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DE A Journal on the City’s People, Places and Culture ISSUE 2 2022 www.wien.info Celebrate, Experience, Boafo, Adia, Heidi, Monokini, Laura, Zurück in die Zukunft, Stanislaus, Bobo und Orient, Farm to Table, All great things start in cities, Life, Vienna
Issue 2 Inhalt 5 Editorial 6 Celebrate Life. Experience Vienna. 10 Kunst & Kultur 28 Architektur, Mode & Design 52 Stadtleben 64 Kulinarik 74 Stadtidyll 88 Insider INHALT 3
All great things start in cities. Liebe Leser:innen, liebe Wien-Fans! Ja, Sie haben richtig gelesen: Alles Großartige entsteht in den Städten dieser Welt. So auch in Wien. Städte waren schon immer Testlabors und Experi- mentierfelder. Die Geistesgrößen von damals und heute zog und zieht es in Städte wie Wien, wo sie Neues ausprobieren und kreative Ideen umsetzen konnten. Denn hier pulsiert das Leben, hier treffen Sie Reportagen über das Grätzel rund um den die unterschiedlichsten Geistes- und Lebenswel- Brunnenmarkt und über den Alltag einer Tier- ten zusammen. In einer Stadt wie Wien kann sich pflegerin im Zoo Schönbrunn. jede:r unabhängig von Nationalität, Geschlecht Selbstverständlich ist auch Nachhaltigkeit oder Alter frei entfalten. Und jede:r darf hier in einer Metropole ein großes Thema: Wir zeigen, jede:n lieben. In einer modernen Metropole ist wie moderne Stadt-Landwirtschaft in Wien zur das glücklicherweise möglich. besseren Lebensqualität beiträgt. Apropos Nachhal- Das gilt es, 2022 zu feiern. Auch wenn tigkeit: In Einklang mit der DNA einer Destination klar ist: Die Krise ist noch nicht vorbei. Doch stehend ist Städtetourismus eine der nachhaltigs- die Wissenschaft hat innerhalb kürzester Zeit Her- ten Formen des Reisens – mit Kunst und Kultur als ausragendes geleistet und mit der Corona-Impfung den wichtigsten Bestandteilen der Wiener DNA. und sicheren Testmöglichkeiten wesentliche Bei- Passend dazu wird 2022 ein ganzer Reigen neuer träge zur Wiedererlangung der Reisefreiheit gelie- Museen eröffnet. Auch diesen widmen wir uns in fert. Auch Wien hatte dabei seine Finger im Spiel, der aktuellen Ausgabe. genauer gesagt, die Wiener Forscherin Manuela Unseren Cover-Star Adia kennen Sie sicher Födinger, die federführend an der Entwicklung schon aus unserer YouTube-Serie VIENNA/NOW. der COVID-19-Gurgeltest-Methode beteiligt war. Wir haben Adia Trischler einen Tag lang durch Wie gesagt: „All great things start in cities.“ Wien begleitet. Ihre ganz persönlichen Tipps Wir wollen gemeinsam mit Ihnen in die finden Sie ab Seite 92. Zukunft blicken und wieder das Leben zelebrie- Und jetzt genießen Sie das brandneue ren. „Celebrate Life. Experience Vienna.“ ist unser Vienna, Intl. und lassen Sie sich zu einer Reise nach Motto für 2022. Und genau diese Lebensfreude Wien inspirieren. Wir erwarten Sie, um gemeinsam spiegelt sich auch in der zweiten Ausgabe unseres mit Ihnen wieder das Leben zu feiern – ganz gemäß Magazins Vienna, Intl. wider, das Sie gerade in unserem Motto „Celebrate Life. Experience Vienna.“ Händen halten. Wir haben erneut einen Streifzug durch Wien gemacht, spannende Menschen getroffen und außergewöhnliche Einblicke gewagt. Wussten Sie zum Beispiel, dass Wien sich zu einem Hotspot für Künstler mit afrikanischen Wurzeln entwickelt? Ihr Wir feiern den 100. Geburtstag des Modegenies NORBERT KETTNER Foto: © WienTourismus/Peter Rigaud Rudi Gernreich, der den weltberühmten Monokini Direktor des WienTourismus erfand. Die derzeit angesagteste Art Directrice und Designerin der Stadt, Laura Karsinski, gibt uns Einblicke in ihre Arbeit. Außerdem erwarten PS: Bleiben Sie gesund! EDITORIAL 5
Celebrate Life. (Text) Robert SEYDEL Experience Vienna. Wien feiert 2022 sein großes Comeback: Die Metropole zeigt sich von ihrer besten Seite und zelebriert wieder das Leben, die Kunst, den Genuss und natürlich das außer- gewöhnliche Stadtleben in all seinen Facetten. Let’s celebrate the Arts, the City and the Extraordinary. Celebrate Wien ist in all seiner Pracht zurück. Die Stadt prä- sentiert sich noch lebendiger, moderner und präch- the Arts tiger als vor der Krise und wartet mit zahlreichen (neuen) Gründen auf, das Leben hier wieder zele- brieren zu können. Denn Wien hat kontinuierlich an seiner Zukunft gearbeitet. Genauso wie man Einer der Erfolgsfaktoren Wiens ist die hohe das eben in einer Metropole macht. Hinter den im- Lebensqualität. Die lockt Künstler:innen und Krea- perialen Kulissen der Stadt wird stetig Neues ent- tive an. Wiens florierende Kunst- und Kulturszene wickelt. Seit Jahrhunderten schon prägen Kunst, ist integraler Bestandteil der DNA dieser Stadt. Kultur, Wissenschaft, Diversität, Austausch, Archi- Drei Viertel der Wien-Gäste kommen wegen des tektur und Genuss die Seele dieser Stadt. Wien hat herausragenden Kunst- und Kulturangebots nach schon vieles erlebt, aber eines noch nie: Stillstand. Wien. Schon der österreichische Schriftsteller Karl Foto: © WienTourismus/Paul Bauer Auch 2022 wird diese Stadt ständig in Bewegung Kraus (1874-1936) stellte treffend fest: „Die Straßen sein und ihren Besucher:innen und Bewohner:in- Wiens sind mit Kultur gepflastert. Die Straßen nen das Beste aus allen Welten bieten – allen voran anderer Städte mit Asphalt.“ Und tatsächlich: aus Kunst, Kultur, Stadtleben und Genuss. Alleine zwischen Universität Wien und Karlsplatz – 6 Vienna, Intl. – Issue 2
Wien ist abwechslungsreich: Imperiale Kulisse wechselt sich mit zeitgenössischer Architektur ab. In der Innenstadt kommt man ohne Probleme zu Fuß von A nach B. Öffentliche Räume sind längst keine Parkplätze mehr, sondern Orte zum Wohl- fühlen und Durchatmen. Schon jetzt besteht die Hälfte der Stadt aus Grünraum und Gewässern, knapp 1.000 Parks verschönern die Stadt. Diese Stadt bietet die Erlebnisse einer sicheren Metro- pole ohne die Stressfaktoren einer Metropole. Das macht sie auch für Meetings so attraktiv: Mehr als 200 beeindruckende Locations und Meeting- Hotels, von historisch bis modern, bieten den per- Foto: © WienTourismus/Paul Bauer fekten Rahmen für Kongresse, Firmentagungen und auf einer Fläche von nur knapp 1,2 km² – können Incentives. Wien-Gäste fast 30 Museen besuchen. Mehr Auch bei der Gestaltung neuer (smarter) Kunst – von der Antike bis zur Gegenwart – auf Stadtentwicklungsgebiete wird darauf geachtet, so kleinem Raum geht nicht. Wien ist ein Kraft- zentrum der Kunst. Das Wiener Kulturangebot hätte locker in einer viermal so großen Stadt Platz. Und Wiens Kulturszene wächst kontinuier- lich weiter: 2022 werden in Wien noch einige neue Museen wie das Untere Belvedere oder die Heidi Horten Collection (wieder) eröffnet (siehe dazu Story auf Seite 24). Und Wien ist am besten Weg, zu einem Hotspot für Künstler mit afrikanischen Wurzeln zu werden, die sich an Gustav Klimt und Egon Schiele orientieren (siehe dazu Story auf Seite 14). Die kulturelle Vielfalt der Stadt macht das hochwertige Angebot aus und ist gleichzeitig Produkt und Ausdruck des kosmopolitischen, welt- offenen Wiens, das sowohl den Wiener:innen als auch den Besucher:innen zugutekommt. Celebrate the City Offenheit und Austausch sind integraler Bestand- teil dieser Stadt, Diversität kein Marketingschlag- wort. So übernahm Wien österreichweit eine Vorreiterrolle in der LGBT-Gleichstellung. Darüber hinaus lassen sich 178 verschiedene Staats- angehörigkeiten in Wien finden. Diese Gemenge- lage unterschiedlichster Einflüsse kann man vor allem in den vielen Grätzeln Wiens erleben (siehe dazu Story auf Seite 56). Hier kann das Stadtleben am besten zelebriert werden. Foto: © WienTourismus/Christian Stemper 8 Vienna, Intl. – Issue 2
