WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT

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WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
AStA ZEITUNG
U   N   I   F   R   A   N   K   F   U   R   T   –   F   R   Ü   H   L   I   N   G   2   0   2   1

                                                        Wem gehört
                                                          die Stadt?
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
Hrsg.                AStA der Universität Frankfurt am Main

V. i. S. d. P.       AStA-Vorstand:
                     Melissa Dutz
                     Kyra Beninga
                     Nils Zumkley
                     Pia Troßbach
                     Sebastian Heidrich
                     Mathias Ochs

Anschrift            Mertonstr. 26 – 28,
                     60325 Frankfurt a. M.

Web                  www.asta-frankfurt.de

Mail                 info@asta-frankfurt.de

Redaktion            AStA-Zeitungsreferat:
                     Malte Tübbecke
                     Finn Gölitzer
                     Alexander Toumanides

Lektorat             Rebecca Papendieck

eMail                zeitung@asta-frankfurt.de

Gestaltung           gegenfeuer.net

Druck                Bechtle Verlag & Druck

Auflage              46 839

Jahrgang             2021

                     Die Inhalte der Artikel spiegeln nicht
                     zwangsläufig die Meinung der Mitglieder
                     des AStA oder der Redaktion wieder.

                     In dem „Forum“ geben wir Raum für
                     Diskussionen zu aktuellen Themen.
                     Das jeweilige Thema wird durch einen
                     auf der AStA Seite veröffentlichen
                     Call for Papers vorgegeben. Wenn mehr
                     Zuschriften eingehen, als Platz zur Ver-
                     fügung steht, treffen wir eine Auswahl
                     unter den Texten, um möglichst viele
                     Sichtweisen zu Wort kommen zu lassen.

                     Die Rechte der Artikel liegen bei den
                     Autor*innen.

Eigentumsvorbehalt   Liegen bei niemanden. Geben Sie diese
                     Zeitung jeder x-beliebigen Person
                     für x Äquivalente weiter.
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
Editorial
Liebe Studis, liebe Leser*innen,

das Problem beim Herausgeben einer nur viertel-
jährlich erscheinenden Zeitschrift ist, dass es keine
Möglichkeit gibt, noch auf aktuelle Entwicklungen
einzugehen. Viele Texte mit aktuellen Bezügen müs-
sen daher oftmals noch etwas in unserer Redaktion
liegenbleiben, bevor sie dann endlich erscheinen
können. In der Zwischenzeit passiert dann meis-
tens noch so einiges, was wir gerne in der Ausgabe
angesprochen hätten. So wäre die riesige Demons-
tration in Berlin nachdem das Bundesverfassungs-
gericht entschieden hatte, den Mietendeckel für
verfassungswidrig zu erklären, sicher einen Bericht
wert gewesen. Auch die extreme Polizeigewalt am
1. Mai in Frankfurt und in anderen Städten hätten
wir gerne noch behandelt. Trotzdem sind wir glück-
lich diese Entwicklungen quasi antizipiert zu haben
und euch trotzdem eine brandaktuelle Zeitung lie-
fern zu können. Die zahlreichen Einsendungen zum
Thema „Wem gehört die Stadt?“ haben gezeigt,
dass die Frage auf vielseitige Weise beschäftigt und
das Thema nicht an politischer Dringlichkeit verlo-
ren hat.

Unseren Autor*innen ist es dabei gelungen, sich
dem Thema „Stadt“ auf verschiedensten Weisen
und Blickwinkeln anzunähern. Den Auftakt machen
unsere Wohnraumreferenten Tim und Niklas, die der
Frage auf den Grund gehen, welche Ursachen die
studentische Wohnungsnot in Frankfurt hat und wie
sich am besten dagegen vorgehen lässt. Im zwei-
ten Beitrag zeigt Jonas Conrath, warum zu kurz
greift, Hipster und Bioläden für überteuerte Mie-
ten verantwortlich zu machen. Leonie Wüst spricht
sich in ihrem Text für eine feministische Aneignung

                                                                 Wir
der Stadt aus, die darin besteht sich Raum zu neh-
men und präsent zu sein. Philipp Leserer zeigt am

                                                        wünschen viel
Beispiel der Grünen Lunge Konfliktlinien der sozia-
len und ökologischen Stadtpolitik auf und in einem
Interview haben wir über einen Mietkampf im Gallus
und Möglichkeiten der Organisierung gesprochen.
Auf diese und weitere Beiträge könnt ihr euch in die-
                                                               Spaß
ser Ausgabe freuen. Viel Spaß beim Lesen!
                                                         beim Lesen!
Eure Redaktion
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
Online Wahlen
                         Studentisches
        33               Wohnen in Frankfurt
                                           05

  Transformation
  des urbanen Alltags
  15

                                          Grüne Lunge Bleibt
           Kostenlose
Menstruationsprodukte                                         11
                    31

                                   lâneuserie, Flexen und
                                  F
                                  sich die Stadt aneignen
                                  09

 Mietkampf                                      Bilder einer Stadt
 im Gallus                                                      17
 21
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
05   Studentisches Wohnen in Frankfurt
                                      Tim Hoppe & Niklas Lehrke

                                    Verdrängung durch Latte Macciato
                                 07	
                                      Jonas Conrath

                                 09   Flâneuserie, Flexen und sich
Verdrängung durch                     die Stadt aneignen
Latte Macciato                        Leonie Wüst

07
                                    Grüne Lunge Bleibt
                                 11	
                                      Phillip Leserer

                                 13   Über Glasfronten und Betonplatten
                                      Jannis Gebhard

             Über Glasfronten
               und Betonplatte   15   Transformation des urbanen Alltags
                                      Regina Schleicher
                            13
                                    Bilder einer Stadt
                                 17	
                                      Paul Vogt

                                    Enteignen
                                 19	
                                      Phillip Leserer

                                    Mietkampf im Gallus (interview)
                                 21	
                                      Redaktion

                                    Selbstvorstellung
                                 25	

                                    Kostenlose Menstruationsprodukte
                                 31	
                                      Feminismus Referat

           Enteignen
                                    Online Wahlen
                                 33	
           19
                                      Pia Troßbach

                                    Call for Papers
                                 37	
                                      „100 Jahre Antifaschismus“
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
5

Studentisches
Wohnen in Frankfurt
Die Lage ist beschissen – was tun?

Überhöhte Mieten, Wohnungen in schlechtem
Zustand und ein akuter Mangel an Wohnheimplät-
zen. Kann man jungen Menschen das Studium in
Frankfurt noch empfehlen? Wir werfen einen Blick
auf die Ursachen der studentischen Wohnungsnot
und mögliche Perspektiven.                                                                                   auf eine versäumte Bauplanung des Stu-
                                                                                                             dentenwerkes schieben. Vielmehr zeigt
                                                                                                             sich, dass dem rasanten Anstieg der Stu-
                                                                                                             dierendenzahl seit der Jahrtausendwende
                                                                                                             keinerlei ernstzunehmende Planung und
                                                                                                             Finanzierung von entsprechenden Wohn-
                                                                                                             heimkapazitäten auf Seiten des Bundes
                                                                                                             oder des Landes Hessen folgte. Dabei sind
                                                                                                             gerade in einer Stadt wie Frankfurt Wohn-
                 Studieren in Frankfurt am Main: Für viele     diums mehrfach anzureisen, der*die droht      heime von enormem Wert für die Lage der
                 eine attraktive Option, wie die Zahlen an     in der Orientierungswoche ohne Woh-           Studierenden. Sie bieten immerhin in grö-
                 Bewerber*innen und Neueingeschriebe-          nung dazustehen.                              ßerer Zahl Zimmer zu Mieten von weniger
                 nen in den Bachelor- und Masterstudi-            Der AStA bot in solchen Fällen im          als 400 Euro im Monat. Für Frankfurter
                 engängen der Goethe-Universität Jahr          Rahmen der Kampagne „Mieten? Ja wat           Studierende ist das bereits ein Schnäpp-
                 für Jahr belegen. Die Universität warb        denn?!“ Obdach in improvisierten Schlaf-      chen.
                 über Jahre mit ihrem Exzellenzstatus,         sälen des Studierendenhauses. Die Not-           Bekommt man keinen der heißbe-
                 internationalen Kooperationen, moder-         wendigkeit solcher selbst initiierten Not-    gehrten Wohnheimplätze, bleibt für über
                 ner Infrastruktur und nicht zuletzt dem       schlafstellen für Studienanfänger*innen       90 Prozent der Studierenden nur die Suche
                 „schönsten“ Campus Europas. Was will          mag für Studierende in anderen Städten        nach einem Zimmer auf dem „freien“
                 man mehr?                                     absurd erscheinen, in Frankfurt ist sie zur   Wohnungsmarkt. In der nach Mietpreisen
                    Wohnen zum Beispiel. Wohnen will           Normalität geworden. Der durch Corona         zweitteuersten Stadt Deutschlands,1 die
                 man nicht nur, das muss man sogar. Und        und Digitalstudium verursachte geringere      von einem eklatanten Mangel an geför-
                 hier bekommt die Fassade vom perfek-          Zuzug von Erstis sorgt in Frankfurt anders    dertem Wohnraum gezeichnet ist, sind
                 ten Studium in der Mainmetropole tiefe        als in anderen Städten ebenfalls für keine    das nicht unbedingt rosige Aussichten. Die
                 Risse. Wie wir alle zumeist aus eigener       Entlastung, wie eine Rückfrage beim Stu-      Folgen kennen wir alle: In Frankfurt wird
                 Erfahrung wissen, verläuft der Start in       denten[sic]werk ergab. Die Studierenden-      jede noch so schlecht renovierte Wohnung
                 Frankfurt für viele Erstsemesterstudis        wohnheime sind voll und dies darf nicht       für absurde Beträge vermietet. Wenn
                 alles andere als reibungslos. Ein oder zwei   verwundern. Das Studentenwerk Frank-          man Glück hat, ist in einem WG-Zimmer
                 Besichtigungen reichen so gut wie nie,        furt am Main verfügt derzeit nur über         zu einem „normalen“ Mietpreis von ca.
                 um ein WG-Zimmer zu finden; am Ende           rund 3.000 Wohnheimplätze, bei einer          450 Euro alles enthalten – neben Strom,
                 sind es meist zehn bis zwanzig. Für Stu-      Zuständigkeit für mehr als 80.000 Stu-        Wasser und schlechtem Internet meist
                 dierende, die nicht bereits im Rhein-Main-    dierende im gesamten Rhein-Main-Gebiet.       auch eine kaputte Gasleitung im Bad, eine
                 Gebiet leben, beginnt hier der finanzielle    Das Auseinanderklaffen von der Studie-        bedingt funktionsfähige Heizung oder
                 Aufwand. Wer es sich nicht leisten kann,      rendenzahl und den vorhandenen Wohn-          eine auseinanderfallende Küche. Wer bei
                 schon in den Monaten vor Beginn des Stu-      heimplätzen lässt sich aber nicht einfach     solchen Preisen dann noch auf jährlich zu
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
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                                                                                             1   https://de.statista.com/statistik/daten/
beantragende Stipendien, ein störrisches      guter Wille bezüglich der Lage Frankfur-           studie/1885/umfrage/mietpreise-in-den-
BAföG Amt oder krisengebeutelte Neben-        ter Studierender geäußert, aber ein ech-           groessten-staedten-deutschlands/
jobs angewiesen ist, bei der*dem mag das      tes Bewusstsein für die existenziellen             (Stand: 27.04.2021).

