Chronisches Fatigue-Syndrom/CFS

 
WEITER LESEN
originalie

 Chronisches Fatigue-Syndrom / CFS
     Praktische Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie

     C. Scheibenbogen1, K. Wittke1, L. Hanitsch1,      Differentialdiagnose der                     (bei Kindern länger als drei) Monate
     P. Grabowski , U. Behrends
                  1               2
                                                       Chronischen Fatigue                          bestehen. Auch andere Aus­löser, wie
                                                       Unter Fatigue versteht man eine zu           ein HWS-Trauma oder eine Operation,
                                                       den vorausgegangenen Anstrengungen           sind möglich. Die Symptomatik kann
     Das CFS ist eine eigenständige kom­               unverhältnismäßige, sich durch Schlaf        aber auch schleichend beginnen. Nicht
     plexe chronische Erkrankung. Meist                nicht bessernde krankhafte Erschöp­          selten fällt eine Phase körperlicher
     kommt es nach einer Infektion zu einer            fung körperlicher und/oder geistiger         Anstrengung oder psychischer Belas­
     schweren Erschöpfung und Belas­                   Art. Fatigue ist ein häufiges Symptom        tung mit dem Krankheitsbeginn zu­       ­
     tungsintoleranz, die stets mit ausge­             vieler internistischer und neurologi­        sammen [2]. Neben oft anhaltenden
     prägten körperlichen und kognitiven               scher Erkrankungen mit geringer Spe­         Infekt-assoziierten Symptomen, wie
     Symptomen einhergeht. Das CFS ist                 zifität. Die Differentialdiagnose der        grippeähnlichem Gefühl, Halsschmer­
     abzugrenzen von chronischer Fatigue,              Fatigue ist umfangreich (vgl. Tab. 1) [1].   zen, schmerzhaften Lymphknoten und
     die bei ganz unterschiedlichen Erkran­            Häufige Ursachen sind Eisenmangel,           subfebrilen Temperaturen, treten meist
     kungen, wie Krebs oder Autoimmuner­               Medikamentennebenwirkungen (insbe­           ausgeprägte Konzentrations- und Ge­­
     krankungen, häufig auftritt.                      sondere Antidepressiva), chronische          dächtnisprobleme, Wortfindungs- und
                                                       Organerkrankungen, Depression und            Artikulationsstörungen, sensorische
 Das CFS ist eine häufige Erkrankung. In               Schlafstörungen. Fatigue ist auch ein        Überempfindlichkeit (Überempfindlich­
 Deutschland geht man nach einer Stu­                  Symptom vieler immunpathologischer           keit für Licht, Lärm und Gerüche) sowie
 die des Bundesministeriums für Ge­     ­              Erkrankungen, so tritt Fatigue häufig        oft eine psychomotorische Verlangsa­
 sundheit aus dem Jahr 1993 von einer                  bei Autoimmunerkrankungen auf, bei           mung auf. Aufgrund der neurokogniti­
 Prävalenz von 0,3 Prozent aus. Diese                  chronischen Infektionserkrankungen           ven Symptome wird im Englischen
 Zahlen decken sich mit denen aus                      oder unter einer immunmodulatori­            meist der Begriff Myalgische Enzepha­
 anderen Ländern. Das Haupterkran­                     schen Behandlung mit Interferon oder         lomyelitis (ME) verwendet. Inzwischen
 kungsalter liegt bei elf bis 40 Jahren,               Checkpoint-Inhibitoren. Auch bei der         findet sich oft auch die Bezeichnung
 Frauen erkranken doppelt so häufig.                   Tumorfatigue, die bei etwa 30 Prozent        CFS/ME. Trotz der Chronischen Fatigue
 Die Versorgungssituation der Patienten                aller erwachsenen Patienten nach Ab­­        bestehen meist schwere Schlafstörun­
 ist schlecht. Obwohl das CFS relativ                  schluss der Behandlung chronisch wird,       gen. Auch längere Pausen bewirken
 häufig ist, sind viele Ärzte mit dem                  scheint eine entzündliche Genese eine        keine Erholung. Weitere ­     Symptome
 Krankheitsbild nicht vertraut und die                 wichtige Rolle zu spielen. Eine postin­      sind Gelenk-, Muskel- und Kopfschmer­
 Rate der Dunkelziffer und Fehldiagno­                 fektiöse Fatigue tritt häufig nach einer     zen, die nicht bei allen Patienten auf­
 sen ist vermutlich hoch. Es fehlen ge­­               späten symptomatischen Erstinfektion         treten und variabel ausgeprägt sind.
 zielte, kurative Behandlungsmöglich­                  mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), der        Manche Patienten haben generalisierte
 keiten und für die erwachsenen Patien­                Infektiösen Mononukleose (syn. Pfeif­        Schmerzen wie bei einer Fibromyalgie.
 ten besteht derzeit kaum Aussicht auf                 fersches Drüsenfieber) auf, aber auch        Charakteristisch für die Erkrankung ist
 Besserung und Wiedereingliederung ins                 andere Infektionen können zu einer           die oft erst Stunden später oder am
 Berufsleben.                                          viele Wochen bis Monate anhaltenden          Folgetag einer (leichten) Anstrengung
                                                       Fatigue führen.                              auftretende Verschlechterung, die so­­
                                                                                                    genannten post­    exertionelle Fatigue
 1
         Institut für Medizinische Immunologie         Klinik des Chronischen                       oder Malaise, die tage- oder manchmal
         Charité – Campus Virchow-Klinikum             Fatigue-Syndroms                             sogar wochenlang anhalten kann. Viele
         Universitätsmedizin Berlin                    Die Erkrankung beginnt meist akut im         Patienten leiden unter einer Häufung
     2
         Technische Universität München,               Anschluss nach einer Infektion. Das          von Infektionen oder neu aufgetrete­
         Fakultät für Medizin, Klinik und Poliklinik   CFS wird jedoch nur diagnostiziert,          nen Allergien. Infekte verlaufen oft pro­
         für Kinder- und Jugendmedizin                 wenn die Symptome länger als sechs           trahiert und führen zu einer Zunahme

