Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
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Policy Paper • Nr. 2 • September 2017 Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking von Neelke Wagner und Kristina Dietz
IMPRESSUM Herausgeberin: Nachwuchsgruppe GLOCON, Freie Universität Berlin Prof. Dr. Bettina Engels / Dr. Kristina Dietz Boltzmannstr. 1, 14195 Berlin Layout und Redaktion: Tobias Kalt / Anna Dobelmann Bildnachweis Titelbild: Hanna Thiesing ISSN: 2512-8337 Zitiervorschlag: Wagner, Neelke/Dietz, Kristina: Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking. GLOCON Policy Paper, Nr. 2, Berlin, 2017 Alle GLOCON Policy Paper sind online verfügbar unter www.land-conflicts.net © Nachwuchsgruppe GLOCON
INHALTSVERZEICHNIS Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Direkte Demokratie: Was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 Direkte Demokratie und Bergbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3 Auswahl der Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 4 Bürger_innenentscheide: rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 5 Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 6 Direkte Demokratie in Konflikten um Bergbau und Fracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 6.1 Longmont, Colorado, USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 6.2 Esquel, Chubut, Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 6.3 La Colosa (Piedras, Cajamarca, Ibagué), Tolima, Kolumbien . . . . . . . . . . . . . . . . 8 6.4 Hermosa Beach, Kalifornien, USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 7 Bedingungen für direkte Demokratie in Konflikten um Bergbau und Fracking . . 13 7.1 Politisch-institutionelle Bedingungen und Gelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 7.2 Strategische Partner aus Wirtschaft und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 7.3 Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 7.4 Reaktionen der Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 7.5 Reaktionen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 8 Direkte Demokratie ist voraussetzungsvoll, aber ihr Einsatz kann sich lohnen . . . . 16 9 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Über die Autor_innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017 EINLEITUNG die aber mangels Unterschriften scheiterte. In Grön- land versuchten Gegner_innen eines Uranminen- Weltweit wächst die Zahl neuer Bergbau- und Bohr- projektes vor rund einem Jahr, ein Referendum über projekte (Reichl et al. 2017). Trotz Schwankungen Uranabbau im Land durchzusetzen – ebenfalls ohne versprechen die Weltmarktpreise für Rohstoffe auch Erfolg. Und in Italien erreichte ein Volksentscheid über weiterhin Gewinne für Unternehmen und Einnahmen Ölbohrverbote nahe der Küste das Quorum3 nicht. für Staaten. Doch während den einen hohe Gewinne Dieses Paper analysiert den Einsatz direktdemo winken, fürchten andere, vor allem Anwohner_innen, kratischer Instrumente in Konflikten um Bergbau und um ihre Umwelt. Bergbau sowie Öl- und Gasförderung Fracking. Unter welchen Bedingungen greifen Pro- verbrauchen nicht nur natürliche Ressourcen wie Was- testgruppen zu diesen Instrumenten und wie setzen ser und Boden und verändern das Landschaftsbild. Sie sie diese ein? Was sind die Erfolgsbedingungen? Dazu verschmutzen zudem die Luft und hinterlassen giftige definiert es zunächst den Begriff „direkte Demokratie“ Abwässer und Abraum. Daraus erwachsen Konflikte, und erklärt die wichtigsten Instrumente. Darauf folgt die in den letzten Jahren immer zahlreicher geworden ein kurzer Überblick über Rohstoffabbau und direkt- sind. demokratische Entscheidungsverfahren in den Län Lokale Volksabstimmungen haben sich vor allem dern, deren Bürger_innen Referenden besonders oft in Nord- und Lateinamerika als Strategie im Kampf nutzen, um Bergbau- und Bohrprojekte zu stoppen. gegen Bergbau- und Bohrprojekte etabliert. In den Vier Fälle werden genauer betrachtet. Die Ergebnisse USA gab es seit 2012 insgesamt 29 lokale Volksab der Analyse und ein Ausblick auf weitere Forschungs- stimmungen zum Thema Fracking. Davon fanden 13 in fragen schließen das Paper ab. Ohio, je sieben in Kalifornien und Colorado und je eine in Texas und Illinois statt.1 Für Lateinamerika zählte das zivilgesellschaftliche Beobachtungszentrum für Berg- 1 DIREKTE DEMOKRATIE: WAS IST DAS? baukonflikte Observatorio de Conflictos Mi neros de América Latina (OCMAL) im Juli 2017 mindestens Direkte Demokratie bezeichnet allgemein die unmit- 219 Konflikte um industrielle Minen2. Von 2002 bis telbare, verbindliche Entscheidung der Bürger_innen Juni 2017 fanden in Peru, Argentinien, Guatemala, El über eine Sachfrage. Darüber, was genau unter Salvador, Ecuador und Kolumbien mehr als 90 lokale „direkter Demokratie“ oder „direktdemokratischen Volksentscheide über Bergbauprojekte statt. Weitere Verfahren“ verstanden wird, herrscht in der Wissen- sind in Vorbereitung, wovon einige nicht von Geg- schaft kein Konsens. Dieses Paper orientiert sich an der ner_innen, sondern Befürworter_innen industrieller Terminologie des Initiative and Referendum Institute Minenprojekte initiiert werden (Walter/Urikidi 2015; Europe (IRIE), die auch vom Direct Democracy Navigator Dietz 2017). verwendet wird.4 Demnach muss die Ab stimmung obligatorisch – aufgrund einer gesetzlichen oder In anderen Teilen der Welt sind Volksentscheide zu verfassungsmäßigen Regelung – oder „von unten“ Bergbau und Fracking nur vereinzelt zu beobachten. zustande kommen. In Deutschland starteten Umweltgruppen in Branden- burg 2009 eine Volksinitiative für den Kohleausstieg, 1 ballotpedia.org, eine Online-Enzyklopädie für direkte Demo- 3 Quorum nennt man den Mindestanteil an Stimmberechtigten, kratie, dokumentiert sämtliche Volksabstimmungen in den USA. der sich an einer Abstimmung beteiligen muss (Beteiligungsquo- Die Übersicht zu Fracking ist abrufbar unter https://ballotpedia. rum) oder mit „Ja“ stimmen muss (Zustimmungsquorum), damit org/Local_fracking_on_the_ballot [letzter Aufruf 18.07.2017]. das Ergebnis der Abstimmung gültig (= bindend) ist. 2 S. http://www.mapa.conflictosmineros.net/ocmal_db/ [letzter 4 Die Typologie der Verfahren ist unter http://www.direct-demo- Aufruf 19.07. 2017]. cracy-navigator.org/typology abrufbar [letzter Aufruf 18.07.2017]. 1
