FRANZISKANISCHES FRÜHJAHRSSYMPOSIUM VÖCKLABRUCK - 08.05.2019 "Die menschliche Würde im Spannungsfeld von Fürsorge und Selbstbestimmung" 2 ...

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FRANZISKANISCHES FRÜHJAHRSSYMPOSIUM VÖCKLABRUCK
                     08.05.2019

                „Die menschliche Würde im Spannungsfeld
                   von Fürsorge und Selbstbestimmung“

                      2. Erwachsenenschutz-Gesetz

1.     Ich bedanke mich bei den Veranstaltern, den Ehrwürdigen Schwestern und
der Geschäftsführung für die freundliche Einladung. Wer annimmt – oder gar be-
fürchtet – dass ich Sie in den nächsten 20 Minuten - gleichsam im Eilzugstempo –
durch das Erwachsenenschutzrecht zerre, den darf ich hier beruhigen. Dies wäre
angesichts des Leitbildes des Franziskanischen Frühjahrssymposiums und der
vorgegebenen Zeit verfehlt und nicht möglich.

Ich möchte vielmehr die Beweggründe des Gesetzgebers, den „geistigen Nähr-
boden“, die ethischen Erwägungen zur umfassenden Reform des Sachwalterrechtes
zum Erwachsenenschutz-Gesetz, das Mitte des Jahres 2018 in Kraft getreten ist,
näherbringen. Hier ist wiederum die Autonomie des Menschen als Basis der
Menschenwürde in das Zentrum weiterer Überlegungen zu stellen. Mein Vortrag wird
demnach von einem einzigen Bild unterstützt: Picassos ”Sience and Charity”
(Wissenschaft und Mitgefühl) 1897. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass ich mich hier
auf ebenso dünnem wie glattem Eis angesichts der Materie einerseits und der
nachfolgenden Referenten andererseits bewege.

In den nächsten 20 Minuten möchte ich in einem kurzen historischen Rückblick die
Entstehungsgeschichte und -notwendigkeit des Reformvorhabens darlegen, einige
rechtsethische und medizinethische Beweggründe beleuchten, an wenigen exem-
plarischen Beispielen prüfen, ob und wie das neue Erwachsenenschutzrecht die

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ethischen Leitbilder verwirklicht, um dann zu prüfen, ob und inwieweit dies dem Fran-
ziskanischen Weg des Evangeliums, dem Ordensleitbild entsprechen kann.

2.     Bis weit in das 19. Jhdt war der Umgang mit psychisch Kranken vorrangig ge-
prägt durch sicherheitspolizeiliche Funktion, Kontroll-, Abschreckungs- und Diszi-
plinierungszweck. Wohlfahrt, soziale Fürsorge, Pflege und Heilung waren jedenfalls in
staatlichen Anstalten sekundär. Der „Narrenturm“ im Wiener Allgemeinen Kranken-
haus, der 1784 unter Joseph II als Teil einer Krankenanstalt eröffnet wurde, mag für
die damalige Zeit zukunftsweisend gewesen sein, heute wünscht sich wohl niemand
mehr derartige Einrichtungen. Jede Anstaltsaufnahme bedeutete den Verlust der
persönlichen Freiheit. Die zivilrechtliche Verhängung der Kuratel bedeutete die voll-
ständige Aberkennung der Handlungsfähigkeit und den Verlust jeglicher Ver-
fügungsgewalt.      Fürsorge   wurde   mit       der    aus    damaliger    Sicht   nötigen
Zwangsmaßnahme umgesetzt.

Mit der 1916 in Kraft getretenen Entmündigungsordnung wurde zumindest ein Rechts-
schutz für Geisteskranke geschaffen, der weitgehende Autonomieverlust wurde fort-
geschrieben.

Es währte aber immerhin beinahe 70 Jahre, sohin bis zum Jahr 1984, bis wieder
grundlegende Bewegung in die Regelung des Umgangs mit geistig Behinderten und
psychisch       Kranken   kam.    Katalysator          dafür   mag    die      Europäische
Menschenrechtskonvention 1958 gewesen sein, in deren Artikel 5 psychisch kranke
Menschen ausdrücklich geschützt wurden.

Das Sachwalterrecht 1984 ersetzte die Entmündigung des Jahres 1916 durch eine
flexiblere Regelung mit einem strengen Subsidiaritätsgrundsatz. Rückblickend wird
dieses Sachwalterrecht zuweilen als Opfer seines eigenen Erfolgs bezeichnet, zumal
insbesondere die öffentliche Hand oftmals auf „Nummer sicher ging“ und für
psychisch beeinträchtigte Menschen – vorschnell – ein Sachwalterverfahren ein-
leitete. Dies führte zu einem massiven Anstieg der Sachwalterbestellungen. Die be-

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troffenen Menschen selbst sahen sich nach wie vor als entrechtet, entmündigt, zumal
sie aufgrund der Bestellung des Sachwalters automatisch ihre Handlungsfähigkeit
verloren. Das ethische Prinzip der Autonomie wurde weitgehend vernachlässigt.

