Chemotherapeut+sche Neben- w+rkungen be+ Kolonkarz+nom - e+ne qual+tat+ve Stud+e aus Betro@enens+cht - Universitätsspital Basel
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1 Originalarbeit Chemotherapeutische Neben- wirkungen bei Kolonkarzinom – eine qualitative Studie aus ${protocol}://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1012-5302/a000676 - Friday, June 07, 2019 2:26:37 AM - Universität Basel IP Address:145.250.209.1 Betroffenensicht Ilona Kaufmann-Molnàr1 , Hedi Hofmann Checchini2, André Fringer2,3 1 St. Claraspital, Basel 2 Fachbereich Gesundheit, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Fachhochschule St. Gallen 3 Institut für Pflege, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, Winterthur Zusammenfassung: Hintergrund: Das Kolonkarzinom ist eine häufige Erkrankung in Industrieländern. Die Kombination aus Opera- tion, Chemo- und / oder Target-Therapien führt zu physischen, psychischen und sozialen Veränderungen im Alltag. Die Betroffenen setzen sich mit Ungewissheit, Vergänglichkeit und Kontrollverlust auseinander. Unklar ist, welche Strategien die Betroffenen an- wenden, um das Selbstmanagement zu fördern. Ziel: Bewältigungsstrategien erkennen, die Personen mit Kolonkarzinom im Stadi- um III und IV im Umgang mit der Krankheit und deren Symptomen sowie den Nebenwirkungen der Chemotherapie entwickeln. Me- thode: Ein qualitativ-deskriptives Design mit leitfadengestützten Interviews wurde gewählt. Die Datenanalyse erfolgte induktiv mittels „Initial Coding“ anhand von vier Prozessschritten zur Kategorienentwicklung. Ergebnisse: Elf Betroffene berichten über den Verlust von Autonomie und Kontrolle im Alltag. Sie erleben ihre eigene Endlichkeit und persönlichen Grenzen. Die Betroffenen ent- wickeln Strategien, um den zunehmenden Kontrollverlust und die Abhängigkeit zu kompensieren. Sie suchen nach Fachwissen und versuchen, die Normalität und den Alltag aufrecht zu erhalten. Ihr Erleben oszilliert zwischen „Bangen und Hoffen“. Schlussfolge- rungen: Für Menschen mit Kolonkarzinom stellt Hoffnung eine wichtige Bewältigungsstrategie dar. Personenzentrierte Beratungs- gespräche während des ganzen Behandlungsprozesses helfen den Betroffenen im Umgang mit ihrer chronischen Erkrankung. Schlüsselwörter: Kolonkarzinom, Symptombewältigung, Erfahrung, Bewältigungsstrategien, chemotherapeutische Neben- wirkungen Chemotherapeutic side effects in colon cancer. A qualitative study from the point of view of those affected Abstract: Background: Colon cancer is a common disease in industrialized countries. The combination of surgery, chemo- and / or target therapies leads to physical, psychological and social changes in everyday life. Those affected are confronted with uncertainty, transience and loss of control. It is not clear which strategies are used by those affected to promote self- management. Objective: To identify coping strategies that individuals with stage III and IV colon cancer develop in dealing with the disease and its symptoms as well as the side effects of chemotherapy. Methods: A qualitative-descriptive design with guideline-based interviews was chosen. Data analysis was performed inductively by means of “initial coding” using four process steps for category development. Results: Eleven people affected report the loss of autonomy and control in everyday life. They experience their own finiteness and personal limits. Those affected develop strategies to compensate for the increas- ing loss of control and dependency. They look for expertise and try to maintain normality and everyday life. Their experience oscillates between “fear and hope”. Conclusions: For people with colon cancer, hope is an important coping strategy. Person- centred counselling throughout the treatment process help people cope with their chronic condition. Keywords: colon carcinoma, symptom management, experience, coping strategies, chemotherapeutic side effect Hintergrund und Problemstellung und / oder Bestrahlung. Die Betroffenen erfahren während der Behandlung körperliche, psychische und soziale Ver- In der Schweiz ist das Kolonkarzinom bei Männern die änderungen, die sich auf ihren Alltag auswirken und einen dritthäufigste und bei Frauen die zweithäufigste Krebser- starken Einfluss auf die zunehmende Vulnerabilität der krankung und mit 1600 Todesfällen pro Jahr die dritthäu- Betroffenen haben (Houldin & Lewis, 2006). Insbesonde- figste Todesursache (Bundesamt für Statistik [BFS], 2016). re führt der Chemotherapiestandard bei Kolonkarzinom Die Behandlung besteht aus einer Kombination von chir- mit FOLFOX (National Comprehensive Cancer Network, urgischen Eingriffen, Chemotherapie, Target-Therapien 2018) zu Neuropathien. © 2019 Hogrefe Pflege (2019), 1–8 https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000676