nicht nur innovativen und nachhaltigen Wohn- raum zu schaffen, sondern auch Forschungsstätten, moderne Designer-Hotels mit nachhaltigen Kon- zepten (wie zum Beispiel das Dormero Hoho, das zu 75 Prozent aus Holz besteht), Co-Working-Spa- ces, Grünraum und Kultur zu integrieren. Und bis 2040 will Wien klimaneutral sein. All diese Faktoren machen Wien auch zu einer „Happy City“. Zu einer Stadt der kurzen Wege, in der man sich sicher fühlen und Menschen begegnen kann. In der man nur ein paar Meter zu- rücklegen muss, um in die nächste Grünoase zu gelangen. – Auch, wenn’s oft nicht so wirkt … wir Foto: © WienTourismus/David Payr Wiener:innen sind wirklich glücklich. (siehe Story auf Seite 68). Nachhaltiger geht’s kaum. Wussten Sie, dass Wien Gurkenhaupt- stadt ist? – 62 Prozent der österreichischen Gurken stammen aus Wien. Und Wien hat noch einen großen Luxus: Hier braucht man nur die Wasserleitung aufdrehen und hat frischstes, bes- tes Trinkwasser, das direkt aus den Bergen kommt. Das ist nicht selbstverständlich für eine Metropole, darum werden wir weltweit beneidet. Aber Wien hat noch etwas Erstaunliches vollbracht: Jahrhundertealtes Handwerk und Design werden laufend neu interpretiert. Betriebe aus der Kaiserzeit wie Augarten Porzellan sind kontinuierlich mit der Zeit gegangen und ferti- gen heute Stücke von höchster Qualität in mo- dernem Design (siehe dazu Story auf Seite 46). Foto: © WienTourismus/Christian Stemper Junge Designer:innen wie Laura Karasinski Celebrate (siehe dazu Story auf Seite 38) mischen die Wiener Szene auf und werden auch gerne gebucht, um ganze the Extraordinary Hotels wie die neue „Superbude“ im Wiener Prater einzurichten. Let’s celebrate Nicht zuletzt auch wegen des guten Essens und des hervorragenden Weins: Es gibt in Europa keine einzige Millionenstadt, nach der eine Küche – die „Wiener Küche“ – benannt ist, keine, in der Wein Sie sehen: Es gibt genug Gründe, 2022 in und mit in diesen Mengen angebaut wird, keine, die mit Wien zu feiern. Sie werden die Stadt nicht nur der unvergleichlichen Kaffeehauskultur aufwarten glücklicher verlassen. Die Eindrücke, die Sie in kann. Und dank der Wiener Mehlspeisenvielfalt dieser Metropole sammeln, werden Sie nach- könnte man in fast jedem Café eine Tortenschlacht haltig begeistern. Und Sie werden wiederkommen veranstalten – Zuckerschock garantiert. müssen, denn auch künftig wird die Stadt nicht Was vielleicht überrascht: In Wien werden stillstehen. Der Weg zur nachhaltigen Smart City auch Lebensmittel produziert, die in der Wiener ist eingeschlagen. Die Lebensqualität wird weiter Gastronomie auf den Tisch kommen. Mit innova- steigen. Das Wien der Zukunft ist längst Gegen- tiven Konzepten und ohne lange Transportwege wart. Und das ist Grund genug, 2022 zu feiern. CELEBRATE LIFE. EXPERIENCE VIENNA. 9
Celebrate: Kunst & Kultur Ist es afrikanische Kunst, die dudelt, oder sind es Wiener Saiten – und das in neuen Palästen der Kunst? 12 Zehn Fragen an Agnes Palmisano Die Wiener Dudlerin erzählt über die Lieder Wiens. 14 Wiener Moderne Revisited Wie Kunst-Shootingstars mit afrikanischen Wurzeln die Kunstwelt aufmischen und von Wien aus die Welt erobern. 20 Wiener Saiten für die Welt Handgefertigte Saiten für Streich- und Zupfinstrumente der Wiener Firma Thomastik-Infeld für die Musik-Superstars. 24 In neuem Glanz In den kommenden Jahren werden viele Museen (wieder) eröffnet. Ein Blick auf die neuen Kunsttempel Wiens. 26 Tischler-Twins im Konzerthaus Die beiden Wiener Originale Wolfgang Becker und Franz Risavy arbeiten hinter den Kulissen Foto: © WienTourismus/Peter Rigaud des Wiener Konzerthauses. 11
Zehn Fragen an (Interview) Susanna BURGER Agnes Palmisano (Foto) Paul BAUER Dudeln – schon davon gehört? Sängerin Agnes Palmisano beherrscht es. Im Interview bei ihr zuhause – sie wohnt in einem Heurigen, wiene- rischer geht es nicht – erzählt sie uns über die- Agnes Palmisano c/o Heuriger Hengl-Haselbrunner se Art des Singens. Über das Wienerlied, über Iglaseegasse 10 Live-Auftritte, über die Wiener Seele und über 1190 Wien www.agnes-palmisano.at ihre Stadt – Wien. www.hengl-haselbrunner.at ➀ Was ist der Wiener Dudler? Renaissancekomponisten John Dowland Eine Mischung aus Koloraturgesang und auf Wienerisch. alpinem Jodler, mit ganz starkem emotio- nalen Ausdruck. Ich vergleiche es mit dem, ➅ Wie klingt Wien für Sie? was Babys mit ihrer Stimme machen: quen- Ein wenig fein und ein wenig derb – in der geln, freudvoll jauchzen, zufrieden vor sich richtigen Mischung. Das direkte Neben- hin lallen. einander von beidem macht Wien aus. – Eine Mischung aus Sacher-Torte und Burenwurst. ➁ Ihr Tipp: Wo hört man Wiener Musik? Jeden Dienstag beim Heurigen Hengl- ➆ Was zeichnet die Wiener:innen aus? Haselbrunner. (Lacht.) Zufällig da, wo ich Der Hang zum Phlegmatischen, Gemütli- auch wohne. Wir versuchen, das lebendige chen. Auch der Humor – mit der Fähigkeit, Musizieren aufrecht zu erhalten. über sich selbst lachen zu können. Über die strahlende und die dunkle Seite. ➂ Wo treten Sie noch gerne auf? Überall! Am wohlsten fühle ich mich in ➇ Wann sudern die Wiener:innen? kammermusikalischem Rahmen, wenn ich Es hat mit Bequemlichkeit zu tun. Das biss- das Publikum spüre. Dann kreieren wir chen Energie, sich über etwas aufzuregen, gemeinsam Energie. kratzt man zusammen. Mehr – zum Beispiel etwas ändern – geht aber nicht. ➃ Wie wichtig ist der Live-Moment bei Auf- tritten? ➈ Was gibt es nur in Wien? Künstler:innen transformieren die vorhande- Den Wiener Dudler. Er ist immaterielles ne Energie. Alle Zuhörer:innen sind mitver- Kulturerbe der UNESCO. Derzeit verknüpft antwortlich, ob der Abend „aufgeht“ – mit man meinen Namen damit – das ist ok, und der Art, wie und ob sie die Musik zulassen. ich mache es auch sehr gern. ➄ Dudeln ist für Sie sicher nicht alles … Wo finden Sie Wien am schönsten? Ich singe viel Wienerlied, am liebsten mit Auf meiner Terrasse. Und auf der Donau- meinem Trio. Auch Liedprogramme mit insel – mein Anker, seit ich hergezogen bin. dem Pianisten Paul Gulda. Oder Lieder des Dort kann ich mich bewegen. KUNST & KULTUR 13
