MIETER ECHO - Mietendeckel - und nun? Kommunaler Wohnungsbau ist notwendiger denn je - Berliner MieterGemeinschaft eV
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MIETERECHO
Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft e.V. www.bmgev.de Nr. 408 März 2020
Mietendeckel - und nun?
Kommunaler Wohnungsbau
ist notwendiger denn jeIMPRESSUM GESCHÄFTSSTELLE
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Möckernstraße 92 (Ecke Yorckstraße), 10963 Berlin
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wiesenen Beratungsstellen (siehe hintere Umschlagseite).INHALT Liebe Leserinnen und Leser,
TITEL das Abgeordnetenhaus hatte das Gesetz zur Neuregelung ge-
setzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung (MietenWoG
4 „Deckel drauf und weiter so“ reicht nicht aus
Bln), den sogenannten Mietendeckel, Ende Januar beschlos-
Atempause nutzen, um den Wohnungsmangel zu beheben
sen, am Samstag, den 22. Februar 2020, wurde es im Amts-
Philipp Mattern
blatt veröffentlicht und am Tag darauf trat es in Kraft.
6 Virtuelles Neubauprogramm Nachdem die intensive Propagandakampagne der Immobili-
Neubaupläne des Vorgängersenats an die Wand gefahren enlobby und ihrer Parteien, wie nicht anders zu erwarten, oh-
Rainer Balcerowiak ne größeren Erfolg geblieben ist, hat der Kampf gegen den
Mietendeckel nun auf rechtlicher Ebene begonnen.
9 Kaufen, kaufen, kaufen Parteien, Immobilienverbände und Einzelvermieter marschie-
Kommunale erweitern Bestand vor allem durch Ankäufe ren dabei getrennt, schlagen aber vereint, ganz nach der Stra-
Philipp Möller tegie des immobilienbesitzenden Generals Moltke.
10 Wie wächst Wien? Die Vorhut bildeten einige Vermieter, die versucht hatten, per
Wie baut man eine lebenswerte Stadt? Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht die Verletzung der
Christian Pichler Regelung zu bestimmten Auskunftspflichten und zur gesetz-
lich bestimmten Höchstmiete nicht als Ordnungswidrigkeit
12 Vermieter hoffen auf Karlsruhe einstufen zu lassen.
Temporäre Gegenstrategien der Branche zum Mietendeckel Zu den Auskunftspflichten gehört die Information über die
Rainer Balcerowiak
nach Mietendeckel zulässige Höchstmiete. Ein Verstoß gegen
BERLIN diese Informationspflicht kann als Ordnungswidrigkeit mit ei-
ner Geldbuße bis zu 500.000 Euro bestraft werden. Dieser
13 Warum wir am 28. März auf die Straße gehen Gefahr wollten sich die Vermieter nicht aussetzen und so zo-
Drei Gründe gegen den Mietenwahnsinn zu demonstrieren gen sie vor das Bundesverfassungsgericht. Ihr Antrag wurde
Karin Baumert jedoch für unzulässig erklärt. Allerdings nicht wegen inhalt-
14 Wildwest in den Bezirken
licher Substanzlosigkeit, sondern weil er verfrüht war. Die
Unterschiedliches Vorgehen gegen Zweckentfremdung
Antragsteller hätten bis zur Sicherstellung, dass es nur zu
Philipp Möller zwei und nicht drei Lesungen im Abgeordnetenhaus gekom-
men wäre, warten müssen. Ein erneuter Vorstoß ist also nicht
15 Wechsel der Verwertungsstrategie ausgeschlossen.
Samwers setzen auf Umwandlung in Eigentumswohnungen In Berlin wollen CDU und FDP einträchtig noch vor der
Jutta Blume Sommerpause ein Normenkontrollverfahren vor dem Verfas-
16 Neubauten auf den Uferhallen sungsgerichtshof des Landes Berlin anstrengen. Sie erhoffen
Künstler/innen fürchten Verdrängung durch die Samwers sich, dass die Unvereinbarkeit des Mietendeckels mit dem
Philipp Möller Grundgesetz auf Landesebene festgestellt wird und flankieren
damit die Bemühungen der Bundestagsfraktionen ihrer Par-
18 Ein zwiespältiges Genossenschaftsmodell teien, die dabei sind, ihr schon lange angedrohtes Normen-
Die BeGeno16 fungiert als Projektentwickler kontrollverfahren ebenfalls noch vor der Sommerpause vor
Elisabeth Voß das Bundesverfassungsgericht zu bringen.
20 Mit Tiefgaragen Mieter/innen vertreiben Der Lobbyverein Haus und Grund verwirrt das Geschehen
Umstrittene Neubaupläne der Genossenschaft BWV mit einer eigenwilligen Zwei-Mieten-Theorie. Zukünftig wer-
Matthias Bauer den viele Berliner/innen zwei Miethöhen genannt bekommen,
meint er: „Die im Mietvertrag genannte und die durch den
21 Konsumtempel im 20er-Jahre-Flair
Mietendeckel womöglich geringere Miete, die der Vermieter
Umfassende Verwertungspläne am Hermannplatz
tatsächlich einfordert.“ Neben dieser „doppelten Mietenbuch-
Tim Zülch
haltung“ empfiehlt der Verein seinen Mitgliedern, nach In-
22 Wenn der Badespaß zum Luxus wird krafttreten des MietenWoG Bln, dessen vorgegebene Miethö-
Strandbad Tegel soll an private Investoren vergeben werden hen auch bei neuen Mietverträgen nicht zu beachten. Der Ver-
Heiko Lindmüller einsvorsitzende Carsten Brückner ist der Auffassung, durch
23 Profitinteresse schlägt Meinungsfreiheit den „Mietendeckel“ sei es zwar verboten „eine bestimmte
Mieter muss kritisches Transparent abhängen Miethöhe zu kassieren, aber nicht, die gewünschte Miete
Peter Nowak trotzdem in den Vertrag zu schreiben.“
Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) schließlich warnt:
MIETRECHT AKTUELL „Berlin steigt ab“. Sein Präsident Andreas Mattner sieht im
24 Mieter/innen fragen – wir antworten Mietendeckel „ein Zeichen für den Abstieg Berlins als Metro-
Mietendeckel pole“. Für ihn ist eine Metropole offenbar immer dort, wo der
Rechtsanwältin Frannziska Dams Mietwucher blüht. Und der scheint in Berlin nun etwas einge-
schränkt.
27 RECHT UND RECHTSPRECHUNG
31 SERVICE
32 RECHTSBERATUNG IHR MIETERECHO
MieterEcho 408 März 2020 3Foto: Matthias Coers
TITEL
„Deckel drauf und weiter so“
reicht nicht aus
Fünf Jahre Zeit um den Wohnungsmangel zu beheben
Von Philipp Mattern Problem selbst. Sie sind vielmehr die Folge einer langfristi-
gen Fehlsteuerung des Wohnungsmarkts, die sich in einer ek-
Nun gilt er also, der Mietendeckel. Zumindest auf dem Pa- latanten Unterversorgung mit Wohnraum zeigt, vor allem im
pier. Ob er seine gewünschte Wirkung auch tatsächlich ent- preisgünstigen Segment des Mietwohnungsmarkts. Dieser
falten wird, hängt jetzt sehr entscheidend von den Mieter/ Wohnungsmangel setzte die rapide Preisentwicklung bei Neu-
innen und der öffentlichen Verwaltung ab. Denn die Mieter/ vertrags- und Bestandsmieten erst in Gang.
