Burnout bei Angehörigen von Gesundheitsberufen

 
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14.02.2011

Burnout bei Angehörigen von
Gesundheitsberufen

Wolfgang Söllner
Klinik für Psychosomatische Medizin und
     Psychotherapie
Klinikum Nürnberg

                                          Bild: „Burned out“
                                          von Rita Stabenow

Übersicht
 Was ist Burnout?
 Wie häufig ist Burnout?
 Ursachen und Risikofaktoren
 Prävention
 Behandlung

                                                                       1
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        Burn-out: Definition
Burn-out ist ein kumulativer Prozess
  der zum Verlust körperlicher und
  mentaler Energie, zu emotionaler
  Erschöpfung und Rückzug führt
   (Maslach 1981).

Burnout ist ein schleichend
  verlaufender psychischer und
  physischer Abbauprozess von
  engagierten IdealistInnen zu
  erschöpften, resignierten und      ‚
  deprimierten Wesen (Redmann 1996).

      Burnout ? Symptomen-Trias
     Emotionale Erschöpfung              Depersonalisation
         Ich fühle mich am Ende des           Ich habe zunehmend das Gefühl
         Arbeitstages verbraucht              andere Menschen (Patienten,
                                              Mitarbeiter, Freunde) so zu
         Den ganzen Tag mit                   behandeln, als wären sie Objekte
         Menschen zu arbeiten
                                              Ich befürchte, dass mich meine
         strengt mich an                      Arbeit weniger mitfühlend macht
     Geringe berufliche Erfüllung            Abweisende, zynische
         Ich habe kaum lohnende               Einstellung
         Ziele bei meiner Arbeit
         erreicht                                          Maslach & Jackson 1981

         Mir fällt es schwer, eine
         entspannte Atmosphäre zu
         schaffen

                                                                                            2
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    Leitsymptome
     Emotionale Erschöpfung
     Negative Einschätzung
      der persönlichen
      Leistungskompetenz
     Rückzug; gefühllose,
      gleichgültige oder
      zynische Einstellung zu
      Klienten/ Patienten
      („Depersonalisation“)

 Psycho-
 Psycho-somatische und
 Verhaltensstörungen
 Chron. Erschöpfung (chronic fatigue)
 Schlafstörungen
 Depressive Symptomatik
 Körperliche Befindlichkeits-
  Störungen (somatoform)
 Beziehungsstörung
 Risikoverhalten (Missbrauch von Drogen und
  Medikamenten, Ess-Störung,
  Bewegungsmangel, Rückzug von Interessen)

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 Häufigkeit
 EMNID-Umfrage im Auftrag des                     Studie im Auftrag der AOK
   BM für Arbeit, Gesundheit                         (Redmann & Rehbein 2000):
   und Soziales NRW (1996):
                                                   60% der 15.000 befragten
  „Bis zu 25% der 36 Mio.
                                                     Erwerbstätigen klagten über
   Erwerbstätigen zeigen
   Anzeichen von Burn-out“                           psych. Beschwerden wie
                                                     Müdigkeit, Schlafstörung,
  Insbesondere Berufstätige, die
   Sorge und Verantwortung für                       Nervosität, depressive
   andere Menschen tragen                            Stimmung, Reizbarkeit
   (Pflegekräfte auf Krebsstationen                30-35% klagten über starke
   30-40%, Ärzte in                                  psychische Belastung
   Risikobereichen 15-30%, Lehrer
   22-43%)
  Ca. ein Drittel landet im Burn-
   out-Vollbild

 Burnout in Gesundheitsberufen
       50                                            Gesundheitsberufe >
       45
       40
                                                      andere kommunikative
       35                                             Berufe > Allg.bevölkerung
       30
                                                     Ärzte: Höchste Rate unter
   %

       25
       20                                             Intensiv-/Notfallmedizinern
       15
                                                      und Psychiatern
       10
        5                                            Pflege: Höchste Rate unter
        0
                                                      Intensivpflege, onkolog.
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                                                      Pflege und psychiatr. Pflege
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                                      In

    Erschöpf       Deperson          Erfüllung
Ramirez et al. 1996, Goh et al. 1999,
Kluger et al. 2003

                                                                                             4
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    Burn-out hat meist mehrere
    Ursachen
       Burn-out hängt mit der            Arbeit kann sein (ev. mehrfach)
        persönlichen Konstitution                Berufsarbeit
        (‚Verletzlichkeit‘) und mit der          (un/selbständig)
        Bewältigung der mit Arbeit               Hausarbeit
        einhergehenden Belastungen
        und Aufgaben zusammen.                   Erziehungsarbeit
       Häufig ist es das                        Pflege von Angehörigen
        Endergebnis mehrfacher                   Aus-/Fort-/Weiterbildung
        (persönlicher und beruflicher)
        unbewältigter Belastungen.

