PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2021
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INHALT Vorwort: Ausreichend Personal, gut für alle! ............................................................................... 3 Kapitel 1: Der öffentliche Dienst auf einen Blick .......................................................................... 4 Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit: Wenn Personalmangel, dann Stress .......... 6 Kapitel 2: Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes nach Geschlecht ................................... 11 Vor Ort nachgefragt: Lehrkräftemangel? Hausgemacht ................................................. 12 Kapitel 3: Langfristige Veränderungen im Personalstand............................................................ 18 Kapitel 4: Der öffentliche Dienst im europäischen Vergleich....................................................... 20 Vor Ort nachgefragt: Justiz am Limit................................................................................ 22 Kapitel 5: Prekäre Beschäftigung im öffentlichen Dienst ........................................................... 28 Kapitel 6: Altersstruktur der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ............................................. 30 Kapitel 7: Teilzeit im öffentlichen Dienst .................................................................................... 35 Kapitel 8: Ausbildung im öffentlichen Dienst ............................................................................. 36 Kapitel 9: Zusammenschau......................................................................................................... 37 Resümee und Forderungen: Das ist zu tun! .......................................................................... 38 Anhang: Arbeitsorte des öffentlichen Dienstes .......................................................................... 42 Veröffentlichungen der Abteilung: Weiterlesen! .................................................................... 45 Acht Gute Gründe Mitglied zu werden: Mitmachen! ............................................................ 46 Impressum ................................................................................................................................. 47
VORWORT Ausreichend Personal, gut für alle! Von Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des DGB Zeitdruck und Überlastung sind in der heutigen Arbeitswelt sehr weit verbreitet, das gilt auch mit Blick auf Lehrkräfte, Polizist:innen, Richter:innen, Beschäftigte von Bezirksämtern oder Jobcentern. Doch wie stark bedingt die Personalausstattung im öffentlichen Dienst die dortige Arbeitsintensität? Die im diesjährigen Personalreport veröffentlichte Son- derauswertung des DGB-Index Gute Arbeit gibt Auf- schluss. So gaben im öffentlichen Dienst insgesamt 45 Prozent der Befragten an, sehr häufig oder oft wegen fehlendem Personal mehr arbeiten zu müs- sen. Beim Personal öffentlicher Krankenhäuser liegt der Wert sogar bei knapp 80 Prozent. Diese Befunde sind aus meiner Sicht sehr besorgniserregend. Fast die Hälfte der Befragten aus dem öffentlichen Dienst gab an, nach der Arbeit nicht richtig abschal- ten zu können. Dadurch fehlten Regenerations- vielen Bereichen ist seine Leistungsfähigkeit ange- möglichkeiten, viele Kolleg:innen fühlen sich ausge- sichts der löchrigen Personaldecke jedoch schon jetzt brannt. Wenn solche Arbeitsbedingungen dauerhaft in Frage gestellt. vorherrschen, steigt bekanntermaßen das Risiko von psychischen Beeinträchtigungen, sprich Burnout In den zwei Heftschwerpunkten lassen wir jene zu oder Depressionen. Der Handlungsbedarf ist offen- Wort kommen, die mit der vorhandenen Personal- sichtlich. Und es bestätigt sich, dass eine bedarfs- decke umgehen müssen. In diesem Jahr kommen gerechte Personalausstattung ein zentraler Faktor sie aus den Arbeitsbereichen Schule sowie Gerichte für wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz ist. und Staatsanwaltschaften. Die Kolleg:innen machen eindrücklich deutlich, in welcher Umbruchphase wir Fakt ist: Im öffentlichen Dienst sind die vorhande- uns gerade befinden und was uns bevorsteht, sollte nen Aufgaben seit Jahren auf zu wenige Schultern weiterhin am Personal gespart werden. verteilt. Dabei ist eine angemessene Personalaus- stattung eine maßgebliche Voraussetzung für Gute Mein Fazit: Wir brauchen mehr Personal für gute Arbeit. Mehr Personal ist aber auch nötig, damit der Arbeitsbedingungen und einen leistungsfähi- öffentliche Dienst seine Aufgaben erfüllen kann. In gen öffentlichen Dienst! DGB | Personalreport 2021 3
KAPITEL 1 Der öffentliche Dienst auf einen Blick 83,1 Millionen Menschen leben laut Statistischem Bundesamt im März 2021 in Deutschland. 44,79 Millionen sind darunter Erwerbstätige. Quelle: Statistisches Bundesamt 6,34 Millionen Beschäftigte arbeiten im Jahr 2020 bei öffentlichen Arbeitgebern. Dazu zählen der öffentlichen Dienst im engeren Sinn sowie Einrichtungen in privater Rechtsform mit überwiegend öffentlicher Beteiligung, etwa Stadtwerke oder die Deutsche Bahn AG. Dieser Report enthält Zahlen zum öffentlichen Dienst. 4,97 Millionen 2020 hatten nur 12 % der Beschäf- Menschen waren zum Stichtag 30.06.2020 im tigten auf Bundesverwaltung Migrationshinter- öffentlichen Dienst beschäftigt. Im Vergleich grund. Dabei leben hier mehr als 21 Millionen zum Vorjahr sind das 83.190 zusätzliche Menschen, die selbst oder deren Eltern aus Beschäftige. einem anderen Land zugewandert sind. Im öf- fentlichen Dienst spiegelt sich das nicht wieder. 1.658.255 Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung Personen 50,2 % im öffentlichen Dienst waren im Jahr 2020 in Teilzeit tätig, also ein Anteil von 33,4 % Insgesamt bzw. der Beschäftigten (einschl. Altersteilzeit). 2.493.310 Beschäftigte waren im öffentlichen Dienst im Jahr 2020 für die 1.716.895 Länder tätig. Viele personalintensive Aufgaben wie das Bildungswesen oder der Beamt:innen und Richter:innen arbeiteten überwiegende Teil der Polizei fallen in ihre 2020 im öffentlichen Dienst. Das ist ein Anteil Zuständigkeit. 1.596.810 Beschäftigte von 34,6 Prozent. Der Frauenanteil liegt in waren in den Kommunen tätig, ein diesem Bereich bei 52,4 Prozent. Anteil von 32,1 Prozent. 4 DGB | Personalreport 2021
