DAS? - Deutscher Kinderschutzbund

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DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
D I E Z E I T S C H R I F T D E S K I N D E R S C H U T Z B U N D E S  2 . Q UA R TA L 2 0 2 0 / H 8 7 6 3 F

                              KINDERSCHUTZ A K T U E L L

                                                                                          2.20

Übergänge meistern:

Schaff ´ ich
                                       DAS?
                     Kinder stehen in ihrer Entwicklung vor vielen
                    Veränderungen, die bewältigt werden müssen.
                      Gut, wenn Erwachsene sie dabei begleiten.
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starke eltern
                                 starke kinder
                                 Das Magazin des Deutschen
                                 Kinderschutzbundes

                                 Starke Kinder brauchen starke Eltern.
                                 Auf 192 Seiten finden Sie
                                  hilfreiche Ideen und Anregungen rund um das Thema Erziehung
                                  interessante Artikel zum Lesen und Schmökern
                                  weitere Informationen, Lesetipps und Internetlinks zu den Artikeln
                                  Reportagen, Interviews und viele Fotos

                                 starke eltern starke kinder ist ein zuverlässiger Ratgeber in
                                 allen Lebenslagen.

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                                    des DKSB-Jahresheftes 2020 „starke eltern starke kinder”
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DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
Übergänge meistern: Schaff’ ich das?
Der Eintritt in die Kita oder Grundschule – solche Entwicklungen bewältigt jedes Kind auf seine jeweils
eigene Weise. Eine Herausforderung bleiben Übergänge für Kinder allemal, gerade wenn Veränderungen,
z.B. ein Umzug, ganz plötzlich anstehen. Wie gelingt dem Kind die Anpassung an die neue Situation, an
die neue Lebenswelt, an seine neue Rolle? Immerhin wandeln sich mit jedem Übergang auch gewohnte
Beziehungsgefüge. Das macht Eltern übrigens stets zu „Mitbetroffenen“. Auch sie müssen sich an Verän-
derungen im Leben ihres Kindes erst gewöhnen – und es dabei zugleich feinfühlig in solchen Phasen
begleiten. Empathie ist an dieser Stelle auch von pädagogischen Fachkräften zu erhoffen, die die
Prozesse maßgeblich mitmoderieren.

                                                                                                 INHALT 2.2020
               10                                                                       KLIPP & KLAR
                                                                                        4    Kolumne, Corona-Virus

                                                                                        THEMA
                                                                                        6    Im Fluss der Entwicklung
                                                                                             Was hilft Kindern, wenn Neues noch fremd ist?

                                                 20
                                                                                        8    Herzlich willkommen!
                                                                                             Ein Kind kommt zur Welt
                                                                                        10   Wie kann´s klappen?
                                                                                             Der erste Weg in die außerfamiliäre Betreuung
                                                                                        13   „Ist nicht schliiiiimm!“
    Wie kann`s klappen?                             Das Staffelholz                          Interview mit einem Experten
Es dient dem Interesse des Kindes, wenn             weiterreichen                            vor dem Schuleintritt
  es einen Kindergarten oder eine Kita    Der DKSB begleitet Kinder und Jugendliche     15   SEK, TEM und anderer Bohei
 besucht. Die Frage ist nur: Ab welchem     bei Übergängen oft besonders intensiv.           Zwischenfrage: Geht es wirklich um die Kinder?
Alter? Lesen Sie, wie mit guter Vorberei-  Dafür muss er sich selbst gut „aufstellen“
tung und Eingewöhnung auch der frühe                                                    16   Brücken in die Zukunft
                                             und seine eigenen Übergangsphasen               Der DKSB Dinslaken-Voerde
 Übergang in eine Einrichtung gelingen     sinnvoll gestalten. Wie? Darüber hat eine
           kann. Ab Seite 10                                                                 stärkt Jugendliche im Quartier
                                          Kinderschützerin nachgedacht. Ab Seite 20
                                                                                        18   Vom Abschied und Ankommen
                                                                                             Eine umzugserprobte Mutter berichtet
                                                                                        20   Das Staffelholz weiterreichen
                                                                                             Aufbauende Gedanken
                                                                                             zu Übergängen im DKSB

                                                                                                            23

      26
                                                                                        KINDER IM BLICK
                                                                                        23 Umweltschutz im DKSB
                                                                                             Es geht um die Zukunft der Kinder
                                                                                        26 20 Jahre Recht auf gewaltfreie Erziehung
                                                                                           DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen
          20 Jahre Recht auf gewaltfreie Erziehung                                         mit einer Zwischenbilanz
Der Kinderschutzbund hatte entscheidenden Anteil daran, dass Kinder seit mittlerweile   28 Die machen Sachen!
 20 Jahren das Recht auf ein gewaltfreies Aufwachsen besitzen. „Wir können uns aber        Infos & Tipps aus der DKSB-Praxis
leider noch nicht zurücklehnen“, sagt DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen    30 Aktuelles aus dem Bundesverband
          im Gespräch mit Joachim Türk. Eine Zwischenbilanz. Ab Seite 26
                                                                                        31 Impressum
DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
KOLUMNE                                                                     KLIPP &
                                                                                         KLAR
                      LIEBE LESERINNEN
                      UND LESER
                      Stand März 2020: Auf einmal steht das Leben still.
                      Ich wollte Ihnen an dieser Stelle eigentlich von meinen
                      Eindrücken der Fachtagung zum Jubiläum des Geset-
                      zes zur Ächtung der Gewalt berichten. Seit 20 Jahren
                      haben Kinder in Deutschland ein Recht auf gewalt-
                      freie Erziehung. Dieses Jubiläum wollten wir in Berlin
                      mit einer großen Veranstaltung feiern, zu der viele        CoronaVirus I                    Foto: iStock-Kristen Prahl
                      namhafte WissenschaftlerInnen zugesagt hatten.
                      Ich wollte einen Ausblick geben auf die diesjährigen
                      Kinderschutztage in Schwerin. Die Ministerpräsidentin
                                                                                Wie geht es
                      des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Manuela
Schwesig, hatte die Schirmherrschaft übernommen, worüber ich mich sehr
                                                                                DEN KINDERN?
gefreut habe. Ebenso gefreut hätte ich mich, die KinderschützerInnen aus        Auch der Alltag von Kindern und Jugendlichen
ganz Deutschland wieder zu sehen und gemeinsam mit ihnen über                   ist im Frühjahr 2020 vom Corona-Virus auf den
vergangene Erfolge und Projekte für die Zukunft zu sprechen.                    Kopf gestellt. Wie geht es ihnen?
Stattdessen haben wir beschlossen, beide Veranstaltungen abzusagen.             Die gute Nachricht vorweg: Kinder erkranken bis-
Uns im Bundesvorstand ergeht es wie Ihnen in den Gliederungen:                  her weit seltener als Erwachsene. Und wenn, dann
Lang geplante Konferenzen, Fachtage und Jubiläumsveranstaltungen                sind auch die Krankheitsverläufe bei Kindern laut
müssen verschoben werden. Vom Kinderschutzbund betriebene Kitas und             Robert Koch Institut eher mild und unspezifisch.
Einrichtungen schließen. Und auf einmal blicke auch ich in meinen sich
leerenden Terminkalender und werde von Ratlosigkeit erfasst.                    Jenseits davon haben Kinder aber soeben große
                                                                                Veränderungen erlebt: Kitas und Schulen ge-
Was nun?                                                                        schlossen, obwohl keine Ferienzeit ist. Darf ich da
Das fragen sich noch mehr die Eltern, die vor verschlossenen Kitas und          nie wieder hin? Kinder werktags plötzlich von
Schulen stehen. Das fragen sich Lehrkräfte, die eigentlich bald zum             fremden Leuten betreut. Hä? Oder daheim von
Schulabschluss prüfen müssen. Das fragen sich auch Großeltern,                  den Eltern, die auf einmal zu Hause sind und oft
die den Kontakt mit ihren Enkelkindern vermeiden sollen.                        ratlos wirken, unsicher und bedrückt. Irgendwas
                                                                                ist bestimmt ganz schlimm. Spielplätze gesperrt,
Die Epidemie des Corona-Virus zwingt uns alle, neu zu denken.                   Ausflüge und Treffen mit Freunden fallen aus.
ArbeitgeberInnen müssen sich flexibel bei Homeoffice-Lösungen zeigen.           Auch kein Besuch mehr bei Oma oder Opa. Das
Schulen entwickeln kreative Lösungen zur Vermittlung von Unterrichtsstoff.      macht mich soooo traurig! Draußen Leute hinter
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen bietet nun am Vormittag Lerneinheiten       Mundschutz vermummt. Sehr, sehr merkwürdig,
für SchülerInnen verschiedener Jahrgangsstufen an. In Deutschland lernen        die Welt. Und für die Jüngsten manchmal auch
gerade viele Großeltern, wie man mit den Enkelkindern auch per Videochat        gruselig.
Kontakt halten kann. Und auch wir im Bundesvorstand erproben nun
                                                                                Deshalb wird Erziehenden von psychologischen
Formate wie Videokonferenzen und Telefonschaltkonferenzen, digitale
                                                                                Fachleuten geraten:
Beschlussverfahren und Informationsangebote.
                                                                                M Schützen Sie das Kind vor Corona-Panik.
Dieses Heft trägt den Namen „Übergänge“. Das Corona-Virus ist ein                 Es ängstigt sich, wenn es Angst bei
harter Einschnitt in unser gesellschaftliches Leben. Es zwingt uns alle in        Erwachsenen spürt. Bleiben Sie deshalb
die Häuslichkeit. Es befeuert den digitalen Wandel. So scheint die Pandemie       möglichst ruhig und sachlich.
ein Katalysator eines Übergangs zu sein, Ausgang: offen.                        M Erklären Sie dem Kind, dass sich die
Ich sehe die Herausforderungen, die die Maßnahmen von Schul- und Kita-            Menschen mit mehreren Maßnahmen vor
schließungen mit sich bringen. Dennoch halte ich die Entscheidung für             dem neuartigen Virus schützen, weil der
richtig. Wenn dies dazu beiträgt, Menschenleben zu retten, dürfen wir             Köper dagegen noch kein Schutzschild hat.
nichts unversucht lassen.                                                       M Erläutern Sie die Schutz-Regeln im Hinblick
                                                                                  auf Kontakte und Hygiene.
Ich wünsche allen Kindern, Eltern, Großeltern, KinderschützerInnen und          M Ermöglichen Sie dem Kind täglich Bewegung
Fachkräften viel Energie, Kreativität und Kraft, um die aktuelle Situation        sowie einen strukturierten festen Tagesab-
bewältigen zu können. Vor allem wünsche ich uns allen aber etwas,                 lauf. Das gibt Sicherheit.
das fast schon zur Phrase verkommen war: Bleiben Sie gesund!                    M Lassen Sie das Kind nicht allein im Internet
Ihr Heinz Hilgers                                                                 über das Corona-Virus recherchieren.
Präsident des Kinderschutzbundes                                                  Dort kursieren viele verstörende und auch
                                                                                  falsche Informationen.  -dü

