Katharina Pietsch Ridley Scotts Blade Runner (1982) - an der Ruhr-Universität Bochum
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1 Katharina Pietsch Ridley Scotts Blade Runner (1982) I. ... become like one of us Then the LORD God said, “Behold, the man has become like one of us, knowing good and evil; and now, lest he put forth his hand and take also of the tree of life, and eat, and live for ever”– therefore the LORD God sent him forth from the garden of Eden, to till the ground from which he was taken. He drove out the man; and at the east of the garden of Eden he placed the cherubim, and a flaming sword which turned every way, to guard the way to the tree of life. (Gen 3.22-24) Die Genesis-Geschichte erzählt vom Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer, von der Be- ziehung Gottes zu seinem Geschöpf und der Suche des Geschöpfes nach einer eigenen, selbst- gemachten Bestimmung. Ridley Scotts Blade Runner1 spielt in einer Zeit, in der der Mensch sich längst daran gewöhnt hat, dass Gott tot ist und sich längst selbst als Schöpfer etabliert hat, wie Nietzsche es in seinem Aphorismus vom ‘tollen Menschen’ ankündigt: „Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet, – ihr und ich! [...] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mör- der aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, – wer wischt diess Blut von uns ab? [...] Ist nicht die Grösse diesser That zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?”2 Die größte Tat für den Menschen als Schöpfer, der danach strebt, sich eines Gottes würdig zu erweisen, ist folgerichtig die Erschaffung eines menschenähnlichen Geschöpfes3 : Des Androi- 1 Blade Runner (USA 1982, Regie: Ridley Scott). Der Film spielt im Jahre 2019 in einem düsteren Los Angeles; die Tiere sind im wesentlichen ausgerottet, und die Menschen haben begonnen, die umliegenden Planeten zu besiedeln – u. a. auch ermöglicht durch die Sklavenarbeit der sogenannten ,Replikanten’. 1991 erschien die Director's-Cut-Fassung des Films, die sich vor allem durch die fehlenden Off-Kommentare und ein gekürztes Ende von der Kinofassung unter- scheidet. Die literarische Vorlage für den Film bildet PHILIP K. DICK, Do Androids Dream of Electric Sheep, New York 1982. Das Buch ist zwar thematisch eng mit dem Film verwandt, in Story und Handlung weicht dieser aber in weiten Teilen deutlich vom Buch ab. Weiterführende Texte aus dem Internet: More Than Human: Blade Runner's Human/Replicant-Debate by Patrick Deese. http://www.popsubculture.com/pop/bio_project/sub/more_than_human.html (12.01.05) Picturing the Human (Body and Soul): A Reading of Blade Runner by Dr Stephen Mulhall http://www.brmovie.com/Analysis/Picturing_the_Human.htm (12.01.05) Blade Runner, Postmodernism, and the Owl of Minerva by Jay Clayton http://www.vanderbilt.edu/AnS/english/Clayton/jc-web-BladeRunner.htm (12.01.05) Character Analysis: Roy Batty by RoyBoy http://www.brmovie.com/Analysis/Batty_analysis.htm (12.01.05) How the concept of the cyborg has changed human self-perception by Chris Thorp http://www.brmovie.com/Analysis/Concept_of_the_Cyborg.htm (12.01.05) The Replicant Option by Detonator http://www.brmovie.com/Analysis/D-a-R_by_D.htm (12.01.05) Finding the Cyborg: Blade Runner by Hannah Kuhlmann http://girl_type.tripod.com/papers/bladerunner.html (12.01.05) Blade Runner Analysis (Links zu verschiedenen Essays über den Film) http://www.brmovie.com/Analysis/index.htm (12.01.05) Blade Runner Screenplay by Hampton Fancher and David Peoples February 23, 19811 http://www.brmovie.com/Downloads/Docs/BR_Script_1981.txt (12.01.05) 2 FRIEDRICH NIETZSCHE, Die fröhliche Wissenschaft, Drittes Buch, Aphorismus 125: Der tolle Mensch. 3 Eine verwandte Thematik expliziert der Film Gattaca, in dem es um die genetische Verbesserung des Menschen durch den Menschen geht. Dort werden auf ‘natürlichem Weg’ Geborene mit einer mehr oder weniger defizitären