Gefühl entstehen, dass für sie*ihn in die-    Nöte der Betroffenen scheint nur bedingt       2   https://www.gemeinschaftliches-wohnen.de/
ser Stadt kein Platz ist.                     vorhanden. Kurzum, es fehlt der politi-            informationen/leerstandsmelder/
                                                                                                 (Stand: 27.04.2021).
    Es sei kein Platz, ist tatsächlich das    sche Druck innerhalb der verantwortli-
häufigste Argument, das man zum Thema         chen Parteien, das Thema ganz oben auf         3   https://www.fnp.de/frankfurt/
Wohnraum in Frankfurt hört. Unabhän-          die Tagesordnung zu setzen.                        wohnungsleerstand-frankfurt-13844903.html
                                                                                                 (Stand: 27.04.2021).
gig der Gesprächspartner*innen lautet             In der Konsequenz bedeutet dies, den
überall die Antwort, wenn es um die Frage     politischen Druck von Seiten der Zivil-        4   https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/
nach den Möglichkeiten zur Schaffung von      gesellschaft auf die stadtpolitischen Ent-          immobilien-blase-muenchen-und-frankfurt-
                                                                                                  sind-laut-ubs-am-staerksten-
bezahlbarem studentischem Wohnraum in         scheider*innen zu erhöhen. Dazu gehö-               ueberbewertet-a-8314ca02-9a9b-42b7-
Frankfurt geht: Man würde gerne bauen,        ren Forderungen, wie den Ankauf von Flä-            b1dc-c6c66d334930 (Stand: 27.04.2021).
doch es fehle an Fläche. Dieser Einschät-     chen weiter voranzutreiben, Vorkaufs-
                                                                                             5   https://www.fr.de/frankfurt/cdu-politiker-
zung lässt sich in Teilen zustimmen, denn     rechte effektiver als bisher zu nutzen             laesst-wohnhaus-in-frankfurt-leer-
die der Stadt zur Bebauung verfügbar ste-     sowie die Quoten für die Schaffung von             stehen-90043940.html (Stand: 27.04.2021).
henden Flächen sind begrenzt und der          sozial gefördertem Wohnraum in den
Ankauf neuer entsprechend teuer. Den-         neuentstehenden Wohnquartieren deut-
noch muss die Erzählung der mangelnden        lich zu erhöhen. Die an der Quartiersent-
Flächen erheblich aufstoßen, wenn man         wicklung beteiligten privaten Bauträger
sich so manch eine Episode der Flächen-       müssen im Rahmen ihrer Vorhaben ent-
planung der letzten Jahre anschaut.           weder entschieden an gemeinwohlori-
    So wurde erst 2018 das bis dahin in       entierte Standards gebunden oder durch
der Hand des Landes Hessen befindli-          kommunale Wohnungsbaugesellschaften
che Gelände des ehemaligen Polizeiprä-        und gemeinwohlorientierte Träger ersetzt
sidiums am Platz der Republik für mehr        werden. Ein wesentlicher Teil dieses poli-
als 200 Millionen Euro an private Inves-      tischen Drucks entspringt der Arbeit der
tor*innen verkauft. Aus diesem Betrag         außerparlamentarischen wohnungspo-
wurde unter anderem ein Fonds gebildet,       litischen Initiativen in Frankfurt, welche
welcher 60 Millionen Euro für Investi-        sich seit Jahren für die genannten Forde-
tionen in bezahlbaren Wohnraum, ins-          rungen einsetzen. Generell gilt: Politischer
besondere den Ankauf von Bauflächen,          Wille ist die Voraussetzung für politische
enthält. Abgerufen werden konnte von          Veränderung. Wenn wir als Studierende
diesem Geld bis heute nichts, da laut der     gehört werden wollen, müssen wir laut-
bisherigen Argumentation des grün-ge-         stark auf unsere Wohnungsnot aufmerk-
führten hessischen Wirtschaftsministe-        sam machen.
riums geeignete, sprich günstige Flächen          Denn die Aufgabe politischer Ent-
zum Erwerb fehlen würden. Die Absurdi-        scheider*innen ist es, die Vielfältigkeit
tät dieser Argumentation ist erschlagend.     der Stadt und ihrer Bewohner*innen in
Statt ein zentral gelegenes Grundstück an     die Stadtplanung miteinzubeziehen. Zu
die Stadt Frankfurt oder gemeinnützige        dieser Vielfältigkeit gehört auch anzuer-
Träger zu überschreiben und für die Schaf-    kennen, dass Frankfurt eine Studieren-
fung bezahlbaren Wohnraums nutzbar zu         denstadt ist. Bei anhaltend negativer Ent-
machen, wurde dieses schlicht an einen        wicklung am Wohnungsmarkt stellt sich
privaten Bauträger verkauft.                  für uns jedoch zunehmend die Frage, ob
    Ein strukturell viel entscheidenderes     man jungen Menschen noch guten Gewis-
Problem der kommunalen Wohnungspo-            sens zu einem Studium in Frankfurt raten
litik ist jedoch ein anderes. Denn entgegen   kann.
aller häufig gehörten Argumente vom Flä-
chenmangel hat Frankfurt Platz. Mit einer                 Tim Hoppe & Niklas Lehrke,
Quote von rund 15 Prozent leerstehen-                  Wohnraumreferenten des AStA
den Büro- und Wohnflächen ist Frankfurt
Spitzenreiter in Deutschland,2 in absoluten
Zahlen wird von etwa 10.000 leerstehen-
den Wohnungen im Stadtgebiet ausgegan-
gen.3 Der Frankfurter Wohnungsmarkt ist
schon seit Jahren Spekulationsobjekt nati-
onaler wie internationaler Anleger*in-
nen,4 für die sich Leerstand mehr rentiert
als jede Vermietung. Auch hier wäre das
Land Hessen gefragt, mithilfe entspre-
chender Gesetze und Maßnahmen einzu-
greifen und die Leerstandsquote zu sen-
ken. Dumm nur, dass die CDU genau jenes
Gesetz zum Verbot von Wohnraumzwe-
ckentfremdung 2004 abgeschafft hat.5
    Man macht es sich allerdings zu ein-
fach, wenn man die Missstände einzig
und allein auf die Landesebene schiebt.
Es mangelt auch schlicht an politischem
Willen vor Ort. Zwar wird unabhängig der
Gesprächspartner*innen Interesse und
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
F O
                                RU                 M
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Verdrängung durch
Latte Macchiato?
Zur Kritik an sozio-kulturalistischen
Erklärungsansätzen von Gentrifizierung

