BRAUCHT ES DIE ÖFFENTLICH-RECHT-LICHEN RUNDFUNKANSTALTEN NOCH?
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IM FOKUS /// Ausgefunkt BRAUCHT ES DIE ÖFFENTLICH-RECHT- LICHEN RUNDFUNKANSTALTEN NOCH? MARKUS KAISER /// Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern massiv in der Kritik. Anfang März 2018 kam es in der Schweiz sogar zu einem Volksentscheid, der das Ende öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens hätte bedeuten können. Doch die Wähler haben gegen die Abschaffung der Rundfunkabgaben gestimmt. Die Anstalten müssen sich in einer digitalen Medienwelt neu erfinden, wandern aber auf einem schmalen Grat. Ausgangslage Laut einer Anfang März veröffentlichten Funktionen die öffentlich-rechtlichen Umfrage des Meinungsforschungsinsti- Sender erfüllen und warum diese nach tuts Civey für die Funke Mediengruppe dem Ende des Zweiten Weltkriegs ge- gibt es auch in der deutschen Bevölke- gründet wurden. rung keine Mehrheit für die Abschaf- Umfragen können nicht herausfin- fung der öffentlich-rechtlichen Sender. den, woran die kritische Einstellung in 55 % lehnten diese ab, während 29 % der Bevölkerung an ARD, ZDF & Co. angaben, ARD und ZDF sollten „auf je- liegt, ob die jeweils Befragten mit dem den Fall“ abgeschafft werden. Vor allem Programm unzufrieden sind, ihnen der in Ostdeutschland werden die Sender in Rundfunkbeitrag zu hoch erscheint Frage gestellt.1 Die Ergebnisse bei derar- tigen Umfragen hängen naturgemäß sehr stark von der exakten Wortwahl der Frage und den potenziellen Ant- wortmöglichkeiten ab, weshalb voreili- Die Mehrheit der Deutschen ist ge Schlussfolgerungen und daraus ent- GEGEN eine Abschaffung des wickelte plakative Schlagzeilen mit Vor- öffentlich-rechtlichen Rundfunks. sicht zu genießen sind. Trotzdem zeigt sich, dass nicht mehr in der gesamten Bevölkerung verstanden wird, welche 40 POLITISCHE STUDIEN // 479/2018
Quelle: mauritius images / imageBROKER / Norbert Michalke Audio, Fernsehen und online vernetzt in der trimedialen Redaktion. Crossmedialität wird die Medienbranche revolutionieren. oder die von Verbänden oder Parteien von einer Fernsehanstalt geleistet wer- artikulierte Kritik am Rundfunksystem den könnte.“2 Laut einer Civey-Umfrage vom Bürger aufgegriffen wurde. Insbe- aus dem Jahr 2016 begrüßen diesen sondere die Alternative für Deutschland Vorschlag nur 38 % der Befragten.3 (AfD), aber auch Teile der CSU übten Die Kritiker sowie die Gründe und scharfe Kritik am derzeitigen Rund- die Argumente gegen den öffentlich- funksystem, ohne dieses allerdings rechtlichen Rundfunk sind höchst un- komplett in Frage zu stellen. Vor einem terschiedlich. Private Medienunterneh- knappen Jahr hatte z. B. der frühere men fürchten die Konkurrenz. Die Zei- bayerische Ministerpräsident und heuti- tungsverleger, deren gedruckte Auflagen ge Bundesinnenminister Horst Seehofer stetig sinken, sehen im digitalen Bereich gefordert, die ARD und das ZDF zu- einen Wettbewerber, der sich dank sammenzulegen: „Wir sind der Auffas- Rundfunkbeiträgen von 17,50 € pro sung, dass die Grundversorgung auch Haushalt und Monat nicht refinanzieren 479/2018 // POLITISCHE STUDIEN 41