Risikofaktoren für Burn-out:
1. Arbeits-/platz-bezogen allgemein
   Hohe Belastung:                             Negatives
    Stellenknappheit, überlange und              Organisationsklima:
    schlecht planbare Arbeitszeit,               schwierige Kommunikation/
    Schichtarbeit (Pflege: 8>12h!),              Konflikte am Arbeitsplatz,
    Nacht- und Wochenenddienste,                 wenig Unterstützung durch
    langes Pendeln                               Leitungen und Verwaltung
   wenig Einfluss auf                          wenig Gratifikation:
    Arbeitsabläufe:                              Anerkennung, Bezahlung
    Rollenunklarheit, Rollenkonflikte,
                                                Systemat. Review: Gershon et al.
    viele fachliche Kompromisse,                Industrial Health 2007;45:622-36
    wenig Erfahrung

                                                                                           5
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Risikofaktoren für Burn-out:
2. „Die schöne neue Gesundheitswelt“ (Bergner 2007)
Sinnverlust und Verlust der                   Die als sinnerfüllend erlebte
   Selbstwirksamkeit in der Arbeit             individuelle Arbeitsgestaltung
   durch
                                               und die Beziehung zum
 Primat der Ökonomie vor der
   helfenden Tätigkeit                         Patienten werden erschwert
 steigende Patientenzahlen; fehlende
                                               und sind nur unter
   Kontinuität in der Betreuung, häufige       persönlichen Opfern
   Unterbrechungen von Arbeitsabläufen,        (Überstunden) einigermaßen
 Zunehmend formalisierte                      aufrechtzuerhalten
   Leistungsvorgaben und Arbeitsabläufe
   (Casemanagement-Programme)
 Überhandnehmen berufsfremder
   Tätigkeiten („mehr Dokumentation als    Rottenfußer 1998, Rogler & Schölmerich
   Pflege“)                                2000, Bergner 2007

Risikofaktoren für Burn-out
3. Sozial/individuell
Sozial:                                    Persönlich:
 Jüngeres Alter                            zusätzlich Belastungen
 Frauen (Mehrfachbelastung)                 außerhalb der Arbeit
 Wenig Unterstützung aus                   wenig Stressresistenz
  sozialem Netz                             wenig Stressbewältigungs-
                                             kompetenz
                                            Perfektionsdruck
                                            Hohes Anerkennungsbedürfnis
                                            Mangelnde Fähigkeit sich
                                             abzugrenzen (z. B.
                                             „Helfersyndrom“)

                                                                                            6
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Persönliche Vulnerabilität
 Perfektionsdruck, Zwanghaftigkeit
 Unsichere Bindungsmuster,
  Bindungserfahrungen
 Unbewältigte Verluste

                                  Nürnberger Studie (Behringer et al. 2011)

Helfersyndrom (Schmidbauer 2005)
   Menschliche Hilfsbereitschaft setzt die Fähigkeit voraus, sich
    in einen schwächeren hilfsbedürftigen Menschen einzufühlen
    und für ihn Verantwortung zu übernehmen. Sie hat ihre Wurzel in
    der Mutter-Kind-Beziehung, die für das Überleben des hilflosen
    Säuglings notwendig ist.
   Eine Helfersyndrom-Persönlichkeit versucht, in allen sozialen
    Beziehungen die Gebende, die Stärkere, die Versorgende zu
    sein. Das Selbstwertgefühl ist abhängig von „helfen können und
    gebraucht werden“. Damit verbunden ist der betonte Verzicht auf
    angemessene Entschädigung und die Furcht, etwas für sich
    selbst zu fordern. „Ich schaff das schon“, ist die Devise, die sich
    mit dem Ideal der Bescheidenheit und Selbstlosigkeit verbindet
    (Gutberlet & Söllner 2008).
   Dies führt häufig dazu, dass die eigenen Bedürfnisse und
    Belastungsgrenzen nicht mehr beachtet werden.

