Die Burnout-Inflation - Burnout ist eine Modekrankheit - doch unter dem inflationären Gebrauch des Begriffs leiden die tatsächlich Betroffenen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Business in Franken Volkskrankheit Burnout Die Burnout-Inflation Burnout ist eine Modekrankheit – doch unter dem inflationären Gebrauch des Begriffs leiden die tatsächlich Betroffenen B urnout ist populär! Ob es sich nun Prozent seit 2004. Aufgrund von psychi- um ein kleines Formtief oder eine scher Überlastung und Burnout fehlen der temporäre Niedergeschlagenheit deutschen Wirtschaft etwa 53 Millionen handelt: Nahezu jede Befindlichkeit wird Arbeitstage, so die Schätzungen des Bun- heute umgangssprachlich mit dem Etikett desarbeitsministeriums. Besorgniserregend „Burnout-Syndrom“ versehen. Laut einem an dieser Entwicklung ist dabei nicht nur Schweizer Wirtschaftsmagazin ist jeder die Tatsache, dass etwa 10 bis 15 Prozent fünfte Manager am Ende seiner Kräfte. Das aller Erwerbstätigen im Laufe ihres Be- Manager-Magazin veröffentlichte 2012 so- rufslebens ein mehr oder minder schweres gar ein Burnout-Ranking deutscher Groß- Burnout-Syndrom erleiden, sondern dass unternehmen, das auf Zahlen der Klinik- durch den inflationären Gebrauch des Be- Kette Asklepios basierte, was das derzeitig griffs das Syndrom an sich bei der breiten vorherrschende gesellschaftliche Bild vom Masse zunehmend an Glaubwürdigkeit Burnout noch zu verstärken scheint. Doch verliert. Die wirklich Betroffenen gehen in nicht nur in der breiten Öffentlichkeit dieser Modewelle unter und werden nicht scheint der Begriff Überhand zu nehmen. mehr ernst genommen. Auch die Bundeskammer der Psychothe- Doch woran liegt es, dass wir mit dem Dr. med. Michael Majer, Facharzt für Chirurgie, Notfall- und Arbeitsmedizin (www.gesundarbei- rapeuten verzeichnet einen Anstieg der beruflichen Stress scheinbar nicht mehr ten.org) Bild: Foto Phositiv Creativstudio einschlägigen Krankschreibungen um 700 umgehen können? „Ich bin nicht der An- 32 Franken Manager 3-4/13
Volkskrankheit Burnout Business in Franken sicht, dass wir mit Stress nicht mehr um- ein Symptom der Erkrankung, die Ursache haben. „Burnout ist ein Sammelbegriff, der gehen können“, erklärt Lothar Panten, Dip- irgendwo in der Umgebung statt im eigenen etwas beschreibt, was in unserer Gesellschaft lom-Psychologe und Unternehmensberater. Seelenleben zu verorten. zu finden ist. Es greift das Phänomen, dass „Früher waren die Lebensbedingungen ei- Ein weiterer Aspekt, der zu beachten man an die Grenzen dessen kommt, was man gentlich härter, sie wurden damals aber eher ist, ist sicherlich auch der rasante techni- in den gegebenen Verhältnissen tun kann“, als schicksalhaft angesehen. Heute haben sche Fortschritt. Gerade im Berufsleben definiert Panten den Begriff. Das Burnout wir eine moderne Sicht auf den Menschen, muss man sich schnell an neue Gegeben- gibt es nicht wie ein gebrochenes Bein, was bei der er eigentlich allen Anforderungen heiten und Anforderungen anpassen, oft sich medizinisch klar einordnen lässt. Darin gewachsen sein sollte. Außerdem sollte kann mit dem Tempo gar nicht Schritt ge- sieht der Diplom-Psychologe auch die Gefahr man sicherlich auch bedenken, dass es heu- halten werden. Während man früher für einer voreiligen Attestierung, der man jegli- te wesentlich ‚schicker‘ ist, ein Burnout zu die meisten Entscheidungen mehrere Tage che Überforderungssituationen