4 KSA 2.2020
DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
CoronaVirus II

           AUSWIRKUNGEN auf den DKSB
Das sich ausbreitende Coronavirus hat           Der Bez.-Verband Frankfurt musste                      uns auch viele E-Mails rund um das Corona-
sich enorm auf die Arbeit, Angebote und        seinen 20. Hilton-Basar (für 2.000 Gäste, mit            Virus. Kinder fühlen sich z.B. oft von der
Veranstaltungen des Kinderschutzbundes         150 ehrenamtlichen HelferInnen) absagen.                 Angst der Erwachsenen bedrückt, aber sie
ausgewirkt. Hier einige Schlaglichter.                                                                  haben auch selbst Angst, dass sich ihre An-
                                               NICHTS IST, WIE ES WAR: Das betraf vor                   gehörigen anstecken. Viele sind traurig, weil
KINDERSCHUTZTAGE 2020: Die zentrale            allem regelmäßige Angebote des DKSB:                     z.B. ein von ihnen getrennt lebendes Eltern-
Veranstaltung des DKSB fand nicht wie           Kindereinrichtungen (z.B. Kitas) schlossen.            teil isoliert ist. Ältere Kinder sorgen sich auch
gewohnt im Mai statt, sondern wurde auf        Nur noch Kinder, deren Eltern in systemrele-             um ihre schulische Zukunft im Hinblick auf
Herbst 2020 verschoben. Das entschied der      vanten Berufen (Gesundheitswesen, Polizei,               Prüfungen. Häufiger erfahren wir auch von
Bundesvorstand bereits Anfang März.            Feuerwehr etc) arbeiten, wurden betreut.                 verstärkten Depressionen oder sogar Suizid-
Schwerin als Austragungsort bleibt aber         Beratungsstellen stellten persönliche                  gedanken, weil Kinder nicht zu ihrer Bera-
bestehen, der neue Termin wird rechtzeitig     Gespräche vor Ort ein. Dafür weiteten sie                tung oder Therapie gehen können. Eltern
mitgeteilt.                                    telefonisch oder online ihre Unterstützung               wiederum sind oft ratlos, wie sie ihre Kinder
                                               aus.                                                     den langen Tag über beschäftigen können,
FACHTAG AM 30. APRIL:„20 Jahre gewalt-          Bei den Frühen Hilfen gab es keine                     so lange Kitas und Schulen geschlossen
freie Erziehung“ wollte der Bundesverband      Baby-Willkommensbesuche mehr.                            bleiben. Der Druck in Familien steigt.“
mit einer großen Veranstaltung in Berlin        OV/KV sperrten ihre Räumlichkeiten für
würdigen. Alle Plätze waren sehr rasch aus-    jeden Publikumsverkehr (z.B. Elterntreffs,                LOBBYARBEIT GEHT WEITER
gebucht. Bis die unausweichliche Verlegung     Kindertreffs, Müttercafés).                               Für sehr viele Kinder ist durch die Schließung
auf Herbst 2020 kam – mit noch unbekann-        Weitere betroffene Arbeitsbereiche: u.a.                der Schulen und Kitas das kostenfreie Mit-
tem Datum.                                     Kleiderläden, Ferienprogramme, Familien-                 tagessen weggefallen. Das trifft Familien,
                                               bildung, Patenprojekte und vieles andere                 die von Leistungen zur Existenzsicherung
KONFERENZ DER KINDERHÄUSER                     mehr.                                                    leben müssen, besonders. Für sie forderte
BLAUER ELEFANT®: Am 17./18. März 2020                                                                   DKSB-Präsident Heinz Hilgers bereits am
stand die Jahreskonferenz der DKSB-Kinder-     VERMEHRTE KONTAKTE ZUR NUMMER                            20. März einen unbürokratischen Zuschlag
häuser in Neumünster an – sie musste           GEGEN KUMMER E.V.: Deren Angebote                        in Höhe von 90 Euro pro Monat und Kind –
abgesagt werden.                               (Kinder- und Jugendtelefon, Elterntelefon                finanziert aus den freigewordenen Mitteln
                                               und online-Beratung) wurden immer stärker                des Bildungs- und Teilhabepakets. „Das sind
AUCH ORTS, KREIS UND LANDES                 frequentiert. Anna Zacharias, Fachreferentin             drei Euro pro Tag und Kind, die zumindest
VERBÄNDE SIND STARK BETROFFEN:                 für Öffentlichkeitsarbeit beim Dachverband,               eine Sorge der betroffenen Familien lindern
Nicht wenige haben ihren Betrieb vorüber-      berichtet Ende März: „Zunehmend erreichen                können“, so Hilgers. -dü
gehend ganz eingestellt. Viele Hauptamt-
liche arbeiteten in Homeoffice, viele er-
hielten auch Kurzarbeitergeld. Zahlreiche
Gliederungen wussten Anfang April noch

                                                                                                                                                            Foto: D. Blappert
nicht, ob und wie Fragen z.B. zu ihren Sach-
und Betriebskosten geregelt werden.
Darüber hinaus wurden Mitgliederver-
sammlungen, Info-Abende, Teamtreffen,
Fortbildungskurse u.v.m. vorerst aus dem
Terminplan gestrichen.