3.079.050 Personen 445.405 der Arbeitnehmer:innen waren 2020 im öffentlichen Dienst als im öffentlichen Dienst arbeiteten im Jahr 2020 Arbeitnehmer:innen beschäftigt, das ent- auf Basis eines befristeten Arbeitsvertrages. spricht einem Anteil von 62 Prozent. Dabei lag Das ist eine Befristungsquote von der Frauenanteil bei 63 Prozent. 14,5 Prozent. 27 % der Beschäftigten im 2.857.010 Frauen öffentlichen Dienst waren älter als 55 Jahre arbeiteten 2020 im öffentlichen Dienst. Das und werden in den nächsten 10 Jahren ist ein Frauenanteil von 57,5 Prozent. in den Ruhestand gehen. Bei der Polizei lag der Anteil der Frauen bei 30,2 % Am Stichtag 30.6.2020 absolvierten 262.640 . Personen eine In der Kindertagesbetreuung lag er mit Ausbildung im öffentlichen Dienst. Der 93,9 % deutlich darüber. Frauenanteil betrug dabei 58,9 Prozent. Im Juni 2020 betrug der Frauenanteil in Führungspositionen in den obersten BESCHÄFTIGTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST NACH BESCHÄFTIGUNGSBEREICHEN Bundesbehörden 36,9 % – das ist ein Anstieg zu 2015 um 4,5 Prozentpunkte. Bis 2025 will der Bund Sozialversicherung Bund 50 Prozent erreichen. Quelle: Gleichstellungsindex 2020 367.975 509.920 7,4 % 10,3 % 1.596.810 Abbildung 1 32,1 % 2.493.310 Kommunen 50,2 % Länder DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt Fachserie 14, Reihe 6, 2020, Tab. 1.2.1 Quellen auf dieser Doppelseite, soweit nicht anders vermerkt: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2020 DGB | Personalreport 2021 5
SONDERAUSWERTUNG DES DGB-INDEX GUTE ARBEIT Wenn Personalmangel, dann Stress Der Fokus der hier vorgestellten Sonderauswertung lenden Vertretungsreserve. In der Befragung des des DGB-Index Gute Arbeit liegt auf der Arbeitsin- DGB-Index Gute Arbeit gaben insgesamt 45 Prozent tensität im öffentlichen Dienst. Viele Beschäftigte der Befragten aus dem öffentlichen Dienst an, sehr berichten dabei von einem Missverhältnis zwischen häufig oder oft wegen fehlendem Personal mehr der zu bewältigenden Arbeitsmenge und der zur Ver- arbeiten zu müssen. Personalknappheit als Ursache fügung stehenden Arbeitszeit. Außerdem zeigt sich für Mehrbelastung ist hier weiter verbreitet als in der eindrucksvoll, welche Folgen eine mangelnde Perso- Privatwirtschaft, wo der Wert mit 35 Prozent deutlich nalausstattung hat. niedriger liegt. Überlastung durch eine zu hohe Arbeitsintensität geht Dramatisch häufig tritt Mehrarbeit wegen Personal- mit einer stärkeren Erschöpfung und einer schlechte- mangel in der Krankenpflege und den Rettungsdiens- ren Regenerationsfähigkeit Hand in Hand. In den ver- ten an öffentlichen Krankenhäusern auf. 78 Prozent gangen Jahren haben psychische Erkrankungen als der Befragten aus dieser Berufsgruppe gaben an, Grund für Arbeitsunfähigkeit an Bedeutung gewon- sehr häufig oder oft wegen fehlendem Personal nen. Nach den Muskel- und Skeletterkrankungen ste- mehr arbeiten zu müssen. Hier bekommen nicht nur hen sie bei den Arbeitsunfähigkeitstagen an zweiter die Krankenhausbeschäftigten, sondern auch die Stelle. Psychische Erkrankungen können unterschied- liche Ursachen haben, arbeitsbedingte Belastungen sind aber zweifellos ein wichtiger Faktor. Besteht hier ein Missverhältnis, etwa weil die Arbeitsmenge nicht ZUR DATENGRUNDLAGE zu bewältigen ist, steigt der Druck auf die Beschäftig- Seit 2007 wird der DGB-Index Gute Arbeit erhoben, ten. Eine dauerhaft hohe Arbeitsintensität setzt die um die Arbeitsbedingungen aus Sicht der Beschäftigten Betroffenen unter Stress. Eine hohe Arbeitsintensi- zu erfassen. Jährlich wird eine bundesweit repräsenta- tive Umfrage unter Beschäftigten durchgeführt (ohne tät aufgrund quantitativer Überforderung bedeutet Auszubildende). Auf Basis dieser Daten wird hier die ein erhöhtes Risiko für Burnout, Depressionen und Arbeitsintensität beleuchtet. Insgesamt wurden 6.297 Beschäftigte in der Erhebung Angststörungen. Die Steuerung der Arbeitsintensität zum DGB-Index Gute Arbeit 2020 befragt. Von ihnen auf einem gesundheitsverträglichen Niveau ist daher sind 22 Prozent im öffentlichen Dienst tätig. Darunter eine Grundvoraussetzung für die menschengerechte sind ca. drei Viertel (74 %) Arbeitnehmer:innen und ein Viertel (26 %) Beamt:innen. Um die Einordnung zu Gestaltung von Arbeit. erleichtern, werden den Werten zum öffentlichen Dienst die Befunde aus der Privatwirtschaft gegenübergestellt. Dabei sind Unterschiede in der Berufs- und Quali- PERSONALAUSSTATTUNG UND fikationsstruktur zu bedenken, die die Vergleichbarkeit ARBEITSINTENSITÄT leicht einschränken. So ist das Anforderungsniveau der Wodurch entsteht eine hohe Arbeitsintensität? Ein Arbeit im öffentlichen Dienst höher, Helfer- und Anlern- tätigkeiten sind selten. Überdurchschnittlich häufig sind wichtiger Faktor ist eine schlechte Personalausstat- dagegen Expert:innentätigkeiten. tung, sei es auf Grund chronischer Unterbesetzung, infolge krankheitsbedingter Ausfälle und einer feh- 6 DGB | Personalreport 2021
MEHRARBEIT WEGEN PERSONALMANGEL NACH BERUFSGRUPPE »Wie häufig kommt es vor, dass Sie wegen fehlendem Personal eine höhere Arbeitsmenge abarbeiten oder länger arbeiten müssen?« Nicht im öffentlichen Dienst 35 % Sehr oft / oft Öffentlicher Dienst 45 % Verwaltung 43 % Krankenpflege, Rettungsdienste; Geburtshilfe 78 % Erziehung, Sozialarbeit (z. B. kommunale Kitas) 52 % Lehrkräfte 49 % DGB 2021 I Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit, Daten aus 2019 Abbildung I Patient:innen die schlechten Arbeitsbedingungen zu Insgesamt gibt etwas mehr als ein Viertel (29 Prozent) spüren. Auch die Berufsgruppen der Lehrkräfte an all- aller Befragten aus dem öffentlichen Dienst an, sehr gemeinbildenden Schulen (49 Prozent) und Erziehung häufig oder oft Abstriche bei der Qualität der Arbeit zu und Sozialarbeit (etwa die Beschäftigten der kom- machen, um das Arbeitspensum bewältigen zu kön- munalen Kitas, 52 Prozent) berichten von der hohen nen. Dass die Personalausstattung eine wichtige Rol- Arbeitsintensität durch eine löchrige Personaldecke. le spielt, zeigt der erhöhte Anteil von 50 Prozent mit Qualitätsabstrichen im Kontext von Personalmangel. Abbildung II PERSONALMANGEL UND QUALITÄTSABSTRICHE, ÖFFENTLICHER DIENST »Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr Arbeitspensum zu schaffen?« Öffentlicher Dienst insgesamt 29 % Sehr oft / oft bei Personalmangel 50 % kein Personalmangel 15 % DGB 2021 I Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit, Daten aus 2019 DGB | Personalreport 2021 7
INDIKATOREN In der Befragung des HOHER ARBEITSINTENSITÄT DGB-Index Gute Arbeit In der Befragung des DGB-Index Gute Arbeit wird gaben insgesamt Arbeitsintensität mit verschiedenen Indikatoren ge- 45 Prozent der Befragten messen. Unter anderem wird erhoben, wie häufig aus dem öffentlichen die Beschäftigten sich bei der Arbeit gehetzt fühlen Dienst an, sehr häufig und wie oft sie im Arbeitsprozess gestört werden. oder oft wegen Eine Frage ist auf eine mögliche Ausweichreaktion fehlendem Personal mehr bei zu hoher Belastung gerichtet. Gefragt wird, ob arbeiten zu müssen. Abstriche bei der Qualität der Arbeitsausführung gemacht werden, um das geforderte Arbeitspensum überhaupt schaffen zu können. Mehr als die Hälfte der Befragten aus dem öffent- Fast jede:r dritte Beschäftigte berichtet davon, die lichen Dienst (52 Prozent) fühlt sich bei der Arbeit Arbeit nicht in der eigentlich gewünschten Qualität (sehr) häufig gehetzt. In der Privatwirtschaft berich- ausführen zu können (29 Prozent). Der Druck, Ab- ten davon 47 Prozent der Befragten. Störungen und striche an der Qualität der Arbeit machen zu müssen, Unterbrechungen des Arbeitsflusses betreffen 58 weil sonst das Arbeitspensum nicht zu schaffen ist, Prozent der Befragten aus dem öffentlichen Dienst ist damit im öffentlichen Dienst deutlich verbreiteter (Privatwirtschaft: 53 Prozent). als in der Privatwirtschaft( (21 Prozent). Abbildung III INDIKATOREN HOHER ARBEITSINTENSITÄT »Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt oder stehen unter Zeitdruck?« Sehr oft / oft Nicht im öffentlichen Dienst 47 % Öffentlicher Dienst 52 % »Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit gestört oder unterbrochen werden, z. B. durch technische Probleme, Telefonate oder Kollegen?« Sehr oft / oft Nicht im öffentlichen Dienst 53 % Öffentlicher Dienst 58 % DGB 2021 I Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit, Daten aus 2020 8 DGB | Personalreport 2021