Die angesagteste Kunst am US-Markt ist tief in Wien ver- wurzelt. Der Shootingstar Amoako Boafo aus Ghana hat in Wien Malerei studiert und wurde massiv von Künstlern wie Egon Schiele beeinflusst. Nicht der einzige afrikanische Künstler, der sich in Wien vom radikalen Denken der Wiener Moderne inspirieren lässt. Mit Alexandre Diop wartet bereits der nächste Jungstar. Ihr gemeinsames Thema? Schwarze Identität und schwarzes Selbstbewusstsein. Wiener Moderne REVISITED (Text) Johannes LUXNER Die Kunst der Wiener Moderne ist so aktuell und international wie nie zuvor. Das zeigt der aus Ghana stammende Maler Amoako Boafo. Der 37-Jährige erobert den US-Kunstmarkt im Sturm. Seine Werke hängen im New Yorker Guggenheim Museum ebenso wie im Museum der bedeuten- den US-Kunstsammler:innen Don und Mera Rubell. Die Preise für seine expressiven Gemälde Foto: Courtesy of the artist and Roberts Projects Los Angeles; photo by Robert Wedemeyer sind 2020 durch die Decke gegangen. Ein Boafo kostet mittlerweile bis zu einer Million Dollar. Die internationale Kunstwelt ist begeistert. Was Boafos Malerei so besonders macht? Im Mittel- punkt seiner Werke stehen People of Colour. Er porträtiert Menschen der Diaspora, spielt mit Black-Lives-Matter trifft auf die Wiener Moderne: deren Selbstwahrnehmung und deren Schönheit, „In Yellow with Malcolm“ von Amoako Boafo um die Betrachter:innen zu einer Reflexion über Foto: © Amoako Boafo, 2018. Courtesy of the artist and Roberts Projects Los Angeles; photo by Robert Wedemeyer schwarze Subjektivität einzuladen. Boafo geht es darum, die Vielschichtigkeit der porträtierten Dokumentieren sowie das Feiern und Aufzeigen Personen zu zeigen. Es ist Kunst, die auf intellektu- neuer Wege, sich dem Schwarzsein zu nähern“, eller Ebene die Anliegen der Black-Lives-Matter- lässt der öffentlichkeitsscheue Künstler in einem Bewegung perfekt widerspiegelt. „Die Haupt- Pressestatement wissen. Begonnen hat die un- idee meines Schaffens ist die Repräsentation, das glaubliche Geschichte in Wien. KUNST & KULTUR 15
Wien inspiriert Boafo kam 2014 nach Wien, um an der Akademie der bildenden Künste zu studieren. Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für den Sohn eines Fischers und einer Köchin. Denn in Wien lernte Boafo die Kunst der Wiener Moderne, insbesondere die radikalen Werke von Egon Schiele, kennen. Schieles Einfluss auf Boafos Werke ist selbst für Laien kaum zu übersehen. Die figurative Malerei des Ghanaers steht in Sachen Aus- druckskraft der Kunst, die im Wien um 1900 entstand, in nichts nach. In beiden Fällen geht es darum, alte Muster aufzubrechen und die Welt neu zu denken. Damit hat Boafo einen Nerv getroffen. Fulminanter Aufstieg Der bekannte US-Maler Kehinde Wiley, der Schöpfer des offiziellen Porträts von Barack Obama, ent- Egon Schieles Einfluss auf die Kunst von Amoako Boafo deckte Boafo auf Instagram und wurde zu ist nicht zu leugnen: „Reflection 1“ Foto: © Amoako Boafo, 2018. Courtesy of the artist and Roberts Projects seinem ersten wichtigen Förderer. Auch der in- Los Angeles; photo by Robert Wedemeyer ternational bestens vernetzte Wiener Künstler- manager Amir Shariat beflügelte gemeinsam mit Fußball, Tanz, Kunst der in Los Angeles ansässigen Galerie Roberts Auch der erst 25-jährige Alexandre Diop ist drauf Projects Boafos Karriere, indem er den Künst- und dran, von Wien aus eine große Karriere zu ler vor zwei Jahren an die wichtigen US-Kunst- machen. Im Herbst 2021 war Diop auf der Art sammler:innen Don und Mera Rubell vermittelte. Basel vertreten. Die für ihren guten Riecher Boafo war der erste Künstler, der im neuen bekannten Rubells besitzen aufgrund der Ver- Kunstmuseum der Rubells in Miami eine Artist mittlung durch Amir Shariat bereits mehrere Residency erhielt. Die Eigendynamik nahm seiner Bilder, und die nächsten zwanzig Werke, ihren Lauf. Mittlerweile tingelt Boafo zwischen die Diop schaffen wird, sind bereits verkauft. Wien, Los Angeles und der ghanaischen Haupt- Es bahnt sich ein ähnlicher Hype wie um Boafo stadt Accra hin und her und legt eine der un- an. Beide Künstler werden von Robert Projects, glaublichsten Kunstkarrieren der vergangenen Los Angeles, vertreten. Doch vollkommen ab- Jahre hin. In der Galerie Roberts Projects in Los seits seiner Kunst hat es allein schon Diops Bio- Angeles hat er im September 2021 seine zweite grafie in sich: Eigentlich wollte der gebürtige große Einzelausstellung eröffnet. Für das Franzose mit senegalesischen Wurzeln Profifuß- Modelabel Dior arbeitete Boafo an der Herren- baller werden. Er kickte als Teenager im Nach- modenkollektion 2021 mit. Das Spannende: wuchskader von Paris Saint Germain. Daraus Boafo ist kein Einzelfall, was Kunst mit wurde nichts. Stattdessen ging er nach Berlin, afrikanischem Hintergrund aus Wien betrifft, wo er Tanz und Choreographie studierte. Doch die maßgeblich von der Wiener Moderne be- vor gut zwei Jahren zog es ihn nach Wien, um einflusst ist. an der Akademie bei Daniel Richter Malerei zu M 16 Vienna, Intl. – Issue 2
Vor wenigen Jahren noch kickte Alexandre Diop für Paris Saint Germain. Doch es zog ihn nach Wien, um Malerei bei Daniel Richter zu studieren. Foto: © WienTourismus/Paul Bauer belegen. „Wien ist die perfekte Stadt für mich. im dritten Bezirk. Ein Ort, an dem viele Fäden Hier kann ich konzentriert arbeiten. Wien ist zusammenlaufen: Im selben Gebäude hat Amoako unglaublich inspirierend“, erzählt Diop im Rah- Boafo ein Atelier. Die beiden sind befreundet. men eines Besuchs in seinem Hinterhof-Atelier Aber auch die österreichischen Künstler:innen Martha Jungwirth und Erwin Bohatsch haben hier ihre Studios. Ein kreativer Hotspot von Welt- rang, von dem selbst in Wien kaum jemand weiß. Diop: „Hier fühle ich mich am wohlsten. In Berlin wäre es für mich unmöglich gewesen, an ein solches Atelier ranzukommen. Dass es immer mehr Künstler aus aller Welt nach Wien zieht, ist kein Wunder.“ Klimts Bling-Bling Auch Diop setzt sich in seiner Kunst intensiv mit schwarzer Identität und schwarzem Selbst- bewusstsein auseinander. Doch Diops Werk gibt sich ungleich Materialien von Müll- und Schrottplätzen sind Diops bevorzugte Werkstoffe. Foto: © WienTourismus/Paul Bauer KUNST & KULTUR 17
