Charakteristika eines finanz-dominierten Akkumulationsregimes in Europa
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Charakteristika eines finanz-dominierten Akkumulationsregimes in Europa Engelbert Stockhammer Die Beziehungen zwischen dem realen Sektor und dem Finanzsektor sind im Umbruch. Heftige Zyklen auf den Aktienmärkten und Wechselkurskrisen sind dafür die augenfälligsten Beispiele. Ökonomisch ebenso wichtig sind die zunehmende Verschuldung privater Haushalte und die Shareholder Value-Orientierung bei produzierenden Unternehmen. Welche Muster weist nun ein von der „Finan- zialisierung“ geprägtes Wirtschaftssystem auf? Und was bedeutet dies für Wachstum und wirtschaftliche Stabilität? Schwäche dieses Artikels, sondern als Re- zung der Nachfrage und ihre Volatilität, 1 Einleitung flexion des derzeitigen Forschungsstands zur Finanzialisierung zu verstehen. Neben der Frage, ob die makroökono- prägt. Boyer (2000) hatte in einem wichti- gen Beitrag ein Akkumulationsregime als finanz-getrieben definiert, wenn ein An- mischen Verhaltensfunktionen durch Fi- stieg der Mindestrendite (der financial Der Begriff „Finanzialisierung“ umfasst nanzialisierung verändert wurden, soll norm), die von den Finanzmärkten für rea- eine Vielzahl heterogener Phänomene: die auch untersucht werden, ob diese Verände- le Investitionsprojekte gesetzt wird, zu ei- Deregulierung des Finanzsektors und die rungen zu einer kohärenten Struktur, eben nem Anstieg des Wachstums führt. Diese Entwicklung neuer Finanzinstrumente; die einem Akkumulationsregime, geführt ha- Konzeption wird hier nicht verwendet. Der Liberalisierung der internationalen Kapi- ben. Anders ausgedrückt wird der Frage Begriff des finanz-dominierten Regimes ist talströme und die zunehmende Instabilität nachgegangen, ob es sinnvoll ist, von einem vielmehr so definiert, dass Finanzialisie- der Wechselkurse; das Emporkommen in- finanz-dominierten Akkumulationsregime rung das Wachstum positiv oder negativ stitutioneller Investoren als neue, mächtige zu sprechen und, falls ja, was seine Charak- beeinflussen kann. Es ist daher möglich, Akteure sowie heftige Zyklen auf den Ak- teristika sind. Die Arbeit benutzt also den dass die makroökonomische Nachfrage tienmärkten; „Shareholder Value“-Orien- Rahmen der französischen Regulations- nicht finanz-getrieben, aber dennoch tierung und Veränderungen in der Corpo- theorie,2 welche die makroökonomische strukturell vom Finanzsektor geprägt ist. rate Governance; verbesserter Zugang zu Dynamik (eben das „Akkumulationsre- Der Übersichtlichkeit halber werden Krediten für soziale Gruppen, die einst als gime“) in ein bestimmtes institutionelles zunächst die Charakteristika des finanz- „underbanked“ bezeichnet worden sind; Gefüge (die „Regulationsweise“) eingebet- dominierten Akkumulationsregimes zu- und das im Vergleich zur Nachkriegszeit tet sieht. Während es in der Regula- sammengefasst: hohe Niveau der Realzinsen. Der Begriff tionstheorie einen breiten Konsens darüber „Finanzialisierung“ wurde auch verwen- gibt, dass das fordistische Akkumulations- det, um Veränderungen in psychologischen regime im Laufe der 1970er Jahre in die und ideologischen Strukturen zu beschrei- Krise gekommen ist, ist die Charakterisie- 1 Statt als Nachfrage- oder Ausgabenfunktion kann die obige Gleichung auch als volkswirtschaftliche ben. In diesem Beitrag wird der Versuch rung des post-fordistischen Regimes, ja Sparrestriktion reformuliert werden. Das Sparen unternommen, mithilfe des regulations- selbst die Frage, ob ein solches bereits exis- der Haushalte (SHH), der Unternehmen (SC), des theoretischen Begriffs „Akkumulations- tiert, umstritten. Nachdem in der Analyse Staates (SG) und des Außensektors (SF) müssen regime“ die makroökonomische Bedeu- des post-fordistischen Regimes zunächst sich gegenseitig ausgleichen: SHH + SC + SG + SF = 0. Für jeden Schuldner muss es einen Gläubiger tung dieser Veränderungen zu analysieren. der Flexibilität (in Arbeitsverhältnissen geben. Die Ersparnisse des Außensektors sind de- Die übliche keynesianische Nachfrage- und Produktion) und dann den Informa- finitionsgemäß gleich den Nettokapitalzuflüssen. funktion wird diese Analyse strukturieren. tions- und