2 den, der künstlichen Intelligenz, des Cyborg oder – bei Scott – des Replikanten (als Begriff für eine perfekte, perfektionierte Kopie des Menschen). Im Jahre 2019 der Filmhandlung ist es den genetischen Konstrukteuren gelungen, die höchste Form künstlichen Lebens zu erschaffen: Wesen, die stärker und beweglicher als Menschen und mindestens ebenso intelligent sind wie ihre Geningenieure. ReplikantInnen sind aus Fleisch und Blut, und sie ähneln Menschen so sehr, dass sie nur durch eine hochspezialisierte Diagnostik von diesen zu unterscheiden sind: Dem ,Voight-Kampff-Test’, der unbewusste emotionale, insbeson- dere empathische Reaktionen misst. Die ReplikantInnen werden auf der Erde von der Tyrell-Corporation hergestellt und auf den Ko- lonien im All als Sklaven eingesetzt; die Rückkehr auf die Erde ist ihnen bei Todesstrafe verbo- ten. Dennoch wagt eine Gruppe von 5 ReplikantInnen der hochent-wickelten Nexus-6- Generation die Rückkehr mit einer gekaperten Raumfähre, um in der Tyrell-Corporation ein Mit- tel gegen den baldigen Ablauf ihrer Lebenszeit zu suchen. Denn “die Ingenieure meinten, dass sie nach ein paar Jahren emotionale Reaktionen entwickeln, deshalb haben sie ihnen eine Siche- rung eingebaut: 4 Jahre Lebenserwartung”. Auf die ReplikantInnen wird Rick Deckard, ein so- genannter ‘Blade Runner’4 , angesetzt, ein spezialisierter Replikanten-Jäger, dessen Aufgabe es ist, diese ‘in den Ruhestand zu versetzen’ (engl. retirement), also zu töten. Das thematische Zentrum der folgenden Handlung ist die Frage nach dem Unterschied zwischen Menschen und ReplikantInnen. Dabei steht gar nicht so sehr die eigentliche Frage ‘Was genau ist der Unterschied’ im Vordergrund, sondern vielmehr: Wie kann dieser sichergestellt werden? Diese Formulierung deutet schon an, dass es hierbei nicht so sehr um Wissen, sondern vielmehr um Macht geht. Es geht um die Macht des Menschen, seine Definitionshoheit über seine Schöp- fung und sich selbst zu bewahren. Die grundlegende Frage ,Was ist der Mensch?’ erklärt der Film für hinfällig. Der Film stellt nicht die Frage, was der Mensch ist, sondern in erster Linie stellt er den Menschen in Frage. Er zeigt, dass eine Selbstdefinition über das Andere vermittelt ist, und dass Wirkmächtigkeit der Definition nicht ihre ,tatsächliche’ Richtigkeit und Adäquanz ist, sondern allein die Macht, diese durchzusetzen. Nicht der Inhalt der Definition ist konstituierend für ihren Gegenstand, sondern die Fähigkeit desselben, seine Definitionsmacht zu wahren und durchzusetzen. Die klassischen Selbstdefinitionen des Menschen greifen angesichts der ReplikantInnen nicht mehr. Auch diese sind aus Fleisch und Blut, sie besitzen Rationalität, Emotionen, Bewusstsein und Selbstreflexivität. „Ich denke, also bin ich” sagt die Replikantin Pris zu dem genetischen Ingenieur J. F. Sebastian, bei dem sie sich einquartiert hat. Sie zitiert Descartes' berühmtes Cogi- to ergo sum und nimmt damit die unhintergehbare Gewissheit des eigenen ,ich denke’, die Selbstgewissheit des reflexiven Bewusstseins für sich in Anspruch. Selbst jener Unterschied, den der Voight-Kampff-Test bis dato erfolgreich misst, nämlich die Empathie, wird fragwürdig. Deckard soll zu Beginn des Films den Voight-Kampff-Test zunächst an einem Nexus-6-Modell der Tyrell-Corporation testen, um dessen Tauglichkeit an dieser hoch- entwickeltsten Form von ReplikantInnen zu erweisen. Eldon Tyrell gibt vor, mit seiner Ange- stellten Rachel Deckard zunächst ein Negativ testen zu lassen. In Wirklichkeit ist Rachel jedoch eine Replikantin, ohne dies selbst zu wissen. Denn ihre Erinnerungen sind lediglich implantiert – an ihr will man testen, wie sich eine solche künstliche Vergangenheit auf die Entwicklung von genetischen Ausstattung als “Gotteskinder” bezeichnet – auch hier ist also die Vorstellung von der Absetzung Go t- tes als Schöpfer inhärent. 4 Ursprünglich stammt der Begriff ‘Blade Runner’ vom Titel einer Geschichte von Alan E. Nourse, ohne allerdings damit auch inhaltliche Parallelen zu transportieren. In der Welt des Films scheint ‘Blade Runner’ zunächst ein reiner Codename ohne echte Bedeutung zu sein, der die Bezeichnung ‘bounty hunter’ aus der Buchvorlage von Philip K. Dick ersetzt. In bezug auf die Thematik der Unsicherheit der Unterscheidung von Menschen und ReplikantInnen kann man ‘Blade Runner’ übersetzen als jemanden, der auf des Messers Schneide wandelt. Ebenfalls interessant ist die inhaltliche und sprachliche Parallele zwischen dem ‘Blade Runner’ und den biblischen Cherubim mit dem flammenden Schwert.