IM FOKUS muss und im „Übermedium“ Internet Der raue Wind von Seiten der priva- inzwischen auch mit Textbeiträgen zu ten Medienunternehmen hat ausschließ- einer gleichartigen Konkurrenz gewor- lich wirtschaftliche Gründe. Der finan- den ist, während er sich bislang, abgese- zielle Druck scheint groß zu sein, denn hen vom Videotext, auf Audio und Be- schließlich gibt es mit Internetradios, wegtbild fokussiert hatte. Dieser Disput Spotify & Co. auch im privaten Segment gipfelte 2011 in der Klage von acht Zei- eine immer stärkere Konkurrenz. Die tungsverlagen gegen die Tagesschau- Vereinigung Bayerischer Rundfunkan- App der ARD, die zu „presseähnlich“ bieter (VBRA) hat beispielsweise im sei. Die Verlage hatten sich auf den Herbst 2017 eine Studie in Auftrag gege- Rundfunkstaatsvertrag der Länder be- ben, laut der der Umsatz des gesamten rufen, der es verbietet, presseähnliche privaten bayerischen Hörfunkmarktes digitale Angebote ohne Bezug zu einer bis zum Jahr 2022 um 40 bis 54 % sin- Sendung zu publizieren.4 Kritik von Sei- ken werde.6 Es scheint wahrscheinlich, ten der Verleger gab es erneut, als der dass damit Druck gegen den Bayeri- Bayerische Rundfunk seine BR24-App schen Rundfunk aufgebaut werden soll- veröffentlichte. te, um den Frequenztausch von BR Ein weiterer Aufschrei kommt von Klassik zu Puls zurückzunehmen, was Seiten der Privatradio-Anbieter, an de- letztlich auch geschah. Puls wird weiter- nen zum Großteil wiederum Tageszei- hin über das Digitalradio und im Inter- tungen Beteiligungen halten. Sie kriti- net ausgestrahlt. sieren, dass das Radioprogramm zu stark auf Hörerquote und vor allem das junge Publikum abziele. Deshalb gab es massive Beschwerden und Lobbyarbeit seitens der Privatradios, als der Bayeri- Die PRIVATEN Medien spüren sche Rundfunk (BR) ankündigte, der zunehmend finanziellen Druck. Jugendwelle Puls die UKW-Frequenz von BR Klassik zu überlassen. Letztlich bleibt nun doch alles beim Alten.5 Auch wird gefordert, dass die öffent- lich-rechtlichen Radiosender künftig auf Werbeeinnahmen verzichten bzw. ihre Gebühren auch für Privatsender? Werbezeiten stark reduzieren sollen. Als Im Fernsehbereich forderte ProSieben / Argument gegen einen vollständigen Sat1-Vorstand Conrad Albert einen An- Verzicht wird selbst von Seiten mancher teil von den Rundfunkbeiträgen für pri- Privatradios angeführt, dass Werbekun- vate Sender: „In dem Maße, in dem wir den dann auf andere Medien ausweichen die Grundversorgung vor allem in jun- könnten, da diese mit der Gattung Radio gen Segmenten de facto mit überneh- ihre Zielgruppen dann nicht mehr so gut men, finden wir es sachgerecht, dass erreichen würden wie bei einem Mix aus diese Inhalte aus öffentlichen Mitteln Werbung auf Privatradios und den öf- finanziert oder mitfinanziert werden.“7 fentlich-rechtlichen Sendern. Dadurch Die „öffentliche Förderung“, wie er die ist eine bessere Abdeckung an Reichwei- Rundfunkbeiträge nennt, dürfe sich te in der Bevölkerung garantiert. nicht mehr länger an der Institution fest- 42 POLITISCHE STUDIEN // 479/2018