zuschreibt: haben als eine Depression oder depressive Zeit hatte und auch mal eine Nacht darü- „Es wird fast gar nicht mehr in Erwägung ge- Verstimmung. Schon im gesellschaftlichen ber schlafen konnte, wird im Zeitalter des zogen, dass jemand schlicht und einfach et- Kontext nehmen wir einen Burnout-Pati- E-Mail-Verkehrs eine Antwort binnen we- was nicht kann. Und was natürlich auch tabu enten als jemanden wahr, der unheimlich niger Stunden erwartet. Man spricht hier ist, wenn jemand etwas gar nicht mehr will. viel gearbeitet hat und etwas auf die Beine deshalb auch vom so genannten „WEB- Das wird in diesem Zusammenhang gar nicht stellen konnte, bevor er einen Absturz Jahr“. Das bedeutet, dass ein mehr beleuchtet. Und gerade im alltäglichen erlebt.“ Belegbar ist außerdem auch, Arbeitsjahr mit den Mög- Gebrauch wird es sicherlich auch voreilig in dass in Zeiten physischer Gefähr- lichkeiten des Inter- den Mund genommen.“ dung psychische Erkrankungen nets etwa zwei Um nun den genauen Unterschied aus- rückläufig sind, während sie bis drei machen zu können, ist also eine Ursachenfor- in Zeiten des Wohlergehens A r- schung unabdingbar. Handelt es sich um eine zunehmen. Und gerade dieses allgemeine Überforderungssituation, liegen Phänomen ist nicht neu, son- den Symptomen familiäre oder berufliche dern seit Jahrhunderten be- Ausnahmesituationen zugrunde kannt. Schließlich gehört sogar oder handelt es sich tatsächlich um Goethe zu den prominentesten eine psychische Erkrankung? Burnout-Patienten. Während ihm In der Regel wirken zwei ent- jedoch eine ausgedehnte Italienreise zu scheidende Faktoren auf die Entstehung alter Form verhalf, begeben sich Patienten beitsjahren vor der Einführung desselben einer Burnout-Erkrankung ein. Zum einen heute für einige Wochen in Therapie und entspricht. sind es die äußeren Umstände, unser Ar- hoffen, danach wieder dieselbe Leistung er- beitsumfeld, die familiäre Situation und die bringen zu können. Burnout vs. Depression Menschen, mit denen wir es täglich zu tun Der Arbeitsmediziner Michael Majer haben. Zum anderen ist die Persönlichkeit sagt, das wesentliche Problem der Betroffe- Der Unterschied zwischen einem Bur- entscheidend: manche Menschen nehmen nen sei oft eine seelische Erkrankung in ei- nout und einer Depression ist vor allem für Situationen als besonders anstrengend oder nem ganz frühen Stadium: „In solchen Fällen Laien schwer auszumachen, da er eigentlich stressig wahr, die andere noch als gesunden hätte man in Form einer Gesprächs-Psycho- kaum gegeben ist. Das Klassifikationssys- Stress empfinden. Im Fachjargon spricht therapie prinzipiell eine Riesenchance, die tem für medizinische Identifikation IDC Dinge frühzeitig zum Besseren zu wenden." listet das Burnout im IDC-10 lediglich als Problem sei allerdings, dass es da eine me- Zusatzindikation bzw. Zusatzcodierung zur terhohe Hemmschwelle gibt - die fünf Buch- Präzisierung der Depression. Es ist also als staben P.S.Y.C.H. seien nun einmal traditio- eine von zehn verschiedenen Depressions- nell stigmatisiert. "Wer kennt nicht die Rede formen anerkannt, wobei es bis dato nicht vom 'in die Klapse' oder noch schlimmer als Krankheit gesehen wird. Zwar gibt es 'ins Irrenhaus müssen'?!" Von sich zu sagen, ein Urteil des Landgerichts München aus man leide an einem Burnout, sei da wesent- dem Jahr 2006, nachdem das Burnout als lich weniger angstbesetzt. "Es hat sich