2 I.Kaufmann-Molnàr et al.: Chemotherapeutischen Nebenwirkungen bei Kolonkarzinom Betroffenen anwenden, um das Selbstmanagement auf- Was ist (zu dieser Thematik) schon bekannt? Während der Therapie machen Personen mit Kolonkarzi- rechtzuerhalten. Das Wissen darum ist aber notwendig, nom Erfahrungen auf bio-psycho-sozialer Ebene. um den Betroffenen entsprechend zielgerichtet begegnen und passende Maßnahmen anbieten zu können. Was ist neu? Die Betroffenen wenden Strategien an, um die Alltagskont- rolle wiederzuerlangen, währenddessen sie „zwischen Ver- lust und Normalität bangen und hoffen“. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflege- Ziel und Fragestellung ${protocol}://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1012-5302/a000676 - Friday, June 07, 2019 2:26:37 AM - Universität Basel IP Address:145.250.209.1 praxis? Spezifische Unterstützung ist notwendig, um das Selbst- Die vorliegende Studie untersucht die Erfahrungen und management der Betroffenen in diesem Krankheitsstadi- Bewältigungsstrategien von Menschen mit einem Kolon- um zu fördern. karzinom im Stadium III und IV im Umgang mit der Chemotherapie und deren Nebenwirkungen. Im Haupt- fokus steht die Krankheits- und Symptombewältigung. Ungewissheit, Vergänglichkeit, Kontrollverlust und die Um festzustellen, durch welche Strategien sich die Aus- „Omnipräsenz von Krebs“ sind bei Diagnosestellung wirkungen auf den Alltag minimieren lassen, ist es not- sowie während und nach der Behandlung einschneidende wendig, den Wissensstand der Betroffenen bezüglich Ne- Erfahrungen, mit denen sich die Betroffenen auseinander- benwirkungen und Symptomen zu untersuchen. Basierend setzen müssen (Shaha, 2003; Shaha & Cox, 2003; Shaha, auf diesen Erkenntnissen lässt sich für die Pflege Wissen Käppeli & Schnepp, 2013). Ramfelt, Severinsson und genieren, um die Patientengruppe gezielt zu unterstützen. Lützén (2002) stellten fest, dass Menschen mit Kolon- Folgende Forschungsfragen waren für diese Studie lei- karzinom sowohl optimistisch wie auch ängstlich sind und tend: Welche Erfahrungen machen Menschen mit Kolon- alle Aktivitäten darauf ausgerichtet sind, die Gesundheit karzinom im Stadium III und IV mit chemotherapeuti- wieder zu erlangen. „Kontrollierer“, so bezeichnen Kidd, schen Nebenwirkungen? Welche Strategien wenden sie Hubbard, O'Carroll und Kearney (2009) Menschen, die an, um ihre Krankheit und die damit verbundenen Symp- ihre Nebenwirkungen im Griff haben und weniger unter tome sowie die chemotherapeutischen Nebenwirkungen den chemotherapeutischen Nebenwirkungen leiden. Die zu bewältigen? Betroffenen sind in Bezug auf Alltagsaktivitäten kaum be- einträchtigt, da es ihnen gelingt den Alltag flexibler zu ge- stalten. Betroffene, die während der Behandlung in Ent- scheidungsprozesse einbezogen werden, übernehmen Methode Verantwortung. Das fördert das Selbstvertrauen und die Selbstkompetenz (Ramfelt & Lützén, 2005). Die Bewälti- Zur Beantwortung dieser beiden Forschungsfragen und gungsstrategien von Betroffenen und Familien erforschten um die lebensweltlichen Erfahrungen der Betroffenen zu Asiedu, Eustace, Eton und Breitkopf (2014): positives erkunden, eignet sich ein qualitativer Forschungsansatz. Denken hilft den Betroffenen, Normalität und Aktivität zu Dieser ermöglicht, einen Einblick in die Sichtweise der Be- fördern sowie den Krankheitsverlauf zu kontrollieren. troffenen und ein vertieftes Verständnis ihrer Lebenswirk- Coolbrandt et al. (2016) stellten fest, dass der Umgang lichkeit zu erhalten (Creswell, 2013; Flick, von Kardorff & mit chemotherapeutischen Nebenwirkungen ein persönli- Steinke, 2013). cher, komplexer Prozess des Erfahrens und Lernens ist. Die Erfahrungen gilt es zu verstehen und den For- Folgende Faktoren haben Einfluss auf die Erfahrungen schungsgegenstand möglichst genau und umfassend zu und Bewältigung: Persönliche Situation, Wahrnehmung, beschreiben, ohne bereits bestehende Rahmen oder Krankheitsbewältigung und Kontrolle der Nebenwirkun- Theorien zu verwenden (Sandelowski, 2000). Aufgrund gen. Diese tragen dazu bei, dass Patientinnen und Patien- des explorativen, lebensweltlichen Fokus der beiden ten ihr Symptommanagement besser bewältigen können. Forschungsfragen eignet sich ein induktives Vorgehen Lorig und Holman (2003) identifizierten fünf Kernfertig- mittels eines qualitativen, deskriptiven Studiendesigns keiten für das Selbstmanagment: Problemlösung, Ent- (Sandelowski, 2000; Sandelowski, 2010). scheidungsfindung, Verwenden von Ressourcen, Bilden einer therapeutischen Partnerschaft und Erlernen von Verhaltensweisen. Personen mit onkologischen Erkran- Untersuchungsgruppe und Setting kungen sind mit vielen Schwierigkeiten in Bezug auf das Selbstmanagement ihrer Symptome konfrontiert und füh- Die Studie wurde im ambulanten und stationären Setting len sich überwiegend allein gelassen (Spichiger, Rieder, eines Tumorzentrums in der Deutschschweiz durchgeführt. Müller-Fröhlich & Kesselring, 2012). Es gibt kaum Studi- Die Rekrutierung erfolgte anhand des internen Tumorregis- en, die Menschen mit Kolonkarzinom im Stadium III und ters und der Eintrittslisten medizinischer Stationen. Einge- IV untersucht haben – insbesondere qualitative Studien schlossen wurden volljährige, deutschsprechende Personen zum Erleben in diesen Phasen fehlen. Aus diesem Grund mit einem Kolonkarzinom gemäß der TNM-Klassifikation ist kaum wissenschaftlich belegt, welche Strategien die maligner Tumore ab der zweiten intravenösen Therapie. Pflege (2019), 1–8 © 2019 Hogrefe