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking „Von unten“ bedeutet, dass die Bürger_innen die gerechnet. Hier ist es den Bürger_innen nicht möglich, Abstimmung per Volksbegehren verlangt haben. notfalls an den repräsentativen Gremien vorbei eine Dieses Verfahren ist meist zweistufig geregelt: Eine verbindliche Entscheidung zu fällen. Mindestzahl an Stimmberechtigten muss eine Forde- In diesem Paper fallen Abstimmungen „von oben“ rung unterschreiben (Volksbegehren oder Initiative), dann unter die Definition „direkte Demokratie“, wenn damit sie darüber direkt abstimmen können (Volksent- das Verfahren aufgrund massiven Drucks der Bevöl- scheid). Die direkte Entscheidung der Bürger_innen kerung ausgelöst wurde. Das ist zwar formalrechtlich ersetzt dann eine Entscheidung des Parlaments oder unscharf, aber aus analytischer Perspektive sinnvoll, des Gemeinderats. So ist es etwa in den US-amerika da in der vorliegenden Untersuchung die politische nischen Bundesstaaten, einigen argentinischen Pro- Wirksamkeit der Instrumente im Mittelpunkt steht. vinzen und in Kolumbien geregelt. Wenn das Ergebnis der Abstimmung den Staat oder die Gemeinde recht- lich nicht bindet, sondern nur beratenden Charakter hat, dann spricht man von einer Volkspetition. Sie 2 DIREKTE DEMOKRATIE UND BERGBAU zählt wegen der mangelnden Verbindlichkeit nicht zu In der Regel werden Bergbauprojekte auf national den direktdemokratischen Verfahren. staatlicher Ebene genehmigt und regu liert. Auf „Von oben“ können das Parlament bzw. das Staatsober- dieser Ebene gibt es aber nur in wenigen Staaten und haupt (auf kommunaler Ebene die_der Bürgermeis- meist nur in Ausnahmefällen direktdemokratische ter_in oder der Stadtrat) ein Referendum initiieren. Sie Instrumente, über die Bürger_innen direkt Entschei- setzen dann das Thema, die Abstimmungsfrage und dungen treffen könnten. Ein solcher Ausnahmefall den Termin fest. Diese Variante entspricht den consultas war die Volksabstimmung über die Verstaatlichung in Kolumbien bis 2015. Weil solche Referenden Instru- des Kupferbergbaus in Sambia 1969, in der aber nur mente der repräsentativen Organe bleiben, werden über die Besitzverhältnisse, nicht über die sonstige sie meist nicht zu den direktdemokratischen Verfahren Stimmzettel Bürger_innenentscheid Cajamarca, Kolumbien (Foto: Hanna Thiesing) 2
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017 Mitbestimmung der Bürger_innen in der Bergbau Die Fälle Longmont, Colorado (USA) und Esquel, Chu- politik entschieden wurde. Die konkreten Auswirkun- but (Argentinien) sind deshalb interessant, weil sie zu gen des Bergbaus zeigen sich jedoch vor allem vor den ersten ihrer Art gehören und spätere Bürger_in Ort, und lokal existieren häufiger direktdemokratische nenentscheide inspiriert haben. In beiden Fällen ent- Instrumente als auf nationaler Ebene. Dadurch deutet wickelte sich nach dem Entscheid ein andauernder sich bereits an, dass die Nutzung direktdemokratischer Konflikt zwischen der lokalen und höheren politischen Instrumente in Bergbaufragen Konflikte zwischen den Ebenen um die Entscheidungshoheit in der Sache. verschiedenen politischen Ebenen hervorrufen kann, Er wurde sowohl vor Gericht als auch auf der Straße wenn durch einen lokalen Entscheid etwas verhindert ausgetragen. Im Fall der Goldmine La Colosa, Tolima werden soll, was auf der nationalen Ebene beschlossen (Kolumbien), der mehrere Gemeinden betrifft, waren oder genehmigt wurde. Eine weitere Möglichkeit für die Bergbaugegner_innen zunächst auf die Unterstüt- die Bevölkerung, über Bergbauprojekte abzustimmen, zung der lokalen Politik angewiesen, weil dort bis 2015 bietet die ILO-Konvention 169. Doch fallen ihre Instru nur Bürgermeister_innen einen Bürgerentscheid an- mente, zu denen auch Volksabstimmungen zählen, setzen konnten. La Hermosa, Kalifornien (USA) bildet nicht unter die Kategorie „direkte Demokratie“, wes- einen Sonderfall, weil die Stadt schon früh Ölförder- wegen sie hier nicht weiter betrachtet werden sollen.5 aktivitäten von ihrem Territorium verbannte und die Protestierenden so auf eine Tradition des Umwelt- und Anwohner_innenschutzes aufbauen konnten. 3 AUSWAHL DER FÄLLE Anhand von vier Fällen – zwei aus den USA, einem aus 4 BÜRGER_INNENENTSCHEIDE: RECHTLICHE Kolumbien und einem aus Argentinien – werden die RAHMENBEDINGUNGEN Faktoren herausgearbeitet, die einen erfolgreichen Einsatz direktdemokratischer Instrumente in Bergbau- Während in Argentinien die Provinzen lokale Volks konflikten begünstigen. Dazu orientieren wir uns an abstimmungen (span. consultas populares) jeweils folgenden Leitfragen: selbst regeln, hat Kolumbien sie in der nationalen Verfassung verankert. Ihre Anwendung bestimmt das 1. Was hat den Protest ausgelöst? nationale Partizipationsgesetz (Ley 134, Art. 50-57) 2. Wie haben sich die Protestierenden organisiert von 1994. Darüber hinaus ermöglicht das Gemeinde- und welche Strategien haben sie angewendet? gesetz (Ley 136, Art. 31) von 1994, das den Gemeinden 3. Welche Rolle spielte die direkte Demokratie? eine weitreichende politische Autonomie einräumt, Warum wurde sie angewendet und was hat sie Referenden bei bestimmten, die Landnutzung be- erreicht? treffenden Entwicklungsprojekten durchzuführen (u.a. beim Bergbau). Bis Juli 2015 konnten nur Bür- 4. Was geschah nach dem Volksentscheid? Wie germeister_innen lokale Volksentscheide anstoßen. reagierten die Behörden, übergeordnete staat Das Gesetz 1757 vom Juli 2015 öffnet auch sozialen liche Ebenen, die Industrie? Bewegungen diese Möglichkeit, wenn sie dafür eine bestimmte Anzahl Unterschriften sammeln. Diese Initiativen müssen stets den Gemeinderat passieren, 5 Die ILO-Konvention 169 schreibt das Recht der indigenen Be- der in einfacher Mehrheit entscheidet, ob er der völkerung auf freie, informierte und vorausgehende Zustimmung fest. Diese Art der Abstimmung ist nicht der gesamten Bevölkerung Initiative stattgibt. Lokale Volksabstimmungen sind gleichermaßen zugänglich, ihre Ergebnisse sind nicht grundsätz- formal gültig, wenn sich mindestens 33 Prozent der lich verbindlich. Deshalb handelt es sich streng genommen nicht um ein direktdemokratisches Instrument (vgl. Schilling-Vacaflor/ Wahlberechtigten beteiligen. Ihre Ergebnisse sind für Flemmer 2015). 3