leider Leistungsfall für eine Berufsunfähigkeits- eine Sichtweise etabliert, Burnout bedeute versicherung angesehen wurde. Somit kann unter anderem auch so etwas wie eine stil- man davon ausgehen, dass es in nächster le Auszeichnung - schließlich trifft es typi- Zeit auch als eigenständige Krankheit ge- scherweise die besonders Engagierten." Dass listet sein wird, derzeit ist dies aber noch seelische Erkrankungen wie eine Blinddarm- nicht der Fall. oder Lungenentzündung oder ein Krebslei- Hinzu kommt der Umstand, dass Bur- den rechtzeitig behandelt gehören, um die nout lediglich eine Ansammlung unterschied- Heilungschancen zu erhöhen, sei dagegen licher Symptome ist, die in der Summe diesen bisher viel zu wenig ins Bewusstsein der Be- Zustand zufolge haben. Jedes einzelne Symp- Lothar Panten, Diplom-Psychologe völkerung gedrungen. Und oft sei es dabei ja tom für sich kann auch ganz andere Ursachen und Unternehmensberater bei EVOLOG. franken Manager 3-4/13 33
Business in Franken Volkskrankheit Burnout Think global. Arbeitsunfähigkeit vermeiden Act local. man hierbei vom psychologischen Kapital und der Resilienz, die die Menschen besitzen. Resilienz wird aus Selbstvertrauen, Selbst- Michael Majer, Facharzt für Chirurgie, bewusstsein, Gelassenheit, Zeitmanagement Notfall- und Arbeitsmedizin ist derzeit einer und vielen weiteren Faktoren geformt. Das der ganz wenigen Betriebsärzte mit breiter psychologische Kapital hängt ebenfalls mit akutmedizinischer Grundausbildung, die zu- Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu- sätzlich noch eine gesprächs-psychotherapeuti- sammen und lässt sich mit dem Ausdruck sche Zusatzqualifikation anstreben. Das ermög- „ein sonniges Gemüt“ gut umschreiben. licht ihm, in die Unternehmen zu gehen und Gerade Arbeitgeber und Führungskräfte im Rahmen einer Arbeitsplatzbegehung hinter sind oft gar nicht in der Lage zu entscheiden, eventuelle Probleme im seelischen Bereich zu ob beim betroffenen Mitarbeiter nun eine kommen. „Wir schieben unsere Schwierigkei- ernstzunehmende Erkrankung vorliegt oder ten oft zu allererst auf den Arbeitsplatz, einfach nicht. „Wenn der Verdacht besteht, dass ein auch weil wir dort einen Großteil unserer Zeit Mitarbeiter gefährdet ist, dann sollte man verbringen“, beschreibt er. „Und da habe ich den stets professionelle Hilfe dazu holen“, so Vorteil, dass ich eben genau über die Arbeits- Michael Majer. „Dafür muss man sich aber medizin auf die Leute zugehe und nicht komme teilweise auch qualifizieren lassen. Es gibt und sage, ich möchte mich um deine Psyche Führungsseminare, die genau dieses Thema kümmern. Da würden die meisten nämlich ein- behandeln. Also, die Frage, worauf muss ich fach dicht machen.“ Doch der Mediziner kommt denn überhaupt achten?“ Das ist natürlich erst, wenn der Verdacht bereits besteht. sehr aufwendig. Es kostet Energie, Zeit und Wichtig ist aber, bereits im Voraus mög- Geld. Präventive Angebote vom Arbeitgeber liche Belastungen zu erkennen und diese zu werden schließlich nicht von den Krankenkas- vermeiden. Hier sehen sowohl Majer als auch sen übernommen. Wenn man allerdings be- Panten die Führungskräfte in der Pflicht, den denkt, welche wirtschaftlichen Schäden dem Mitarbeitern ein gewisses Verständnis entge- Unternehmen durch gefährdete Mitarbeiter, gen zu bringen. Gerade diejenigen, die zusätz- die nicht mehr so konzentriert und motiviert liche familiäre Verpflichtungen haben – wie bei der Sache sind, entstehen können, lohnen beispielsweise Kinder oder pflegebedürftige sich solche Angebote. Konkrete Zahlen, wie Angehörige – sind einer doppelten Belastung hoch der wirtschaftliche Schaden in solchen ausgesetzt. Hier gilt es, Arbeitszeiten flexibel Fällen ist, gibt es zwar derzeit noch nicht, zu gestalten und ausführliche Gespräche mit man weiß allerdings, dass es sich um deutlich dem Arbeitnehmer zu führen, um auf persönli- höhere Summen handelt, als bei Produkti- che Belange auch individuell eingehen zu kön- onsausfällen durch Mitarbeiter, die krank zu nen. „Gerade bei diesen Menschen kann man Hause bleiben. Und der liegt bei bereits etwa immer wieder feststellen, dass sie über Jahre 50 Milliarden Euro hinweg jede Aufgabe annehmen und bewälti- jährlich. gen“, erzählt Lothar Panten. „Irgendwann kön- nen sie aber einfach nicht mehr und brechen zusammen. Die Wurzeln hierfür liegen oft in der Selbstorganisation, beispielsweise dass man Probleme nicht nach Prioritäten ab- arbeitet, sondern alles gleichzeitig ma- chen möchte. Doch diese Eigenschaf- ten kann man bis zu einem gewissen Grad trainieren.“ Als Unternehmens- coach arbeitet Panten viel mit Füh- Wir vernetzen die rungskräften zusammen, denen er genau diese Eigenschaften beibrin- regionale Wirtschaft. gen muss. Auch die Fähigkeiten, Dinge zu delegieren, gehört dazu. www.franken-manager.de Panten nennt es auch das Erhal- ten der Persönlichkeit in einem dynamischen Gleichgewicht, dass eine optimale Aufgaben- bewältigung unter Erhaltung der eigenen Kräfte ermöglicht. Olga Wiesner | ow@franken-manager.de 34 Franken Manager 3-4/13
Volkskrankheit Burnout Business in Franken Die gesellschaftliche leren Managements entsprechen. Wenn man sieht, was wir heute unseren Kindern bieten möchten: Förderung, damit sie in Kindergar- Verantwortung ten und Schule gut vorankommen, sportliche Betätigungen usw., da sind Eltern eben sehr stark organisatorisch gefragt und zum Teil auch überfordert. Zum Thema Arbeitslose Prof. Dr. Steffen Hillebrecht, Dozent im Lehrgebiet Medienmanagement an würde ich nur ungern was sagen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch Arbeitslose so der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt arbeitete etwas wie ein Burnout erleben. Wobei ich hier an einer Studie zum Thema „Burnout-Prävention im Mittelstand in Mainfranken“. eher das Stichwort Boreout verwenden würde, Im Interview mit dem FRANKEN MANAGER macht er deutlich, dass Burnout kein der Gegenpart zum Burnout. Wenn man sich bisher sehr stark über das Berufsleben defi- Arbeitnehmer-, sondern ein Gesellschaftsproblem ist. niert hat und plötzlich zu nichts mehr nutze ist, ist man möglicherweise schlicht und ein- fach „überlangweilt“. Government, bei dem immer mehr Funkti- FM: Also, ist das eher ein gesellschaftli- onen von den Mitar- ches Problem? beitern selbst erledigt werden, für die früher Steffen Hillebrecht: Ich sehe das auch als andere Fachabteilun- gesellschaftliches Problem, ja. Wir Deutschen gen verantwortlich wollen im internationalen Wettbewerb immer waren. Oder auch die besser sein. Gleichzeitig kommt immer weni- diversen Sonderauf- ger Input an qualifizierter Arbeit. Das funk- gaben der Abteilungs- tioniert halt nur begrenzt. Vor allem weil wir leiter, die beispiels- auch immer mehr private Aufgaben überneh- weise zusätzlich zum men. Es kommt immer mehr auf uns zu und Sicherheits- oder