Community Health Nursing - Entwicklung, Probleme, Lehren aus der US-amerikanischen Situation

 
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Doris Schaeffer

Community Health Nursing
Entwicklung, Probleme, Lehren
aus der US-amerikanischen Situation

Mit ungeahnt raschem Tempo schreitet derzeit in der BRD die
Akademisierung der Pflege voran. Sie soll zur Innovation der Praxis
in den unterschiedlichen Aufgabenfeldern der Pflege beitragen und
gleichzeitig die Professionalisierung eines der traditionsreichsten
Berufe im Gesundheitswesen einleiten. Vor diesem Hintergrund
spricht vieles dafür, sich eingehender mit den USA zu befassen.
Dort hielt die Pflege bereits um die lahrhundertwende Einzug in die
Hochschulen und wurde verbunden damit die Professionalisierung
in Gang gesetzt - ungefähr zu jener Zeit, als im deutschsprachigen
Raum ernsthaft mit der Verberuflichung begonnen wurde. Folglich
konnte dort eine Fülle von positiven und negativen Erfahrungen
gewonnen werden, mit denen eine Auseinandersetzung lohnenswert
ist. Das gilt auch für die durch diesen Prozeß angestoßenen Verän-
derungen der Pflegepraxis, die hier exemplarisch an einem Aufga-
benfeld nachvollzogen werden. Daß die Wahl dabei auf den Bereich
Community Health Nursing - ambulante Pflege - fiel, hat einen
besonderen Grund. Er fristet in der hiesigen Pflegediskussion nach
wie vor ein randständiges Dasein und findet auch in den neuen Stu-
diengängen noch längst nicht die seiner Relevanz gemäße Berück-
sichtigung - wie kritische Stimmen mittlerweile bemerken (Wiese
1995). Auch diesbezüglich kann sich eine Auseinandersetzung mit
den US-amerikanischen Verhältnissen als lehrreich erweisen. Dort
spielte dieses Aufgabenfeld bei der Akademisierung der Pflege von
Beginn an eine wichtige Rolle. Schon 1910 wurde der erste Stu-
diengang für Public Health Nursing gegründet und seither gilt es-
mittlerweile umbenannt in Community Health Nursing - als eines
der zentralen Aufgabengebiete, für das in den akademischen Aus-
bildungen auf allen Ebenen qualifiziert wird. Zu zeigen, daß das
nicht ohne Konsequenzen geblieben ist und wie sich ambulante
Pflege auf der Basis nunmehr langjährig gewachsener Professio-
nalisierung ausnimmt, ist Anliegen der folgenden Ausführungen.
Zunächst wird der Stellenwert der US-amerikanischen Pflege im

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Gefüge der Gesundheitsberufe skizziert, dann Organisation und
Funktions- und Arbeitsweise im Bereich Community Health Nur-
sing dargelegt und abschließend diskutiert, welche Lehren daraus
für die hiesige Entwicklung zu ziehen sind.

Situation der Pflege in den USA
Die Pflege nimmt im US-amerikanischen Gesundheitswesen eine
bedeutsamere Rolle ein als in der Bundesrepublik Deutschland. Das
zeigt sich allein an der höheren Anzahl der Pflegekräfte, die 1981 in
der BRD lediglich 33 pro 10000 Einwohner, in den USA dagegen
56 betrug (Alber 1990). Auch das Qualifikationsniveau ist höher
und kaum mit der bundesdeutschen Situation vergleichbar - ein
Tatbestand, der angesichts der langen akademischen Tradition nicht
überrascht. Die Anhebung des Qualifikationsniveaus vollzog sich
lange Zeit schleichend und war zunächst auf Leitungsfunktionen
beschränkt, hat inzwischen aber den gesamten Berufsstand erfaßt:
wer sich in den USA als Pflegekraft qualifiziert, tut dies mittlerweile
mehrheitlich an der Hochschule (dazu: Doheny et al. 1992).
   Ähnlich weitreichende Unterschiede sind auch hinsichtlich des
Status und Grades an Autonomie der US-amerikanischen Pflege
festzustellen. Selbstständig leitet sie pflegerische und medizinische
Einrichtungen - vom ambulanten Pflegedienst bis hin zur Kranken-
hausabteilung. Sie hat eigenständig Zugang zu Patienten (ist inzwi-
schen sogar oft erste Anlaufstelle und übermittelt ihrerseits zum
Arzt), und selbstverständlich ist sie selbst für die Einschätzung und
Beurteilung des Bedarfs ihrer Klientel und die Durchführung ihrer
Arbeit zuständig.
   Parallel zu dieser Entwicklung -Ausdruck der voranschreitenden
Professionalisierung - hat sich zugleich auch das Kompetenzgefüge
und die Arbeitsteilung mit anderen Berufen verändert. Einerseits
hat sich die vertikale Kompetenzgrenze verschoben: die US-ameri-
kanische Pflege nimmt sehr viele (diagnostische und therapeuti-
sche) Aufgaben wahr, die hierzulande zum Kompetenzbereich der
Medizin gehören. Ähnliches ist auch mit Blick auf die Sozialarbeit
zu konstatieren: beispielsweise obliegt in den USA nicht der Sozial-
arbeit, sondern der Pflege die Regulation der Überleitung aus dem
Krankenhaus (dazu: Moers/Schaeffer 1993a). Gleichzeitig hat sich
die horizontale Kompetenzgrenze verlagert und sich insgesamt eine
Ausweitung des Aufgabenfelds der Pflege vollzogen. So gehören
beispielsweise gesundheitsförderliche, präventive und rehabilitative

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Aufgaben zum Tätigkeitsfeld der Pflege, ebenso psycho-soziale
Unterstützung, versorgungsorganisatorische       Aufgaben sowie eine
ganze Vielzahl von im weitesten Sinn pädagogischen Funktionen.
Letztere machen einen zentralen Teil der Pflegerolle aus. »Nursing
is teaching« - so das professionelle Selbst- und Aufgabenverständnis,
das auf allen Ebenen pflegerischen Handeins bekundet wird. Was
das bedeutet und wie sich die genannten Unterschiede im Grad der
Professionalisierung in der Praxis niederschlagen, soll nun am Auf-
gabenfeld Community Health Nursing dargestellt werden.