3 Emotionen der ReplikantInnen auswirkt. Deckard führt den Test zwar letztlich mit Erfolg durch, d.h. er erweist Rachael als Replikantin, aber er braucht dafür fast fünfmal so viele Fragen wie im Normalfall. Es ist also damit zu rechnen, dass diese Diagnose immer schwieriger wird, auf je mehr Erfahrungen ReplikantInnen zurückgreifen können. Viel entscheidender als das Problem der Praktikabilität dieses Testes ist jedoch, dass die diag- nostizierbaren Unterschiede nicht in eine sinnvolle Beschreibung umgesetzt werden können und damit in der Frage der Definition bedeutungslos bleiben. Der Voight-Kampff-Test diagnostiziert ReplikantInnen, aber er unterscheidet sie nicht.5 Menschen müsste man nach dem Ergebnis des Testes als die Spezies definieren, die eine bestimmte unkontrollierbare vegetative Reaktion zeigt – eine Reaktion zudem, die dem Menschen selbst ohne Maschinen gar nicht zugänglich ist. Ver- halten und erst recht Handeln werden damit überhaupt noch nicht erfasst.6 Das macht den Unter- schied nutzlos für eine wie auch immer geartete selbstreflexive Definition von Menschsein.7 Der Unterschied ist damit bedeutungslos, nichtig.8 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein kurzer Blick auf die Frage, ob der Blade Run- ner Rick Deckard selbst ein Replikant ist. Es gibt einige versteckte Hinweise, die das nahe legen, aber eindeutig geklärt wird die Frage durch den Film nicht, was immer wieder Diskussionen an- gestoßen hat. Dabei muss man jedoch bedenken: Wer die Frage stellt, ob Deckard ein Replikant oder humanes Wesen, eine Maschine oder ein Mensch ist, muss überzeugt sein, dass dies ein Unterschied ist, der einen Unterschied macht.9 Hier ist die Stellungnahme des Filmes eindeutig, denn dieser selbst interessiert sich nicht für die Frage.10 II. ... to guard the way to the tree of life Rachael: „... I'm not alive.” Deckard: „Legally you're not. But really you are. Biologically.”11 Isidore: „The government never kills anyone, for any crime.” Pris: „But ... if you're not human, then it's all different.” Isidore: „That's not true. Even animals – even eels and gophers and snakes and spiders – are sacred.” Pris: „So it can't be, can it? As you say, even animals are protected by law. All life. Everything organic that wriggles or squirms or burrows or flies or swarms or lay eggs or—”12 5 INGRID SCHARLAU: Blade Runner: Menschsein angesichts der Maschine (unveröffentlichter Vortrag). 6 „Nicht ganz sicher kann man dabei sein, ob es überhaupt noch um das Verhalten der Verfolgten geht – oder um ihr Sein.” RAIMAR ZONS, American Paranoia. Bladerunner/Matrix, in: Thomas Macho/Annette Wunschel: Science & Fiction. Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur, Frankfurt a.M. 2004, 329-348, 338. 7 Hier wird auch noch einmal deutlich, was das spezifisch Philosophische des Films ist: Dieser nimmt erst, dass der Mensch ein Wesen ist, das sich zu seiner eigenen biologischen Existenz immer in ein Verhältnis setzt und damit eine Definition des Menschen anhand dieser biologischen Existenz ihm niemals gerecht werden kann. Hinzuzufügen ist, dass natürlich auch ReplikantInnen Wesen sind, die sich zu ihrer eigenen biologischen Existenz immer in ein Verhältnis setzen. 8 Dies deutet der Name des Diagnoseinstrumentes selbst schon an, denn ,Voight-Kampff’ kann auch gehört werden als ein ,void Kampf’ – als ein leerer, sinnloser Kampf, eine nichtige Anstrengung. (Vgl. I. SCHARLAU, Blade Run- ner, a.a.O.) 9 I. SCHARLAU, Blade Runner, a.a.O. 10 Nimmt man eine weitere Ebene in den Blick, lösen sich die Unterschiede gänzlich auf: Denn im Film als Film werden die ReplikantInnen von menschlichen SchauspielerInnen verkörpert. Die ReplikantInnen des Films sind damit vollends Wesen, die Menschen sein können. 11 PH. K. DICK, Do Androids Dream…, a.a.O., S. 173. 12 Ebd., S. 141.