Gentrifizierungsprozesse sind komplex und lassen   Immer wieder kommt es vor, dass in nach-     ders groß ist.3 Ab wann solche Ertragslü-
                                                   barschaftlichen Gesprächen, in Zeitungs-     cken für Investor*innen so attraktiv wer-
sich nicht einfach durch individuelle Wohnstand-
                                                   artikeln oder auch auf Demonstrationen       den, dass sie tatsächlich investieren, steht
ortentscheidungen bestimmter Bevölkerungsgrup-     der Zuzug von Hipstern und Studierenden      in einem engen Zusammenhang mit dem
pen erklären. Die Gründe für Verdrängung sind      oder die Eröffnung von Bioläden und hip-     Geschehen auf den globalen Finanzmärk-
                                                   pen Cafés als Hauptursachen von Gentrifi-    ten und kann zudem durch die politischen
vielmehr auf einer politischen und ökonomischen    zierungsprozessen benannt werden. Dabei      Rahmenbedingungen stark beeinflusst
Ebene zu finden.                                   ist dieser sozio-kulturalistische Erklä-     werden.
                                                   rungsansatz nicht nur empirisch nicht            Solange in anderen Segmenten des
                                                   belegbar, sondern auch stark verkürzt,       Finanzmarktes (Aktien, Produktion von
                                                   und klammert den zunehmenden Einzug          Gütern, Anleihen etc.) höhere Renditen
                                                   des Neoliberalismus in die Wohnungs-         erzielt werden können als im Immobili-
                                                   politik, das Streben der Immobilienbesit-    ensektor, kommt es auch nur zu gerin-
                                                   zer*innen nach Profitmaximierung und         gen Investitionen im selbigen. Selbst ver-
                                                   Fragen der Vermögensverteilung nahezu        gleichsweise attraktive Stadtviertel mit
                                                   vollständig aus. Zugute kommt dies insbe-    hohen Ertragslücken bleiben dann vom
                                                   sondere den Profiteur*innen der Gentrifi-    Verdrängungsdruck verschont, weil kaum
                                                   zierung, weil hier zwar suggeriert wird,     Investitionen erfolgen. Nicht durch einen
                                                   über die vermeintlichen Ursachen von         plötzlichen Zuzug kreativer Bevölke-
                                                   Verdrängung zu sprechen, auf die wirk-       rungsgruppen in die Städte, sondern durch
                                                   lichen Wirkmechanismen dabei jedoch          den Mangel an anderen rentablen Inves-
                                                   nicht eingegangen wird.1                     titionsmöglichkeiten ist die Zunahme von
                                                      Vielmehr entsteht durch das Ausblen-      Gentrifizierungsprozessen seit der Finanz-
                                                   den politischer und ökonomischer Wirk-       krise 2008 zu erklären. Da überschüssi-
                                                   zusammenhänge der Eindruck, Gentrifi-        ges Kapital anderweitig oftmals nicht
                                                   zierungsprozesse seien die Folge individu-   rentabel reinvestiert werden kann, fließt
                                                   eller Entscheidungen, was verunmöglicht,     es zunehmend in die gebaute Umwelt,
                                                   politische Antworten auf Verdrängungs-       da nur hier ausreichend hohe Renditen
                                                   prozesse zu finden. Aus diesem Grund         erzielt werden.4 Aufgrund der Ökonomi-
                                                   bedarf es tiefgreifender Ansätze, die auch   sierung des Grundbedürfnisses Wohnen,
                                                   die politische und ökonomische Erklä-        wird Wohnraum so zu einem Spielball des
                                                   rungsebene miteinschließen und politi-       wachstumsgetriebenen Finanzkapitalis-
                                                   sche Handlungsalternativen gegen Gen-        mus. Dies sorgt insbesondere in Zeiten
                                                   trifizierung benennen.                       mangelnder Anlagealternativen dafür,
                                                      Dahingehende Antworten kommen aus         dass Bewohner*innen weniger rentab-
                                                   der kritischen Stadtforschung. Als eine      ler Wohnungen für lohnendere Immobi-
                                                   Hauptursache von Gentrifizierungspro-        lienprojekte Platz machen müssen, damit
                                                   zessen wird hier die Ertragslücke (Rent-     das Kapital entsprechend des kapitalisti-
                                                   Gap2) zwischen den derzeitig realisierten    schen Wachstumszwangs zirkulieren und
                                                   und den potentiell erzielbaren Mietein-      sich vermehren kann. Dabei spielt es nur
                                                   nahmen identifiziert. Investitionen sind     eine untergeordnete Rolle, welche Woh-
                                                   demnach für die immobilienwirtschaftli-      nungsmarktsegmente von der Stadtbevöl-
                                                   chen Akteur*innen insbesondere an jenen      kerung tatsächlich nachgefragt und benö-
                                                   Orten interessant, wo diese Lücke beson-     tigt werden.5 Investiert wird in diejenigen
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
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                                                                                                                 1   Inga Jenssen / Sebastian Schipper, Jenseits von
                                                                                                                     schwäbischen Spätzlemanufakturen und kiezigen
                                                                                                                     Kneipen – polit-ökonomische Perspektiven auf
                                                                                                                     Gentrifizierung, in: PROKLA. Zeitschrift für Kriti-
                                                                                                                     sche Sozialwissenschaft 48 (191), 2018, 317-324.

                                                                                                                 2   Der Rent-Gap beschreibt die Differenz (Ertragslü-
                                                                                                                     cke) zwischen den derzeitig realisierten und den
                                                                                                                     durch Verkauf und Investitionen potentiell erziel-
                                                                                                                     baren Erträgen. Mit den potentiell erzielbaren
                                                                                                                     Erträgen ist „die profitabelste Verwertung eines
                                                                                                                     Grundstückes gemeint, die sich ergäbe, wenn sich
                                                                                                                     zukünftig die gewinnträchtigste Nutzung durch-
                                                                                                                     setzen würde“. Tabea Latocha / Sebastian Schip-
                                                                                                                     per, Wie lässt sich Verdrängung verhindern?,
                                                                                                                     in: sub\urban – Zeitschrift für kritische Stadtfor-
                                                                                                                     schung 1 (6), 2018, 51-76..

                                                                                                                 3    ndrej Holm, Gentrification, in: Bernd Belina u.a.
                                                                                                                     A
                                                                                                                     (Hrsg.), Handbuch kritische Stadtgeographie,
                                                                                                                     2016, 102-108.

                                                                                                                 4    iehe hierzu auch: David Harveys, Ausführungen
                                                                                                                     S
                                                                                                                     zum Zusammenhang von Kapitalüberschüssen und
                                                                                                                     Investitionen in urbanen Räumen, in: Rebellische
                                                                                                                     Städte, 2016, 34ff.

                                                                                                                 5    o ist auch der häufige Mangel an preiswertem
                                                                                                                     S
                                                                                                                     und der Überschuss an luxuriösem Wohnraum zu
                                                                                                                     erklären. In Ersterem sind die Gewinnaussichten
                                                                                                                     schlichtweg zu niedrig. Siehe hierzu auch: Andrej
                                                                                                                     Holm, Wohnung als Ware – Zur Ökonomie und
                                                                                                                     Politik der Wohnungsversorgung, in: Wiedersprüche
                                                                                                                     31 (121), 2011, 12.

                                                                                                                 6   Susanne Heeg, Immobilienmärkte, in: Bernd
                                                                                                                     Belina u.a. (Hrsg.), Handbuch kritische Stadt-
                                                                                                                     geographie, 2016, 146-152.

                                                                                                                 7   https://frankfurt.de/-/media/frankfurtde/
                                                                                                                     service-und-rathaus/verwaltung/
                                                                                                                     aemter-und-institutionen/amt-fuer-
                                                                                                                     wohnungswesen/pdf/wohnungsmarktberichte/
                                                                                                                     wohnungsmarktbericht-2016.ashx
                                                                                                                     (Stand: 19.03.2021).
                                                                                                                 8   Eric Clark fragt in seinem Aufsatz, wie Woh-
                                                                                                                     nungspolitik gestaltet werden müsste, damit
                                                                                                                     die Rent-Gap-Theorie nicht mehr zutrifft.
                                                                                                                     Vgl. Eric Clark, Good urban Governance:
Projekte, die eine hohe Rendite verspre-                                                                             Making rent gap theory not true, in: Geogra-
chen. Immobilien haben sich längst von                                                                               fiska Annaler: Series B, Human Geography 96
                                                                                                                     (4), 2014, 392–395.
einem Gebrauchsgut zu einem global han-
delbaren Finanzprodukt entwickelt. Diese
Finanzialisierung des Wohnungssektors
stellt die Profitinteressen der Anleger*in-
nen über die Bedürfnisse der Stadtbewoh-
ner*innen.6
    Wie attraktiv und lohnend Investiti-
onen in Immobilen sind und ob immobi-         noch knapp 70.000 Sozialwohnungen gab,        Gegen-Strategien entwickelt und den Fra-
lienwirtschaftliche Verwertungsbestre-        die fernab der profitorientierten Marktlo-    gen nach politischen Handlungsalterna-
bungen auch tatsächlich zu Verdrängung        giken bestanden, beträgt die Anzahl heute     tiven 8 nachgegangen werden. Bei ent-
führen, hängt stark von den politisch/        nur noch 26.000.7 Auch die Umwandlung         sprechendem politischen Willen gäbe es
regulatorischen Rahmenbedingungen ab.         der vormals gemeinnützigen städtischen        zahlreiche regulatorische Maßnahmen,
Die öffentliche Hand hätte die Möglich-       Wohnungsbaugesellschaft ABG in eine           um der Verdrängung entgegenzuwirken.
keit, großen Einfluss auf den Wohnungs-       profitorientierte Holding steht charak-       Dazu könnte ein stärkerer Schutz von
markt auszuüben und regulatorisch im          teristisch für die Neoliberalisierung der     Mieter*innen, die Wiedereinführung der
Interesse der Mieter*innen einzugreifen.      Wohnungspolitik. Würde der Staat also         Wohnungsgemeinnützigkeit, der Ausbau
Allerdings lässt sich in der BRD mit dem      seinen Einfluss auf dem Wohnungsmarkt         von gefördertem Wohnraum oder auch
Einzug des Neoliberalismus oftmals genau      stärker geltend machen, würden Markt-         die Enteignung großer profitorientierter
das Gegenteil erkennen: Wohnungspo-           logiken weniger stark über die Verteilung     Immobilienkonzerne gehören. Ziel sollte
litik wird zunehmend im Interesse der         von Wohnraum entscheiden und Verdrän-         es also sein, Wohnraum zunehmend der
Investor*innen gemacht. Mit dem Aus-          gungsprozesse könnten so ausgebremst          Marktförmigkeit zu entziehen, um Gen-
verkauf von kommunalen Wohnungsbe-            werden.                                       trifizierungsprozesse vorzubeugen.
ständen, dem Abbau von Sozialwohnun-             Deutlich wird also, dass Gentrifizierung
gen, der Abschaffung des Wohnungsge-          kein natürlicher Prozess ist, der sich ein-                            Jonas Conrath
meinnützigkeitsgesetzes und der Schwä-        fach durch individuelle Wohnstandortent-
chung des Mieter*innenschutzes seien          scheidungen bestimmter Bevölkerungs-
hier nur einige Entwicklungen genannt,        gruppen erklären lässt. Vielmehr bedarf
durch die politische Rahmenbedingungen        es eines umfassenderen Blicks, der die
geschaffen wurden, die auf die Bedürfnisse    Geschehnisse auf den globalen Finanz-
von Investor*innen ausgerichtet sind. In      märkten und die politischen Rahmenbe-
Frankfurt wird dies bei näherer Betrach-      dingungen miteinschließt. Denn nur durch
tung des Bestandes an Sozialwohnungen         die Benennung der eigentlichen Ursachen
deutlich. Während es hier im Jahr 1990        von Gentrifizierung können nachhaltige
WEM GEHÖRT DIE STADT? - ASTA FRANKFURT
U                                  M
              F O R
9