EINFACH MAL ABSCHALTEN? »Wie häufig kommt es vor, dass Sie Erholungspausen verkürzen oder ganz ausfallen lassen?« Sehr oft / oft Nicht im öffentlichen Dienst 28 % Öffentlicher Dienst 36 % »Wie häufig kommt es vor, dass bei Ihnen zwischen dem Ende eines Arbeitstages und dem Start des nächsten Arbeitstages weniger als elf Stunden liegen?« Sehr oft / oft Nicht im öffentlichen Dienst 11 % Öffentlicher Dienst 18 % »Wie häufig kommt es vor, dass Sie auch in Ihrer arbeitsfreien Zeit nicht richtig abschalten können?« Sehr oft / oft Nicht im öffentlichen Dienst 32 % Öffentlicher Dienst 45 % DGB 2021 I Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit, Daten aus 2020 Abbildung IV EINFACH MAL ABSCHALTEN? Ausreichende Ruhezeiten sind eine Grundvorausset- von 11 Stunden bis zum nächsten Arbeitstag kommt zung für den langfristigen Erhalt der Gesundheit. Die im öffentlichen Dienst bei 18 Prozent der Befragten Ruhezeit zwischen Arbeitstagen ist dabei zu unter- sehr häufig oder oft vor. Beschäftigte der Privatwirt- scheiden von Ruhepausen während der Arbeitszeit. schaft geben dies zu einem deutlich geringeren An- Die Arbeitszeitverordnungen und das Arbeitszeitgesetz teil von 11 Prozent an. sehen zwischen zwei Arbeitstagen bzw. innerhalb von 24 Stunden eine Ruhezeit von 11 Stunden vor. Ein weiteres Problem ist, wenn in der Ruhezeit nicht »abgeschaltet« werden kann, weil die Arbeit nicht Von den Befragten im öffentlichen Dienst geben 36 aus dem Kopf geht. Dies ist kein seltenes Problem: Prozent an, dass sie sehr häufig oder oft Erholungs- 45 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst pausen verkürzen oder ganz ausfallen lassen. Das geben an, dass sie sehr häufig oder oft auch in der Problem ist hier ausgeprägter als in der Privatwirt- arbeitsfreien Zeit nicht abschalten können. In der schaft. Das Unterschreiten der regulären Ruhezeit Privatwirtschaft ist es ca. jede:r Dritte. DGB | Personalreport 2021 9
Tabelle 1 BESCHÄFTIGTE NACH AUFGABENBEREICHEN UND BESCHÄFTIGTENSTATUS (KÖPFE), 2020 Aufgabenbereich Insgesamt Beamt:innen, Arbeit Richter:innen, nehmer:innen Soldat:innen insgesamt 4.968.020 38,0 % 62,0 % Allgemeine Dienste 1.669.055 59,7 % 40,3 % Politische Führung und zentrale Verwaltung 534.545 29,3 % 70,7 % Auswärtige Angelegenheiten 9.300 30,6 % 69,4 % Verteidigung 242.205 81,2 % 18,8 % Öffentliche Sicherheit und Ordnung 507.010 70,7 % 29,3 % darunter Polizei 341.375 85,6 % 14,4 % Rechtsschutz 184.065 65,3 % 34,7 % Finanzverwaltung 191.930 84,6 % 15,4 % Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung, 1.706.470 42,9 % 57,1 % kulturelle Angelegenheiten darunter: Allgemeinbildende 966.080 67,4 % 32,6 % und berufliche Schulen Hochschulen 585.875 10,0 % 90,0 % Soziale Sicherung, Familie und Jugend, 853.735 7,7 % 92,3 % Arbeitsmarktpolitik darunter Kindertagesbetreuung 259.480 0,6 % 99,4 % nach SGB VIII Gesundheit, Umwelt, Sport und Erholung 264.735 5,3 % 94,7 % darunter Krankenhäuser und Heilstätten 146.395 0,5 % 99,5 % Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung 126.465 14,2 % 85,8 % und kommunale Gemeinschaftsdienste Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 44.855 30,0 % 70,0 % Energie- und Wasserwirtschaft, Gewerbe, 159.910 9,3 % 90,7 % Dienstleistungen Verkehrs- und Nachrichtenwesen 132.150 24,3 % 75,7 % Finanzwirtschaft 10.640 14,0 % 86,0 % DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2020, Tab. 2.8.1 10 DGB | Personalreport 2021
KAPITEL 2 Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes nach Geschlecht Der Anteil der weiblichen Beschäftigten im öf- Bei näherer Betrachtung der Aufgabenbereiche fentlichen Dienst stieg in den vergangenen Jahren zeigt sich auch, dass die Frauen- und Männeranteile kontinuierlich an. Im Juni 2020 waren 57,5 Prozent je nach Tätigkeitsfeld stark variieren. In der Kinder- aller Beschäftigten Frauen. In absoluten Zahlen sind tagesbetreuung (93,9 Prozent) und im Schuldienst das rund 2,9 Millionen. In der Nachkriegs-BRD der (72,2 Prozent) ist der Anteil der Frauen beispielswei- Fünfzigerjahre lag der Frauenanteil lediglich bei 19 se überdurchschnittlich hoch, in der Verteidigung Prozent. Unterschiede gibt es auch zwischen dem (18,7 Prozent), im Verkehr- und Nachrichtenwesen früheren Bundesgebiet und den »neuen Ländern«, (21,5 Prozent) sowie bei der Polizei (30,2 Prozent) in denen 60,8 Prozent der Beschäftigten im öffent- liegt er deutlich niedriger. lichen Dienst weiblich waren. Im früheren Bundes- gebiet lag der Frauenanteil 2020 dagegen bei 57 Prozent. Abbildung 2 WEIBLICHE BESCHÄFTIGTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST NACH AUFGABENBEREICHEN, 2020 Kindertagesbetreuung nach SGB VIII 93,9 % Krankenhäuser und Heilstätten 73,3 % Allgemeinbildende und berufliche Schulen 72,2 % Politische Führung u. zentrale Verwaltung 57,6 % Öffentlicher Dienst insgesamt 57,5 % Finanzverwaltung 57,0 % Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung 37,4 % Polizei 30,2 % Verkehrs- und Nachrichtenwesen 21,5 % Verteidigung 18,7 % DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt Fachserie 14 Reihe 6, 2020, Tab. 2.9 DGB | Personalreport 2021 11
