WAS IST BEI ANTIGENTESTS ZUR EIGENANWENDUNG (SELBSTTESTS) ZUM NACHWEIS VON SARS-COV-2 ZU BEACHTEN? - RKI

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Epidemiologisches Bulletin      8 | 2021       25. Februar 2021 (online vorab)                               3

  Was ist bei Antigentests zur Eigenanwendung (Selbsttests)
  zum Nachweis von SARS-CoV-2 zu beachten?

  Infektionen mit dem Severe Acute Respiratory Syn-          steht. Von der Bearbeitung der Proben (Extraktion
  drome Corona Virus 2 (SARS-CoV-2) einschließlich           des genetischen Materials, Vorbereitung der PCR-
  seiner durch Evolution entstehendenen Varianten            Reaktion) bis zur Auswertung der Ergebnisse verge-
  präsentieren sich mit einem breiten aber unspezifi-        hen mehrere Stunden. Bei hohem Probenaufkom-
  schen Symptomspektrum. Dieses reicht von asymp­            men und einem Mangel an Reagenzien oder Mate-
  tomatischen Verläufen oder sehr milden, vom Be-            rial kann sich die Bereitstellung der Ergebnisse ggf.
  troffenen kaum wahrgenommen Zeichen bis hin zu             entsprechend verzögern.
  schweren und schließlich tödlichen Verläufen.
                                                             Antigentests lassen sich mit deutlich weniger Auf-
  Die SARS-CoV-2-Diagnostik stellt eine tragende             wand und Infrastruktur durchführen und liefern
  Säule im Rahmen der Erkennung der Infektion, des           ein Ergebnis in kurzer Zeit, weisen allerdings eine
  Meldewesens und der Steuerung von Maßnahmen                geringere Sensitivität und Spezifität als PCR-Tests
  dar. Für den Nachweis einer akuten Infektion mit           auf, was zu einer höheren Anzahl falsch negativer
  SARS-CoV-2 stehen in Deutschland derzeit zwei un-          bzw. falsch positiver Testergebnisse führen kann.
  terschiedliche erstattungsfähige Testverfahren für         Falsch positive Ergebnisse können durch einen
  den direkten Erregernachweis zur Verfügung:                nachfolgenden PCR-Test erkannt werden. Die Ver-
  PCR-Methoden mittels Nukleinsäureamplifika­                gütung der Tests im Rahmen der SARS-CoV-2-Dia-
  tionstechnik (NAAT, z. B. reverse Transkriptase PCR        gnostik bzw. der Umsetzung der nationalen Testra-
  [RT-PCR]) und Antigentests. Diese Tests sind zur           tegie ist über den einheitlichen Bewertungsmaßstab
  Anwendung durch Fachpersonal vorgesehen (La-               (EBM) oder die Corona­virus-Testverordnung (TestV)
  bortests und sogenannte „Point-of-Care-“(POC-)             geregelt. Detaillierte Informationen zur Indikation
   Tests, die direkt vor Ort fachgerecht durchgeführt        und Durchführung geeigneter diagnostischer Tests
   werden können; siehe Nationale Teststrategie und          sowie zur Bewertung der Ergebnisse finden sich in
  die Coronavirus-Testverordnung). Für beide o. g.           den „Hinweisen zur Testung von Patienten auf In-
  Testverfahren wird das Untersuchungsmaterial aus           fektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-
  den oberen Atemwegen, etwa durch einen tiefen              CoV-2“.
  ­Nasen-Rachen-Abstrich gewonnen, da sich das ­Virus
   im Epithel der Atemwege vermehrt.