innen sind es, die ihre Mieten überprüfen und Überhöhun-
gen beanstanden müssen. Das Recht setzt sich auch beim Fehlender Neubau in der wachsenden Stadt
Mietendeckel nicht von alleine durch. Und an der Verwal- Berlin ist seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts enorm ge-
tung wird es liegen, Verstöße zu ahnden und die Einhaltung wachsen. Heute leben fast 400.000 Menschen mehr in der Stadt
des Gesetzes ordnungsrechtlich durchzusetzen. Andern- als vor zehn Jahren noch. Orientiert an den durchschnittlichen
falls droht dem Mietendeckel ein ähnliches Schicksal wie Haushaltsgrößen hätten in diesem Zeitraum rechnerisch über
der Mietpreisbremse oder dem Zweckentfremdungsverbot: 220.000 Wohnungen gebaut werden müssen, alleine um den
Beide werden weitgehend ignoriert, und wirklich stören Zuzug zu kompensieren. Tatsächlich fertiggestellt wurden le-
tut es niemanden. diglich rund 80.000 Wohneinheiten im Neubau. Und zwar
in allen Segmenten, inklusive Ein- und Zweifamilienhäuser
Die größte Herausforderung hat sich der Berliner Senat mit und Eigentumswohnungen. Die Zahl der Mietwohnungen im
dem Gesetz aber selbst gestellt. Mit dem Mietendeckel wer- Mehrgeschossbau machte nur rund die Hälfte davon aus, die
den fünf Jahre Zeit gewonnen, um die wohnungspolitischen der preisgebundenen Wohneinheiten lediglich einen kleinen
Versäumnisse der letzten zehn Jahre zu korrigieren. Ein sport- Bruchteil. Die Angebotsmieten stiegen in diesem Zeitraum von
liches Vorhaben: Ob Bodenpolitik, Quartiersentwicklung oder durchschnittlich knapp 6,50 Euro/qm auf weit über 10 Euro/qm
Wohnungsbau in der öffentlichen Hand – glaubhafte Ideen und nettokalt. Diesen Zusammenhang erkennt auch der Senat: „Die
ein schlüssiges Gesamtkonzept müssen jetzt auf den Tisch. Hauptursache dieser Wohnungsmarktentwicklung ist die seit
Ohne Frage stellt der Mietendeckel eine weitreichende Re- Jahren steigende Nachfrage nach Wohnraum im Land Berlin.
gulierung der Mietpreise dar. Aber Regulierung alleine reicht Diese Nachfrage konnte bislang nicht durch eine entsprechen-
nicht mehr aus. Der Mietendeckel setzt an einem Symptom an, de Angebotserweiterung – vor allem durch Wohnungsneubau
nicht an der Ursache. Denn auch wenn sie für die betroffenen – gedeckt werden. Die Folgen dieses Missverhältnisses von
Haushalte existenzbedrohend sein mögen, so sind die in den Angebot und Nachfrage betreffen Mieterinnen und Mieter, die
vergangenen Jahren drastisch gestiegenen Mietpreise nicht das steigende Angebotsmieten häufig mangels Alternativen ebenso
4 MieterEcho 408 März 202070.000
Bevölkerungszuwachs Fertiggestellte Wohnungen Rechnerischer Neubaubedarf TITEL
TITEL
60.000
50.000
40.000
30.000
20.000
10.000
0
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, eigene Berechnungen. Fertigstellungen für alle Wohneinheiten in neuen Wohngebäuden.
hinnehmen müssen wie Mieterhöhungen im Bestandsmietver- deutlich hochfahren, ausgehend von annähernd Nullniveau.
hältnis“, so heißt es zur Begründung des Mietendeckelgesetzes. Aber auch diese Leistungen blieben weit hinter den Planungen
Der Subtext dieser Formulierungen ist das Eingeständnis eines zurück (vgl. S.9). Der Mietendeckel, so innovativ und mutig er
weitgehenden Scheiterns der Berliner Wohnungspolitik der ver- auch sein mag, ist die Reaktion auf ein hausgemachtes Problem.
gangenen Jahre. Denn ihre Aufgabe wäre es gewesen, geeignete Mit dem Mietendeckel lässt sich ein weiterer Preisanstieg zwar
Strategien und Instrumente zu entwickeln, um eine ausreichen- abdämpfen, die strukturellen Versorgungsprobleme auf dem
de Angebotserhöhung zu bewirken, vor allem im preisgünstigen Berliner Wohnungsmarkt verschwinden dadurch nicht. Genau
Segment des Mietwohnungsmarkts. Diese Angebotserhöhung darauf käme es jetzt aber an, denn das Problem lässt sich nicht
kann rein marktwirtschaftlich nicht erfolgen, da freifinanzierte aussitzen. Ein „Deckel drauf und weiter so“ wird nicht funk-
Neubaumieten selbst die Zahlungskraft von Normalverdiener/in- tionieren.
nen regelmäßig übersteigen. Jedoch wurde nur sehr zögerlich auf
das sich anbahnende Problem reagiert und die entwickelten Maß- Strategien gegen Wohnungsmangel
nahmen entpuppten sich als völlig unzureichend. Das gilt umso Das Wachstum der Stadt flaute in den letzten Jahren leicht ab.
mehr, als dass die beschriebene Dynamik auf dem Wohnungs- Der Bevölkerungszuwachs war im vergangenen Jahr so gering
markt voraussehbar und bekannt war. Alle eigens produzierten wie seit 2010 nicht mehr, allerdings sind diese Zahlen leicht
Bevölkerungsprognosen zeigten in diese Richtung und wurden verzerrt, da im vergangenen Jahr die Melderegisterdaten um
teils deutlich nach oben korrigiert. Die heutige Wohnungskrise mehrere Tausend Karteileichen bereinigt wurden. Auch davon
zeichnete sich schon lange ab – alleine die wohnungspolitische abgesehen ist die leichte Entspannung alleine noch kein Grund
Antwort blieb unzureichend. zur Entwarnung, denn der aufgestaute Fehlbestand an bezahl-
Auch das erkennt der Senat offen an. Die 2014 wieder aufge- baren Wohnungen verschwindet dadurch nicht, er wächst ledig-
nommene Neubauförderung samt Mietpreis- und Belegungsbin- lich weniger stark. Während im Jahr 2011 auf 1.000 Einwohner/
dung, das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwick- innen noch 563 Wohnungen kamen, waren es 2018 lediglich
lung, die Umstellung der Liegenschaftspolitik, die Ausweisung 535. Um eine Versorgungsquote von vor gut 10 Jahren zu er-
sozialer Erhaltungsgebiete, die Entwicklung neuer Wohnquar- reichen, bräuchte es heute rund 140.000 Wohnungen mehr in
tiere oder die Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen der Stadt. Die Mieten für fünf Jahre auf einem am Mietspiegel
Wohnungsunternehmen – alle diese Maßnahmen haben „bislang 2013 orientierten Niveau zu deckeln, kann daher nur ein erster
nicht hinreichend vermocht, dem Preisanstieg auf dem Berliner Schritt sein. Zur langfristigen und aktiven Gestaltung des Woh-
Wohnungsmarkt wirksam entgegenzutreten“. Aus diesem Grund nungsmarkts in einer nach wie vor wachsenden Millionenstadt
sollen jetzt die Mieten gedeckelt werden, und zwar „bis zur Ent- gehört wesentlich mehr.