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking das dann innerhalb von sechs Monaten darüber zu entscheiden hat.7 In den USA kennen fast alle Bundesstaaten gut ge- regelte direktdemokratische Instrumente auf lokaler Ebene. Kalifornien und Colorado gehörten vor mehr als hundert Jahren zu den ersten US-Staaten, die Volksbegehren und -entscheide (engl. initiative und referendum) einführten. Seitdem können die Bür- ger_innen auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene erreichen, dass sie anstelle des Stadt- oder Gemeinde rats verbindlich über eine Frage abstimmen, wenn sie dafür eine bestimmte Menge an Unterschriften gesammelt haben. In der Regel kann über alle Themen ein Bürger_innen- oder Volksentscheid8 stattfinden, über die auch die gewählten Vertreter_innen zu entscheiden haben. Das heißt, Volksentscheide und Parlaments- bzw. Gemeinderatsentscheidungen sind prinzipiell gleichgestellt. 5 WIRTSCHAFTSPOLITISCHE RAHMEN- BEDINGUNGEN In Kolumbien setzt der Staat traditionell auf Extrak- tivismus. Der Bergbausektor bildet eine der wesent Mobilisierung in Cajamarca, Kolumbien (Foto: Hanna Thiesing) lichen Säulen des kolumbianischen Außenhandels – vor allem Kohle und Gold sind Exportschlager, denen auch im aktuellen Nationalen Entwicklungs- lokale Regierungen bindend und müssen mittels einer plan eine tragende Rolle zukommt (Departamento Gemeindeverordnung umgesetzt werden. Nacional de Planeación 2015). Der Abbau funktioniert Die argentinische Provinz Chubut, in der das Minen über die Vergabe von Konzessionen, die es einzelnen projekt von Meridian Gold6 gelegen ist, sieht in ihrer Unternehmen erlauben, in einem bestimmten Gebiet Verfassung zwei Instrumente „halbdirekter“ Demo- Bodenschätze abzubauen. Seit 2010 hat die nationale kratie vor: die consulta popular (Art. 262) und die Bergbaubehörde 12.000 Konzessionen für insgesamt Volkspetition (Art. 263). Eine consulta kann nur vom fünf Millionen Hektar vergeben, davon ein Drittel Parlament angesetzt werden, ihr Ergebnis ersetzt dann an ausländische Konzerne. Anträge für weitere 25 eine entsprechende Entscheidung des Parlaments. Millionen Hektar – ein Viertel des gesamten kolumbia Daneben können Legislative und Exekutive auch nischen Bodens – liegen bereits vor (Weber 2016). unverbindliche Volksbefragungen ansetzen. Mit einer Volkspetition können mindestens drei Prozent der 7 Die Verfassung der Provinz Chubut in spanischer Sprache ist ab- rufbar unter http://www.conjura.net/6toB/chubut/constitucion- Bürger_innen ein Thema ins Parlament einbringen, de-la-provincia-de-chubut [letzter Aufruf 08.05.2017]. 8 Im deutschen Sprachgebrauch unterscheidet man Bürger_in- nenentscheid (kommunale Ebene) und Volksentscheid (Landes- 6 Meridian Gold gehört inzwischen zu Yamana Gold Inc. bzw. Bundesebene). 4
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017 Argentinien – eher ein Agrar- als ein Bergbaustaat – können in relativ kurzen Zeiträumen große Vorkom- befand sich 1998 bis 2002 in einer tiefen Wirtschafts- men erschlossen werden. Die Energy Information krise, in deren Folge die Auslandsinvestitionen – und Administration (EIA) der USA beziffert die im Unter- damit auch die globaler Bergbaukonzerne – stark grund ruhenden Ressourcen von Schiefergas, das mit zurückgingen. Doch im Jahr 2008 war der Export Hilfe von Fracking gefördert werden muss, auf rund des argentinischen Bergbausektors wieder auf vier fünf Billionen Kubikmeter; das sind mehr als die Hälfte Milliarden US-Dollar angestiegen. Und internationale der gesamten Gasvorkommen der USA (EIA 2016:2). Akteure interessieren sich wieder stark für die argen Mittlerweile stammen zwei Drittel des in den USA tinischen Bodenschätze. Unter vier Fünfteln des argen- geförderten Gases aus Fracking (Perrin/Cook 2016). tinischen Staatsgebietes lagern förderungs würdige Fracking genießt zahlreiche Ausnahmen von Umwelt- Rohstoffe, verspricht die deutsch-argentinische gesetzen. So müssen Betreiber von Fracking-Stationen Handels kammer investitionsinteressierten Firmen weder offenlegen, welche Chemikalien sie genau ein (AHK 2014). Insbesondere seit der Wahl Mauricio Macris setzen noch wird die Auswirkung der Pressbohrungen zum neuen Staatspräsidenten steht die Entwicklung auf die Luft- und Wasserqualität überwacht. Die des Bergbausektors im Zentrum der nationalen Politik. Abwässer werden häufig in offenen Gruben aufge Die Regierung plant ein neues Bergbaugesetz, das die fangen. In den USA haben Anwohner_innen das Recht je nach Provinz unterschiedlichen Auflagen für Minen- auf Information gegenüber Firmen, die mit giftigen betreiber vereinheitlichen will, um Investitionen in Stoffen umgehen. Das gilt bei Fracking jedoch nicht. den Sektor anzuziehen (Quintana 2017). In den USA gehen klassische Bergbauaktivitäten eher zurück, doch Fracking erlebt seit 2005 einen Boom. 6 DIREKTE DEMOKRATIE IN KONFLIKTEN UM Mittels Fracking (Hydraulic Fracturing) werden Öl- und BERGBAU UND FRACKING Gasvorkommen erschlossen, die mit her kömm lichen Tech nologien nicht erreicht werden. Un ter 6.1 Longmont, Colorado, USA hohem Druck wird ein Gemisch aus Wasser, Sand Einer Schätzung der Umweltschutzorganisation und Chemikalien in den Boden gepresst, das öl- und Environment America zufolge9 entstanden zwi schen gasführende Gesteinsschichten aufbricht und so dafür sorgt, dass die Rohstoffe entweichen können. Dadurch 9 Aufgrund der mangelnden Regulierung sind offizielle Zahlen nicht zu bekommen. Fracking-Anlage in Weld, Colorado (Foto: WildEarth Guardians, Creative Commons) 5