machen, sondern am Inhalt. Diese Posi- keeper einer journalistischen Redaktion tion wird auch lautstark vom Präsiden- vorbei, der Meldungen nachrecher- ten der Bayerischen Landeszentrale für chiert, aussortiert, gewichtet und in den neue Medien, Siegfried Schneider, ver- Kontext mit anderen Aussagen und dem treten.8 Handeln der Politiker stellt. Die Motive der Politik sind viel- Die AfD hat daher im Februar 2018 schichtiger und teilweise undurchsichti- angekündigt, einen eigenen Newsroom ger als die der privaten Medienunter- im Schichtbetrieb, vor allem für soziale nehmen. Zum Teil lassen sie sich vor Netzwerke zu gründen.9 Deshalb ver- den Karren der privaten Medienunter- wundert es nicht, dass die AfD Ende nehmen spannen – schließlich sitzen Po- 2016 eine Kampagne startete, um den litiker auch in den Medienräten der Lan- Rundfunkbeitrag abzuschaffen. Die da- desmedienanstalten. Parteifreunde wie- malige AfD-Chefin Frauke Petry be- derum sitzen in den Rundfunkräten der gründete dies damit, dass sie breite plu- öffentlich-rechtlichen Anstalten. Zum ralistische Information getrennt vom Teil wird als nicht öffentlich kommuni- Kommentar und journalistische Unab- zierter Grund genannt, die harsche Kri- hängigkeit vermisse. Es gebe ein „Ver- tik liege in manchen Bundesländern am schweigen“ oder „Kleinreden“ einzelner „Rotfunk“, der nicht ausgewogen be- Ereignisse: „Ich erinnere nur an die Sil- richte, sondern verstärkt sozial-liberale vesterereignisse oder jetzt den Mord an Themen und Thesen aufgreife. Deshalb der Freiburger Studentin, bei dem die sei vor allem Unionspolitikern der öf- Tagesschau doch allen Ernstes behaup- fentlich-rechtliche Rundfunk ein Dorn tet, es handele sich um ein regionales im Auge. Ereignis.“10 Von Seiten der AfD dürfte die Kritik damit zusammenhängen, dass sie in ARD, ZDF und den dritten Program- men kein Sprachrohr sieht, das sie für ihre Zwecke nutzen kann, und den Ein- Öffentlich-rechtliche Sender druck hat, der öffentlich-rechtliche haben mehr denn je eine EXISTENZ- Rundfunk sei ihr gegenüber feindlich BERECHTIGUNG. eingestellt. Vor allem Parteien an den Rändern des Spektrums profitieren von Filterblasen in sozialen Medien dahin- gehend, dass User überwiegend nur noch in ihrer eigenen Einstellung be- stärkt werden, statt sich mit anderen Garant für seriöse Informationen Meinungen auseinanderzusetzen. Algo- Öffentlich-rechtliche Sender haben ge- rithmen sorgen dafür, dass bevorzugt nau aus diesem Grund aber mehr denn diese Beiträge angezeigt werden. Auf je eine Existenzberechtigung. Sie sollen Facebook, Twitter & Co. hat es die Par- in einer digitalen Medienwelt mit Fake tei deshalb selbst in der Hand, mit ihren News, Social Bots und einer Übermacht potenziellen Wählern in Kontakt zu tre- an Public Relations gegenüber dem ten. Die Politiker müssen dadurch mit Journalismus dafür sorgen, dass gründ- ihren Statements nicht mehr am Gate- lich recherchiert wird, Fakten eingeord- 479/2018 // POLITISCHE STUDIEN 43
IM FOKUS net werden und nicht Themen aufge- ihre eigenen Refinanzierungsangebote bauscht werden, um kommerzielle Ziele digitaler Medien sehen, weil die Kon- wie höhere Einschaltquoten oder eine kurrenz erdrückend erscheint. Nicht höhere Verkaufsauflage zu erreichen. nur bei der Entwicklung von Nachrich- Der Bayerische Rundfunk hat für ten-Apps wie der Tagesschau-, Heute- diese Aufgaben das spezialisierte Team oder BR24-App haben die öffentlich- BR Recherche gegründet und ein weite- rechtlichen Sender Maßstäbe gesetzt. rer Bereich kümmert sich um die Verifi- Vor allem dank des Westdeutschen kation von Fakten. Das ist aufgrund der Rundfunks (WDR) konnte sich in neuen Anforderungen und Recherche- Deutschland das Genre des Multimedia- methoden durchaus ein höchst digitales len