I.Kaufmann-Molnàr et al.: Chemotherapeutischen Nebenwirkungen bei Kolonkarzinom 3 Die so generierte Gelegenheitsstichprobe umfasste keine aus dem Material herauszuarbeiten (Tracy, 2010). Die Au- Personen mit psychischen Erkrankungen, kognitiven Ein- toren synthetisierten die sich entwickelnden Kategorien schränkungen oder Hirnmetastasen. Eine Woche vor Che- und das zentrale Konzept, bis daraus Hauptkategorien motherapie erhielten die Teilnehmenden ein Informations- entstanden (Flick, 2009; Mey & Murck, 2011; Saldaña, schreiben über Studienziele, Nutzen und möglichen Risiken 2013). Die Feldnotizen waren im Analyseprozess – insbe- sowie die Einverständniserklärung. Im Telefongespräch mit sondere bei der Synthese der Ergebnisse – als sensibilisie- der Studienleiterin drei Tage vor Therapie konnten die rende Konzepte von Bedeutung. Die Software MAXQDA Interviewpartner und Interviewpartnerinnen Fragen zu 11 wurde zur Unterstützung der Datenanalyse verwendet, Teilnahme, Ort und Zeitpunkt sowie zum Beisein der Ange- um die Nachvollziehbarkeit und Transparenz im Coding ${protocol}://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1012-5302/a000676 - Friday, June 07, 2019 2:26:37 AM - Universität Basel IP Address:145.250.209.1 hörigen stellen. Von allen Teilnehmenden wurde das Ein- zu gewährleisten (Kuckartz, 2010). verständnis durch die Erstautorin eingeholt. Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse Datensammlung Um die Güte des qualitativen Vorgehens sowohl in der Die Datensammlung erfolgte im Zeitraum Oktober bis Datenerhebung, als auch in der Datenanalyse zu gewähr- Dezember 2015. Den Interviews wurde ein semistruktu- leisten, wurden die Gütekriterien nach Steinke (2007) rierter Leitfaden zur Orientierung und Erzählaufforderung verwendet. Die Autoren verschriftlichten die Interviews zugrunde gelegt mit offenen Fragen zu Erfahrungen mit wortgetreu und führten die Analyseschritte sorgfältig und chemotherapeutischen Nebenwirkungen (Hopf, 2013). Im iterativ durch. Fortlaufend wurden Memos verfasst und Zentrum des Interesses standen die Strategien der Be- mit den Originaldaten verglichen. Das methodische Vor- fragten. Unterstützende oder herausfordernde Faktoren gehen im Forschungsprozess wurde durch die Erstautorin während der chemotherapeutischen Behandlung wurden mittels systematischer Dokumentation in einem For- ebenfalls thematisiert. Die Moderatorin stellte gezielt schungstagebuch überprüft. Die kritische Prüfung der Fragen nach den am meisten herausfordernden Neben- Forschungs- und Analyseschritte erfolgte an regelmäßi- wirkungen, um sicherzustellen, dass alle Belastungen the- gen Treffen und Diskussionen mit den Autoren der Stu- matisiert wurden. die. Im Rahmen einer kommunikativen Validierung Um den Interviewleitfaden auf Anwendbarkeit zu (member checking) wurde von drei Teilnehmenden die prüfen und zu optimieren, wurde ein Probeinterview unter Genauigkeit der Datenanalyse geprüft und bestätigt „realen“ Bedingungen durchgeführt (Creswell, 2013). (Creswell, 2013; Steinke, 2007). Eine Frage zu Hobbys wurde ergänzt, da dieser Aspekt für persönliche Bewältigungsstrategien als sehr bedeutsam identifiziert wurde. Ethik Die Interviews fanden sowohl in Schweizerdeutsch als auch in Hochdeutsch statt. Die Transkription der digital Die Kantonale Ethikkommission Nordwest- und Zent- aufgezeichneten Interviews orientierte sich an den von ralschweiz EKNZ prüfte und bewilligte die Studie im Vor- Kuckartz (2010) empfohlenen Regeln. Alle Interviews feld (Studiennummer EKNZ 2015 – 360). Ethische Grund- wurden irreversibel anonymisiert. Während des For- sätze fanden Beachtung: beispielsweise das Recht auf schungsprozesses wurden Feldnotizen angelegt, um die Autonomie, die Prinzipien des Wohlergehens und Nicht- Beobachtungen und Erlebnisse festzuhalten. Schadens, Achtung von Person, Gerechtigkeit und Anony- mität, schriftliches Einverständnis, sowie die Möglich- keit, die Teilnahme jederzeit und ohne Konsequenzen zu Datenanalyse beenden (Grove, Burns & Gray, 2013; World Medical Association, 2008). Die Datenanalyse wurde induktiv mittels „Initial Coding“ durchgeführt und enthielt vier Prozessschritte bis zur ab- schließenden Kategorienentwicklung (Saldaña, 2013). Im ersten Analyseschritt („Initial Coding“) wurde offen co- Ergebnisse diert, das heißt aus den Textstellen heraus wurde entspre- chend dem Sinngehalt der Aussagen ein Code entwickelt Insgesamt wurden zwölf Personen angefragt, wobei eine und der Textstelle zugewiesen. Anschließend wurden die Person absagte. Sieben Frauen und vier Männer nahmen offenen Codes mittels axialen Codierens in Bedeutungs- an der Studie teil. Sie waren zwischen 29 und 79 Jahre alt einheiten gebündelt, indem durch konstantes Vergleichen (durchschnittlich 59,9 Jahre). Alle Personen litten an der Codes Subkategorien und Kategorien gebildet wurden einem Adenokarzinom des Kolons mit unterschiedlicher (Creswell, 2013; Mey & Murck, 2011). Durch kontinuierli- Lokalisation. Sechs Frauen und zwei Männer befanden ches Vergleichen und Überprüfen von Subkategorien und sich im Stadium III und zwei Männer und eine Frau im Kodierungen anhand des Originaltransskripts war es am Stadium IV der TNM-Klassifikation. Ein Mann erhielt Ende des Analyseprozesses möglich, zentrale Kategorien eine neoadjuvante Therapie, drei Frauen eine adjuvante © 2019 Hogrefe Pflege (2019), 1–8
