explosion im Hafen von Beirut EINSATZ IM NAHEN OSTEN Bedürfnissen in verschiedenen Regionen des Landes entsprechen. Wenn nötig, stellen wir mehr Sachleis- tungen zur Verfügung.“ So ist immer gewährleistet, dass die Hilfe ankommt und effizient ist. Leben retten Das Libanesische Rote Kreuz hat im vergangenen Jahr 20,5 Millionen US-Dollar aufgebracht, um 9.800 Fami- lien nach der Explosion im Hafen von Beirut zu helfen. Nabil Mounzer/European Press Agency Als die Benzinpreise in die Höhe schossen und der Mangel an Treibstoff zu häufigen Stromausfällen führ- te, sorgte das für Unruhe. Niemand will sich ausmalen, was passieren würde, wenn der Staat auch die Stüt- zung der Lebensmittelpreise fallen ließe. Was würde das für das Rote Kreuz bedeuten? „Noch mehr Nah- rungsmittelhilfe und grundlegende Unterstützung“, sagt Taschler. „Überall sind Initiativen zur Nachbar- antwortet Mencinger. „Wir werden weiterhelfen. In der schaftshilfe entstanden. Aber die Gesamtsituation hat aktuellen Situation, in der viele Krisen zusammenkom- sich mit Corona und der schon länger andauernden men, zeigt sich deutlich, wie wichtig die Projekte des Wirtschaftskrise natürlich weiter verschlechtert.“ Österreichischen Roten Kreuzes in den Flüchtlings- Im Herbst 2020 hat Simona Mencinger, die schon siedlungen im Bereich Wasser, Sanitär und Hygiene früher im Libanon gelebt hat, ihre Kollegin Lisa Tasch- sind, ebenso unsere Projekte in der Grundversorgung. ler als Delegierte in Beirut abgelöst. Der Start sei nicht Damit retten wir wirklich Leben. Die Welt darf den Li- leicht gewesen, erzählt sie. „Emotional war es schwie- banon nicht vergessen, auch wenn es noch Jahre dau- rig, weil ich die jetzt stark beschädigten Stadtteile vor ern wird, bis sich das Land erholt hat.“ C der Zerstörung gekannt habe und viele schöne Erinne- rungen an die sehr lebhafte und dynamische Stadt habe.“ Jetzt ist der Libanon praktisch pleite, die Infla- Hilfe im Libanon 2020 tionsrate beträgt 146 Prozent und viele Menschen können sich das Leben kaum noch leisten. 5,4 Millionen Euro umfassten die bilateralen und multilateralen Projekte des Österreichischen Roten Kreuzes im Libanon, darunter: Fots: ÖRK/Thomas Marecek, IFRC/Tommaso Della Longa, ÖRK/Cerny Elisabeth Schwieriges Budgetieren Direkthilfe für das Libanesische Rote Kreuz nach der Explosion inklusive Bargeldunterstützung für Familien, Mitfinanzierung durch Die schlechte Wirtschaftslage macht auch den Helfe- die österreichische Entwicklungszusammenarbeit (ADA) und r_innen zu schaffen. Die Inflation mache zum Beispiel Nachbar in Not Aufbau des Blutspendedienstes, Versorgung von 5.000 Patient_innen das Budgetieren schwieriger, erzählt Mencinger. Die mit Blutprodukten Konten der Hilfsorganisationen laufen in Dollar, aber Bargeld-Unterstützung für 1.800 Flüchtlinge zur Deckung der die Unterstützung muss in libanesischen Pfund ausge- täglichen Lebensbedürfnisse, Mitfinanzierung durch die ADA Aufbau von Wasser-, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen in Schulen zahlt werden, das stark an Wert verloren hat. „Wir und Gesundheitszentren für 6.400 Flüchtlinge in Haouch er-Rafqa, prüfen in regelmäßigen Abständen Preise für Nah- Mitfinanzierung durch die ADA Verteilung von Hygiene-Kits und 12 Quarantäne-Containern zur rungsmittel, Medikamente, Miete oder Heizen sowie Covid-19-Prävention in Flüchtlingssiedlungen für grundlegende Dienstleistungen wie Schulgeld für die Kinder oder öffentlichen Transport. So können wir Lesen Sie mehr über die Internationale Zusammenarbeit Durchschnittswerte ermitteln, die uns dabei helfen, die des Österreichischen Roten Kreuzes im IZ-Jahresbericht 2020. Hilfsleistungen neu zu berechnen, damit sie den realen www.roteskreuz.at/jahresbericht 23