Flâneuserie, Flexen
und sich die Stadt
aneignen                                                                                                         Die Konzeption von Städten aus
                                                                                                                 feministischer Perspektive
                                                                                                             Moderne Städte wurden nicht, wie häufig
                                                                                                             angenommen, mit der Intention erbaut,
Aus mehr als aktuellem Anlass kommt die Frage danach auf, wie
                                                                                                             die Doppelbelastung von Frauen in Bezug
sich Frauen in der Stadt bewegen (können), mit welchen Blicken,                                              auf Lohnarbeit, Care- sowie Hausarbeit zu
Belästigungen und Gewalterfahrungen sie konfrontiert sind, und wie                                           managen. Innerhalb der feministischen
                                                                                                             Geschichte der Planung und Gestaltung
sie sich als Gegenreaktion den Raum aneignen. Wie kann sich also                                             von Wohnsiedlungen und Häusern stand
das Flanieren für Frauen durchsetzen?                                                                        vor allem der Aspekt einer Kollektivierung
                                                                                                             der Kindererziehung wie auch der Hausar-
                                                                                                             beit im Fokus. Durch diese Kollektivierung
                                                                                                             sollte Frauen der Zugang zum Arbeits-
                                                                                                             markt, die Gleichstellung mit den Män-
                                                                                                             nern und die „intellektuelle Entwicklung“
                                                                                                             erleichtert werden.6 Indem sich Frauen
                                                                                                             gemeinsam organisieren, eignen sie sich
                                                                                                             den Raum und die Stadt durch eben diese
                 Ist die Rede vom Flanieren oder dem Flâ-      Jahr 1930 darüber schreibt, dass es für sie   Organisation an.
                 neur im Spezielleren, geht es dabei meist     als Frau eine große Freiheit und Entspan-        Aber zurück zum Flanieren selbst: Die
                 um den weißen Mann, der sich als leiden-      nung sei, die Straßen Londons für sich ein-   Grundvoraussetzung des Flanieren-Kön-
                 schaftlicher Beobachter der Großstadt in      zunehmen, zu entdecken und zu erkun-          nens besteht in der Möglichkeit, sich
                 die Masse einfügt und sich im Zuge des-       den.3 Die feministische Geografin Leslie      uneingeschränkt und vor allem unein-
                 sen einerseits im Zentrum des Gesche-         Kern beschreibt in ihrem Werk Feminist        geschüchtert im öffentlichen Raum zu
                 hens befindet, andererseits jedoch danach     City, welches 2020 in der deutschen Über-     bewegen. Als (junge) Frau ist ein freies
                 trachtet, unsichtbar zu bleiben.              setzung im Unrast Verlag erschien, wie        Flanieren ohne Einschränkungen und
                    Als Frau ist das Gefühl völliger Ano-      vor allem der schwangere Körper den Bli-      Belästigungen kaum möglich: Ängstliche
                 nymität und Unsichtbarkeit in der Stadt       cken und Belästigungen eines großstäd-        Gefühle auf dem nächtlichen Nach-Hau-
                 ein Seltenes. Die Anonymität der Groß-        tischen Treibens ausgesetzt ist. Durch        se-Weg, der direkte Griff zum Handy, um
                 stadt existiert nur für bestimmte Subjekte,   ihren Bezug auf den schwangeren Kör-          mit Freund*innen zu telefonieren (was in
                 vor allem für weiße Männer der Ober-          per verweist sie auf eine Leerstelle in       meiner Vorstellung einen gewissen Schutz
                 schicht, während sie Frauen, PoC, quee-       den feministischen Schriften zur Flâ-         vor Übergriffen bieten sollte), oder aber
                 ren Menschen oder Arbeiter*innen ver-         neuse* und versucht diese theoretisch         der Schlüsselbund, der fest im Handgriff
                 wehrt bleibt. Dem patriarchalen Blick         zu füllen. So spricht Kern davon, dass vor    verankert ist, um sich wehren zu können,
                 ausgesetzt zu sein und Belästigungen und      allem Schwangere ungebetenen Berüh-           sind nur ein paar meiner eigenen Erfah-
                 Gewalt zu erfahren, beeinflusst das weib-     rungen, Belästigungen und Blicken aus-        rungen. All diese Mechanismen sind (jun-
                 liche Auftreten in Städten maßgeblich.        gesetzt seien, die es nicht ermöglichen,      gen) Frauen verinnerlicht und gehören zur
                 Einige feministische Autor*innen kons-        ein Gefühl der Privatheit in der Masse zu     weiblichen Subjektivierung. Sie bestim-
                 tatieren daher, dass „das Modell des Flâ-     erhalten, sondern sie zu einem öffentli-      men die Art und Weise, wie sich Frauen
                 neurs als ausschließende Trope […] kriti-     chen Körper werden lassen.4                   in der Öffentlichkeit bewegen – immer
                 siert werden sollte“1; andere beziehen sich      Abgesehen von der Frage nach der           wachsam. Gerade darin liegt der Haupt-
                 auf den Flâneur als „Figur, die angeeig-      Flâneuse* sei darauf hingewiesen, dass        unterschied zum männlichen Flâneur,
                 net“ werden müsse.2 Während Erstere der       Städte im Allgemeinen an die Erwartun-        der sich aufgrund seines Geschlechts frei
                 Meinung sind, Frauen könnten nie ganz in      gen der patriarchalen, kapitalistischen       bewegen kann, ohne sich Gedanken über
                 der Unsichtbarkeit des Großstadtlebens        Gesellschaft angepasst sind und in die-       das Bewegen zu machen.
                 verschwinden, weil sie stets dem männ-        sem Sinne an die Bedürfnisse des weißen          Wie kann sich also das Flanieren auch
                 lichen Blick ausgesetzt seien, bestehen       Mannes als Stadtbewohner. Dabei ist bei-      für Frauen durchsetzen? Und was bedarf
                 Zweitere auf der Annahme, der weibliche       spielsweise die Lage der Wohngebiete und      es für die Flâneuse*, um sich uneinge-
                 Flâneur bzw. die Flâneuse* hätte schon        Arbeitsplätze, der öffentliche Nahverkehr     schränkt die Stadt anzueignen?
                 immer existiert. Sie verweisen in ihrer       wie auch die Konzeption von Städten ein          Sich als Frau des Flanierens zu ermäch-
                 Argumentation auf Autor*innen wie Vir-        allgemeiner Ausdruck dessen, wer, wo,         tigen, bedeutet, den patriarchalen Blick
                 ginia Woolf, die in ihrem Aufsatz Street      wann, welche Aktivitäten ausführen kann       anzugreifen und sich den Raum zu neh-
                 Haunting: A London Adventure aus dem          und soll.5                                    men, um die Großstadt in all ihren Facet-
10