                                                             Prüfung und Eignung von Antigentests
                                                             Derzeit wird die Eignung von Antigentests für die
  Nachweis von SARS-CoV-2                                    Anwendung durch medizinische Laien im Rahmen
  mittels RT-PCR und Antigentests                            der CE-Kennzeichnung geprüft, bei denen Proben-
  Der Nachweis von SARS-CoV-2 mittels RT-PCR ist             nahme, Testung und Bewertung des Ergebnisses
  der Goldstandard und zeichnet sich durch eine sehr         durch Selbsttestung/Eigenanwendung, d. h. auch
  hohe Sensitivität und Spezifität aus. Allerdings sind      durch medizinische ­Laien, vorgesehen sind. Als
  bei hohem Probenaufkommen PCR-basierte Tests               In-vitro-Diagnostika ­unterliegen diese Tests dem
  eine begrenzte Ressource. Bei extensiver Anwen-            Medizinprodukte­gesetz, welches die europäische
  dung kommt es zu Lieferengpässen bei Testreagen-           Richtlinie über In-vitro-Diagnostika-Richtlinie
  zien oder Material wie Plastikwaren und Pipetten-          (IVDR) (98/79/EG) umsetzt. Danach müssen Tests
  spitzen, die auch andere diagnostische Fragestellun-       zur Eigenanwendung so hergestellt sein, dass das
  gen in der Bearbeitung betreffen können. Zudem             Medizinprodukt (inkl. Gebrauchsinformationen,
  wird für die Durchführung Fachpersonal benötigt,           Kennzeichnung etc.) hinsichtlich Sicherheit und
  welches nur in begrenztem Umfang zur Verfügung             Leistungsfähigkeit ausreichend gebrauchstauglich
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  Abb. 1 | Die Aussagekraft von Antigen-Schnelltests hängt von der Sensitivität und Spezifität des jeweiligen Tests sowie vom Anteil
  der Infizierten unter den getesteten Personen ab (Vortestwahrscheinlichkeit). Die Rechenbeispiele in Abbildung 1A und 1B
  illus­trieren, wie die Aussagekraft der Antigen-Schnelltests von der Spezifität der Tests abhängt. Weitere Rechenbeispiele können
  mit einer inter­aktiven Anwendung auf der Webseite des Robert Koch-Instituts (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/
  Neuartiges_Coronavirus/Infografik_Antigentest_Tab.html) berechnet werden. Im 1. Rechenbeispiel (A, s. Abb. oben) wird eine
  klinische Sensitivität von 60 % und eine klinische Spezifität von 97 % angenommen. Im Rechenbeispiel unten (B, s. Abb. unten)
  wird zum Vergleich eine höhere klinische Spezifität von 99 % angenommen. Zudem wird im Rechenbeispiel angenommen, dass
  0,22% der Getesteten tatsächlich infiziert sind, wenn bei einer 7-Tage-Inzidenz von 35 pro 100.000 ungezielt getestet wird und
  ca. 33% der Infizierten im Meldewesen erfasst werden. Die Anzahl der resultierenden positiven und negativen Testresultate und
  die resultierenden Vorhersagewerte werden anhand eines sogenannten Natürlichen Häufigkeitsbaums illustriert. Unter den oben
  genannten Annahmen liegt im 1. Beispiel (A, s. Abb. oben) der positive Vorhersagewert bei ca. 4,17 %. Der negative Vorhersage-
  wert liegt bei ca. 99,91 %. Im 2. Beispiel (B, s. Abb. unten) liegt der positive Vorhersagewert bei ca. 11,50 %. Der negative
  Vorhersagewert bleibt bei ca. 99,91 %.
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  zur Eigenanwendung durch Laien ist und die Ergeb-           telefonisch mit dem Hausarzt oder einem geeigne-
  nisqualität unter diesen Anwendungsbedingungen              ten Testzentrum in Verbindung setzt, der/das dann
  sichergestellt werden kann. Dies umfasst die ge-            eine PCR-Testung in die Wege leitet und ggf. Hin-
  samte Anwendung des Tests und schließt auch die             weise zum weiteren Vorgehen gibt.