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking 2005 und 2012 im US-Bundesstaat Colorado 18.168 mit dem Thema befasste (Dodge 2012). Er verkün- neue Fracking-Förder stellen (Ridlington/Rumpler dete ein viermonatiges Moratorium, um in dieser 2013). Das ist nach Texas der zweitgrößte Zuwachs. Zeit geeignete Regeln für Fracking in Longmont zu Zwischen 2005 und 2015 vervierfachte sich Colorados erarbeiten. Auf mehreren folgenden Bürger_innenver Rohölproduktion. Die Gasförderung wuchs um 50 Pro- sammlungen machten die Einwohner_innen deutlich, zent, wobei ein Großteil des Wachstums auf Fracking dass sie Fracking am liebsten ganz aus der Stadt zurückgeht (EIA 2016). Die Aktivitäten konzentrieren verbannt hätten. Doch die vom Stadtrat schließlich sich auf die Bezirke Boulder und Weld, zwischen vorgelegten Regelungsvorschläge blieben weit hinter denen die Stadt Longmont liegt – die Gemeinde, die diesem Ziel zurück. Die Protestierenden schlossen sich als erste in den USA ein Fracking-Verbot per Bürger_in- unter dem Namen Our Health, Our Future, Our Long- nenentscheid durchzusetzen versuchte. Im November mont zusammen und erarbeiteten ein Zusatzkapitel 2012 stimmten fast 60 Prozent der Bürger_innen für die Stadtsatzung unter dem Titel „Longmont Act für von Longmont für ein Fracking-Verbot innerhalb der Öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Wohlergehen“. Stadtgrenzen. Doch das Votum bedeutete nicht mehr Sie sammelten die für einen Bürger_innenentscheid als einen Etappensieg. Ein Streit entbrannte zwischen erforderlichen 5.700 Unterschriften innerhalb von zwei dem Bundesstaat Colorado und der Stadt, ob ein Bür- Monaten. 60 Prozent Zustimmung erhielt ihre Vorlage ger_innenentscheid über Fracking überhaupt zulässig im Entscheid am 6. November 2012. Sie hätte Fracking sei, da die Genehmigungen für diese Form der Öl- und und das Lagern von Fracking-Abwässern in offenen Gasförderung von einer bundesstaatlichen Behörde Becken innerhalb der Stadtgrenzen ganz verboten.10 erteilt werden. Dagegen legten die Colorado Oil and Gas Association Von Anfang an nutzten die Protestakteure mehrere (Verband der Öl- und Gasindustrie) sowie die für die Wege, die politische Entscheidungsfindung zu be- bundesstaatliche Regulierung von Bohraktivitäten zu- einflussen: Die Aktivist_innen organisierten sich in ständige Colorado Oil and Gas Conservation Commission Bürger_innenversammlungen, informierten sich über Klage ein. Das neue Kapitel der Stadt satzung sei Technik und Umweltgefahren des Frackings und illegal, „weil die Gemeinde nicht verbieten dürfe, was gaben ihre Erkenntnisse weiter, und sie vernetzten sich der Staat erlaubt“.11 Der Bezirksrichter folgte dieser mit anderen betroffenen Gemeinden und mit Umwelt Auffassung und erklärte die Abstimmung am 24. Juli verbänden. Ihre Strategien wechselten sich während 2014 für ungültig. Zum Zeitpunkt des Urteils hatten des nunmehr sechs Jahre andauernden Widerstands bereits fünf weitere Gemeinden in Colorado über ab. Als ein wichtiges Standbein entpuppte sich die Fracking-Moratorien oder -Verbote abgestimmt – und direkte Demokratie (Dodge 2012). bis auf eine stimmten alle gegen Fracking. Die Anti Fracking-Gruppen hatten sich bereits untereinander Angestoßen hatte den Entscheid eine Anwohner_in- vernetzt und eine gemeinsame Plattform gegründet: neninitiative. Sie gründete sich 2011, nachdem eine Coloradans against Fracking12. Die Unterstützer_innen Ölfirma von der Stadt die Konzession erhalten hatte, bis der Longmont-Initiative legten Beschwerde gegen zu 182 Fracking-Förderstellen auf kommunalem Land zu errichten, unter anderem in der Nähe eines großen 10 Die Satzungsänderung im Wortlaut ist unter http://ourlong- Trinkwasserreservoirs sowie von zwei Grundschulen mont.org/charter-amendment/ dokumentiert [letzter Aufruf 18. 07.2017]. (LongmontRoar 2013). Die Nachbar_innen wandten 11 Die Klageschrift der Colorado Oil and Gas Association ist abruf- sich an landesweite Umweltverbände, hielten mehrere bar unter http://ourlongmont.org/wp-content/uploads/2013/01/ Informationsveranstal tungen ab und konnten ein 20121218_010338_COGAfiling.pdf [letzter Aufruf 08.05.2017]. halbes Jahr später erreichen, dass der Stadtrat sich 12 Deren Internetpräsenz www.coloradansagainstfracking.us [letzter Aufruf 15.08.2017] listet vor allem Berichte über Gefahren des Fracking: wissenschaftliche Studien ebenso wie Dokumenta- tionen von Havarien. 6
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017 das Urteil ein. Mittlerweile hatte der Bezirk Boulder ein Frank McNulty, der die Kampagne der Industrie unter- Fracking-Moratorium verhängt. stützt hatte, von einem Sieg sprach, zeigten sich die lokalen Aktivist_innen enttäuscht. Ihr einziger Erfolg: Dem gebündelten lokalen Widerstand setzte die Die Colorado Oil and Gas Conservation Commission zog Industrie zwei Initiativen auf Landesebene entgegen. ihre Klage gegen die Gemeinde Longmont zurück. Die Sie initiierte 2014 zwei Volksbegehren: Eines sollte anderen Anti-Fracking-Gemeinden sahen sich jedoch Gemeinden, die auf ihrem Gebiet Probebohrungen weiterhin kostspieligen Rechtsstreits gegenüber. Und und die Förderung von Öl und Gas verbieten, von den am 2. Mai 2016 bestätigte Colorados Oberstes Gericht Steuereinnahmen aus Bohraktivitäten ausschließen. die Einschätzung der Bezirksgerichte von Boulder Das andere forderte eine Kostenschätzung, mit der und Larimer, die die Fracking-Verbote der Städte Initiativen künftig vorrechnen müssten, wie viel Geld Longmont und Fort Collins für ungültig erklärt hatten. die begehrte Maßnahme kosten würde. Dies beant- Auf lokaler Ebene ist der Kampf gegen Fracking damit worteten die Frackinggegner_innen mit drei eigenen vorerst gescheitert.14 Initiativen, die lokale Selbstbestimmungsrechte ge- nerell sowie speziell im Umweltschutz stärken und für Das landesweite Bündnis ging deshalb wieder in Frackingprojekte einen landesweiten Mindestabstand die Offensive und startete zwei neue Initiativen, die von 2.000 Fuß (610 Meter) bis zur nächsten Bebauung im November 2016 zur Abstimmung hätten stehen erreichen sollten. sollen. Eine sollte den Kommunen des Bundesstaats ausdrücklich das Recht einräumen, Fracking selbst Colorado stand die teuerste Referendumskampagne zu regulieren. Die andere legt einen Mindestabstand seiner Ge schichte bevor (Jaffe 2014). Zugleich be- von 2.500 Fuß (762 Meter) zwischen Frackingstationen feuerte der Konflikt einen Machtkampf innerhalb der und Wohnhäusern, Schulen, Krankenhäusern und Demokratischen Partei des Bundesstaates. Während Wasserspeichern fest (Goodland 2016). Beide wur- Gouverneur John Hickenlooper sich hinter die Forde- den von der Innenverwaltung für unzulässig erklärt. rungen der Industrie stellte und lokale Fracking-Mora- Die Initiativen klagten vor dem Ober sten Gericht torien als illegal bezeichnete, unterstützte der lokale Colorados da gegen, das jedoch die Entscheidung Abgeordnete Jared Polis die Anti-Fracking-Initiativen. der Verwaltung am 14. April 2016 bestätigte.15 Damit Bevor dieser Streit ernsthaft eskalieren konnte, han- ist der Kampf der Coloradans against Fracking auf delten die Vertrauenspersonen der Initiativen