Aufgaben-, AngebotsproJil und Berufe in der ambulanten Pflege
Betrachten wir zunächst die Infrastruktur im ambulanten Pflege-
sektor, Sie ist vornehmlich dadurch gekennzeichnet, daß bereits seit
den vierziger Jahren eine prioritär ambulante Versorgung angestrebt
wird. Das Netz an Pflegediensten und anderen ambulanten Versor-
gungsinstanzen ist folglich sehr viel dichter und der Stellenwert des
Krankenhauses ein anderer. Mehr als hierzulande ist es Zentrum der
High Tech-Medizin und auf höchste Behandlungsintensität erfor-
dernde Beschwerden konzentriert. Die Verweildauern sind wesent-
lich kürzer, d.h. die Patienten werden weitaus rascher als in der
BRD üblich wieder entlassen. So beträgt die maximale Kranken-
hausaufenthaltsdauer    nach einer Geburt mittlerweile nur noch 6
Stunden. Diese Entwicklung ist für die ambulante Pflege nicht ohne
Folgen geblieben. Das ihr abgenötigte Aufgabenspektrum ist parallel
dazu sehr viel breiter und komplizierter geworden ~ eine Entwick-
lung, die zukünftig auch auf die bundesdeutsche Pflege zukommt.
   Ähnlich wie hier teilt sich die Versorgung in kommerzielle bzw.
private und freigemeinnützige Pflegedienste. Allerdings kommt den
privaten Pflegeanbietern in den USA eine größere Bedeutung zu; in
der Regel gehören sie - entsprechend der Zweiteilung der amerika-
nischen Gesundheitsversorgung - zu jenem Teil der Versorgungs-
landschaft, von dem allein die sich im Genuß einer privaten Kran-
kenversicherung befindenden, meist den höheren sozialen Schichten
angehörenden Patienten betreut werden. Da diese Dienste kommer-
ziell arbeiten, haben sie ihr Serviceangebot strikt auf Leistungen
beschränkt, die gewinnbringend erbracht werden können, reduzieren
sich z.B. ausschließlich auf parenterale Ernährung oder Infusions-
therapie. Gerade im Bereich privater Pflegedienste ist daher eine
sehr große Partialisierung von Leistungen und Zersplitterung von
Diensten zu beobachten.

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    Anders ist die Verfahrensweise der freigemeinnützigen Pflege-
dienste, die zum anderen Teil der »Zweiklassenmedizin« (Strauss
1967) gehören und zu deren Klientel vornehmlich nicht oder
schlecht Versicherte oder durch staatliche Sozial- und Gesundheits-
programme abgesicherte Patienten zählen. Diese Dienste versu-
chen, das gesamte Spektrum an Pflegeleistungen anzubieten, das
für einen Verbleib in der häuslichen Umgebung im Fall von Krank-
heit und Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Kontrastierend ließe
sich sagen: der Partialisierung und Zersplitterung versuchen sie In-
tegration entgegenzustellen. Was bedeutet das? Das Angebot deckt
die gesamte Bandbreite des Bedarfs ab. Das reicht vom monitoring
bei Risikoschwangerschaften,       nachgeburtlicher Pflege und Bera-
tung von jungen Müttern, Betreuung bei Diabetes oder Herz-Kreis-
lauf-Krankheiten über die Pflege von psychisch oder suchtkranken
Patienten, bei chronischen oder altersbedingten Erkrankungen bis
hin zur Pflege von Krebs- oder Aids-Patienten, also von Schwerst-
und Terminalkranken. Ambulante Schwerstkrankenpflege - inklusi-
ve der dazu erforderlichen medizinisch induzierten Pflegeleistun-
 gen wie z.B. Durchführung von Infusions- oder Schmerztherapie,
 die hierzulande an rechtlichen Hürden scheitert - gehört folglich
 ebenso zum Standardangebot wie »hospice care«, also Palliativ-
 pflege und Sterbebegleitung - um nur zwei in der bundesdeutschen
 Pflege sich mittlerweile empfindlich bemerkbar machende Lücken
 zu benennen.
     Konzeptionell interessant ist, daß nicht nur krankheitsbezogen
 agiert wird, sondern das gesundheitliche Wohlbefinden im Mittel-
 punkt pflegerischen Interesses steht. Anders gesagt: besteht schon
 in den US-amerikanischen Pflegetheorien Einigkeit darüber, daß es
 der Pflege vorrangig um die Sicherung der Gesundheit geht, die
 mehr ist als Abwesenheit von krankheitswertigern Leiden, so hat
 diese Sichtweise auch in die Praxis der Pflegedienste Eingang ge-
 funden. Der auch hierzulande seit geraumer Zeit angemahnte
 Paradigmenwechsel - weg von der nur krankheitsorientierten hin
 zur gesundheitsbezogenen         Pflege (exemplarisch: Rosenbrock!
 Noack/Moers 1993) - gehört in der US-amerikanischen pflege also
  zum Alltag, zumindest zur Alltagsphilosophie. Das gleiche gilt für
  den sogenannten »aggregate approach« (Swanson/ Albrecht 1993),
  eine Zugriffsweise, die nicht einzig auf das Individuum konzentriert
  ist, sondern es als Teil eines sozialen Aggregats - einer Bevölke-
  rungs(sub)gruppe bzw. einer speziellen sozialen Umwelt - betrach-
  tet und dieses konstitutiv einbezieht. Die Forderung danach ist auch