  Berücksichtigung einer entsprechend gebrauchs-
  tauglichen bzw. zuverlässigen Probennahme und               Ein häufig nicht richtig verstandener Aspekt betrifft
  Ergebnisdarstellung ein. Für den Marktzugang ist            die Aussagekraft eines negativen Ergebnisses, nicht
  die Erfüllung dieser Vorgaben gegenüber einer be­           zuletzt mit der Erwartung, dass eine Person sich für
  nannten Stelle nachzuweisen. In Produkten, die er-          bestimmte Situationen, die mit engeren Kontakten
  folgreich durch eine benannte Stelle zertifiziert           einhergehen, „freitesten“ könnte: Ein negatives
  wurden, darf die vierstellige Prüfziffer der benann-        ­Testergebnis schließt eine SARS-CoV-2-Infektion
  ten Stelle in der Gebrauchsanweisung ausgewiesen             nicht aus! Auch bei korrekter Testdurchführung ist
  werden. In Europa können In-vitro-Diagnostika                es lediglich weniger wahrscheinlich zum Zeitpunkt
  ­alleinig unter Veröffentlichung von durch die Her-          der Testung kontagiös, d. h. für andere ansteckend
   steller selbst generierten Validierungsdaten vertrie-       zu sein. Weiterhin ist die Aussagekraft eines sol­
   ben werden; eine unabhängige Validierung muss               chen Testergebnisses zeitlich begrenzt! Es ist also
   hier nicht durchlaufen werden. Eine „Zulassung“             durchaus möglich, dass eine infizierte Person, die
   im ­engeren Sinne ist Medizinprodukte-rechtlich             ein negatives Antigentestergebnis erhält, bereits am
   nicht vorgesehen. Unabhängige Überprüfungen der             darauffolgenden Tag (bei gestiegener Viruslast im
   Herstellerangaben zur Test-Performance sollten bei          Nasen-Rachenraum) ein positives Ergebnis be-
   der Auswahl der Teste berücksichtigt werden (siehe          kommt. (Falsch) negative Testergebnisse dürfen da­
   ­https://diagnosticsglobalhealth.org und Foundation         her nicht als Sicherheit (etwa in der Form „Ich bin
    for Innovative Diagnostics (FINDDx); https://www.          nicht infiziert und kann daher auf Schutzmaßnah­
    finddx.org/sarscov2-eval-antigen/). Darüber hinaus         men verzichten“) verstanden werden. Es ist in
    ist die Qualität der Probennahme für ein korrektes         ­jedem Falle erforderlich, trotz eines negativen Anti­
    Testergebnis entscheidend. Es ist wichtig, dass             gentestergebnisses weiterhin die AHA+L-Regeln
    ­Untersuchungsmaterial aus Regionen des oberen              einzuhalten. Treten auch trotz eines negativen
     Respirationstraktes gewonnen wird, welche poten-           Antigentestergebnisses Symptome auf, die mit
                                                                ­
     ziell eine hohe Viruslast aufweisen. Dazu muss der         ­COVID-19 vereinbar sind, ist es erforderlich, Ärzt­
     Hersteller leicht verständliche Angaben machen.             Innen zur weiteren Klärung zwecks PCR-Testung
                                                                 zu kontaktieren.

  Aussagekraft positiver und negativer
  Ergebnisse von Antigentests                                 Chancen bei der Eigenanwendung von
  Gerade bei der Anwendung von Antigentests durch             Antigentests zum Nachweis einer akuten
  Laien ist es essenziell, dass der Anwender das Test­        Infektion mit SARS-CoV-2
  ergebnis richtig interpretieren und sachgerechte            Durch Antigentests zur Eigenanwendung kann eine
  Schlussfolgerungen daraus ziehen kann. Ein positi­          breite und schnelle Testung vieler Menschen erfol-
  ves Ergebnis mit einem geeigneten Antigentest               gen. Bei korrekter und zeitgerechter Durchführung
  stellt zunächst einen Verdacht auf eine                     des Tests kann ein schnelles eigenverantwortliches
  SARS-CoV-2-Infektion dar. Es ist jedoch noch keine          Ergreifen von Maßnahmen zu einer Verbesserung
  Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion. Die Diagno-            des Infektionsschutzes und zu einer Verlang­
  se wird erst durch den nachfolgenden RT-PCR-Test            samung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 führen.