einen bundesstaatlicher Ebene bis auf Weiteres verloren. Das Kompromiss aus: Die Colorado Oil and Gas Task Force Frackingmoratorium des Bezirks Boulder bestand zum wurde gegründet, eine Art Runder Tisch, der den Redaktionsschluss dieses Papers noch. Gesetzgeber über Wege beraten soll, „die Konflikte um Landnutzung zu minimieren“ (ebd.). Die Task Force bestand aus Vertreter_innen von Gemeinde räten, 6.2 Esquel, Chubut, Argentinien Bürgerinitiativen, Landwirtschafts- und Umwelt verbänden sowie der betroffenen Industrie und wurde In der Gemeinde Esquel in der Provinz Chubut im Süden vom Gouverneur einberufen. Sie legte im Februar Argentiniens organisierten sich Bürger_innen Ende 2015 ihren Abschlussbericht vor. Darin spricht sie neun 2002 in einem Anti-Bergbau-Nachbarschaftskomitee Empfehlungen aus, die hauptsächlich eine bessere (Asamblea de Vecinos Autoconvocados de Esquel por el Information der Bürger_innen und gemein same 14 Das Urteil im Wortlaut ist abrufbar unter https://www.long- Entscheidungsfindung von staatlichen Behörden und montcolorado.gov/home/showdocument?id=18241 [letzter Auf- Industrie einfordern.13 Während der Abgeordnete ruf 08.05.2017]. 15 Das Urteil im Wortlaut ist abrufbar unter https://www.courts. 13 Der Abschlussbericht der Task Force ist abrufbar unter state.co.us/userfiles/file/Court_Probation/Supreme_Court/ http://dnr.state.co.us/ogtaskforce/Documents/OilGasTaskForce initiatives/2015-16/16SA71/4-14-16%20court%20order.pdf FinalReport.pdf [letzter Aufruf 08.05.2017]. [letzter Aufruf 18.07.2017]. 7
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking No a la mina, AVAE), nachdem die Provinzregierung Petent_innen umgedreht. Statt den Bergbau grund- dem kanadischen Unternehmen Meridian Gold ge- sätzlich zu verbieten, verhängte das Parlament ein nehmigt hatte, in der Nähe der Stadt Gold zu fördern 120-tägiges Moratorium. Innerhalb dieser Zeit sollte (Walter/Martinez-Alier 2010; Svampa et al. 2009). Die die Regierung einen ergebnisoffenen Diskurs über den Anwohner_innen fürchteten eine Vergiftung der Um- Bergbau anstoßen und moderieren. Allerdings sieht welt – vor allem des Wassers – durch Zyanid, mit dem das Gesetz immer noch vor, dass jedes Bergbauprojekt das Gold aus dem Gestein gewaschen wird. Nach zwei der Zustimmung in einem Bürger_innenentscheid be- Demonstrationen, wovon die zweite am 1. Dezember darf, der alle vom Projekt betroffenen Ortschaften um- 2002 3.000 Menschen (zehn Prozent der Bevölkerung fasst. Die Aktivist_innen von No a la mina haben sich von Esquel) auf die Straße brachte, konnte das Komi- mittlerweile mit Dutzenden Nachbarschaftskomitees tee No a la mina den Gemeinderat dazu bewegen, ein in ganz Argentinien vernetzt. Sieben der 23 Provinzen lokales Referendum zu initiieren (Cúneo/Gascó 2013). Argentiniens haben inzwischen Tagebaue auf ihrem Territorium verboten (Castilla 2016). Die Verfassung der Provinz Chubut gibt Bürger meister_in und Gemeinderat die Möglichkeit, Gesetze Nachdem die nationale Regierung unter dem kon- dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Außerdem servativen Präsidenten Mauricio Macri in 2016 einen können mindestens drei Prozent der Stimmberech- nationalen Pakt für Bergbau angekündigt hat, prüft tigten dem Rat einen Gesetzesvorschlag unterbreiten. die aktuelle Provinzregierung von Chubut derzeit die Beide Verfahren sind aber nicht verbindlich, das heißt, Durchführung einer regionalen consulta mit dem Ziel, der Gemeinderat kann sich über das Ergebnis hinweg das Gesetz von 2003 aufzuheben und industriellen setzen. Der Gemeinderat setzte die Abstimmung für Bergbau in der Region wieder zu ermöglichen (Huella den 23. März 2003 an. 75 Prozent der Wahlberech- Minera 2016). tigten nahmen teil und stimmten mit einer Mehrheit von 81 Prozent gegen das Bergbauprojekt. Kurz nach 6.3 La Colosa (Piedras, Cajamarca, Ibagué), der Abstimmung, obgleich sie nicht bindend war, Tolima, Kolumbien verabschiedete die Provinzregierung von Chubut ein Gesetz (Ley 5.001), das die Verwendung von Zyanid Im Jahr 2006 erhielt das südafrikanische Unternehmen im offenen Tagebau in der Provinz verbietet. Dieses AngloGold Ashanti (AGA) Konzessionen zur Förderung Gesetz kommt de facto einem Moratorium für indus von Gold auf dem Gebiet der Gemeinde Cajamarca triellen Goldbergbau gleich (Renauld 2016: 526). in der kolumbianischen Provinz Tolima. Seit das Pro- Seither ruht das Projekt, obwohl sich Meridian Gold jekt 2007 bekannt wurde, mobilisieren eine Vielzahl weigerte, seine Pläne aufzugeben. Im Jahr 2007 kaufte unterschiedlicher Gruppen gegen das Projekt. Die Yamana Gold, ebenfalls ein Unternehmen aus Kanada, Allianz umfasst neben Anwohner_innen, Umwelt Meridian Gold auf. Yamana startete in den folgenden schützer_innen und kleinbäuerlichen Basisorganisa Jahren mehrere „Kommunikationskampagnen“, die Be- tionen auch lokale Politiker_innen, Unternehmer_in- völkerung und Politik von den Vorzügen des Bergbaus nen und Wissenschaftler_innen (Dietz 2017). Sie überzeugen sollten – ohne großen Erfolg.16 Im Jahr stammen aus Cajamarca und den Nachbargemeinden 2014 versuchten die Bürger_innen von Chubut, ihr Ibagué und Piedras. Im Jahr 2011 schlossen sie sich Parlament per Volkspetition zum endgültigen Verbot zum „Umweltkomitee zum Schutz des Lebens“ (Comité offenen Bergbaus in der Provinz zu bewegen. Doch Ambiental en Defensa de la Vida) zusammen. in der Parlamentsdebatte wurde der Vorschlag der Die Gegner_innen des Bergbauprojektes befürchten, 16 Der Fall ist in der globalen Datenbank für gewaltfreie Aktion dass es ihr Wasser vergiften und damit den Klein dokumentiert: http://nvdatabase.swarthmore.edu/content/esquel bäuer_innen und den Reisproduzent_innen – die -community-opposes-gold-mining-argentina-2002-2006 [letzter Aufruf 08.05.2017]. 8