26                                                                                                                       Ärzteblatt Sachsen 9|2019
originalie

Tab. 1: Wichtige Differentialdiagnosen der chronischen Fatigue

 Rheumatologie                    Endokrinologie/      Hämato/Onkologie   Infektionen     Gastroentero-     Neurologie/Psychiatrie
                                  Gynäkologie                                             logie

 Undifferenzierte                 Diabetes mellitus    Anämien            Chronische      CED               Depression
 ­Kollagenose                                                             Hepatitiden

 Polymyalgia rheumatica           Hypothyreose         Tumorfatigue       Lyme-­          Zöliakie          Multiple Sklerose
                                                                          Borreliose

 Lupus erythematodes              Hashimoto-           Hämo-chromatose    HIV-Infektion   PBC/PSC           Myasthenia gravis
                                  Threoiditis*

 Sjögren-Syndrom                  Morbus Addison       ITP                Chronische      M. Meulengracht   Parkinson/Alzheimer
                                                                          Sinusitiden

 Sarkoidose                       Hypercalcämie        Checkpoint-­       Chronische                        Schlafstörungen
                                                       Inhibitoren        Enterovirus-
                                                                          infektionen

 M. Bechterew/                    Endometriose*                                                             Cevikale Spinalstenosen/
 Psoriasisarthritis                                                                                         HWS Schleudertrauma

 Fibromyalgie*                                                                                              ADHS
*kann als Komorbidität von CFS auftreten
CED = chronische entzündliche Darmerkrankung
PBC/PSC = primäre biliäre/sklerosierende Cholangitis
ITP = idiopathische thrombopenische Purpura