düsterer und mysteriöser. Klimts Einfluss ist nicht zu übersehen: „Schiele ist toll, Klimt finde ich noch großartiger.“ Auch wenn die Heran- gehensweise unterschiedlicher kaum sein könnte. Diops Werke entstehen auf Holz, und er bevor- zugt Materialien, die er auf Schrottplätzen und Müllplätzen findet. Vor allem Metall hat es ihm angetan. „Einer meiner Lieblingsorte ist ein Schrottplatz in der Prager Straße. Die Gegen- stände von dort sind für mich die wesentlich effizienteren künstlerischen Mittel als Farbe.“ Der metallene Schimmer in seinem Werk ist als Referenz an Klimts üppigen Einsatz von Gold zu verstehen: „Klimts Bling-Bling fasziniert mich deshalb, weil er damit etwas sehr Sakrales trans- portiert. So ergibt Gold Sinn.“ Und Diops Kunst besitzt sehr viel intellektuellen Tiefgang: „Zu meinen größten Inspirationsquellen gehören die Bücher des senegalesischen Historikers und Hauptvertreters des Afrozentrismus Cheikh Auch so manches Klimt-Fundstück verarbeitet Diop in seinen collagenartigen Werken. Foto: © WienTourismus/Paul Bauer Anta Diop, der ab den 1950ern gegen die Margi- nalisierung Afrikas mit den Mitteln der Wissen- schaft ankämpfte. Ihm ging es um ein gesteigertes afrikanisches Selbstbewusstsein.“ Die beiden sind weder verwandt noch verschwägert, aber Brüder im Geiste. Und eigentlich unglaublich, dass der Franzose erst seit gut drei Jahren in der bilden- denden Kunst verhaftet ist. Seit wann sich der Ex- Fußballer überhaupt als Künstler fühlt? Diop Expressiv wie die Wiener Moderne: Diops größter grinst: „Immer schon. Denn auch Fußball ist Kunst. Einfluss ist das Werk von Gustav Klimt. Foto: © WienTourismus/Paul Bauer Weil es in beiden Fällen darum geht mich auszu- drücken. Beides hat etwas sehr Spielerisches.“ 18 Vienna, Intl. – Issue 2
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Einzigartige Klangerlebnisse werden durch Vision und Präzision erst möglich gemacht. Handgefertigte Saiten für Streich- und Zupfinstrumente aus dem Haus Thomastik-Infeld gehören längst zum guten Ton. Mit viel Mut zur Innovation und Leidenschaft für die Musik hat es das Wiener Familienunternehmen seit 1919 bis an die Weltspitze geschafft. (Text) Maria SCHALLER WIENER Saiten für die Welt Das Klang-Universum von Thomastik-Infeld be- Alle unter einem Dach ginnt, wo man es nicht sofort vermuten würde, Bei den handgefertigten Saiten von Thomastik- hinter einer dunkelroten Tür in der eher unschein- Infeld handelt es sich um hochmoderne High-Tech- baren Diehlgasse 27. In den Werkstätten im fünf- Produkte. Erkenntnisse aus Physik, Materialwis- ten Bezirk werden jene Musiksaiten geplant und senschaft, Korrosionskunde, Werkzeugtechnik und gefertigt, die von Wien aus die ganze Welt erobern. Präzisionsmaschinenbau werden vereint. Für die Jährlich werden hier rund 4,2 Millionen Saiten akribische Planung und präzise Umsetzung zeich- unter Einsatz präzisester Technologien hergestellt. nen 206 Mitarbeiter:innen verantwortlich, ihre Jede einzelne wird per Hand kontrolliert, bevor geschulten Hände und prüfenden Augen sind un- sie die Diehlgasse verlässt. 97 Prozent von ihnen verzichtbar. Die Einschulung neuer Kräfte nimmt werden in 85 Länder exportiert. Über 400 offizi- rund zwei Jahre in Anspruch. 78 Prozent der elle Vertriebspartner:innen zählt man mittlerwei- Angestellten sind übrigens weiblich. „Dieser Anteil le weltweit. Das Sortiment mit seinen insgesamt ist zufallsbedingt“, erzählt Zdenka Infeld, die den 22 Produktfamilien umfasst Saiten für klassische Familienbetrieb seit 2009 leitet und die Beleg- Streichinstrumente genauso wie jene für Gitar- schaft an einem einzigen Standort vereinen kann: ren und Weltmusikinstrumente. Worin aber liegt „Für unseren Qualitätsanspruch ist es essenziell, das Geheimnis in über einhundert erfolgreichen dass unsere Techniker:innen, Entwickler:innen Jahren? und die Qualitätssicherung ihre Arbeitsplätze im Foto: © Nik Pichler selben Haus haben.“ 20 Vienna, Intl. – Issue 2
Der Erfolg von Thomastik-Infeld ist ein Zusammenspiel aus moderner Technologie und präziser Handarbeit. Die Mitarbeiter:innen sind echte Profis, nichts wird dem Zufall überlassen – wie hier bei der Produktion von Cellosaiten. Zum Einsatz kommen stets die hochwertigsten Saitenmaterialien. Fotos: © H&H Business Fotografie (oben) | © Nik Pichler (unten) 22 Vienna, Intl. – Issue 2
Der Sitz des Unternehmens in Wien bringt un- quasi zum guten Ton. Ein weiterer Meilenstein schätzbare Vorteile mit sich. Weltweit weiß man in der Firmengeschichte war die Etablierung von um Wiens einzigartige Konzertsäle, in denen „Stringtelligence®“ zum 100. Geburtstag 2019, herausragende Musiker:innen auftreten. Aber aus einer Wissensplattform, die Musiker:innen rund Wien stammt oftmals eben auch das Material, um den Globus umfangreiches Know-how auf das die besten Klangerlebnisse erst ermög- Knopfdruck liefert. licht. „Der Standort Wien ist für uns als Enorm wichtig ist aber auch die intensive Saitenschmiede außerordentlich bedeutsam. Zusammenarbeit mit Solist:innen und Orches- Der Weg von einer der berühmten Bühnen zu tern vor Ort in Wien. Internationale Größen uns in die Werkstatt ist ein kurzer“, erklärt unterschiedlicher Genres werden regelmäßig ein- Nina Haberlehner, Global Marketing & Creative geladen, um ihren wertvollen Beitrag in der Pro- Director bei Thomastik-Infeld. duktentwicklung und Qualitätssicherung zu leis- ten. Das persönliche Feedback ist unbezahlbar, Die Erfolgsformel trotz des enormen technischen Know-hows kann Dass sich das Unternehmen bis zum Weltmarkt- kein Computer der Welt Klangqualität berech- führer in der Herstellung von Violinsaiten entwi- nen. Musiker:innen wie Ödön Rácz, Snow Owl, ckeln konnte, ist zwei Wiener Visionären zu ver- Aleksey Igudesman, Hilary Hahn, George Benson, danken, die den Betrieb mit ihrem Innovationsgeist Robert deMaine oder das Emerson Quartet geben und ihrer Leidenschaft für Musik 1919 gründeten: sich seit Jahren bei Thomastik-Infeld die Klinke Franz Thomastik, Doktor der Philosophie und Gei- in die Hand. Denn Klang ist in der Diehlgasse 27 genbauer, der das kreative Experimentieren mit in Wien-Margareten eben allgegenwärtig. den Saiten liebte. Und Otto Infeld, als Ingenieur und Technik-Experte sein idealer Partner. Kreati- vität und Mut, gepaart mit Präzision und Know- how, sind seit Anfang an Grundpfeiler der Firmen- philosophie. Und Teil des Erfolgsrezepts: Seit der Firmengründung wurden 80 nationale und inter- nationale Patente angemeldet – mehr als von jedem anderen Saitenhersteller weltweit. Thomastik-Infeld trieb die Entwicklung neuer hochwertiger Saiten über die Jahrzehnte stets voran. Das Bestreben gipfelte 1970 in der Herstellung der „Dominant“ – sie gilt bis heute als meistgespielte und bekannteste Saite der Welt. Ihr synthetisches Material weist viele Vorteile vergli- chen mit den einst bevorzugten Naturdarmsaiten auf, sie ist beständiger gegenüber externen Ein- flüssen und hat eine längere Lebensdauer. Seit über Foto: © Nik Pichler 50 Jahren wird diese Saite, die 2021 um die „Dominant Pro“ erweitert wurde, rund um den Erdball geschätzt. THOMASTIK-INFELD GMBH Diehlgasse 27 Hinhören und verbessern 1050 Wien Egal ob im Wiener Musikverein, im Sydney Opera House, im Central Park von New York www.thomastik-infeld.com www.stringtelligence.com oder beim Heavy-Metal-Festival in Wacken – www.dominantpro.com Thomastik-Infeld ist längst auf den Bühnen und Straßen der ganzen Welt vertreten. Instrumente Email: marketing@thomastik-infeld.com Telefon: +43 1 54 51 262 mit den Saiten aus Wien auszurüsten, gehört KUNST & KULTUR 23