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017 Aktivist mit Bürgermeister Guillermo Alfonso Jaramillo (Ibagúe, Kolumbien) beim Protestmarsch für den Bürger_innenentscheid (Foto: Hanna Thiesing) Gegend verdient auch mit monokulturellem Reisanbau Rückhaltebecken für die Entsorgung giftiger Abwässer in Großgrundbesitz ihr Geld – ihre Lebensgrund entstehen, das per Tunnel mit der rund 80 Kilometer lage nehmen könnte. Außerdem forderten sie ganz entfernten Mine verbunden werden sollte. Ein halbes grundsätzlich ihr Recht ein, bei lokalen und regionalen Jahr zuvor hatten Anwohner_innen die einzige Zu- Entwicklungsprozessen mitentscheiden zu dürfen, fahrt zum Dorf und den Erkundungsflächen blockiert besonders, wenn es um die Aneignung und Nutzung und so das Bergbauunternehmen am Zugang dorthin von Gemeingütern und Bodenschätzen geht. Der Pro- gehindert. Die Blockade dauerte mehrere Wo chen test dauert mittlerweile fast zehn Jahre an. Anders als und wurde schließlich von der nationalen „Aufstands- in Longmont und Esquel hat er sich jedoch nicht nur bekämpfungsbrigade“ (Escuadrones Móviles Antidis- auf eine höhere politische Ebene verlagert, sondern turbios, ESMAD) beendet (Dietz 2017). Im Schatten horizontal ausgebreitet. Insgesamt drei Bürger_innen der Blockade organisierten sich die Anwohner_innen entscheide haben die lokalen Komitees unter dem gemeinsam mit den zum Teil außerhalb von Piedras Slogan „Si a la Vida, No a la Mina“ (Ja zum Leben, Nein lebenden Reis produzent_innen. Unterstützung er- zur Mine) in den Nachbargemeinden der Mine initiiert. hielten sie von NGOs und den Umweltkomitees aus In der gesamten Zeit nutzten die Aktivist_innen auch Cajamarca und Ibagué sowie von Pax, einer (inter-) andere Formen, um ihren Widerstand zum Ausdruck nationalen Menschenrechtsorganisation (PAX 2016). zu bringen: Sie mobilisierten zu Protestmärschen und Letztere berichtete den Protestakteuren von den Straßenblockaden, organisierten Informationsveran Erfahrungen mit Volksabstimmungen in Esquel (Ar- staltungen und vernetzten sich mit anderen Protest- gentinien). Die Aktivist_innen in Piedras bereiteten bewegungen in Kolumbien. daraufhin eine consulta popular vor, unterstützt vom Bürgermeister und schließlich auch dem Gemeinderat. Die erste consulta popular zur La Colosa-Mine fand Von einer in der Landeshauptstadt Bogotá ansässigen am 28. Juli 2013 in Piedras statt. In Piedras sollte ein 9
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking Organisation holten sie sich Rechtsberatung. Am 28. für verfassungskonform17 und der Bürgermeister setz- Juli 2013 beteiligten sich 58 Prozent der Wahlberech- te den Abstimmungstermin für den 30. Oktober 2016 tigten an der Abstimmung. 98,8 Prozent stimmten ge- fest. Doch knapp zwei Wochen vor der Abstimmung gen Bergbau. Obwohl die nationale Regierung und das und in der Hochphase der Mobilisierung ordnete das Unternehmen die Abstimmung nicht anerkannten mit oberste Verwaltungsgericht (Consejo de Estado) die der Begründung, Bergbaugenehmigungen würden Aussetzung der consulta an. Vor dem Gericht hatten auf nationaler, nicht auf lokaler Ebene erteilt, reagierte mehrere Mitglieder einer Bergarbeiter_innenverei- das Unternehmen und änderte seine Projekt pläne: nigung auf ihr Grundrecht auf Arbeit, das sie durch Alle Bereiche der Goldförderung (Abbau, Weiterverarbeitung und Entsorgung) sollten nun im Gemeindegebiet von Cajamarca angesiedelt werden (PAX 2016). Von diesem Erfolg motiviert, wollten die Umweltkomitees von Cajamarca und Ibagué 2014 ebenfalls consultas in ihren Gemeinden organisieren. In Ibagué scheiterte die erste Initiative, weil der damals regierende Bürger- meister sie nicht unterstützte. In Cajamarca lehnte der Gemeinderat im Februar 2015 mit zehn zu elf Stimmen einen Bürger_in- nenentscheid über die Mine ab. Mitglieder des Umweltkomitees vermuten, dass sich die Ratsmitglieder vom Minenbetrei ber einschüchtern ließen. Der hatte ihnen im Dezember 2014 per Brief angedroht, sich aus allen laufenden lokalen Entwicklungs- finanzierungen in der Gemeinde zurückzu- Mobilisierung in Ibagué, Kolumbien (Foto: Hanna Thiesing) ziehen, sollte es zu einer Volksabstimmung die geplante Abstimmung bedroht sahen, geklagt. kommen. Druck kam auch von der procuradoría (eine Mitte Dezember 2016 entschied das Gericht, dass die Art staatliche Verwaltungskontrollstelle), die für den consulta von Ibagué durchgeführt werden könne, Fall einer consulta ein Amtsmissbrauchsverfahren an- wenn die zur Abstimmung gestellte Frage neu formu- kündigte, da der Gemeinderat für Bergbaufragen nicht liert würde. Zuvor hatte das nationale Verfassungs- zuständig sei (Arenas 2015). gericht ein Grundsatzurteil gefällt, wonach lokale Doch einige Monate später bekamen beide Ge- und regionale Regierungen (Gemeinden, Provinzen) meinden Gelegenheit für einen zweiten Anlauf. Bürger_innenbefragungen zu Bergbau durchführen In Ibagué wurde Guillermo Alfonso Jaramillo zum dürfen, auch dann, wenn dies zu einem Verbot von neuen Bürgermeister gewählt, der die Proteste gegen Bergbau unterstützt. Am 4. Januar 2016 kündigte er eine Volksabstimmung in Ibagué an. Am 29. Februar 17 Die Frage lautete: „Está usted de acuerdo si o no que en el municipio de Ibagué se ejecuten proyectos mineras que impliquen 2016 stimmte der Gemeinderat knapp, mit zehn contaminación de las aguas o afectación de la vocación agropecua- zu neun Stimmen, ebenfalls dafür. Das regionale ria y turística del municipio?” (Sind Sie damit einverstanden, Ja oder Nein, dass in der Gemeinde Ibagué Bergbauprojekte durchgeführt Verwaltungsgericht erklärte die Abstimmungsfrage werden, die das Wasser verschmutzen oder die landwirtschaftliche und touristische Bedeutung der Gemeinde beeinträchtigen?). 10
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017 Bergbau in einer Gemeinde führen könnte.18 Am für verfassungskonform und der Bürgermeister legte 16. März 2017 kündigte der Bürgermeister an, dem einen ersten Termin für Ende November 2016 fest. Gemeinderat eine neue Frage zur Abstimmung vor Dieser musste auf Druck des Wahlamtes wegen feh- zulegen.19 Ob und wann es zur Abstimmung kommt, lender Vorbereitungszeit auf den 22. Januar 2017 ver- ist zum Redaktionsschluss dieses Papiers unklar. schoben werden. In der Zwischenzeit hat das oberste Verwaltungsgericht auch diesen Volksentscheid, Die Bergbaugegner_innen in Cajamarca, der Ge aufgrund von Klagen des Unternehmens, ausgesetzt. meinde, in der sich das Minenprojekt befindet, erhiel- Ähnlich wie im Fall von Ibagué entschied das Gericht, ten durch die Verabschiedung des Gesetzes 1757 im dass auch die consulta von Cajamarca mit veränderter Juli 2015 zur Regelung von Volksentscheiden, die „von Fragestellung durchgeführt werden könne. Am 26. unten“ initiiert werden, eine neue Gelegenheit. Für die März 2017 kam es zur Abstimmung. Initiierung eines Volksentscheids müssen mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten die Initiative per Obgleich Gegner_innen des Volksentscheids zum Unterschrift unterstützen. Für Cajamarca bedeutete Wahlboykott aufriefen, lag die Wahlbeteiligung mit dies, dass innerhalb von sechs Monaten 1.608 gül 38,6 Prozent über dem zu erreichenden Quorum (33 tige Unterschriften zu sammeln waren. Binnen zwei Prozent). Die consulta ist damit gültig. 