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 in der BRD in den letzten Jahren zusehends lauter geworden, von
 ihrer Realisierung sind wir indes weit entfernt. Erst jüngst wurde
 beispielsweise - angestoßen durch die Pflegeversicherung - ver-
 mehrt begonnen, über Angehörigenkonzepte und familienorientierte
 Pflege nachzudenken.
    Angesichts der beeindruckenden Breite des Serviceprofils, die
 mit den begrenzten Möglichkeiten hiesiger Pflegedienste kaum ver-
 gleichbar ist, nimmt es nicht wunder, daß es sich um sehr große
 Dienste handelt. Zur Illustration seien die Beschäftigtenzahlen
 zweier Pflegedienste der »Visiting Nurses Association« angeführt,
 der ältesten gemeinnützigen ambulanten Pflegeorganisation in den
 USA, die, ähnlich wie hier die Wohlfahrtsverbände, Träger zahlrei-
 cher Pflegedienste ist. In San Jose, einer mittelgroßen Stadt in
 Califomien, gehören 60 Verwaltungs angestellte, 70 Pflegekräfte
 und 40 Hilfspflegekräfte (Nurse Aids), 5 Sozialarbeiter, außerdem
Gesundheitsberufe      wie Krankengymnasten,       Physiotherapeuten,
Ergotherapeuten, Logopäden, Ernährungsberater und »Recreation
Therapists« zum Pflegedienst der Visiting Nurses. In San Francisco
sind es 90 Verwaltungsangestellte,      100 Pflegekräfte, 120 Hilfs-
pflegekräfte, 10 Sozialarbeiter und ebenfalls die genannten anderen
Gesundheitsberufe. Außerdem gesellen sich noch ehrenamtliche
Helfer hinzu. In San Francisco sind es allein 300, die dort von drei
der zehn Sozialarbeiter rekrutiert, ausgebildet und supervidiert wer-
den. Die immense Größe der Dienste erklärt sich teilweise dadurch,
daß sie für die gesamte »comrnunity« - Stadt, Gemeinde, Region-
zuständig sind und nicht dezentralisiert arbeiten. Gleichzeitig ist sie
Ausdruck der enorm hohen Patientenzahlen und der Tatsache, daß
in den USA eine sehr viel weitreichendere Realisierung der Prämisse
»ambulant vor stationär« erfolgt.
   Betrachtet man die Beschäftigtenstruktur       unter beruflichen
Gesichtspunkten, werden andere wichtige Unterschiede im Vergleich
zur bundesdeutschen Situation deutlich. Auffällig ist zunächst einmal
der hohe Anteil an Verwaltungskräften. Er erklärt sich durch das kom-
plizierte Versicherungswesen sowie den nicht minder komplizierten
Verfahren der Kostenregulation. Gleichzeitig ist er nicht ohne Einfluß
auf die Tätigkeit der Pflegekräfte: sie sind - anders als bundes-
deutsche Pflegekräfte - von zahlreichen administrativen Aufgaben
entlastet. Gleichzeitig spielt die sogenannte »paper work« auch im
Alltag amerikanischer Pflegedienste eine wichtige Rolle. Allerdings
handelt es sich dabei um professionsgebundene Arbeiten: Pflege-
dokumentationen und -auswertungen, Evaluationsarbeiten etc.

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    Auffällig ist weiterhin, daß nahezu alle ambulant tätigen Gesund-
heitsberufe unter dem Dach der Pflege zu finden sind, also auch
Krankengymnasten, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten etc.
zum Personal gehören. Während diese Helferberufe hierzulande der
Pflege übergeordnet und eigenständig organisiert sind, ist für die
USA typisch, daß sie der Pflege subsumiert sind - Ausdruck des
höheren Status der Pflege, der sich somit auch institutionell nieder-
schlägt. Für die Betreuung der Patienten erwachsen daraus unschätz-
bare Vorteile. Weil diese Berufe Teil des Community Health Nursing
Services sind, können sie ohne Koordinations- und Kooperations-
aufwand in die Betreuung integriert werden. Dies, wie auch die
dadurch mögliche Einbeziehung in die wöchentlichen Arbeitsbe-
sprechungen bzw. Fallkonferenzen, erleichtert zudem die Sicherstel-
lung einer ineinandergreifenden und kontinuierlichen Versorgung.
Und schließlich ist dadurch möglich, gesundheitsförderliche        und
rehabilitative Pflege nicht nur zu proklamieren, sondern sie zu rea-
lisieren, denn diese ist entscheidend auf eine enge Zusammenarbeit
mit eben diesen Berufen angewiesen.
    Gleichzeitig minimiert sich damit der externe Kooperations-
aufwand, der sich größtenteils auf die Medizin (niedergelassene
 Ärzte, Krankenhäuser), soziale Dienste und Selbsthilfegruppen
beschränkt. Dabei sind die Reibungsflächen in der Kooperation mit
 der Medizin aufgrund des anderen Kompetenzprofils der Pflege
 relativ gering. Außerdem verfügen die meisten Community Health
 Nursing Services über einen Vertragsarzt, der für fachliche Rück-
 fragen, plötzlich auftretende Krisen und Problemsituationen zur
 Verfügung steht und behilflich ist, wenn die Kooperation mit der
 Medizin Schwierigkeiten aufwirft. Jeder, der mit dem Alltag hiesiger
 ambulanter Pflegedienste vertraut ist, wird wissen, wie ressourcen-
 und zeitraubend sich hierzulande diese Kooperation darstellt (Garms-
 Homolovä 1994; Schaeffer 1992) und wie häufig die Aufrechterhal-
 tung einer häuslichen Versorgung an den Koordinationsschwierig-
 keiten und Desintegrationserscheinungen       im hiesigen Gesundheits-
 wesen scheitert.
     Was die Pflegekräfte betrifft, so ist noch ein anderes Moment be-
 achtenswert: die Qualifikation. Alle Pflegekräfte haben eine staatli-
 che Zulassung als Registered Nurse, sind also staatlich examinierte
 Pflegekräfte mit einer dreijährigen Ausbildung (zum Ausbildungs-
  system siehe: Moers/Schaeffer 1993b; Steppe 1993; Mischo-Kellingl
 Wittneben 1995). Viele von ihnen - speziell jene, die auf Leitungs-
  ebenen tätig sind - verfügen zugleich über einen Hochschulabschluß