  sowie die ärztliche Beurteilung gestellt. Bei einem         Vermehrtes Testen auch mittels Selbsttestung kann
  positiven Antigentestergebnis werden hohe Anfor-            durch die zeitnahe Erkennung von Infektionen, die
  derungen an das daraus resultierende selbstverant-          andernfalls unentdeckt geblieben wären, mehr und
  wortliche Handeln gestellt. Es ist erforderlich, dass       frühzeitigere Kontaktreduktionen durch häusliche
  sich die positiv getestete Person in Absonderung be-        Absonderung ermöglichen. Durch die Anwendung
  gibt (d. h. Kontakte konsequent reduziert) und sich         der Antigentests durch medizinische Laien könnte
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  das ansonsten dafür benötigte medizinische Perso-             Dieser Sachverhalt ist auch vielen medizinisch ge-
  nal teilweise entlastet werden. Des Weiteren bieten           schulten Personen nicht bekannt.1–3 Ob in Fachkrei-
  sie die Möglichkeit bei einem positiven Testergeb-            sen bekannt ist, dass die Herstellerangaben zur Sen-
  nis, noch vor der Bestätigung durch die PCR-Tes-              sitivität und Spezifität von Antigentests auf PCR-­
  tung und die darauffolgende Einleitung von Maß-               positiven Proben beruhen und zudem in der Praxis
  nahmen, erinnerliche Kontaktpersonen eigenver-                davon stark abweichen können, ist zustätzlich un-
  antwortlich frühzeitig zu warnen. Zu bedenken ist             klar. Sogenannte Natürliche Häufigkeitsbäume
  aber, dass ein korrektes Ergebnis stark von der re­           (s. Abb. 1A und 1B) können sowohl medizinisch ge-
  gelrechten Probengewinnung und Testdurchfüh­                  schulte wie auch ungeschulte Personen unterstüt-
  rung abhängt und in seiner Bedeutung von dem                  zen, den Zusammenhang zwischen Prävalenz (An-
  Betroffenen und seiner Umgebung verstanden wer­               teil der Infizierten unter den Getes­teten, Vortest-
  den muss. In Studien konnte gezeigt werden, dass              wahrscheinlichkeit), Sensitivität, Spezifität und posi-
  bei richtiger Anleitung, die Probenentnahme und               tivem und negativem Vorhersagewert zu verstehen.4
  daraus resultierende Antigentestergebnisse durch              Der positive Vorhersagewert beziffert die Wahr-
  Privatpersonen vergleichbar mit der Entnahme                  scheinlichkeit, dass eine Person infiziert ist, wenn
  durch medizinisches Personal war, was die Wich-               sie positiv getestet wurde. Der negative Vorhersage-
  tigkeit einer einfachen Darstellung der Anwendung             wert beziffert die Wahrscheinlichkeit, dass eine Per-
  durch Piktogramme von Seiten der Hersteller un-               son nicht infiziert ist, wenn sie negativ getestet wur-
  termauert.4,5                                                 de. Das folgende Rechenbeispiel illus­triert diesen
                                                                Zusammenhang. Weitere ­Rechenbeispiele können
                                                                mit einer interaktiven ­Anwendung auf der Webseite
  Risiken und Limitationen bei der                              des Robert Koch-­Instituts (https://www.rki.de/DE/
  Eigenanwendung von Antigentests                               Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Info-
  (Selbsttests) zum Nachweis einer                              grafik_Antigentest_Tab.html) berechnet werden. ­In
  akuten Infektion mit SARS-CoV-2                               unserem Rechenbeispiel wird angenommen, dass
  Die Nationale Teststrategie sieht ein zielgerichtetes         0,22 % der Getesteten tatsächlich infiziert sind,
  und anlassbezogenes Testen vor. In der Öffentlich-            wenn bei einer 7-Tage-Inzidenz von 35 pro 100.000
  keit wird eine umfangreiche, auch anlasslose Tes-             ungezielt getestet wird und ca. 33 % der Infizierten
  tung im Rahmen der Beherrschung der pandemi-                  im Meldewesen erfasst werden. Bei der Verwen-
  schen Situation viel diskutiert. Für eine bessere Be-         dung eines Antigentests mit einer klinischen Sensi-
  wertung ist die Kenntnis der Leistungsfähigkeit               tivität von 60 % bei asymptomatischen Personen
  und Aussagekraft dieser Antigentests von Bedeu-               und einer Spezifität von 97 % beträgt der negative
  tung. Auch sollten den Anwendern die Situationen,             Vorhersagewert des Antigentests ca. 99,91 %. Der
  in denen eine solche Testung zu einem sachgerech-             positive Vorhersagewert beträgt dann 4,17 %. Diese
  ten Verhalten beitragen kann, bekannt sein, z. B.             Werte hängen jedoch stark von weiteren ­Variablen
  frühzeitige Erkennung einer SARS-CoV-2-Infek­                 ab (Testzeitpunkt; Qualität der Probennahme; Qua-
  tion und nachfolgende Unterbrechung von Infek­                lität des verwendeten Tests).
  tionsketten. Ein äußerst wichtiger Punkt muss ver­
  standen werden: Diese Antigentests eignen sich                Bei positivem Ergebnis eines Antigentests zur Ei-
  nicht zur Anwendung bei Kontaktpersonen, um in                genanwendung besteht das Risiko, dass eine positiv
  ­eigener Verantwortung eine Quarantäne zu umge­               getestete Person keine Nachtestung durch Ärzt­
   hen oder zu verkürzen.                                       Innen oder ein geeignetes Testzentrum veranlasst.