                                   »Die Anonymität der Großstadt existiert nur für
                                          bestimmte Subjekte, vor allem für weiße
                                 Männer der Oberschicht, während sie Frauen, PoC,
                                          queeren Menschen oder Arbeiter*innen
                                                                verwehrt bleibt.«

ten wahrnehmen und genießen zu kön-
                                                     „Flex|en, das, – kein Pl.: 1. trenn-
nen. Dabei soll die Stadt all jenen gehö-
                                                     schleifen 2. biegen 3. Sex haben 4.
ren, die in ihr auftreten, leben und fla-
                                                     das Variieren der Geschwindigkeit
nieren. Die Frage danach, wie sich Frauen
                                                     beim Rap 5. die Muskeln anspannen
heute auf den Straßen bewegen (können),
                                                     6. seine Muskeln zur Schau stellen 7.
ist dabei weder eine ausschließlich aka-
                                                     Flâneuserie.“9
demische noch eine unbedeutende. Damit
unmittelbar in Zusammenhang stehen
                                                Dabei geht es darum, den Begriff des Fla-
Aspekte ungleicher Machtverteilung und
                                                nierens neu zu erfinden und zu erweitern.
Herrschaft:
                                                Die Frage danach, ob es dafür wirklich
                                                eines neuen Begriffs bedürfe, beantwor-
   „Seit dem 19. Jahrhundert ist die Flâ-
                                                ten die Autor*innen mit einem entschlos-
   nerie, also das Phänomen, über das
                                                senen „Ja“. Gerade deshalb, weil es für
   Benjamin theoretisiert und das Baude-
                                                Frauen bis dato noch keinen Platz in der
   laire gefeiert hat, nicht nur das Privileg
                                                Flânerie gibt. Als Frau bedeutet die Bewe-
   des bürgerlichen, gebildeten, wohl-
                                                gung in den Städten entweder „aufpassen“,
   habenden und weißen Mittelstands
                                                „gesehen werden“ oder „unsichtbar sein“.10
   gewesen, sondern vor allem eines der
                                                Damit gilt es zu brechen. Flexen bedeutet,
   Männergesellschaft.“7
                                                an Orten zu sein, die für die Flâneuse* erst
                                                einmal nicht vorgesehen scheinen, sich
Somit wird deutlich, wie sehr vor allem
                                                den Raum zu nehmen und präsent zu sein.11
Frauen vor der Frage stehen: Wie sich die
                                                Also, lasst uns Flexen!
Straße und die Stadt aneignen, die nicht für
mich gebaut wurde, die nicht dafür gemacht
                                                                                       Leonie Wüst
wurde, mir zu gehören?

    Von der Frauenbewegung zum Flexen
In diesem Zusammenhang darf vor allem
die Frauen„bewegung“ nicht nur als
Metapher begriffen, sondern muss im
wörtlichen Sinne ernst genommen und
umgesetzt werden.8 Solange Frauen auf
den Straßen Belästigungen, Überwa-              1    Kern, Feminist City, 2020, 31.
chung und Gewalt ausgesetzt sind, solange
                                                2    Vgl. Kern, 31.
sieht sich die Flâneuse* mit zunehmen-
den Schwierigkeiten konfrontiert. Solange       3    Vgl. ebenda.
also der männliche Blick immanent ist,
                                                4    Vgl. Kern, 33.
bleibt Frauen ein freies Bewegen und Fla-
nieren in den Städten verwehrt.                 5    Vgl. ebenda.
   Es geht vor allem darum, sich als Frau
                                                6    Vgl. Rodenstein, Wege zur nicht-sexistischen
einen Platz in dieser Tradition zu erkämp-           Stadt. Architektinnen und Planerinnen in
fen. Mit dem Bild des Stock und Hut tra-             den USA, 1994, 53f.
genden weißen Mannes, das beim Spre-
                                                7    Gleber, Die Frau als Flaneur und die Sinfonie
chen über den Flâneur omnipräsent ist,               der Großstadt, In: Katharina von Ankum
zu brechen. Das Wort Flâneuserie ist noch            (Hrsg.), Frauen in der Großstadt –
in keinem Wörterbuch zu finden, wes-                 Herausforderung der Moderne?, 1999, 62.

halb verschiedene Frauen, queere Men-           8    Vgl. Gleber, S. 67.
schen und PoC in einem 2019 erschienenen
                                                9    Özlem Özgül Dündar / Ronya Othmann /
Buch ein neues, schon vorhandenes Wort               Mia Göhring / Lea Sauer (Hrsg.),
dafür einbringen: Flexen. Zu Beginn des              Flexen – Flâneusen* schreiben Städte, 2019, 9.
Buchs beschreiben die Autor*innen den
                                                10 Vgl. Dündar, 9.
Begriff in seinen verschiedenen Bedeu-
tungsebenen:                                    11   Vgl. ebenda.
11
        FO                        UM
                      R

Grüne Lunge Bleibt
Anhand des Kampfes um die Grüne Lunge lassen
sich unterschiedliche Konfliktlinien der sozialen
und ökologischen Stadtpolitik aufzeigen.

             Ökologische und soziale                    auch eine Abgrenzung zum umliegenden               Das Beispiel der Grünen Lunge zeigt
             Wohnraumpolitik                            Gebiet durch Zäune gibt. Seit mehr als zwei     auch, wie eine neoliberale Umwandlung
         Nördlich des Günthersburgparks im              Jahren jedoch wurden und werden viele           des Wohnungsmarktes dazu geführt hat,
         Frankfurter Nordend verbirgt sich mit der      der Gärten, die verwildert sind oder leer       dass Wohnraum nicht mehr als Grund-
         Grünen Lunge eine 16 ha große Grünflä-         stehen, von verschiedenen Leuten ange-          recht gesehen wird, sondern als profita-
         che, die man so in der Stadt nicht vermuten    eignet. Außerdem gibt es auf dem Gelände        ble Ware und staatliche Interventionen
         würde. Abgesehen von der ökologischen          ein Urban Gardening Projekt, welches kol-       zu einer Ausnahme geworden sind. Zwar
         Bedeutung dieses Raumes, ist die Grüne         lektiv und ökologisch Gemüse angebaut.          versprach der Frankfurter Planungsde-
         Lunge – wenn einmal der Eingang gefun-         Daneben existieren politische Initiativen       zernent Mike Josef (SPD) 500 geförderte
         den wird – ein frei zugänglicher Ort. Die      und Gruppen, die für ihre Arbeit die Gär-       Wohnungen – von diesen gehört jedoch
         Grüne Lunge stellt mit ihren Gärten und        ten temporär oder dauerhaft besetzen und        nur die Hälfte zum sozialen Wohnungs-
         kleinen Wegen ein ökologisches Erho-           die Aneignung als Teil ihrer politischen        bau. Dass bei der Bewerbung der Gün-
         lungsgebiet dar. Sie ist geprägt von wil-      Arbeit verstehen. Beispielsweise werden         thersburghöfe das ökologische Bauen
         den Gärten, einer großen Biodiversität und     Strukturen aufgebaut, die eine zukünftige       und die begrünten Gebäude angeprie-
         Teil der drittgrößten Frischluftschneise       Räumung erschweren sollen. Insgesamt            sen werden, deutet zudem eher auf eine
         Frankfurts. Damit hat die Fläche einen ent-    wird die Grüne Lunge also als Ort für poli-     Form der Green Gentrification3 hin, als auf
         scheidenden Einfluss auf das städtische        tische Prozesse und kollektive Formen der       eine wirklich ökologische Planung. Klar ist
         Klima – vor allem auf die Stadtteile Born-     Organisation und Produktion genutzt.            auch, dass der geplante Anteil an gemein-
         heim und Nordend. Eine Versiegelung die-          Auch die am Projekt Günthersburghöfe         schaftlichem Wohnen für viele Initiativen
         ser Fläche hätte nicht nur Auswirkungen        beteiligte städtische Wohnungsbauge-            durch den hohen Erbbauzins nicht bezahl-
         auf das städtische Klima, sondern auch         sellschaft ABG steht in der Kritik, da sie      bar sein wird. Das Märchen, vermehrtes
         auf den Wasserhaushalt im nordöstlichen        nicht gemeinwohlorientiert, sondern             Bauen führe zu sinkenden Mieten, soll
         Stadtgebiet.                                   nach wirtschaftlichen Interessen handelt        verschleiern, was wirklich passiert: Der
             Trotz alledem sollen auf diesem für        und somit die Schaffung von bezahlba-           Bau von hochpreisigen Wohnungen führt
         das innerstädtische Klima so wichtigen         rem Wohnraum nicht oberste Priorität            zu teurem Wohnraum!
         Ort unter dem Namen Günthersburghöfe           besitzt.1 Zusammen mit Instone Real Estate         Als Gegenforderung muss in die Offen-
         bis zu 1.500 Wohnungen gebaut werden.          wurde Mitte Februar 2021 eine Image-            sive gebracht werden, dass die Grüne
         Vor allem das Unternehmen Instone Reale        kampagne unter dem Motto Nordend für            Lunge erhalten bleibt und eine kollektive,
         Estate, eine finanzialisierte Wohnungs-        alle ins Leben gerufen, über die versucht       unkommerzielle Nutzung für Politik, Kul-
         baugesellschaft, welche vor allem Woh-         wird, mit fadenscheinigen ökologischen          tur usw. möglich gemacht wird. Auch die
         nungen im hochpreisigen Sektor anbietet,       und sozialen „Argumenten“ für das Pro-          Forderung nach 100 Prozent sozialem
         steht dabei im Mittelpunkt. Ihr Ziel ist es,   jekt der Günthersburghöfe zu werben und         Wohnungsbau auf den bereits versiegel-
         anhand von Ertragslücken möglichst hohe        die öffentliche Meinung zu beeinflussen.        ten Randflächen muss erkämpft werden,
         Profite zu generieren.                         Die Kampagne stellt aus vielerlei Hinsicht      da dies vermutlich weit über 500 bezahl-
             Die Gärten in der Grünen Lunge unter-      einen Angriff auf Wohnrauminitiativen           bare Wohnungen ermöglichen würde.
         liegen dem Eigentumsrecht verschiedener        dar. Schließlich suggeriert der Name, es        Dies würde die jetzige Planung um eini-
         Akteur*innen und auch die städtischen          würde sich hier um ein soziales Bauprojekt      ges übersteigen und somit den Preisdruck
         Flächen werden verpachtet. Als Ganzes          handeln. Darüber hinaus wird auf die Ini-       im Nordend ein wenig abfedern.
         ist die Grüne Lunge allerdings keineswegs      tiative Eine Stadt für Alle! – Wem gehört die
         exklusiv. Zum einen steht das Gelände          ABG? angespielt, welche als eine der wich-          Eine ökologische Stadt für Alle
         allen Menschen für einen Aufenthalt oder       tigsten Initiativen der letzten Jahre rund      Anhand der Grünen Lunge ist exempla-
         Spaziergang auf diesem Stück „urbaner          um Themen wie Wohnraum, Verdrängung             risch zu sehen, wie immer wieder versucht
         Natur“ zur Verfügung. Natürlich darf dies      und Wohnungsbaupolitik betrachtet wer-          wird, die soziale gegen die ökologische
         nicht darüber hinwegtäuschen, dass es          den kann.2                                      Frage auszuspielen: Günstiger Wohnraum
12