EINIGE BEISPIELE VON VIELEN:
 Die Kinderschutz-Akademie des LV
Niedersachsen sagte alle Veranstaltungen
zunächst bis 18. April ab. Auch der zwei-
tägige Fachtag „… aus Lügde lernen …?!“
des LV NRW zu den Missbrauchsfällen fiel
im März aus.
 Der LV Sachsen konnte im April sein
30-jähriges Bestehen nicht feiern (trotzdem
herzlichen Glückwunsch!).
                                               Sonntag, den 15. März, in dieser Form noch erlaubt: Leitungsteams des OV Essen besprechen
                                               die anstehende Schließung der Kitas und Sicherung der Notbetreuung

                                                                                                                                                      5
DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
TITEL-
                                                                              THEMA
Foto: iStock-SolStock

                               Übergänge meistern

                        Im Fluss der Entwicklung
                        Bis Kinder erwachsen sind, machen sie viele körperliche,                                                     GEFÜHLE REGULIEREN
                                                                                                                            Eine verlässliche, sichere Bindung ist für das
                        seelische und geistige Entwicklungssprünge. Kinder meis-
                                                                                                                            Kleinkind Ausgangspunkt für den nächsten
                        tern diese in ihrem jeweils eigenen Tempo vor allem dann,                                           Übergang, sich mit zunehmenden motori-
                        wenn empathische Bezugspersonen an ihrer Seite stehen.                                              schen Fähigkeiten von der Bezugsperson zu
                                                                                                                            entfernen. Krabbelnd unternimmt es erste
                        Dabei zeigt sich: Alle Übergänge gelingen umso besser,
                                                                                                                            Exkursionen – aber immer mit Rückversiche-
                        je früher ein Kind gut und sicher gebunden ist. Die Basis                                           rung zum Elternteil. Verhält sich die Mutter/
                        wird also in den ersten Lebensjahren gelegt, das zeigt auch                                         der Vater dabei aufmunternd? Oder ängst-
                                                                                                                            lich? Die Reaktion der erwachsenen Bin-
                        die Gewichtung in der folgenden Entwicklungsübersicht.
                                                                                                                            dungsperson bestimmt den Tatendrang der
                        Neuere Arbeiten aus der Säuglingsforschung          aber wohl: Eine Schwangere, die gern Punk-      kleinen Weltentdecker mit – und damit zu-
                        und den Neurowissenschaften schreiben be-           Musik hört, wäre von Mozart oder Brahms         gleich den Übergang von der Eltern-Kind-Ein-
                        reits einem Embryo Fähigkeiten zu Wahrneh-          wohl eher gestresst...                          heit hin zum ersten Erleben von Unabhängig-
                        mungen und Unterscheidungen zu. Dieses                                                              keit und Selbstwirksamkeit (z.B. beim Auf-
                        frühe Vermögen bedeutet aber auch, schon              DAS KIND IN SICHERER BINDUNG                  und Zuschieben einer Schublade).
                        früh Übergängen ausgesetzt zu sein. Kann            Hat das Kind den Übergang „Geburt“ ge-          Es bleibt aber weiterhin Aufgabe der Bezugs-
                        ein Embryo z.B. Stimmen unterscheiden, so           schafft, bindet es sich rasch, zumeist an die    person, die Emotionen beim Kleinkind zu re-
                        „schafft“ er sich damit einen Übergang aus           Mutter. Säuglinge können ihre Bezugsperso-      gulieren, wenn die neu erforschte Welt ihm
                        dem „Chaos“ hin zur beruhigenden Sicher-            nen schnell von fremden Menschen unter-         Angst macht oder wenn es sich das Händchen
                        heit einer vertrauten Stimme.                       scheiden, ohne dass ihnen ein Ich und Du be-    in der Schublade einklemmt. Tröstender Zu-
                        Die neuronale Vernetzung und Entwicklung            wusst ist. Für das Baby ist eine gute Bindung   spruch und ggf. sanftes Pusten aufs „Aua“ re-
                        des Gehirns beginnt in der embryonalen Pha-         überlebenswichtig, denn es kann sich für        gulieren zunächst von extern die Gefühle des
                        se und ist bei Stress der Mutter verletzlich. Das   lange Zeit nicht allein versorgen. Was eine     Kindes. Kehrt das beruhigende Verhalten der
                        liegt am Cortisol in ihrem Blut. Dieses Stress-     gelingende emotionale Beziehung zum Kind        Bezugsperson ritualisiert und verlässlich im-
                        hormon kann die wichtigen Prozesse hem-             ausmacht, beschreiben BindungsforscherIn-       mer wieder, z.B. beim Übergang des Kindes
                        men und nach dem Übergang „Geburt“ zu               nen wie der britische Kinderpsychiater John     vom Wachsein in den Schlaf, so kann es ganz
                        Entwicklungsverzögerungen des Säuglings             Bowlby. Sicher gebundene Kleinkinder kann       allmählich lernen, sich selbst zu beruhigen.
                        führen. Ob wiederum klassische Musik die            man oft nach dem ersten Lebensjahr von un-      Diese Selbstregulation ist ein wichtiger Schritt
                        Entwicklung des kleinen Gehirns fördert, wie        sicher gebundenen Kindern unterscheiden.        in der Entwicklung und wird als Fähigkeit in
                        manche sagen, bleibt dahingestellt. Fest steht                                                      Institutionen wie Krippe, Kita und Schule zu-