In neuem Glanz Vorfreude liegt in der Luft. Denn die Kulturmetropole Wien wird in den kommenden Monaten und Jahren um zusätzliche Highlights reicher – wenn diese außergewöhnlichen Museen in der Stadt (wieder) eröffnen. (Text) Maria SCHALLER Foto: © the next ENTERprise architects, Courtesy Heidi Horten Collection Heidi Horten Die ausgestellten Hochkaräter – unter anderem von Gustav Klimt, Egon Schiele, Pablo Picasso, Collection Andy Warhol, Marc Chagall und Gerhard Richter – verdienen natürlich eine außergewöhnliche Loca- ● 1., Hanuschgasse 3 tion. Am Stöcklgebäude aus dem Jahr 1862, einem → www.hortencollection.com Innenstadt-Palais zwischen Wiener Staatsoper, Dieser Neuzugang auf der Wiener Museen-Land- Albertina und Burggarten gelegen, waren umfas- karte wird zu Recht mit großer Spannung er- sende Umbauarbeiten notwendig. Das Innere des wartet. Im Herzen von Wien entsteht gerade ein Gebäudes wurde komplett ausgehöhlt; die Fassade völlig neues Museum, das mit der Heidi Horten aufwendig saniert und begrünt. Drei Ebenen Collection eine der hochkarätigsten Privatsamm- bieten künftig 1.500 m2 Ausstellungsfläche. Auch lungen Europas beheimaten wird. Kunstmäzenin die zeitgenössische Kunst wird nicht zu kurz kom- Heidi Goëss-Horten, eine von weltweit nur weni- men. Das Warten hat voraussichtlich im Frühjahr gen Museumsgründerinnen, trägt seit 30 Jahren 2022 ein Ende. einen beeindruckenden Querschnitt der Kunst- geschichte von der Klassischen Moderne bis zur Gegenwart zusammen. 24 Vienna, Intl. – Issue 2
Unteres Belvedere Trierenberg zu einem Haus- Margarete Schütte- ● 3., Rennweg 6 museum umgestaltet und der Lihotzky-Zentrum → www.belvedere.at ● 5., Franzensgasse 16/40 Öffentlichkeit dauerhaft zu- → www.schuette-lihotzky.at Die einstige Sommerresidenz gänglich gemacht. Derzeit wird Prinz Eugens am Wiener Renn- an einem Konzept mitsamt Eine weitere Wiener Pionierin weg, ein imposant-pompöser Sanierung gefeilt und ein:e wird museal geehrt: Architek- Barock-Traum, öffnet nach einer Betreiber:in gesucht, Anfang tin Margarete Schütte-Lihotzky. Generalüberholung Anfang 2022 2024 will man eröffnen. Als Vorreiterin des sozialen wieder ihre prachtvollen Tore. Wohnbaus, Verfechterin der Das Gebäude wurde an inter- Frauen- und Friedensbewegung nationale Museumsstandards Hedy Lamarr Museum und Widerstandskämpferin ge- angepasst. Die Sicherheits- und gen den Nationalsozialismus ist Klimatechnik wurden moder- sie unvergessen. Auf die Erfin- nisiert und die Barrierefrei- dung der Einbauküche, bekannt heit verbessert. Auch ein gast- als Frankfurter Küche, wollte sie ronomisches Angebot erwartet nie reduziert werden. Ihre letzte Foto: © MGM, Foto: László Willinger die Besucher:innen. Wieder- Wohnung in der Franzensgasse, eröffnet wird Ende Jänner mit die Schütte-Lihotzky drei Jahr- einem echten Leckerbissen: Eine zehnte lang bis zu ihrem Tod im Sonderausstellung beleuchtet Jahr 2000 bewohnte, wird sa- Sigmund Freuds Einfluss auf niert und rekonstruiert. Voraus- Salvador Dalí. sichtlich mit März 2022 soll die unter Denkmalschutz stehende Leben und Vermächtnis des Wohnung für Besucher:innen Villa Beer Hollywood-Stars aus Wien wer- öffnen. ● 13., Wenzgasse 12 den künftig in einer permanen- → www.villabeer.wien ten Ausstellung gewürdigt. Der Sie ist ein wahres Meisterwerk amerikanische Freundeskreis Wien Museum Karlsplatz der Moderne, das Generatio- des Jüdischen Museum Wien er- ● 4., Karlsplatz 8 → www.wienmuseumneu.at nen von Bewohner:innen als warb 2021 ihren Nachlass – Fotos, Zuhause und einst sogar dem Zeichnungen, Briefe, Dokumente Es hat bereits einige Jahre auf britischen Geheimdienst als Zen- und Kleidungsstücke. Sohn dem Buckel und wird nach einem trale diente: Die in der Zwischen- Anthony Loder übergab die notwendig gewordenen Aus- und kriegszeit von Josef Frank und Objekte mit dem Wunsch, sie in Umbau in völlig neuem Glanz Oskar Wlach errichtete Villa Lamarrs Heimatstadt zu zeigen. erstrahlen: Das Wien Museum Beer. Jetzt wird das vierstöckige Hedy Lamarr, 1914 in Wien als am Karlsplatz, das seit 1959 die Architektur-Juwel in Hietzing Hedwig Kiesler geboren, sorgte Stadtgeschichte von der Jung- unter dem neuen Besitzer Lothar nach ihrer Emigration in die USA steinzeit bis zur Gegenwart doku- als glamouröser Film- mentiert. Die Arbeiten laufen star für Furore und aktuell auf Hochtouren. Der ebnete fast nebenbei moderne Museumsbau wird auf mit ihren Erfindun- doppelt so viel Nutzungsfläche gen den Weg für die wie bisher viel Platz für die er- moderne Telekommu- weiterte Dauerausstellung, aber nikation. Die Stand- auch für Veranstaltungen und ortsuche für das neue Vermittlungsprogramme bie- Foto: © Wolfgang Thaler Museum läuft. ten. Freuen darf man sich auch auf eine riesige (frei zugängli- che) Terrasse mit Blick über den Karlsplatz. Geplante Wiederer- öffnung: Ende 2023. KUNST & KULTUR 25
(Text) (Fotos) Susanna BURGER Gregor HOFBAUER Tischler-Twins im Konzerthaus Wiener Originale: Das sind Menschen, die Wien zu Wien machen, durch ihren Charakter, ihr Verhalten, ihren Way of Life. Gefunden haben wir zwei dieser Originale im Wiener Konzerthaus. Aber nicht auf, sondern hinter der Bühne: Wolfgang Becker und Franz Risavy, die Tischler des Hauses. 26 Vienna, Intl. – Issue 2