Kritik verdichtete sich auf nationaler Ebene (Volksanwaltschaft, Behinderten-
bewegungen) aber insbesondere auch auf internationaler Ebene, namentlich im
Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention. Bereits im Jahr 2013 war Österreich
aufgefordert worden, die Sachwalterschaft in Richtung unterstützter Entscheidungs-
findung unter Einbindung von Menschen mit Behinderung zu reformieren.

Diese     nationale   und    internationale    Diskussion   mündete   letztlich   im
2. Erwachsenenschutz-Gesetz, das mit 01.07.2018 in Kraft trat.

3.      „Die Menschliche Würde im Spannungsfeld von Fürsorge und Selbstbestim-
mung“:
Die Würde des Menschen gründet nach Kant auf der Freiheit, sich zu entscheiden,
ob er einer Neigung folgt oder nicht. Es geht um die Freiheit des Menschen. Schon
Thomas von Aquin hatte die Freiheit des Menschen als Ausdruck der Würde, dignitas
hominis, beschrieben und diese in der göttlichen Schöpfungsordnung verankert.

Würde ist etwas, was dem Menschen selbst eignet, nicht von außen zuerkannt wird.
In diesem Sinne ist Würde dem Menschen also bereits mit seinem Dasein gegeben
und kann ihm weder zu- noch aberkannt werden. Gleichwohl kann sie missachtet
und dadurch verletzt werden.

Sohin steht die menschliche Würde im untrennbaren Zusammenhang mit der
menschlichen Freiheit, der menschlichen Autonomie als eines der vier ethischen
Grundprinzipien.
Diese sind: Autonomie – Nichtschaden – Wohltun – Gerechtigkeit

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In der konkreten Entscheidungsfindung, auch bei gesetzlichen Normierungen ist
zwischen den vier Prinzipien der Ethik abzuwägen. Wie oben dargestellt betonte die
Entmündigungsordnung 1916 die sicherheitspolizeiliche Funktion und den Kontroll-
und     Disziplinierungszweck,     das   Sachwalterrecht      1984    verstärkt     den
Fürsorgegedanken, während das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz 2018 die Betonung
auf die Autonomie des Menschen legt.

Ein konkretes Beispiel:

4.     Nach den §§ 239f ABGB sollen auch psychisch Kranke oder vergleichbar
Beeinträchtigte    grundsätzlich   selbständig   entscheiden,     Stellvertretung   soll
nachrangig sein und nur dort zur Anwendung kommen, wo es unvermeidlich ist. Aber
auch dann hat der Vertreter die vertretene Person von den Entscheidungen zu
verständigen, ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern und seine Wünsche zu
berücksichtigen, außer das Wohl des Betroffenen wäre erheblich gefährdet.

Gemäß § 252 Abs 1 ABGB willigt der einwilligungsfähige Patient selbst – und nur er
selbst – in eine ärztliche Behandlung ein. Das war auch bereits vor dem
2. Erwachsenenschutz-Gesetz in gleicher Weise in § 283 ABGB geregelt.

Hielt ein Arzt einen Patienten bis Sommer 2018 für nichteinwilligungsfähig, so wurde
(so es die Zeit zuließ) ein Sachwalter bestellt, der für den/anstatt dem Patienten die
Entscheidung fällte.

Nunmehr (seit 1.7.2018) hat sich der Arzt bei einem entscheidungsunfähigen Patien-
ten unter Beiziehung eines Unterstützerkreises zu bemühen, die Entscheidungsfähig-
keit des Patienten herzustellen, sohin ihn dabei zu unterstützen, selbst entscheidungs-
fähig zu werden.

Diese Bestimmung gilt im Übrigen nicht nur für ärztliche Behandlungen, sondern auch
für die Pflege und wird insbesondere in diesem Rahmen vermehrte Relevanz haben.
Pflege kann – und das wird manchmal übersehen – ein mindestens ebenso intensiver

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Eingriff in die menschliche Würde sein, wie eine ärztliche Behandlung.

Aber     selbst    wenn    der    Betroffene       trotz   Unterstützerkreises   nicht   selbst
entscheidungsfähig wird und einen Vertreter benötigt, hat sich dieser grundsätzlich
vom Willen der vertretenen Person leiten zu lassen. Bei jedem Dissens zwischen dem
Vertreter und dem betroffenen Menschen entscheidet – sofern nicht Gefahr in
Verzug gegeben ist – das Pflegschaftsgericht.

Das ethische Prinzip der Fürsorge wurde sohin deutlich Richtung Autonomie des
Patienten       zurückgedrängt.   Man   könnte       es    auch   anders    ausdrücken:    die
„bevormundende Fürsorge“ des Sachwalterrechtes macht Platz für „fürsorgliche
Autonomie“ des Erwachsenenschutzrechtes. Dies zu Recht:

5.     Selbstbestimmung/Freiheit und damit Würde sind Grundlage relativer Gesund-
heit. Nach der Ottawa-Charta 1986 zielt Gesundheitsförderung auf den Prozess, dem
Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über seine Gesundheit zu ermög-
lichen und ihn damit zur Stärkung seiner Gesundheit zu befähigen.