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(meist auf einem mit dem Fachhochschulabschluß         vergleichbaren
Niveau, zuweilen jedoch auch auf universitärem Niveau). Die soge-
nannten Nurse-Aids, die in der direkten Pflege wie auch in der
Hauspflege tätig sind, haben eine sechswöchige Ausbildung, die
ebenfalls mit einem staatlichen Test abschließt. Vergleichend sei
ergänzt, daß in der BRD Hauspflegekräfte weitgehend ohne jede
Qualifikation arbeiten. Erst in jüngerer Zeit zeichnen sich hier Ver-
änderungen ab. Nicht unerwähnt bleiben sollte an dieser Stelle, daß
der Anteil der Nurse Aids in der praktischen Pflege unter dem
Druck der aktuellen Finanzkrise derzeit stark expandiert und oft-
mals sie es sind, die die »eigentliche« Pflege sicherstellen - ein
Aspekt, auf den zurückzukommen sein wird. Anzuführen sind des
weiteren die ehrenamtlichen        Mitarbeiter, die sowohl in die
Patientenbetreuung, Angehörigenberatung als auch in die Verwal-
tungstätigkeiten integriert sind. Auch sie nehmen ihre Tätigkeit
nicht ohne Qualifizierung auf und werden außerdem laufend super-
vidiert - Standards, die bei uns nur in einigen Bereichen zum Alltag
gehören. I
   Zusammenfassend betrachtet: zentrale und bedenkenswerte Un-
terschiede bestehen in der Integration möglichst aller für eine um-
fassende Patientenbetreuung erforderlichen Berufe, die im übrigen
ebenso wie die ambulante Pflege keine Kommstruktur vorausset-
zen, sondern sich als zugehende Dienste verstehen, sowie in der
Sicherstellung einer qualifizierten Pflege.

Organisationsstruktur        ambulanter Pflegedienste
Dem weit gefaßten Leistungsspektrum der Dienste entspricht deren
ausdifferenzierte Organisationsstruktur (siehe Abbildung). Hier
sind Arbeitsgruppen/Abteilungen       analog den unterschiedlichen
Aufgabenstellungen     ambulanter Pflege vorgesehen. Den Pflege-
kräften ermöglicht diese Organisation, sich auf bestimmte Aufga-
benbereiche zu konzentrieren und spezielle Expertise auszubilden,
d.h. sie müssen nicht alle gleichermaßen alle Anforderungen bewäl-
tigen, wie dies die hiesige ambulante Pflegepraxis kennzeichnet und
Ursache zahlreicher Überforderungen ist. Den Pflegediensten wie-
derum gelingt es durch die ausdifferenzierte Organisationsstruktur,
flexibel auf spezielle Patientenproblematiken     zu reagieren oder
Veränderungen von Bedarfslagen abzupuffern. Stoßen sie dabei an
Grenzen, ist die Regel, daß neue ArbeitsgruppeniAbteilungen      ge-
gründet oder entsprechende Programme konzipiert werden. Diese

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orientieren sich an den Besonderheiten des regionalen Bedarfs. Die
Angebotsprofile der Dienste variieren daher je nach epidemiologi-
schen Gegebenheiten in der jeweiligen Region.' Dadurch gelingt
es, die Organisationsstruktur stets in enge Übereinstimmung mit
den an die Pflege herangetragenen Patientenproblematiken zu brin-
gen und somit ein Auseinanderklaffen von Angebotsstruktur und
Bedarfslagen möglichst zu vermeiden. Eben dieses fällt der bundes-
deutschen ambulanten Pflege bislang außerordentlich schwer, wie
ein Blick auf die Geschichte der hiesigen ambulanten Pflege be-
zeugt (Deppe/Priester 1987; Garrns-Homolovä/Schaeffer         1992).
Die Gründe dafür sind vielfältig, entscheidend aber ist, daß sie -
wie andere Bereiche der Krankenversorgung auch - zu sehr an den
Imperativen des Versorgungssystems und zu wenig an den Proble-
matiken ihrer Klientel orientiert ist und die Berücksichtigung be-
darfsorientierter Gesichtspunkte bei der Versorgungsgestaltung sich
erst jetzt durchzusetzen beginnt.
    Die Abbildung. zeigt allerding auch, daß Flexibilität und Be-
darfsgerechtigkeit einen »Preis« haben und mit Hierarchisierungen
verbunden sind. Die Pflegedienste verfügen über zwei Leitungs-
ebenen, die beide von hochqualifizierten (meist weiblichen) Pflege-
 kräften besetzt sind. Zum einen gibt es die Ebene der Gesamtlei-
 tung, der das Management des Dienstes obliegt. Unterhalb dieser

          Organisationsstrnktur      von Community Health Nursing-Diensten

                        Narse Cese
                        Maoagen

                                         Patlcotco

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Ebene gibt es eine weitere Leitungsebene, die für die Einzel-
bereiche zuständig ist (siehe auch: BernhardlWalsh 1995). Bei den
wenigen bundesdeutschen Umsetzungsversuchen ähnlicher Organi-
sationsstrukturen wird darauf seitens der Pflege zumeist skeptisch
reagiert. Ein Blick in die Praxis zeigt jedoch, daß das Modell der
»einfachen« Hierarchie und des Pflegegeneralisten, das die ambu-
lante Pflegelandschaft in der BRD beherrscht, zusehends ungeeignet
ist, der Problem- und Bedarfsvielfalt der Klientel der ambulanten
Pflege gerecht zu werden. Mit anderen Worten: auch hierzulande
werden wir über neue Organisationsmodelle         ambulanter Pflege-
dienste nachdenken müssen.
    Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang, daß
die auf den Leitungsebenen wahrgenommenen Managementfunk-
tionen (mit Ausnahme des administrativen Bereichs) vorrangig auf
pjlegebezogene Aufgaben zielen. Neben Planungs- Konzeptent-
wicklungs- und Supervisionsfunktionen       zählt dazu vor allem die
Fortbildung der Mitarbeiter. Sie dient zur Qualitätssicherung sowie
zur Entwicklung und Einhaltung einer professionellen Standards
entsprechenden Pflege und schließt neben der Vermittlung neuesten
pflegewissenschaftlichen    Wissens und laufenden Informationen
über aktuelle pflegerelevante Erkenntnisse und Entwicklungen
auch deren Transfer in die Praxis ein: in der Pflege verwendete
Konzepte und Strategien werden im Licht des neu erworbenen Wis-
sens reflektiert und gegebenenfalls modifiziert. Fortbildung, »nur-
sing education«, gilt also als zentraler Teil der Managementrolle -
ein Aspekt, der in der BRD bislang zu wenig bedacht wurde.