4 Mit dem Thema der Unsicherheit oder gar Ende der Unterscheidung ist Blade Runner als Dis- kurs über das Eigene und das Andere zu verstehen. Wie kann eine Abgrenzung zum Anderen gesichert werden, wenn die Unterschiede unkenntlich geworden sind? Raimar Zons zieht hier als Vergleich die antisemitische Paranoia im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts heran: „Erst [...] als sie nicht mehr durch äußere Anzeichen als Juden identifiziert werden konn- ten, entstanden zunächst unter den Romantikern und nationalen Philosophen Wahnvor- stellungen von der Unterwanderung des deutschen Geistes, der Familie und der Nation, auf die sie mit Denunziation, künstlichen Kennzeichnungen, Aussonderung und Vernich- tungswünschen antworteten.”13 Dieser insbesondere die 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts prägende elementare Unter- schied ist ebenso wie der elementare Unterschied zwischen Menschen und ReplikantInnen des Films als ideologische Fabrikation, das macht der Film immer wieder deutlich. So konstatiert Deckard beispielsweise nach der Tötung der Replikantin Zhora: „Es war nichts weiter als die Versetzung eines Replikanten in den Ruhestand. Das machte es mir aber nicht einfacher, einer Frau in den Rücken geschossen zu haben.” Selbst der Blade Runner, dessen Job darin besteht, eine klare Unterscheidung zwischen Menschen und ReplikantInnen zu treffen, kommt nicht um- hin, Zhora als „Frau” zu identifizieren und ihr damit Menschsein zuzusprechen.14 Gerade als ideologisch gezogene Unterscheidung haben aber beide Fälle besonders mörderische Konsequenzen. Rachael ist die einzige Replikantin, die den Film überlebt. Roy Batty, der Anfüh- rer der rebellischen ReplikantInnen stirbt, weil seine künstlich begrenzte Lebenszeit abgelaufen ist, die anderen werden gewaltsam liquidiert. Rachael ist aber auch die einzige Replikantin, die keinen Kampf um „mehr Leben” führt. Der Wunsch und die Motivationen der ReplikantInnen des Films sind nicht ihre. Sie ist außerdem (möglicherweise neben Deckard) die einzige Replikantin, die einen anderen Replikanten tötet; sie erschießt Leon, als dieser Deckard umzubringen droht. Quasi humanisiert durch diesen Mord darf sie – ebenso wie Deckard – den Film ,lebend’ verlassen.15 Das Drama, das der Film erzählt, ist aber auch zu lesen als eine Wiederholung der eingangs zi- tierten Genesis-Geschichte. Die Geschöpfe, nach dem Bilde ihrer SchöpferInnen gemacht, haben vom Baum der Erkenntnis gegessen, sie besitzen Intelligenz, Emotionen und Urteilsvermögen, sie sind geworden wie ihre SchöpferInnen, und nun trachten sie danach, auch noch vom Baum des Lebens zu essen. Um dies zu verhindern, haben die SchöpferInnen die Geschöpfe verbannt und lassen den Zugang zum Baum des Lebens von den Blade Runners bewachen, den Cherubim mit flammenden Schwertern.16 Neben der Frage nach der Sicherung der Abgrenzung vom Anderen stellt sich also zugleich die Frage: Wie kann der Schöpfer die Kontrolle über sein Geschöpf behalten, nachdem es ihm allzu ähnlich geworden ist? Die Verbannung des Geschöpfes ist Ausdruck der Angst des Schöpfers, von ihm verdrängt zu werden, überflüssig zu werden. Andererseits ist das Geschöpf aber auch Ausdruck der eigenen Genialität, denn es erfordert großes Genie, etwas zu schaffen, was das eigene Genie übersteigt. Eldon Tyrell bleibt bis zu seinem eigenen Tod durch die Hände Roy Battys stolz auf sein Ge- 13 R. ZONS, American Paranoia, a.a.O., S. 336. 14 Auch wenn hier natürlich noch mehr mitschwingt: Eine Frau als Frau ist niemals einfach nur Mensch, sie ist im- mer auch und meist sogar in erster Linie vergeschlechtlichter und damit auch objektivierter Mensch. Nicht ihr Menschsein ist das, was sie zuallererst ausmacht, sondern ihr Frau-Sein, ihre vom Mann her bestimmte Geschlecht- lichkeit. 15 I. SCHARLAU, Blade Runner, a.a.O. 16 Die New Oxford Annotated Bible bezeichnet die Cherubim im Kommentar als „guardians of sacred areas”. „The flaming sword was placed near the cherubim to remind banished man of the impossibility of overstepping his crea- turely bounds.”