aller Be­­schwerden. Häufig bestehen     beginnt die Erkrankung mit einer Infek­             nismen von Fatigue sind je nach
Symptome einer autonomen Dysfunk­        tion, neben EBV sind Herpes simplex                 Erkrankung unterschiedlich. Während
tion, die sich mit Tachykardie, orthosta­Virus Typ 1 (HSV-1) und Humanes Her­                proinflammatorische Zytokine insbe­
tischer Intoleranz, Schwindel, Atem­     pesvirus Typ 6, Enteroviren, Influenza,             sondere Interleukin-1 (IL-1) und Tumor­
beschwerden, Mundtrockenheit, Reiz­      Borrelien, Chlamydien, Legionellen und              nekrosefaktor (TNF) bei der Tumor­
darm oder Reizblase äußern kann. Das     Coxiellen als Trigger beschrieben wor­              fatigue und auch bei Autoimmun­
CFS ist unbehandelt meistens chro­       den. Obwohl CFS oft mit einem Infekt                erkrankungen eine Rolle spielen, ist das
nisch und führt bei vielen Betroffenen   beginnt und viele Patienten anhaltende              bei CFS nicht der Fall.
zur Berufsunfähigkeit. In Studien zur    Infektsymptome haben, lässt sich eine
Prognose des CFS erzielten 40 Prozent    aktive Infektion nur noch bei einem klei­           Diagnostik
der erwachsenen Patienten im Verlauf     nen Teil der Patienten nachweisen [4].              Das CFS wird bislang über klinische
eine Verbesserung (Bereich acht bis 63   Pathogenetisch wird bei CFS-Erkran­                 Symptome definiert. Für die Diagnostik
Prozent); acht bis 30 Prozent haben      kungen, die durch eine Infektion ausge­              werden die Kanadischen Konsensus
ihre Arbeit wiederaufgenommen [3].       löst werden, eine gestörte Immunregu­               Kriterien (CCC) international am häu­
                                         lation mit Autoimmunität angenom­                    figsten verwendet. Diese „Kanadischen
Pathomechanismus des                     men [5]. Viele Patienten leiden unter               Kriterien“ finden sich auf der Website
Chronischen Fatigue-Syndroms             autonomen Funktionsstörungen mit                     des Charité Fatigue Centrums (https://
Die genaue Ursache der Erkrankung ist (lageabhängiger) Tachykardie, Reizdarm,                 cfc.charite.de) in deutscher Überset­
bislang nicht geklärt. Das CFS wird von Atembeschwerden und Temperatur­                      zung. Das CFS kann nur diagnostiziert
den meisten Ärzten und Wissenschaft­ empfindlichkeit. Eine gestörte Gefäßre­                  werden, wenn die Symptome länger als
lern als eine Multisystemerkrankung gulation mit endothelialer Dysfunktion                   sechs Monate bestehen.
betrachtet mit Dysregulation des und cerebraler Hypoperfusion wurde in                       Klinisch fällt oft das blasse, bei Schwer­
Immunsystems, des Nervensystems mehreren Studien gezeigt. Mehrere                             kranken manchmal auch leicht ge­        ­
und des zellulären Energiestoffwech­ aktuelle Studien zeigen metabolische                    schwollene Gesicht auf, die Hände
sels. Das CFS ist im ICD-10 als Erkran­ Störungen passend zu einem vermin­                   ­können kalt, die Haut schwitzig sein.
kung des Nervensystems unter G93.3 derten Energiestoffwechsel insbeson­                      Fatigue ist zunächst ein subjektives
klassifiziert. Bei den meisten Patienten dere der Muskulatur. Die Pathomecha­                Symptom. Die Schwere der Symptome

Ärzteblatt Sachsen 9|2019                                                                                                               27
originalie