JAHRESBERICHT 2020 Zum Leben zu wenig VON VERA MAIR Aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie können sich immer mehr Menschen in Österreich ihr Leben nicht mehr leisten. Imre Siska und sein Team der Individuellen Spontanhilfe suchen für Menschen in akuten Notsituationen nach Lösungen. FACTS & FIGURES Rund 1,5 Millionen Menschen in Öster- 70 % 3.077 Klient_innen wurden reich sind armuts- und aus- der Anfragenden unterstützt. grenzungsgefährdet. sind Frauen. 24
INDIVIDUELLE SPONTANHILFE Michael K. war vor der Corona-Pandemie Inhaber eines erfolgreichen Fotostudios. Jetzt plagen ihn Existenzängste. Foto: privat www.roteskreuz.at/jahresbericht 25
JAHRESBERICHT 2020 E in leerer Kühlschrank. Eine kalte Heizung. Im Postkasten nur Mahnungen. Dazu die Unge- wissheit: Verliere ich die Wohnung, wenn ich meine Mietschulden wieder nicht zahlen kann? So geht es vielen Menschen in Österreich. Rund 1,5 Millionen Menschen waren 2019 armutsge- fährdet. Corona hat die Situation weiter verschärft, auch für Michael K. Der Inhaber eines Fotostudios in Wien hat seit Beginn der Pandemie fast keine Einnah- men mehr. „Das Geschäft gibt es seit über 100 Jahren, es war immer erfolgreich. Seit Corona ist Flaute“, sagt er. An guten Tagen mache er drei Passfotos. „Ich bin Auf Unterstützung angewiesen verzweifelt. Ich weiß einfach nicht, wie es weitergehen Das ist kein Einzelfall. Imre Siska, der Betroffene berät, soll.“ Die Kosten laufen weiter, belasten das ange- erlebt solche Situationen immer häufiger. „Corona ist spannte Budget der Familie, die zurzeit nur vom Pfle- ein Brandbeschleuniger für Armut. Je länger die Krise gegeld für den ältesten Sohn lebt. Jeder Einkauf im dauert, desto stärker ist auch die Mittelschicht betrof- Supermarkt ist minutiös geplant, Extraausgaben wie fen“, sagt er. Viele sind jetzt zum ersten Mal in ihrem eine Reittherapie für Raphael, der seit seiner Geburt Leben auf Unterstützung angewiesen. „Leute, die im- schwer behindert ist, sind undenkbar. Zu den Sorgen mer gesagt haben, so etwas kann mir nicht passieren, um Sohn Raphael kommen für den dreifachen Famili- brauchen plötzlich unsere Hilfe.“ envater jetzt noch die Geldsorgen. „Unsere Ersparnis- Zur Individuellen Spontanhilfe kommen Menschen in se haben wir längst aufgebraucht“, erzählt er. Im Win- Not, die keine finanziellen Reserven haben. Oft reicht ter wandte er sich an die Individuelle Spontanhilfe, ein unvorhergesehenes Ereignis, und das Kartenhaus weil er nicht mehr wusste, wie er die Mietrückstände bricht zusammen. Siska und seine Kolleg_innen leisten für die Wohnung zahlen sollte. Das Rote Kreuz über- dann „soziale Erste Hilfe“, wie er es nennt. Sie überneh- nahm die halbe Monatsmiete, eine große Hilfe für die men Teilzahlungen für Miete, Strom oder Gas und kön- Familie. nen oft verhindern, dass Klient_innen ihre Wohnung verlieren. Sie sorgen dafür, dass die Fernwärme wie- der eingeschaltet wird. Sie informieren über staatliche Unterstützungen, geben Lebensmittelgutscheine aus und vernetzen mit weiteren Beratungsstellen. „Jeder Mensch verdient es, in Sicherheit