Funktions- und Arbeitsweise
Die Arbeitsweise ist - wie überall in der US-amerikanischen Pfle-
ge - durch einen hohen Grad an Systematisierung bei gleichzeiti-
gem Bemühen um Patientenorientierung gekennzeichnet. Nicht das
reibungslose Funktionieren des Dienstes, sondern der Patient soll
im Mittelpunkt des Handeins der Pflege stehen - so das dekla-
rierte Ziel. Um das zu ermöglichen, wird nach den Prinzipien des
Pflegeprozesses verfahren, d.h. jede Pflege unterliegt dem Zyklus
von Informationssammlung,      Zielfestlegung, Planung, Durchfüh-
rung und Evaluation. Außerdem wurde case management als
arbeitsstrukturierendes Konzept eingeführt. Dieses urprünglich aus
der Sozialarbeit stammende Verfahren, das auch bei uns vermehrt
diskutiert wird (exemplarisch: Wendt 1991), hat sehr breit Eingang

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in die Pflegepraxis gefunden (CoheniCesta 1993). Die ihm zugrun-
de liegende Idee ist, für den Patienten gangbare Pfade durch das
Dickicht des Versorgungs wesens und die Vielfalt seiner Instanzen
zu bahnen, dabei Sorge für eine dem individuellen Fall und der be-
sonderen Problematik des Patienten entsprechende Betreuung zu
tragen und Versorgungsdiskontinuitäten oder sonstige Folgeerschei-
nungen bestehender Struturdefizite des Krankenversorgungswesens
zu verhindern. Daher schließt case management neben fallorien-
tierter Pflegeplanung und -organisation auch die Versorgungskoor-
dination ein und dient in den USA aufgrund der komplizierten
Finanzierungsmodalitäten       auch zur Kontrolle der Kosten.
    Was das für die Arbeitsweise ambulanter Pflegedienste bedeutet,
 soll kurz geschildert werden. Benötigt ein Patient ambulante Pflege,
 werden zunächst (durch eine eigens dafür zuständige »assessment-
 nurse«) die für die Aufnahme ambulanter Pflege erforderlichen
 Informationen (Einschätzung des Bedarfumfangs, Klärung der
 Finanzierungsmöglichkeiten,      Ermittlung der Überleitungsmodali-
 täten etc.) eingeholt. Anschließend wird entschieden, ob der Patient
 übernommen und welcher Arbeitsgruppe/Abteilung           er übermittelt
 werden kann. Dort wird der Patient einem Nurse Case Manager
 zugeteilt, der fortan für ihn zuständig ist. Jeder Nurse Case Manager
 hat ungefähr 40 Patienten, die er mindestens einmal wöchentlich
 kontaktiert und für die er ansonsten telefonisch zur Verfügung steht.
 Bei Patienten mit komplexem Pflege- und Betreuungsbedarf - so z.B.
 bei Krebs- und Aids-Patienten oder im Bereich hospice care - ist die
 Fallzahl niedriger, so daß der Kontakt enger gestaltet werden kann.
     Die Zuständigkeit des Nurse Case Manager für den ihm überant-
 worteten Patienten bleibt auch dann bestehen, wenn sich der Pflege-
 bedarf des Patienten im Laufe der Zeit verändert und er (zusätzlich)
 von einer anderen Arbeitsgruppe/ Abteilung gepflegt wird oder wenn
  zwischenzeitlich Krankenhausaufenthalte        notwendig sind. Dabei
  verfährt der Nurse Case Manager nach dem Prinzip der Anwalt-
  schaft (advocacy). Gemeint ist, daß er stellvertretend für den Patien-
  ten agiert und unter Wahrung seiner Interessen die Koordination
  und Kontrolle seiner Betreungssituation übernimmt. In diesem Sinn
  sorgt er dafür, daß Wechsel der Versorgungssart bzw. der beteiligten
  Helferberufe keine Versorgungsbrüche oder sonstigen Einbußen
  nach sich ziehen und verhinderbare Labilisierungen seiner Situation
  vermieden werden. Leitend ist für ihn also die Sorge um das Wohl
  des Patienten, die Sicherung von Kontinuität sowie die Vermeidung
  von Destabilisierungen.
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     Zu Beginn seiner Tätigkeit erstellt der Nurse Case Manager zu-
 nächst gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehörigen eine
 umfassende Problemanamnese. Diese konzentriert sich auf die
 Krankheitssituation und die aktuelle körperliche Befindlichkeit des
 Patienten, seine psychische und soziale Situation und ganz beson-
 ders auch auf seine Alltagsroutinen des Krankheitsmanagements:
 wie geht er mit Symptomen um, wie handhabt er Schmerzsitua-
 tionen, wie sein Alltagsleben, wie strukturiert er den Tagesablauf
 mit Krankheit etc. Alsdann wird das soziale Umfeld in den Blick
 genommen: sind Angehörige/informelle Helfer vorhanden, können
 sie Aufgaben übernehmen, verfügen sie über die dazu notwendigen
 Voraussetzungen etc. Und als drittes schließlich wird die Versor-
 gungssituation des Patienten erörtert: weIche Dienste benötigt er,
 um mit seiner Situation zurechtzukommen, weIche sind bereits ak-
 ti viert, weIche nicht, auf weIchem Informationsstand sind sie, was
 ist erforderlich, um sie an die eingetretene Situation anzupassen.
     Diesem Schritt folgt die Zieldejinition und die Planung der Pflege.
 Dabei wird festgelegt, weIche täglich notwendigen Pflege- und
Unterstützungsarbeiten erforderlich sind, weIche neuen Dienste zu
 aktivieren und weIche bereits involvierten zu kontaktieren sind,
weIche eigenen Ressourcen zur Verfügung stehen und weIchen An-
leitungs bedarf der Patient und seine Angehörigen haben, um die
eingetretene Problemsituation zu bewältigen. Sodann besteht die
Aufgabe des Nurse Case Managers in dreierlei:
Caring: die Betreuung des Patienten. Caring umfaßt sowohl die
konkrete Betreuung des Patienten als auch die Sicherstellung seiner
Betreuung, d.h. die Versorgungsorganisation          und -koordination.
Alle für die Sicherstellung der in seiner Situation und Problematik
notwendigen Dienste und Hilfen - seien es pflegedienstinterne
(Pflege, Hauspflege, Physiotherapie etc.) oder pflegedienstexterne -
werden von dem Nurse Case Manager mobilisiert, von ihm vor Ort
eingefädelt, aufeinander abgestimmt und fortan koordiniert. Dabei
kontrolliert er nicht nur die Leistungsausführung, sondern trägt auch
Sorge dafür, daß Desintegrationserscheinungen       vermieden, die Ver-
träglichkeit der Dienste und Hilfen gesichert ist und Schnittstellen-
probleme so gelöst werden, daß sie für den Patienten keine nega-
tiven Konsequenzen haben (dazu: Schaeffer 1995). In dieser
Monitoring-Funktion hat er oftmals auch Vermittlungsfunktionen
wahrzunehmen, sei es, daß er Inkompatibilitätserscheinungen          der
Dienste ausgleichen, sei es, daß er Konflikte regulieren muß. Auch
dabei handelt er nach dem Prinzip der Anwaltschaft und stellt die