                                                                                      7
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    Kommunikationsdefizite: Im Team
   Unklare Rollen                        Wenig Anerkennung durch
    (innerhalb/zwischen                    Vorgesetzte/im Team
    Berufsgruppen,                        Projektion von
    Fachbereichen)                         Minderwertigkeits- und
   Unklare Entscheidungsabläufe,          Schuldgefühlen
    nicht-transparente                     („Sündenböcke“)
    Entscheidungen
   Mangelnde Kultur der
    Reflexion von Problemen und
    Fehlern (QM)
   Mangelnde
    Konfliktlösefähigkeit

    Kommunikationsdefizite: der Einzelne
       Probleme sich abzugrenzen         Helfer-Syndrom
       Es allen recht machen wollen      Stress-prone person
        (Probleme klar zu sagen,           (mangelnde
        was man will und was man           Stressverarbeitung)
        nicht will)

                                                                             8
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    Stress-prone person: Wie hoch ist Ihr
    Risiko? Stress Evaluation Self-Test (11 Fragen)
   Benötigen Sie das Gefühl          Neigen Sie dazu,
    unabkömmlich zu sein?              Anschuldigungen weiter zu
   Sind Sie sehr von                  geben?
    Anerkennung abhängig?             Sind Ihre Arbeitsbeziehungen
   Haben Sie Probleme,                asymmetrisch - d. h. sind Sie
    Aufgaben zu delegieren?            immer der Gebende?
   Haben Sie Probleme                Ist Ihr Selbstwert sehr stark von
    Unterstützung anzunehmen?          Ihrer Arbeit abhängig?
   Ziehen Sie es vor, allein zu      Belasten Sie sich häufig mit
    arbeiten?                          sehr viel Arbeit? Haben Sie
   Vermeiden Sie es, Probleme         Probleme NEIN zu sagen?
    mit anderen zu besprechen?        Warten Sie immer bis sich „im
                                       System“ etwas ändert, bevor
                                       Sie selbst etwas ändern?

    Stress-prone person: Wie hoch ist Ihr
    Risiko? Stress Evaluation Self-Test (11 Fragen)
   Wie viele JA-Antworten         Je mehr Ja-Antworten,
    haben Sie?                        desto höher ist Ihr Risiko

                                                                                   9
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 Burnout Stadien
 (Freudenberger H et al. 1994)

 1 - Zwang, sich zu beweisen        6 - Erschöpfung, Rückzug,
 2 - Verstärkter Einsatz                reduziertes Engagement
 3 - Vernachlässigung eigener       7 - Depersonalisation
     Bedürfnisse                    8 - Innere Leere
 4 - Verdrängung von Konflikten     9 – Depression,
     und Bedürfnissen                   psychosomatische Symptone
 5 - Verleugnung der Probleme       10 - Völliges Burnout

 Folgen von Burnout
Persönlich                          Arbeitsbezogen
 körperliche Erschöpfung            mehr Krankenstand
  (Schlafstörung, virale Infekte)    geringere Motivation
 psychische Erschöpfung             sinkende
  (Angststörungen, Depression)        Patientenorientierung
 Partner- und Familienkonflikte     mehr Fehler, schlechtere
  (Scheidungsrate +20%)               Qualität der Arbeit
                                     geringe Zufriedenheit am
 Medikamenten-/Drogenkonsum
                                      Arbeitsplatz
                                     mehr Fluktuation

                                                                           10
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  Protektive Faktoren
Arbeitsbezogen:                    Persönlich:
 Planbare Arbeitszeit              Befriedigende Beziehungen
 Rollenklarheit                    Interessen außerhalb der
 Einfluss auf Arbeitsabläufe        Arbeit
 Anerkennung                       Klare Abgrenzung zwischen

 Unterstützung
                                     Arbeit und Privatsphäre
                                    Stressbewältigungskompetenz
 Vielfalt der Arbeit aber ohne
  Überforderung                      (Grenzen setzen können,
                                     abschalten lernen)
 Sinn in der Arbeit
                                    Humor
 Arbeitszufriedenheit

  Burnoutprophylaxe: Was kann der
  Einzelne tun?
     Work-life-balance               Pflegen des eigenen
     Eigene Grenzen                   Gestaltungsbereichs
      wahrnehmen, Belastungen         Kommunikation mit
      sehen und darauf reagieren       Klienten/Patienten verstärken
     Optimal performance statt       Time-Management
      perfect performance             Fort- und Weiterbildung
     Achten auf den eigenen          Wahl des richtigen
      Körper (Bewegung,                Arbeitsplatzes; ev. Wechsel
      Ernährung, Schlaf,               von Arbeit
      Entspannung...)

                                                                              11
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Was tun Sie zur Burnoutprophylaxe?
   Work-life-balance               Pflegen des eigenen
   Eigene Grenzen                   Gestaltungsbereichs
    wahrnehmen, Belastungen         Kommunikation mit
    sehen und darauf reagieren       Klienten/Patienten verstärken
   Optimal performance statt       Time-Management
    perfect performance             Fort- und Weiterbildung
   Achten auf den eigenen          Wahl des richtigen
    Körper (Bewegung,                Arbeitsplatzes; ev. Wechsel
    Ernährung, Schlaf,               von Arbeit
    Entspannung...)