                        6 KSA 2.2020
DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
Foto: iStock-cokada

                                     nehmend vom Kind gefordert. Mangelt es ei-                  IN KITA UND SCHULE
                                     nem Kind hingegen daran, kann es seine ko-                    GUT ANKOMMEN
                                     gnitiven Leistungen oft nicht ausreichend ab-     Gelingen dem Kind die bisher beschrieben
                                     rufen. Die Folge sind erschwerte Übergänge        basalen Übergänge, so ist es für die nächsten
                                     in die Kita und Schule.                           Schritte in die institutionelle, außerfamiliäre
                                                                                       Erziehung gut ausgestattet. Hier kommen zu-
                                      „SELBST“ENTWICKLUNG FÖRDERN                     nehmend andere Kinder ins Spiel – aber auch
                                     Das „Selbst“ spielt nicht nur in Begriffen wie     ErzieherInnen und Lehrkräfte. Die Forschung
                                     Selbstregulation oder Selbstmanagement ei-        zeigt: Sicher gebundene Kinder können auch
                                     ne wichtige Rolle. Aber wie gelingt denn nun      zu anderen Bezugspersonen eine sichere Bin-
                                     der Übergang aus dem „ozeanischen Gefühl“         dung aufbauen, wenn diese empathisch sind.
                                     einer Eltern-Kind-Einheit hin zu einem eige-      In Kindergarten und Schule sollen sich beim
                                     nen Selbst und dem anderer Menschen als           Kind wichtige soziale Kompetenzen heraus-
                                     Gegenüber? Und was ist überhaupt dieses           bilden, die später Grundlage für weitere Über-
                                     „Selbst“?                                         gänge sind. Ist diese Entwicklung des Sozial-
                                     Kinder haben mit etwa 18 Monaten ein äuße-        verhaltens gestört, so führt das häufig auch zu
                                     res Bild von sich. Im Spiegel erkennen sie sich   Schulversagen und in der Folge zu Risiken für
                                     als „Ich“. Sie können aber noch nicht zwischen    die Zukunft des Kindes. Lernen Kinder dage-
                                     ihren inneren psychischen Zuständen bzw.          gen früh, mit einem durch Selbstwirksam-
                                     Gedanken und dem Äußeren unterscheiden,           keitserleben gestärkten Selbst ihre Affekte zu
                                     weil Kognitionen und Emotionen noch nicht         sortieren und zu regulieren, so werden sie sich   Aber bleiben wir noch mal bei ihrer Entwick-
                                     an das Selbst gebunden sind.                      auch zunehmend gut in den anderen einfüh-         lung. Vor allem Jungen haben mit ihrer ausge-
                                     Ein wichtiger Übergang für das Kind ist es        len können. Dann begreifen sie z.B.: Was mir      prägten Motorik häufig einen Hang zum Risi-
                                     daher, dass es über Symbolisierung/Sprache        wehtut, tut auch dem anderen weh – das ist        ko. Die neuronale Verbindung zum vorderen
                                     lernt, Gefühlen wie Angst oder Freude ein         auch in der Gewaltprävention ein wichtiger        Teil des Gehirns bremst diese Impulse ab, ist
                                     Wort zu geben. Damit gestaltet es einen refle-     Aspekt!                                           aber noch nicht ausgereift. Daher kann es in
                                     xiven Bezug zu sich selbst. Natürlich braucht     Für gelingende Übergänge sind neben dem           der Pubertät zu riskantem Verhalten kommen.
                                     das Kind dafür wieder ein empathisches Ge-        Einfühlungsvermögen aber auch die Vorstel-        Das lässt sich z.B. bei Statusbestimmungen in
                                     genüber. Diese Person spiegelt dem Kind           lungen des Kindes über eigene und fremde          Gruppen beobachten. Mit guten Grundlagen
                                     schon im vorsprachlichen Bereich dessen Ge-       Erwartungen bedeutsam: Was erwartet je-           für gegenseitiges Vertrauen hat ein Jugendli-
                                     fühle deutlich wider, sodass es vorbewusst ler-   mand von mir – und was erwarte ich vom an-        cher aber meist soviel Selbstvertrauen, dass er
                                     nen kann: Das sind meine Gefühle – und nicht      deren? Kurz: Das Kind lernt zu deuten, zu         weiß, wann der Gruppendruck die persönli-
                                     die von Mama oder Papa. Klingt kompliziert?       reflektieren und daraus seine Schlüsse zu         che Grenze überschreitet.
                                     Vielleicht, aber die meisten Eltern machen das    ziehen.                                           Auch wenn Jugendliche autonom sein wol-
                                     intuitiv richtig. Sie ahmen z.B. das Gähnen des                                                     len, brauchen sie ein empathisches Gegen-
                                     Säuglings mit übertriebenem Gähnen nach                 DIE JUGENDZEIT BETRETEN                     über. Die allermeisten Eltern wissen das; sie
                                     oder spiegeln dem Kind seine Freude mit           Jugendlichen erscheinen die Eltern oft nur        verstehen, dass sich ihr heranwachsendes
                                     Überschwang wider. Diese Art Zwiegespräch         noch peinlich, „alt“, ängstlich, meckernd usw.    Kind von ihnen ablösen muss, und sind auch
                                     mit dem Nachwuchs, die Spiegelung von au-         Teenager wollen nun ihre eigenen Werte be-        in dieser Phase an dessen Seite. Im Vergleich
                                     ßen, wird auf Neudeutsch „babytalking“ ge-        stimmen und danach leben – was in einer           zur Trotzphase des Kleinkindes ist die Puber-
                                     nannt. Sie fördert die „Selbst“-Entwicklung       pluralistischen Gesellschaft wie unserer gar      tät eine Loslösung auf höherer Ebene und
                                     und auch das Erleben von Selbstwirksamkeit        nicht so einfach ist.                             kann zuweilen „spektakuläre“ Momente ha-
                                     beim Kind.                                                                                          ben...
                                                                                                                                         Zu guter Letzt: Im Jugendalter spielt die Part-
                                                                                                                                         nerschaft eine zunehmende Rolle. Es geht um
Foto: Depositphotos_monkeybusiness

                                                                                                                                         geschlechtliche Orientierung, Entdeckung
                                                                                                                                         der Sexualität des erwachsenen Menschen,
                                                                                                                                         das Finden von Interessen in Schule und Aus-
                                                                                                                                         bildung.
                                                                                                                                         Hier schließt sich der Kreis zum Textanfang:
                                                                                                                                         Viel Auswahl in unserer pluralen Gesellschaft
                                                                                                                                         setzt ein gefestigtes, entscheidungsfähiges
                                                                                                                                         Selbst voraus. Dafür wird in der frühen Kind-
                                                                                                                                         heit die Basis gelegt. Sie befähigt Kinder und
                                                                                                                                         Jugendliche auch, die vielen Übergänge, Ab-
                                                                                                                                         brüche und Neustarts, die heute das Leben für
                                                                                                                                         junge Menschen bereithält, zu bewältigen. 
                                                                                                                                         Jens Pannemann, Dipl.-Psychologe,
                                                                                                                                         Leiter des Kinderhauses BLAUER
                                                                                                                                         ELEFANT® im OV Brake

                                                                                                                                                                                     7
DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
Herzlich
         Übergang  Geburt

           WILLKOMMEN
    Eine Schwangerschaft, die Geburt und die erste Zeit                                            profitiert jede Schwangere von einer guten
                                                                                                   fachlichen und persönlichen Begleitung zu
danach sind für Eltern und Kind tiefgreifende Erfahrungen.                                         allen Fragen, die sie bewegen.
   (Werdende) Mütter sind einmaligen hormonellen und                                               Ist das Kind auf der Welt, muss es selbststän-
  seelischen Prozessen ausgesetzt und erfahren eine nie                                            dig atmen, mit der Schwerkraft, mit Lautstär-
                                                                                                   ke und Licht zurechtkommen, es muss trinken
  gekannte Veränderung. Paare erleben gute oder ungute                                             und verdauen. Eine Menge Anforderungen
Dynamiken, vergehen vor Glück oder stehen vor vielfältigen                                         auf einmal. „Wie schön ist es dann, gehalten,
 Nöten. Und das Kind? Mit dem Moment des Übergangs                                                 gewärmt, genährt und beruhigt zu werden“,
                                                                                                   weist Manfred Lübke auf die Grundbedürfnis-
    auf diese Welt sind von ihm Anpassungsleistungen                                               se von Neugeborenen hin. Das Baby erlebt die
            gefordert, die ihresgleichen suchen.                                                   erste Berührung, den ersten Blickkontakt, es
                                                                                                   entsteht die erste Zwiesprache zwischen Mut-
Mit der Empfängnis beginnt ein neues Leben       sich dort sicher geborgen bei optimaler Tem-      ter und Kind bzw. Vater und Kind.
– ein Mensch wächst im Mutterleib heran.         peratur und Versorgung mit Nahrung. So lan-
Für die Eltern ist das ein Übergang in einen     ge noch Platz ist, lebt es in Schwerelosigkeit.         MIT DEN ELTERN ZU HAUSE
ungewohnt anstrengenden, aber hoffentlich         Geräusche sind gedämpft, Bewegungen sanft         Hier lernt das Kind allmählich, wie das Leben
auch schönen neuen Lebensabschnitt, gera-        abgefedert.                                       außerhalb des Mutterleibs und der Rhyth-
de wenn sie ihr erstes Kind erwarten. Das        Die Entbindung ändert dann alles.                 mus seiner Familie funktionieren. Umge-
„Wunder der Natur“ verändert plötzlich ganz                                                        kehrt lernen die Eltern den Lebensrhythmus
viel. Die meisten Schwangeren kommen gut                 DER WEG AUF DIE WELT                      ihres Kindes kennen. Was braucht das Kleine
durch diese besondere Zeit, gerade bei regel-    Eine komplikationsfreie Spontangeburt ist         – und wann? „Eltern werden zu Spezialisten
haftem Verlauf der Schwangerschaft, gesi-        aus Sicht von Manfred Lübke, Mitbegründer         für ihr Kind und umgekehrt. Der Mensch
cherten Lebensbedingungen und gemein-            der Kieler Schreiambulanz und Kinderarzt im       meistert diesen begonnenen Lernprozess,
samer Vorfreude auf das Kind. Trotzdem kann      Ruhestand, der optimale Start ins Leben und       weil er die Fähigkeit dazu schon in sich trägt“,
es zeitweilig durchaus mal kräftig holpern       die beste Basis für die spätere Entwicklung       sagt Dipl.-Psychologin Lidija Baumann. Die
und ruckeln. Für nicht wenige Frauen ist die     des Kindes: „Windet es sich durch den en-         Leiterin des Kinderschutz-Zentrums und der
Schwangerschaft aber auch begleitet von          gen Geburtskanal, so wird das Fruchtwasser        Frühen Hilfen im OV Kiel räumt entschieden
Unsicherheiten, Ängsten und besonderen so-       gründlich aus den kindlichen Lungen he-           mit dem Mythos auf, dass Mütter ihr erstes
zialen oder gesundheitlichen Belastungen.        rausgepresst. Mit dem ersten Schrei beginnt       Neugeborenes in den Armen halten und so-
                                                 dann das eigenständige Atmen.“                    fort wüssten, was jetzt richtig zu tun sei. Und
       DIE SCHWANGERSCHAFT                       In Deutschland kommt heute allerdings na-         auch Manfred Lübke erinnert an eine zu oft
Während sich der Bauch rundet, ist ein Eltern-   hezu jedes dritte Kind per Kaiserschnitt auf      vergessene Erkenntnis: „Der Mensch ist mit
paar immer noch zu zweit, es bewegt sich be-     die Welt – selbst im europäischen Vergleich       seiner Entwicklung auf die Anpassung an äu-
ziehungsmäßig also auf (noch) bekanntem          ist das eine sehr hohe Rate. Diese Geburtsart     ßere Umstände vorbereitet. Der Mensch hat
Terrain. Und befindet sich doch im Übergang       ist in vielen Fällen zur Minimierung bestimm-     für seine Entwicklung Zeit. Und die dafür
hin zu einer Familie mit Kind, was an neuen      ter Risiken für Mutter oder Kind medizinisch      benötigte Zeit kann sehr unterschiedlich