VOR ORT NACHGEFRAGT Lehrkräftemangel? Hausgemacht Guter Unterricht und individuelle Förderung von Schüler:innen? Beides hängt maßgeblich von motivierten und gut ausgebildeten Lehrkräften ab. Doch bundesweit herrscht Lehrkräftemangel. Der DGB Personalreport hat sich die Situation angeschaut. Schulen sind soziale Orte, die das Leben der Schü- Berlin eingestellt wurden, für den Beruf durch Lehr- ler:innen genauso prägen wie das der Lehrkräfte. amtsstudium und Referendariat ausgebildet. Die Sei- Doch vielerorts sind es keine schönen Orte. In Klas- teneinsteiger:innen sind hochmotiviert, aber werden senräumen rieselt der Putz, in Sanitäranlagen funk- oft nicht gut vorbereitet. Und vor allem kommen sie tioniert die Toilettenspülung nicht, die technische häufig an Schulen mit besonderen Anforderungen Ausstattung ist schlecht. Der Investitionsstau ist rie- zum Einsatz. Dort arbeiten doppelt so viele Kolleg:in- sig. Dazu kommt die Baustelle Personalausstattung, nen ohne abgeschlossenes Lehramtsstudium als an auf der sich wenig bewegt. Allein an Grundschulen Schulen in besseren sozialen Wohnlagen.4 Da es in fehlen bis 2025 mindestens 26.300 Lehrer:innen. 1 Deutschland noch immer nicht gelingt, Bildungser- folg von sozialer Herkunft zu entkoppeln, ist dieses AUSBILDUNGSKAPAZITÄTEN Missverhältnis ein Problem. DER LÄNDER An den Universitäten wurden Studienplatzkapazi- WEITERENTWICKLUNG VON SCHULE täten zuletzt zwar ausgebaut. Gleichzeitig stieg im Klar ist aber auch: Die Aus- und Weiterbildung von Lehramtsstudium aber die Studienabbruchquote Lehrkräften hat neben der Sicherung einer ausrei- auf nun 16 Prozent (Studienfachwechsel nicht ein- chenden Zahl von Lehrer:innen auch das Ziel, auf gu- berechnet!).2 In Deutschland rumpelt es im System ten und zeitgemäßen Unterricht vorzubereiten. Schu- der Lehrkräfteausbildung. Seit Jahren übersteigt der le entwickelt sich weiter, das muss auch für Studium Bedarf das Angebot. Die Karte rechts dokumentiert und Referendariat gelten. Die Themen Klimaschutz für das Jahr 2020 das Verhältnis der Einstellungen und Nachhaltigkeit rücken in den Vordergrund, In- von Lehrkräften durch die Länder (Bedarf) zur vor- klusion und Ganztag verändern den Schulalltag. Für handenen Ausbildungskapazität (Absolvent:innen all das müssen Schulen ausgestattet sein und alle des Vorbereitungsdienstes). Bei 9 von 16 Ländern Fachkräfte gute Rahmenbedingungen vorfinden. Das lag das Defizit über 25 Prozent, zum Teil lag es bei folgende Interview zeigt die Situation in Mecklen- 100 Prozent oder darüber. Viele Länder haben über burg-Vorpommern. Jahre unterhalb des Bedarfs ausgebildet.3 VIELE LEHRKRÄFTE IM SEITENEINSTIEG 1 | Vgl. DGB (2021): Schulen während und nach der Corona-Kri- se. Online unter www.dgb.de/-/W5q Zur Kompensation setzen immer mehr Bundesländer 2 | Vgl. DZHW (2020): Die Entwicklung der Studienabbruchquo- auf den Seiteneinstieg. Zum Beispiel waren nur sechs ten in Deutschland. Online unter www.dzhw.eu von zehn Lehrkräften, die im Schuljahr 2020/2021 in 3 | Vgl. Rackles, Mark (2020): Lehrkräftebildung 2021. Wege aus der föderalen Sackgasse, Berlin, S. 7 4 | Vgl. DGB (2021), a.a.O. 12 DGB | Personalreport 2021
34.511 ZAHLEN & FAKTEN Lehrkräfte wurden Bundes- 1.086.100 weit im Jahr 2020 neu eingestellt. Nur 28.600 Im Jahr 2018 waren Absolvent:innen hatten allerdings den Vorberei- Kolleg:innen an allgemeinbildenden und beruf- tungsdienst abgeschlossen, das macht ein Defizit lichen Schulen in Deutschland beschäftigt. An allen von 20,7 Prozent (siehe Karte). Bildungseinrichtungen zusammen (Kitas, Hoch Quelle: KMK (2021): Einstellung von Lehrkräften 2020 42 % schulen etc.) arbeiteten 2,5 Millionen Menschen. Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bei lag der Anteil der ab 50-Jährigen Bildung in Deutschland 2020. S. 54 Lehrkräfte in den allgemeinbildenden und beruf- 10,9 Mio. lichen Schulen im Jahr 2018. Ein großer Teil wird Schüler:innen in den nächsten Jahren ausscheiden. Thüringen wurden im Schuljahr 2020/2021 in mit 67% und Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen- Deutschland an allgemeinbildenden und Anhalt und Brandenburg mit jeweils 61% weisen beruflichen Schulen unterrichtet. die höchsten Anteile von älteren Lehrkräften auf. Quelle: Statistisches Bundesamt, PM vom 11.3.2021 Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2020, S. 54 AUSBILDUNGSKAPAZITÄTEN DER LÄNDER Schleswig-Holstein 1.013 1.055 -4,1 % Mecklenburg-Vorpommern 435 879 -102,1 % Hamburg Bremen 583 1.023 -75,5 % 412 394 4,4 % 802 1.791 -123,3 % Niedersachsen Berlin 2.701 3.740 -38,5 % Sachsen-Anhalt Brandenburg Nordrhein-Westfalen 152 1.030 -577,6 % 966 1.252 -29,6 % 7.325 6.999 4,5% Thüringen Sachsen Hessen 278 925 -232,7 % 797 1.433 -79,8 % 2.417 2.490 -3,0 % Bundesgebiet Rheinland-Pfalz Bayern 28.588 34.511 -20,7 % 1.304 1.343 -3,0 % 4.567 5.250 -15,0 % Saarland Baden-Württemberg 222 297 -33,8 % 4.614 4.610 0,1 % Neuabsolvent:innen Einstellungen Quelle: KMK (2021): Einstellung von Lehrkräften 2020, Tab. 1.1, 1.3 und 1.5 Defizit DGB | Personalreport 2021 13
»Die Qualität von Unterricht leidet« Wie äußert sich der Lehrkräftemangel im Schul- alltag aus eurer Sicht? die Förderstunden für Deutsch, Mathe oder Englisch Angret Becker: Auf dem Papier hat ja jede Schule in der fünften Klasse. Oder in der zehnten Klasse, da die Lehrkräfte, die ihr zustehen. Daraus stricken wir müssen wir auf die Prüfungen vorbereiten. Das geht die Stundenpläne. Aber es ist alles zu knapp. Wenn kaum, auch das ist für mich Ausdruck von Lehrkräfte- Kolleg:innen krank sind, gibt es keine Vertretungs- mangel. Wir mussten jetzt für den Förderunterricht reserve. Dann müssen wir Klassen zusammenlegen, Mathe einen Kollegen aus dem Ruhestand reaktivie- die ohnehin schon groß sind. Wir haben so gut wie ren, damit die Schüler:innen nach dem Homeschoo- keine Möglichkeit, Förderunterricht anzubieten, etwa ling nicht den Anschluss verlieren. 14 DGB | Personalreport 2021
Ist das für Mecklenburg-Vorpommern eine ty- Aber das Land kann ja über die Studienplatz- pische Situation? kapazitäten und die Einstellungen eigentlich Silke Rieck: Nein, denn unseren Schulen in der Regi- vorsorgen? on Schwerin bzw. Rostock geht es im Vergleich noch Silke Rieck: Der Lehrkräftemangel begleitet uns sehr gut. Wir sind ein Flächenland und haben ein schon lange. Nach der Wende hatten wir zuerst zu massives Problem, für Schulen im ländlichen Raum viele Lehrkräfte. In dieser Situation wurde solidarisch überhaupt Lehrkräfte zu finden. Ich weiß von Schulen entschieden, dass alle Lehrkräfte die Stundenzahl in den Schulamtsbereichen Neubrandenburg oder reduzieren, also in eine Art Zwangsteilzeit gehen. Greifswald, die mit ihrer Personaldecke nicht einmal Die Stellen wurden erhalten und die Lehrkräfteaus- mehr die Kontingentstundentafel halten können. Das bildung wurde runtergefahren. Dann stiegen die schaffen die einfach nicht. Dazu gibt es die Mangel- Schüler:innenzahlen wieder und Lehrkräfte konnten fächer, wie in anderen Bundesländern. Es gibt Fächer aus der Teilzeit wieder in die Vollzeit wechseln. Aber wie Musik, Religion oder Philosophie, die werden an die Lehrkräfteausbildung wurde nicht an den Bedarf manchen Schulen nicht mehr erteilt, weil es keine angepasst. Die Konsequenz ist, dass Personal fehlt Lehrkräfte gibt. und dazu noch enorm viele Kolleg:innen bis 2030 in den Ruhestand gehen. Wie sieht vor diesem Hintergrund die Rekrutie- rung aus? Angret Becker: Wir melden als Schule Bedarf an und schreiben Stellen aus. Aber es ist schwierig, wir haben viele Bewerbungsgespräche und nur wenig Erfolg. Viele jungen Kolleg:innen wollen dann doch lieber ans Gymnasium und nicht an die Regionale ZUR PERSON Schule. Und es ist erkennbar, dass sich auf Bewerbun- gen immer weniger ausgebildete Lehrkräfte melden. Angret Becker ist seit 1984 diplomierte Lehrerin für Deutsch und Russisch. Nach Die Fachkräfte fehlen. Wir hatten Geografie ausge- der Wende hat sie Englisch nachstudiert schrieben, woraufhin sich ein Pilot beworben hat. und an