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Sorge um das Wohl des Patienten allen anderen Kriterien voran.
Teaching: die Unterweisung und Anleitung der Patienten. Dazu ge-
hört die Vermittlung von Wissen (über die Krankheit, die Erforder-
nisse der Krankheitsbewältigung, die Möglichkeiten der Wiederher-
stellung einer gesundheitlichen Balance bzw. gesundheitlichen
Wohlbefindens), die Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung
und ggf. bei der Anpassung an das Leben mit bedingter Gesundheit,
die Einleitung notwendiger Korrekturen der Lebensweise und der
Alltagsorganisation, die Remobilisierung von Gesundheitspoten-
tialen sowie die Förderung von Fähigkeiten zur Verbesserung des
Selbstmanagements im Umgang mit der Situation. Besonders dem
letztgenannten Punkt, der Erhöhung der Eigenkompetenz, wird in
der US-amerikanischen Pflege große Bedeutung beigemessen.
    Die genannten Maßnahmen zielen nicht allein auf den Patienten,
sondern richten sich auch an die Angehörigen mit dem Ziel, sie bei
der Wahrnehmung von Pflegeaufgaben zu unterstützen und die
dazu nötigen Kompetenzen zu vermitteln sowie ihnen dabei behilf-
lich zu sein, die mit der Krankheit des anderen sich auch in ihrem
Leben vollziehenden Veränderungen zu bewältigen und auf diese
Weise Überlastungserscheinungen       vorzubeugen. Wie wichtig diese
 »caring for the carers« genannte Aufgabe ist, bestätigen hiesige
Untersuchungen über die Nutzer ambulanter Pflegedienste: nicht
 eben selten werden pflegende Angehörige aus Überforderungs-
 gründen ihrerseits zu Klienten der Dienste (Naegele 1991; Garms-
 Homolovä/Schaeffer 1992).
 Supervision: fortlaufende Evaluation der praktischen Pflege, um
 auf diese Weise ein gleichermaßen ziel- und ergebnisorientiertes
 Handeln zu ermöglichen. Dabei ist ein anderes Supervisions-
 verständnis leitend als in der hiesigen Praxis. Im Vordergrund ste-
 hen die organisations- und aufgabenbezogene Kontrolle der Arbeit
 der Pflegekräfte sowie die Einhaltung professioneller Standards in
 der gegebenen Pflegesituation, weniger die personenbezogene Steue-
 rung der pflegerischen Professionalität. Das dazu wichtigste Mittel ist
 eine wöchentliche Besprechung, die in Form einer Fallkonferenz
 durchgeführt wird. Hier wird die Situation der einzelnen Patienten
 möglichst unter Hinzuziehung aller beteiligten Berufe erörtert und
 reflektiert, werden Pflegeplanungenund -strategien gegebenenfalls
 der konkreten -Situation des Patienten entsprechend revidiert bzw.
 modifiziert und Arbeitsteilungen besprochen.
     Die Aufgaben des Nurse Case Manager wurden deshalb so aus-
  führlich dargelegt, um zu zeigen, daß manuelle Pflegetätigkeiten,