97,92 Prozent Wochen hatte das lokale Umweltkomitee über 4.800 der Beteiligten sprachen sich gegen Bergbauprojekte Unterschriften gesammelt, 3.364 davon wurden vom in Cajamarca aus.20 Am 27. April kündigte AngloGold Wahlamt als gültig anerkannt. Folglich musste der Ashanti an, aufgrund des Widerstands in Cajamarca Bürgermeister dem Gemeinderat die Initiative vor alle Arbeiten am Projekt La Colosa ruhen zu lassen – so legen, der Ende August 2016 der Durchführung einer lange, bis auf nationaler Ebene Klarheit über den berg- consulta zustimmte. Das regionale Verwaltungsgericht baupolitischen Kurs des Landes herrsche. Seit der Ab- erklärte die für die Abstimmung vorgesehene Frage stimmung in Cajamarca kam es in Kolumbien zu weite- ren lokalen Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau 18 Das Urteil (Aktenzeichen T-445/16) ist nachzulesen unter und Ölförderung: Am 4. Juni stimmten über 50 Prozent http://www.corteconstitucional.gov.co/relatoria/2016/t-445-16. htm [letzter Aufruf: 22.03.2017]. der Bevölkerung von Cumaral (Provinz Meta) gegen die 19 So berichtete die Tageszeitung El nuevo Día am 17. März 2017, abrufbar unter http://www.elnuevodia.com.co/nuevodia/tolima/ 20 Das Ergebnis im Detail hat die Wahlbehörde veröffentlicht ibague/313781-alcaldia-de-ibague-formulara-nueva-pregunta- unter https://wsp.registraduria.gov.co/atipicas/_BOLETINES/Bole- para-consulta-popular-minera [letzter Aufruf 22.03.2017]. tin_CP_10_29022.pdf [letzter Aufruf 27.03.2017]. Mobilisierung am Tag der Abstimmung, Cajamarca, Kolumbien (Foto: Hanna Thiesing) 11
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking Förderung von Öl in ihrer Gemeinde, am 8. Juli stimm- innerhalb des Stadtgebietes nach Öl gebohrt werden ten die Bürger_innen in den Gemeinden Pijao (Provinz dürfe, zwei Jahre später erhielt Macpherson dafür den Quindio) und Arbeláez (Provinz Cundinamarca) gegen Zuschlag. 1992 erlaubte die Stadtverwaltung dem Bergbau und Ölförderung in ihren Gemeinden (El Unternehmen, vor der Küste weitere 30 Bohrstellen Espectador 2017). Weitere Gemeinden wollen den zu errichten. Doch als 1998 eine Studie der staatlichen gleichen Weg gehen. Die wachsende Zahl an lokalen Küstenschutzkommission (Cali fornia Coastal Com- Volksentscheiden hat dazu geführt, dass in Kolumbien mission) die ökologischen Risiken des Projekts offen derzeit über Bergbau neu verhandelt wird. Seit der legte23, beschloss der Stadtrat, das Projekt zu stoppen. consulta in Cajamarca im März 2017 ist eine hitzige Macpherson verklagte die Stadt. Es dauerte zwölf Debatte zwischen Jurist_innen, der Regierung, dem Jahre, bis der Prozess endete. Das Berufungsgericht Ministerium für Bergbau und sozialen Bewegungs- gab Hermosa Beach 2010 Recht. Die Frage, ob die be akteuren über die Legalität und Verbindlichkeit von fürchteten Risiken als Grund für den Stopp ausreichten, direktdemokratischen Instrumente mit Bergbaubezug verwies es jedoch an ein Geschworenengericht. Bis ausgebrochen (Valencia 2017)21. In diesem Rahmen zu 750 Millionen US-Dollar Schadensersatz verlangte hat die Regierung eine Gesetzesinitiative angekündigt, Macpherson – das entspricht etwa dem 20-fachen die die direktdemokratische Beteiligung im Bereich Jahresbudget der Stadt. Bergbau neu regeln, d.h. einschränken soll. Vor diesem Hintergrund trat der Stadtrat in Verhand- lungen mit dem Unternehmen. 2012 gelang es ihm, 6.3 Hermosa Beach, Kalifornien, USA eine Einigung zu erzielen. Die Ölfirma E&B Natural Re- sources Management Corp. übernahm Macphersons Der kleine Ort liegt nahe Los Angeles am Rande des Förderrechte für 30 Millionen US-Dollar – 12,5 Milli- größten vermuteten Ölschieferfelds der USA, dem onen zahlte sie selbst und 17,5 Millionen lieh sie der Monterey Shale, ist aber auch berühmt und beliebt Stadt für deren Anteil an der Entschädigung – und wegen seiner Natur. Hermosa Beach lebt wesentlich versprach, nur noch in einem Bereich des Stadtgebiets vom Tourismus. Widerstand gegen Ölförderaktivitäten und mit einer sichereren Bohrmethode als Macpher- hat in der südkalifornischen Stadt eine lange Tradition. son Öl zu fördern. Über diesen Vorschlag sollte ein Bereits 1932 beschlossen die Bürger_innen in einer Bürger_innenentscheid stattfinden, dessen Kosten Volksabstimmung, jegliche Öl- und Gasförderung E&B übernahm. Wenn die Bürger_innen den Vor- vor die Stadtgrenzen zu verbannen.22 Grund waren schlag annähmen, würde E&B der Stadt 14 Millionen verrottende ehemalige Ölförderstätten, die Luft und US-Dollar erlassen und ihr erlauben, die restlichen 3,5 Wasser verschmutzten und die Lebensqualität in dem Millionen mit den Tantiemen am geförderten Öl zu Ort stark einschränkten. verrechnen.24 Am 3. März 2015 fand die Abstimmung Erst 44 Jahre später versuchte die Firma Macpherson statt. Obwohl die „Ja“-Kampagne 16-mal so viel Geld Oil Co. erstmals, das Verbot zu überwinden, scheiterte wie die Nein-Kampagne ausgab, scheiterte das Projekt aber. 1984 initiierte das Unternehmen zwei Bürger_in- deutlich. 79,5 Prozent der Bürger_innen stimmten mit nenentscheide, die das Verbot aufweichen sollten. Die Nein. Damit ist das Ölförderverbot in Hermosa Beach Bürger_innen stimmten dafür, dass an zwei Stellen wieder hergestellt. 21 http://sostenibilidad.semana.com/medio-ambiente/articulo/ cumaral-segun-la-industria-petrolera-los-resultados-no-son-vali- dos/37956 [letzter Aufruf 12.07.2017]. 23 Die Studie der kalifornischen Küstenkommission (California Coastal Commission) ist abrufbar unter https://www.coastal. 22 Die Stadtverwaltung von Hermosa Beach hat die Ereignisse in ca.gov/pdf/e9628.pdf [letzter Aufruf 10.05.2017]. einer Chronologie zusammengefasst, abrufbar unter: http://www. hermosabch.org/modules/showdocument.aspx?documentid 24 https://en.wikipedia.org/wiki/Hermosa_Beach_oil_drilling_ =1660 [letzter Aufruf 08.05.2017]. controversy [letzter Aufruf 15.08.2017]. 12
