Capo di Ponte im Val Camonica - ein Nationalpark der Felsritzungen in Italien - mariobroggi.li

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Capo di Ponte im Val Camonica - ein Nationalpark der Felsritzungen in Italien - mariobroggi.li
Capo di Ponte im Val Camonica – ein
Nationalpark der Felsritzungen in Italien
                                                                Menschen verewigten sich vielerorts mit
                                                                Steinzeichnungen oder benutzten grosse Steine,
                                                                in denen sie künstliche Vertiefungen wohl zu
                                                                Opferkulten nutzten. Man findet solches ausser
                                                                in der Antarktis auf allen Kontinenten, so auch in
                                                                Italien und dort verdichtet im Veltlin, an den
                                                                Hängen des Monte Baldo am Gardasee und auf
                                                                der Hochebene von Asiago im Veneto. Von all
                                                                diesen entdeckten und erforschten Zonen ist
                                                                keine mit jener des Val Camonica vergleichbar,
                                                                was die Anzahl und Mannigfaltigkeit der Stile
                                                                und Objekte betrifft. Die Motive sind hier in
                                                                einer derben, einfachen und klaren Natürlichkeit
                                                                eingeritzt und verleihen über Jahrtausende
                                                                Einblicke in das Leben der damals dort anwesen-
                                                                den Bevölkerung. Mit den Steinzeichnungen
                                                                schuf der Mensch ihn überlebende Einblicke in
                                                                seine damalige Lebensweise und hinterliess
                                                                Spuren, die lange nach seinem Tod Zeugnisse
                                                                seines Schaffens und Denkens geben.

                                                         Durch die zeitliche Distanz zu den Jahrtausende
                                                         alten Werken bezeichnen wir diese als Kunst.
Felszeichnungen auf ersten Felsen von Rocce di Cemmo in: Diese Felsritzungen dürften weniger aus dem
Anati (1981)                                             Bedürfnis gestalterische Fähigkeiten anzu-
                                                         wenden entstanden sein, sondern eher als eine
Form von Gebet, einer Verehrung der Natur und der Bitte um göttliche Gunst. Sie wurden kaum um
ihrer selbst willen geschaffen und waren kein Hirtenzeitvertreib. Vielleicht gab es Menschen, die
fachkundig in der Bearbeitung der Steine waren.

Li.: Die von Gletschern glatt geschliffenen Felsen sind für Felsritzungen sehr geeignet; re.: Der Granitblock des Piz Badile
beherrscht die Gegend von Naquane. Er ist in der Volkslegende verankert und war möglicherweise als heilig angesehen.
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Im Val Camonica ist auffällig, dass nicht die
                                                     einzelnen Figuren für sich alleine stehen. Es sind
                                                     Zeichnungen, in denen sich die Figuren häufig
                                                     überlagern. Man fügte wohl innerhalb kurzer
                                                     Zeitspannen auf demselben Fels neue Zeichnun-
                                                     gen über den alten hinzu. Die einzelne Figur er-
                                                     langt so nicht den besonderen Wert, den wir ihr
                                                     heute allenfalls zuordnen. Sonst wäre die Figur
                                                     in einer beherrschenden Rolle dargestellt
                                                     worden und nicht mit weiteren überlagert.

                                                     Das Val Camonica dürfte wenigen Anwohnern
                                                     der Nordseite der Alpen bekannt sein. Meinen
ersten Kontakt zu diesen Steinritzungen fand ich in einem Beitrag der Zeitschrift «DU» vom Juli 1964.
Diese Camonica-Steinritzungen begegneten mir in einem Ausstellungskatalog des
Kunstgewerbemuseums der Stadt Zürich im Jahre 1970 wieder. Dort fanden sich Steinabreibungen
und Schwarzweissfotos der Felszeichnungen des Val Camonica in einem Katalog abgebildet. Die
Illustrationen regen in ihrer formalen Qualität an und berühren uns. An diesem Ausstellungskatalog
war auch die in Liechtenstein lebende Künstlerin Evelyne Bermann aus Schaan mitbeteiligt.

                                                     Oben links: Rothirsch mit mächtigem Geweih. Oben rechts:
                                                     Jagdszene mit auf Rothirsche ausgerichteter Lanze.

                                                     Links: Figurenausschnitt mit Haltung des Tanzes, Gebetes,
                                                     Anbetung

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Oben links: Zwei Figuren im Tanz oder bewaffneter Auseinandersetzung? Oben rechts: Labyrinthformen.
Unten links: Esel oder Pferd? Unten rechts: Wagen mit Speichenrädern, gezogen von zwei Ochsen im Joch, aus der Eisenzeit.