 können mit Fragebögen wie dem SF-36          untersucht werden, die selten chro­           CFS auffällig sein können, bislang aber
 für körperliche Funktionsfähigkeit oder      nisch sein kann.                              nicht in Studien validiert sind. Erhöhte
 der Chalder Fatigue Scale erfasst wer­       Autoimmunerkrankungen treten häufi­           Autoantikörper gegen adrenerge und
 den. Die verminderte Muskelkraft kann        ger bei den Patienten und in der Fami­        muskarine Re­­zeptoren lassen sich bei
 mit einem Handkraft-Dynamometer              lie auf. Eine begleitende Hashimoto-          einem Teil der Patienten nachweisen [8].
 gemessen werden. Eine Ruhetachykar­          Thyreoiditis findet sich bei zehn bis 20
 die besteht häufig, eine lageabhängige       Prozent. Antinukleäre Antikörper (ANA)  Für die Abgrenzung gegenüber anderen
 (posturale) Tachykardie (= Pulsanstieg       sind bei etwa 20 Prozent erhöht und     Formen von Fatigue wird auch auf den
 >30/Minute im Stehen) liegt bei etwa         sollten weiter auf eine Kollagenose     Artikel Müdigkeit im Harrison verwie­
 20 Prozent vor und kann durch Puls-          abgeklärt werden. Bei Sicca-Sympto­     sen [1]. Es sollte immer eine ergän­
 Messungen im Liegen und im Stehen            matik sollte ein Sjögren-Syndrom aus­   zende Diagnostik zum Ausschluss
 objektiviert werden. Die besonders           geschlossen werden, das auch mit        anderer internistischer und begleiten­
 schwer Erkrankten sind bettlägerig und       schwerer Fatigue einhergehen kann.      der Erkrankungen erfolgen, die zu
 oft auch extrem empfindlich gegenüber        Wenn neurologische Symptome vor­        Fatigue führen können. Ein Vorschlag
 Licht und Geräuschen.                        liegen (am häufigsten Parästhesien,     für eine Stufendiagnostik findet sich in
 Es sollte eine gezielte Infektionsanam­      Brennen, Muskelzucken, restless legs,   Tabelle 2. Eine Schlafstörung liegt bei
 nese erhoben werden, mit besonderem          deutliche kognitive Einschränkungen)    CFS fast immer vor, jedoch sollte bei
 Augenmerk auf Fragen nach Zecken­            sollte eine neurologische Untersuchung  Hinweisen auf eine obstruktive Schlaf­
 bissen und Auslandsaufenthalt. Bei           erfolgen. Bei einem Teil der Patienten  apnoe eine Schlaflabordiagnostik erfol­
 einer Zeckenanamnese sollte ein Bor­         lässt sich bioptisch eine small fiber-  gen. Die Depression ist eine wichtige
 relien-ELISA und falls positiv ein ergän­    Neuropathie nachweisen. Über eine       Differenzialdiagnose bei schleichen­
 zender Westernblot durchgeführt wer­         Reizdarmsymptomatik berichten viele     dem Krankheitsbeginn. Trotz der chro­
 den. Ein kleiner Teil der Patienten leidet   Patienten, der Koloskopiebefund ist bei nischen Erkrankung, die viele Patienten
 an häufig rezidivierenden HSV-1-, HSV-2-     CFS typischerweise unauffällig.         in ihrer Existenz bedroht, sind die
 oder Varizella zoster-Virus-Infektionen,                                             meisten Patienten jedoch nicht depres­
 im Zweifel kann eine PCR aus Bläs­           Es gibt bislang keinen spezifischen siv. Die Diagnose CFS ist manchmal
 cheninhalt erfolgen. Bei einem Teil der      diag­
                                                  nostischen Marker für CFS. Ent­ nicht sicher zu stellen beziehungsweise
 Patienten wurde serologisch eine fri­        zündungsparameter wie C-reaktives abzugrenzen, wenn die Krankheit nicht
 sche EBV-Erstinfektion als Krankheits­       Protein (CRP) und Blutsenkungsge­ mit einer Infektion beginnt oder Be­          ­
 auslöser nachgewiesen. Eine aktive           schwindigkeit sind normal. Bei etwa gleit­­erkrankungen vorliegen.
 EBV-Infektion findet sich jedoch selten      einem Drittel der Patienten findet sich
 bei CFS. Nach eigenen Untersuchungen         ein Mangel von Immunglobulin-Haupt- Behandlung
 lässt sich bei etwa zehn Prozent der         oder -Subklassen. Bei etwa zehn Pro­ Das CFS ist eine chronische Erkrankung
 erwachsenen CFS-Patienten eine leicht        zent der Patienten findet sich jedoch und es sind bislang keine Medikamente
 erhöhte EBV-Last mittels PCR im Blut         auch eine polyklonale Immunglobulin­ zur kausalen Therapie verfügbar. Die
 nachweisen und bei weiteren zehn Pro­        vermehrung [7]. Es gibt verschiedene Behandlung des CFS ist daher bislang
 zent findet sich eine auffällige EBV-        Laborparameter, die bei Patienten mit symptomorientiert und zielt darauf ab,
 Serologie mit positivem EBV-VCA-IgM
 oder EA-IgG als möglicher Hinweis für        Tab. 2: Chronische Fatigue: Empfehlung für eine ambulante Stufendiagnostik
 eine zurückliegende Reaktivierung [6].         1. Stufe   Anamnese                        Dauer, auslösendes Ereignis, Schwere,
 Bei häufigen bakteriellen Atemwegsin­                                                     Begleitsymptome, Begleiterkrankungen
 fektionen sollte ein Erregernachweis                      Labor                           Blutbild, TSH, CrP, Leberwerte, Glucose,
 mit Antibiogramm erfolgen. Bei Patien­                                                    Kreatinin, Ferritin
 ten mit einer auslösenden Enteritis            2. Stufe   Anamnese                        Schlafstörungen
                                                                                           Depression (z. B. PHQ-9)
 oder Myokarditis sollte serologisch und                                                   Mögliche Medikamentennebenwirkungen
 gegebenenfalls in Stuhl oder Rachen­
                                                3. Stufe   weitergehende Symptom-
 spülwasser auf Enteroviren getestet                       orientierte Diagnostik
 werden. Bei Tierkontakt und Erkran­                       > 6 Monate und Infekt­
 kung mit hohem Fieber sollte serolo­                      beginn: Kanadische ­Kriterien
                                                           für CFS
 gisch auch auf eine Coxielleninfektion