spannung auf dem Wohnungsmarkt“. Nur, wie soll diese herbei- Mit Inkrafttreten des Mietendeckels müssen also glaubwürdige
geführt werden? Wenn die bisherigen Maßnahmen nicht zum Ideen auf den Tisch, wie die kommenden fünf Jahre genutzt
Ziel führten, welche dann? An welchen Stellschrauben möchte werden sollen, um den Wohnungsmarkt nachhaltig zu entspan-
man in Zukunft drehen? Und wie kann ein wirksames Gesamt- nen. Denn nur durch ein angemessenes Wohnungsangebot kann
konzept aussehen? Eine Antwort vermisst man bisher. der Druck auf dem Markt dauerhaft vermindert werden. An ei-
Als symptomatisch für diese Problemlage können etwa die im nem breit angelegten öffentlichen Wohnungsbauprogramm wird
Jahr 2016 von Andreas Geisel (SPD, damals noch Stadtentwick- dabei kein Weg vorbeiführen. Den landeseigenen Wohnungs-
lungssenator) vorgestellten 12 Stadtentwicklungsgebiete gelten. unternehmen, der Bodenpolitik und der Quartiersentwicklung
Rund 45.000 Wohnungen sollten dort bis überwiegend 2025 wird dabei ein ebenso wichtiger Stellenwert zukommen wie der
entstehen, inzwischen wurde ein Großteil davon wieder auf Eis Frage der Finanzierung und dem Ausbau der Baukapazitäten.
gelegt (vgl. S.6). Auch die landeseigenen Wohnungsunterneh- Vor allem aber braucht es ein schlüssiges und ambitioniertes
men konnten ihre Baufertigstellungen in den letzten Jahren zwar Gesamtkonzept. Die Zeit läuft – und sie muss genutzt werden. h
MieterEcho 408 März 2020 5Fotos: Matthias Coers
TITEL
Die Europacity, auch Stadtquartier
Heidestraße genannt, ist ein nördlich des
Europaplatzes am Hauptbahnhof gelegenes
städtebauliches Entwicklungsgebiet.
Virtuelles Neubauprogramm
Der rot-rot-grüne Senat hat die Neubaupläne des
Vorgängersenats teilweise gründlich an die Wand gefahren
Von Rainer Balcerowiak „kleine Bauprojekte sind wichtig, reichen aber nicht“.
Die Hälfte der Grundstücke an den zwölf Standorten befand
Der nahezu pompös inszenierte Auftritt des damaligen sich im Landesbesitz. Anhand der vom SPD/CDU-Senat ver-
Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (SPD) war auch einbarten Richtlinien sollte der Anteil preisgebundener Sozi-
dem beginnenden Wahlkampf in der Hauptstadt geschul- alwohnungen dort mindestens 30% betragen. Bei den privaten
det. Jedenfalls sorgte es für Furore, als Geisel am 15. April Flächen wurde im Rahmen der kooperativen Baulandentwick-
2016 die Pläne für die Errichtung von zwölf neuen Stadt- lung eine Quote von 25% angestrebt. Eine wichtige Rolle soll-
quartieren präsentierte. 45.000 Wohnungen für 100.000 ten dabei auch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften
Menschen sollten dort entstehen. spielen. Etwa in der Elisabeth-Aue in Pankow, wo Howoge und
Gesobau gemeinsam die Hälfte der geplanten 5.000 Wohnun-
„Die neuen Stadtquartiere sollen lebendige Kieze werden, in gen bauen sollten.
denen die Leute gerne wohnen, arbeiten und leben. Die städ- Aber bekanntlich kam alles anders. Nach der Wahl im Septem-
tebauliche und soziale Qualität sowie die Integration in die an- ber 2016 wurde eine rot-rot-grüne Landesregierung gebildet
grenzende Nachbarschaft sind hierbei entscheidend. Wir wollen und Geisel musste seinen Posten als Stadtentwicklungssenator
aus dem Erbe des Siedlungsbaus der 1920er Jahre lernen und an Katrin Lompscher (Die Linke) abtreten. Und schon im Ko-
es mit dem Leitbild der gemischten Stadt verknüpfen, das wir alitionsvertrag wurde deutlich, dass sämtliche Planungsprozes-
gerade in den Gründerzeitquartieren finden", so Geisel bei der se für Neubauprojekte künftig einer wesentlich umfassenderen
Präsentation. und entsprechend zeitaufwändigen Bürgerbeteiligung unterlie-
Je nach infrastrukturellen Voraussetzungen und Planungsstand gen sollten.
sollte der Beginn der Bauarbeiten so zügig wie möglich erfol-
gen, in allen Fällen aber innerhalb der kommenden fünf Jahre. Viel Schall und Rauch
Vor Baubeginn sei eine umfassende Bürgerbeteiligung selbst- Dementsprechend wenig ist von den Ankündigungen übrig
verständlich, betonte Geisel. Dabei könne es beispielsweise um geblieben. Das größte geplante Quartier, die Elisabeth-Aue in
die Dichte der Bebauung und auch um Qualitäten gehen. Aber Pankow, wurde komplett und ersatzlos gestrichen. Das Schu-
„die Frage, ob gebaut wird, werden wir nicht mehr diskutie- macher Quartier als Teil der Nachnutzung des Flughafens Te-
ren“. Denn das sei angesichts des Wohnungsmangels und der gel und seines Umfeldes liegt seit Jahren auf Eis, da der Flug-
Bevölkerungsentwicklung alternativlos. Deshalb forciere seine betrieb immer noch nicht eingestellt werden konnte. Auch das
Verwaltung jetzt die Entwicklung neuer Großsiedlungen. Denn ein Glanzstück Berliner Bau- und Planungskultur, denn die für
6 MieterEcho 408 März 2020TITEL
eine Schließung von Tegel notwendige Eröffnung des neuen
Großflughafens in Schönefeld sollte ursprünglich im Novem-
ber 2011 stattfinden.
In der Wasserstadt Spandau wird zwar gebaut, doch eigentlich
sollte das Quartier schon längst fertig sein. Dort zog das Be-
zirksamt alle Register, um den Bau zu behindern. Die Span-
dauer CDU sorgte sich vor allem um die „gewachsene Sozi-
alstruktur“, die durch den hohen Anteil an Sozialwohnungen
gefährdet sei. Obwohl Teile des neuen Quartiers inzwischen
fertiggestellt und auch bezogen sind, ist nach wie vor unklar,
wann und wie die schon jetzt vollkommen überlastete Ver-
kehrsinfrastruktur ausgebaut werden soll.
Dabei dämmerte dem Senat bereits im Juli 2018, dass es bei
den geplanten Stadtquartieren große Verzögerungen geben
könnte. Es kam zu einem handfesten Krach zwischen dem
Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und seiner
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher. Im Juli wurde
dann das „Handlungsprogramm zur Beschleunigung des Woh-
nungsbaus“ beschlossen. Als Aufgaben wurden unter anderem
benannt:
- Behutsame Ergänzungsbebauung in bestehenden Wohn-
gebieten ermöglichen,
- Bauüberhang verringern,
- Vorkaufsrechte nutzen,
- Landeseigene und mittelbar landeseigene Flächen voll- Nach Verzögerungen durch das Bezirksamt wird in der Wasserstadt Spandau
mittlerweile, wie hier durch die WBM, gebaut.
ständig analysieren.