vs. Erhalt von Grünflächen. Diese Argu-
mentation scheitert aber zum einen daran,
dass kaum bezahlbarer Wohnraum gebaut
wird, und zum anderen daran, dass außen
vor gelassen wird, dass die ökologische
Frage auch immer eine soziale ist.
   Die Tatsache, dass Wohnraum vor
allem im Urbanen eine Klassenfrage ist,
gerät allzu oft in den Hintergrund sowie
auch der Umstand, dass ökologische Fol-
gen innerhalb der Stadt zumeist auf den
Schultern der Ärmsten abgeladen wer-
den. Stadtteile und Quartiere, in denen
überwiegend ärmere und migrantisierte
Menschen leben, sind am stärksten von
Schadstoffbelastung, Lärm, schlechten
Wohnverhältnissen und dichter Bebau-
ung – sprich wenig Grünflächen – betrof-
fen. Um dies einmal zu veranschaulichen:
Die Mieten an viel befahrenen Straßen
sind günstiger als in verkehrsberuhig-
ten Wohngebieten. An den stark frequen-
tierten Verkehrswegen ist die Schadstoff-
belastung durch Autoabgase jedoch viel
höher, was mit negativen gesundheitli-
chen Folgen und einer kürzeren Lebenser-
wartung für die Bewohner*innen einher-
geht. Außerdem wohnen niedrige Einkom-
mensklassen häufiger in Wohnräumen
mit Feuchteschäden, Schimmelpilzbefall
und Schadstoffbelastung. Im Zusammen-
hang mit einem ungerechten Zugang zu
Umweltressourcen – wie Parks und Grün-
anlagen – kann hier von einer sozial-öko-
logischen Segregation gesprochen wer-
den. Grün- und Freiflächen können die
ökologischen Folgen in der Stadt abmil-
dern und wahrgenommene Lebensquali-
tät und Gesundheit verbessern. Eine hohe
Bevölkerungsdichte, wenige Parks und
Wasserflächen betreffen aber vor allem
Stadtteile prekarisierter Menschen. Ver-
stärkt wird dies noch durch einen unge-
rechten Zugang zu Mobilität marginali-
sierter Menschen und den dadurch einge-
schränkten Zugang zu Naherholungsge-
bieten. Die Stadt im Kapitalismus ist also
maßgeblich durch eine sozial-ökologi-
sche Segregation bestimmt, in der Wohn-
raum immer mehr einen Warencharak-
ter annimmt, um kapitalistisch verwertet
zu werden.4
   Für wohnungspolitische Initiativen
bedeutet dies, ökologische Aspekte mit-
zudenken, da auch hier eine Form der sozi-
alen Segregation stattfinden kann. Vor
allem müssen sie jedoch darauf gefasst       1   Vgl. Eva Kuschinski, Sozialer Wohnungsbau lohnt
sein, dass versucht wird, soziale und öko-       sich nicht - Ökonomisierung der Frankfurter
                                                 Wohnungspolitik am Beispiel der ABG Frankfurt
logische Aspekte gegeneinander auszu-            Holding, in: Susanne Heeg und Marit Rosol (Hrsg.),
spielen. Diese Auseinandersetzung ist            Gebaute Umwelt. Aktuelle stadtpolitische
nicht immer widerspruchsfrei, jedoch ist         Konflikte in Frankfurt am Main und Offenbach,
                                                 2014, 23–39.
und bleibt die ökologische Frage in der
Stadt immer auch eine soziale. Auch der      2   Vgl. https://www.fr.de/frankfurt/
Kampf um die Grüne Lunge kann nur dann           frankfurt-abg-und-instone-kaempfen-
                                                 fuer-guenthersburghoefe-90202482.html
gewonnen werden, wenn beide Aspekte              (Stand: 17.02.2021).
zusammengedacht werden und eine sozi-
                                             3    nter Green Gentrification wird die Miet- und
                                                 U
ale, ökologische Alternative aufgezeigt          Preissteigerung durch die ökologische Aufwertung
wird, mit deren Hilfe Wohnraum in eine           von Quartieren und Stadtteilen verstanden.
nicht profitorientierte, demokratische
                                             4   Vgl. Hendrik Sander, Städtische Umweltgerech-
Verwaltung überführt werden kann.                tigkeit. Zwischen progressiver Verwaltungspraxis
                                                  und sozial-ökologischen Transformationskonflikten,
                          Philipp Leserer         2019, 2-9.
13
             F O              R               U
                                                     M

Über Glasfronten
und Betonplatten
Eine Kritik aktueller Stadtentwicklung und eine
Liebeserklärung an den Campus Bockenheim

Steigende Mietpreise sind kein neues Phänomen, sondern schon seit
Längerem in Großstädten wie Frankfurt ein Problem. Für Viele, unter
anderem Studierende, wird es immer schwieriger eine Wohnung in
der Stadt bezahlen zu können. Eine „Wohnraumoffensive“ soll hel-
fen, doch für wen wird hier gebaut und was benötigt eine Stadt, um
ihren Bewohner*innen ein gutes Leben zu ermöglichen?

                     Stadt für Wenige?                         zum Treffpunkt für Viele. Auch wenn der
                 Mit dem sich in den letzten Bauschrit-        Platz ästhetisch betrachtet vielleicht nicht
                 ten befindlichen, brandneuen One Forty        der Modernste oder „Schönste“ ist, steht
                 West erhält Bockenheim nun seinen             gerade dieser Eindruck von Zerfall jenem
                 lang ersehnten Nachfolger des AfE-            Schein von klinischer Sauberkeit der Neu-
                 Turms. Es ist der nächste verglaste Tem-      bauten entgegen und macht seine Atmo-
                 pel des „Highlife“ in Frankfurt und wie       sphäre aus. Dabei ist der Campus nicht
                 es der Name schon verrät, ist diese wilde     ausschließlich ein Ort für Studierende,
                 Mischung aus Hotelgebäude und „Premi-         sondern wird von einer auffallend viel-
                 um-Wohnen“ kein Ort für alle, sondern         fältigen Gruppe an Menschen genutzt.
                 mehr eine Festung (engl. „fort“) für die-     Repräsentativ dafür ist der Wandel des
                 jenigen, die es sich leisten können. Doch     ehemaligen Studierendenhauses zum
                 abseits der Frage, wie rechteckig, glä-       Offenen Haus der Kulturen, welches das
                 sern und futuristisch moderne Archi-          Ziel verfolgt, ein vielfältiger, kultureller
                 tektur eigentlich sein muss, setzt sich       Freiraum Frankfurts jenseits von „Kapi-
                 hier ein aktueller Trend fort. Seien es die   talismus, Rassismus, Patriarchat und
                 Wohnungen rund um das Bockenheimer            Nationalismus“ zu bleiben1. Dass selbst-
                 Depot oder die weiter westlich liegenden      verwalteter, alternativer Raum in Zeiten
                 Neubausiedlungen am Rebstock: Auch            einer fortschreitenden Ökonomisierung          der Gegenentwurf zu exklusiven, kli-
                 Bockenheim wird zusehends zugebaut mit        von Wohnraum keine Selbstverständlich-         nisch gepflegten Bürokomplexen, Hotels
                 immer gleich aussehendem, hochpreisi-         keit ist, zeigen die Kämpfe der Bockenhei-     und Neubausiedlungen. Während Letz-
                 gem Wohnraum. Es scheint, als ob sich der     mer Bürger*innen und ihrer Initiativen,        tere abgeschlossene, nicht zugängliche
                 Dämon des kapitalistischen Plattenbaus        die sich seit über 10 Jahren gegen den         Räume sind, ist der Campus ein öffent-
                 für Spitzenverdienende seinen Weg aus         Abriss des ehemaligen Studierendenhau-         licher und offener Ort, an dem Begeg-
                 dem Europaviertel in Richtung Bocken-         ses einsetzen. Trotz vorhandenem Kon-          nungen und gegenseitiger Austausch für
                 heim bahnt.                                   zept, öffentlicher Kampagnen und breiter       jede*n ermöglicht werden. Er ist außer-
                                                               gesellschaftlicher Unterstützung bleibt        dem auch aufgrund seiner Lage gut in das
                    Der Campus Bockenheim                      der Verbleib unsicher und ist noch nicht       Stadtviertel integriert und dadurch deut-
                    als Antithese                              endgültig geklärt. Auch das ehrenamtli-        lich zugänglicher als es beispielsweise
                 Inmitten dieser exklusiven Gebäude-           che und spendenbasierte Projekt der Ada        der Campus Westend oder auch der Cam-
                 brocken laden die heruntergekomme-            Kantine2 in der ehemaligen Akademie der        pus Riedberg sind. Das hat zur Folge, dass
                 nen Betonplatten mit den quadratischen        Arbeit, das kostenloses Essen, aber dar-       Universität dort immer mehr ein Ort des
                 Holzsitzbänken des alten Campus Bocken-       über hinaus auch ein wechselndes Pro-          reinen „Studierens“ wird und ein Diskurs
                 heim als einer der letzten Freiräume des      gramm wie zum Beispiel Filmabende              über Themen außerhalb der eigenen Fach-
                 Viertels zum Verweilen ein und werden         anbietet, gibt Hoffnung. Der Campus ist        disziplin verloren geht. Nichtsdestotrotz
14