Kommunikationstechnologien Die Kapitalflüsse werden in Abschnitt 4 diskutiert. Die aggregierte Nachfrage besteht aus dem eine prägende Rolle zugeschrieben wurde, 2 Die klassischen Arbeiten der (französischen) Re- gulationstheorie sind Aglietta (1979), Lipietz privaten Konsum (C), den Investitionen haben die Veränderungen im Finanzsektor (1985) und Boyer (1990). Ähnlichkeiten zwischen (I), den Nettoexporten (NX) und den erst kürzlich mehr Beachtung gefunden. der Regulationstheorie und dem (amerikanischen) Staatsausgaben (G) des öffentlichen Sek- Der Begriff „finanz-dominiertes Akkumu- Social-Structures-of-Accumulation-Ansatz (Gor- tors: Y = C + I + NX + G.1 Für jede dieser lationsregime“ wird hier verwendet, um don et al. 1982; Bowles et al. 1983) sind nun weit- hin anerkannt (z. B. McDonough/Nardone 2006). Komponenten soll untersucht werden, wel- aufzuzeigen, dass finanzielle Entwicklun- che Veränderungen aufgetreten sind und gen die Struktur und Geschwindigkeit der wie weit sie mit Finanzialisierung in Zu- Akkumulation prägen. sammenhang gebracht werden können. Der Begriff finanz-dominiert (finance- Engelbert Stockhammer, Ass. Prof. Dr., Dies bedeutet auch, dass unterschiedliche dominated) wird dabei in bewusster Ab- Wirtschaftsuniversität Wien. Arbeitsschwer- Aspekte der Finanzialisierung bei der Ana- grenzung zum Begriff finanz-getrieben punkte: Makroökonomie, Arbeitslosigkeit, lyse der verschiedenen makroökonomi- (finance-led) genutzt, um deutlich zu ma- Europäische Integration. schen Aggregate relevant werden. Diese chen, dass die Finanzialisierung die Muster e-mail: scheinbare Inkonsistenz ist jedoch nicht als der Akkumulation, d.h. die Zusammenset- engelbert.stockhammer@wu-wien.ac.at WSI Mitteilungen 12/2007 643 © WSI Mitteilungen 2002-2008 Diese Datei und ihr Inhalt sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Verwertung (gewerbliche Verviel- fältigung, Aufnahme in elektronische Datenbanken, Veröffentlichung online oder offline) sind nicht gestattet.
– Da private Haushalte vermehrt Zugang mus bedeutet aber nicht eine generelle Fle- zu Krediten bekommen und sich auch tatsächlich beträchtlich verschulden, wer- den die Konsumausgaben oft zum Kon- 2 Der Hintergrund: xibilisierung, sondern eine selektive. So wurden die Regeln für Fiskalpolitik strin- genter, und die Wechselkurse wurden im junkturmotor. Da die angehäuften Schul- Eine neoliberale Rahmen des Euro-Systems eingefroren. den aber auch bedient werden müssen, Regulationsweise stellt dies andererseits eine Quelle für po- tenzielle Instabilitäten und Krisen dar. – Die Investitionsausgaben wachsen auf- grund der „Shareholder Value“-Orientie- Finanzialisierung wurde ermöglicht durch die Deregulierung von nationalen und in- ternationalen Finanzmärkten, die das Er- 3 Veränderungen im rung und zunehmender Unsicherheit nur gebnis von politischen Entscheidungen ist. Konsumverhalten? verhalten. Bemerkenswerterweise führen Vor einer Diskussion des Akkumulations- die hohen Profite nicht zu einem entspre- regimes ist daher kurz auf die (wirtschafts- Veränderungen im Konsumverhalten sind chenden Anstieg der Investitionen. politische) Regulationsweise einzugehen. von besonderem Interesse, da die Konsum- – Die Deregulierung der Finanzmärkte Aus Platzgründen können aber nur einige ausgaben die größte Komponente der ag- führt zu einem Anstieg der Kapitalströme Entwicklungen in der neoliberalen Regula- gregierten Nachfrage darstellen. Hier ste- und, in Konsequenz, zu einer zunehmen- tionsweise in Europa knapp thematisiert hen zwei miteinander verbundene Fragen den Volatilität der Wechselkurse, was sich werden: im Vordergrund. Erstens: In welchem Aus- in einer erhöhten Unsicherheit und einer maß reagieren private Konsumausgaben Häufung schwerer Wechselkurskrisen nie- – Machtverschiebung von Arbeit zu Kapi- auf eine Veränderung der Vermögensposi- derschlägt. tal. Diese findet in fallenden Lohnquoten tionen der Haushalte? Und zweitens: In – Trotz der neoliberalen Attacke sind die ihren Ausdruck. Die Ursachen sind vielfäl- welchem Ausmaß haben Haushalte neue Staatsquoten hoch geblieben und tragen so tig. Zu nennen wären der sinkende Organi- Möglichkeiten der Verschuldung genutzt, zur Stabilisierung der Wirtschaft bei. sationsgrad der Gewerkschaften, die de- um damit Konsumausgaben zu finanzie- – Insgesamt ist das finanz-dominierte Ak- moralisierende Wirkung der Arbeitslosig- ren? kumulationsregime daher durch niedrige keit und das höhere Drohpotenzial des Ka- Bekanntermaßen wurde die Konjunk- längerfristige Wachstumsraten und häufige pitals durch die Möglichkeit von turentwicklung in den USA in Phasen der Krisen, die oft in Wechselkurskrisen ihren Produktionsverlagerungen. 