Auch der Diskrepanz zwischen Bauvorhaben und Umfeldent-
wicklung wollte man zu Leibe rücken. Es gelte „die verkehr- Vorstellung des neuen Stadtquartiers – suchte die Senatsver-
liche, soziale und grüne Infrastruktur bedarfs- und zeitgerecht waltung in einer EU-weiten Ausschreibung nach „erfahrenen
sicherstellen“. Dafür müsse man „die sektoralen Fachplanun- und kreativen Teams aus Stadtplanern, Architekten sowie
gen und die Planungen für den Wohnungsbau zügig und regel- Landschaftsarchitekten“. Aus dem Bewerberpool wurden mit
mäßig synchronisieren“, um eine „zeitgleiche Realisierung“ zu Unterstützung des Projektbeirats „Stadt behutsam weiterbau-
gewährleisten. Der Senat warnte: „Einzelne Bezirke haben be- en im Blankenburger Süden“ vier Teams ausgewählt. In einem
reits darauf hingewiesen, dass sie größere Wohnungsbauvorha- nun gestarteten „kooperativen Werkstattverfahren“ sollen die-
ben künftig nur noch genehmigen können, wenn die erforder- se Teams je einen „städtebaulichen Testentwurf“ erstellen. Aus
liche zusätzliche Infrastruktur gleichzeitig nachgewiesen wird. diesen Testentwürfen wird dann ein Rahmenplan entwickelt,
Die rechtzeitige Bereitstellung von verkehrlicher Erschließung der wiederum die Basis für einen städtebaulichen Entwurf bil-
und Wohnfolgeinfrastruktur ist erforderlich, um die notwen- den soll.
dige Beschleunigung des Wohnungsbaus zu erreichen“. Das Auch die Verkehrsplanung entwickelte sich zu einer Art Horn-
sollten eigentlich Selbstverständlichkeiten sein. Doch der Fort- berger Schießen. Die Verlängerung einer Tramlinie stieß auf
gang zeigt, dass Berliner Senatspapiere sehr geduldig sind. entschiedenen Widerstand, da die Trasse durch eine Siedlung
verlaufen sollte. Munter wird daher seit Jahren über alternative
Protest auch von rechts Trassenführungen diskutiert, passiert ist allerdings nichts. Die
Zu einem nahezu prototypischen Musterbeispiel rot-rot-grüner CDU wirbt nunmehr für eine ganz andere Variante: Den Bau
Wohnungsbaupolitik hat sich das Quartier Blankenburger Sü-
den entwickelt. Eigentlich sollte das Abgeordnetenhaus schon
2018 entscheiden, welche Variante des umstrittenen Baupro- Die im April 2016 vom Berliner Senat vorgestellten neuen
jekts zustande kommen soll. Nach massiven Protesten wurde Stadtquartiere (Anzahl geplanter Wohnungen)
die Entscheidung mehrfach verschoben. Mittlerweile hofft
• Elisabeth-Aue in Pankow-Blankenfelde: 5.000
man, dass es 2021 so weit sein könnte – Zweifel sind allerdings
• Blankenburger Pflasterweg/Heinersdorf in Pankow: 5.000 - 6.000
angebracht. Für das geplante Stadtquartier läge „noch kein
• Cluster Buch in Pankow: 2.000 - 2.500
städtebaulicher Rahmenplan vor“, heißt es im aktuellen Expo-
• Michelangelostraße in Prenzlauer Berg: 1.500 - 2.500
sé der Senatsbauverwaltung. Und „die geplante städtebauliche
• Johannisthal/Adlershof in Treptow. 2.000 - 2.500
Einordnung des Stadtquartiers in den Kontext der Umgebung
• Cluster Köpenick in Köpenick: 3.500 - 4.500
ist erst in den kommenden Planungsstufen partizipativ zu ent-
• Buckower Felder in Neukölln: 500
wickeln“. Als frühester Termin für den Baubeginn wird nun-
• Lichterfelde-Süd in Steglitz: 2.500 - 3.000
mehr 2027 angegeben.
• Wasserstadt Oberhavel in Spandau: 4.500 - 5.500
Die im März 2018 vorgestellten Entwürfe, die teilweise bis zu
• Gartenfeld in Spandau-Siemensstadt: 3.000 - 4.000
10.000 statt der ursprünglich avisierten 5 bis 6.000 Wohnun-
• Schumacher Quartier in Reinickendorf-Tegel: 5.000
gen vorsahen, sind mittlerweile fast komplett vom Tisch. Im
• Europacity/Lehrter Straße in Mitte-Moabit: 4.000
Sommer 2019 – also mehr als drei Jahre nach der offiziellen
MieterEcho 408 März 2020 7TITEL
sich um Asylbewerber und Armutsmigranten aus Afrika, Asien
und Südosteuropa“. Die müsse man in ihre Herkunftsländer
zurückbringen und den weiteren Zuzug stoppen.
AfD-Anhänger/innen waren aktiv an der Organisation mehre-
rer Demonstrationen gegen die Neubaupläne beteiligt, deren
Erscheinungsbild dann auch stark an Pegida-Versammlungen
erinnerte. Ähnliches gilt für viele Transparente, die in Blan-
kenburg und anderen Ortsteilen an Grundstückszäunen zu
sehen waren und teilweise noch sind. Zwar sind die diversen
neubaukritischen Initiativen äußerst heterogen und bemühen
sich teilweise auch um die Abgrenzung von „wildgeworde-
nen Kleingärtnern“, doch der Einfluss der Rechtspopulist/in-
nen ist unverkennbar. Das kann kaum verwundern, denn der
Nordosten Pankows gehört zu den Hochburgen der AfD. Bei
den letzten Abgeordnetenhauswahlen erreichte die Partei in
dem gesamten Wahlkreis ein Direktmandat und in einzelnen
Stimmbezirken sogar über 30%.
Rolle rückwärts im Prenzlauer Berg
Ein Stück aus dem Tollhaus ist auch das neue Quartier Michel-
In der Michelangelostraße sollen nur noch 1.200 statt 2.500 Wohnungen gebaut
angelostraße in Prenzlauer Berg, für das es bereits ab 2014 ei-
werden, und der Baubeginn verzögert sich auf 2035. Foto: Matthias Coers nen „städtebaulichen Ideenwettbewerb“ und diverse Prüfauf-
träge gab. Laut der Präsentation von Senator Geisel im April
2016 sollten in dem neuen Quartier auf 30 Hektar bis zu 2.500
einer neuen U-Bahn-Linie vom Alexanderplatz über Weißen- Wohnungen entstehen, sowohl durch Nachverdichtungen als
see bis Buch und Bernau. Und der Pankower Bürgermeister auch durch neue Blöcke. Auch hier gab es erheblichen Wi-
Sören Benn (Die Linke) brachte im Januar 2020 den Bau von derstand der Anwohner/innen, die um ihre „Lebensqualität“
Seilbahnen zur Anbindung der verschiedenen Teile des Neu- fürchteten. Es folgte die Einleitung eines mehrstufigen Dia-
baugebiets ins Gespräch. Daraufhin forderten mehrere Politi- log- und Beteiligungsprozesses. Schnell wurde klar, dass es
ker/innen, darunter der Pankower SPD-Abgeordnete Dennis nur noch um maximal 1.200 Wohnungen gehen soll. Und bald
Buchner, die städtebaulichen Planungen zu bremsen, „damit zeigte sich, dass es auch ungelöste infrastrukturelle Probleme
der Bereich Verkehr aufholen kann“. Schließlich hätten „Ent- im Bereich der notwendigen Straßenverlegung und der Was-
scheidungsträger aller Parteien als Voraussetzung für den Blan- ser- und Fernwärmeleitungen gibt. Pankows Baustadtrat Voll-
kenburger Süden den gleichen Punkt genannt: Eine effektive rad Kuhn (Grüne) verwies 2019 darauf, dass das alles „sehr
Verkehrsanbindung muss bereits da sein, bevor der Wohnungs- lange dauert“ und zählte auf: „Einplanung der Investitionsmit-
bau beginnt“. Die Fortsetzung dieser Planungsposse folgt mit tel, Beteiligungsschritte, Planfeststellungsbeschluss, Beauftra-
Sicherheit. gung der Firmen und Bau. Also, wir rechnen mit zirka acht
Gerade im Entwicklungsgebiet Blankenburger Süden zeigt Jahren mindestens. Kann natürlich auch etwas länger werden."
sich eine neue Qualität des Protests gegen Neubauvorhaben. Die Senatsverwaltung nannte für einen möglichen Baubeginn
Denn anders als in den meisten innerstädtischen Quartieren dann das Jahr 2035, allerdings auch das nur unter Vorbehalt
sind in diesem nördlichen Randgebiet nicht nur die üblichen und „abhängig vom laufenden Dialogprozess“.