Die beiden Herren erzählen gerne ergibt. – Für uns eine interessan- und stolz von ihren Tätigkeiten te Aufgabe. Wissen zur Statik ist abseits des Rampenlichts. Mit gefragt. Es liegen tausende Kilo den üblichen Tischlerberufen hat Eis darauf.“ das nicht viel zu tun. Wolfgang Becker übt diesen Job schon Mäuschen spielen 30 Jahre aus, Franz Risavy Die beiden schätzen ihr Arbeits- über 20. Zu zweit bilden sie umfeld: „Wir gehen nicht nur hier die „Zwillinge vom Konzert- ins Haus, damit die Zeit vergeht. haus“: „Eine Türe kann man nicht Sondern mit Herz. Dafür gibt alleine aushängen. Die Bänke im es unvergleichliche Momente, Saal aufheben auch nicht.“ von denen andere nur träumen. Wenn wir von der Werkstatt 450 Türen und heraufkommen und die Wiener tausende Sessel Symphoniker spielen live ... Man Im Wiener Konzerthaus ist musi- muss halt sehr leise sein. Zehn kalische Vielfalt zuhause: Musik Minuten Mäuschen spielen. vom Mittelalter bis zur Gegen- Zwei Tischler. Verantwortlich Das hat sonst kaum jemand am für die 640 Räume des Wiener wart, in mehreren prächtigen Konzerthauses. Arbeitsplatz. In einer Tischlerei Sälen mit 1A-Klang und architek- sicher nicht, da läuft das Radio. tonischem Erlebnis (Jugendstil!). Klar, dass hier Wir kontrollieren auch einmal im Jahr die Säle immer wieder etwas kaputt geht. Das hat für unsere durch – die Sessel: auf Bewegung, Bruchstellen. beiden Tischler Priorität eins: Ab sieben Uhr Früh Wenn die Orgel spielt, lassen unsere Tischlerkopf- werden Fenster, Türen und Böden repariert. Bis hörer die Orgelklänge genau richtig gedämmt durch. zu Probenbeginn oder Aufnahme, wenn es heißt: Das ist genial.“ nicht stören. Wolfgang Beckers Lieblingsplatz in Wien: Auch die Instandhaltung ist ein großes Schönbrunn, das ganze Areal mit Schloss, Park, Thema. Das Wiener Konzerthaus verfügt über Tiergarten. Als Tipps nennt er weiter den Lainzer 640 Räume, und jährlich müssen 450 Türen feuer- Tiergarten und die Donauinsel – das grüne Wien. polizeilich überprüft werden. Ein Fall für Becker Und das Wasser, das in Trinkqualität direkt & Risavy. Genauso gehört die Bestuhlung gewartet aus der Leitung fließt. Franz Risavy fügt zu und neu bespannt – in den historischen Sälen stehen den Wien-Highlights das Belvedere hinzu, Sessel der Firma Thonet, noch von der Eröffnung denn „das Kulturelle kann Wiener Konzerthaus 1913. Die sind nicht nur schön und praktisch, son- was“. So wie noch etwas Lothringerstraße 20 dern dienen auch der besonderen Raumakustik. Der Flüssiges: der Wiener 1030 Wien Sessel macht den Ton. Wein, speziell die Sorte +43 1 242 002 www.konzerthaus.at Gemischter Satz. Eisklavier Leuchtende Augen bekommen Becker und Risavy, wenn sie von ihren kreativen Projekten erzählen. Getüftelt wird auch in der Freizeit, ein „geht nicht“ gibt’s nicht. Eine Lieblings-Story hat mit Wien Modern, dem Festival zeitgenössischer Musik, zu tun. Wolfgang Becker legt los mit seiner „spannen- den G’schicht zum Eisklavier“: „Die Idee war: Zu Georg Nussbaumers Installation Eine Winterreise ein Klavier auf die Bühne stellen, mit Eis überhäufen, das Klavier spie- Franz Risavy und Wolfgang Becker kümmern sich auch len und hören, welche Töne das je nach Eis-Situation um die historische Thonet-Bestuhlung aus 1913. Bei der Eröffnung war damals der Kaiser dabei. KUNST & KULTUR 27
Celebrate: Architektur, Mode & Design Mode heute und damals, nackte Tatsachen und schöne Dinge, umrahmt von der Mitte des 20. Jahrhunderts und hörbar gemacht mit Stil. 30 Zehn Fragen an Petar Petrov Der Modedesigner kleidet internationale Stars ein und glänzt mit eleganter Ästhetik und spannenden Schnitten. 32 Provokant und progressiv Eine Hommage an den österreichischen Mode-Revoluzzer Rudi Gernreich, der im Exil mit seinem Monokini Geschichte schrieb. 38 Das schöne Ganze Laura Karasinski ist Art Direktrice, Designerin und kreative Gestalterin. Seit zehn Jahren verschönert sie Orte überall in Wien. Ein Porträt. 42 Zurück in die Zukunft Zeitreise zur Mid-Century-Architektur der 1950er und 1960er, die in Wien noch omnipräsent ist. Foto: © WienTourismus/Christian Stemper 46 The Sound of Music Wien ist die Welthauptstadt der Musik. Auch bei Klang und Design von Soundgeräten spielt Wien international in der Oberliga. 29
Zehn Fragen an (Interview) Susanne KAPELLER Petar Petrov (Foto) Jork WEISMANN Modedesigner Petar Petrov hat von Wien aus Petar Petrov petarpetrov.com die Luxuskaufhäuser der Welt erobert. Stars wie Kristen Stewart und Gwyneth Paltrow schätzen In Wien erhältlich bei: Park, Mondscheingasse 20, die elegante Ästhetik und spannenden Schnitte 1070 Wien & Amicis Women, Tuchlauben 11, 1010 Wien seiner Designs. Der Modemacher mit ukrainisch- bulgarischen Wurzeln setzt auf Understatement, International u. a. bei: Bergdorf Goodman, bei sich und seinen Entwürfen. Galeries Lafayette, Harrods ➀ Wie sind Sie zur Mode gekommen? ➅ Wer sind Ihre Stilikonen? Mode hat mich immer interessiert. Meine Mich inspirieren Frauen mit Charakter, Mutter ist Schneiderin und sie hat mein Frauen, die ihr Leben in vollen Zügen ge- Interesse an Mode geprägt. nießen. Sie müssen nicht berühmt sein, aber sie sollen Geschmack und Stil haben. Viele ➁ Ihr ursprünglicher Berufswunsch? meiner Wiener Freundinnen sind interes- Ich wollte immer im Kreativbereich arbei- sante, inspirierende Frauen, die uns immer ten. Ich muss ehrlicherweise sagen, ich hatte zeigen, dass Mode etwas ist, worauf sie nicht keinen anderen Berufswunsch. Jedoch war verzichten möchten, aber auch, dass es ande- Modedesigner zu werden auch kein konkre- re Dinge im Leben gibt, die wichtig sind, um ter Plan, den ich verfolgt habe. Es hat sich so glücklich zu sein. ergeben und ich bin froh, dass ich diesen Beruf ausüben kann. ➆ Welche Wiener Berühmtheit würden Sie gerne einkleiden? ➂ Was inspiriert Sie in Wien für Ihre Arbeit? Ich muss Sie enttäuschen, aber Berühmt- Wien ist schön und klassisch, hat aber auch heiten interessieren mich nicht. Die span- eine versteckte wilde Seite. Es inspirieren nendsten Damen kleiden wir bereits ein – sie mich die Menschen, aber auch indirekt mei- stehen aber nicht gern in der Öffentlichkeit. ne Umgebung. ➇ Ein persönlicher Geheimtipp in Wien? ➃ Tauchen in Ihren Entwürfen auch Wiener Kommt darauf an, was einen interessiert. Elemente auf? Wien ist voll mit Geheimtipps. Nicht bewusst. Es geht eher um ein Gefühl, eine Stimmung. Wien ist ein sehr entspann- ➈ Wo können Sie in Wien am besten ter Platz, um zu leben und auch zu arbeiten. entspannen? Meine Arbeit ist sehr emotional und reflek- Gerne zuhause, aber auch bei Freunden tiert meine Umgebung und meinen Lifestyle. Wonach schmeckt Wien für Sie? ➄ Wo ist Wien für Sie modern? Nach Apfelkuchen. Wien ist nicht modern, aber das ist das, was ich an Wien liebe. ARCHITEKTUR, MODE & DESIGN 31
(Text) Karoline GASIENICA-BRYJAK Das schöne Ganze Ihr Stil: derzeit omnipräsent. Ihre Mission: Schönheit in unser Leben zu bringen. Laura Karasinski ist Art Direktrice, Designerin und kreative Gestalterin. Ihr Geschmack ist gefragter denn je. Seit zehn Jahren konzi- piert sie gemeinsam mit ihrem Team von Atelier Karasinski Design-Ideen und gestaltet Orte überall in Wien. Immer mit dem Blick aufs Schöne und aufs Ganze – von der Türklinke bis zur Decke. Foto: © Philipp Jelenska ARCHITEKTUR, WIENERMODE MODE& DESIGN 39