Meine hier verwendeten Bilder stammen aus einem Talbesuch im August 2007. Das Val Camonica ist
ein kleines Tal in der Provinz Brescia (Lombardei) nördlich des Lago d`Iseo. Die zentrale Ortschaft
Capo di Ponte liegt auf einer Höhe von etwa 350 Meter über Meer. Es ist dies die weltweit grösste
Fundregion prähistorischer Petroglyphen, also in Stein gemeisselter Felsbilder. Aktuelle Schätzungen
gehen hier von 300‘000 Objekten aus.

Links: Haus oder Stall? Rechts: Szenen der Feldarbeit mit Pflügen aus der Eisenzeit.

Es herrschte hier über Jahrtausende die Gewohnheit, in die Felsen Ereignisse einzuritzen oder diese
zu bemalen. Von der Malerei ist kaum mehr etwas erhalten, von den Ritzungen sehr wohl. Die

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Felsbilder sind in der Umgebung der Orte Boraio Terme, Capo di Ponte mit einem hier eigens
ausgewiesenen «Parco nazionale delle incisioni rupestri di Naquane», Nadro, Cimbergo und Paspardo
konzentriert. Es wurden inzwischen bei weiteren Verdichtungen von Felsritzungen weitere
archäologische Parks ausgewiesen.

Die Felsbildregion wurde im 1979 als erstes Objekt von der UNESCO als Welterbe in Italien
anerkannt. Im erwähnten leicht zugänglichen Nationalpark Naquane betrifft es etwa 100 Felsen, vor
allem in Form von durch Gletscher abgeschliffenen Gesteinen. Diese Felsritzungen sind weiters auf
einer Strecke von 25 Kilometern entlang des Tales verteilt. Darüber gibt es zahlreiche Literatur, auch
in deutscher Sprache. Die Kunst des Felsritzens zeichnet sich hier im Verlauf von etwa 10 000 Jahren
durch einen periodischen Wechsel der Stile und Motive aus. Die Motive erstrecken sich von der
frühen Steinzeit bis zur römischen Kaiserzeit und enden dann abrupt. Wir erfahren mit diesen
Steinritzungen ähnlich einem Geschichtsbuch etwas über das Leben, die Gebräuche, die Traditionen,
die wirtschaftlichen und sozialen Tätigkeiten der prähistorischen Bevölkerung.

                                                           Die früh entstandenen Felsritzungen zeigen
                                                           Jagdpraktiken mit schemenhaften Bildern mit
                                                           Speeren, grossen Jagdtieren und abstrakten
                                                           Zeichen, wobei der Elch und später der Hirsch
                                                           häufig abgebildet werden. Die nomadischen
                                                           Jäger und Sammler werden im Verlauf der Stein-
                                                           zeit allmählich durch Sesshafte ersetzt. Es
                                                           werden menschliche Figuren mit erhobenen
                                                           Armen, auch mit Äxten dargestellt. Es soll sich
                                                           mit den ausgebreiteten Armen um eine Körper-
                                                           haltung im Gebet handeln. Weiters kommen
                                                           immer mehr Haustiere in den Abbildungen vor,
Ranger im Nationalpark Naquane erklären die Felsritzungen. wie Hunde, Schweine, Rinder, Ziegen. Auch
                                                           kultische Szenen nehmen zu, und zunehmend
werden auch landwirtschaftliche Geräte abgebildet. Noch später bis zum Beginn der Bronzezeit
werden erste zweirädrige Karren und vierrädrige Wagen dargestellt. Technische Innovation hatte die
Alpenregion erreicht. Noch später in der Eisenzeit folgen zahlreiche Gravuren mit Bauwerken, Hütten
und verraten etwas über deren Architektur. Man findet auch Pflüge, Hacken und Sensen, also Szenen
und Geräte, die auf Metallverarbeitung schliessen lassen. Mit letzten römischen Gravuren und auch
christlichen Motiven läuft die Felskunst aus. Val Camonica ist für den Kunst- und Kulturinteressierten
eine Reise wert.

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Capo di Ponte im Val Camonica - ein Nationalpark der Felsritzungen in Italien - mariobroggi.li
Quellen
Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich (1970): Felsritzungen im Val Camonica Italien, 44 S.

Anati, E. (1981): Capo di Ponte, Camuna Forschung, Band 1, Zweite Deutsche Ausgabe, 64 S.

Priuli, A. (1984): Preistoria in Valle Camonica, Itinerari illustrati dei siti e dell`Arte Rupestre, Museo
Didattico d`Arte e Vita Preistorica, 114 S.

Priuli, A. (1984): Felszeichnungen in den Alpen, Benziger, Zürich-Köln, 96 S.

Mario F. Broggi, 20.6.2020

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