                                                                                                   „
Themen und ungewohnten Situationen spür-         auch angezeigt. Bedenklich erscheint sie hin-     sein – geben wir sie den Kindern und auch
bar wird: morgendliche Übelkeit, Stimmungs-      gegen, wenn Kaiserschnitte lediglich zur Ent-     den Eltern!“
schwankungen, Dehnungsstreifen, heiraten         lastung unterbesetzter Entbindungsstatio-         Eine ganz wichtige Phase zum gegenseitigen
oder nicht, noch schnell eine andere Woh-        nen oder zum Nutzen eines reibungslosen           Kennenlernen ist für die Eltern und das Kind
nung besorgen oder nicht, wo kriegen wir Ba-     Klinikbetriebs geplant werden. Manche Frau-       die Wochenbettzeit. „Frisch gebackene Eltern
bybettchen, Kleidung und Kinderwagen her,        en wählen auch einen „Wunschkaiserschnitt“
Vorsorgeuntersuchungen, manchmal auch            zur Entbindung. In einzelnen Fällen verber-
existenzielle Fragen – das und anderes mehr      gen sich hinter dieser Entscheidung auch                    Die Eltern und
prägen jetzt den Alltag mit. Immer öfter wird    Ängste oder falsche Vorstellungen unter-                 das Kind meistern den
schon in dieser „Übergangsphase“ die Beglei-     schiedlichen Ursprungs, die in beratenden
tung einer Hebamme gewünscht.                    Gesprächen mit einer Hebamme oder der
                                                                                                       begonnenen Lernprozess,
Derweil ist das Kind im Bauch der Mutter bes-    Ärztin/dem Arzt geklärt werden können. Un-             weil sie diese Fähigkeit
tens aufgehoben. Ist alles gut, entwickelt es    abhängig von der bevorzugten Geburtsart                 schon in sich tragen.
8 KSA 2.2020
DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
Foto: depositphotos - icefront

                                 brauchen vor allem praktische Unterstützung,
                                 vielleicht eine lecker gekochte Suppe oder je-
                                 manden, der das Badezimmer putzt oder ein-
                                 kaufen geht. So hat die junge Familie Muße,
                                 sich auf das Leben zu dritt umzustellen. Wird
                                                                                      „         Die erfahrene
                                                                                              frühe Bindung und
                                                                                         feinfühlige Fürsorge sind
                                                                                       quasi die Lebensversicherung
                                                                                                                                       keiten hat und untröstlich sehr viel schreit.
                                                                                                                                       Kinderarzt Manfred Lübke erläutert, dass es
                                                                                                                                       dafür viele Ursachen geben kann. „Neugebo-
                                                                                                                                       rene können sich noch nicht selbst beruhi-
                                                                                                                                       gen, dafür brauchen sie ihre Eltern. Werden
                                 sie vom Umfeld vor Stress geschützt, ist das                eines Kindes.                             keine organischen Ursachen festgestellt, kön-
                                 für die Entwicklung des Kindes ein wahrer Se-                                                         nen die Fachberaterinnen einer Schreiambu-
                                 gen“, macht sich Lidija Baumann insbesonde-          gefährdet. Manche Mütter werden zum Bei-         lanz Eltern und Kind helfen.“
                                 re für alleinerziehende Eltern stark.                spiel von einer ausgeprägten und/oder lang       Die Ortsverbände des Kinderschutzbundes
                                 Manche Säuglinge brauchen für die Anpas-             anhaltenden Wochenbettdepression daran           halten u.a. als Träger von Familienzentren
                                 sung an diese Welt nur wenige Wochen, nach           gehindert, auf ihre Kinder angemessen ein-       oder unter dem Dach eines Kinderhauses
                                 drei bis vier Monaten haben es die meisten           zugehen. „Die betroffenen Babys unterneh-         BLAUER ELEFANT® unterschiedliche Frühe Hil-
                                 Kindern geschafft. „Eine frühe Bindungser-            men extreme Anstrengungen, sich ihren            fen für werdende und frisch gebackene Eltern
                                 fahrung des Kindes und die feinfühlige Für-          Müttern verständlich zu machen“, weiß Lidija     bereit: Sie beschäftigen z.B. Familienhebam-
                                 sorge der Eltern sind quasi die Lebensversi-         Baumann und betont: „Deswegen ist es für         men oder können interdisziplinär mit Fach-
                                 cherung eines Kindes und prägen lebens-              die Entwicklung dieser Kinder sehr wichtig,      kräften aus dem Kinderschutz, des Gesund-
                                 lang seine Reaktionen auf Stress mit“, führt         dass ihre Mütter so früh wie möglich Hilfe er-   heitswesens und der Gemeinde beraten. Wei-
                                 Lidija Baumann aus. „Ab etwa drei Monaten            halten.“                                         tere niedrigschwellige Angebote sind bei-
                                 wird das Baby zum Spezialisten für seine El-                                                          spielsweise das Elternfrühstück, Elterntreffs
                                 tern. Es bindet sich an sie und kann ihnen zei-                    FRÜHE HILFEN                       wie „Hallo kleiner Mensch“, „Café Kinderwa-
                                 gen, wie sie mit ihm umgehen sollen. Anders-         Hier setzen die sogenannten Frühen Hilfen        gen“ und ,„Elterngarten“ oder Baby-Willkom-
                                 herum lernen Babys aber auch schnell, was            an. Dieser Begriff steht für ein engmaschiges     mensbesuche. Der Kinderschutzbund führt
                                 mit ihren Eltern geht und was nicht.“ Im bes-        Netzwerk aus Frauen- und Kinderärztinnen         diese Angebote entweder mit hauptamtli-
                                 ten Fall hat ein Kind Eltern, die es in jeder Wei-   und -ärzten, Familienhebammen, Familien-         chen Fachkräften als alleiniger Träger oder in
                                 se feinfühlig wahrnehmen und versorgen.              zentren mit Angeboten für (werdende) Eltern      Kooperation mit der Gemeinde oder weite-
                                 Dieses Kind muss sich viel weniger anstren-          mit Kindern bis drei Jahre sowie weiteren re-    ren Trägern durch. Andere Angebote wie z. B.
                                 gen, damit seine Signale „gelesen“, also ver-        gionalen Akteuren, beispielsweise auch den       Familienpaten sind in einem Miteinander von
                                 standen, und die Bedürfnisse erfüllt werden.         Frühen Hilfen der Kinderschutz-Zentren. So       Hauptamtlichen und geschulten Ehrenamtli-
                                 Sind Eltern jedoch durch starken Stress, gro-        können junge Familien genau die Hilfe erhal-     chen organisiert. 
                                 ße Sorgen oder psychische Erkrankung belas-          ten, die sie in Übergangsphasen benötigen.       Gesa Gaedeke, Redaktion
                                 tet, ist das zarte Pflänzchen „frühe Bindung“         Etwa wenn das Kind Anpassungsschwierig-