Da- die Leistungsträger in der Mitte der Gesell- tenschutzbeauftragten schaft müssen immer mehr Aufgaben bewäl- ernannt werden. Bis tigen. Und hier bietet sich Burnout aus meiner hin zum Puffer, den Sicht als eine Art Ventil an. viele mittlere Manager darstellen: von oben FM: Mittlerweile nehmen viele Personen kommt Druck, die das Burnout anderer nicht mehr ernst, weil Ziele zu erreichen, und man das Gefühl hat, es wird zu voreilig at- von den Mitarbeitern testiert. Können Sie das bestätigen oder liegt kommen durchaus be- das eher an der inflationären Verwendung rechtigte Anliegen: ich des Begriffs an sich? möchte mich auch um meine Familie küm- Steffen Hillebrecht: Das ist aus meiner mern können. Und Sicht ein ähnliches Phänomen wie vor fünf- das mittlere Manage- zehn Jahren das Thema Mobbing. Unter die- ment muss das jetzt sem Stichwort konnte man sehr schnell viele ausgleichen. Sachen abbuchen. Zum Beispiel: ich habe von meinem Chef Stress bekommen, ich FM: Herr Hillebrecht, heutzutage hat man FM: Sie haben jetzt vor allem vom mitt- werde gemobbt. Und beim Thema Burnout häufig den Eindruck, wer noch kein Burnout leren Management gesprochen. Aber auch hängt es meinem Erachten nach auch damit hatte, arbeitet nicht genug oder ist womöglich Hausfrauen oder von Arbeitslosigkeit be- zusammen, dass man den Unterschied zwi- nicht erfolgreich. Woran liegt das? troffene Personen können von diesem Syn- schen einer tiefsitzenden Frustration und drom betroffen sein. Was sind dann hier die einem wirklichen Burnout nicht deutlich Steffen Hillebrecht: Das hängt damit zusam- Gründe? genug macht. Deswegen nehmen das inzwi- men, dass wir in vielen Bereichen einen hohen schen viele Menschen nicht mehr ernst und Arbeitsdruck haben. Unsere Befragten haben Steffen Hillebrecht: Das ist jetzt eine Perso- sagen: „Da ist jemand einfach nur frustriert, sehr deutlich gemacht, dass vor allem das mitt- nengruppe, die wir in unserer Studie so nicht der soll sich doch mal eine Auszeit neh- lere Management sehr stark unter Druck steht, behandelt haben. Aber Hausfrauen – oder men.“ Das erspart natürlich auch ein Hin- weil es eine enorme Arbeitsverdichtung erlebt. auch Hausmänner – haben ja letztendlich in- terfragen der tatsächlichen Ursachen. Ich Als Stichwort nenne ich zum Beispiel das E- zwischen auch Aufgaben, die dem eines mitt- bin kein Arzt, aber ich habe manchmal franken Manager 3-4/13 35
Business in Franken Volkskrankheit Burnout in meinem Bekanntenkreis den Eindruck, Steffen Hillebrecht: Ja, das ist wohl richtig. zweitens hat man dann das Geld für, sicher- dass tiefsitzende Verstimmungen, bei denen Es gibt die Arbeitszeit einerseits und anderer- lich auch berechtigte, Maßnahmen für Seni- früher ein paar gute Gespräche unter Freun- seits den eigenen Biorhythmus. Dann muss ich oren übrig. Aber wenn keine Kinder mehr den ausgereicht hätten, heute vom Arzt be- eben schauen, wann sich beide überschneiden. nachkommen, werden sich die Senioren bald handelt werden sollen. Und der kann dieses Eine Schnittmenge gibt es immer und in der selber pflegen dürfen. tiefgreifende Gespräch nicht führen, weil müssen die zwei oder drei wichtigsten Aufga- vielleicht schon die nächsten Patienten war- ben des Tages erledigt werden. FM: Also, Sie sehen die Verantwortung ten. Dann werden aus meiner Sicht vielleicht bei der Politik? vorschnell Antidepressiva vorgeschlagen. FM: Wenn jetzt aber zu diesen beiden