Storytellings etablieren.11 Der WDR Feld. Naturgemäß gehört aber auch bei produzierte frühzeitig mit einer selbst jedem Reporter in jedem Ressort eine entwickelten Software namens Page- gründliche Recherche zu den wichtigs- flow12 so genannte Onepager, bei denen ten Aufgaben. Die Anforderungen an auf einer Seite eine Geschichte in Kombi- die Redaktionen sind aufgrund der Dy- nation verschiedenster Medien erzählt namik und Meldungen über soziale wird: Video für Emotion und Bewegung, Netzwerke, aber auch durch das Bild- Text für Analyse, Grafiken für Daten material auf YouTube massiv gestiegen. und Zahlen, und Audio für markante Neben überregionalen Qualitätsmedien Stimmen. Durch das geschickte Zusam- wie der Süddeutschen Zeitung, der menwirken lässt sich die jeweilige Stärke Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder eines Mediums nutzen, ohne dass es für der Zeit können hier fast nur noch die den Zuschauer monoton wird. öffentlich-rechtlichen Sender mithalten. Bei der Recherche und Verifizierung von potenziellen Nachrichten sind sie für den gesamten deutschen Journalismus unverzichtbar und in einer Vorreiterrol- Die Öffentlich-Rechtlichen leisten im le. Bei Rechercheverbünden wie dem digitalen Bereich PIONIERARBEIT. aus NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung unter der Leitung des früheren Spiegel-Chefredakteurs Georg Mascolo spielen die mit Beitragsgeldern finan- zierten Redaktionen eine nicht wegzu- denkende Rolle. Mit einer Geschichte über das Mu- sikfestival Haldern Pop mit dem Titel Vorreiter bei digitalen Angeboten „Pop aufm Dorf“ gewann der WDR Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkan- 2013 den Grimme Online Award.13 Die stalten sind in Deutschland in vielen Software wird seitdem von verschiede- Fällen auch bei digitalen Medienange- nen weiteren Medienhäusern und Un- boten Pioniere. Dies führt zu der para- ternehmen in deren Kommunikations- doxen Situation, dass private Medien- abteilungen eingesetzt. Der BR hat mit unternehmen zum einen von deren Ak- Linius14 eine ähnliche Software selbst tivitäten und Erfahrungen profitieren, entwickelt. Als erstes bekanntes Pro- zum anderen darin aber eine Gefahr für dukt dieses Genres, das aufgrund der 44 POLITISCHE STUDIEN // 479/2018
Navigation via Pfeiltaste auch Scrollytel- freudiger sein als private Medienunter- ling genannt wird, gilt Snow Fall von der nehmen, weil diese sich am Markt nicht New York Times aus dem Jahr 2012.15 von Lesern, Hörern und Zuschauern re- finanzieren müssen, sondern, bei aller Newsgames: Nachrichten beklagten Knappheit an Geld und spielerisch vermitteln Sparzwängen, dank der Beitragsgelder Wie bei den Multimedia-Stories gelten zuerst darauf schauen können, ein qua- WDR und BR auch bei der völlig neuen litativ hochwertiges und durchaus auch Darstellungsform Newsgames als Vor- neuartiges Angebot zu machen. reiter in Deutschland. Nachrichten wer- Der neue Jugendkanal Funk konnte den hierbei spielerisch vermittelt. An- deshalb darauf verzichten, ein linear ders als bei einem Computer- oder Vi- ausgestrahlter Sender zu werden, weil deospiel steht die Information im Mit- ARD und ZDF hier weder auf Werbe- telpunkt. In der Regel sind die Spiele einnahmen noch auf Bezahlmodelle wie recht einfach programmiert und über bei Premiere, Amazon Prime oder Net den