und Würde zu leben. Die Lebensgrundlagen wie Wohnen, Strom oder Hei- zen müssen abgesichert sein, damit ich im Leben wei- Fotos: privat, ÖRK/Markus Hechenberger terkommen kann“, sagt Siska. Bis dahin ist es oft ein langer Weg. „Zuzugeben, dass man es alleine nicht mehr schafft, ist mit viel Scham verbunden“, erklärt Siska. Für die Beratung nimmt er sich Zeit. Im Gespräch erzählen ihm Betroffene nicht nur von ihrer finanziellen Situation, sondern auch ihre Lebensgeschichte. Denn die Wurzeln liegen oft tief. Ein Imre Siska, Leiter Individuelle Spontanhilfe des Österreichischen Roten Kreuzes 26
INDIVIDUELLE SPONTANHILFE Michael K. mit seiner Familie traumatisches Ereignis in der Kindheit, die Scheidung oder eine Krankheit. „Wir versu- Hilfe für Menschen in Not chen zu verstehen, welche Probleme dahin- Ob Mietrückstände oder ein leerer Kühlschrank – die sozialen terstecken, damit wir gemeinsam eine Lö- Angebote des Roten Kreuzes helfen die Lebensgrundlagen sung finden können“, sagt Siska. „Viele abzusichern. Die Individuelle Spontanhilfe unterstützt mit Bera- Klient_innen sagen mir, dass sie das erste tung und einmaligen finanziellen Überbrückungshilfen. Die Team Mal das Gefühl haben, dass ihnen jemand Österreich Tafeln versorgen seit über zehn Jahren Menschen in richtig zuhört.“ finanziellen Notlagen mit Lebensmitteln. Im Vorjahr konnten dadurch rund 19.000 Haushalte versorgt und rund 4.500 Tonnen Lebensmittel gerettet werden. Unterstützung, um den Alltag „Ich schäme mich so sehr“ wieder allein zu meistern, bieten die Sozialbegleiter_innen, die Auch Elfriede P. weiß nicht mehr weiter. Je- unter anderem bei Behördengängen zur Seite stehen. den Monat kämpft sie aufs Neue gegen eine Flut an Rechnungen. „Ich habe Rückstände bei der Miete, beim Gas- und beim Stromanbieter“, erzählt die tenkreis, wie eine warme Mahlzeit, sich zu duschen 84-Jährige. In ihrer Altbauwohnung hängen überall oder bei Familienangehörigen die Wäsche zu wa- Decken vor den Fenstern, damit die Kälte von draußen schen. „Wenn die Pandemie vorbei ist, wird es für viele nicht hereinkommt. „Ich habe nie in Saus und Braus Menschen wieder leichter“, sagt er. Das hofft auch Mi- gelebt, aber als mein Mann noch gelebt hat, hat es ge- chael K. „Irgendwann muss es besser werden. Ich wer- reicht“, sagt sie. „Ich spare an allen Ecken und Enden, de alles versuchen, damit mein Geschäft wieder läuft“, esse nur mehr wenig. Beim Duschen denke ich immer sagt er. Aufgeben ist für den Familienvater keine Op- daran, was das jetzt kostet“, erzählt sie. Knapp über tion, er will weiterkämpfen, um auf eigenen Beinen zu 1.000 Euro Pension erhält die Witwe jeden Monat, stehen. C nach Abzug der Miete bleibt nur noch wenig übrig. Trotzdem gibt Frau P. nicht auf. „Ich versuche immer am Monatsanfang 30 Euro von meiner Pension aufs Spar- Die Individuelle Spontanhilfe unterstützte konto zu legen. Drei Tage später muss ich das schon in folgenden Bereichen: wieder abheben“, sagt sie. Vor Corona besserte sie sich ihre Pension mit kleinen Schneiderarbeiten auf, z. B. Waschmaschine, Möbel seit Beginn der Pandemie bleiben die Kund_innen aus. Die einzige Unterstützung, die ihr bleibt, ist ihre 15 % Schwester, die selbst nicht viel hat. „Ich schulde ihr so Sonstiges z. B. Lebensmittel, viel, dass ich das im Leben nicht zurückzahlen kann. Kleidung, Das ist schrecklich, ich schäme mich so sehr“, sagt Frau 10 % Hygieneartikel/ P., die sich schließlich an die Individuelle Spontanhilfe Alltagsbedarf Windeln wandte. Mit Hilfe des Roten Kreuzes konnten zumin- 50 % dest die Stromschulden beglichen werden. „Ich bin Miete dem Roten Kreuz dankbar, dass es mich aus diesem Chaos rettet“, sagt sie. 25 % Energiekosten „Corona hat armutsgefährdete Menschen am stärks- ten getroffen“, weiß Siska. Wichtige Zusatzverdienste brachen plötzlich weg, die Kontaktbeschränkungen im Lockdown erschwerten Hilfe im eigenen Bekann- www.roteskreuz.at/jahresbericht 27