4 I.Kaufmann-Molnàr et al.: Chemotherapeutischen Nebenwirkungen bei Kolonkarzinom Tabelle 1. Demographische und medizinische Daten (N = 11) Verlust der Autonomie und Kontrolle Die Teilnehmenden erwähnten, dass sich ihre Leistungs- Variablen Häufigkeiten fähigkeit in den ersten Tagen nach Chemotherapie redu- Alter (zwischen 29 und 79 Jahren) Durchschnitt 59.9 Median 61 zierte, bedingt durch Müdigkeit und Energiemangel. Ta- gesabhängige Müdigkeit mit unterschiedlichen Rhythmen Geschlecht weiblich 7 traten auf. Dieser Zustand dauerte bis zu einer Woche männlich 4 nach Therapie an. Nach körperlicher Aktivität waren sie Zivilstand weniger belastbar. Aufgrund schnellerer Erschöpfung mussten sie sich ${protocol}://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1012-5302/a000676 - Friday, June 07, 2019 2:26:37 AM - Universität Basel IP Address:145.250.209.1 ledig 3 verheiratet 7 nachmittags und manchmal auch abends ausruhen und geschieden 1 hinlegen: Berufstätigkeit „… ich war eigentlich nicht arbeitsfähig. Ich konnte zu ja 5 Hause nicht nähen oder so. Ich habe das Kochen gerade nein 6 noch geschafft – aber manchmal nicht einmal das. Ich war Lokalisation des Kolontumors Appendix 1 zu müde dafür“ (ÜS: 32 – 34). Zökum 1 Die regelmäßigen Arzttermine schränkten ein. Zwi- ascendens 2 schen den Chemotherapiezyklen wurden möglichst wenig Transversum 1 festgelegte Termine vereinbart. Die Teilnehmenden konn- descendens 1 Sigma 2 ten sich nicht mehr frei und unbeschwert entscheiden. sigmarektaler Übergang 3 TNM Klassifikation Erleben der Abhängigkeit pT3 8 Die Teilnehmenden waren im Alltag auf fremde Hilfe an- pT4 3 gewiesen. Mit jeder Oxaliplatin-Therapie nahm das Taub- Therapieziel heitsgefühl in den Fingerspitzen und teilweise in den Ze- neoadjuvant 1 hen zu. Gegenstände fielen ihnen aus den Händen und das adjuvant 3 Greifen fiel ihnen schwer. Menschen mit ausgeprägter palliativ 7 Neurotoxizität waren in ihrer Feinmotorik beeinträchtigt, Chemotherapie-Schemata etwa beim Einfädeln oder Knöpfe schließen: FOLFOX 3 FOLFOX und Avastin 2 „Für mich ist es unangenehm, wenn ich Sachen, die ich FOLFOX und Cetuximab 1 vorher selbst machen konnte, nicht mehr selbst machen FOLFIRI 1 kann. Ich muss jemanden haben, um die Knöpfe zuzuma- FOLFIRI und Avastin 3 chen, zum Beispiel nach der Chemo. Gerade die ersten Oxaliplatin und Xeloda 1 zwei bis drei Tage kann ich die Knöpfe nicht schließen.“ (NL: 358 – 360). und sieben Personen eine palliative Chemotherapie. Die Hilfe anderer Menschen im Alltag anzunehmen, er- Dabei handelte es sich um den Goldstandard, häufig nach lebten die Teilnehmenden als belastend. dem FOLFOX-Schema, teilweise in Kombination mit Die Rolle veränderte sich, krankheitsbedingt konnten einer Target-Therapie (National Comprehensive Cancer die Befragten nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen. Sie wa- Network, 2018). Acht Interviews fanden am Therapietag ren vermehrt zu Hause und fühlten sich nutzlos. Der Ver- im Spital statt, zwei bei den Teilnehmenden zu Hause. lust des „Normalen“ wirkte sich einschneidend auf den Ein Interview erfolgte telefonisch. Lediglich bei einem sozialen Status und das Familienleben aus. Interview war eine Angehörige anwesend. Die Dauer der Interviews lag zwischen 24 und 63 Minuten (durch- Erleben der Endlichkeit und eigenen Grenzen schnittlich 42 Minuten) (Tab. 1). Durch die Krankheit wurde den Betroffenen ihre eigene Aus der Datenanalyse ergaben sich zwei Hauptkategorien Endlichkeit bewusst. Sich permanent mit ihrer Erkran- und die zentrale Kategorie, die einzeln dargestellt werden: kung und mit ihrer Endlichkeit auseinander setzen zu müssen benötigte viel Kraft und wirkte sich auf ihr psychi- sches Wohlbefinden aus. Die Befragten schilderten, dass Verlusterfahrung als Ausdruck eigener sie in dieser Zeit eine tiefe Traurigkeit erlebten. Während Grenzen der Behandlung kamen sie an ihre Grenzen. Das Bewusst- sein des Lebensendes führte dazu, neue Prioritäten und Die Analyse ergab, dass die Teilnehmenden in physischen, Ziele setzen zu müssen: psychischen und sozialen Bereichen Einschränkungen in „… Dadurch, dass die Lebensdauer verkürzt ist und man ihrer Lebensqualität erfahren. Sie berichteten über Ab- nicht weiß, wie lang [es noch dauert], werden Sachen hängigkeit und das Erleben der Endlichkeit. Drei Subkate- wichtig. Man sagt: Das machst du jetzt oder nie! Man sagt gorien entstanden: „Verlust der Autonomie und Kontrol- nicht: Das machst du jetzt oder irgendwann später! Das le“, „Erleben der Abhängigkeit“, „Erleben der Endlichkeit können banale Sachen sein − ob man jetzt das Buch liest und eignen Grenzen“. oder es weglegt. Ob man diesen Besuch empfängt oder Pflege (2019), 1–8 © 2019 Hogrefe