1990er Jahre und in den frühen 2000er Jah- Ausgangspunkt haben, gekennzeichnet. – Redefinition der Rolle des Staates. Dies ren stark von der Dynamik der Konsum- beinhaltet Privatisierungen und Deregulie- ausgaben angetrieben. Um diese Entwick- Dieser Beitrag unterscheidet sich in zwei- rungen. Deregulierungen auf den Finanz- lung zu erklären, griffen die Makroökono- erlei Hinsicht von anderen Diskussionen märkten sind dabei nur ein, hier aber of- men auf die Theorie zurück, dass nicht das der Finanzialisierung. Erstens wird ein wei- fensichtlich zentraler Bereich. Auf die laufende Einkommen, sondern die Vermö- ter Begriff der Finanzialisierung verwen- Größe des Staatssektors wird später noch genspositionen die Konsumausgaben be- det. Makroökonomische Ansätze (Boyer eingegangen. stimmen. Zunächst wurde der Boom auf 2000; Stockhammer 2004a, 2005/06; Hein/ – Änderung der Geldpolitik. Von der akko- den Aktienmärkten als Erklärung herange- van Treeck 2007; Skott/Ryoo 2007) gebrau- modierenden Politik der Nachkriegszeit, zogen (Boone et al. 1998). Als es mit dem chen zumeist einen engeren Begriff, der die (im fordistisch-keynesianischen Regi- Platzen der Aktienblase jedoch zu keinem analytisch besser handhabbar ist, jedoch me) zur Sicherung der Vollbeschäftigung Einbruch der Konsumausgaben kam, rück- der Vielfalt der Veränderungen nicht ge- beitrug, fand eine Verschiebung der Prio- ten die Immobilienpreise in den Mittel- recht wird. Zweitens richtet dieser Artikel ritäten hin zu Preisstabilität auch auf Kos- punkt des Interesses. Etliche Studien fan- seinen Fokus auf westeuropäische Länder. ten von Massenarbeitslosigkeit statt. den deutlich höhere Konsumneigungen Ein großer Teil der empirischen Literatur aus Immobilienvermögen als aus Finanz- behandelt, nicht zuletzt aus Gründen der Der Neoliberalismus manifestierte sich in vermögen (Catte et al. 2004; Girouard et al. Datenverfügbarkeit, die USA (Duménil/ politischen Entscheidungen, die in Konti- 2006; Case et al. 2001). Für europäische Lévy 2001; Crotty 2003; Krippner 2005). nentaleuropa oft auf der europäischen statt Länder sind die geschätzten Effekte jedoch Da Finanzialisierung unterschiedliche Aus- der nationalstaatlichen Ebene gefällt wur- zumeist wesentlich geringer als für die USA. wirkungen auf verschiedene Länder bzw. den.3 Der Maastricht Vertrag, der Stabi- Darüber hinaus ist der Hausbesitz hier oft Ländergruppen haben kann, ist eine Dis- litäts- und Wachstumspakt und die Dienst- nicht so verbreitet und die Datenlage dünn. kussion europäischer Entwicklungen von leistungsrichtlinie sind hier nur die promi- Ein zweiter Aspekt der Finanzialisie- besonderem Interesse. Die europäische Er- nentesten Beispiele. Die EU ist dabei aber rung ist, dass Haushalte nunmehr besseren fahrung ist dabei geprägt durch eine be- kein homogener Akteur. Die Entschei- stimmte, neoliberale Form der wirtschafts- dungsgremien sind Schauplatz für Rich- politischen Integration (Bieler 2003). tungskämpfe, wobei nunmehr eine stark neoliberale Orientierung dominiert. Van 3 Während die Regulationstheorie in der Analyse Apeldoorn (1999) verwendet den Begriff des Fordismus einen Fokus auf nationale Regula- tionsweisen richtete, wird in der Diskussion um des eingebetteten Neoliberalismus (em- den Post-Fordismus oft die zentrale Rolle von su- bedded neoliberalism), um die hegemonia- pra-nationalen Akteuren und Strukturen hervor- le Struktur zu beschreiben. Neoliberalis- gehoben (Dannreuther/Petit 2006). 644 WSI Mitteilungen 12/2007