                                                                In diesem Fall erfolgt keine Diagnose mit anschlie-
  Die Frage, wie wahrscheinlich eine Person mit ei-             ßender Meldung an die Gesundheitsbehörden. Da-
  nem positiven (oder negativen) Testergebnis tat-              durch können ggf. eine notwendige Behandlung
  sächlich (nicht) infiziert ist, lässt sich aus der Sensi-     oder Maßnahmen durch die Gesundheitsbehörden
  tivität und Spezifizät nur unter Berücksichtigung             nicht eingeleitet werden (Meldung, Isolation, Kon-
  des Anteils der tatsächlich Infizierten unter den Ge-         taktnachverfolgung, Quarantäne). Gemäß den Ver-
  testeten berechnen (Vortestwahrscheinlichkeit).               ordnungen einiger Bundesländer löst ein positives
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  Antigentestergebnis bereits die Verpflichtung zur           können in der Regel die Probenqualität nicht kon­
  häuslichen Absonderung aus. Ein positives Anti-             trollieren. Die Qualität der Probennahme ist jedoch
  gentestergebnis ohne sachkundige Erläuterung                für die Testung entscheidend. Ein fälschlicherweise
  oder nie­drigschwelliges Angebot zur Beratung (On-          negatives Testergebnis, welches durch nicht sachge-
  line, ­Telefon) und Nachtestung kann außerdem zu            rechte Abstrichentnahme oder Testdurchführung
  einer Fehleinschätzung des Betroffenen und damit            entstanden ist, birgt beispielsweise die Gefahr, dass
  zu ­einer erhöhten Verunsicherung führen.                   eine nichterkannte akut infizierte Person SARS-
                                                              CoV-2 weiter verbreitet, mit möglicherweise schwer­
  Aufgrund der geringeren Spezifität von Antigen-             wiegenden Konsequenzen. Durch eine breite und
  tests im Vergleich zur RT-PCR muss ein positives            den besonderen Umständen der Eigenanwendung
  Resultat eines Antigentests immer durch Methoden            Rechnung tragende Kommunikation und Informa­
  der NAAT (u. a. RT-PCR-Test) bestätigt werden.              tionsvermittlung kann ein wichtiger Beitrag geleis-
                                                              tet werden, diese Risiken zu minimieren. Die Infor-
  Eine breite Anwendung von Antigentests zur                  mationsvermittlung sollte nicht nur medizinisch
  ­Eigenanwendung in der Bevölkerung, die Anforde-            ungeschulte Personen erreichen, sondern auch
   rungen an die Spezifität nicht erfüllen, kann zudem        ­medizinisch geschultes Personal. Die Hersteller­
   dazu führen, dass es zu einem erhöhten Bedarf an            angaben zur Qualität der Tests beziehen sich auf die
   Bestätigungstests (NAAT-Methoden, u. a. RT-PCR)             Sensitivität und Spezifität der Tests. Daraus lassen
   und somit zur Bindung von Personalkapazitäten in            sich die positiven und negativen Vorhersagewerte
   Praxen und dem ÖGD sowie den Laboren kommt.                 der Tests nicht direkt ableiten.