Vertreter/innen der „alternativen Stadtgesellschaft“ aktiv. Die In den verbleibenden neuen Stadtquartieren geht es immer-
kleinteilige Siedlungsstruktur mit oftmals verpachteten Erho- hin voran, wenn auch meistens mit erheblichen Verzögerun-
lungs- und Wohnnutzungsgrundstücken erwies sich als idea- gen im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen. Und die sind
ler Nährboden für rechtspopulistische „Neubaukritik“. Mit teilweise äußerst skurriler Natur. So sollen auf den Bucko-
Losungen wie „unsere Heimat verteidigen“ gewann die AfD wer Feldern rund 900 Wohnungen unter der Federführung
schnell an Einfluss in einigen Initiativen. In einem Positions- der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land
papier der AfD Pankow wurde der Bau von Großsiedlungen als entstehen. 200 davon sollen von „gemeinwohlorientierten
„gescheitertes Konzept des vergangenen Jahrhunderts“ abge- Dritten“ errichtet werden, womit laut Senatsdefinition vor al-
lehnt. Denn diese entwickelten sich stets „zu sozialen Brenn- lem Genossenschaften, Stiftungen oder Baugruppen gemeint
punkten und Schwerpunkten der Kriminalität“. Der heute im sind. Dafür wurde ein eigenes Konzept- und Bewerbungs-
Nordosten von Pankow vorhandene „vorstädtisch-dörfliche verfahren gestartet, das noch nicht beendet ist. Im November
Charakter würde verloren gehen, die Sozialstruktur sich er- 2019 zogen sich zwei Genossenschaften aus dem Verfahren
heblich verändern, insbesondere wenn man die Aussagen des zurück – unter Verweis auf den „Mietendeckel“ für den ei-
Senats berücksichtigt, bis zu 50 Prozent für Sozialwohnungen genen Bestand, der zu Mindereinnahmen führe und Investiti-
vorhalten zu wollen“. onen verhindere. Auch das ein Beispiel für die Merkwürdig-
Schnell wird der Bogen zu rassistischer und auf falschen Be- keiten der rot-rot-grünen Wohnungspolitik. Denn der Senat
hauptungen fußender Propaganda gespannt. Schließlich sei das bezeichnet forcierten und vor allem schnelleren Neubau als
Problem des mangelnden Wohnraums hausgemacht, denn „der zentralen Hebel für die „Atempause“, die der auf fünf Jahre
Zuwachs an Einwohnern in den vergangenen fünf Jahren ist befristete Mietendeckel für Bestandswohnungen schaffen soll.
zu über 90 Prozent auf den Zuzug von Nicht-Deutschen zu- Doch ohne eine radikale Wende in der Planungs- und Bau-
rückzuführen“. Bei einem „nicht unerheblichen Teil handelt es politik droht diese weitgehend ungenutzt zu verstreichen. h
8 MieterEcho 408 März 2020TITEL
Kaufen, kaufen, kaufen
Kommunale Wohnungsgesellschaften erweitern Bestand vor allem durch Ankäufe
Von Philipp Möller bag mit stolzen 11,88 Euro/qm für freifinanzierte Neubauten.
Lediglich ein Viertel aller Neubauwohnungen wurde zu 6,50
Die Zielmarke von 30.000 neuen Wohnungen bis 2021, die Euro/qm vermietet. Etwas besser sieht es bei noch nicht fer-
2017 zwischen Senat und den sechs landeseigenen Woh- tiggestellten Neubauten aus. Hier weist der Bericht einen An-
nungsunternehmen vereinbart wurde, wird wohl verfehlt. teil geförderter Wohnungen zwischen 26,7% im Jahr 2016 und
Maximal 24.000 Wohneinheiten werden bis Ende 2021 ent- 44,7% für 2018 begonnene Projekte aus. 5.316 von insgesamt
stehen, schätzt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 15.663 sich in diesem Zeitraum im Bau befindlichen Wohnun-
und Wohnen. Beim Ankauf hingegen wird der Plan über- gen sollen demnach mietpreis- und belegungsgebunden sein.
erfüllt. Statt mindestens 10.000 kauften die städtischen Damit verfehlen die Wohnungsbaugesellschaften jedoch die
Gesellschaften zwischen 2017 und 2019 mehr als 17.000 Vorgaben der Kooperationsvereinbarung von 50% gefördertem
Wohnungen. 2020 waren es laut Antwort auf eine parlamen- Wohnungsbau. In der Jahrespressekonferenz Ende Januar ver-
tarische Anfrage bereits 1.934 (Stand 28. Januar). Warum meldete Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die
der Senat kurz vor Inkrafttreten des Mietendeckels, der die Linke), derzeit seien 60.140 Wohnungen in Planung und Re-
Verwertungsoptionen und damit die Immobilienpreise min- alisierung. Wie viele davon gefördert wurden, ist unbekannt.
dern dürfte, so kräftig zulangt, bleibt sein Geheimnis. Fest
steht, dass die Politik durch dieses Agieren frisches anla- Fehlende Baukapazitäten
gesuchendes Kapital auf den Wohnungsmarkt wirft und die Bezogen auf die nicht erreichten Neubauziele erklärte Lomp-
Ankäufe nichts zu seiner Entspannung beitragen. scher, die Wohnungsunternehmen seien mit zunehmenden
„Kapazitätsproblemen in der Bauwirtschaft konfrontiert.“
Laut Koalitionsvertrag sollten die kommunalen Gesellschaften Bisher unternimmt der Senat jedoch zu wenig Anstrengungen
seit 2017 jährlich 6.000 Wohnungen bauen. Dem nähern sich zum Aufbau öffentlicher Baukapazitäten. Dabei könnte eine
die Unternehmen nur langsam an. Am Gesamtbaugeschehen in kommunale Bauhütte den öffentlichen Wohnungsbau unab-
der Stadt hatte der kommunale Wohnungsbau lediglich einen hängiger von den Konjunkturen und Renditeerwartungen der
Anteil zwischen einem Viertel und einem Drittel. Viel zu we- privaten Bauwirtschaft machen und würde eine strategische
nig, wie man dem Wohnraumbedarfsbericht 2019 entnehmen Organisation serieller Fertigung von Typenbauten erlauben.