Tabelle 1: Private Konsumausgaben und Schulden in % des verfüg- schwierig, die Bedeutung dieser Entwick- baren Einkommens lung für die Investitionen empirisch zu be- 1.1 Private Konsumausgaben 1.2 Schulden der privaten legen, was auch daran liegt, dass die Inves- (Durchschnitt) Haushalte titionen selbst eine ohnehin schwer erklär- 1970er 1980er 1990er 2000er 1995 2000 2005 bare Variable sind. Belgien 63 67 63 63 – – – Tabelle 2 fasst die Entwicklung der Dänemark 63 65 62 59 188 236 2601) Deutschland 64 66 69 70 97 111 107 Investitionstätigkeit relativ zu den Profiten Griechenland 63 70 75 74 – – – zusammen. Im EU-Durchschnitt ist der Spanien 72 73 70 70 59 83 1071) Anteil der Investitionen an den Profiten Frankreich 63 66 65 66 66 78 89 von 47 % (in den 1970er Jahren) auf 44 % Irland 73 75 68 62 81 141 (in den 1990er Jahren und danach) gefal- Italien 67 68 69 70 32 46 59 len. Besonders ausgeprägt war dieser Rück- Luxemburg 64 59 55 53 – – – gang in Deutschland, aber auch Frankreich, Niederlande 59 60 59 58 113 175 246 das Vereinigte Königreich (VK) und die Österreich 66 68 68 67 – – – Portugal 79 75 74 78 – – – USA weisen einen fallenden Verlauf auf. Finnland 64 65 66 61 64 66 89 Nur in wenigen Ländern, wie Griechenland Schweden 56 57 59 56 90 107 134 und Spanien, wird im Verhältnis zu den Vereinigtes Königreich 69 71 73 72 106 118 159 Profiten mehr investiert. EU-122) 66 67 66 65 91 110 139 Für diese Entwicklung gibt es mehrere USA 70 73 76 80 93 107 135 Erklärungen, die direkt mit der Finanzia- Japan 61 64 67 71 113 136 1321) lisierung zu tun haben. Erstens beinhaltet 1) Schulden für Dänemark, Spanien und Japan 2004 statt 2005. 2) EU-12 ist das ungewichtete Mittel für die vorhandenen Länder. das in der Volkswirtschaftlichen Gesamt- Quelle: Konsumausgaben: Europäische Kommission (2007); Schulden: Girourard et al. (2006). rechnung (und hier) verwendete Maß für Profite die Zinszahlungen. Bei steigenden Zinsen können den Unternehmen trotz Zugang zu Krediten haben als zuvor. Die- Konsumdifferential zwischen dem Kon- hoher Gewinne geringe Mittel zum inves- se können in Form von Hypothekarkredi- sum Lohneinkommen und dem aus Profit- tieren bleiben (Duménil/Lévy 2001; Crotty ten, Konsumentenkrediten oder Kredit- einkommen von ca. 0,4.6 Bei einem Fall der 2003). Eine Bereinigung um die Zinszah- kartenschulden wahrgenommen werden Lohnquote um 10 Prozentpunkte würde lungen ist aus Datengründen schwierig. und gehen teils auf das aggressive Marke- dies einem Rückgang der Konsumquote Zweitens gab es eine Änderung in der ting der Banken zurück. Als Folge dieser um ca. 4 Prozentpunkte entsprechen. Die Ausrichtung des Managements. Nicht Entwicklung ist die Verschuldung der steigenden Schulden der privaten Haushal- mehr die Arbeitsbeziehungen (wie zur Zeit Haushalte angestiegen.4 Daten dazu sind te könnten also zur Kompensierung der des Fordismus) stehen heute im Zentrum, jedoch nicht standardisiert verfügbar und Verlangsamung des Lohnwachstums ver- daher international schwer vergleichbar. wendet worden sein. Zweitens könnten die Tabelle 1 beruht auf OECD-Schätzungen steigenden Haushaltsschulden natürlich (Girouard et al. 2006). Die europäischen auch in den Hausbau statt in den Konsum 4 In der Mainstreamliteratur wird angenommen, Länder weisen unterschiedliche Werte auf. geflossen sein. Dies wird im nächsten Ab- dass die steigende Verschuldung der Haushalte ra- Jedoch sind die Verschuldungsquoten in schnitt untersucht. tional ist. Die Verschuldung steigt, weil das Ver- allen Ländern angestiegen und die Durch- mögen wächst. Es ist aber auch möglich, dass ein wesentlicher Teil der Schulden Ergebnis eines irra- schnittswerte sind mit jenen der USA ver- 4 tionalen Verhaltens ist, da viele Konsumenten gleichbar. noch nicht gelernt haben, mit den neuen Mög- Anders als die USA (und Japan) weisen lichkeiten, sich zu verschulden, umzugehen. Aus die europäischen Länder keinen Anstieg Änderungen im der experimentellen Psychologie ist bekannt, dass die Zahlungsmethode die Kaufbereitschaft beein- der Konsumquote auf. Während die Kon- Investitionsverhalten? flusst: Typischerweise sitzt das Geld lockerer, wenn sumquote sich in den USA (und Japan) seit Kreditkarten verwendet werden. den 1970er Jahren erhöht, stagniert sie in Die Finanzialisierung ging einher mit vie- 5 In Tabelle 1 und den folgenden Tabellen werden Europa.5 Nur Griechenland weist einen len Veränderungen, die für das