   An Verständnis und Eigenverantwortlichkeit der
   Anwender werden daher sehr hohe Anforderungen              Grundsätzlich dürfen Produkte für den Nachweis
   gestellt. So kann zum Beispiel das sichere Ablesen         von SARS-CoV-2 nun entsprechend der Medizin-
   schwacher Testreak­tionen für medizinische Laien           produkte-Abgabeverordnung (MPAV) auch befristet
   schwierig sein. Ggf. könnte eine fotografische             an Laien abgegeben werden. Für diese Produkte
   ­Dokumentation der ­Testreaktion („Banden“), mit           muss allerdings ein Konformitätsbewertungs­
    anschließender professioneller Bewertung, oder die        verfahren gemäß IVDR 98/79/EG Anhang III Ab-
    Entwicklung entsprechender begleitender Apps hier         schnitt 6 durchgeführt worden sein. Einer der wich-
    hilfreich sein. Dies würde auch eine von der Ablese-      tigsten Unterschiede zwischen den Produkten für
    zeit unabhängige Verfügbarkeit des Ergebnisses            Laienanwender und professionelle Anwender ist
    ­ermöglichen.                                             hierbei, dass das Konformitätsbewertungsverfah-
                                                              ren, inklusive einer Gebrauchstauglichkeitsstudie
  Erfahrungen mit entsprechend geeigneten Antigen-            durch eine benannte Stelle geprüft wird. Neben
  tests liegen in Deutschland kaum vor. Eine niedrige         ­einer allgemeinen Übereinstimmung mit den An-
  Vortestwahrscheinlichkeit in der Allgemeinbevölke-           forderungen an eine Gebrauchsinformation, wie in
  rung (niedrige 7-Tage-Inzidenz) geht je nach Spezi-          der IVDR 98/79/EG Anhang I Absatz 3 und 8 defi-
  fität und Sensitivität des Tests in der praktischen          niert, muss in diesen Produkten eine eindeutige
  Anwendung mit einer höheren Anzahl falsch posi-              und an prominenter Stelle platzierte Zweckbestim-
  tiver Testergebnisse einher (siehe auch folgende             mung für die Laienanwendung und die vierstellige
  ­Infografik).                                                Prüfziffer der benannten Stelle zu finden sein. Für
                                                               die klinische Leistung der Produkte (Sensitivität
  Bei unsachgerechter Abstrichentnahme kann die                und Spezifität) gibt es keine Mindestanforderungen
  Aussagekraft des Testes limitiert sein. Dadurch,             in der Bewertung.
  dass Anwender die Probennahme und Testung
  selbstständig durchführen, kann die korrekte                Bei vollkommen freiem Zugang zu Antigentests zur
  Durchführung insbesondere der Probennahme und               Eigenanwendung besteht das Risiko, dass auf die
  der für eine möglichst zuverlässige Aussagekraft            Qualität der Tests (Sensitivität, Spezifität, Informa-
  richtige Untersuchungszeitpunkt nicht sicherge-             tionen in der Fachinformation, Angaben zur Ge-
  stellt werden. Selbsttestende medizinische Laien            brauchsanweisung) und auch auf die Lieferwege
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  und den Zugang zum Test (z. B. Kaufmöglichkeit in
  der Apotheke) kaum Einfluss genommen werden                 Faktenbox
  kann. Es könnte passieren, dass sich Testanwen­
                                                               Bereits das Erkennen von Symptomen, die mit
  dende aufgrund des auf sie einströmenden massi-
                                                                COVID-19 vereinbar sind, soll im Hinblick auf
  ven Angebots und der damit einhergehenden Wer-                die Eindämmung des Infektionsgeschehens zum
  bung nur schwer orientieren und somit qualitativ              Arztbesuch oder (bei sehr gering ausgeprägten
  hochwertige Tests nur schwer ausfindig machen                 Symptomen) zur eigenverantwortlichen häus­
  können. Hier werden Berichte zu den Erfahrungen               lichen Absonderung führen.
  der praktischen Umsetzung außerordentlich hilf-              Antigentests zur Anwendung vor Ort oder zur
  reich sein.                                                   Eigenanwendung erkennen nur eine sehr hohe
                                                                Viruslast in den oberen Atemwegen.
  Zusammengefasst sollte eine sachgerechte Infor-              Die Richtigkeit der Ergebnisse hängt von der
  mation die Anwender (medizinische Laien) dazu                 Verbreitung der Infektion in der Bevölkerung mit
  ­befähigen:                                                   SARS-CoV-2 zum Zeitpunkt des Antigentests ab.
   1) vor dem Testen zu verstehen, welchem Zweck               Ein positives Ergebnis im Antigentest löst
      der Test dienen kann (z. B. nicht zum „Frei­              zunächst einen Verdacht auf das Vorliegen einer
      testen“ mit Verzicht auf Schutzmaßnahmen,                 Infektion mit SARS-CoV-2 aus, soll ebenfalls zur
      nicht zur „Selbstdiagnose“, sondern zur Früh-             eigenverantwortlichen häuslichen Absonderung
      erkennung sonst nicht erkannter Infektionen),             führen und muss durch einen PCR-Test bestätigt
                                                                werden.