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  wie sie die hiesige Praxis dominieren, in der US-amerikanischen
  Pflege in vielen Bereichen eher von untergeordneter Bedeutung
  sind. Stattdessen stehen versorgende und eine ganze Reihe von im
  weitesten Sinne »pädagogischen« Funktionen (Wissensvermittlung,
  Initiierung von Lernprozessen, Sozialisationsfunktionen, Einleitung
  von Verhaltensveränderungen,       Supervision in Form von koopera-
  tiver Ergebnissicherung etc.) im Vordergrund. Sie sind Ausdruck
  der im Zuge der Professionalisierung erfolgten Erweiterung des
  Pflegeverständnisses und -handelns,
      Dieses prägt auch den Alltag der praktischer Pflege, zu dem an
  dieser Stelle nur soviel gesagt sei, daß in ihm ebenfalls das Selbstver-
  ständnis der US-amerikanischen Pflege - »nursing is teaching« -
  leitend ist (ausführlicher dazu: Schaeffer/Moers 1995). Denn das
 Ziel pflegerischer Interventionen besteht in der Wiederherstellung
  von Autonomie; entsprechend begreift die Pflege ihre Aufgabe als
 kurzfristige Hilfe mit dem Ziel, die Patienten in ihren Selbstfürsorge-
 fähigkeiten zu stärken und sie und ihre Angehörigen zu befähigen,
 den Umgang mit der Krankheit möglichst eigenständig zu bewäl-
 tigen: empowerment, Unterstützung und Anleitung spielen daher
 auch hier eine wichtige Rolle.
     Die Darstellung der Arbeitsweise der Community Health Nur-
 sing Services sollte nicht beendet werden, ohne daß nicht auch
 Schwachstellen thematisiert werden, mit denen sich auseinanderzu-
 setzen nicht weniger lohnenswert ist wie die Beschäftigung mit den
 unbestrittenen Errungenschaften, die die Professionalisierung mit
 sich brachte. Die in diesem Zusammenhang wichtigsten Punkte
 scheinen mir folgende zu sein:
 - So einleuchtend und richtig es aus professionstheoretischer Per-
     spektive betrachtet ist, als Ziel pflegerischen Handeins die Wie-
     derherstellung von Autonomie mit und trotz Krankheit anzustre-
     ben, zeigt sich hier jedoch eine Schwäche des Konzepts: es sieht
     keine Langzeitpflege vor und kann damit vielen Problemlagen -
     speziell denen chronisch und chronisch-degenerativ Erkrankter-
     nicht gerecht werden. Grundsätzlich bildet die Sicherstellung
     von Langzeitversorgung - long term care - wie auch die Versor-
     gung chronisch Kranker in den USA ein großes Problem (Strauss/
     Corbin 1988; Estes et al. 1993).
 - 60 Mio. Amerikaner sind heute nicht oder unterversichert, die
     Gesundheitsreform ist gescheitert, drastische Beschneidungen
     der staatlichen Sozial- und Gesundheitsprogramme zur Kuration
     der amerikanischen Haushaltsdefizite sind geplant und partiell

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  bereits realisiert. Von ihnen ist die ambulante Pflege in doppelter
  Weise betroffen. Radikale Verweildauerkürzungen im Kranken-
  haussektor führen erneut zu einem enormen Zufluß an Patienten
  in die ambulante Versorgung. Die ambulante Pflege - selbst von
  der Einsparungswelle erfaßt - vermag dem kaum noch Stand zu
  halten, zumal es überwiegend »Problempatienten« sind, die auf
  sie zuströmen: Alte, sozial Schwache und »Austherapierte«. Seit-
  her entwickelt sich die freigemeinützige ambulante Pflege - so
  hat es den Anschein - zur Armenfürsorge. im Rahmen derer sie
   aus Kostengründen nicht mehr leisten kann als notdürftig
  Unterversorgungerscheinungen        aufzufangen. Angesichts dieser
   Situation sind theoretisch tragfähige und sinnvolle Pflegekon-
   zepte in der Praxis kaum durchzuhalten und zeichnet sich ein be-
   denkliches Gefälle zwischen Konzept(anspruch) und Realität ab.
- Die voran schreitende Professionalisierung       bei gleichzeitigem
   Finanzierungsdruck könnte - so deutet sich an - zu einer Dequali-
  fizierung der konkreten Pflegepraxis führen. Mit wachsendem
   Finanzierungsproblemen      steigt der Anteil der Nurse Aids in der
   Pflegepraxis derzeit sprunghaft an (Rein 1995). Oft sind sie es,
   die den Patienten täglich versorgen, während der Beitrag der
   qualifizierten Pflege auf Supervisionsfunktionen beschränkt ist.
   Zunehmend kompensieren auch ehrenamtliche Helfer diese
   Lücke, die in vielen Bereichen der Krankenversorgung trotz ent-
   gegengesetzter Absichtserklärung mittlerweile weite Teile der
   Patientenversorgung bestreiten. Wird dieser Entwicklung nicht
   entgegengesteuert. könnte sich die Professionalisierung als »Bume-
   rang« erweisen: sie hätte dann - zynisch formuliert - der Pflege zur
   Statusaufbesserung. nicht aber den Patienten geholfen.

Lehren für die in der BRD begonnene Akademisierung der Pflege
Mit großer zeitlicher Verzögerung haben wir in der BRD begonnen,
dem Beispiel vieler anderer Länder zu folgen und die Akademisie-
rung der Pflege in Angriff zu nehmen. Damit soll eine nachholende
Modernisierung wie auch ein Professionalisierungsprozeß     initiiert
werden. Mit den zurückliegenden Ausführungen sollte gezeigt wer-
den, daß das Studium der Situation in Ländern mit inzwischen lang-
jährig gewachsener Professionalisierungstradition    eine wichtige
Aufgabe in diesem Prozeß sein wird. Daß das ein lohnenswertes
Unterfangen ist und sowohl für die Frage nach den praktischen
Konsequenzen von Professionalisierungsprozessen     als auch für die