verschiedenen Schulen sowie zwei Jahre als Unterrichtsberaterin gearbeitet. Naja, der ist immerhin über viele Länder geflogen, Seit 2011 ist sie stellvertretende Schul- könnte man sagen. Man entwickelt auch eine Art leiterin an der Regionalen Schule Gade- Galgenhumor. busch. Sie ist seit dem Studium in der Gewerkschaft, war lange Personalrätin Silke Rieck: Von den Neueinstellungen sind lan- und leitet mit Silke Rieck den Vorstand- desweit ein Drittel Lehrkräfte im Seiteneinstieg. In bereich Schule in der GEW MV. Regionen wie Rostock sind es weniger, in Nordvor- Silke Rieck hat 1995 das Studium der pommern geht es eher Richtung 80 Prozent. Es gibt Sonderpädagogik und Sport in Rostock Schulen, da werden Lehrkräfte im Seiteneinstieg von begonnen und startete 2001 ins Referen- dariat. Seit 2003 arbeitet sie am Landes- Lehrkräften im Seiteneinstieg eingearbeitet. Und förderzentrum für den Förderschwerpunkt wohlbemerkt kommen sie nicht alle von der Hoch- Hören. Sie fährt Schulen an, berät das Kollegium und unterstützt Schüler:innen. schule. Das geht so nicht. Da mache ich mir ehrlich Seit 2014 (Einführung der Verbeamtung gesagt auch Sorgen um meine eigenen Kinder. Ich im Land) ist sie Beamtin. Sie ist seit bin immer etwas verwundert, dass die Eltern die Langem im Personalrat und in der GEW aktiv, seit knapp fünf Jahren auch im Situation so lethargisch hinnehmen. Die müssten Lehrerhauptpersonalrat. eigentlich auf die Barrikaden gehen. DGB | Personalreport 2021 15
Angret Becker: Das soll aber nicht heißen, dass die Von den Neueinstellungen Lehrkräfte im Seiteneinstieg nicht engagiert sind. sind landesweit ein Drittel Da ist zum Beispiel der Mathematiker von der Uni, Lehrkräfte im Seiteneinstieg. der gerne an die Schule will. Der kann natürlich Ma- In Rostock sind es weniger, thematik und gibt sich Mühe, aber bei den Kindern in Nordvorpommern eher kommt trotzdem nichts an. Da müsste die Unterstüt- 80 Prozent. Es gibt zung viel besser sein, etwa durch mehr Mentoren Schulen, da werden stunden. Es ist nicht möglich, dass das Kollegium das Lehrkräfte im Seiteneinstieg noch nebenbei erledigt. von Lehrkräften im Seiteneinstieg eingearbeitet. Das Kollegium ist ja ohnehin schon belastet. Silke Rieck Silke Rieck: Genau. Lehrkräfte haben hier 27 Pflicht- stunden, das ist hart. Das ist kein Argument, mit dem du Lehrkräfte nach Mecklenburg-Vorpommern lockst. Wegen der hohen Belastungen und unserer tollen Dienstvereinbarung Teilzeit reduzieren viele Kolleg:innen die Arbeitszeit. Aber warum müssen sie auf Gehalt verzichten, um ihre Arbeit zu schaffen? Das ist nicht fair. Und auch hier ist der Lehrkräfte- mangel hausgemacht. Wäre die Belastung niedriger, würden viele wieder Vollzeit arbeiten und wir hätten das Problem nicht in dem Umfang. Angret Becker: Genau. Ein junger Kollege meinte zu mir, durch mehr Geld würde er nicht glücklicher. Aber er möchte anders leben und arbeiten können. In den letzten Jahren wurden es immer mehr Aufgaben. dich kaputt. Für das, was Schule schön macht, auch Das ist irre viel. Letzte Nacht kam zum Beispiel die unter Kolleg:innen, hast du keine Zeit mehr. Und es Mail, dass wir die Anmeldung zur Corona-Impfung frustriert, wenn du deinen Ansprüchen an guten ausfüllen lassen sollen. Wer druckt die aus uns ko- Unterricht nicht nachkommen kannst. Wenn du am piert die? Das hat dann unsere Schulsozialarbeiterin Abend Unterricht aufwendig vorbereitest, und am gemacht, aber die hat eigentlich andere Aufgaben. nächsten Tag hast du 10 zusätzliche Schüler:innen, Diese ganzen Abfragen, Belehrungen, lange Formula- weil ein Kollege krank ist. Das wirft alles über den re zum Schulabsentismus. Wir laufen ständig irgend- Haufen. Das hat mit Wertschätzung nichts zu tun – welchen Zetteln hinterher, das summiert sich. und die Qualität von Unterricht leidet. Angret Becker: Es ist von Jahr zu Jahr schlimmer Wie verändert das die Arbeit? geworden. Vor Jahren habe ich noch gesagt, dass ich Silke Rieck: Durch die zunehmende Bürokratie sind keinen Urlaub brauche, weil die Arbeit an der Schule alle Beschäftigten der Schule – es gibt ja nicht nur Erholung ist. Das sage ich schon lange nicht mehr. die Lehrkräfte – einfach zu. Sie haben nicht mehr Und dadurch, dass alle unter Druck stehen, sind auch die Muße, um sich zusammenzusetzen und ein Fall- die Umgangsformen im Kollegium anders geworden. beispiel zu diskutieren. Oder fachliche Dinge. Und da Wir merken das als Schulleitung, wir werden öfter bleibt Schule und Schulentwicklung für mich auf der angebrüllt. Irgendeiner muss es ja abbekommen. Das Strecke. Du hast immer Druck im Kessel, das macht bin dann ich, weil ich gerade über den Flur laufe. 16 DGB | Personalreport 2021
Was braucht es, um im Unterricht besser auf den Silke Rieck: Und die Ausbildung muss besser wer- individuellen Lernbedarf von Schüler:innen ein- den. Wer heute Lehramt Mathematik studiert, sitzt gehen zu können? in den Lehrveranstaltungen des Masterstudiengangs. Angret Becker: Ausreichend Förderkräfte, also Das passt nicht zu den späteren Anforderungen im Personal mit sonderpädagogischer Aufgabenstel- Unterricht, viele brechen das Studium ab. Und Schule lung, PmsA. Gerade heute war die Kollegin wieder entwickelt sich ja auch weiter, auch das muss sich an meiner Schule, aber die kommt nur alle 14 Tage im Studium weiderfinden. Auf das Thema Inklusion für ein oder zwei Stunden. Das ist ein Tropfen auf muss besser vorbereitet werden. Die Referendariats- dem heißen Stein. Sie hat gar keine Zeit, sich mit ausbildung ist auch Baustelle. Ich hatte damals noch den Lehrkräften abzustimmen, wie den Schüler:innen eine Eins-zu-eins-Betreuung durch meine Mentorin, geholfen werden kann. aber auch da wurde gekürzt. Die Referendare können Silke Rieck: Wir brauchen Zeit für Fortbildung, für ja eigenverantwortlichen Unterricht machen, hieß es Supervision. Schon auf der Stundentafel muss sich dann. Dadurch wurden Stunden eingespart und die abbilden, dass es Beratungsstunden gibt. Und wir Ausbildung schlechter. Es muss was passieren, sonst brauchen eine Zuweisung von über 100 Prozent, haben wir irgendwann gar keine Lehrkräfte mehr. damit Krankheitsfälle ausgeglichen werden können. Weil es keiner mehr machen will. Aktuell ist alles auf Kante genäht. Dadurch werden Lehrkräfte vor allem dort abgezogen, wo sie för- dernd unterwegs sind. Und wer bleibt dann auf der Strecke? Die Kinder, die individuelle Förderung am meisten brauchen. Es gibt viele Baustellen. Deshalb hat die GEW den Pakt Gute Schule 2030 mitinitiiert, der mit der Landesregierung Ziele absteckt. Was hat für euch Priorität? Silke Rieck: Es gibt gerade verschiedene Arbeitsgrup- pen, etwa zum Arbeitszeitkonto und zur Referenda Vor Jahren habe ich noch riatszulage. Mal sehen, wo das hinführt. Sicher ist, dass gesagt, dass ich keinen die Landesregierung Geld in die Hand nehmen muss. Urlaub brauche, weil Die Kolleg:innen brauchen ein gutes Einkommen, na die Arbeit an der Schule klar. Aber vor allem muss mehr passieren in Bezug auf Erholung ist. Das sage ich die Arbeitsbelastung, das ist entscheidend. schon lange nicht mehr. Angret Becker: Momentan haben wir zum Beispiel Und dadurch, dass alle eine klassenbezogene Stundenzuweisung. Dadurch unter Druck stehen, sind gibt es die Tendenz zu großen Klassen, das spart auch die Umgangsformen Stunden ein. Ich würde mir eine schülerbezogene im Kollegium anders Stundenzuweisung wünschen. Mit einer Faktorisie- geworden. rung, dass ein Kind mehr Stunden bekommt, wenn Angret Becker es zum Beispiel einen Förderschwerpunkt L hat. Dann hättest du an Schulen, an denen es viel Bedarf an Förderung gibt, wesentlich mehr Stunden zur Ver- fügung. DGB | Personalreport 2021 17