I.Kaufmann-Molnàr et al.: Chemotherapeutischen Nebenwirkungen bei Kolonkarzinom 5 nicht. Oder ob man an der Befragung teilnimmt oder nicht Persönliches Experimentieren mit Angeboten gab den [Ehefrau lacht]. So ist es. Das macht die Intensität … Jede Betroffenen Halt und vermittelte ihnen Sinn. Sie entwi- kleine Entscheidung ist quasi wie eine existentielle Ent- ckelten neue Strategien und integrierten sie in ihr Leben. scheidung“ (LA: 370 – 374). Die Befragten entwickelten Strategien, um den zuneh- Normalität und Alltag helfen menden Kontrollverlust und die damit verbundene Ab- Den Alltag und die Tagesstruktur möglichst ohne Verän- hängigkeit aufzuhalten. derung beizubehalten, war das höchste Ziel der Befragten. Hobbys wie Singen und Musizieren wurden weitergeführt. Soziale Unterstützung sowie engere und intensivere Kon- ${protocol}://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1012-5302/a000676 - Friday, June 07, 2019 2:26:37 AM - Universität Basel IP Address:145.250.209.1 Suche nach Normalität takte zur Familie, zum Partner und zu Freunden waren dabei zentral. Ehrliche und offene Gespräche mit Angehö- Pflegerisches Fachwissen half den Befragten, ihre Erkran- rigen und Psychoonkologen über die Krankheit und deren kung zu bewältigen. Soziale Unterstützung und Normali- Auswirkungen halfen ihnen, die Situation zu bewältigen: tät gaben ihnen Halt im Alltag. Sie entwickelten Strategi- „Ich habe gelernt, dass es gut ist, das immer wieder auf- en, die sich in drei Subkategorien unterteilen ließen: zuarbeiten. Das mache ich auch. Ich rede viel darüber mit „Nach Möglichkeiten suchen“, „Sich Wissen aneignen“ meiner Mutter und mit meinem Mann. Und das nützt viel“ und „Normalität und Alltag helfen“. (ÖE 426 – 430). Das Ziel der Strategien besteht darin, die Normalität im Nach Möglichkeiten suchen Alltag sicherzustellen, um die persönliche Kontrolle über Die Diagnose Krebs führte zu einem veränderten Le- die Situation wiederzuerlangen. bensstil. Die Befragten erwähnten, dass sie auf regel- mäßige, gesunde und ausgewogene Ernährung achte- ten. Positive Gedanken und eine entsprechende Haltung Zentrales Ergebnis: Zwischen Verlust waren ihnen wichtig und bestärkten sie. Sie vermieden und Normalität bangen und hoffen Hektik, Stress und negativ wahrgenommene Aspekte, um einer Abwärtsspirale entgegenzuwirken. Regel- Als zentral erwies sich für die Teilnehmenden die Er- mäßige Bewegung an der frischen Luft integrierten sie fahrung, im Krankheitsprozess zwischen „Bangen und bewusst in den Alltag. Zu ihren Strategien gehörte auch, Hoffen“ zu oszillieren. Das zentrale Modell spiegelt diese für positive Erlebnisse im Alltag zu sorgen. Dies forderte Erfahrung wider (Abb. 1). In der Mitte des zweiteiligen auch ihr persönliches Umfeld ein. Die Erkrankung zu Modells befindet sich die zentrale Kategorie „Zwischen akzeptieren, nicht ständig über diese nachzudenken Verlust und Normalität Bangen und Hoffen“. Die linke und sich nicht bedauern zu lassen, stellten weitere Stra- Seite des Modells fokussiert die „Verlusterfahrung als tegien dar: Ausdruck möglicher Grenzen“ mit „Bangen“ als Aus- „Hört auf, mich immer so zu bemitleiden. Ich bin nicht gangspunkt: Die Teilnehmenden wenden Strategien an, bemitleidenswert. Ich gehe da durch und basta. Etwas An- um einen Kontrollverlust zu vermeiden. „Das Erleben der deres kann ich ja nicht machen“ (UN: 481 – 483). Endlichkeit und der eigenen Grenzen“ führt zum „Verlust der Autonomie und Kontrolle“. Das „Erleben der Abhän- Sich Wissen aneignen gigkeit“ ist präsent. Die rechte Seite des Modells bezieht Die Beziehung zu Pflegefachpersonen und das Vertrauen sich auf die „Suche nach Normalität“ mit „Hoffen“ als An- in diese erlebten die Befragten als unterstützend. Freund- satzpunkt: Die Betroffenen suchen nach Möglichkeiten, liche, zugewandte und fachlich kompetente Pflegefach- sich Wissen anzueignen. Die Normalität und der Alltag personen mit einer menschlichen und verständnisvollen helfen ihnen, die Kontrolle wiederzuerlangen und die Haltung waren von großer Bedeutung für sie. Mithilfe ih- Hoffnung zu stärken. rer Erfahrungen und Informationen eigneten sich die Be- „Bangen“ bezieht sich auf die Angst vor dem Fortschrei- fragten Wissen an. Ein Tagebuch über physisches und ten der Erkrankung und auf die Ungewissheit, wie die psychisches Befinden diente als Nachschlagewerk. Doku- Zukunft aussehen wird: mentiert wurden Maßnahmen, die gewirkt haben, oder „… Dazwischen kommen immer wieder Gedanken: Ja, Nebenwirkungen, die sich verändert haben. Die Betroffe- klappt es? Ist es danach auch weg? Ist es nicht weg? Kommt nen wendeten Medikamente, Homöopathie oder weitere es wieder? Kommt es nicht wieder?“ (ÖE: 353). Maßnahmen an, um Symptome zu lindern oder zu be- „Hoffen“ beinhaltet Zuversicht bezüglich des Anspre- kämpfen. Zu den unterstützenden Strategien gegen den chens der Chemotherapie und Genesung. Die Befragten Kontrollverlust zählten auch Maßnahmen, die das Wohl- hoffen, zeitweise ohne Therapie auszukommen und die befinden stärken und im Alltag Energie geben, beispiels- verbleibende Zeit genießen zu können. „Hoffen“ bedeutet weise Entspannungstechniken wie Yoga, Eurhythmie Wohlergehen in der Situation, obwohl die Krankheit mit und Reiki: Beeinträchtigungen verbunden ist. „Reiki – das tat mir gut als Ausgleich, um vieles besser Religiosität und Spiritualität geben den Teilnehmenden zu verstehen. Das hat mir sehr geholfen. Ich denke, das Kraft und wirken hilfreich während der Therapie. Um das sollte jeder machen“ (ÖE: 274). Immunsystem zu stärken, nehmen sie spezifische Mittel © 2019 Hogrefe Pflege (2019), 1–8