Einfach damit etwas passiert. Aber das ist Rhythmen noch andere Komponenten, wie Steffen Hillebrecht: sehe sie bei der Gesell- nur mein persönlicher Eindruck und keine familiäre Belange, kommen, dann wird es schaft. Die Gesellschaft umfasst die Politik, medizinisch belegbare Aussage. schon schwieriger, alles unter einen Hut zu die Wirtschaft und vieles andere. Die Ge- bringen. Sollte da von Arbeitgeberseite mehr sellschaft muss sich überlegen – hier ist das FM: In Ihrer Studie haben Sie einmal passieren? Stichwort Burnout sehr gut – wie verwenden erwähnt, dass das Burnout-Syndrom allem oder verschwenden wir unsere Ressourcen? Anschein nach nur im deutschsprachigen Steffen Hillebrecht: muss natürlich etwas Und wenn wir eine zukunftsorientierte Ge- Raum derart stark thematisiert wird. Wor- passieren. Wir sehen das an anderen Ländern, sellschaft haben wollen, müssen wir überle- an liegt das? bei denen das besser klappt. Schweden ist hier gen, wer trägt welche Belastung und warum? ein großer Vorreiter. Da sind beispielsweise Und dann sind wir wieder beim Thema Bur- Steffen Hillebrecht: Das hängt meines Besprechungen um 16 Uhr zu Ende. Wenn nout. Hier tragen zu wenige Menschen zu Wissens damit zusammen, dass es in ande- ich das nun mit meiner eigenen Arbeitssitua- viele Belastungen. ren Ländern, obwohl der Begriff ja aus den tion vergleiche, da beginnen die interessanten USA gekommen ist, einfach nur als Depressi- Besprechungen erst um 17 Uhr, damit man FM: Was halten Sie von Online-Tests für on angesehen und anders behandelt wird. Es garantiert ungestört ist. Da sind dann eben Burnout? Wir haben aus Neugierde einen gibt Krankheiten, die kulturraumspezifisch genau die Personen Burnout gefährdet, die ausprobiert. Demnach wäre die gesamte sind. Das Schleudertrauma nach Unfällen ist sich um familiäre Belange kümmern müssen. Redaktion des FRANKEN MANAGER Bur- beispielsweise eine typisch deutsche Sache, Die müssen dann für zwei oder drei Stunden nout gefährdet. weil hier deutsche Gerichte Schmerzensgeld einen Babysitter organisieren und sitzen nur vergeben. Das finden Sie in Holland oder in halbkonzentriert in der Besprechung, weil sie Steffen Hillebrecht: Diese Selbsttests halte England nicht. Und genauso wird Burnout in Gedanken bei den Kindern sind. ich für eine Aufforderung, über die Frage „Bin sehr stark in Deutschland angesprochen. In ich Burnout gefährdet?“ nachzudenken. Sie anderen Ländern geht das einfach unter De- FM: Man gewinnt hier ein bisschen den werden aber niemals eine solide Diagnose von pression durch. Eindruck, dass sich bei uns das große Ganze sachkundigen Personen ersetzen. Es ist sicher ändern muss. gut, über diese Dinge einfach einmal nachzu- FM: Stichwort Burnout-Prävention: Was denken. Ich sehe das ähnlich, wie die Partner- kann ich persönlich tun, um mich zu schüt- Steffen Hillebrecht: Deutschland ist nach schaftstests in diversen Zeitschriften. Es wer- zen? Viele Online-Ratgeber sprechen von meinem Eindruck keine familienfreundliche den die richtigen Themen angesprochen, aber besserem Zeitmanagement, man solle früher Gesellschaft. Das trifft man in den Städten, in einer so allgemeinen Form, dass sie aus mei- aufstehen. Aber hilft das tatsächlich weiter? in vielen Unternehmen und das erfährt man ner Sicht eine medizinische Diagnose nicht in ganz vielen anderen Bereichen. Dieser ersetzen können. Und, ich denke, dass einige Steffen Hillebrecht: Also, ein besseres Punkt provoziert mit Sicherheit Burnout. Burnout-Gefährdungen durch gute Gespräche Selbstmanagement ist sicher richtig. Aber, Alle Studien zeigen uns, dass eine gesunde im Familienkreis oder mit wohlmeinenden „nur“ morgens früher aufstehen ist der falsche familiäre Basis viele Anforderungen im Be- Freunden bearbeitet werden können, oder Ansatz. Jeder Mensch hat seinen eigenen Bio- ruf kompensieren kann. Und ich halte es auch durch ein fachkundiges Coaching. rhythmus. Und deswegen: Achtsamkeit für die nicht für richtig, allein den Unternehmen eigenen Grenzen. Burnout-Prävention fängt die Verantwortung aufzubürden. Es ist auch FM: Also, ist vielleicht einfach nur der zunächst einmal auf einer allgemeinen Ebene das gesellschaftliche Umfeld, das irgendwel- Gang zum Therapeuten häufig voreilig? an. Was vertrage ich und was nicht? Und erst che Gesetze beschließt, die dann von den wenn ich mir darüber klar genug bin, dann Kommunen halbherzig umgesetzt werden, Steffen Hillebrecht: Das ist eine gute Frage. kann ich in dieses Selbstmanagement, in die weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen oder Eine allgemeine Überforderung muss nicht operativen Instrumente einsteigen und mir weil andere Lobbygruppen ihren Einfluss immer gleich medizinisch oder psychothera- überlegen, wann will ich aufstehen, was ist ausüben. Ich habe in einer oberfränkischen peutisch bearbeitet werden. Hier kann man eine optimale Arbeitszeit und welche Aufga- Stadt sehr deutlich erlebt, wie Spielplätze sicher auch auf fachlich fundierte Supervision ben sind vordringlich? eingeschränkt wurden, weil sich Senioren und Coaching zurück greifen. vom Kinderlärm belästigt fühlen. Und dann FM: Gut, jetzt ist aber der persönliche lässt man halt den Spielplatz verrotten. Ers- FM: Jetzt bin ich selbst aber kein Arzt. Biorhythmus häufig mit dem Arbeitsrhyth- tens sind dann die Kinder nach zehn Jahren Woher soll ich denn nun wissen, ob ich ernst- mus nicht kompatibel. weg und stören die Senioren nicht mehr und haft krank bin oder nur etwas überfordert? 36 Franken Manager 3-4/13
Volkskrankheit Burnout Business in Franken Man liest ja auch immer, dass man mög- Steffen Hillebrecht: Oder überlegen, ausfällt, ist es schwer Ersatz zu finden und lichst frühzeitig professionelle Hilfe in An- welche Aufgaben wegfallen können. Kol- diesen auch noch zu finanzieren. spruch nehmen sollte. lege Fredmund Malik von der Universität St. Gallen spricht hier von „systematischer Hillebrecht: Genau. Wir landen wieder Steffen Hillebrecht: Richtig. Das hängt Müllabfuhr“. Wenn jetzt bei Ihnen in der in einem Teufelskreis. Und wir merken in- sicherlich mit der Schwierigkeit der Thema- Redaktion jemand ausfällt, dann könnten zwischen sehr deutlich dass viele Leistungs- tik zusammen. Einen Beinbruch erkenne ich Sie vermutlich eine Zeit lang dieselbe Ar- träger mit Anfang oder Mitte 40 sagen: ziemlich schnell. Bei einer Bronchitis gibt es beit leisten, wie gerade im Moment. Wenn „Jetzt steige ich aus, mir reicht’s.“ Das klas- bestimmte Merkmale, die ich auch als Nicht- jetzt aber zusätzlich private Anforderungen, sische Beispiel ist die PR-Chefin von MTV mediziner beurteilen kann. Bei der Depression wie erkrankte Kinder, hinzukommen, sie Deutschland, Angie Sebrich. Sie hat mit 38 kommen wir wieder zu der Frage: Was ist tief- aber alle immer noch die gleichen Aufga- gesagt: „Ich hab ein tolles Leben, mir reicht sitzende Frustration und was ist eine handfeste ben erledigen müssen, wird es irgendwann es und ich werde jetzt Herbergsmutter einer Depression mit oder ohne Burnout-Charakter? schwierig. Und das ist der Punkt. Egal wie Jugendherberge.