Gesundheit gründet aber auch auf Zuversicht (Sence of Coherence) und diese
gründet wieder auf Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit, das be-
deutet, sich und die Welt als sinnvoll im eigenen Leben zu erfahren. Sich und die Welt
zu verstehen, zu erfassen, bedingt wiederum Information/Aufklärung und Unter-
stützung, womit sich der Kreis zur zuvor dargestellten Unterstützung des § 252 ABGB
schließt.

Nebenbei:
Die dritte Komponente des Kohärenzgefühls, Bedeutsamkeit, bezeichnet Antonovsky
als die Wichtigste. Es geht um Lebensbereiche, die dem Menschen wichtig sind, die
ihm am Herzen liegen, in seinen Augen „Sinn machen“. Ich weise in diesem
Zusammenhang darauf hin, dass auf Picassos Bild neben der Wissenschaft und dem
Mitgefühl eine dritte Person abgebildet ist, die auf den ersten Blick unscheinbar ist,

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aber wesentlich für die Genesung der Patientin sein wird. Es scheint als hätte bereits
(der damals 15jährige!) Picasso 1897 bildlich angedeutet, was Antonovsky 180 Jahre
später verbal zu Papier brachte.

Kurzum:
Nur ein Mensch, der versteht, was und warum etwas mit ihm passiert, erfährt Freiheit,
Autonomie, Zuversicht, was wiederum Grundlage für relative Gesundheit und Glück
ist.

Anders betrachtet:
Das Abschneiden eines Menschen von Information, Aufklärung, Autonomie, nimmt
diesem die Zuversicht (Sence of Coherence) und schränkt dessen selbstbestimmtes,
glückliches Leben ein.

6.     Recht und Ethik sind in ihrer Unterschiedlichkeit aufeinander angewiesen.
Wenn Recht mehr als eine formale Zwangsordnung sein will, braucht es eine ethische
Fundierung. Jede Rechtsetzung hat ethische Implikationen und ebenso gehen in
jede Formulierung eines rechtlich relevanten Tatbestandes normative Komponenten
ein. Der Österreichischen Verfassung fehlt ein dem Deutschen Grundgesetzt
vergleichbarer   Satz:   „Die   Würde    des    Menschen   ist   unantastbar“.   Dieser
programmatische Satz stünde auch unserer Verfassung/Rechtsordnung gut an.

Erst Mitte März dJ wurde im Ärztegesetz explizit die Palliativmedizin rechtlich ver-
ankert und in diesem Zusammenhang festgehalten, dass die Würde des Patienten zu
achten ist. Warum die Würde des Patienten in § 49a des Ärztegesetzes ausschließlich
im Zusammenhang mit der Palliativmedizin genannt wird, ist nicht nachvollziehbar.
Dieser Satz gehörte als § 1 des Ärztegesetzes statuiert.

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7.     Ob der verstärkte Autonomiegedanke, damit die Stärkung der Freiheit und der
Würde des Menschen, durch das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz tatsächlich verwirk-
licht werden können, wird die tägliche Praxis weisen. Es liegt am unmittelbar Be-
handelnden/Pflegenden – und damit an Ihnen - ob er diesem ethischen Gedanken
zum Durchbruch verhilft. So wie sittlich-praktisches Wissen ohne Sachwissen leer
bleiben muss, bleibt Sachwissen ohne sittlich-praktisches Wissen blind. Konkret:
Wenn der Unterstützerkreis des § 252 ABGB nur „pro forma“ dazu verwendet wird,
dass dem Gesetz Genüge getan wird, würde dies dem Freiheitsgedanken, der Auto-
nomie, der Würde im Sinne Kants und Thomas von Aquin diametral entgegenlaufen,
unsittlich sein und nicht nur den Gesetzeszweck, sondern vor allem auch seine Mit-
menschen an der Nase herumführen. Bitte beachten Sie nochmals Picassos ”Science
and Charity”, die Patientin erfährt Beides.

8.     Als positiver Ausblick ist festzuhalten, dass die Forderungen des Erwachsenen-
schutz-Gesetzes in der Praxis eines geistlichen Hauses ohnedies bereits seit jeher und
selbstverständlich gelebt wurden: Wenn ein Bewohner vorerst eine ärztliche oder
pflegerische Maßnahme nicht versteht und deshalb ablehnt, wurde sie wohl kaum
zwangsweise mit einem Sachwalter durchgesetzt, sondern versucht, den Patienten
dabei zu unterstützen, eine autonome Entscheidung zu treffen.

Letztlich:
Das Ordensleitbild der Franziskanerinnen hatten bereits lange vor dem Sommer 2018
die Erwägungen des Erwachsenenschutz-Gesetzes implementiert, wenn es ausführt:

       In Wertschätzung begegnen wir Menschen

       Wir verwirklichen den Gründungsauftrag bei kranken, alten und armen
       Menschen durch Pflege und wertschätzende Fürsorge

       Wir begegnen einander in echter Wertschätzung und Partnerschaft

In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und blicke mit Freuden
einem wertschätzenden Symposium entgegen.

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