5 schöpf, er sagt zu Roy: „You are made as well as we could make you. ... The light that burns twice as bright burns half as long. And you have burned so very, very brightly, Roy. ... The best of all possible replicants. We're proud of our prodigal son ... glad you've returned. You're quite a prize.” Das Schöpferbegehren des Menschen ist immer zwiespältig: Es will sein Genie, seine Schöpfer- macht beweisen: „Because you're so different. ... You're so perfect!” sagt der genetische Kon- strukteur J. F. Sebastian zu Pris und Roy. Die Herstellung der Nexus-6-Generation wird damit deutlich gekennzeichnet als die Verfolgung des Zieles der Perfektion des Menschen. Aber der Mensch fürchtet diesen Beweis seines Genies auch. Dass ein Wesen, das seinem Schöpfer ähn- lich genug ist, um ihm ein würdiges Gegenüber zu sein, nur zu bald seinen eigenen Kopf entwi- ckelt, hat schon der Schöpfergott der Genesis-Geschichte erfahren. Neben der Verbannung der Geschöpfe von ,ihrem’ eigenen Planeten auf die Außenkolonien ver- fügen die SchöpferInnen im Film über zwei Möglichkeiten der Kontrolle: Sie beschränken die Lebensspanne ihrer Geschöpfe, und sie betrachten sie als Maschinen17 . Das erstere hindert die ReplikantInnen daran, genug Erfahrung zu sammeln, um allzu menschlich zu werden, das zweite ist die einzige verbleibende Möglichkeit für die Menschen, sich als ihnen überlegen zu definie- ren. Auch Tyrell wendet dieses Verfahren gegenüber Roy Batty an: „You're quite a prize” objekti- viert den Replikanten sofort wieder, den Tyrell eben noch als „prodigal son” bezeichnet hat, als den verlorenen Sohn aus dem Lukas-Evangelium, der von seinem liebenden Vater wieder in die Arme geschlossen wird. Der Stolz des Schöpfers kann nur seiner Schöpfung, also der Maschine gelten, nur so kann Tyrell sich als Schöpfer behaupten, sonst wäre er nichts. Und Roy Batty wird ihn zu diesem Nichts machen, denn er tötet ihn am Ende des Gespräches. Roy beharrt darauf: „Wir sind keine Computer.” Roy Batty gelingt es schließlich, die Definitionsmacht umzudrehen. Am Ende des Films stellt Deckard Roy in einem leerstehenden Haus, doch seiner Intelligenz und körperlichen Kraft und Schnelligkeit ist der Blade Runner nicht gewachsen. Deckard wird vom Jäger zum Gejagten, Roy umgekehrt vom Gejagten zum Jäger. Deckard wird vom Prüfer (der als Blade Runner die ReplikantInnen aufspüren und identifizieren soll) zum Geprüften: „Show me what you're made of” ruft Roy ihm zu, als er ihn in einem grausamen Katz-und-Maus-Spiel vor sich her jagt. In dieser Szene übernimmt Roy die Narration; von Deckard ist kein Wort zu hören, er handelt nicht, sondern reagiert nur, flieht, entzieht sich18 – er läuft und klettert um sein Leben. Roy Batty tötet den Blade Runner nicht, sondern rettet ihm sogar das Leben, als Deckard nach einem Sprung auf das benachbarte Häuserdach abzustürzen droht. Auch danach gewinnt De- ckard nicht die Initiative zurück, er bleibt weiter stumm und beobachtet, wie Roy stirbt, dessen Lebenszeit in diesem Augenblick abgelaufen ist. In der Kinofassung kommentiert Deckards Off- Stimme Roys Ende: „Vielleicht hat er in diesem Moment das Leben mehr geliebt als je zuvor, nicht nur sein Leben, auch mein Leben, das eines jeden. Er wollte die Antworten, die wir alle wollen: Woher komme ich, wohin gehe ich, wieviel Zeit bleibt mir?” III. Ich will mehr Leben, Vater! Tyrell: „I'm surprised you didn't come here sooner.” Roy: „It's not an easy thing to meet your Maker.” Tyrell: „What can He do for you?” 17 Deckard: „Replicants are like any other machine. They're either a benefit or a hazard. If they're a benefit, it's not my problem.” 18 Vgl. I. SCHARLAU, Blade Runner, a.a.O.