Investi- die Daten in 10-Jahresmittelwerten angegeben. Die 1970er Jahre können als die fordistische Pha- starken Anstieg auf. Es mag also zunächst tionsverhalten relevant sein können. So hat se betrachtet werden, auch wenn sich das Ende so aussehen, als habe die zunehmende Ver- die „Shareholder Value“-Orientierung die des Fordismus nicht exakt terminieren lässt. Da- schuldung keinen Effekt auf die Konsum- Managementziele verändert und die Insta- nach beginnt die Phase des Neoliberalismus. In Eu- ausgaben. Dies wäre jedoch ein voreiliger bilität der Finanzmärkte hat dazu geführt, ropa waren die 1980er Jahre durch das europäi- sche Währungssystem mit der DM als Leit- Schluss. Erstens ist in Europa die Lohn- dass die Firmen nun einem höheren Grat währung und die 1990er Jahre durch den Binnen- quote seit 1980 drastisch gefallen. Da an Unsicherheit ausgesetzt sind. Gleichzei- markt und den Stabilitäts- und Wachstumspakt Lohneinkommen typischerweise höhere tig bieten neue Finanzinstrumente Versi- gekennzeichnet. Die Jahre nach 2000 stellen einen Konsumneigungen aufweisen als Profitein- cherungsmöglichkeiten gegen Wechsel- kürzeren Zeitraum dar und sollten daher mit Vor- sicht interpretiert werden. kommen, hätte dies zu einem Fall der Kon- kursschwankungen, und das Wachstum 6 Dieser Wert liegt in einer ähnlichen Größenord- sumquoten führen müssen. Stockhammer der Finanzmärkte könnte die Investitions- nung wie der für andere Länder (Naastepad/Storm et al. (2007) finden für den Euro-Raum ein finanzierung vereinfachen. Es ist jedoch 2006/07; Hein/Vogel 2007). WSI Mitteilungen 12/2007 645
sondern die Shareholder. Mehrere Studien Tabelle 2: Investitionen – in %– zu den Effekten der „Shareholder Value“- 2.1 Investitionen in % des 2.2 Wohnungsbauinvestionen in % Orienterung haben gezeigt, dass diese zu Betriebsüberschusses (Durchschnitt) der Investitionen (Durchschnitt) Beschäftigungsabbau und Aktienrückkäu- 1970er 1980er 1990er 2000er 1970er 1980er 1990er 2000er fen, aber nicht zu mehr Investitionen führt Österreich 59 50 47 44 59 52 44 29 (Lazonick/O’Sullivan 2000; Stockhammer Belgien 65 38 38 35 Dänemark 46 47 46 49 171 61 33 35 2004a). Stockhammer (2004a) findet in Finnland 57 57 41 36 67 55 48 44 Schätzungen heraus, dass die Finanzialisie- Frankreich 46 46 42 43 78 63 47 43 rung, welche anhand der Finanzinvestitio- Deutschland 52 48 42 35 – – 60 50 nen der nicht-finanziellen Unternehmun- Griechenland 24 24 26 36 105 86 52 29 gen (bzw. der Einkommen daraus) gemes- Irland 50 44 30 28 94 92 94 111 sen wird, einen wesentlichen Teil des Rück- Italien 41 36 31 33 – – – – gangs im Wachstum des Kapitalstocks Luxemburg 39 48 51 50 – – – – Niederlande 48 39 38 38 76 63 54 52 erklärt, wenn auch mit großen Unterschie- Portugal 37 35 31 34 – – – – den zwischen einzelnen Ländern. Spanien 47 40 44 47 67 55 43 40 Drittens führte die Deregulierung der Schweden 59 52 46 51 79 60 32 17 Finanzmärkte zu einer Erhöhung der Un- Vereinigtes Königreich 55 48 44 42 86 82 60 47 sicherheit, was Investitionsausgaben, die EU-121) 47 44 40 40 86 64 50 44 oft kaum reversibel sind, weniger attrak- USA 46 44 39 39 81 55 47 44 tiv macht. Speziell die Volatilität der Wech- Japan 58 59 61 56 60 41 33 26 selkurse scheint einen negativen Einfluss 1) EU12 ist das ungewichtete Mittel für die vorhandenen Länder. Quelle: 2.1:OECD (2007); 2.2: Europäische Kommission (2007). auf die Investitionstätigkeit auszuüben (Carruth et al. 2000). Da Unsicherheit de- finitionsgemäß schwer messbar ist, ist auch Zunahme der Unsicherheit kräftig zum kurse ausgelöst wurden, welche auf kurz- hier eine exakte Bestimmung der Größe Rückgang der Investitionen in Relation zu fristige internationale Kapitalbewegungen des Effekts sehr schwierig. den Profiten beigetragen. Auch der Aktien- zurückzuführen sind. In Europa erlebte Insgesamt scheinen die Unternehmen boom hatte kaum positive Auswirkungen vor allem Schweden nach den Turbulenzen die neuen Finanzinstrumente nicht zur In- auf die Investitionen. Üblicherweise finden im Europäischen Währungssystem (EWS) vestitionsfinanzierung zu nutzen. Speziell ökonometrische Studien, dass Aktienkurse 1992/93 eine langwierige Krise. für die angelsächsischen Länder ist be- (selbst wenn