Motto Wien Foto: © Atelier Karasinski Mit Anfang 20 gründete sie ihr Design Atelier bei neuen Projekten wird die Historie drumherum Karasinski, damals noch in ihrer Wohnung im gründlich studiert. Das Restaurant Motto im 5. Be- 8. Bezirk. Heute findet sich das Atelier mit pastell- zirk war eines der ersten großen Interior-Projekte, rosa Küche, hellem gemeinschaftlichen Arbeits- das von Karasinski 2015 betreut wurde. Neun raum und ockerbraunem Meeting-Zimmer zwei Monate an Vorarbeit flossen allein in die Recherche. Gassen weiter ebenfalls in einem Wiener Altbau. Dabei kam heraus, dass das Lokal in den 40 Jahren Oft muss Laura Karasinski den 8. Bezirk nicht ver- seines Bestehens bereits vier Mal umgestaltet lassen, hier ist ihre Arbeit, hier ist ihr Leben. In wurde. Man suchte nach Bildern, Gästebüchern den letzten Jahren ist beides eng miteinander ver- und sogar nach ehemaligen Mitarbeiter:innen, die schmolzen, erzählt die junge Künstlerin, während mehr zum Motto von damals erzählen konnten. sie ihren koffeinfreien Kaffee mit Hafermilch trinkt. Altes wurde neu interpretiert und floss in die Viel Freizeit hat sie nicht. Konzeption. In der Gegenwart finden sich dann Ihr Einsatzgebiet ist so Elemente aus der Vergangenheit wieder: Zum facettenreich wie die Beispiel verkleidete der auffällige grüne Samt Farbpalette und Stilrich- einst die Wände. Heute erstrahlen die Sitzbänke tungen, mit denen sie im gleichen Material und in gleicher Farbe. arbeitet. Die 31-jährige Weitere Projekte wie der Adlerhof, eine Wienerin mit polnischen in Zusammenarbeit mit Gerd Zehetner vom Wurzeln sagt überzeugt: Architekturbüro Archiguards komplett umgestalte- „Man kann alles gestal- te Altwiener Gaststätte (siehe Seite 72-73), und zwei ten“. Ihre Arbeit bestätigt Beauty Concept Stores folgten: das Nagelstudio das definitiv: Von Web- Babetown mit integriertem Shop sowie das Fri- sites über Logos bis hin sör-Studio mit Kaffeehaus und Konditorei der Ge- zum gesamten Erschei- brüder Gepp. Die Liste ist weitaus länger – viel nungsbild eines Unter- Arbeit, die sich sehen lassen kann. Mit Wiederer- nehmens, allem verleiht kennungswert. Für Karasinski überraschend: „Viele sie den gewissen Touch. sagen, dass sie unseren Stil wiederkennen. Ich frage Dabei liebt sie es, mich woran?“ sich mit Wien und seiner Arbeitsraum und Meeting- zimmer im Atelier Karasinski Geschichte auseinander- Der Blick fürs Detail Foto: © The Daily Dose zusetzen, ganz besonders Elegante Farben, große Muster, edle Stoffe und 40 Vienna, Intl. – Issue 2
viel Vintage – damit arbeitet Ka- rasinski besonders gern. Sie ver- lässt sich dabei stets auf ihr Ge- fühl, wie sie die Grundästhetik eines Raums am besten betonen kann. Eben wie früher ein biss- chen, als man sich über die Ästhe- tik von Alltagsgegenständen noch mehr Gedanken machte. Nicht verwunderlich, dass sie sich bei ihrer Arbeit auf jahrhunderte- altes Handwerk verlässt. „Am liebsten arbeite ich mit Manufak- turen zusammen. Das Handwerk wurde über Generationen erlernt Hotel Karasinski und perfektioniert. Qualität, die Fotos: © Atelier Karasinski sich immer bewährt“, sagt sie und zeigt ein kleines Scharnier, das von der Kunstspeng- oder eigens konzipierten „Buden“ im neuen lerei Kyral, deren Geschichte bis 1910 zurückreicht, modernen Hotel Superbude im 2. Bezirk in der extra für ein Projekt produziert wurde. Der Vinta- Perspektivstraße 8. Dort ist auch das kleinste Hotel ge-Look ist beabsichtigt und wird mittels Patina von Wien untergebracht: Das Hotel Karasinski erreicht. Perfekt durchdachte Details. ist tatsächlich ein Hotel im Hotel, groß genug für Die bewährten Qualitätsstandards machen zwei. Es ist eine Suite mit Wiener Altbau-Charme, diese Stadt seit jeher zu einem attraktiven Standort die den Aufenthalt in der Stadt unvergesslich macht: für Kunstschaffende und kreatives Arbeiten. „Das eine freistehende Badewanne, stilvolle Vintage-Ein- Wien um die vorvergangene Jahrhundertwende als richtung, ein kuscheliges Bett und allerhand Über- kreative Hochburg und Heimat von Alma Mahler, raschungen. Monatlich wird es mit wechselnden Gustav Klimt und Koloman Moser hätte ich zu ger- Überraschungen wie Snacks, Büchern oder eigens ne miterlebt. Obwohl man es als Frau sicher auch zusammengestellten Playlists von Laura kuratiert. damals nicht leicht hatte. Trotzdem blieb die Stadt Auch Fahrräder werden bei Bedarf zur Verfügung nicht stehen. Heute bin ich sehr froh, wie sich das gestellt. Die Gäste im Hotel Karasinski sollen sich Leben und Arbeiten hier entwickelt. Wien wird so fühlen, als ob sie ADRESSEN lockerer. Und ist bereit für Veränderung. Nach bei ihr zuhause wä- etwas Überzeugungsarbeit entlocke ich bei neuen ren. Vertraut eben. Atelier Karasinski Projekten auch den skeptischsten Wiener:innen Das, was auch Wien ● P iaristengasse 17 ein Ja“, erzählt sie. Als Frau musste sie sich oft be- für sie bedeutet. Ge- → 1080 Wien www.atelierkarasinski.com weisen, doch sie hielt an ihren Ideen und Visionen bucht wird entweder fest – mit Erfolg. Ihre Kund:innen lieben ihre über die Website des Motto Wien Konzepte. Auffällig, ohne aufdringlich zu sein, Ateliers oder direkt ● S chönbrunner Straße 30 1050 Wien verfolgen sie immer ein Ziel: das schöne Ganze. bei der Superbude → www.motto.wien Wien Prater. Schönes Neues Sie arbeitet Babetown Ihre Liebe für Design und Kunst entwickelte natürlich schon am ● P1080 iaristengasse 17 Wien Karasinski schon in jungen Jahren. „Verschönern“ nächsten Projekt, was → www.babetown.at ist damals wie heute ihre Leidenschaft. In der es wird, ist allerdings Schule waren es noch Zeichnungen von noch topsecret. Mal Gepp ● Babenbergerstraße 7 Mitschüler:innen und manchmal sogar Tattoos, schau’n, was das Jahr 1010 Wien heute verleiht sie Innenräumen das gewisse 2022 noch so Schönes → www.gepp.wien Extra. Zuletzt tat sie das mit 178 Zimmern bringt. Superbude Wien Prater ● Perspektivstraße 8 1020 Wien → www.superbude.com ARCHITEKTUR, MODE & DESIGN