“ Sie hat heute einen Mann Es ist sicher richtig, nicht so lange zu warten engagiert Ihr Chef dann ist, er hat ein Prob- und zwei Kinder, halb so viel Stress, nur halb bis man ein Fall für eine Klinik ist. Wenn man lem: das Ganze muss sich am Ende rechnen so viel Gehalt und ist doppelt so glücklich. da erst einmal landet, geht das in den wenigs- und der Umsatz muss stabil bleiben. Das Vor kurzem habe ich einen interessanten ten Fällen unter mehreren Wochen Therapie geht auch ein oder zwei Jahre gut, bis die Bericht gelesen über Banker, die ausgestie- ab. Und dann ist wirklich vieles zu spät. Solche nächste Störung im System kommt. Dann gen sind und jetzt etwas ganz anderes ma- Betroffenen leben nach den mir vorliegenden wird es Zeit zu fragen, wie gehen wir mit chen, zum Beispiel einen eigenen Weinberg Studien ähnlich wie ein Alkoholiker. Wenn sie solchen Situationen um. Ein oder zwei Jah- bewirtschaften. Und es fällt auf, dass viele wieder in eine Burnout-Situation kommen, re kann man auf Substanz leben, aber dann Leistungsträger ihren Beruf irgendwann auf- sind sie möglicherweise wieder ganz tief drin. muss etwas passieren. Das ist übrigens auch geben. Und jetzt kommt der Rattenschwanz Die Therapeuten scheitern dann am Umfeld eine Falle, in die vor allem weibliche Nach- zum Tragen: weniger Gehalt bedeutet näm- ihres Patienten. Beim Alkoholiker wissen wir wuchskräfte tappen. Sie wollen gut sein. lich auch, dass auch weniger Steuern etc. in inzwischen, dass sich auch das Umfeld verän- Und leider ist es immer noch so, wenn ein die Staatskassen kommen. Ich glaube, dass dern muss. Und bei Burnout-Kandidaten muss Mann 100 Prozent gibt, dann muss eine sich unsere Gesellschaft gerade von innen sich neben dem Betroffenen selbst eben auch Frau 150 Prozent geben – meint die Frau. heraus verändert. Weil viele eben genau die- das Umfeld verändern. Aber da mauern viele Und das geht eine Zeit lang, aber eben nicht sen Burnout nicht erleben wollen. Und jetzt in der Umgebung und sagen: „Der hat doch ewig. Vor allem nicht, wenn plötzlich Kin- ist die Politik gefragt, sich zu überlegen: wie das Problem und nicht ich.“ Ich denke, das ist der da sind, wenn die Frau am Ende allein- erklären wir unseren Wählern, dass das Sys- die große Unbekannte in der bisherigen Bur- erziehend ist. Dann geht es entweder auf tem, wie wir es jetzt haben, nicht mehr lange nout-Diskussion. Kosten der Arbeit oder der Kinder oder des trägt. Aber das ist wie gesagt eine Frage, die Kollegen. Einer muss zahlen. kann ich nur ganz am Rande beantworten. FM: Vor allem im Berufsleben ist das aber sicherlich schwer umzusetzen. Denn so- FM: Wir wollen ja aber Nachwuchs ha- FM: Herr Hillebrecht, vielen Dank für bald ich den Burnout-Kandidaten entlaste, ben, wir brauchen Kinder in Deutschland. das interessante Gespräch. muss ich wiederum andere Kollegen stärker Und andererseits ist der wirtschaftliche belasten. Wettbewerb hart. Wenn jetzt eine Kollegin Olga Wiesner | ow@franken-manager.de GROSSE & kleine Photovoltaikanlagen erfordern Spezialisten Haimendorfer Straße 54a - 90571 Schwaig Telefon 0911-37 84 09-0 - Telefax -55 www.soluwa.de franken Manager 3-4/13 37
Sie können auch lesen