6 I.Kaufmann-Molnàr et al.: Chemotherapeutischen Nebenwirkungen bei Kolonkarzinom ein. Sie hoffen und glauben, dass ihnen diese Mittel guttun Der Wechsel zwischen „Bangen“ und „Hoffen“ steht für und unterstützend wirken: die Teilnehmenden in der vorliegenden Studie im Vorder- „Ich glaube an meine Aloe. Ich glaube, da steht auch, grund und scheint für Menschen mit einer Tumorerkran- dass man [dieses Mittel] während der Chemo nehmen kung charakteristisch zu sein. Auch Gafner, Eicher, Spirig darf “ (UN: 542). und Senn (2013) beschrieben, dass Frauen mit vulvären Es zeigt sich, dass die Betroffenen an Gewohntem fest- intraepithelialen Neoplasien sich vor Rezidiven fürchten halten müssen, um die Herausforderungen ihrer Lebens- und hoffen, dass die eingeleitete Therapie zur Bekämpfung situation zu bewältigen. der Krankheit beiträgt. Brown, de Graaf und Hillen (2015) thematisierten ebenfalls einen Wechsel der Gefühle zwi- ${protocol}://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1012-5302/a000676 - Friday, June 07, 2019 2:26:37 AM - Universität Basel IP Address:145.250.209.1 schen Hoffnung, Unsicherheit und Zweifel je nach Diagno- se und Prognose. Die Betroffenen bringen Hoffnung mit Diskussion kurzfristigen, erreichbaren Zielen in Verbindung. Sie schät- zen die kleinen Dinge des Lebens, Momente des Glücks Diese Studie untersuchte, welche Bewältigungsstrategien und der Hoffnung (Eustache, Jibb & Grossman, 2014). Menschen mit Kolonkarzinom im Umgang mit ihrer Die Suche nach Normalität wird in der vorliegenden Stu- Krankheit, den Symptomen und den chemotherapeuti- die mit Hoffnung und Kontrolle beschrieben. Durch diesen schen Nebenwirkungen anwenden. Prozess erlernen die Menschen neue Möglichkeiten, die Die Ergebnisse zeigen, dass die Betroffenen Strategien Kontrolle wiederzuerlangen, und die Zukunft neu zu gestal- entwickeln, um den Alltag zu bewahren und die Kontrolle ten. Um die Kontrolle wiederzuerlangen, sind die Strategi- wiederzuerlangen. Als zentrale Erfahrung erweist sich das en der Betroffenen darauf ausgerichtet, die Normalität im Oszillieren zwischen Bangen und Hoffen im Krankheits- täglichen Leben trotz der Krankheit aufrecht zu erhalten. prozess. Mit der Krebsdiagnose werden die Betroffenen Diese Normalität vermittelt ihnen Sicherheit. Asiedu et al. aus ihrem aktiven Leben herausgerissen und verlieren zu- (2014) sowie Eustache et al. (2014) berichteten, dass das nehmend die Kontrolle über ihr Leben. Die Teilnehmen- Bewahren der Alltagsroutine eine wichtige Bewältigungs- den haben Angst und fühlen sich ausgeliefert. Nach der strategie darstellt. Hierzu gehören Familientreffen, Gesel- Diagnose ist der Krebs im Alltag präsent. Die Betroffenen ligkeit mit Freunden, seinen Hauptinteressen nachgehen werden während der Behandlung und Nachsorge immer und das Aufrechterhalten des Lebensstils. Gemäß Shaha wieder an die Erkrankung erinnert. Dies wird als „Omni- (2003) beinhaltet „die Zukunft neu zu entwerfen“ mit der präsenz von Krebs“ bezeichnet (Shaha, 2003; Shaha et Erkrankung und der Ungewissheit im Alltag sowie den Ver- al.,2013). Die ständige Auseinandersetzung mit der End- änderungen zu leben und die Kontrolle wiederzuerlangen lichkeit ist anstrengend, macht müde und verringert die (Shaha, 2003; Shaha & Cox 2003; Shaha et al., 2013). Lebensqualität. Den Betroffenen wird ihre kürzere Lebens- Die Konstrukte Ungewissheit, Vergänglichkeit und zeit bewusst. Sie fühlen sich bedroht. Dies löst Angst und Kontrolle hängen zusammen und beeinflussen sich Unsicherheit aus. Diese Verlusterfahrungen zeigen die ei- (Shaha, 2003; Shaha & Cox, 2003; Shaha et al., 2013). genen Grenzen auf und werden mit Bangen beschrieben. Menschen mit Kolonkarzinom, die eine aktive Rolle im Verlusterfahrung als Ausdruck eigener Grenzen Suche nach Normalität im Alltag Verlust der Autonomie und Kontrolle Kontrolle wiedererlangen Erleben der Abhängigkeit Erleben der Endlichkeit Zwischen Verlust und und eigenen Grenzen Normalität und Alltag helfen Normalität Bangen und Hoffen Kontrollverlust vermeiden Nach Möglichkeiten suchen Sich Wissen aneignen Abbildung 1. Zentrales Konzept – zwischen Verlust und Normalität Bangen und Hoffen. Pflege (2019), 1–8 © 2019 Hogrefe
I.Kaufmann-Molnàr et al.: Chemotherapeutischen Nebenwirkungen bei Kolonkarzinom 7 Behandlungs- und Pflegeprozess einnehmen und mitbe- lichkeit, die eigene Haltung und bisherige Lebensweise stimmen, können ihre Erkrankung besser verarbeiten. werden erfasst. Die Betroffenen werden als Person wahr- Kidd et al. (2009) beschreiben zwei Personengruppen: genommen. Die Alltagsbewältigung der Betroffenen steht Einerseits die „Kontrollierer“, welche weniger chemothe- im Vordergrund. Die Pflegefachperson ist mitfühlend rapeutische Nebenwirkungen hatten und die vorgeschla- präsent und authentisch. Mit dem Betroffenen entwickelt genen Empfehlungen umsetzten, andererseits die Perso- die Pflegefachperson zusammen einen Maßnahmenplan nen mit „wenig wahrgenommener Kontrolle“, welche sich und befähigt diese, ihre Situationen besser bewältigen zu eher passiv verhielten. Die Nebenwirkungen traten sowie- können. In den