Burnoutprophylaxe: Was kann das Team
tun?
 Belastungen sehen und darauf reagieren
 Gegenseitige Unterstützung
 Reflektierende Teamkultur
 Fort- und Weiterbildung
 Unterstützung von außen mobilisieren (Supervision,
  Coaching)

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14.02.2011

Burnoutprophylaxe: Was können Leitungen
tun?
   Belastungen sehen und darauf reagieren
   Arbeitsplatzqualität verbessern/erhalten
   Balance zwischen Mitsprache und Kontrolle
   Verbesserung der Kommunikationskultur: Anerkennung vermitteln,
    Konfliktkultur, Kritik aus der man lernen kann
   Qualitätsmanagement (Qualitätszirkel, Gesundheitszirkel)
   Organisationsentwicklung
   Mentorensystem
   Gute Fort- und Weiterbildung garantieren
   Kommunikationstraining
   Supervision, Balintgruppen

    Was tun, wenn es für die Prophylaxe zu
                  spät ist ?
     Symptome ernstnehmen
     Stop der Selbstbehandlung
     Konsequenzen ziehen
     Neutralen Berater suchen
     Unterstützung suchen
     Stress-Management
     Entspannungstraining
     Psychotherapie (amb)
     Pharmakotherapie (AD)
     Teil-/stationäre psychosomatische Behandlung

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  Was wirkt gegen burn-out?

„Lessen overload and increase training in
 communication and management skills“
                                                   Ramirez et al. 1995

  Empirische Forschung: Was wirkt gegen
  burn-out?
Prophylaxe:                            Therapie:
 Selbsthilfestrategien                 Verhaltenstherapie und multimodale
 Unterstützung aus Umfeld               Ansätze wirksamer als Entspannung
 Entspannung, Biofeedback               (Metaanalyse, Van der Klink et al. 2001)
 Stressmanagement, Copingtraining  Kombination psychodynamischer und
 Supervision, Coaching, TZI-            kognitiv-verhaltenstherapeutischer
   Gruppen, Balintgruppen                Ansätze (J Clin Psychol/ Psychotherapy
 Arbeitsplatzbezogene Maßnahmen         in Practice 2000)
   (Organisationsberatung,              Mit Auffrischungssitzungen wirksamer
   Personalentwicklung)                  als ohne (Rowe 1999)
     (Übersicht bei Bauer et al. 2003)

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   Stationäre/tagesklinische
   Behandlung
   Diagnostik/Motivation: 2 Wochen
   Vollprogramm: 6 Wochen

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   Schwerpunkt
                                                      KBT, Achtsamkeitstraining,
     Gruppentherapie                                  Interaktionell-psychodynamische
   • ‚Homogene
      Homogene‘‘ Gruppe (8-
                          (8-9                        GT, TZI, Kunsttherapie
     Patienten)
                                                     Einzeltherapie, Biofeedback,
   • Verbale & kö
                körperbezogene                        Schlaftraining
     Verfahren
   • Psych. & kö
              körperliche                            Physio-/Sporttherapie
     Aktivierung                                     Ggf. pharmakologische
                                                      Behandlung
                                                     Ggf. Partnergespräche

Literatur
Bauer J et al. (2003) Burn-out und Wiedergewinnung seelischer Gesundheit am Arbeitsplatz.
Psychother Psych Med 53:213-222
Bergner T (2007) Burnout bei Ärzten. Schattauer-Verlag, Stuttgart
Bergner T (2007) Burnout-Prävention. Das 9-Stufen-Programm zur Selbsthilfe. Schattauer-
Verlag, Stuttgart
Burisch M (2006) Das Burnout-Syndrom. Springer-Verlag, Heidelberg
Enzmann D, Kleiber D (1989) Helfer-Leiden. Stress und Burnout in psychosozialen Berufen.
Ansanger-Verlag, Heidelberg
Gutberlet S, Söllner W (2008) Burnout in Gesundheitsberufen. Psychologische Medizin
19(3):19-22
Maslach C, Leiter MP (2001) Die Wahrheit über Burnout. Stress am Arbeitsplatz und was Sie
dagegen tun können. Springer-Verlag, Wien
Rottenfußer R (1998) Ausgebrannte Mediziner? Arbeitsunzufriedenheit
und Burnout-Gefährdung von Vertragsärzten. Regensburg: Roderer
Rogler G, Schölmerich J (2000) „Evedence based medizin“ – oder: Die
trügerische Sicherheit der Evidenz. Deutsche Medizinische Wochenschrift,
125, 1122–1128.
Schmidbauer W (2005) Hilflose Helfer. Reinbek: Rowohlt

                                                                                                   15
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