(Text) Johannes LUXNER (Fotos) Stephan DOLESCHAL Zurück in die ZUKUNFT Wien ist überaus historisch, doch genauso eine Stadt, Wiens Architektur hat die den Zeitgeist reflektiert. Und zwar gestern wie in allen Epochen der heute. Das demonstriert eine Zeitreise im Zeichen Baukunst Bemerkens- der Mid-Century-Architektur der 1950er und 1960er, wertes hervorgebracht. In den Fokus ist in den als die Stadt im Zeichen des großen Aufbruchs stand. vergangenen Jahren die Willkommen in der Zukunft von damals, in der es viel Mid-Century-Architek- zu erleben gibt. tur des 20. Jahrhunderts gerückt, die viel über die Stadt erzählt. Die 1950er Im Rahmen eines Crowdsourcing-Projekts waren und 1960er Jahre waren eine Ära des Neubeginns. die Wiener:innen aufgerufen, architektonische Auch in der Architektur kam eine vollkommen Kostbarkeiten aus der Mid-Century-Ära neue Formensprache ins Spiel, die mittlerweile zu nennen. Über 600 Rückmeldungen gingen nostalgische Gefühle auslöst. Die Wiener:innen ein. Herausgekommen ist ein fantastisches Buch, lieben die Bauwerke und Interieurs aus dieser Zeit. das tief ins 20. Jahrhundert eintaucht und dazu ein- Das zeigt ein neues Buch zum Thema, für das sich lädt, die Stadt von einer bislang wenig beleuchteten der Grafikdesigner Tom Koch und der Fotograf Seite kennen zu lernen. Egal ob Kaffeehaus, Kino Stephan Doleschal in der Zeit des ersten und Kirche – oder Hochschaubahn, Eissalon und Lockdowns auf Spurensuche begeben haben. Gruft: Es warten besondere Orte mit toller Atmo- „Mid-Century Vienna“ entstand aber auch unter sphäre, die auch nach einem halben Jahrhundert starker Einbindung der Wiener Bevölkerung. nichts von ihrer Modernität verloren haben. 42 Vienna, Intl. – Issue 2
Mid-Century mit Mehlspeise Kino wie damals Die Kinoära der 1950er Jahre originalgetreu erleben? Dann nichts wie ab ins Filmcasino, das eine Zeitkapsel sondergleichen ist. Die Inneneinrichtung ist original- getreu erhalten und stammt aus 1954. Ein Ort für wahre Cineast:innen: Das Filmcasino ist ein Programm- und Arthouse-Kino mit einem Schwerpunkt in Sachen Das Café Prückel ist eine absolute Besonderheit unter den europäischer Film. Doch genauso ist das Kino auch ein berühmten Kaffeehäusern entlang der Wiener Ringstraße. beliebter Ort für Dreharbeiten aller Art, was angesichts Das Gebäude stammt zwar aus der Zeit der Wiener Jahr- des fulminanten Designs kein Wunder ist. hundertwende um 1900, doch im Inneren regiert das Design der 1950er. Ein innenarchitektonischer Traum, ● Filmcasino, Margaretenstraße 78, 1050 Wien der maximale Leichtigkeit versprüht. Entworfen hat den Kaffeehausklassiker der Wiener Architekt Oswald Haerdtl, einer der bekanntesten und wichtigsten Gestalter seiner Zeit. ● Café Prückel, Stubenring 24, 1010 Wien Halle für alle Nostalgische Nächte Eines der wichtigsten Bauwerke der Mid-Century-Ära ist Übernachten ganz im Stil der 1960er? Das ist im Apart- die Wiener Stadthalle. Zwischen 1953 und 1958 errichtet, ment Engel im wunderschönen Grinzing, inmitten der handelt es sich um ein identitätsstiftendes Bauwerk, das beliebtesten Heurigen-Gegend Wiens, möglich. Gestal- fast alle Wiener:innen schon einmal besucht haben. Von tet wurde die Wohnung von den Wiener Architekten Otto Sport- bis Pop- und Rock-Events gibt es hier die volle Niedermoser und Carl Auböck. Buchbar ist das einmalige Unterhaltungspalette. Entworfen hat die Stadthalle der Maisonette-Apartment unter Wiener Architekt Roland Rainer, der einen zeitlosen www.midcentury-vienna.com. Klassiker schuf, der heute noch hochfunktional ist. ● Apartment Engel, Straßergasse 8-12, 1190 Wien ● Stadthalle, Roland-Rainer-Platz 1, 1150 Wien ARCHITEKTUR, MODE & DESIGN 43
Stilvoll bis ins Grab Grandioser Gastgarten Außerordentlich prominent gelegen, nämlich direkt am Heldenplatz bei der Hof burg, ist der Volksgarten Pavillon einer der besten innerstädtischen Orte, um in der warmen Die Kapuzinergruft ist die letzte Ruhestätte des Hauses Jahreszeit besonders stilecht einzukehren. Der schicke Habsburg-Lothringen. Seit dem 17. Jahrhundert wurden Pavillon und der Gastgarten mit seinen markanten Tisch- hier 12 Kaiser und 19 Kaiserinnen bestattet. Was viele lämpchen sind ein Traum für 1950er-Aficionados. nicht wissen: Die Kapuzinergruft wurde von 1960 bis Es warten tolles Essen, feine Drinks und ein erlesenes 1962 erweitert. Die so genannte Neue Gruft ist daher in DJ-Programm. waschechtes Mid-Century Design getaucht. Geplant hat sie Karl Schwanzer. Die grobkörnigen Betonwände sind ● Volksgarten Pavillon, Heldenplatz, 1010 Wien der Schichtung eines Grabes nachempfunden. ● Kapuzinergruft, Neuer Markt, 1010 Wien Auf einen Espresso Berg- und Talfahrt Auch im weltberühmten Wiener Wurstelprater hat das Ein 1950er-Juwel inmitten des angesagten 7. Bezirks, das Mid-Century-Design fantastische Spuren hinterlassen. Die in den 2000ern wiederentdeckt und behutsam revitalisiert von den Wiener:innen liebevoll Zwergerlbahn genannte wurde: Willkommen im Espresso Burggasse, einer der be- Panoramabahn zählt zu den letzten drei Bahnen ihrer Art liebtesten Plätze für hippes urbanes Publikum. Ausgestat- weltweit. Insbesondere die Fahrzeuge, mit denen es über tet ist das Espresso mit dem legendären Stadthallenstuhl, Berg und Tal geht, versprühen aufgrund ihrer angedeute- den Roland Rainer für die Wiener Stadthalle entworfen ten Stromlinienform einen ganz besonderen Charme. hat, und ebenso eine Wiener 1950er-Ikone ist. ● Zwergerlbahn, Wurstelprater, 1020 Wien ● Espresso Burggasse, Burggasse 57, 1070 Wien 44 Vienna, Intl. – Issue 2
Katholisch? Psychedelisch! Die außergewöhnliche Formensprache der 1950er hat auch vor Sakralbauten nicht Halt gemacht. Das beste Bei- spiel ist die Katholische Kirche Neuerdberg, die im Inne- ren nahezu psychedelisch anmutet. Dafür verantwortlich ist die besondere Konstruktion der bunt verglasten Fens- ter, die sich der Wiener Bildhauer Erwin Hauer patentie- ren ließ. Hauer emigrierte später in die USA, wo er viele Kirchen mit derselben Konstruktion ausstattete. ● Katholische Kirche Neuerdberg, Hagenmüllergasse 33, 1030 Wien Wohnen à la Tiefgefrorenes Design Wirtschaftswunder Kein anderes Wiener Hotel repräsentiert die Wirtschafts- wunderjahre besser als das Hotel Prinz Eugen. Die Fassade des in unmittelbarer Nähe zum Wiener Hauptbahnhof gelegenen Bauwerks ist aufgrund ihres schlichten Designs von zeitloser Klassik. Tipp: Ein Besuch in der Hotelbar, die sich seit den 1950ern nicht verändert hat und von längst vergangenen Zeiten träumen lässt. ● Hotel Prinz Eugen, Wiedner Gürtel 14, 1040 Wien Auf ein Eis? Fans der guten Gestaltung tun dies im Eis- salon Bortolotti im dritten Wiener Gemeindebezirk, wo sich diese wunderbare Leuchtreklame erhalten hat. Ein typisches Relikt der Mid-Century-Ära, als die Stadt an allen Ecken und Enden bunt leuchtete. Da schmeckt das Eis gleich doppelt so gut. BUCHTIPP: Tom Koch & Stephan Doleschal: Mid-Century ● Eissalon Bortolotti, Baumgasse 1, 1030 Wien Vienna, Falter Verlag, 240 Seiten, 29,90 Euro. Texte auf Deutsch und Englisch. ARCHITEKTUR, MODE & DESIGN 45
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