                                             »… doch Stadtplanung muss das materielle,
                                                 soziale und ökologische Wohl aller in der
                                              Stadt lebenden Personen berücksichtigen.«

ist unsicher, wie sich das Klima auf dem     Damit die Stadt ein Ort für alle Menschen
Campus Bockenheim verändern wird,            wird, muss dafür gesorgt werden, dass
nachdem die letzten Teile der Goethe-Uni-    sich jede*r die Stadt leisten und sich hier
versität umgezogen sind und der geplante     wohlfühlen kann. In einer kapitalisti-
„Kulturcampus“ errichtet ist. Es bleibt zu   schen Stadt wie Frankfurt wird der ver-
hoffen, dass das Gelände weiterhin ein Ort   fügbare Platz jedoch überproportional von
der Offenheit, Gelassenheit und Gemein-      einem vermögenden Teil der Gesellschaft
schaft bleibt.                               besetzt und ein Großteil der Bevölkerung
                                             somit aktiv aus der Stadt ausgeschlos-
    Stadt für alle!                          sen. Offene, gemeinschaftlich genutzte
Vielleicht mögen Hotels und hochprei-        Räume, an denen alle partizipieren, Ideen
sige Wohnungen für die Profitinteressen      ausgetauscht und nicht-gewinnorientierte
eines vermögenden Teils der Gesellschaft     Projekte entstehen können, verschwin-
von Vorteil sein, doch Stadtplanung muss     den zusehends. Deshalb gilt es, Orte wie
das materielle, soziale und ökologische      den Campus Bockenheim, die dieser zu
Wohl aller in der Stadt lebenden Per-        kritisierenden Entwicklung Frankfurts
sonen berücksichtigen. Dazu gehören          gegenüberstehen, zu bewahren und mehr
unter anderem mehr günstiger Wohn-           solcher Orte zu schaffen.
raum, mehr Platz für alternative Projekte
und ausreichend Grüne Lungen. Beson-                                   Jannis Gebhard
ders Studierende sind in der Regel auf
bezahlbaren Wohnraum angewiesen.
Selbst mit einer Nebentätigkeit benötigt
man als Student*in Glück und Geduld bei
der Suche nach einer bezahlbaren Woh-
nung oder einem preiswerten WG-Zim-
mer. Fallen die Nebeneinkünfte plötzlich
weg, wie momentan während der Coro-
na-Pandemie, wird Leben in Frankfurt für
Viele nicht mehr möglich. Private Studie-
rendenwohnheime, deren Preise erst ab
800 € monatlich für ein Einzimmerapart-
ment beginnen, sind hier definitiv nicht
die Lösung.

1   https://www.ohdk.de/about/konzept
    (Stand: 31.03.2021).

2   https://ada-kantine.org/ueber-uns/
    (Stand: 31.03.2021).
15     F           R                   U
           O                                    M

Transformation des
urbanen Alltags
„Planer, Programmatiker, Benutzer rufen nach Anwei-
sungen. Zu welchem Zweck? Um die Leute glücklich
zu machen. Um ihnen zu befehlen, glücklich zu sein.
Merkwürdige Vorstellung vom Glück.“ (Henri Lefèbvre)
                                                                                                       hergestellt werden. Neben das Wohnen
                                                                                                       tritt das Bewohnbar-Machen und hier-
                                                                                                       für benötigen wir nicht nur bezahlbare
                                                                                                       Wohnungen, sondern auch Diskussionen,
                                                                                                       Werkstätten und Labore.
                                                                                                          Das Studierendenhaus war von Beginn
                                                                                                       an ein Ort, an dem etwas Neues versucht
                                                                                                       wurde. Es sollte ein Beitrag zur Demokra-
                                                                                                       tisierung sein, bestimmt als „Ungezwun-
                                                                                                       genheit im Verkehr mit sich und anderen,
                                                                                                       der Freude an persönlicher Unabhängig-
                                                                                                       keit und Selbstbehauptung“3. Dies bedeu-
                                                                                                       tete, das Haus im weiten Sinne bewohn-
                                                                                                       bar zu machen. Hier entstand nicht nur
                                                                                                       ein Wohnheim für 130 Studierende, son-
                                                                                                       dern ein Festsaal, eine Mensa, die nicht nur
                                                                                                       für Studierende geöffnet war, eine Biblio-
                                                                                                       thek, Leseräume, ein Klubzimmer, ein Sit-
           Nur auf den ersten Blick scheint das Zitat   jeder bemalte Stein im öffentlichen Raum       zungssaal, eine Wein- und Bierstube etc.
           von Lefèbvre, das die Planungen „von         drückt diese Teilhabe und die Forderung        Fast hätte auch ein Hallenbad im Keller
           oben“ ohne Beteiligung der Leute als Pro-    nach mehr aus. Jede Veranstaltung, jedes       weitere Glücksmomente möglich gemacht
           blem benennt, Folgendes auf den Punkt zu     Treffen, jeder Streit im Offenen Haus der      – dieses schien dann jedoch zu teuer. Über
           bringen: Wer den heutigen urbanen Alltag     Kulturen1 stellt bereits eine Übernahme        die Jahrzehnte konnte sich das Demokra-
           betrachtet, vermisst selbst die genannte     des Hauses dar und fordert mehr ein. Die       tie-Labor transformieren, Räume wur-
           Zweckbestimmung glücklich zu machen,         Stadtbewohner*innen sind nicht passi-          den verändert, neue Nutzungen entstan-
           oder den Befehl dies zu sein. An Lefèbv-     viert. Sie sind aktiviert und bringen selbst   den, die Idee der Selbstverwaltung wurde
           res „Revolution der Städte“ anzuknüpfen      eine neue Urbanität hervor.                    gestärkt. 1964 traten aus Protest gegen
           bedeutet jedoch nicht, die Analysen auf                                                     eine Erhöhung der Mensapreise Studie-
           die heutigen Verhältnisse zu übertragen,         2. Was ist Wohnen?                         rende in den Streik und schufen mit einem
           sondern neue Antworten auf seine Fra-        Wird Wohnen tatsächlich mit der urba-          Feuer vor dem Studierendenhaus symbo-
           gen zu finden.                               nistischen Rationalität auf „elementare        lisch ihre eigene Mensa. 1976 entstand
                                                        Funktionen wie Essen, Schlafen und Fort-       der „Frauen-AStA“ und setzte durch, dass
               1. Wie stellt sich der heutige          pflanzung“2 reduziert? Wohnen ist auch         aus zwei zusammenhängenden Räumen
                  städtische Alltag dar?                im Französischen ein Verb und drückt eine      im Erdgeschoss ein „Frauenraum“ wurde.
           Der städtische Alltag lässt sich nicht als   Aktivität aus. Kein Wohnen lässt sich auf      Das Haus war bereits seit Ende der 1960er
           Passivität der Bewohner*innen beschrei-      die hier sogenannten elementaren Funkti-       Jahre Ausgangspunkt von Protestbewe-
           ben. Viele Einzelpersonen und ebenso         onen reduzieren. Wohnen bedeutet immer         gungen; in den 1980er und 1990er Jahren
           viele Initiativen experimentieren und        auch Gestalten. Das Problem ist jedoch,        richteten sich Kritik und Protest auch nach
           erschaffen im Kleinen eine neue Urbani-      dass nicht einmal die urbanistische Rati-      innen: Es fanden verstärkt Auseinander-
           tät, die sich durch eine Teilhabe an der     onalität herrscht, sondern ein Regime,         setzungen zwischen verschiedenen Nut-
           Gestaltung auszeichnet. Eine solche Teil-    dass es nicht allen – und immer weniger        zergruppen statt.4
           habe ist nicht genehmigungspflichtig und     Menschen – ermöglicht zu Wohnen. Die              Eine andere Erzählung würde den Alltag
           es muss nicht zu ihr eingeladen werden.      Bewohnbarkeit der Stadt kann nur durch         in den Blick nehmen, der zeigt, dass es hier
           Jedes Beet, jedes bestrickte Geländer,       eine Verbindung von Protest und Projekt        nicht an Beispielen dafür mangelt, dass
16