sie steigen) kaum Auswirkun- Der Grund, warum die Wechselkurs- legt, dass Aktienrückkäufe beträchtliche gen auf die Investitionstätigkeit haben krisen so starke Auswirkungen haben, ist, Mittel gebunden haben (Schaberg 1999). (Chirinko 1993; Ford/Poret 1991). dass in liberalisierten Finanzmärkten Zins- Auch scheinen die Unternehmen wenig arbitragegeschäfte (heute oft carry trade Fremdkapital aufzunehmen und sich eher genannt) sehr attraktiv sind. Sind die Zin- in Netto-Gläubiger zu verwandeln, was einer Umkehr ihrer traditionellen Rolle im volkswirtschaftlichen Kreislauf gleich- 5 Außenhandel und sen (bei gegebenen Wechselkursen) in Eu- ropa niedriger als z. B. in der Türkei, so ist es verlockend, Schulden in Euro aufzuneh- käme.7 Kapitalflüsse men und damit türkische Staatspapiere zu Abschließend ist noch kurz auf die Rol- kaufen. Soll- und Haben-Positionen beste- le der Wohnungsbauten innerhalb der ge- In der aggregierten Nachfragefunktion ist hen dann in unterschiedlichen Währungen samtwirtschaftlichen Investitionen einzu- der Außenbeitrag über die Nettoexporte und eine Änderung des Wechselkurses gehen. Wie bereits diskutiert, hat die Ver- repräsentiert, definiert als Exporte minus führt dann nicht nur zu Kapitalflucht, son- schuldung der privaten Haushalte zuge- Importe. Die Nettoexporte müssen (abge- dern hat vernichtende Auswirkungen auf nommen. Es wäre möglich, dass damit sehen von den Veränderungen der Reser- die Bilanzen. Bauinvestitionen finanziert wurden. Wie ven der Zentralbank) den Kapitalexporten Das Wechselkursregime ist daher einer Tabelle 2, Spalte 2 zeigt, ist aber der Anteil entsprechen. Es ist dieser zweite Aspekt, der zentralen institutionellen Faktoren, um des Wohnungsbaus an den Gesamtinvesti- die Kapitalbilanz, der im Zusammenhang die Dynamik des finanz-dominierten Ak- tionen im Durchschnitt der EU (und auch mit Finanzialisierung von Interesse ist, da kumulationsregimes zu verstehen. In Euro- in den USA) gesunken. Im ungewichteten die Kapitalflüsse durch die Deregulierung pa war die größte Änderung diesbezüglich Durchschnitt der EU-Staaten sinken die der Finanzmärkte stark zugenommen Bauinvestitionen von 86 % (in den 1970ern) haben. auf 50 % (in den 1990er Jahren) der Die schwersten Wirtschaftskrisen gin- 7 Siehe Duménil/Lévy (2001) und Stockhammer Gesamtinvestitionen. Bloß in Irland ist ein gen in den letzten beiden Jahrzehnten von (2004b, Table 5.5). Änderungen in der Volkswirt- kräftiger Anstieg feststellbar. Devisenmärkten aus: Mexiko 1994, Türkei schaftlichen Gesamtrechung machen eine Aktua- Insgesamt finden wir also keine Evi- 1994 und 2001, Korea und Malaysia im lisierung dieser Daten schwierig. denz dafür, dass die Finanzialisierung die Laufe der Südost-Asien Krise 1997/98 und 8 Auch bei rascher Erholung des Wirtschaftswachs- tums nach der Krise hinterlässt diese oft länger- Investitionen in Europa belebt hätte. Ver- Argentinien 2001 sind die prominentesten fristige Spuren. Onaran (2005) findet, dass die mutlich haben höhere Zinsen, die Orien- Beispiele für heftige Wirtschaftskrisen,8 die Einkommensverteilung oft nachhaltig verändert tierung am „Shareholder Value“ und die durch abrupte Änderungen der Wechsel- wurde. 646 WSI Mitteilungen 12/2007
Abb. 1: Nominelle Lohnstückkosten in der EU-12 (1994=100) bauen. Zum Ausgleich müssten die medi- terranen Länder (und Irland) über mehre- 150 re Jahre Inflationsraten deutlich unter der deutschen aufweisen. Da die deutsche Inflationsrate aber nahe Null ist, wäre dies 140 nur bei Deflation möglich. Europa hat also auf die Liberalisierung der Kapitalflüsse mit der Einführung einer 130 gemeinsamen Währung reagiert und da- mit das Risiko von Währungskrisen (in- nerhalb Europas) beseitigt. Jedoch hat es 120 damit auch den nominalen Wechselkurs als 1994=100 einen wichtigen Anpassungsmechanismus aufgegeben. Statt Wechselkurskrisen wer- 110 den daher schleichende Ungleichgewichte und deflationäre Tendenzen die europäi- sche Entwicklung bestimmen. 