Internet-Browser abrufbar.16 Relativ flix angewiesen sind. Stattdessen wer- frühzeitig für Medienunternehmen den die Inhalte lediglich in einer App wurde außerdem mit Chatbots experi- gebündelt. Ansonsten werden sie über mentiert. soziale Netzwerke wie YouTube, Face- Auch bei Virtual-Reality-Anwendun- book, Instagram oder Snapchat verteilt. gen wie z. B. eine historische Begehung Die journalistischen Beiträge und Serien des Kölner Doms vom WDR oder Videos werden dort publiziert, wo das junge mit einer 360-Grad-Kamera waren die Publikum sich bewegt. Auch Puls vom öffentlich-rechtlichen Sender weit vorne Bayerischen Rundfunk startete bei- dran, wenngleich bei immersiven Medi- spielsweise mit iam.serafina eine Daily en wie Augmented Reality, also der er- Soap auf Snapchat. Pro Folge erreichte weiterten Realität wie z. B. bei Pokémon die Serie nach Angaben des Senders Go, auch die Süddeutsche Zeitung früh- über 14.000 junge Zuschauer.17 zeitig Erfahrungen gesammelt hat. Das Prinzip Transmedia, also über- Die öffentlich-rechtlichen Sender all dort vertreten zu sein, wo die User spielen, was neue technische Umsetzun- bereits sind, hat der öffentlich-rechtliche gen betrifft, in einer digitalen Medien- Rundfunk in Modellprojekten relativ welt eine zunehmend bedeutendere Rol- frühzeitig getestet. 2012 produzierte der le. Ähnlich wie zahlreiche Zeitungs- BR rund um den Rundschau Nacht-Mo- und Zeitschriftenverlage haben auch sie derator Richard Gutjahr die Rundshow. ihre IT-Abteilungen hochgerüstet. Von Serviceeinheiten, die Redakteuren bei Computerproblemen helfen, sind diese zu Partnern von Redaktionen geworden, um neue Projekte zu programmieren. Die GESICHERTE Finanzierung er- Denn digitale Medien funktionieren nur möglicht den Öffentlich-Rechtlichen mit dem Dreiklang aus Redaktion, De- Spielraum zum Experimentieren. sign und Programmierung. Die öffentlich-rechtlichen Sender können hier zuweilen experimentier- 479/2018 // POLITISCHE STUDIEN 45
IM FOKUS Den ganzen Tag über wurde in einem on gewohnt, nur für das zu zahlen, was Blog, auf Twitter und Facebook über sie auch nutzen, z. B. Netflix, Spotify Themen diskutiert. Die Sendung am oder Amazon Prime. späten Abend war nur ein Baustein des Hier greift das Argument, dass auch transmedialen Projekts.18 Auch hier Infrastrukturmaßnahmen wie der Bau stand das Experimentieren im Mittel- von Straßen oder der Breitbandausbau punkt. Private Sender ließen sich aus ei- als öffentliche Aufgabe nicht nur von de- ner Kosten-Nutzen-Abwägung auf solch nen bezahlt wird, die es explizit nutzen, ein Format nicht ein. sondern von der Allgemeinheit, nicht. Nach der Logik, dass der Fokus Auf dem Dreiländer-Treffen der Initiati- nicht mehr auf einem linearen Vollpro- ve Qualität im Journalismus fand des- gramm liegen sollte, sondern besser ver- halb im Januar 2018 in Wien der Vor- schiedenste Ausspielkanäle zu nutzen schlag, statt eines Rundfunkbeitrags die sind, würde auch die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Sender aus allge- Spitzensports im Programm sinken. meinen Steuermitteln zu finanzieren, Schließlich wird derzeit bei den teuren durchaus Beifall. Das Prinzip der Staats- Lizenzrechten für Fußball damit argu- ferne sollte aber zwingend beibehalten, mentiert, dass der Sender durch ihn als wenn nicht sogar durch die Reduzie- eine