6 Roy: „Can the Maker repair what He makes?” Tyrell: „Would you like to be modified?” Roy: „I had in mind something a little more radical.” Tyrell: „What seems to be the problem?” Roy: „Death.” Tyrell: „Death. Well, I'm afraid that's a little out auf my jurisdiction, you ...” Roy: „I want more life, father.” In der vielleicht wichtigsten Szene des Films sucht Roy Eldon Tyrell, seinen Schöpfer, auf und fordert „mehr Leben”. Doch die Gottwerdung des Menschen kann nicht gelingen. Tyrell steht der Anfrage und Anklage seines Geschöpfes ohnmächtig gegenüber, er kann ihm nicht mehr Leben geben. Roy appelliert an die Verantwortung des Schöpfers, doch dieser ist nicht in der Lage, ihr nachzukommen. Und so spricht auch Nietzsches ‘toller Mensch’ nur vom den Göttern „würdig [E]rscheinen” – nicht würdig sein. Tyrell ist ein ohnmächtiger und damit sinnloser Gott. Er ist nicht einmal mehr ein deus absconditus19 , also ein verborgener Gott, sondern ein überflüs- siger Gott. Roy Battys Forderung nach „mehr Leben” ist nicht allein im quantitativen Sinne zu verstehen, sondern auch im qualitativen. „Mehr Leben” bedeutet nicht nur eine Zeitspanne, die einem Men- schen angemessen ist, sondern auch eine menschliche Seinsweise. Das Leben, das Roy Batty möchte, ist eines jenseits der Sklaverei und des Daseins als ‘Maschine’. Der Wunsch nach „mehr Leben” zeichnet Roy vielleicht mehr als alles andere als Menschen aus, denn er begehrt damit auf gegen Nichtigkeit und Auflösung, er drückt eine Sehnsucht aus nach einer „tiefere[n], bedeutungsvollere[n] Existenz”20 . Roy rettet Deckard das Leben, als dieser selbst die Auflösung, den Tod vor Augen hat. Roy erkennt in dem abstürzenden Deckard die eigene Endlichkeit wieder, er sieht, dass auch das menschliche Leben bedroht und begrenzt ist.21 Kurz bevor Roy stirbt, bietet er eine andere Selbstdefinition an als der Voight-Kampff-Test ihm zuweisen will: „I've seen things you people wouldn't believe. Attack ships on fire off the shoul- der of Orion. I watched c-beams ... glitter in the dark near Tanhauser Gate. All those ... moments will be lost ... in time, like tears ... in rain.” Roy beklagt nicht seine physische Auslöschung, nicht das Ende des „besten aller möglichen Replikanten”, nicht das Vergehen seiner enormen physischen Kräfte und Fähigkeiten, auch nicht die Vernichtung seiner überragenden geistigen Fähigkeiten, sondern in erster Linie den Verlust seiner einzigartigen visuellen Erinnerungen durch den Tod.22 Roys Selbstkonstitution ist die eines gelebten Lebens, das aus einzigartigen, unwiederholbaren, ja für andere vielleicht nicht einmal erfassbaren Erfahrungen besteht, hier dargestellt als das je eigene Gesehene. Die konkrete Bedeutung von Roys Worten bleibt Deckard wie auch den ZuschauerInnen unverständlich. Roy Batty aber macht sich damit letztlich unver- fügbar. 19 Vgl. R. ZONS, American Paranoia, a.a.O., S. 346. 20 I. SCHARLAU, Blade Runner, a.a.O. 21 Und beweist damit gleichzeitig auch eine Empathie, die sein Jäger, der für sich in Anspruch nimmt, ein Mensch zu sein, ihm gegenüber wohl nicht gezeigt hätte. 22 I. SCHARLAU, Blade Runner, a.a.O.
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