kann. Darin wird deutlich, dass es vor allem an Wohnungen Eine Ausnahme bildet die geplante Bauhütte für Holzbau zur
für Haushalte mit geringen Einkommen, Einpersonenhaus- Bebauung des Flugfeldes Tegel. Für die Zeit des Mietende-
halte sowie für besondere Bedarfsgruppen wie Geflüchtete, ckels hat die Koalition bisher keine Vorschläge gemacht, wie
Studierende und Wohnungslose mangelt. Sozialwohnungen der kommunale Wohnungsbau in Stellung gebracht werden
mit einer Einstiegsmiete von 6,50 Euro/qm wurden bisher könnte. Eine strukturelle Reform der Gesellschaften, um sie
fast ausschließlich durch die Kommunalen errichtet. Ihr frei- ihrem sozialen Versorgungsauftrag entsprechend auszurich-
finanzierter Wohnungsbau ist für ärmere Haushalte hingegen ten, ist nicht in Sicht. Stattdessen hat es der Senat nicht ein-
nicht leistbar. Laut dem jährlichen Bericht zur Kooperations- mal fertiggebracht, mit der landeseigenen Berlinovo eine
vereinbarung nahmen die kommunalen Gesellschaften 2018 Kooperationsvereinbarung abzuschließen. Sie betreibt mun-
bei 70,6% aller Neu- und Wiedervermietungen von seit 2012 ter das lukrative Geschäft mit möbliertem Wohnraum und
fertiggestellten Wohnungen mehr als 8 Euro/qm. 48,8% waren soll nach Wunsch von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD)
sogar teurer als 10 Euro/qm. Spitzenreiterin war die Gewo- zukünftig bis zu 2.000 Wohneinheiten jährlich errichten. h
Übersicht Neubau, Ankäufe und Bestand der sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften (Degewo, Howoge, Gesobau, Gewobag, Stadt und Land, WBM)
2014 2015 2016 2017 2018 2019
Fertigstellungen kommunale 124 1.374 1.300 3.011 3.279 4.537
Wohnungsbaugesellschaften
Davon gefördert 0 69 102 849 881 1.865
(5%) (7,9%) (28,2%) (26,9%) (41,1%)
Ankäufe 4.096 6.355 2.312 1.772 3.419 11.856
Fertigstellungen Berlin insgesamt/ 7.069 8.704 10.608 11.000 14.327 14.400
Anteil kommunaler Wohnungsbau (1,8%) (15,8%) (12,6%) (27,4%) (22,9%) (31,5%)
Gesamtbestand kommunale Wohnungs-
284.710** 292.342** 295.806** 300.827 309.034*** 325.420
baugesellschaften zum 31.12. 2019
Quellen: Beteiligungsbericht 2016, Berichte zur Kooperationvereinbarung 2017/18, schriftliche Anfrage Drucksache 18 / 12 445, IBB Wohnungsmarktberichte, eigene Berechnungen.
** Inkl. Abgänge durch vereinzelte Verkäufe, *** Zahlen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Laut AöR Wohnraumversorgung waren Ende 2018 306.929 Wohnungen in öffentlicher Hand.
MieterEcho 408 März 2020 9TITEL
Mit der Seestadt Aspern entsteht in Wien ein neuer Stadtteil mit
Wohnungen, Büros, Bildungseinrichtungen und U-Bahn-Anschluss.
Foto: Matthias Coers
Wie wächst Wien?
Wie baut man eine lebenswerte Stadt?
Von Christian Pichler vorausschauende Bodenankaufspolitik des stadteigenen Bau-
landfonds, die teils bereits Jahrzehnte zurückliegt, bzw. bereits
In knapp zwanzig Jahren ist Wien um mehr als 350.000 Ein- vor den drastischen Bodenpreissteigerungen stattfand, konnten
wohner/innen gewachsen. Für diese neuen Wiener/innen wichtige Entwicklungsflächen für den geförderten Wohnbau
muss Wohnraum geschaffen werden. Am besten Wohn- gesichert werden.
raum, der auch für die nachkommenden Generationen Insbesondere in großen ehemaligen Arealen der Verkehrsinfra-
leistbar bleibt. Denn auch in Zukunft sollen und müssen struktur konnten deshalb die Weichen für Nutzungsänderungen
Menschen mit kleineren Einkommen gut und zu fairen Prei- gestellt und neue Stadtentwicklungsgebiete definiert werden.
sen in Wien leben können. In einer Stadt, die auch interna- Die Fülle an historischen Kopfbahnhofsarealen, mit denen
tional immer wieder als Vorzeigestadt im Bereich Wohnen Wien an die Süd-, Ost, West-, Nord-, Nordwest- und Franz-Jo-
genannt wird, mag dieses Ziel zwar verwundern, aber auch sefs-Bahn angebunden war, bildet hier ebenso das Potential für
für Wien gilt: Die Herausforderungen, vor denen die Stadt künftige Umnutzung wie das Areal des ersten Flughafen Wiens,
steht, werden in absehbarer Zeit nicht weniger. Das Wie- das Flugfeld Aspern. In der Mehrzahl dieser Gebiete wurde be-
ner Beispiel zeigt, wie wichtig eine hohe Objektförderung, reits mit der Bebauung begonnen, viele Teilgebiete sind schon
einne vorausschauende Bodenankaufspolitik sowie eine besiedelt.
zielgerichtete Baulandmobilisierung für den Erhalt und die
Weiterentwicklung des leistbaren Wohnsegments sind. Neue Stadtteile für Zehntausende
Was diese Stadtentwicklungsprojekte eint, ist die Zeit, die es
Die Ausgangslage Wiens stellt sich gut dar – auch international. für eine qualitativ hochwertige Umsetzung braucht. Eine Stadt
Der im Vergleich hohe Anteil an geförderten und gemeinde- weiterzubauen ist vielschichtig.
eigenen Wohnungen trägt viel dazu bei, dass die Mieten ver- Am Beispiel des mit 240 Hektar größten Entwicklungsgebiets
hältnismäßig stabil bleiben. Denn im Unterschied zum privaten Wiens – der Seestadt Aspern – wird das sehr deutlich. Nach der
Wohnungsmarkt entwickeln sich die Mieten der Gemeinde- Schließung des Flughafens 1977 und ersten Planungsüberle-
und Genossenschaftswohnungen moderat. gungen in den 90er Jahren starteten konkrete Planungsschritte
Wien konnte in den letzten Jahren auf das Umnutzungspoten- nach der Jahrtausendwende. Als Entwicklungsgrundlage wur-
tial großer innerstädtischer Flächen zurückgreifen. Durch eine de 2007 der Masterplan als städtebauliches Leitbild beschlos-
10 MieterEcho 408 März 2020TITEL
sen. Ab 2010 wurde mit der Errichtung der Grünräume, des Projekte. Deutlich wird das in der Entwicklung der Mietprei-
Sees sowie der technischen Infrastruktur begonnen und der ers- se ebenso wie beim Abschluss neuer Mietverträge. Erfahrun-
te großflächige Ausbau eines gemischten Quartiers mit Woh- gen von Personen auf Wohnungssuche sowie länger werdende
nungen, Büros, Handels- und Dienstleistungsunternehmen Vormerklisten und Wartezeiten für geförderte Wohnprojekte
gestartet. Gleichzeitig war Baubeginn eines Bildungsquartiers ergänzen dieses Bild und sind ein klares Indiz für einen beste-
mit Kindergarten, Volksschule, höheren Schulen sowie For- henden Nachfragedruck. Das gute Verhältnis zwischen geför-
schungs- und Entwicklungseinrichtungen und Start für die derten bzw. gemeindeeigenen Wohnungen und freifinanzier-
Verlängerung der U-Bahnlinie U2 zur Seestadt Aspern. tem Wohnungsangebot gerät in Schieflage.
Mit der Inbetriebnahme von drei zusätzlichen Stationen 2013 Und generell gesagt, auch wenn die Bevölkerung wächst, die
wurde das Stadterweiterungsgebiet an das U-Bahn-Netz ange- Stadtfläche wächst nicht. Deshalb wird es immer schwieriger,
schlossen, noch bevor 2014 die ersten Bewohner/innen in die günstigen Boden zu mobilisieren. Die Indizien der letzten Jah-
Seestadt einzogen. re waren sehr deutlich: Bodenpreise stiegen massiv, innerstäd-
In weiteren Bauetappen über einen Zeitraum von rund 20 Jah- tische Liegenschaften wurden für den geförderten Wohnbau
ren wird hier ein neuer Stadtteil entstehen, in dem Wohnungen unerreichbar und das Segment der freifinanzierten Anlage- und
für über 20.000 Menschen geschaffen werden und in Zukunft Vorsorgewohnungen nahm stark zu.
auch 20.000 Menschen arbeiten sollen. Die verschiedenen
Etappen sollen bis Ende der 2020er Jahre abgeschlossen sein. Geht Wien der Boden aus?