Art Marketingaktivität gestärkt rung von Politikern in den Gremien ge- werde, auch indem er andere Pro- stärkt werden. gramminhalte stütze. Gegner kritisieren In der Schweiz war das Ziel der Bei- die hohen Kosten und die Fixierung auf tragsgegner, dass sich die Schweizeri- Quote statt Qualität. sche Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) künftig wie ein privates Unter- Jugendliche kritisieren die nehmen am Markt behaupten müsse. „Zwangsgebühr“ Dies hätte das Ende des öffentlich-recht- Im Vergleich zu herkömmlichen Forma- lichen Rundfunks bedeutet. Schließlich ten spielen die zuvor genannten innova- finanziert sich die SRG mit bis zu 75 % tiven digitalen Beispiele bei öffentlich- aus Beitragsgeldern. Deshalb ist bei der rechtlichen Sendern noch eine relativ SRG und auch bei anderen öffentlich- untergeordnete Rolle. Teilweise sind wie rechtlichen Anstalten in Europa die Er- bei der Tagesschau-App beschrieben die leichterung groß, dass über 70 % für die rechtlichen Hürden auch zu hoch. In Beibehaltung des Rundfunkbeitrags Österreich durfte der ORF bis vor kur- stimmten.19 Bis auf die populistische zem sogar nicht einmal eine eigene Face- book-Fanseite betreiben. Die Sender in Deutschland werden daher weiterhin mit ihren klassischen 20 Fernseh- und 60 Radioprogrammen identifiziert. Und JUGENDLICHE empfinden den diese werden vor allem von jüngeren Rundfunkbeitrag bei vorwiegend Zielgruppen weit unterdurchschnittlich geringer oder gar keiner Nutzung genutzt. Aus diesem Grund wird vor al- als Zwangsabgabe. lem in dieser Altersgruppe der Rund- funkbeitrag häufig als „Zwangsgebühr“ bezeichnet. Schließlich ist die Generati- 46 POLITISCHE STUDIEN // 479/2018
SVP hatten in der Schweiz die politi- die Journalisten unterstützen und aus- schen Parteien die No Billag-Initiative tauschen, um Ressourcen zu sparen. nicht unterstützt. Ein anderes Ergebnis Aufbereitet wird das Thema dann aber aus der Schweiz, so die Befürchtung, für jeden Ausspielkanal individuell. hätte auch in anderen Ländern eine noch größere Debatte losgetreten. In Deutschland wird darüber heftig debattiert. Die Ministerpräsidenten ha- ben eine Neufassung des Rundfunk- Die digitale Revolution treibt die staatsvertrags bereits auf der Tagesord- MEDIENSCHAFFENDEN an. nung und die Kommission zur Ermitt- lung des Finanzbedarfs der Rundfunk- anstalten (KEF) überlegt derzeit, wie hoch die Rundfunkgebühr künftig aus- fallen solle. Die Sender fordern mindes- tens einen Inflationsausgleich, einige Der trimediale Umbau, der auch an- Bundesländer plädieren für stagnieren- dere öffentlich-rechtliche Anstalten be- de Beiträge. Für diesen Fall hat die ARD trifft, wird vor allem von langjährigen mit ihren Landessendern bereits harte Mitarbeitern kritisch gesehen. Sie argu- Einschnitte ins Programm angekündigt. mentieren, dass die Vielfalt an Meinun- Kritiker monieren stattdessen, die Sen- gen und Berichten innerhalb einer An- der sollten in der Verwaltung und bei stalt darunter leiden könne. Oftmals Doppelstrukturen sparen. steckt allerdings dahinter Angst vor Auch die CSU-Medienkommission Neuerungen und Posten- bzw. Macht- unter der Leitung von Generalsekretär verlust. Noch bevor dieser Umbau ge- Markus Blume hat das Thema auf die schafft ist, stehen weitere Veränderun- Tagesordnung gesetzt, um den Bayeri- gen an. Das