100 90 6 Das finanz-dominierte Akkumulationsregime 80 als Regime geringen 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Wachstums Belgien Deutschland Griechenland Wir können die bisherigen Ergebnisse nun Spanien Frankreich Irland kurz zusammenfassen. Für die europäi- schen Länder gibt es kaum Hinweise auf ei- Italien Luxemburg Niederlande nen möglichen Konsumboom. Zwar hat Österreich Portugal Finnland die Verschuldung der Haushalte zugenom- men, aber dies scheint gerade ausgereicht Quelle: Europäische Kommission 2007. Darstellung des Autors. zu haben, um die negativen Effekte durch den Rückgang der Lohnquote zu kompen- sieren. Die Effekte der Finanzialisierung – natürlich das Europäische Währungssys- tionsraten bestehen geblieben, was zu einer hohe Realzinsen, „Shareholder Value“- tem (EWS) und die Einführung des Euro. schleichenden, aber beständigen Verände- Orientierung und gestiegene Unsicherheit Letztere war selbst auch eine Reaktion auf rung der realen Wechselkurse geführt hat. – auf die Investitionsquote waren negativ, die EWS-Krise 1992/93, als das System fixer Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der no- und die steigenden Profite führten nicht zu Wechselkurse zusammenbrach und etliche minalen Lohnstückkosten seit der Euro- einem nennenswerten Anstieg der Investi- Währungen um 20 % oder mehr abwerte- Einführung. Deutschland hat demnach re- tionen. Insgesamt ist damit die makroöko- te. Auf den ersten Blick scheint das Euro- al um rund 20 % im Vergleich zu Portugal, nomische Wachstumsdynamik enttäu- System ein Erfolg gewesen zu sein. Die Irland und Spanien abgewertet, was sich schend. Tabelle 3 fasst wichtige Eckdaten Märkte nahmen den Euro an und die In- auch in kräftigen Handelsbilanzungleich- für den Euro-Raum zusammen. flationsraten sanken auf niedrige Niveaus, gewichten äußert. Für die kommenden Das Wirtschafswachstum weist einen was auch die Realzinsen in den früheren Jahre stellt dies eine große Herausforde- fallenden Trend über den gesamten Zeit- Hochinflationsländern deutlich gesenkt rung für die Wirtschaftspolitik dar, da das raum auf. Lag es in den EU 12-Ländern in hat. Allerdings sind die Inflationsdifferen- Euro-System keine geeigneten Mechanis- den 1970er Jahren noch bei mehr als 3 % tiale trotz der allgemein niedrigeren Infla- men hat, diese Ungleichgewichte abzu- im Jahr, so sackte es in den 1990er Jahren auf rund 1,5 % ab. Parallel dazu gingen die Inflationsraten zurück, was erklärtes Ziel Tabelle 3: Makroökonomische Eckdaten EU-12 (Durchschnitt) – in % – neoliberaler Politik war. Die realen Zinsen 1970er 1980er 1990er 2000er stiegen Anfang der 1980er Jahre deutlich Wachstum BIP, real 3,27 2,43 2,14 1,49 an und fielen ab Mitte der 1990er Jahre im Inflation (BIP-Deflator) 9,21 6,13 2,41 2,01 langfristige Zinsen, real 1,40 4,04 4,66 2,45 Zuge der Euro-Einführung (wobei dieser Arbeitslosenrate 4,16 8,55 9,61 8,47 Fall vor allem für die mediterranen Länder Wachstum Löhne, real 3,23 0,62 1,19 0,45 gilt). Die realen Zinssätze sind auch in den 1990er und 2000er Jahren höher als das Quelle: Europäische Kommission (2007); außer Inflation: OECD (2007). Wirtschaftswachstum, was den Bruch mit WSI Mitteilungen 12/2007 647
der keynesianischen Wirtschaftspolitik im Tabelle 4: Staatsausgaben in % des BIP (Durchschnitt) Fordismus illustriert. Gleichzeitig sind die 1970–79 1980–89 1990–99 2000–06 Arbeitslosenraten angestiegen, was – ge- Österreich 44 52 54 51 meinsam mit der Globalisierung – die Belgien – 56 52 50 Lohnentwicklung gehemmt hat. Seit den Dänemark 45 56 58 54 1980er Jahren hinken die Löhne der Pro- Finnland 36 45 58 49 Frankreich – – 48 47 duktivität deutlich hinterher und die Deutschland 29 41 49 49 Lohnquote sinkt. Griechenland 42 49 53 53 Das finanz-dominierte Akkumulati- Irland 46 53 41 34 onsregime ist damit als ein Regime des be- Italien 37 48 53 48 scheidenen Wachstums zu charakterisie- Luxemburg – – 40 41 ren. Auch wenn im Detail weiter zu belegen Niederlande 48 56 50 46 wäre, ob die Änderungen in den makro- Portugal 31 38 43 46 ökonomischen Verhaltensfunktionen auf Spanien 26 39 44 39 Schweden 50 63 65 57 die Finanzialisierung zurückzuführen sind, Vereinigtes Königreich 45 46 43 43 so erscheint es aufgrund der vorliegenden EU 40 49 50 47 Evidenz plausibel, dass sie wesentliche Im- USA 33 36 37 36 pulse setzte. Japan 26 32 35 38 Allerdings war das finanz-dominierte Akkumulationsregime in Europa bisher Quelle: OECD (2007). kaum