KAPITEL 3 Langfristige Veränderungen im Personalstand In der Nachkriegs-BRD wuchs das Personal im öf- lionen. Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjah- fentlichen Dienst stetig an, zwischen 1960 und 1990 ren gab es durch eine Ausweitung der Staatstätigkeit stieg die Zahl der Beschäftigten von 3 auf 4,68 Mil- deutliche Personalzuwächse. ENTWICKLUNG DES PERSONALSTANDS, KÖPFE, IN TAUSEND Jahr insgesamt Beamt:innen und Arbeitnehmer:innen Frauen im Richter:innen öffentlichen Dienst 1991 6.737,8 1.843,5 (27,4 %) 4.637,1 (68,8 %) 3.155,2 (46,8 %) 1995 5.371,0 1.701,1 (31,7 %) 3.475,5 (64,7 %) 2.677,2 (49,8 %) 2000 4.908,9 1.684,6 (34,3 %) 3.037,8 (61,9 %) 2.493,5 (50,8 %) 2005 4.599,4 1.691,6 (36,8 %) 2.722,7 (59,2 %) 2.390,8 (52 %) 2010 4.586,1 1.687,1 (36,8 %) 2.713,4 (59,2 %) 2.467,2 (53,8 %) 2015 4.645,5 1.671,3 (36 %) 2.808,2 (60,5 %) 2.603,4 (56 %) 2020 4 968,0 1.716,9 (34,6%) 3.079,1 (62%) 2.857 (57,5%) DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, Tab. 1.2 und 2.1 Tabelle 2 Abbildung 3 BESCHÄFTIGTE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, KÖPFE, IN TAUSEND 4.968,0 4.908,9 4.884,8 4.821,1 4.809,1 4.802,9 4.779,4 4.739,9 4.689,0 4.669,9 4.652,5 4.635,2 4.645,5 4.617,4 4.602,9 4.599,4 4.586,1 4.576,0 4.540,6 4.547,6 4.505,1 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2020, Tab. 8.1.1 18 DGB | Personalreport 2021
VERGLEICH ZUM VORJAHR, BESCHÄFTIGTE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, KÖPFE, IN TAUSEND Jahr insgesamt Bund Länder Kommunen Sozial versicherung 30.06.2019 4.884,8 501,9 2.460,5 1.556,4 366,0 30.06.2020 4.968,0 509,9 2.493,3 1.596,8 368,0 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2020, Tab. 8.1.1 Tabelle 3 Ab den Neunzigerjahren folgte eine lange Phase von Abbildung 3 zeigt die Personalstandentwicklung ab Stellenstreichungen und Personalabbau. Zwischen dem Jahr 2000 nach Köpfen, Abbildung 4 zeigt sie 1991 und 2020 ist das Personal des öffentlichen nach Vollzeitäquivalenten. Das Vollzeitäquivalent gibt Dienstes um rund 30 Prozent von 6,74 auf 4,97 Mil- an, wie viele Vollzeitstellen sich rechnerisch bei einer lionen Beschäftigte gesunken. gemischten Personalbelegung mit Teilzeitbeschäftig- ten ergeben. So wird ersichtlich, wie hoch die Zahl Für den Stichtag 30.06.2020 verzeichnet die Perso- der Erwerbstätigen wäre, wenn es nur Vollzeitarbeits- nalstandstatistik im Vergleich zum Vorjahr einen Per- plätze gäbe. Ein Vergleich macht deutlich, dass der sonalzuwachs. Die Beschäftigtenzahl stieg insgesamt Rückgang der Beschäftigtenzahlen den massiven Ab- um 83.190 Personen. Dies ist in erster Linie auf eine bau der Stellen im öffentlichen Dienst nur zum Teil Zunahme im kommunalen Bereich (plus 40.365) und widerspiegelt. Hintergrund ist der Anstieg der Teilzeit- bei den Landesbeschäftigten (plus 32.790) zurück- beschäftigung: Eine Vollzeitstelle wird immer häufiger zuführen. von mehr als einer Person ausgefüllt. Abbildung 4 VOLLZEITÄQUIVALENTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST, IN TAUSEND 4.438,8 4.333,2 4.292,1 4.303,6 4.376,6 4.237,9 4.232,7 4.179,2 4.132,7 4.111,1 4.087,2 4.083,0 4.057,4 4.030,4 4.026,2 3.995,7 4.001,5 3.956,1 3.973,6 3.953,8 3.921,9 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2020, Tab. 8.1.4 DGB | Personalreport 2021 19
KAPITEL 4 Der öffentliche Dienst im europäischen Vergleich In den europäischen Ländern haben öffentliche Ar- In Deutschland (und ähnlich in den Niederlanden) beitgeber eine sehr unterschiedliche beschäftigungs- hat der Staat als Arbeitgeber eine im Vergleich ge- politische Bedeutung. Am stärksten ausgeprägt ist ringere Bedeutung. der öffentliche Sektor in den skandinavischen Län- dern. In Schweden, Dänemark und Norwegen liegt Gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung geben die eu- der Anteil der Beschäftigten öffentlicher Arbeitgeber ropäischen Nachbarn deutlich mehr für ihren öffent- an der Gesamtbeschäftigung nach Zahlen der OECD lichen Dienst aus. Im Jahr 2020 haben die vier skan- bei knapp 30 Prozent.1 Im Nachbarland Frankreich dinavischen Länder Dänemark, Finnland, Norwegen liegt der Anteil bei rund 21 Prozent, in Deutschland und Schweden (DK, FI, NO, SE) im Durchschnitt 14,4 dagegen nur bei 10,6 Prozent. Diese Unterschiede Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Personal im sind ein Hinweis darauf, dass in den europäischen öffentlichen Dienst ausgegeben, Dänemark als ein- Ländern die Bewertung dessen, was eine öffentlich zelnes Land sogar 15,4 Prozent (siehe Abbildung). zu erbringende Leistung ist, unterschiedlich ausfällt. Die Personalausgaben in Deutschland beliefen sich Abbildung 5 AUSGABEN FÜR DAS PERSONAL DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, ANTEIL AM BIP, IN PROZENT 17,3 16,0 15,4 14,6 14,4 11,5 11,7 10,7 11,0 8,5 8,8 7,5 Dänemark Durchschnitt DK, FI, NO, SE Durchschnitt BE, FR, NL, AT Durchschnitt Europa Deutschland 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 DGB | Quelle: EUROSTAT, Staatseinnahmen, -ausgaben und Hauptaggregate [gov_10a_main], zu leistende AN-Entgelte, Anteil am Bruttoinlandsprodukt, Stand Juli 2021 20 DGB | Personalreport 2021
AUSGABEN FÜR DAS PERSONAL DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, ANTEIL AM BIP, 2020, IN PROZENT Island 16,1 Norwegen 16,3 Finnland 12,8 unter 8 Schweden 13,1 8 bis 10 10 bis 12 Estland 12,7 über 12 Lettland 11,8 Dänemark 15,4 Irland 6,7 Litauen 11,5 Niederlande 8,8 Polen 10,9 Deutschland 8,5 Belgien 13,4 EU-27 11,0 Luxemburg 10,8 Tschechien 11,2 Slowakei 11,5 Österreich 11,4 Frankreich 13,3 Ungarn 10,6 Slowenien 12,7 Rumänien 12,1 Portugal 11,7 Kroatien 13,6 Spanien 12,5 Bulgarien 10,9 Italien 10,5 Griechenland 13,4 Malta 12,2 DGB | Quelle: Quelle: EUROSTAT, Staatseinnahmen, -ausgaben und Hauptaggregate Zypern 13,8 [gov_10a_main], zu leistende AN-Entgelte, Anteil am Bruttoinlandsprodukt, Stand Juli 2021 Abbildung 6 Die europäischen Nachbarn ben in Deutschland sind im europäischen Vergleich geben deutlich mehr für also niedrig. Schaut man auf das Jahr 1996, so ist ihren öffentlichen Dienst aus. Deutschland zudem weiter zurückgefallen. Zwischen 1996 und 2020 hat sich die Differenz zu den beiden dargestellten Ländergruppen jeweils leicht vergrö- ßert. Die kleinen Sprünge, welche zwischen 2008 und 2020 lediglich auf 8,5 Prozent. Sie liegen also 5,9 2012 und zwischen 2018 und 2020 zu beobachten Prozentpunkte unter dem Niveau der vier skandina- sind, erklären sich durch Schwankungen des BIP im vischen Länder. Rahmen der Finanz- und der Corona-Krise, nicht durch Personalzuwächse. Auch die kontinentaleuropäischen Länder Belgien, Frankreich, Niederlande und Österreich (BE, FR, NL, AT) investieren deutlich mehr in ihr Personal. 1 | OECD (2021): Government at a Glance 2021, Paris; S. 101 Im Jahr 2020 waren es 11,7 Prozent. Die Ausga- DGB | Personalreport 2021 21