Auch die Entwicklung des Hauptbahnhofareals ist weit fort- Was passiert, wenn Wien über keine für die Neuentwicklung
geschritten. Der neue Hauptbahnhof – konzipiert als Durch- des geförderten Wohnbaus notwendigen „Bahnhöfe“ mehr ver-
gangsbahnhof – löste die alten Kopfbahnhöfe ab. Ehemalige fügt? Wenn keine Grundstücke mehr den Finanzierungsvoraus-
große Rangier- und Frachtareale konnten somit einer Neunut- setzungen des geförderten Wohnbaus entsprechen?
zung unterzogen werden. Nach wie vor kann Wien durch ein ausgewogenes Verhältnis
Ebenso in Realisierung befindet sich das Nordbahnhofgelände. zwischen Bauland und Verkehrsflächen, Grünland und Wasser-
Das 65 Hektar große ehemalige Nordbahnhofareal zählt zu den flächen punkten. Dieser Umstand erklärt auch, warum Wien
bedeutendsten innerstädtischen Entwicklungszonen Wiens. bei diversen Lebensqualitätsrankings auf den vordersten Plät-
Bis 2025 entsteht hier ein neuer, gemischt genutzter Stadtteil zen liegt. Muss man sich deshalb von dieser positiven struktu-
mit rund 10.000 Wohnungen. Mit Bürogebäuden, mehreren rellen Aufteilung des Stadtgebiets verabschieden? Mitnichten.
Wohnbauten, Schule und Kindergarten sowie dem Rudolf- Die Stadt verfügt nach wie vor über Flächenreserven, auch
Bednar-Park wurden in den vergangenen Jahren bereits die wenn das auf den ersten Blick nicht so deutlich ist. Die zen-
ersten Projekte realisiert. trale Frage ist, wie diese Flächen für die Zukunft mobilisiert
Schlussendlich startet auch die Freimachung des Areals des werden können. Und zwar nicht grundsätzlich, sondern expli-
Nordwestbahnhofs und die etappenweise Bebauung. Bis 2019 zit auch für eine Neuentwicklung von leistbaren, geförderten
noch als Frachtbahnhof genutzt, soll auf dem 44 Hektar großen Wohnprojekten.
Gelände schon bald ein neuer Stadtteil für über 10.000 Bewoh- Aus Sicht der Arbeiterkammer (AK) als gesetzliche Interessen-
ner/innen und 5.000 Arbeitsplätze entstehen. vertretung der Arbeitnehmer/innen in Österreich war es des-
Nachdenklich stimmt, dass trotz dieser Projektflut und obwohl halb notwendig, Reformen im Bau- und Bodenrecht umzuset-
derzeit große Stadtentwicklungsvorhaben umgesetzt werden, zen. Wichtig war es, die Handlungsfähigkeit für die öffentliche
die Neubauleistung nur bedingt mit dem gestiegenen Bedarf Hand, die Kommune, zu verbessern und damit die Grundlage
der letzten Jahre Schritt halten konnte. Seit einigen Jahren für eine Stärkung des sozialen Wohnbaus zu schaffen. Es galt
öffnet sich die Schere zwischen Bevölkerungswachstum und die Bauordnung so zu reformieren, dass mehr Grund dem ge-
Wohnbedarf auf der einen Seite und dem tatsächlichen, leist- meinnützigen Wohnbau zur Verfügung gestellt werden kann.
baren Wohnungsneubau auf der anderen Seite. Die gestiege- Mit der Novelle der Wiener Bauordnung 2018 wurde deshalb
ne Nachfrage am Wohnungsmarkt war und ist in den letzten einer langjährigen Forderung der AK entsprochen und eine
Jahren mit all ihren Konsequenzen deutlich spürbar. Zuletzt Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ eingeführt.
verschob sich der Neubau in Richtung privater, freifinanzierter Ziel ist es – auf so gewidmeten Flächen – im Regelfall zwei
Drittel geförderte Wohnnutzfläche zu errichten. Die neue
Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ ist eine wichtige
zusätzliche Maßnahme, um auch in Zukunft Flächen für ge-
förderten Wohnbau vorsehen zu können und dem Problem der
steigenden Grundstückskosten zu begegnen. Für eine tatsächli-
che Beurteilung der Wirkung mag es noch etwas zu früh sein.
Erste Widmungsverfahren sind derzeit in Ausarbeitung, erste
Hinweise geben aber Grund zur Hoffnung.
Wien hat damit jedenfalls, auch im internationalen Vergleich,
Foto: AK Wien
eine Vorreiterrolle eingenommen. Es gilt nun die getroffenen
Zielvorstellungen umzusetzen und insbesondere in einer wach-
senden Stadt konsequent weiter leistbaren Wohnraum zu schaf-
Christian Pichler ist Raumplaner und Mitarbeiter der Abteilung fen. Es geht schließlich um nichts anderes als die Sicherung his-
Kommunalpolitik der Arbeiterkammer Wien. Er befasst sich mit Stadt- torischer Qualitäten, für die Wien bekannt ist, ihre nachhaltige
entwicklung, Raum- und Bauordnung, öffentlichem Raum und künftige Fortführung und die Frage: Wie erhält, baut und ent-
Regionalpolitik.
wickelt man eine lebenswerte, gerechte und leistbare Stadt? h
MieterEcho 408 März 2020 11TITEL
Vermieter hoffen auf Karlsruhe
Mehr Umwandlungen in Wohneigentum und ein „grauer“ Mietwohnungsmarkt
zeichnen sich als temporäre Gegenstrategien der Branche zum Mietendeckel ab
Von Rainer Balcerowiak fort fällig werden, auch wenn gegen entsprechende Bescheide
Widerspruch eingelegt wird. Für die Branche tätige Jurist/innen
Es ist vollbracht. Am 23. Februar ist der Berliner Mietende- warnen inzwischen in einschlägigen Blogs davor, das Gesetz
ckel in Kraft getreten. Bei der entscheidenden Abstimmung einfach zu ignorieren, wie es noch vor einigen Monaten gele-
im Abgeordnetenhaus am 30. Januar gab es 85 Ja- und 64 gentlich empfohlen wurde. Als „Trostpflaster“ wird stattdessen
Neinstimmen, bei einer Enthaltung. Die Bestimmungen die Überzeugung vermittelt, dass die Verfassungsgerichte das
zum Einfrieren von Bestandsmieten und zur Deckelung Gesetz kippen werden, was den Weg zu Rückforderungen ent-
von Neuvertragsmieten gelten rückwirkend zum 18. Juni gangener Mieteinnahmen eröffnen würde.
2019, dem Tag des ersten Eckpunktebeschlusses des Se-
nats. Ab November 2020 sieht das Gesetz die Möglichkeit Investoren unbeeindruckt
vor, vom Vermieter die Senkung bestehender Mieten zu Mehrere prominente Investoren haben mittlerweile entgegen
verlangen, wenn diese mindestens 20% oberhalb der ver- der gängigen Branchenpropaganda erklärt, dass sie ihre Akti-
bindlichen Deckelwerte liegen. Vermietern, die dagegen vitäten auf dem Berliner Markt keineswegs zurückfahren oder
verstoßen, drohen hohe Bußgelder. gar einstellen werden. „Die Immobilienpreise in Berlin haben
aufgrund der Diskussionen um den Mietendeckel nachgege-
CDU und FDP bekräftigten nach der Verabschiedung ihre An- ben, dadurch nehmen für uns die Investitionsmöglichkeiten
kündigung, gegen das Gesetz juristisch vorgehen zu wollen. wieder zu“, erklärte der Chef der Unternehmensgruppe Mähren
Noch vor der Sommerpause sollen entsprechende Klagen beim AG. Auch Klaus Groth von der gleichnamigen Groth-Gruppe
Landes- und beim Bundesverfassungsgericht eingereicht wer- sieht sein im Neubau aktives Unternehmen vom Mietendeckel
den. Wann die Gerichte darüber entscheiden werden, ist derzeit „nicht betroffen“ und kündigte an, die Errichtung des neuen
völlig offen. Stadtquartiers Neulichterfelde mit 2.100 Wohnungen und 420
Dass die Immobilienbranche das neue Gesetz durchaus ernst Reihenhäusern wie geplant voranzutreiben.