von heftigen Wirtschaftskrisen ge- kennzeichnet, die von Finanzmärkten aus- gingen, wie dies in Südost-Asien, Latein- niedriger als in den 1970er Jahren. In den amerika oder der Türkei der Fall war. Dies ist wohl auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens wurde nach der EWS-Krise, die in meisten Ländern stiegen sie bis in die frühen 1980er Jahre und stagnierten da- nach. Da der Neoliberalismus die Politik in 8 Ausblick einigen Ländern zu Rezessionen führte, das den meisten Länder in diesem Zeitraum Euro-System etabliert, was Wechselkurs- prägte, ist dies überraschend. Der Neolibe- Das finanz-dominierte Akkumulations- krisen innerhalb Europas ausschließt. Je- ralismus war also bisher nur erfolgreich regime ist durch eine schwache Wachs- doch führt dieses System und der damit darin, den Anstieg der Staatsquoten zu re- tumsdynamik gekennzeichnet. Europa und verbundene Stabilitäts- und Wachstums- duzieren, nicht aber die Staatsquoten die USA wurden bisher noch nicht, wie pakt zu eigenen Problemen, da Letzterer selbst. Da die Staatsausgaben über automa- die Schwellenländer Lateinamerikas und einen „deflationären bias“ aufweist und tische Stabilisatoren eine stabilisierende Asiens, von heftigen Krisen geschüttelt, die außer Lohnbewegungen kaum Mechanis- Wirkung im Fall von Rezessionen ausüben, meist in Währungsturbulenzen ihren Aus- men zum Ausgleich von Ungleichgewich- erklärt dies zum Teil, warum Krisen auf gangspunkt hatten. Dies hat einerseits da- ten vorhanden sind. den Finanzmärkten in Europa und den mit zu tun, dass trotz neoliberaler Attacken USA bisher nicht so stark auf den realen die Staatsquote nicht substanziell zurück- Sektor übergegriffen haben. gegangen ist und zur Stabilisierung der 7 Der Staatssektor: Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies bedeutet nicht, dass die neoliberale Hegemonie gar keine Auswirkungen auf Konjunktur beitragen konnte, und ande- rerseits damit, dass in Europa ein System fixer Wechselkurse etabliert wurde. Dieses Groß trotz Neoliberalismus die Staatsausgaben hatte. Erstens sind Pri- System dämpft jedoch seinerseits das vatisierungen in diesen Daten nicht erfasst, Wachstum und besitzt kaum Mechanis- Ein zweiter Grund dafür, dass die Wirt- da Unternehmen in staatlichem Besitz, die men zum Abbau interner Ungleichgewich- schaftskrisen bisher nicht heftiger ausge- nicht Teil der Hoheitsverwaltung sind, in te. Das finanz-dominierte Akkumulations- fallen sind, liegt in der Größe des Staats- der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechung regime scheint weder in ökonomischen sektors und seiner stabilisierenden Wir- dem Privatsektor zugeschlagen werden. noch sozialen Dimensionen den Bedürf- kung. Dies mag zunächst überraschend er- Zweitens kann sich bei gleich bleibendem nissen nach einer allgemeinen Zunahme scheinen, war doch die Reduktion des Volumen die Struktur der Ausgaben verän- des Wohlstands nachzukommen. Fast drei Staatseinflusses eines der Hauptziele des dert haben. Nicht zuletzt haben sich die Jahrzehnte neoliberal inspirierter Politik Neoliberalismus. Und tatsächlich kam es Zinszahlungen des Staates durch die höhe- haben zu Massenarbeitslosigkeit und Pola- zu einer Welle der Deregulierung und der ren Realzinsen deutlich erhöht. Im (unge- risierung der Einkommensverteilung in Privatisierung. Bemerkenswerterweise sind wichteten) EU-Durchschnitt stiegen die Europa geführt. Nicht alles davon kann der die Staatsquoten, die die direkten Staats- Zinszahlungen von 0,7 % (des BIP) in den Finanzialisierung angelastet werden, aber ausgaben, nicht aber Unternehmen in 1970er Jahren auf 3,8 % und 4,5 % in den wie gezeigt wurde, sind negative Effekte Staatseigentum, umfassen, jedoch relativ 1980er und 1990er Jahren und gingen seit- klar spürbar. Eine deutliche Wende im wirt- stabil geblieben (Tabelle 4). dem leicht auf 2,5 % zurück. Den stärksten schaftspolitischen Regime wäre wünschens- Nur in drei Ländern (Irland, VK und Rückgang erfuhren dabei die mediterranen wert, ein zentraler Bestandteil wäre dabei Niederlande) sind die Staatsquoten heute Länder. eine Re-Regulierung des Finanzsektors. 648 WSI Mitteilungen 12/2007
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