VOR ORT NACHGEFRAGT Justiz am Limit Die Arbeitsbelastung an Gerichten und Staatsanwaltschaften hat zugenommen. Die Eingangszahlen sind in vielen Bereichen gestiegen, die Verfahren komplexer. Demgegenüber steht eine Justiz, die oft schlechter ausgestattet ist, als sie es sein sollte. Und der es immer schwerer fällt, neues Personal zu gewinnen. Das Vertrauen der Bürger:innen in das deutsche DIGITALE MEHRBELASTUNG Rechtssystem ist recht hoch. Einer repräsentativen Wohlgemerkt sind alle Beschäftigtengruppen am Li- Umfrage zufolge haben 66 Prozent sehr viel oder mit, also auch Rechtspfleger:innen und Justizange- ziemlich viel Vertrauen in die Gerichte, der Wert ist stellte im nichtrichterlichen Dienst. Ohne diese läuft seit Jahren recht stabil.1 Allerdings äußern die Be- an Gerichten und Staatsanwaltschaften gar nichts. fragten auch Kritik: 83 Prozent beklagen, dass Ver- Und gerade hier zeigt sich, dass die oft beschworene fahren zu lange dauern, 74 Prozent halten die Ge- Digitalisierung der Justiz auf absehbare Zeit eine zu- richte für überlastet. sätzliche Belastung bedeutet. Denn mehr Personal für Einführung, Erprobungen und Schulung bezogen WELCHE JUSTIZ WOLLEN WIR? auf die eAkte ist nicht in Sicht. In der Pilotphase wird Carola Augustin teilt die Kritik. Sie ist seit 2007 Rich- parallel aber oft noch die Papierakte geführt, vieles terin am Sozialgericht Oldenburg und im Hauptrich- muss extra ausgedruckt werden, Schnittstellen funk- terrat sowie in ver.di aktiv. Häufig würden sie und tionieren nicht. Gerade der nichtrichterliche Dienst ihre Kolleg:innen von der Arbeit schlicht überwältigt. ist dadurch stark belastet. »Die Personalausstattung in der Justiz wird nach Eingangszahlen bemessen. Im Sozialgericht haben AKT FÜR DEN RECHTSSTAAT wir aber seit Jahren zu viele Akten im Bestand. Die Je nach Gerichtsbarkeit ist die Lage unterschied- kriegen wir gar nicht abgearbeitet«, erklärt sie. Die lich, aber vielerorts prekär. Dabei wurde in letzter Folge: lange Verfahrenslaufzeiten, die alle Seiten aus- Zeit schon verstärkt Personal eingestellt. Bund und laugen und die Rechtssuchenden frustrieren. »Ver- Länder hatten verabredet, im Rahmen des »Paktes fahren laufen dann gut, wenn ich sie von Anfang für den Rechtsstaat« bis 2021 insgesamt 2000 neue an individuell betreiben kann. Wenn nur standar- Stellen an Gerichten und Staatsanwaltschaften zu disierte Schriftsätze genutzt werden, die nicht auf schaffen. Dieses Ziel wurde erreicht, die Lage vor den Empfänger abgestimmt sind, und Verfahren lan- Ort verbesserte sich aber kaum. Und dass viele der ge auf Bearbeitung warten müssen, weil es anders neu geschaffenen Stellen noch nicht besetzt werden nicht zu leisten ist, machen wir keine gute Figur«, konnten, verweist auf die schwierige Nachwuchssu- so Augustin. Eine gute Personalausstattung sei auch che. Denn der Personalmangel wird sich weiter ver- ein Hebel, um Vertrauen und Anerkennung der Bür- schärfen, wie das folgende Interview zeigt. ger:innen zu stärken und zu erhalten. »Schließlich können Abstriche in der Qualität nicht die Lösung sein. Weder für die Rechtssuchenden, noch für die 1 | Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach (2021): Justiz«, so ihr Fazit. Roland Rechtsreport 2021, Köln 22 DGB | Personalreport 2021
ZAHLEN & FAKTEN Um insgesamt 21,3 % ging der Zusammengenommen 56,7 % Personalbestand im mittleren Dienst und im aller staatsanwaltschaftlichen Verfahren Schreibdienst zwischen 1995 und 2019 an den wurden in Deutschland im Jahr 2019 eingestellt Amtsgerichten in Deutschland zurück, von 29.182 (mit Auflage 3,4 %, ohne Auflage 24,6 %, auf 22.975. Im richterlichen und im gehobenen mangels Tatverdacht 28,5 %, wegen Dienst veränderte sich die Personaldecke kaum. Schuldunfähigkeit 0,2 %). Quelle: Bundesamt für Justiz, Personalbestand der Amtsgerichte, Quelle: Statistisches Bundesamt, PM vom 21.8.2020 Stand vom 16.10.2019 62 % 1.089 Gleichbehandlung vor Gericht? Gerichte gab es in den der Bürger:innen zweifeln daran und denken, Bundesländern, darunter Amts-, Land-, dass man seine Chancen auf ein günstigeres Oberlandes-, Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- Urteil verbessert, wenn man einen bekannten und Finanzgerichte im Jahr 2019. Anwalt bezahlen kann. 58 Prozent beklagen, Quelle: Statistisches Bundesamt, Genesis-Datenbank, dass die Rechtsprechung in Deutschland sehr Statistik Zahl der Gerichte, August 2021 uneinheitlich ist. Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach (2021): Roland Rechtsreport 2021, Köln, S. 16 184.065 Beschäftigte haben 2020 in Deutschland in der Justiz gearbeitet. Davon scheiden in den nächsten 10 Jahren 25,1 Prozent altersbedingt aus. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14 Reihe 6 – 2020, Tab. 2.9 PEBB§Y – WAS IST DAS? 21.339 Richter:innen gab es PEBB§Y steht für »Personalbedarfsberechnungs- system«. Seit 2005 wird damit der Personalbedarf der Justiz errechnet. Erstellt hat es eine Unterneh- in Deutschland auf Bundes- und Landesebene mensberatung für die Justizbehörden von Bund und Ende 2018. Die Zahl der Staatsanwält:innen Ländern, aktuell ist das Unternehmen PwC beauftragt. lag bei 5.882. Regelmäßig schreibt eine Erhebungsgruppe auf, wie lange sie für eine Tätigkeit braucht. Auf Basis Quelle: Bundesamt für Justiz, Richterstatistik, Stand 15.11.2019 dieser durchschnittlichen Bearbeitungszeit wird der Personalbedarf an Richter:innen, Staatsanwält:innen 388.883 und Rechtspfleger:innen und Justizangestellten er- rechnet, indem die Einzelfallbearbeitungszeit mit der Klageverfahren tatsächlichen Fallzahl multipliziert wird. Betrachtet haben Sozialgerichte in Deutschland werden allerdings alleine die Eingangszahlen, nicht der Aktenbestand. im Jahr 2019 erledigt. Quelle: Statistisches Bundesamt, Genesis-Datenbank, Statistik in der Sozialgerichtsbarkeit, August 2021 DGB | Personalreport 2021 23
»Der Druck durch die Eingangszahlen ist heute viel höher« Über einen längeren Zeitraum betrachtet: Wie nische Schreibmaschine. Mitte der Achtzigerjahre hat sich die Arbeit im Gericht verändert? war das die normale Arbeitsplatzausstattung. In der Sabine Gruber: Nach der Ausbildung kam ich nach Geschäftsstelle hatten wir feste Arbeitszeiten von München zum Amtsgericht, dort hatte ich ein altes 7.30 bis 16.15, am Freitag bis 15.00 Uhr. Insgesamt schwarzes Telefon mit Wählscheibe und eine mecha- war es weniger hektisch und die Arbeitsbelastung 24 DGB | Personalreport 2021