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Innovation einzelner Aufgabenfelder der Pflege und für die Lösung
sich dort stellender Probleme eine Fülle von Anregungen zu liefern
vermag, sollte exemplarisch an der US-amerikanischen Pflege-
praxis im Bereich Community Health Nursing verdeutlicht werden.
Trotz der erwähnten Schattenseiten sind dieser eine ganze Reihe
von Innovationsanregungen zu entnehmen. Stichwortartig seien die
wichtigsten von ihnen hier wiederholt: die Breite des Problem-
bearbeitungsspektrums     ambulanter Pflege, die Zusammenfassung
und Kooperationsdichte aller für eine hinreichend umfassende und
gesundheitssichernde Pflege erforderlichen Berufe, ausdifferenzierte
und aufgabengerechte Organisationsstrukturen, patientenorientierte
Arbeitsweise, case management sowie ganz besonders die Erweite-
rung des pflegerischen Selbst- und Aufgabenverständnisses um ver-
sorgende und »pädagogische« Aufgaben, die sich nicht nur auf
Krankheitsbe- und verarbeitung, sondern ebenso auf Gesundheitser-
haltung beziehen. Vergegenwärtigt man sich an dieser Stelle, daß
mit der Akademisierung der Pflege auch hierzulande ein Wandel
des Berufsprofils und eine Veränderung der allseits für verbesse-
rungswürdig erachteten Pflegepraxis intendiert wird, so liegt es auf
der Hand, wie hoch der Stellenwert der Auseinandersetzung mit
solchen Anregungen ist. Dabei ist allerdings vor allzu großer
Übertragungseuphorie und erst recht vor bloßem Kopieren zu war-
nen. Ohne wissenschaftlich gestützte Transferleistungen inklusive
der dazu notwendigen Forschung ist Versuchen der Nutzbarma-
chung andernorts meist wenig Erfolg beschert, wie aus zahlreichen
Innovationsversuchen im hiesigen Gesundheitswesen zu lernen ist,
die nicht eben selten US-amerikanische Vorbilder kopierten - und
scheiterten.
   Die Professionalisierung der Pflege rief auch eine Reihe fragwür-
diger Erscheinungen hervor, denen wir in der BRD zu entgehen ver-
suchen sollten. Als erstes ist in diesem Zusammenhang nochmals
die bedenkliche Tendenz zur Dequalifizierung der Pflegepraxis in
Erinnerung zu rufen (siehe auch Hirschfeld 1994). Des weiteren ist
das sich abzeichnende Gefälle zwischen Theorie und Praxis anzu-
führen bzw. - mit Blick auf die zurückliegenden Ausführungen -
zwischen Konzept und Realität. Dies ist Resultat der Tatsache, daß
die US-amerikanische Pflege den gesellschaftlichen und politischen
Kontextbedingungen ihres Handeins zu wenig Aufmerksamkeit
geschenkt hat (ebd.). Auch sich heute abzeichnende Lücken und
Defizite in der pflegerischen Versorgung sind zu einem nicht uner-
heblichen Teil diesem Umstand geschuldet.

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    Im Zuge der Professionalisierung wird eine wichtige Aufgabe
darin bestehen, ein neues Rollenverständnis pflegerischen Handeins
zu entwickeln und zur Erweiterung des Pflegehandelns beizutragen.
Gezeigt werden sollte, daß dabei im weitesten Sinn »pädagogi-
schen« Funktionen grundlegende Bedeutung zukommt. Angedeutet
werden sollte zugleich, daß diese je nach Aufgabenbereich andere
Gewichtungen und Ausprägungen aufweisen müssen. Beides ist im
Auge zu behalten, um nicht zu starre und zu wenig alltagstaugliche
Selbst- und Aufgabendefinitionen einzuleiten. Nicht minder wichtig
scheint es mir - eingedenk der hohen Bedeutung pädagogischer
Aufgaben im Pflegehandeln auf professionell gestützter Basis -,
darauf hinzuweisen, daß die Entwicklung von Pflegepädagogik
nicht auf Ausbildungsfragen beschränkt sein kann (wie hierzulande
derzeit üblich). Vielmehr muß in enger Verschränkung mit den ent-
stehenden Pflegewissenschaften eine Neukonzeptualisierung dieser
und anderer, die eng gesteckten Grenzen des Pflegehandelns erwei-
ternden Funktionen erfolgen, die ihrerseits in die Ausbildung der
Pflegelehrer und über diese vermittelt in die Praxis einfließen sollten.
    Jetzt, da der »Sprung an die Universitäten« geschafft ist und Pfle-
gewissenschaften auf universitärer Ebene verankert werden, besteht
eine vordringliche Aufgabe darin, die Wissenschaftsentwicklung vor-
anzutreiben. Aufbau von Pflegeforschung, Theorieentwicklung und
Erarbeitung einer universal gültigen Wissensbasis, Erkenntnistransfer
und Konzeptentwicklung sowie Ausbildung von wissenschaftlichem
Nachwuchs sind die dabei als zentral zu definierenden Aufgaben. Zu
warnen ist aber davor, diese anzugehen, ohne die derzeit brennenden
Probleme in der Pflege vor Augen zu haben und ohne über eine Vision
davon zu verfügen, wohin die Pflege sich hierzulande entwickeln
 soll. Auch diese Lehre ist der Situation der US-amerikanischen Pflege
zu entnehmen. Die Wissenschaftsentwicklung folgte dort seit der
 »pflegewissenschaftlichen Wende« weitgehend wissenschaftsimma-
 nenten Kriterien und geriet dabei unversehens in allzu große Distanz
 zur Alltagsrealität. Soll hierzulande ein ähnliches Auseinanderdriften
 von Theorie und Praxis vermieden werden, ist eine Gratwanderung
 erforderlich: es gilt, Pflegewissenschaft als akademische Disziplin zu
 entwickeln und dabei zugleich den Bezug zur Afltagsrealität pflege-
 rischen Handeins wie auch zu den drängenden gesellschaftlichen
 Herausforderungen im Bereich der Pflege zu wahren.

Korrespondenzadresse: Doris Schaeffer, Wissenschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung, Arbeitsgruppe Public Health, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin

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Anmerkungen
   Das gilt z.B. für die AIDS-Kranken versorgung, in der in vielerlei Hinsicht Pionier-
   funktionen übernommen und Innovationen erprobt wurden, deren Relevanz für
   andere Bereiche der Krankenversorgung erst langsam entdeckt und zur Kenntnis
   genommen wird. U .a. wurde dort von Beginn an hoher Wert auf die Einbeziehung
   informeller ehrenamtlicher Helfer gelegt - erinnert sei z.B. an das Buddy-Konzepi -,
   ebenso darauf, daß diese die für ihr Engagement notwendige Qualifizierung und
   fachliche Unterstützung erhalten (siehe dazu: SchaefferlMoers 1992; Ewers 1995).
 2 So verfügt Z.B. derVNA-Pflegedienst in San Francisco, wo bislang mehr als 20000
   AIDS-Fälle gemeldet wurden, über einen sehr großen Arbeitsbereich und zahlrei-
   che Projekte, die ausschließlich auf die besonderen Betreuungs- und Versorgungs-
   erfordernisse von AIDS-Patienten zugeschnitten sind. U.a. wurde jüngst ein soge-
   nanntes »Hotel-Projekt« konzipiert (Robb 1994), das dazu dient, der wachsenden
   Zahl wohnungs loser und in sogenannten »Läusepensionen« lebender Erkrankter
   Rechnung zu tragen.

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