28                                                                                                                  Ärzteblatt Sachsen 9|2019
originalie

 Symptome der Erkrankung zu lindern         Verhaltenstherapie gerechtfertigt. Einige    mit 300 bis 500 mg täglich hilft vielen
 und Überanstrengung zu vermeiden,          neuromodulatorische Medikamente             Patienten. Ein Eisen-, Folsäure-, Vita­
 die zu einer Verschlechterung der          zeigten in kleinen Studien Wirksamkeit.      min B12- und Vitamin D-Mangel muss
 Be­schwerden führt, Infektionen und        Ein wichtiger Baustein in der Behand­        behandelt werden. Die Ernährung soll­
 andere Ursachen für eine Immunakti­        lung ist die Infektionskontrolle. Bei        ­te proteinreich sein und ausreichend
 vierung zu behandeln und Mangelzu­         Patienten, die unter häufigen Herpes­         ungesättigte Fettsäuren, zum Beispiel
 stände zu beheben. Durch symptoma­         virusrezidiven leiden, kann geprüft           in Form von Omega3-Fettsäuren und
 tische Therapie, Stressreduktion und       werden, ob es unter einer Suppressi­        Walnüssen, enthalten. Nahrungsmit­
 das sogenannte „Pacing“ kann es lang­      onstherapie auch zu einer allgemeinen        tel­intoleranzen entwickeln sich häu­-
 fristig zur Besserung kommen. Unter        Besserung kommt (mit Aciclovir 2 x 200        fig, Kohlenhydrate und insbesondere
 Pacing wird dabei das Einhalten eines      mg oder Valaciclovir 1 bis 2 x 500 mg       ­FODMAPS und Gluten werden oft nicht
 individuellen Belastungsniveaus ver­       über mindestens acht Wochen, das für         mehr gut vertragen. Gegen Reizdarm­
 standen, sodass keine Überlastung mit      HSV2 zugelassen ist). Patienten, die         beschwerden helfen auch Flohsamen­
 postexertioneller Exazerbation auftritt.   mit häufigen bakteriellen Infekten der      schalen. Aktuelle Studien zeigen neben
 CFS-Patienten müssen deshalb zual­         Atemwege zu tun haben, sollten gezielt        der Verminderung von ungesättigten
 lererst ihren Lebensstil der Krankheit     nach Antibiogramm behandelt werden.         Fettsäuren auch eine Verminderung
 anpassen und Belastungsspitzen             Bei manchen Patienten, die an einem         von Phospholipiden, die unter anderem
„glätten“. Möglicherweise lässt sich        Immunglobulinmangel und häufigen              in Eigelb und Soja enthalten sind.
 durch das präventive „Pacing“ auch die     bakteriellen Infekten leiden, besteht       Schwer kranken Patienten ist manch­
 Prognose günstig beeinflussen. Auch        die Indikation für eine Immunglobulin-       mal sogar die Nahrungsaufnahme zu
 Entspannungstechniken sind ein wich­       G-Substitution. Diese kann subkutan         anstrengend, sodass die Patienten auf
 tiger Baustein in der Behandlung. Der      zuhause erfolgen. Eine längerdauernde       Trinknahrung angewiesen sind.
 oft begleitenden sensorischen Über­        antibiotische Therapie führte bei man­      Zwei Studien aus Norwegen zeigten die
 empfindlichkeit kann durch Gehör­          chen erwachsenen Patienten zur Bes­         Wirksamkeit des B-Zell-depletierenden
 schutz (zum Beispiel Ohrenstöpsel,         serung (Azithromycin 3 x 500 mg in der      Antikörpers Rituximab bei über der