war geringer als jetzt. Wir hatten auch ein anderes kämpft. Oft wollen die Anwält:innen sich erstinstanz- Verhältnis zur Richterschaft, da waren wir in der lich nicht einigen, weil es sich gebührentechnisch Regel noch per Du. Heute muss immer alles schnell nicht lohnt. Da wird gleich auf die Berufungsinstanz gehen. Und der Druck durch die Eingangszahlen ist gesetzt. Alles zieht sich, die Akten werden dicker. viel höher. Und es gibt auch hier mehr Massenverfahren, aktu- Norbert Wennmacher: Ich bin seit 1993 Arbeits- ell und bundesweit etwa zu Nachtschichtzuschlägen richter: Auch ich hatte in den ersten Jahren keine IT der Nahrungsmittelindustrie. Ich alleine habe über am Arbeitsplatz. Der nichtrichterliche Dienst nutzte 200 Fälle. Solche Wellen sind schon logistisch ein damals teilweise noch alte Robotron-Schreibmaschi- Problem, gerade ohne ausreichend Kolleg:innen im nen. Oder mit heutigen Standards nicht vergleich- nichtrichterlichen Dienst. bare Computer. Später stand im Sozialraum ein Rechner mit piepsendem Modem für den Juris-Zu- gang, den haben wir Richter:innen uns geteilt. Erst ab ca. 2000 kamen Rechner für alle. Aber anfangs war die Personalausstattung der neu gegründeten Arbeitsgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt noch gut, richterliche Kolleg:innen hatten eine Protokollkraft. Später wurden diese Stellen gekürzt. Dadurch mache ich viele Schreibarbeiten jetzt selbst, über digitale Diktiertechnik und Spracherkennung. Heute ist die Arbeit schnelllebig, wir haben viel Zeitdruck. Wenn die Arbeitsintensität jetzt höher ist, liegt das an der Personaldecke? Oder haben sich die Aufgaben verändert? ZUR PERSON Gruber: Es ist eine Mischung von beidem. Auch bei Sabine Gruber ist Rechtspflegerin am uns wurde Personal abgebaut, das war ein schlei- Amtsgericht München. Von 1983 bis chender Prozess. Gleichzeitig hat die Zahl der Ver- 1985 war sie Beamtenanwärterin für den mittleren Dienst und arbeitete danach fahren deutlich zugenommen und sie sind heute sehr als Justizassistentin. Den Aufstieg in den viel umfangreicher. Wenn ich ans Nachlassgericht gehobenen Dienst schloss sie 1995 ab. Seit vielen Jahren ist Gruber aktiv bei der denke, da geht es oft um riesige Vermögen. Das sind ÖTV und später bei ver.di. 1988 wurde sie aufwendige Verfahren, die sich über Jahre ziehen. in die JAV und 1990 in den Personalrat Gleichzeitig gibt es immer mehr Anwaltskanzleien, gewählt. Seit Februar 2020 ist sie die Vorsitzende des Gremiums. die systematisch Mandate akquirieren. Das ist eine richtige Rechtsdienstleistungsindustrie. Die eigentli- Norbert Wennmacher ist seit 1993 in Sachsen-Anhalt Arbeitsrichter, er hat che Belastung in der Geschäftsstelle und der Service- diesen Fokus schon im Referendariat einheit ist der hohe Aktenumlauf. angestrebt. Nach fünf Jahren erstinstanz- licher Tätigkeit folgten Abordnungen ans Bundesarbeitsgericht sowie ans Bundes- Wie ist das am Arbeitsgericht? arbeitsministerium. Zurück in Sachsen- Wennmacher: Auch hier hat sich viel verändert, zum Anhalt war er bei den Arbeitsgerichten Stendal und Halle und ist jetzt beim Beispiel die Streitkultur. Früher erledigten sich zwei Landesarbeitsgericht tätig. Er ist für ver.di Drittel der Verfahren im Gütetermin durch Vergleiche, seit 2006 im Richterrat der Arbeitsgerich- Klagerücknahmen usw. Heute wird erbitterter ge- te und im Landesrichterrat aktiv. DGB | Personalreport 2021 25
Später wurden Stellen Für Entlastung sollte der Pakt für den Rechts- gekürzt. Dadurch mache staat sorgen. Bund und Länder bewerten ihn po- ich viele Schreibarbeiten sitiv, Gerichte und Staatsanwaltschaften hätten jetzt selbst, über digitale viele Stellen geschaffen. Spürt man das vor Ort? Diktiertechnik und Gruber: Große Personalzuwächse hat uns das jeden- Spracherkennung. falls im Servicebereich nicht gebracht. Und vor al- Heute ist die Arbeit lem haben wir im Großraum München zunehmend schnelllebig, wir haben Schwierigkeiten, die vorhandenen Stellen adäquat zu viel Zeitdruck. besetzen. Wir haben die Konkurrenz zur Privatwirt- Norbert Wennmacher schaft und zur Stadt München, die ihren Beschäftig- ten eine höhere München-Zulage zahlt als der Frei- staat. Wenn jemand nicht zwingend zur Justiz will, haben wir schlechte Karten. Und eine Ausbildung für Justizfachangestellte gibt es bei uns nicht. Als ver.di fordern wir das, aber es ist politisch nicht gewollt. Wenn wir einstellen, bleibt nur der Quereinstieg, zum Beispiel von Rechtsanwaltsfachangestellten. Dane- ben werden Anwärter:innen im Justizfachwirtedienst Seit Anfang 2005 gibt es für die Justiz das Per- ausgebildet, aber insgesamt reicht es eben nicht aus. sonalbedarfsberechnungssystem PEBB§Y. Hat es sich bewährt? Wie sieht die Nachwuchsgewinnung bei den Wennmacher: Nur teilweise. Wenn sich durch Richter:innen aus? PEBB§Y ein Bedarf errechnet, kann man bei den Mi- Wennmacher: Da ist man dran, was auch bitter nisterien leichter Personal einfordern. Ansonsten ist nötig ist. Die Altersstruktur ist in allen Gerichtsbar- es eine ziemliche Geldvernichtung. Da werden bun- keiten schlecht. Die Richter:innen am Arbeitsgericht desweit Millionenbeträge für die Erhebungen aus- sind bei uns alle 56 Jahre und älter. Nach 25 Jahren gegeben. Und letztlich sind wir von den Ergebnissen wurde jetzt die erste junge Kollegin auf Lebenszeit ziemlich nah bei den alten Pensenschlüsseln, die vor ernannt. Man versucht gegenzusteuern, damit das PEBB§Y eine gleichmäßige Personalausstattung der Problem sich nicht fortschreibt, wenn ein großer Gerichte ermöglichten. Außerdem betrachtet PEBB§Y Schwung bald altersbedingt aussteigt. Die neue nur Verfahrenseingänge. Es kommt aber oft vor, dass Landesregierung setzt das sogenannte Feinkonzept enorme Rückstände entstehen, etwa durch Altersab- fort. Es wird erstmal über den Durst einstellt, etwa gänge oder den Krankenstand. Das bildet PEBB§Y 10 Prozent über dem Personalschlüssel nach PEBB§Y. nicht ab, auf den Aktenbestand wird nicht geschaut. Dadurch stimmt die Bedarfsberechnung nicht. Das ist doch sinnvoll, so kann das Wissen der Gruber: Das sehe ich auch so. Man kann mit PEBB§Y Älteren weitergegeben werden. gegenüber dem Haushaltsgesetzgeber Stellen einfor- Wennmacher: Ja. Es ist aber schwierig, Bewerber:in- dern, wenn die Zahlen entsprechend sind. PEBB§Y ist nen zu bekommen und zu halten. Auch, weil die Pro- aber nicht geeignet, um innerhalb eines Standortes berichter:innen in Sachsen-Anhalt nicht wissen, wo Personal zu verteilen. Da kann man nicht mit Durch- sie verplant werden. Es gilt das Rotationsprinzip und schnittswerten arbeiten, weil manche Menschen sie müssen sich in zwei Gerichtsbarkeiten bewähren. aufgrund bestimmter Umstände weniger als 100 Sie können nicht wählen wie in anderen Bundeslän- Prozent leisten können, andere locker 120 Prozent. dern. Viele, die bei uns anfangen und gute Examens- 26 DGB | Personalreport 2021
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