Blutungen bei Vitamin-K-Mangel unter Orlistat - Zurich Open ...

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 Year: 2018

                   Blutungen bei Vitamin-K-Mangel unter Orlistat

                                     Bank, Martina; Weiler, Stefan

Abstract: Die 55-jährige Patientin (Körpergewicht 98 kg) nahm bei Adipositas zur Gewichtsreduk-
tion 120 mg Orlistat ein. Zwei Monate später manifestierte sich bei ihr spontan ein Hämatom am
linken Unterschenkel. Nach weiteren zwei Monaten kam es zu einer atraumatischen Urogenitalblutung,
woraufhin die Patientin hospitalisiert wurde. Anamnestisch berichtete sie über mehrere Epistaxisepiso-
den. Frühere Blutungsprobleme respektive postoperative Blutungskomplikationen wie etwa nach Hys-
terektomie waren nicht vorgekommen. Tabelle 1 listet die Eintrittsmedikation auf. Die Einnahme von
Vitamin-K-Antagonisten oder neueren Antikoagulanzien wurde verneint. In der klinischen Untersuchung
zeigten sich mehrere diffuse Hämatome. Laborchemisch ergab sich ein INR-Wert von >5,0, ein Quick-
Wert von 5,0, un taux de prothrombine de
Published Version

Originally published at:
Bank, Martina; Weiler, Stefan (2018). Blutungen bei Vitamin-K-Mangel unter Orlistat. Swiss Medical
Forum, 18(23):479-481.
DOI: https://doi.org/10.4414/smf.2018.03293

                                                2
AK TUELL                                                                                                                                                                          479

Aktuelles aus den Regionalen Pharmacovigilance-Zentren und Tox Info Suisse

Blutungen bei Vitamin-K-Mangel
unter Orlistat
Martina Bank a*, Pharmazeutin; PD Dr. med. Stefan Weiler a,b*
a
 Regionales Pharmacovigilance-Zentrum Zürich, Klinik für Klinische Pharmakologie & Toxikologie, UniversitätsSpital Zürich und ­U niversität Zürich;
b
 Tox Info ­S uisse, assoziiertes Institut der Universität Zürich
* Die beiden Autoren haben zu gleichen Teilen zum Artikel beigetragen.

                                                                                                                   throzytenkonzentrate sowie vier Konzentrate von ge­
                                Folgen der UAW:                           Hospitalisation
                                Verlauf:                                  Ohne Schaden erholt                      frorenem Frischplasma verabreicht. Orlistat wurde
                                Kausalitätsbeurteilung:                   Möglich                                  ­daraufhin abgesetzt. In der Folge kam es zur Norma­
                                                                                                                   lisierung der Gerinnung, die Patientin erholte sich
                                                                                                                   vollständig.
                                Der klinische Fall
                                                                                                                   Bei einer Ureterorenoskopie wurden histologisch keine
                                Die 55-jährige Patientin (Körpergewicht 98 kg) nahm                                malignen Zellen nachgewiesen.
                                bei Adipositas zur Gewichtsreduktion 120 mg Orlistat
                                ein. Zwei Monate später manifestierte sich bei ihr
                                                                                                                   Klinisch pharmakologische Beurteilung
                                spontan ein Hämatom am linken Unterschenkel. Nach
                                weiteren zwei Monaten kam es zu einer atrauma­                                     Orlistat ist ein potenter, spezifischer und langwirksamer
                                tischen Urogenitalblutung, woraufhin die Patientin                                 Hemmstoff der Pankreaslipase, der im Magen-Darm-
                                hospitalisiert wurde. Anamnestisch berichtete sie über                             Trakt wirkt. Durch das inaktivierte Enzym wird die
                                mehrere Epistaxisepisoden. Frühere Blutungsprobleme                                Fettresorption im Dünndarm vermindert, da Triglyze-
                                respektive postoperative Blutungskomplikationen wie                                ride in Nahrungsfetten nicht mehr in leicht zu resor-
                                etwa nach Hysterektomie waren nicht vorgekommen.                                   bierende freie Fettsäuren und Monoglyzeride hydroly-
                                Tabelle 1 listet die Eintrittsmedikation auf. Die Ein-                             siert werden. In der Schweizerischen Fachinformation
                                nahme von Vitamin-K-Antagonisten oder neueren An-                                  zum Beispiel von Xenical® (einem Präparat mit dem
                                tikoagulanzien wurde verneint. In der klinischen Un-                               Wirkstoff Orlistat) wird unter «Warnhinweise und Vor-
                                tersuchung zeigten sich mehrere diffuse Hämatome.                                  sichtsmassnahmen» darauf hingewiesen, dass «die Be-
                                Laborchemisch ergab sich ein INR-Wert von >5,0, ein                                handlung mit Orlistat potenziell auch die Resorption
                                Quick-Wert von
Aktuell                                                                                                                                                                          480

Tabelle 2: Funktion der fettlöslichen Vitamine, der Einfluss von Orlistat und die Folgen einer Hypovitaminose [3–5, 9].