 akustische Filter), Sonnenbrillen oder     Woche über sechs Wochen, [9]; Minocy­       Hälfte der Patienten [11]. Die Ergeb­
 Bildschirmschoner begegnet werden.         clin oder Doycyclin 1 x 100 mg über drei     nisse der gerade veröffentlichten
 Die oft und insbesondere in Phasen der     Monate bei CFS nach Coxiella-Infektion,     Multizenterstudie sind leider negativ,
                                                                                        ­
 postexertionellen Malaise ausgeprägte      [10]). Möglicherweise ist die Wirksam­       jedoch wurde die Dosis im Vergleich zu
 seelische Erschöpfung mit Traurigkeit,     keit dieser Antibiotika auch auf ihren        den ersten Studien halbiert. Ein positi­
 Ängstlichkeit und genereller Unsicher­     immunmodulatorischen Effekt zurück­         ves Ergebnis der Studie ist jedoch, dass
 heit erfordert viel soziale Unterstüt­     zuführen. Auch die Behandlung von           sich auch im Placeboarm die Erkran­
 zung, tragende Beziehungen und Acht­       Allergien, die bei der Erkrankung oft
                                            ­                                            kung bei 30 Prozent der Behandelten
 samkeit der Therapeuten. Selbsthilfe­      zunehmen, ist wichtig.                       besserte. Das zeigt die große Bedeu­
 gruppen und -foren können hilfreich        Häufig leiden Patienten mit CFS an           tung einer engmaschigen, engagierten
 sein. Insgesamt dürfte auch die psy­       einer Tachykardie, die beim Stehen            ärztlichen Betreuung bei dieser Erkran­
 chosoziale Unterstützung mit progno­       zunimmt (HF-Anstieg >30/Min = POTS).         kung. Weitere immunmodulatorische
 sebestimmend sein.                         Hier können vermehrtes Trinken und          Behandlungsansätze, die bei einem Teil
 Bei den häufig vorliegenden Schlafstö­     Salzzufuhr oder auch regelmäßige              der Patienten wirksam sind und im
 rungen ist Melatonin 2 bis 5 mg (Circa­    Kochsalzinfusionen dabei helfen, die oft    Rahmen von kleinen Studien geprüft
 din als retardierte Form) oft wirksam,     bestehende Hypovolämie zu bessern.           wurden, sind Immunglobulingaben,
 auch Antihistaminika der 1. Generation,    Viele Patienten nehmen sogenannte             Immunadsorption und Cyclophosphamid.
Tryptophan oder Doxepin in niedriger        Nahrungsergänzungsmittel ein, um
 Dosis (Beginn mit 2,5 bis 5 mg) können     den Energiestoffwechsel zu verbes­          Chronisches Fatigue-Syndrom bei
 hilfreich sein. Für die Behandlung         sern. Bisher gibt es nur wenige klini­      Kindern und Jugendlichen
 schwerer Schmerzen kann ein Versuch        sche Studien zur Wirksamkeit dieser         Das CFS wird mit einer geschätzten
 mit Pregabalin sinnvoll sein sowie eine    Substanzen bei CFS. Positive Daten aus      Prävalenz von 0,1 bis 0,5 Prozent auch
 multimodale Schmerztherapie. Bei           kleinen klinischen Studien gibt es für      im Kindes- und Jugendalter beobachtet.
 Patienten mit Depression ist ein Thera­    Ribose, Carnitin, CoenzymQ10 und            Allerdings finden sich für diese Alters­
 pieversuch mit Antidepressiva oder         NADH. Auch Magnesiumsubstitution            gruppe wesentlich weniger publizierte