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017 7 BEDINGUNGEN FÜR DIREKTE DEMOKRATIE Die Kommunen bzw. Provinzen genießen grundsätz- IN KONFLIKTEN UM BERGBAU UND FRACKING lich die Regelungskompetenz für alles, was nicht auf höherer Ebene entschieden wird – in Argentinien ausdrücklich auch für Genehmigungen von Bergbau 7.1 Politisch-institutionelle Bedingungen projekten. Deshalb vermischte sich der Kampf gegen und Gelegenheiten die Extraktionsprojekte in beiden Staaten bald mit einem grundsätzlichen Kampf um lokale Autonomie In allen betrachteten Kommunen sind Bürger_in- und (lokale) demokratische Selbstbestimmung. In nenentscheide gesetzlich verankert – in den latein Longmont und Esquel verlagerte sich dadurch die amerikanischen Staaten allerdings oftmals nur als politische Auseinandersetzung und veränderte ihren „halbdirekte“ Demokratie. Hier müssen die Bürger_in- Fokus. Je höher die politische Ebene, auf der der nen ihre lokalen Repräsentant_innen überzeugen, Streit ausgetragen wurde, desto mehr ging es den eine Volksabstimmung anzuset zen. Erst mit der Bürger_innen um ihr grundsätzliches Recht auf Mit- Gesetzesänderung von 2015 können Bürger_innen in sprache. Der Fall Hermosa Beach zeigt, wie wichtig Kolumbien selbst Volksentscheide iniitieren. Dagegen es für den Erfolg der Strategie ist, dass sie auf allen blicken die USA auf eine lange Tradition der direkten politischen Ebenen und auch vom betroffenen Unter- Demokratie auf lokaler Ebene zurück. Gerade in Kali- nehmen respektiert wird. Dort hat das Unternehmen fornien sind es die Menschen gewöhnt, über wichtige selbst den Bürger_innenentscheid finanziert und sein Fragen auch direkt abstimmen zu können. Dagegen Ergebnis akzeptiert. Die direkte Demokratie ist so stark gaben in Kolumbien, wo die Instrumente relativ neu im öffentlichen Bewusstsein verankert, dass sie auch sind, Berichte von erfolgreichen Volksabstimmungen von den Verlierer_innen der Abstimmung als legitim anderswo den Ausschlag, sich die ses Instrumentes betrachtet wird. zu bedienen. Für die USA und Argentinien kommt Neben der Tradition entscheidet die Bürger_in- hinzu, dass sie relativ stark föderal organisiert sind. nennähe der Justiz über die Durchsetzung lokaler Protagonisten des Bürger_innenentscheids in Cajamarca, Kolumbien am Tag der Abstimmung (Foto: Hanna Thiesing) 13
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking Volksabstimmungen. Während im kolumbianischen vereinnahmen. Dann wird es ihnen wie in Longmont Fall das Verfassungsgericht mehrfach für die Minen- aus der Hand genommen und in Hinterzimmern wer- gegner_innen entschied, scheiterten die Bürger_in- den Kompromisse geschlossen, ohne die lokal Aktiven nen von Longmont immer wieder vor Gericht. einzubinden. 7.2 Strategische Partner aus Wirtschaft und 7.3 Ressourcen Politik Als wichtige Ressourcen für Protestakteure, die direkt- Den Initiativen hat es sehr geholfen, wenn sie Bünd- demokratische Instrumente in Konflikten um Bergbau nisse mit der lokalen Wirtschaft eingehen konnten. und Fracking einsetzen, erwiesen sich der Zugang zu In Esquel und Hermosa Beach mobilisierte auch (unabhängigen) Informationen, Zeit und Vernetzung. die Tourismusbranche gegen die Förderlizenzen, in Eine wichtige Rolle spielte, dass die Aktivist_innen Piedras die Großgrundbesitzer_innen und der Ver- über ausreichend Zeit und Raum verfügten, sich regel band der Reisproduzent_innen, während in Longmont mäßig zu treffen. Sie organisieren sich zunächst als kein Wirtschaftszweig vorherrschte, der sich vom Nachbarschaftskomitees, oft kannten sich zumindest Fracking bedroht fühlte. Im Gegenteil – die sehr gut einige Gruppenmitglieder schon vorher persönlich. organisierte Ölindustrie Colorados wurde auch auf In allen vier dargestellten Fällen entzündete sich der lokaler Ebene gehört. Dort stellte sich die lokale Politik Protest, weil die Menschen wussten oder erfuhren, schnell gegen die Bürger_innengruppen. Die konnten welche ökologischen Folgen und Auswirkungen auf zwar zu Beginn ihrer Kampagne durch massive lokale ihre Lebensgrundlagen die Extraktion von Rohstoffen Aktionen die Gemeinde dazu bewegen, Maßnahmen hat und welche konkreten Plänen zum Rohstoffabbau gegen Fracking zu ergreifen. Die Justiz urteilte jedoch es in ihrer unmittelbaren Umgebung gab. Eine wich- wiederholt gegen die lokale Selbstbestimmung tige Rolle bei der Mobilisierung spielten Berichte von und verwies die Entscheidung über Fracking auf die Unfällen oder permanenten Umweltverschmutzungen bundesstaatliche Ebene, wo die Frackinggegner_in- anderswo. Dabei fokussierten sie sich entweder auf die nen in einem Machtkampf innerhalb der regierenden Fördertechnologie, die in ihrer jeweiligen Kommune Demokratischen Partei zerrieben wurden. zum Einsatz kommen sollte (Longmont, Esquel) oder Für den Erfolg der betrachteten Initiativen war ent- auf das Unternehmen, das das konkrete Projekt plante scheidend, dass die politischen Institutionen vor Ort (Hermosa Beach, La Colosa). das eindeutige „Nein“ im Bürger_in nenentscheid Diese Informationen ka men weder von staatlichen mittrugen – und zwar weitgehend unabhängig von Stellen noch von den Bergbauunternehmen selbst, der Verbindlichkeit des Verfahrens. Obwohl in Long- sondern von in formierten Anwohner_innen oder mont das Verfahren gut geregelt und lange etabliert Umweltgruppen. Dadurch war das Vertrauen in die war, konnte die Justiz den Bürger_innenentscheid Institutionen so beeinträchtigt, dass die Menschen kippen und die Bewegung gegen Fracking und für begannen, sich zusätzliche In formationen von mehr de mokratische Mitbestimmung letztlich zum außerhalb zu beschaffen und sich zu organisieren. Erliegen bringen. Dagegen schafften es die gut ver Informationsveranstaltungen der Unternehmen, auf netzten Aktivist_innen von Esquel, Goldtagebau denen die Gefahren heruntergespielt wurden, ver- aus ihrer Provinz bis dato zu verbannen, obwohl die stärkten dies eher noch, als dass sie zur Beruhigung Ergebnisse der Abstimmungen offiziell nicht bindend beitrugen. Alle Gruppen eint ein festes Misstrauen in sind. Eher negativ wirkt es sich dagegen aus, wenn die die Verlautbarungen der Bergbaubefürworter_innen. Initiativen in Wahlkämpfe geraten oder Politiker_in- Lernprozesse, die weitgehend autonom von staatlichen nen der regionalen oder nationalen Ebene das Thema 14
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