                                                        »Eine solche Teilhabe ist nicht genehmigungs-
                                                          pflichtig und es muss nicht zu ihr eingeladen
                                                                  werden. Jedes Beet, jedes bestrickte
                                                                     Geländer, jeder bemalte Stein im
                                                         öffentlichen Raum drückt diese Teilhabe und
                                                                       die Forderung nach mehr aus.«

soziale Praktik nicht als Sache der Poli-
tiker*innen begriffen wurde. Auch über
Jahrzehnte hinweg bedeutete all dies, dass
es einen gemeinsamen Alltag gab. Hier
trafen sich – konjunkturellen Schwankun-
gen unterworfen – täglich Studierende in
der Kaffeepause zwischen Seminaren, aber
auch Theorie-Arbeitsgruppen und Mit-
glieder verfeindeter Hochschulgruppen
sowie Menschen, die sich dort aus allen
möglichen anderen Gründen aufhielten.
Bei einer Tasse Kaffee im KOZ konnte man
in den 1980er und 1990er Jahren in eine
drogenpolitische Auseinandersetzung
verwickelt werden oder etwas über die
nächste Party erfahren. Nach dem schritt-
weisen Umzug der Universität kehrte im
Haus auch das Uni-Alltagsleben zurück.
Doch es treffen sich hier weiterhin Grup-
pen und es finden politische und kulturelle
Veranstaltungen oder Kneipenabende und
Partys statt – hoffentlich bald wieder!
   Diese Traditionslinie nimmt das Offene
Haus der Kulturen auf, um ein neues Kapi-
tel des Labors für Demokratie, für Selbst-
bestimmung und für einen anderen städ-
tischen Alltag zu schreiben.

                          Regina Schleicher
                  Offenes Haus der Kulturen

1   Das Offene Haus der Kulturen ist ein Verein, der
    das Studierendenhaus auf dem „alten“ Campus
    in Frankfurt-Bockenheim mitgestaltet und nach
    einem Auszug des AStAs übernehmen möchte.
    Siehe hierzu: https://www.ohdk.de/
    (Stand: 31.03.2021).

2   Klaus Ronneberger, Vorwort zu Henri Lefèbvre:
    Die Revolution der Städte, 2014, 11.

3   Rede Max Horkheimer am 21. Februar 1953
    beim Akademischen Festakt: Einweihung
    des Studentenhauses, 1953, 12f.

4   Vgl. Regina Schleicher, Kreative Muße und
    Protest: Das Studierendenhaus an der Goethe-
     Universität in Frankfurt am Main, in: Forum
    Wissenschaft 32 (1), 2015, 20ff.
U                   M
       FO
17
                        R

Bilder einer Stadt
Von Idealen des Wohnens und der Stadt

        Wenn man durch ein durchschnittliches         Konsum vorbehalten, das Wohnen spielt         Stadt kann nur auf der Basis einer Redefi-
        Wohnviertel schlendert, das in den letz-      sich in reinen Wohnquartieren ab.             nition der alten Praxis des Wohnens [...]
        ten Jahren entstanden ist, dann scheint          Vollzieht man diese Entwicklung nach,      geschaffen werden.“6
        es, als würden wir uns weniger in einer       so zeigt sich, wie sich Wohnen nach und          Zentrale Begriffe dieser Grundlage für
        „Wohnungskrise“ als in einer „stadträum-      nach zu einem Produkt gewandelt hat,          die Zukunft der Stadt sind das Urbane und
        lichen Misere“ befinden. Doch die Krise des   das von dem Gefüge der Stadt getrennt         der Ausdruck des Wohnens. Der Begriff
        Wohnens liegt nicht in steigenden Prei-       gesehen wird. 3 Diese Produktwerdung          des „Urbanen Wohnens“ ist stark vom
        sen und der Wohnungsknappheit in Bal-         des Wohnens beginnt mit der Rationali-        Immobilienmarketing geprägt, das Pro-
        lungszentren, sondern im Verständnis von      sierung des Wohnungsbaus in der Stadt         dukte verkauft. Doch muss der Begriff neu
        Wohnen und der daraus resultierenden          des neunzehnten Jahrhunderts. Da die          besetzt sowie insbesondere mit tatsäch-
        Stadtproduktion.                              Stadt die Arbeiter*innen, die sie anzieht,    lichen Erfahrungen gefüllt werden.
                                                      nicht mehr aufnehmen kann, entstehen
           „Jeder [...] neue Siedlungstyp bringt      neue Siedlungen vor den Toren der Stadt.          Was ist eigentlich Urbanität?
           für sich wiederum eine neue Form des       Zugleich steigt der Wert des Bodens im        Der Gegenstand der Stadt ist komplex
           Wohnens und der Stadt hervor.“1            Zentrum der Stadt immens an. Ein sich         und vielschichtig. Bei der Frage, was Stadt
           Christoper Dell                            entwickelnder Wohnungsmarkt wird zum          eigentlich ausmacht, wird schnell klar,
                                                      Hauptmechanismus der Wohnraumver-             dass durch abstrakte Größen wie der Ein-
        Das Wohnen berührt jeden Menschen. Im         sorgung. Eigentum an und die Investition      wohnerzahl oder der Anzahl von Arbeits-
        Wohnen drückt sich die Art, wie wir in        in Wohnraum werden vermehrt zu gezielt        plätzen das Wesen des Städtischen nicht
        Gemeinschaft, Nachbarschaft und Gesell-       gesellschaftspolitisch geförderten Geld-      zu greifen ist. Um sich dem Phänomen
        schaft zusammenleben, aus. Wie wir woh-       anlagen4 und durch die Wertsteigerung         Stadt zu nähern, muss man auf die Quali-
        nen ist also ein bestimmender Faktor          des Bodens zum Spekulationsobjekt. Der        täten der Stadt, sprich auf die Merkmale
        für das Bild unserer Städte. Doch woher       Anlagewert der Wohnungen gewinnt an           von Urbanität schauen.7
        kommen die Wohntrends und Normen,             Bedeutung, der praktische Nutzen, das            In der Minimaldefinition, die Louis
        nach denen heute überwiegend gebaut           Wohnen, tritt demgegenüber in den Hin-        Wirth 1938 formulierte, wird Urbanität
        und gelebt wird? Wesentliche Züge heu-        tergrund. Analog vollzieht sich die Funk-     wie folgt beschrieben: „Thus the larger,
        tiger Wohnvorstellungen haben ihren           tionalisierung des Wohnens. Wohnen, das       the more densely populated, and the more
        Ursprung im neunzehnten Jahrhun-              zuvor eingebettet war und Teilhabe an         heterogeneous a community, the more
        dert. 2 Das Wohnen in der Kernfamilie         sozialem Leben bedeutete, wird als Funk-      accentuated the characteristics associa-
        wird dort zum breiten gesellschaftlichen      tion isoliert und aus dem hochkomplexen       ted with urbanism will be.“8 Der Titel des
        Ideal, das mit der Trennung von Arbei-        Ensemble der Stadt herausgelöst.5 Mit der     Aufsatzes, ‚Urbanism as a way of Life‘ –
        ten und Wohnen einhergeht. Während            Warenförmigkeit geht auch eine zuneh-         also Urbanität als Lebensform – gibt Auf-
        die Stadt des neunzehnten Jahrhunderts        mende Gleichförmigkeit des Wohnraums          schluss darüber, wie hier das Urbane defi-
        jedoch nur einem gewissen Teil der Gesell-    einher. Die Wohnform entspricht der Pro-      niert wird: Die physisch realen Struktu-
        schaft ermöglichte, die neuen Wohnide-        duktform.                                     ren der Stadt haben Einfluss auf den Men-
        ale auch zu leben, hob der Städtebau der         Dem Wohnen als Produkt steht das Kon-      schen und die Lebensführung in der Stadt,
        Nachkriegszeit den Wohnstandard Vie-          zept von Wohnen als Praxis gegenüber. Um      sie sind also eng mit dem verschlungen,
        ler. Während neue Wohnquartiere in Form       der heutigen „stadträumlichen Misere“         was Urbanität ausmacht; dennoch sind
        von Groß- und Eigenheimsiedlungen nicht       begegnen zu können, braucht es eine Auf-      sie nicht mit deren Wesen gleichzuset-
        nur am Rand, sondern auch weiter außer-       fassung von Stadt, in der das Wohnen eine     zen. Urbanität wird nicht an der Ansamm-
        halb der Stadt realisiert werden, voll-       zentrale Rolle einnimmt, und ein Bewusst-     lung von Häusern, Straßen und Denkmä-
        zieht sich eine zunehmende Trennung der       sein für das Wohnen, welches weit über        lern, sondern an den Menschen, den Stadt-
        städtischen Funktionen. Die Innenstadt        eine funktionalistische Definition hinaus-    bewohner*innen, festgemacht. Sie wird
        ist mehr und mehr der Arbeit und dem          geht: „[Die] Grundlage für eine Theorie der   anhand der „Art und Weise, wie die Stadt-
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