viel diskutierte Digitalradio schen Rundfunk dahingehend zu bewe- DAB+ ist dabei aber nicht das bedeu- gen. Dieser plant nun einen weitreichen- tendste Thema. Die digitale Revolution den Umbau: Fachredaktionen von Ra- insgesamt treibt die Medienschaffenden dio, Fernsehen und Online sollen in ei- an. Nur eines wird bei den öffentlich- nem neugebauten Sendezentrum in rechtlichen Sendern dabei wie auch für Freimann zusammengelegt werden. alle weiteren Medienhäuser in einer di- Bislang waren die Radiosender im gitalen Welt beständig sein: der stete Funkhaus nahe des Münchner Haupt- Wandel. /// bahnhofs und das Fernsehen wiederum in Freimann und in Unterföhring behei- matet. „BR hoch 3“ heißt das Konzept, das zu einer so genannten trimedialen Arbeitsweise führen soll. Aktuelle The- men sollen für alle Medien gemeinsam in einem Aktualitätenzentrum (News- room) wie aktuell bereits im Studio Franken in Nürnberg bearbeitet wer- den. So können sich bei der Recherche 479/2018 // POLITISCHE STUDIEN 47
IM FOKUS 5 https://www.br.de/unternehmen/inhalt/rundfunk rat/puls-br-klassik-kein-frequenztausch-ukw- dab-102.html, Stand: 8.3.2018. 6 http://www.radioszene.de/114330/privatradios- bayern-umsatz.html, Stand: 8.3.2018. 7 https://www.n-tv.de/wirtschaft/Prosieben-schielt- auf-die-Rundfunkgebuehr-article19916393.html, Stand: 8.3.2018. 8 http://www.computerbild.de/artikel/avf-News- Fernseher-GEZ-Rundfunkgebuehren-private- Sender-19230561.html, Stand: 8.3.2018. 9 https://www.welt.de/politik/article173372406/PR- Offensive-Af D -plant-Pressearbeit-mit-News room-und-Schichtbetrieb.html, Stand: 9.3.2018. /// P ROF. MARKUS KAISER 10 https://www.welt.de/politik/deutschland/article ist Politikwissenschaftler, Journalist, 160007138/Af D-will-Rundfunkbeitrag-ganz- schnell-abschaffen.html, Stand: 9.3.2018. Berater für den digitalen Wandel und 11 http://journalistikon.de/multimediales-storytelling, Professor für Medieninnovationen und Stand: 8.3.2018. 12 https://pageflow.io/de digitalen Journalismus an der Techni- 13 https://reportage.wdr.de/haldern-pop schen Hochschule Nürnberg. 14 http://linius-storytelling.de/wp/ 15 http://www.nytimes.com/projects/2012/snowfall/ index.html#/?part=tunnel-creek, Stand: 8.3.2018 16 L ai, Henry: Newsgames, in: Innovation in den Anmerkungen Medien, hrsg. von Markus Kaiser, München, 2. 1 https://www.waz.de/kultur/fernsehen/mehrheit- Aufl., 2015, S. 130-137. 17 http://www.br.de/presse/inhalt/pressemitteilungen/ der-deutschen-gegen-abschaffung-von-ard-und- zdf-id213602043.html, Stand: 7.3.2018. i-am-serafina-wird-fortgesetzt-100.html, Stand: 2 http://www.sueddeutsche.de/medien/oeffentlich- 9.3.2018. 18 https://www.br.de/unternehmen/inhalt/rundshow- rechtliches-fernsehen-seehofer-will-ard-und-zdf- zusammenlegen-1.3156611, Stand: 8.3.2018. gutjahr102.html, Stand: 9.3.2018. 3 https://civey.com/umfragen/ard-zdf, Stand: 7.3.2018. 19 h ttp://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ 4 h ttp://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ schweizer-stimmen-gegen-abschaffung-von-rund zeitungsverlage-sammelklage-gegen-die-tages- funkgebuehren-15477555.html, Stand: 9.3.2018. schau-app-1652045.html, Stand: 8.3.2018. Quelle: mauritius images / dieKleinert / Kostas Koufogiorgos 48 POLITISCHE STUDIEN // 479/2018
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