nimmt, zeigt die Reaktion des Verbandes Berlin-Brandenbur- Ein weiterer Branchentrend zeichnet sich bereits seit einigen
gischer Wohnungsunternehmen (BBU), der zu den schärfsten Monaten ab. Die Anträge auf Umwandlung von Miet- in Ei-
Kritikern des Mietendeckels zählt. Er rät seinen Mitgliedern, gentumswohnungen haben deutlich zugenommen. Das gilt
überhöhte Mieten unaufgefordert zu senken. Zur Begründung auch für Verkaufsangebote bereits bestehender und derzeit
wurde auf die hohen Bußgelder verwiesen, die bei Vergehen so- vermieteter Eigentumswohnungen, bei deren Erwerb durch
einen Selbstnutzer für den Mieter keine oder kaum noch eine
Schutzfrist vor Eigenbedarfskündigungen besteht. In beiden
Fällen sieht der Berliner Senat keine Eingriffsmöglichkeiten,
da sowohl Umwandlungen als auch Schutzfristen bundesrecht-
lich geregelt sind.
Noch nicht eindeutig ist der Trend bei den Angeboten für
Mietwohnungen. Laut der Online-Plattform Immoscout la-
gen im vergangenen Jahr 94,4% der Mietangebote über den
Obergrenzen, die der Senat je nach Baujahr und Ausstattung
einer Wohnung festgelegt hat, im Durchschnitt um 5,92 Euro/
qm. Allerdings sei das Angebot an öffentlich angebotenen
Mietwohnungen seit Bekanntwerden der ersten Eckpunkte
für einen Mietendeckel insgesamt zurückgegangen. Es ist also
davon auszugehen, dass sich ein wachsender „grauer Markt“
der informellen Wohnungsvergabe etablieren wird, zumal jetzt
Bußgelder verhängt werden können, wenn überhöhte Mieten
verlangt werden.
Wie dem auch sei: Das Gesetz ist jetzt in Kraft, und die zu-
nächst entscheidende Frage wird sein, wie es in den Bezirken
Der Kampf gegen Eigentumswohnungen wird nach Verabschiedung des Mieten- umgesetzt wird. Endgültige Klarheit über Bestand und Ausge-
deckels noch drängender. Die Anträge auf Umwandlung von Miet- in Eigentums- staltung des Mietendeckels wird es aber erst nach den Urtei-
wohnungen haben bereits deutlich zugenommen. Foto: Matthias Coers len des Landes- und des Bundesverfassunsgerichts geben. h
12 MieterEcho 408 März 2020BERLIN
Warum wir am 28. März
auf die Straße gehen
Drei Gründe auch dieses Jahr wieder gegen den Mietenwahnsinn zu demonstrieren
Von Karin Baumert
Auch in diesem Jahr findet wieder
eine Demonstration gegen Verdrän-
gung und Mietenwahnsinn statt. Nun
mag manche/r Mieter/in denken:
‚Ach, da hab ich etwas Besseres vor,
jetzt steht der Mietendeckel und al-
les ist wieder schön...‘ . Hier sind drei
Gründe, noch mal darüber nachzu-
denken:
1. Kein Deckel ohne Kampf
Den Mietendeckel gäbe es nicht ohne die
vielfältigen Proteste der letzten Jahre.
Daran haben auch die zwei großen Mie-
tenwahnsinn-Demonstrationen in den
letzten beiden Jahren einen großen Anteil.
Hier haben wir Mieter/innen gezeigt, wie
hoch uns das Wasser steht, nämlich bis
zum Hals. Der Mietendeckel wurde auf
der Straße erkämpft. Dieser Kampf ist
noch nicht vorbei. Die Immobilienlobby pitalistische Stadt hat keine Perspektive. riss und Luxusneubau steht auf dem Prüf-
tobt und klagt. Für sie bedeutet der Mie- Sie ist der Ort der Profitmaximierung. stand der Kämpfe der Nachbar/innen ge-
tendeckel ganz sicher geringere Profite. Diese ist niemals nachhaltig und voraus- gen Aufwertung und Verdrängung. Hier ist
Aber solange die Wohnung eine Ware ist, schauend und sie ist vor allem zutiefst die eigentliche Kraft der Veränderung.
ist der Kampf noch nicht entschieden. Der menschenverachtend. Armut, Ausgren- Komm raus aus den Puschen, zeig dich
Kampf für das Menschenrecht auf Woh- zung, Zwangsräumungen und Obdachlo- solidarisch und finde deine Nachbarin,
nen gegen die Profite aus Wohnraum. Der sigkeit sind an der Tagesordnung. Der denn wir sind diese Stadt und wir bestim-
ist mit einem Mietendeckel nur gedeckelt. Mietendeckel geht in die richtige Rich- men was gebaut wird, wie viel Miete wir
Das neue Gesetz dämpft die Profiterwar- tung, bleibt aber singulär. Denn es fehlen zahlen und, wohin diese Miete fließt.
tungen zeitlich befristet. Die Debatten noch die preiswerten Wohnungen für woh- Werdet darum in der Aktionswoche vom
darüber zeigen nur, in welches Dilemma nungslose Menschen, für Obdachlose, für 20. bis 28. März aktiv. Organisiert gemein-
die Privatisierung der Wohnungen führt. die Mieter/innen in überbelegten Wohnun- sames Transparentemalen, „Miethai“-
gen, für Menschen mit geringem Einkom- Grillen, Kunstaktionen, Diskussionsaben-
2. Kapitalismus bedeutet Konkurrenz men. Der Mietendeckel beruhigt die Pro- de, Infostände und was euch sonst so
Wer seine Rente über eine Eigentumswoh- fiterwartungen, sprich die Spekulation mit einfällt. Kommt am Samstag, den 28.
nung absichern wollte, der ist jetzt viel- Wohnraum. Jetzt wäre die Zeit für einen März, mit uns auf die Straße zur 3. großen
leicht mit seinen Kreditzahlungen arm kommunalen Wohnungsbau, der massen- Demonstration gegen Verdrängung und
dran? Müssen wir uns da Sorgen machen? und dauerhaft preiswerten Wohnraum Mietenwahnsinn. Wir treffen uns um
Nein, denn das zeigt nur, dass die komplet- schafft. 13:00 Uhr auf dem Potsdamer Platz. In
te Privatisierung aller Lebensbedürfnisse diesem Jahr sind wir international ver-
keine Zukunft hat. Arm dran sind nicht die 3. Solidarisch auf die Straße gehen netzt. Europaweit wurde der 28. März zum
Besitzer/innen von Eigentumswohnun- Die letzten Mietenwahnsinn-Demonstra- Housing Action Day ausgerufen. Deine
gen. Richtig arm dran sind die Mieter/in- tionen wurde von zahlreichen Mieteriniti- Ideen für den Tag besprichst du am besten
nen, die zwangsgeräumt werden. Die ka- ativen organisiert. Diese wachsen wie mit deinen Nachbar/innen. h
Pilze aus dem Boden. Jeder neue Eigentü-
Karin Baumert ist Stadtsoziologin und politische mer muss damit rechnen, dass sich die www.mietenwahnsinn.info
Aktivistin. Mieter/innen zusammenrotten. Jeder Ab- www.housing-action-day.net
MieterEcho 408 März 2020 13Sie können auch lesen