   2) qualitativ hochwertige Tests zu erkennen
      (z. B. auch Rücksprache mit der Apotheke),               Ein negatives Ergebnis im Antigentest hat nur
   3) die Probengewinnung sachgerecht durchzu­                  eine zeitlich begrenzte Aussagekraft („Gültigkeit“).
                                                                Es ist immer nur eine Momentaufnahme. Es darf
      führen,
                                                                nicht zu falscher Sicherheit und der Vernachläs­
   4) das Testergebnis sicher zu bewerten und
                                                                sigung von Schutzmaßnahmen führen.
   5) aufgrund des ermittelten Testergebnisses
                                                               Antigentests können eine sonst unerkannte
      informiert und verantwortungsvoll zu handeln.
                                                                Infektion am ehesten erkennen, wenn sie
                                                                – kurz vor Auftreten von Symptomen bzw.
  Für die entsprechende Kommunikation der ver-                  – in der frühen symptomatischen Phase einer
  schiedenen Aspekte eignen sich z. B. zu 1) einfache             Infektion durchgeführt werden. Die Sensitivität
  Checklisten, für 2) und 5) z. B. einfache Entschei-             ist deutlich geringer, wenn die Tests ungezielt
  dungsbäume sowie Informationen in der Apotheke,                 ohne Vorliegen von Symptomen und nur
  für 3) und 4) gute Infografiken und Filme sowie ggf.            sporadisch eingesetzt werden.
  eine zusätzliche Kurzzusammenfassung der Fakto-              Antigentests können bei serieller/regelmäßig
  ren, die die Interpretation des Testresultats beein-          wiederholter Anwendung Hygienekonzepte in
  flussen können (Testzeitpunkt, Probenqualität,                bestimmten Einrichtungen ergänzen, so z. B.
  ­aktuelle Verbreitung des Virus, Temperatur, bei der          – in Heimen für die Betreuung älterer Menschen
                                                                – beim Personal von Praxen und Kranken­häusern
   der Test durchgeführt wird, etc.).
                                                                – in Schulen und Kindertagesstätten
                                                                – in betrieblichen Kontexten
                                                               Der Einsatz von Antigentests zur Eigenanwen-
  Fazit
                                                                dung sollte im Hinblick auf korrekte Anwendung
  Bei dem Einsatz von Antigentests zur Anwendung
                                                                und Beurteilung des Ergebnisses sowie den damit
  durch Laien als ergänzende Maßnahme für die Ein-              zu erzielenden Zusatznutzen für die Prävention
  dämmung der Pandemie bestehen neben Chancen                   wissenschaftlich begleitet werden. So hat zum
  der niederschwelligen Erkennung sonst nicht er-               Beispiel das Forschungsnetzwerk B-FAST sich mit
  kannter Fälle und der Förderung eigenverantwort­              derartigen Fragestellungen bereits beschäftigt und
  lichen Handelns relevante Risiken (z. B. Nicht-­              Expertisen erstellt.
  Einleiten notwendiger Schritte nach positivem Test,          Die Einhaltung von Hygieneregeln und die
  Erhöhung des Bedarfs an PCR-Bestätigungstests bei             Impfung sind der beste Schutz vor COVID-19.
  geringer Spezifität der zur Anwendung kommen-
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  den Tests, fehlerhafte Anwendung, Vermittlung                    nisses die Einleitung entsprechender nachfolgender
  ­einer Scheinsicherheit). Derzeit wird ein zusätz­               Maßnahmen sichergestellt ist. Dies könnte z. B. ein
   licher Nutzen von Antigentests insbesondere bei ei-             durch BetriebsärztInnen geschulter Einsatz von
   nem gezielten und wiederholten Einsatz in be-                   Selbstanwendertests bei LehrerInnen oder anderen
   stimmten Bevölkerungsgruppen und dies unter fol-                Berufsgruppen mit umfangreichen Personenkon-
   genden Voraussetzungen gesehen: (i) wenn der Ein-               takten in systemrelevanten Bereichen sein.
   satz der Antigentests zur Eigenanwendung intensiv
   durch leicht zugängliche und jederzeit verfügbare               Wesentliche Aspekte sind in der Faktenbox zusam-
   Beratungs- und Informationsangebote begleitet                   mengefasst.