Beratungsgesprächen während des ganzen so auf und konnten in ihrer Wahrnehmung weder verhin- Behandlungsprozesses wird das Patientenwissen gefördert ${protocol}://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1012-5302/a000676 - Friday, June 07, 2019 2:26:37 AM - Universität Basel IP Address:145.250.209.1 dert noch beeinflusst werden. Ramfelt und Lützén (2005) und der Umgang mit der chronischen Erkrankung gezielter beschrieben, dass die „konforme Beteiligung“ mit offe- unterstützt. Die Selbstpflegefähigkeiten der Betroffenen nem Dialog und Diskussionen mit Pflegefachpersonen werden gestärkt und das Selbstmanagement gefördert. Da- und Ärzten förderlich ist. Der Dialog bewirkt eine Wie- bei gilt es zu prüfen, welche Strategien Pflegefachpersonen dergewinnung der Beherrschung über Behandlung und stärken können, damit die Betroffenen eigenverantwort- Pflege. Die Informationen und das Wissen können ange- liche Akteure werden. Deshalb wird auf Basis der vorlie- eignet werden. Vertrauen, Selbstvertrauen, Selbstkompe- genden Studie empfohlen, neue Beratungs- und Informa- tenz und Patientenautonomie werden dadurch gestärkt. tionsmodelle zu entwickeln und zu evaluieren. Dies führt zur Förderung des Selbstmanagements. Pflege- Für die Pflegepraxis ist es essentiell, hoffnungsgebende fachpersonen befähigen oder unterstützen Menschen, ihre Maßnahmen in die Alltagsroutine der Betroffenen einzu- Strategien im Umgang mit den Herausforderungen chroni- arbeiten und mit ihnen zusammen kurzfristige Ziele zu scher Krankheiten umzusetzen (Lorig & Holman, 2003). setzen. Hoffnung stellt für Menschen mit einem Kolonkar- zinom ein bedeutsames Konzept dar, das weiter explorativ erforscht werden sollte, um mit spezifischem Wissen den Limitationen und Stärken Bedürfnissen dieser vulnerablen Menschen adäquat be- gegnen zu können. Eine Stärke dieser Studie ist das deskriptiv-explorative qualitative Design. Es ermöglicht ein induktives Vorgehen. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich gut in bereits bestehendes Wissen einordnen (Sandelowski, 2000). Literatur Durch selektives Kodieren war es möglich, die zentrale Asiedu, G. B., Eustace, R. W. & Eton, D. T., Radecki Breitkopf, C. Kategorie zu identifizieren: „Zwischen Verlust und Nor- (2014). Coping with colorectal cancer: a qualitative exploration malität bangen und hoffen“. Eine Datensättigung wurde with patients and their family members. Family Practice, 31(5), aufgrund der kleinen Untersuchungsgruppe in Bezug auf 598 – 606. Geschlechterverteilung, Tumorstadien und unterschiedli- Brown, P., de Graaf, S. & Hillen, M. (2015). The inherent tensions chen Chemotherapiezyklen nicht erreicht. Eine Person and ambiguities of hope: towards a post-formal analysis of experiences of advanced-cancer patients. Health London, hatte den ersten Chemotherapiezyklus und eine weitere 19(2), 207 – 225. Person den letzten Zyklus einen Monat vor Studienbeginn Bundesamt für Statistik [BFS]. (2016). Schweizer Krebsbericht abgeschlossen. Bei einem Interview war die Partnerin an- 2015. Stand und Entwicklungen. Neuchâtel: Bundesamt für wesend, was möglicherweise das Antwortverhalten des Statistik. http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/ publikationen.html?publicationID=6948 [31.05.2016]. Befragten beeinflusste. Ein Teil der Interviews fand im Coolbrandt, A., Dierckx de Casterlé, B., Wildiers, H., Aertgeerts, B., Spital statt. Es lässt sich nicht ausschließen, dass sozial Van der Elst, E., van Achterberg, T. et al. (2016). Dealing with erwünschte Antworten das Ergebnis beeinflussten. Eben- chemotherapy-related symptoms at home: a qualitative study so ist anzunehmen, dass weitere Teilnehmende neue in adult patients with cancer. European Journal of Cancer Care, 25(1), 79 – 92. Aspekte thematisiert hätten. Creswell, J. W. (2013). Qualitative Inquiry and Research Design. Choosing among five Approaches. Third Edition. Thousand Oaks: Sage Publications. Schlussfolgerungen Eustache, C., Jibb, E. & Grossman, M. (2014). Exploring hope and healing in patients living with advanced non-small cell lung cancer. Oncology Nursing Forum, 41(5), 497 – 508. Hoffnung stellt für Menschen mit Kolonkarzinom eine Flick, U. (2009). An introduction to qualitative research. 4th Edition. wichtige Bewältigungsform dar. Die Hoffnung ermöglicht Los Angeles: Sage. ihnen, dem Verlust von Autonomie und Kontrolle besser Flick, U., von Kardorff, E. & Steinke, I. (Hrsg.). (2013). Qualitative Forschung: Ein Handbuch. (10. Aufl.). Reinbeck bei Hamburg: begegnen zu können. Der Einbezug der Betroffenen und Rowohlt Taschenbuch Verlag. ihrer Angehörigen in den Pflege- und Behandlungsprozess Gafner, D., Eicher, M., Spirig, R. & Senn, B. (2013). Bangen und ist unabdingbar. Die personenzentrierte Pflege beginnt mit Hoffen: Erfahrungen von Frauen mit vulvären intraepithelialen der Sozialanamnese des Betroffenen. Erhoben werden die Neoplasien während des Krankheitsverlaufs – Eine qualitative Studie. Pflege, 26(2), 85 – 95. Präferenzen, wie die Betroffenen zu Hause leben, was Grove, S. K., Burns, N. & Gray, J. R. (2013). The Practice of Nursing ihnen wichtig ist, wer seine Bezugspersonen sind und Research. Appraisal, Synthesis, and Generation of Evidence. welche Anliegen, Sorgen, Ängste sie haben. Die Persön- Seventh Edition. St. Louis: Elsevier Saunders, 175 – 183. © 2019 Hogrefe Pflege (2019), 1–8