                                                                                                                                                                                  9
DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
Foto: iStock-YanLev
          Übergang Familie  Kita

Wie                                                           kann´ s
                                                              KLAPPEN?
Der erste Weg, der ein Kind regelmäßig weg vom elterlichen Zuhause führt, ist der in den
Kindergarten oder die Kindertagesstätte. Dass Kinder eine solche Einrichtung besuchen,
ist heute aus vielen Gründen wünschenswert und selbstverständlich. Nur über das ge-
eignete Alter für diesen Start wird heftig gestritten. Was ist hier im Interesse der Kinder?
Der deutsche Pädagoge Friedrich Fröbel            Die Kindergärten in der jungen Bundesrepu-      von Mutti liebevoll bekocht worden waren.
fand schon vor 180 Jahren, dass Kleinkinder       blik ermöglichten Eltern (Müttern!) kaum ei-    Bis ins 21. Jahrhundert hinein hatten viele Kin-
in ihrer Entwicklung gefördert, erzogen und       ne geregelte Berufstätigkeit, das ließen die    dergärten in der BRD dieses zweigeteilte An-
gebildet werden sollten, wenn ihre Eltern ar-     Betreuungszeiten von acht bis zwölf Uhr gar     gebot. In der DDR waren die Kitas dagegen
beiten. Also gründete er damals die ersten        nicht zu. Immerhin konnte die Hausfrau in       durchgängig geöffnet.
Kindergärten. Sie wurden vom preußischen          dieser Zeit ungestört den Boden wienern         Seit 2013 haben Kinder bundesweit ab ihrem
Staat zunächst für fast zehn Jahre als „atheis-   oder einkaufen gehen. Lediglich ältere Kin-     ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf
tisch und demagogisch“ verboten. Doch die         der, die in der Nähe der Kita wohnten und den   Kinderbetreuung („U3-Betreuung“). Für Kin-
Idee der Kindergärten setzte sich durch,          Weg dorthin allein bewältigen konnten, nah-     der ab drei Jahren („Ü3-Betreuung“) bedeutet
wurde exportiert – und entwickelt sich bis        men zwischen zwei und vier Uhr das Nach-        das: einen Platz in einer Kindertagesstätte.
heute ständig weiter.                             mittagsangebot wahr – nachdem sie zuhause       Doch trotz großer Anstrengungen von allen

10 KSA 2.2020
Seiten reichen die Plätze vielerorts nicht aus,
um die Nachfrage zu decken (s. Kasten „Be-
treuungsbedarf“).
Man muss es ehrlich sagen: Der Ausbau der
frühen Betreuung ist vorwiegend „den Erfor-
                                                     er durstig oder müde ist? Wie lässt er sich am
                                                     besten trösten?
                                                     Fritzchen protestiert, als der Vater mit ihm
                                                     nach eineinhalb Stunden aufbricht, aber die
                                                     Erzieherinnen finden, für heute sei es genug.
                                                                                                            „          Ideal wäre, wenn junge
                                                                                                                      Familien genügend
                                                                                                                  Betreuungsplätze vorfinden
                                                                                                                  würden, aber auch finanziell
dernissen des Marktes“ geschuldet. Frauen            Am nächsten Tag läuft der Kleine die ganze
sollten, wollten und mussten auch oft bald           Strecke zur Kita schon alleine. Und auch heu-
                                                                                                                      abgesichert wären.
wieder an den Arbeitsplatz zurück. Für viele         te bleibt der Papa immer im Raum. Erst am             Foto: iStock-omgimages

eine wirtschaftliche Notwendigkeit, für viele        vierten Tag verabschiedet er sich kurz („Papa
auch eine persönliche Entscheidung. Ideal            kommt gleich wieder“) und setzt sich für eine
wäre heute, wenn junge Familien genügend             halbe Stunde auf die Parkbank vor der Kita,
Betreuungsplätze vorfinden würden, aber               das Smartphone parat. Fritz verkraftet die
auch finanziell abgesichert wären. Dann hät-          kleinen Trennungen gut, am Ende der zwei-
ten sie eine wirkliche Wahlfreiheit.                 ten Woche verbringt er bereits zwei Stunden
Mit dem Trend zur frühen „außerhäuslichen            alleine in der Gruppe. Einmal hat er sich weh-
Betreuung“, die zugleich Entwicklungsförde-          getan. Da weint er bitterlich nach dem Papa,
rung ist und ganz offiziell einen Bildungsauf-         der auch prompt angerufen wird und kommt.
trag hat, wandelte sich auch der öffentliche          Aber da hat sich Fritz bereits auf dem Arm sei-
Diskurs: Während Mütter noch vor einer Ge-           ner Erzieherin beruhigt. Zwei Dinge hat er ge-
neration oft schief angesehen wurden, wenn           rade erfahren: Meine Eltern kommen, wenn
sie ohne Not ihr Kind vor dem dritten Geburts-       ich sie brauche – und wenn sie nicht da sind,
tag „abgeben“ oder „fremdbetreuen lassen“            kann mich auch die Frau in der Kita trösten.
wollten, so berichten Eltern heute von schrä-        Bis Fritz von den Eltern regelmäßig erst nach-
gen Blicken, wenn sie ihr Kind erst mit drei         mittags abgeholt wird, vergehen noch Mona-
Jahren in den Kindergarten geben möchten.            te. Da kennt der Junge längst alle Regeln in
                                                     der Kita, räumt seine Schuhe selbst ins Fach
  WIE KANN DER FRÜHE ÜBERGANG                        und rennt nach dem Essen ins Bad zum Zäh-
         GUT GELINGEN?                               neputzen.
Da ist zum Beispiel Fritzchen, der gerade ein        Seine Kita bietet wie viele andere eine „Einge-
Jahr alt geworden ist. Seine Mutter muss             wöhnung nach dem Berliner Modell“: Tempo
und will wieder zurück in den Beruf. Ihr Part-       und Dauer der Trennung von den Eltern rich-
ner verdient als Freiberufler wenig und eher          ten sich nach dem Entwicklungsstand und
unregelmäßig, aber wenn er einen Auftrag             den aktuellen Bedürfnissen des Kindes. Das
hat, ist er oft tage- oder wochenlang weg.           klingt aufwändig und umständlich? Aber es
Die Miete für ihre Drei-Zimmer-Wohnung               lohnt sich. Zahlreiche Studien zeigen: Kinder,
schluckt einen großen Teil des Elterngelds.          die auf diese Weise eingewöhnt werden, kön-           PERSONALNOT
Aber die Mutter freut sich auch auf ihren Job        nen die Kita-Angebote besser nutzen, zeigen           Zum Deutschen Kitaleitungskongress in Düssel-
und die Kolleginnen. Jetzt suchen die Eltern         weniger Angst- und Rückzugsverhalten – und            dorf Anfang März 2020 hat der Chef der Gewerk-
für Fritzchen einen Platz, wo er bis zum Nach-       sie sind seltener krank.                              schaft Bildung und Erziehung, Udo Beckmann,
                                                                                  Foto: iStock-FatCamera
mittag betreut werden kann. Kein leichtes Un-                                                              die wesentlichen Ergebnisse einer aktuellen
terfangen in ihrer Großstadt – aber nach eini-                                                             repräsentativen Befragung unter 2.795 Kita-
gen Monaten wird überraschend ein Platz in                                                                 Leitungen in Deutschland vorgestellt: Danach
der „Zwergengruppe“ einer städtischen Kita                                                                 hatten im Jahr 2019 nur 8 % der Kitas durchge-
in der Nähe frei. Prima, in dieser Einrichtung                                                             hend eine auskömmliche Personalausstattung.
kann Fritzchen sogar bis zur Einschulung                                                                   Jede vierte Kita-Leitung gab an, sogar in über 40 %
bleiben.                                                                                                   der Betreuungszeit mit zu wenig Personal gearbei-
Mit 17 Monaten geht Fritzchen zum ersten                                                                   tet zu haben. Das berge Sicherheitsrisiken für die
Mal in die Kita. Mit seinem kleinen Stoffruck-                                                              Kinder, so die Autoren der Studie. Und auch das
sack, in dem sein Schnuller und der Hase ste-                                                              ein Befund: Es ist immer schwieriger, Personal für
cken, stiefelt er an der Hand des Vaters los, will                                                         offene Stellen zu finden.
nach halber Strecke aber getragen werden.                                                                  Die Befragung ergab außerdem, dass 94 % der
Am ersten Tag in der Kita passiert nicht viel.                                                             Kitas bei der Betreuung der unter Dreijährigen
Fritzchen kniet zwischen neun anderen Kin-                                                                  hinter der wissenschaftlich empfohlenen Fach-
dern und einer Erzieherin am Boden und                                                                     kraft-Kind-Relation von 1: 3 zurückbleiben. Bei den
spielt; manchmal läuft er zu seinem Vater, der                                                             über Dreijährigen verfehlen laut Studie 76 Prozent
auf der Bank an der Wand sitzt und mit einer                                                               den statistischen Betreuungsschlüssel von 1:7,5. 
anderen Erzieherin spricht. Sie macht sich No-                                                             Quelle: Gewerkschaft Bildung
tizen: Was spielt Fritzchen gerne? Wie nennt er                                                            und Erziehung
seine Eltern? Und sich selbst? Wie sagt er, dass