Fettlösliche Vitamine                           Einfluss von Orlistat               Potentielle Folgen einer Hypovitaminose
Vitamin A                                       Reduktion von Vitamin A             Nachtblindheit
(Retinal, Retinol, Retinsäuren)                 nicht ­ausgeschlossen               Xerophthalmie und Keratomalazie
                                                                                    Wachstumsstörungen
                                                                                    Knochenbildungsstörungen
                                                                                    Schuppende Hauterkrankungen (Hyperkeratosen, ­Ichthyosis)
                                                                                    Beeinträchtigung des Immunsystems
                                                                                    In Schwangerschaft: Fetus-Missbildungen möglich
Vitamin D                                       Signifikante Reduktion              Rachitis
(Cholecalciferol, ­Ergocalciferol)              von Vitamin D bereits               Osteomalazie
                                                nach 1 M­ onat möglich
                                                                                    Osteoporose
Vitamin E                                       Reduktion von Vitamin E             Hämolytische Anämie
(Tocopherole)                                   um 40–60% möglich                   Neuromuskuläre Störungen wie Ataxie, sensorische und motorische Neuropathie
                                                                                    Muskelschwäche
                                                                                    Lipofuszineinlagerungen in der Haut und Alterspigmente
                                                                                    Netzhautdegeneration
 Vitamin K                                       Reduktion von Vitamin K            Gestörte Blutgerinnung z.B. mit Schleimhautblutungen, Nasenblutung, Hämatomen,
 (Phyllochinon, Menachinon,                     ­möglich                            Meläna und Hämaturie
­Menadion)                                                                          Abnahme der Knochendichte und Knochenbrüche

                                Unzureichende Reserven oder spezifische Bedingun-                                  Ätiologie mit nachweislich verminderten Vitamin-K-ab-
                                gen (z.B. dunkle Hautfarbe bei Vitamin D [5]) können                               hängigen Faktoren sind die Begleitme­dikamente aller-
                                auch als Risikofaktoren eine Rolle spielen. Tabelle 2                              dings als alternative Auslöser eher unwahrscheinlich.
                                gibt einen Überblick über Interaktionen von Orlistat                               Zur Sicherstellung einer geeigneten Ernährungsweise
                                mit fettlöslichen Vitaminen sowie deren potenzielle                                sollten Patienten gerade unter Orlistat, die sich zur
                                Mangelzustände.                                                                    Gewichtskontrolle diätetisch ernähren, angewiesen
                                                                                                                   ­
                                Andererseits kann auch die Resorption verschiedener                                werden, auf einen hohen Obst- und Gemüseanteil der
                                Medikamente, vor allem lipophiler, durch Orlistat beein-                           Kost zu achten. Die Einnahme eines ergänzenden Multi-
                                flusst werden. Ein Beispiel wäre das Immunsuppressi-                               vitaminpräparates kann in Erwägung gezogen werden.
                                vum Ciclosporin mit einer engen therapeutischen Breite                             Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine pharma-
                                und der Notwendigkeit für Spiegelmessungen bei Kom-                                kokinetische Interaktion auf Resorptionsebene: Durch
                                bination mit Orlistat [6]. Eine Wirkung von Orlistat auf                           Orlistat wird die Fettresorption und somit auch die
                                die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik des                                        ­Resorption von lipophilen Substanzen vermindert. Bei
                                Vitamin-K-­Antagonisten Warfarin konnte zwar bei ge-                               einer zeitlichen Trennung der Interaktionspartner
                                sunden Probanden in einer Kurzzeitstudie nicht festge-                             kann diese unerwünschte Wechselwirkung umgangen
                                stellt werden [7]. Bei einem 66-jährigen Patienten mit                             werden. Falls eine ergänzende Multivitamingabe an­
                                bekanntem chronischem Vorhofflimmern wurde aber                                    geraten wird, sollte diese daher mindestens zwei Stun-
                                nach Behandlungsbeginn mit Orlistat von einer INR-Er-                              den nach Einnahme von Orlistat wie zum Beispiel vor
                                höhung bei bislang stabiler Warfarintherapie berichtet                             dem Schlafengehen erfolgen [1].
                                [8]. Durch die reduzierte Resorption von fettlöslichem                             Fettaufnahmehemmer wie Orlistat dienen kurzfristig
                                Vitamin K im Rahmen einer Orlistattherapie kann eine                               der ergänzenden Therapie zur Gewichtsreduktion bei
                                ­Dosisreduktion von Vitamin-K-Antagonisten notwendig                               adipösen oder übergewichtigen Patienten mit beglei-
                                werden, weshalb Koagulationsparameter engmaschig                                   tenden Risikofaktoren wie Typ-2-Diabetes, Hyperlipi-
                                kontrolliert werden sollten. Mit den Substanzen der Be-                            dämie und/oder Hypertonie. Im Rahmen einer gesun-
                                gleitmedikation sind aber keine pharmakokinetischen                                den und langfristigen Gewichtsabnahme sollte stets
                                Interaktionen beschrieben. In der Fachinformation zur                              eine Ernährungsumstellung in Verbindung mit kör-
                                Begleitmedikation werden formal ebenfalls Blutungen,                               perlicher Ak­tivität erfolgen. Zu einer ausgewogenen
                                wie beispielsweise im Rahmen e
                                                             ­iner Thrombozyto­                                    Ernährung g
                                                                                                                             ­ ehören ebenfalls Fette, insbesondere un-
                                penie, beschrieben. Verlängerte Blutungszeit sowie hä-                             gesättigte Fettsäuren, die zum Erhalt vieler Stoffwech-
                                morrhagische Manifestationen wurden auch unter der                                 selfunktionen, zum Zellaufbau sowie Transport und
                                Therapie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-                                  zur Aufnahme fettlöslicher Stoffe wie auch von Vit­
                                Hemmern wie Escitalopram berichtet. Aufgrund der                                   aminen beitragen.