Ärzteblatt Sachsen 9|2019                                                                                                            29
originalie

 Informationen als für erwachsene Pati­    Netzwerk der Betroffenen. Jugendliche         Hinweis
 enten. Die verfügbaren Daten zeigen       mit CFS schätzten ihre Lebensqualität         Weitere Informationen für Ärzte und
 einen Alterspeak bei Jugendlichen,        geringer ein als Gleichaltrige mit Diabe­     Patienten sind über die Seite des
 wobei auch Kleinkinder an CFS erkran­     tes, Epilepsie oder Cystischer Fibrose.       ­Charité Fatigue Centrums (https://cfc.
 ken können. Unter den Jugendlichen        Die Behandlung des CFS im Kindes-              charite.de) erhältlich. Zwei gute Über­
 sind Mädchen häufiger betroffen. In       und Jugendalter ist wie im Erwachse­          sichtsarbeiten zur Diagnostik und Ma­­
 den meisten Fällen finden sich Zeichen    nenalter bislang symptomorientiert.           nagement von CFS bei Erwachsenen
 einer akuten Infektion als Trigger der    Aufgrund der besonderen Vulnerabilität        beziehungsweise Kindern [3 und 12]
 Erkrankung, darunter häufig eine EBV-     des jungen Organismus sind Medika­            können auch bei der Deutschen Gesell­
 assoziierte infektiöse Mononukleose.      mente mit besonderer Vorsicht und nur         schaft für ME/CFS heruntergeladen
 Die Diagnose im Kindes- und Jugendal­     durch pädiatrisch geschulte Experten          werden. Dort finden sich auch Informa­
 ter beruht, wie im Erwachsenenalter,      einzusetzen. Allerdings ist eine suffi­       tionen zu Nahrungsergänzungsmitteln
 auf einer ausführlichen Anamnese          ziente und gegebenenfalls auch medi­           (https://www.mecfs.de). Die Versor­
 sowie dem sorgfältigen differenzial­      kamentöse Behandlung der führenden            gungssituation für Patienten mit CFS
 diagnostischen Ausschluss anderer         Symptome zur akuten Entlastung                 ist in Deutschland bislang sehr unbe­
 Krankheitsursachen. Rowe und Kolle­       ebenso essenziell wie zur Prävention          friedigend, da es keine spezialisierten
 gen haben ein diagnostisches klini­       von physischen und psychischen Fol­           Versorgungszentren gibt und die Be­    ­
 sches Arbeitsblatt entwickelt, welches    geschäden. Vorbestehende Komorbi­             treuung dieser oft schwer kranken
 auf den CCC beruht, aber Besonderhei­     ditäten sind angemessen zu berück­            Patienten primär beim Haus- oder Kin­
 ten der jungen Altersgruppe berück­       sichtigen. Neben ausbildungsfördernden        derarzt erfolgen muss.
 sichtigt und somit für diese empfohlen    Maß­­nahmen sollten rechtzeitig sup­
 wird [12]. Als altersspezifische Diffe­   portive psycho- und physiotherapeuti­                                Literatur bei den Autoren