                                                                                                                                                     11
BETREUUNGSBEDARF
Foto: iStock-emholk

                                                                        Im Jahr 2018 besuchten knapp 790.000             für alle Kinder geht, auch für solche aus pre-
                                                                        Kinder unter drei Jahren in Deutschland          kären Verhältnissen, ob es um Spracherwerb
                                                                        eine Kindertageseinrichtung oder Kinder-         und Sprachförderung für Kinder mit einer
                                                                        tagespflege. Der tatsächliche Betreuungs-         nicht-deutschen Muttersprache geht oder
                                                                        bedarf lag durchschnittlich gut 14 % höher.      um soziale Erfahrungen für Einzelkinder: Für
                                                                        Geschätzt werden bis zum Jahr 2025 rund          jedes Kind hat die Kita jede Menge zu bieten.
                                                                        307.000 zusätzliche Plätze für die unter         Dafür brauchen Kinder viele gut ausgebildete
                                                                        Dreijährigen benötigt.                           ErzieherInnen mit einer hohen Arbeitszufrie-
                                                                        Knapp 2,43 Millionen Kinder im Alter von         denheit.
                                                                        drei Jahren bis zum Schuleintritt nahmen         Deshalb fordert der Kinderschutzbund z. B.
                                                                        Angebote der frühkindlichen Bildung, Er-         in seiner Stellungnahme zum Gute-Kita-Ge-
                                                                        ziehung und Betreuung in Anspruch. Die           setz (zu finden auf www.dksb.de): Der Aus-
                                                                        Betreuungsquote lag in dieser Altersgruppe       bau der frühkindlichen Betreuung darf nicht
                                                                        bei gut 93 % in Westdeutschland, in Ost-         zu Lasten der Qualität gehen!
                                                                        deutschland leicht höher. Der Betreuungs-        Der DKSB bereichert mit zahlreichen Ange-
                                                                        bedarf geht aber gegen 100 %.                   bote der Ortsverbände auch selbst die Bil-
                                                                                                                         dungslandschaft für die Kleinen: z.B. durch
                                                                        Quelle: Bundesfamilienministerium
                                                                                                                         Spielgruppen, durch Integrationsbausteine,
                                                                                                                         die kürzlich zugewanderten Familien u. a.
                              WIE KANN EIN KIND                          WER SOLL DAS ALLES HINKRIEGEN?                  das hiesige Bildungs- und Erziehungssystem
                           GUT VORBEREITET WERDEN?                      Hohe Ansprüche an die Eltern. Aber auch ho-      näher bringen, durch Beratung für Fachkräf-
                      Auch Eltern können ihrem Kind den Einstieg        he und weiter gestiegene Ansprüche an die        te und Eltern, durch Familienbildungsange-
                      in die Kita erleichtern:                          professionell Erziehenden. Ausbildung, Bezah-    bote in Kitas (wie der Elternkurs Starke El-
                       Fritz z.B. kannte das schon, neben und          lung und gesellschaftliche Anerkennung ihres     tern-starke Kinder®). Nicht zuletzt ist der Kin-
                      mit anderen Kindern zu spielen – er hatte         Berufsstandes kommen da nur schleppend           derschutzbund Träger von zahlreichen Kin-
                      vorher mit seiner Mutter bereits einen            hinterher, ebenso die Personalausstattung.       dertagesstätten in ganz Deutschland. All das
                      Eltern-Kind-Treff besucht.                         Dabei kann nicht oft genug betont werden:        sind Bausteine, damit Betreuung, Bildung
                       Als Fritzchen ein Baby war, haben sich sei-     Die Tätigkeit der pädagogischen Fachkräfte       und Erziehung von kleinen Kindern nicht nur
                      ne Eltern abwechselnd um ihn gekümmert,           in Kitas ist grundlegend wichtig für die Lern-   „marktgerecht“ ist, sondern in erster Linie
                      und manchmal auch die Großmutter oder             bereitschaft und Lebenszufriedenheit kleiner     dem Kindeswohl entspricht. 
                      eine Freundin der Eltern. So hat der Junge        Kinder! Ob es um gleiche Bildungschancen         Korinna Bächer, Redaktion
                      gemerkt: Es geht! Auch wenn ich nicht an-
                      dauernd auf Mutters Schoß bin, wird gut

                                                                                                                                                                            Foto: iStock-skynesher
                      für mich gesorgt.
                       Fritzchens Eltern tauschen sich auch von
                      Anfang an über ihre unterschiedliche Art aus,
                      mit dem Kleinen umzugehen. Sie finden:
                      Es darf mehr geben als nur eine richtige
                      Methode. Sie akzeptieren auch, dass im
                      Kindergarten manches – auch die Regeln –
                      anders läuft als zuhause. Das hilft auch Fritz,
                      Unterschiede auszuhalten. Und wenn die
                      Eltern mit etwas nicht einverstanden sind,
                      sprechen sie die ErzieherInnen darauf an –
                      und verunsichern damit nicht den Jungen.
                       Lieben bedeutet auch, loslassen zu kön-
                      nen. Fritzens Eltern sind für ihn da, aber sie
                      ermöglichen ihm den Kontakt zu anderen

                                                                        „
                      Erwachsenen und Kindern und freuen sich,
                      wenn er sich auch bei anderen wohl fühlt.
                      Sie sind nicht gekränkt, wenn Fritz neuer-
                      dings die Erzieherin statt der Mama heiraten
                      will, oder dass ihm der Kartoffelbrei in der
                      Kita besser schmeckt als zuhause. Sie finden
                      es gut, dass er die Kita besucht. Fritz spürt
                      das auch ohne Worte. Das macht es ihm
                                                                                     Die Tätigkeit der pädagogischen Fachkräfte in Kitas
                      leichter, in der Kita anzukommen und sich                        ist grundlegend wichtig für die Lernbereitschaft
                      dort sicher zu fühlen.                                                und Lebenszufriedenheit kleiner Kinder!