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                       2018;18(23):479– 481
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Aktuell                                                                                                                                                                                 481

                                Schlussfolgerung                                                                   Literatur
                                                                                                                   1   Schweizerische Arzneimittelinformation Xenical®
                                Zwischen dem Therapiebeginn mit Orlistat und dem                                       (www.swissmedicinfo.ch; Zugriff am 20.1.2018).
                                                                                                                   2   Micromedex® 2.0, (electronic version). Truven Health Analytics,
                                Auftreten der Symptome besteht ein plausibler zeit­                                    Greenwood Village, Colorado, USA.
                                licher Zusammenhang. Die Normalisierung der Gerin-                                     Available at: http://www.micromedexsolutions.com/
                                                                                                                       (Zugriff am 20.1.2018).
                                nung nach Sistieren des Orlistat kann bedingt als posi-
                                                                                                                   3   Melia AT, Koss-Twardy SG, Zhi J. The effect of orlistat, an inhibitor
                                tive Dechallenge gewertet werden.                                                      of dietary fat absorption, on the absorption of vitamins A and E in
                                Zusammenfassend wurde in Anbetracht des zeitlichen                                     healthy volunteers. J Clin Pharmacol. 1996;36:647–53.
                                                                                                                   4   Filippatos TD, Derdemezis CS, Gazi IF, Nakou ES, Mikhailidis DP,
                                Zusammenhangs, des plausiblen pharmakodynami-                                          ­Elisaf MS. Orlistat-associated adverse effects and drug interac-
                                schen Mechanismus mit Vitamin-K-Mangel und feh-                                         tions: a critical review. Drug Saf. 2008;31:53–65.
                                                                                                                   5    McDuffie JR, Calis KA, Booth SL, Uwaifo GI, Yanovski JA. Effects of
                                lenden Hinweisen auf nichtmedikamentöse alterna-
                                                                                                                        orlistat on fat-soluble vitamins in obese adolescents.
                                tive     Ursachen,          jedoch       möglicher          mangelnder                  Pharmacotherapy. 2002;22:814–22.
                                (absoluter) Zufuhr von Vitamin K, die Kausalität zwi-                              6    Nagele H, Petersen B, Bonacker U, Rödiger W. Effect of orlistat on
Korrespondenz:                                                                                                          blood cyclosporin concentration in an obese heart transplant
PD Dr. med. Stefan Weiler,      schen der Anwendung von Orlistat und dem Auftreten                                      patient. Eur J Clin Pharmacol. 1999;55:667–9.
PhD, MHBA
                                der Blutungskomplikationen gemäss den Kriterien der                                7    Zhi J, Melia AT, Guerciolini R, Koss-Twardy SG, Passe SM, Rakhit A,
Regionales Pharmaco­                                                                                                    Sadowski JA. The effect of orlistat on the pharmacokinetics and
vigilance-Zentrum Zürich        Weltgesundheitsorganisation und des «Council for In-                                    pharmacodynamics of warfarin in healthy volunteers.
Klinik für Klinische Pharma-    ternational Organizations of Medical Sciences» (CI-                                     J Clin Pharmacol. 1996;36:659–66.
kologie & Toxikologie                                                                                              8    MacWalter RS, Fraser HW, Armstrong KM. Orlistat enhances
UniversitätsSpital Zürich       OMS) als möglich beurteilt.
                                                                                                                        warfarin effect. Ann Pharmacother. 2003;37:510–2.
und Universität Zürich                                                                                             9    Sassan Pazirandeh. Clinical symptoms of selected vitamin
Rämistrasse 100                 Disclosure statement                                                                    deficiencies. In: UpToDate. Alison G Hoppin (Ed), UpToDate,
CH-8091 Zürich                  Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen                     Waltham, MA. (Zugriff am 19.1.2018).
Stefan.Weiler[at]usz.ch         im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

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