JAHRESBERICHT 2020 Ungleiches Warten VON URSULA FRAISL Christine Widmann wartet auf das Ende der Pandemie und schöpft Kraft beim Bergsteigen. Im Flüchtlingslager in Kara Tepe warten Menschen jahrelang, ohne zu wissen, was mit ihnen geschieht. Als Delegierte hat Widmann mitgeholfen, dass sie das zumindest unter besseren hygienischen Bedingungen tun können. FACTS & FIGURES 8.000 Menschen leben in 30.000 105 Warmwasser-Duschkabinen Kara Tepe, davon sind ein Liter warmes Wasser gibt es für die Drittel Kinder. fasst ein Tankwagen. Campbewohner_innen. 28
INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT Christine Widmann Rotkreuz-Delegierte in Griechenland ÖRK www.roteskreuz.at/jahresbericht 29
JAHRESBERICHT 2020 Ü ber 100.000 Menschen auf der Flucht leben derzeit in Griechenland. Bis zu 8.000 davon im Camp Kara Tepe, dem Flüchtlingscamp auf Lesbos, rund ein Drittel der Flüchtlinge sind Kinder. Mit ihnen hat die Tirolerin Christine Widmann Weihnachten, Silvester und ihren Geburtstag verbracht und gemeinsam mit zwei weiteren Delegierten aus Österreich und einem Team aus Deutschland die Wasser- und Sanitärversorgung sowie die hygienischen Bedingungen im Camp verbessert. Wenn man durch Kara Tepe geht, das nach den Brän- den im Camp Moria im September 2020 errichtet wurde, fallen einem sofort die Kinder auf. Sie springen auf Trucks, mit denen Wasser geliefert wird. Ihnen ist lang- weilig. Sie laufen herum. Beschäftigungs- oder Bildungs- angebot gibt es hier für sie keines. besorgen. Warten darauf, dass sie erfahren, wie es mit ihnen weitergehen soll. Keine Privatsphäre, kaum Ausgang „Die Menschen wirken wie betäubt“, erinnert sich Wid- Die Erwachsenen drän- mann. „Mir kommt vor, sie haben aus Selbstschutz Kör- gen sich in den Notunter- per und Seele heruntergefahren, um den Aufenthalt, die künften, in jedem Zelt Ungewissheit und das Warten hier überhaupt auszuhal- wohnen zwei bis drei Fa- ten. Und wir zu Hause in Österreich regen uns auf, wenn milien – also bis zu 15 Klopapier erst am nächsten Tag nachgeliefert wird, Menschen. In den großen wenn wir nicht sofort unsere Impfung bekommen. Ja, die Zelten, in denen die allein- Corona-Pandemie ist ein Problem, das momentan die stehenden Männer schla- ganze Welt beschäftigt, aber wir warten in warmen, tro- fen, stehen die Stockbet- ckenen Wohnungen mit Bad, Toilette und Kaffeemaschi- ten dicht an dicht. Keine ne auf ihr Ende und können nebenbei in der Natur ent- Privatsphäre. Keine Ab- spannen. In Kara Tepe sitzen Familien und unbegleitete Fotos: DRK, ÖRK/Nadja Meister, privat wechslung. Keine Hoff- Kinder und Jugendliche buchstäblich im Dreck.“ nung. Und warten. War- Natürlich freut sich auch Widmann auf die Zeit, wenn ten auf eine der zwei sie wieder reisen kann, wohin sie will. Bis dahin verbringt Essensausgaben pro Tag, sie ihre Freizeit in den Tiroler Bergen, denn das Bergstei- auf die Stunde Ausgang, gen gibt ihr Ausgleich und Kraft. „Wenn man grundsätz- die sie manchmal bekom- lich positiv gestimmt ist und das Beste aus jeder Situation men, um im nahen Super- macht, kann man aus einer Krise auch gestärkt hervor- Christine Widmann schöpft Kraft beim Bergsteigen markt Kleinigkeiten zu gehen“, ist die Tirolerin überzeugt. 30