8 I.Kaufmann-Molnàr et al.: Chemotherapeutischen Nebenwirkungen bei Kolonkarzinom Houldin, A. & Lewis, F. M. (2006). Salvaging their normal lives: a World Medical Association (2008). The World Medical Association qualitative study of patients with recently diagnosed advanced Declaration of Helsinki – Ethical Principles for Medical Re- colorectal cancer. Oncology Nursing Forum, 33(4), 719 – 725. search Involving Human Subjects. http://www.wma.net/en/30p Hopf, C. (2013). Qualitative Interviews – Ein Überblick. In: Flick, U.; ublications/10policies / b3/index.html [11.06.2015]. von Kardorff; E.; Steinke, I. (Hrsg.), Qualitative Forschung: Ein Handbuch. 10. Aufl. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschen- buch Verlag, 349 – 360. Historie Kidd, L., Hubbard, G., O'Carroll, R. & Kearney, N. (2009). Perceived Manuskripteingang: 12.11.2017 control and involvement in self-care in patients with colorectal Manuskript angenommen: 15.01.2019 cancer. Journal of Clinical Nursing, 18(16), 2292 – 2300. Onlineveröffentlichung: 09.04.2019 Kuckartz, U. (2010). Einführung in die computergestützte Analyse ${protocol}://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1012-5302/a000676 - Friday, June 07, 2019 2:26:37 AM - Universität Basel IP Address:145.250.209.1 qualitativer Daten: Lehrbuch. 3., aktual. Auflage. Wiesbaden: Beitrag der Autorinnen und Autoren: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 12 – 56. Entwicklung des Studienprotokolls: IK, AF, HH Lorig, K. & Holman, H. (2003). Self-management education: History, Datenerhebung: IK definition, outcomes, and mechanisms. Annals of Behavioral Datenmanagement: IK Medicine, 26(1), 1 – 7. Datenanalyse: IK, AF Mey, G., & Murck, K. (2011). Grounded Theory Reader. Methodologie, Begleitung im Analyseprozess: AF Entwicklung, Stand, Perspektiven. 2., aktual. erweiterte Auflage: Verfassen des Manuskripts: IK, AF Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 11 – 50. Kritische Kommentierung des Manuskriptentwurfs: AF, HH National Comprehensive Cancer Network (2018). Clinical Practice Guidelines in Oncology. Colon Cancer. https://www.nccn.org/ Danksagung professionals/physician_gls/pdf/colon.pdf [11.03.2018]. Herzlichen Dank allen Teilnehmenden für ihre Bereitschaft, offen Ramfelt, E., Severinsson, E. & Lützén, K. (2002). Attempting to find über ihre Erfahrungen und Strategien zu sprechen. meaning in illness to achieve emotional coherence. The experi- ences of patients with colorectal cancer. Cancer Nursing, 25(2), ORCID 141 – 149. Ilona Kaufmann-Molnàr Ramfelt, E. & Lützén, K. (2005). Patients with cancer: their approa- https://orcid.org/0000-0001-7019-7177 ches to participation in treatment plan decisions. Nursing Ethics, 12(2), 143 – 155. Saldaña, J. (2013). The Coding Manual for qualitative Researchers. Second Edition. Los Angeles: Sage. Sandelowski, M. (2000). Focus on Research Methods. Whatever happened to qualitative de-scription. Research in Nursing & Ilona Kaufmann-Molnàr Health, 23(4), 334 – 340. Universitätsspital Basel Sandelowski, M. (2010). What's in a name? Qualitative description Petersgraben 4 revisited. Research in Nursing & Health, 33(1), 77 – 84. 4051 Basel Shaha, M. (2003). Leben mit Darmkrebs. Eine ontisch-empirische ilona.kaufmann-molnar@usb.ch Studie. Pflege, 16, 323 – 330. Shaha, M. & Cox C. L. (2003). The omnipresence of cancer. Euro- pean Journal of Onclogy Nursing, 7(3), 191 – 196. Shaha, M., Käppeli, S. & Schnepp, W. (2013). Aus der Praxis zurück: Zwischenverpflegung Theorieentwicklung. Von der Studie zur Theorie. Die Theorieentwicklung in der Pflegewissenschaft illustriert am Beispiel „Omnipräsenz von Krebs“. Pflegewissen- Was war die größte Herausforderung bei ihrer Studie? schaft 7 – 8(13), 389 – 400. Die Darstellung der Ergebnisse und Beschreibung des Modells, Steinke, I. (2007). Qualitätssicherung in der qualitativen For- damit die Zusammenhänge verständlich sind. schung. In Kuckartz, U.; Grunenberg, H.; Dresing, T. (Hrsg.), Qua- Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? litative Datenanalyse: computergestützt. Methodische Hinter- Ich wünsche mir, dass Pflegefachpersonen die Betreuung der Be- gründe und Beispiele aus der Forschungspraxis. Wiesbaden: troffenen und Familien sicherstellen und die Patienten bezüglich Verlag für Sozialwissenschaften. Hoffnung mehr unterstützen. Spichiger, E., Rieder, E., Müller-Fröhlich, C. & Kesselring, A. (2012). Fatigue in patients undergoing chemotherapy, their self-care Was empfehlen Sie zum Weiterlesen / Vertiefen? and the role of health professionals: A qualitative study. Euro- Johnson, S. (2007). Hope in terminal illness: an evolutionary pean Journal of Oncology Nursing, 16(2), 165 – 171. concept analysis. International Journal of Palliative Nursing 13(9), Tracy, S. Y. (2010). Qualitative quality: Eight “big-tent” criteria for 451 – 459. excellent qualitative research. Qualitative Inquiry, 16 (10), 837 – 851. Pflege (2019), 1–8 © 2019 Hogrefe
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