 renzialdiagnosen zu berücksichtigen       sche Behandlungsmöglichkeiten aus­                                        Interessenkonflikte:
 sind neben den für erwachsene Patien­     geschöpft so­­wie die gesetzlich veran­         Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen: erhielt
                                                                                         Unterstützung für klinische Studien bei CFS und
 ten genannten auch die Schulverweige­     kerten Optionen für den Support fami­
                                                                                         Honorar für Vorträge von Takeda und Fresenius.
 rung sowie das seltene Münchhausen-       liärer Pflege wahrgenommen werden.                              Dr. med. Kirsten Wittke: keine
 by-proxy-Syndrom. Im Gegensatz zu         Engmaschige Verlaufskontrollen durch                       Dr. med. Leif Hanitsch, M.Sc.: keine
                                                                                            Priv.-Doz. Dr. med. Patricia Grabowski: keine
 Jugendlichen mit primärer Depression      einen koordinierenden Pädiater sind
                                                                                                      Prof. Dr. med. Uta Behrends: keine
 sehnen sich die meisten Teenager mit      dringend zu empfehlen.
 CFS nach mehr Aktivität und sind          Die Prognose des CFS bei Kindern und                              Korrespondierende Autorin:
                                                                                                  Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen
 hochmotiviert, ihr gesundes Leben zu­­    Jugendlichen ist den verfügbaren Daten                      Charité Campus Virchow Klinikum
 rückzugewinnen. Eine Befragung von        gemäß insgesamt besser als bei                    Föhrerstraße 15/Südstraße 2, 13353 Berlin
 Kindern und Jugendlichen unabhängig       erwachsenen Patienten. Eine australi­             E-Mail: carmen.scheibenbogen@charite.de
 von deren Eltern kann diagnostisch        sche Verlaufsbeobachtung an fast 700
 hilfreich sein.                           pädiatrischen Patienten mit CFS zeigte
 Der Schweregrad des pädiatrischen         Remissionsraten von 38 Prozent bezie­           Aufruf zur Publikation
 CFS variiert von leichten Formen, die     hungsweise 68 Prozent der Patienten             von Beiträgen
 mit einem regulären Schulbesuch ver­      nach fünf beziehungsweise zehn Jah­             Das Redaktionskollegium „Ärzte­
 einbar sind, bis hin zu schweren For­     ren [13]. Die mittlere Krankheitsdauer          blatt Sachsen“ bittet die sächsischen
 men mit Rollstuhl-Abhängigkeit oder       bei Patienten, die sich erholt hatten, lag      Ärzte, praxisbezogene, klinisch
 Bettlägerigkeit. Das CFS wurde inter­     in dieser Studie bei fünf (ein bis 15) Jah­     relevante, medizinisch-wissen­
                                                                                           schaftliche Beiträge und Übersichten
 national als häufigster Grund für lange   ren; fünf Prozent waren nach zehn Jah­
                                                                                           mit diagnostischen und therapeuti­
 Schulfehlzeiten benannt. Bezüglich        ren noch schwer krank. Von den                  schen Empfehlungen, berufspoliti­
 regelmäßiger Beschulung besonders         Betroffenen als prognostisch wichtig            sche, gesundheitspolitische und
 problematisch sind die oft morgens        eingeschätzt wurden neben bestmög­              medizingeschichtliche Artikel zur
 schlechtere Belastbarkeit sowie deren     licher Symptomkontrolle, schulischem            Veröffentlichung im „Ärzteblatt
                                                                                           Sachsen“ einzureichen
 insgesamt schwer vorhersehbaren           und sozialem Support die Anleitung zu
                                                                                           (E-Mail: redaktion@ slaek.de).
 Schwankungen. Letztere kollidieren        einem altersgemäßen Selbstmanage­               Im Internet unter www.slaek.de sind
 auch mit der Planung außerschulischer     ment sowie die empathische Akzep­               die Autorenhinweise nachzulesen.
 Aktivitäten und gefährden das soziale     tanz durch das Behandlungsteam. 

30                                                                                                                Ärzteblatt Sachsen 9|2019
Sie können auch lesen