Das Flüchtlingscamp Kara Tepe auf Lesbos in Griechenland INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT venöl eingesetzt wird, wird bis zu dreimal täg- lich 40 Grad warmes Wasser aus einer Thermalquelle gebracht, mit dem die Bewohner_innen duschen können. Im Camp gibt es Stationen zum Das Rote Kreuz aus Dänemark, Hände- und Wäschewaschen. Deutschland und Österreich hilft Das verschmutzte Wasser, mit mobilen Gesundheitsteams, Hilfsgütern wie Decken, Wasser Grauwasser genannt, wird in sowie Hygiene-Kits und Zelten. Tanks gesammelt und gerei- Das Griechische Rote Kreuz (HRC) nigt, bevor es entsorgt wird. unterstützt auch mehrere Camps Im Camp gibt es außerdem auf dem Festland, u. a. mit mobile Gesundheitsteams des mobilen Gesundheitsteams sowie Griechischen Roten Kreuzes, die Zentren für unbegleitete Minder- jährige oder Tageszentren. eine medizinische Basisversor- gung bieten. Eine weitere wichtige Aufgabe des Teams ist es, die Ausbrei- tung von Covid-19 einzudämmen. Dazu wird verstärkt informiert und auf die Hygienemaßnahmen hingewiesen. Ende März 2021 beendeten die Delegier- ten aus Österreich ihren Einsatz und übergaben an die Kolleg_innen anderer Hilfsorganisationen. C Schlechte hygienische Bedingungen Für die Menschen in Kara Tepe ist das ungleich schwerer. An zwei Seiten ist das Camp durch das Meer begrenzt, Flüchtlingspolitik überdenken an den anderen durch einen hohen Zaun. Das Camp ver- Für die Menschen in Kara Tepe hat das Warten erst ein Ende, lassen können die Menschen nur ganz selten. Wenn das wenn die Entscheidungsträger_innen in Europa ihre Flüchtlings- Wasser warm genug ist, gehen Männer und Kinder zum politik überdenken. Gerade in schwierigen Zeiten dürfen wir Waschen ins Meer. Die Frauen können das nicht – ganz unsere Augen nicht vor der Not anderer verschließen. Es gibt normale Dinge wie tägliche Hygiene oder die Monats- auch in Österreich Menschen, die unter der Corona-Pandemie blutung sind für sie große Herausforderungen. leiden. Aber wir dürfen darüber die Menschen auf der Flucht „Der Winter hat die Situation im Camp weiter ver- und besonders die unbegleiteten Minderjährigen nicht schlimmert. Bei Regen stehen große Teile innerhalb kür- vergessen, die unter katastrophalen Bedingungen in zester Zeit unter Wasser, die Menschen schlafen in nas- Flüchtlingscamps zusammengepfercht sen Zelten und mussten bei Temperaturen um den warten. Sie brauchen unseren Schutz Gefrierpunkt mit kaltem Wasser duschen. Dazu haben und unsere Hilfe. Wir können es uns in sich nur 10 bis 20 Menschen pro Tag überwunden“, erin- Österreich nicht nur leisten, wir sind auch nert sich die Rotkreuz-Delegierte an die Zustände im moralisch dazu verpflichtet, einige Camp bei ihrer Ankunft. von ihnen aufzunehmen. Sanitäre Hilfe Michael Opriesnig, „Als ich abgereist bin, waren es schon bis zu 2.000 pro Generalsekretär des Tag“, fügt sie stolz hinzu. Denn mit einem Thermotank- Österreichischen Roten Kreuzes wagen, wie er in Griechenland für den Transport von Oli- www.roteskreuz.at/jahresbericht 31
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