   wird und (ii) wenn im Falle eines positiven Testergeb­

  Literatur
                                                                   a) 
  1    Keller N, Jenny MA: How to Determine When                         RKI, Abt. 3 Infektionsepidemiologie
                                                                   b)
       SARS-CoV-2 Antibody Testing Is or Is Not Useful                   RKI, Abt. 1 Infektionskrankheiten, FG 15 Virale
       for Population Screening: A Tutorial. https://doi.                Gastroenteritis- und Hepatitiserreger und Enteroviren
                                                                   c)
       org/10.1177/2381468320963068.                                     RKI, Abt. 1 Infektionskrankheiten, FG 17 Influenza­
  2 Jenny MA, Keller N, Gigerenzer G: Assessing
                                                                         viren und weitere Viren des Respirationstraktes
                                                                   d)
       minimal medical statistical literacy using the Quick              RKI, ZBS 1 Hochpathogene Viren
                                                                   e)
       Risk Test: a prospective observational study in                   RKI, P1 Wissenschaftskommunikation
                                                                   f )
                                                                         RKI
       Germany. https://doi.org/10.1136/bm-                        g)
                                                                         RKI, Abt. 3 Infektionsepidemiologie,
       jopen-2017-020847.
                                                                         FG 32 Surveillance
  3 Lein, Ines, et al.: SARS-CoV-2: Testergebnisse                 h)
                                                                         RKI, Abt. 3 Infektionsepidemiologie,
       richtig einordnen. Deutsches Ärzteblatt 117.47                    FG 36 Respiratorisch übertragbare Erkrankungen
       (2020): A-2304.                                             i)
                                                                         RKI, Abt. 3 Infektionsepidemiologie,
  4 McDowell, Jacobs: Meta-analysis of the effect of                     FG 37 Nosokomiale Infektionen, Surveillance von
       natural frequencies on Bayesian reasoning. https://               Antibiotikaresistenz und -verbrauch
       doi.org/10.1037/bul0000126                                  j)
                                                                         RKI, Abt. 1 Infektionskrankheiten
  5 Hoehl et al.: At-home self-testing of teachers with a
                                                                   Korrespondenz: MielkeM@rki.de
       SARS-CoV-2 rapid antigen test to reduce potential
       transmissions in schools. https://doi.
       org/10.1101/2020.12.04.20243410                             Vorgeschlagene Zitierweise
  6 Lindner et al.: Head-to-head comparison of                     Seifried J, Böttcher S, Oh DY, Michel J, Nitsche A,
       SARS-CoV-2 antigen detecting rapid test with self-          Jenny MA, Wieler LH, Antão E-M, Jung-Sendzik T,
       collected anterior nasal swab versus profeccional           Dürrwald R, Diercke M, Haas W, Abu Sin M,
       collected nasopharyngeal swab. https://doi.                 Eckmanns T, Hamouda O, Mielke M: Was ist bei
       org/10.1101/2020.10.26.20219600                             Antigentests zur Eigenanwendung (Selbsttests) zum
                                                                   Nachweis von SARS-CoV-2 zu beachten?

  Autorinnen und Autoren                                           Epid Bull 2021;8:3-9 | DOI 10.25646/8040
  a)                     b)
     Dr. Janna Seifried | Dr. Sindy Böttcher |                     (Dieser Artikel ist online vorab am 22. Februar 2021
  c)
     Dr. Djin-Ye Oh | d) Dr.-Ing. Janine Michel |                  erschienen.)
  d)
     Prof. Dr. Andreas Nitsche | e) Dr. Mirjam A. Jenny |
  f)
     Prof. Dr. Lothar H. Wieler | e) Dr. Esther-Maria Antão |
  a)
     Dr. Tanja Jung-Sendzik | c) Dr. Ralf Dürrwald |               Interessenkonflikt
  g)
     Michaela Diercke | h) Prof. Dr. Walter Haas |                 Die Autorinnen und Autoren erklären, dass kein
  i)
     Dr. Muna Abu Sin | i) Dr. Tim Eckmanns |                      Interes­senkonflikt ­besteht.
  a)
     Dr. Osamah Hamouda | j) Prof. Dr. Martin Mielke
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