                      12 KSA 2.2020
Foto: iStock-kzenon

                                          Übergang Kita  Schule

                      „Ist nicht schliiiiimm!“
                        Von allen Übergängen ist die Einschulung wahrscheinlich                                           Viele Gliederungen des Kinderschutzbundes
                                                                                                                          leisten deshalb zu Schuljahresbeginn tolle
                         der erste, an den wir uns lebhaft erinnern. Ein markanter
                                                                                                                          Unterstützung. Sie kooperieren mit Einzel-
                        Einschnitt, zumindest im Rückblick. Mit dem Schulbesuch                                           händlern beim kostenlosen Befüllen von
                       beginnt der Ernst des Lebens, ist oft zu hören. Es stimmt ja                                       Schultüten, sammeln Spenden, die in kosten-
                                                                                                                          lose Schulranzen für bedürftige Familien flie-
                          auch: Mit den Schulnoten wird erstmals eine (bisweilen
                                                                                                                          ßen, oder vermitteln gebrauchte Ranzen. Der
                            trügerische) Vergleichbarkeit hergestellt – auch für die                                      DKSB konzentriert ohnehin einen großen Teil
                        Eltern: Wo steht mein Kind im Vergleich zu den anderen?                                           seines Angebots auf diesen wegweisenden
                                                                                                                          Übergang im Kinderleben – sei es als Träger
                      Ist es eher ein Mathecrack oder der musische Typ? Von den
                                                                                                                          einer Kita oder als freiwillige Begleitung auf
                         Antworten auf solche Fragen hängt viel ab. Das Bild vom                                          dem Weg in die erste Klasse. Nach ihrer Ein-
                              eigenen Kind wird spätestens jetzt ergänzt durch die                                        schulung treffen Kinder dann in vielen Schu-
                                                                                                                          len in der Schulsozialarbeit, in der Ganztags-
                       Perspektive einer Gesellschaft, die Leistung belohnen will.
                                                                                                                          betreuung und in vielen weiteren Angeboten
                      Es ist erst Mitte Februar. In der Büroküche dre-   der Trend die Rucksäcke nach vorne, mal al-      und Projekten auf den DKSB.
                      hen sich die Gespräche der Eltern aber schon       ternative Modelle, mit denen sich auch um-       Aber zurück zum Büroküchengespräch: Wer
                      jetzt um die Wahl des richtigen Schulranzens       weltbewusste Eltern anfreunden können. Am        im Februar noch nicht das Restaurant für die
                      und die Ausrichtung der Einschulungsfeier          Ende ist man 100 Euro los oder mehr – die ers-   gemeinsame Familienfeier nach der Einschu-
                      im Sommer.                                         te Rate für die schulische Grundausstattung      lung reserviert hat, kann im Grunde einpa-
                      So ein Schulranzen muss offenbar mit bei-           des Kindes, die mit bis zu 400 Euro manche El-   cken. Eltern mit dem zweiten schulpflichti-
                      nahe wissenschaftlichen Fertigkeiten auf           tern vor große Herausforderungen stellt. Und     gen Kind lächeln nur müde, wenn man sich
                      Maß angepasst werden. Deshalb wird auch            so zeigt sich auf dem Rücken der Kinder erst-    erstaunt zeigt, dass die Vorbereitungen so
                      der Kauf genau geplant. Ich erinnere mich,         mals die soziale Spaltung unserer Gesell-        früh beginnen müssen.
                      dass das auch zu meiner Schulzeit ein wichti-      schaft: Die Grenze verläuft zwischen teurem      Wie dem auch sei: Eltern sind schon Monate
                      ger Akt war, anno 1993. Nur ist heute die Aus-     Markenmodell und no-name-Ranzen vom              vor der Einschulung in Aufregung, einige er-
                      wahl viel größer. Für jeden Geschmack und          Discounter.                                      scheinen ängstlicher als das Kind, das seine
                      jeden Geldbeutel ist etwas dabei, mal spült                                                         künftige Schule und hilfreiche Schulpaten

                                                                                                                                                                    13
meist schon kennengelernt hat. Manch ein             frage ich Paul und zeige ihm die aktuelle KSA-      der Schule?“ - „Lesen.“ - „Und was noch?“ -
                      Paar bedauert, dass nun viel Flexibilität verlo-     Ausgabe. Ein Blick aufs Heft, flüchtiges Blät-       „Rechnen.“ Ich fühle mich mittlerweile wie bei
                      ren geht. Die Schule beginnt um 8 Uhr – Punkt        tern, zustimmendes Nicken. Und was ist mit          einer investigativen Hintergrundrecherche.
                      8 Uhr. Reisen sind nur noch in der (teureren)        einem Foto? Auch kein Problem. Also gut –           Immer auf der Suche nach Fragen, die hof-
                      Ferienzeit möglich, und natürlich spüren Müt-        aber womit fange ich an? Mit der Frage nach         fentlich druckfähige Antworten produzieren.
                      ter und Väter spätestens jetzt auch einen ge-        dem künftigen Alltag unter Gleichaltrigen,          So langsam dämmert mir, dass mein Reper-
                      wissen Erwartungsdruck. Man ist geneigt zu           dem recht klar strukturierten Schultagen und        toire nicht so richtig zündet. Kann aber auch
                      sagen: Nicht für die Kinder, vor allem für die El-   einer Lehrerin, die sicher nicht so viel Zeit und   sein, dass Paul sich keine großen Gedanken
                      tern beginnt nun der Ernst des Lebens.               Nähe aufbringen wird wie die Erzieherin?            gemacht hat über die Einschulung. Aber so
                      Messen Eltern dem Übergang mehr Bedeu-               Nein, denn es soll ja keine weitere wissen-         schnell gebe ich nicht auf.
                      tung bei als das Kind selbst? Bei mir war das        schaftliche Untersuchung an dieser entschei-        „Ein bisschen rechnen kannst Du schon,
                      wohl der Fall: Soweit ich mich erinnere, habe        denden Schnittstelle werden, sondern nur ei-        oder?“ - „Ja, 3x3 macht 9.“ Großes Erstaunen
                      ich die Einschulung achselzuckend hinge-             ne Momentaufnahme. Ohnehin findet Paul               meinerseits. „Was willst Du denn noch ler-
                      nommen. Die prägendste Erinnerung an die             den Ausschlag der Mikrofon-Kurve auf mei-           nen?“ - „Weiß nicht. 100 + 100. Oder 50 + 330.
                      Feier ist, dass ich ein Matrosen-Kleid tragen        nem Smartphone spannender, mit dem ich              Das kann ich noch nicht. So schwere Sachen.“
                      musste und dazu schwarze Lackschuhe. Das             das Gespräch aufzeichnen möchte.                    Okay, das macht Sinn. „Und kannst Du denn
                      Schönste an der Einschulung war für mich die         Also erstmal keine Frage. Wir verbringen            schon schreiben? Deinen Namen zum Bei-
                      riesige Schultüte, der Rest bleibt vage.             stattdessen sehr viel Zeit mit Grunz- und Fan-      spiel?“ - „Ja!“ - „Und kannst Du noch mehr?“ -
                      Fragen wir dazu lieber einen Fachmann der            tasiegeräuschen, um das Mikrofon zu testen.         „Ja!“ - „Und was?“ (allmählich wird‘s haarig…)
                      heutigen „Generation Schulkind“: Paul ist            Hier und da lässt Paul sich aber doch zu Ant-       „Lisa. Pauline. Tamara.“
                      sechs Jahre alt, wohnt in Berlin, ist eines von      worten hinreißen:                                   Ich versuche es anders, weg von der Schule –
                      rund 35.000 angehenden Schulkindern in               „Du kannst ja erstmal Deinen Namen sagen            hin zur Party. Jedes Kind freut sich doch be-
                      der Bundeshauptstadt, eines von 730.000 in           und Dein Alter.“ - „P-A-U-L.“ - „Und wie alt bist   stimmt jetzt schon wie wahnsinnig auf die
                      Deutschland – und mein Patenkind. Paul hät-          Du, Paul?“ - „Ein Erwachsener!“ - „Nein, wie alt    Schultüte. Paul lässt mich wissen, dass sich in
                      te schon im letzten Jahr eingeschult werden          bist Du denn nun wirklich? Bist Du schon 6?“        seiner Schultüte Marshmallows und ein Fe-
                      können, aber seine Eltern haben sich dage-           - „Ich bin 18!“ So geht es unter großem Feixen      dermäppchen befinden werden. Ein glückli-
                      gen entschieden. Sie gönnen sich und ihm             und Lachen weiter. Immerhin: Paul lässt mich        cher Junge, der schnell zufrieden ist. Auf die
                      noch ein weiteres Jahr ungebundene Kita-             noch wissen, dass er sechs Jahre alt ist, im Au-    Frage, ob er weiß, was auf der Einschulungs-
                      Zeit. Für Paul war es nicht einfach, seine Kita-     gust eingeschult wird und sein Freund Finn          feier passieren wird, die klare Antwort: „Ja.

                      „
                      Freunde schon in die Schule ziehen zu lassen.        ganz sicher in seine Klasse kommt. Seine Mut-       Man feiert.“ Wenn der Junge wüsste, dass sei-
                      Ansonsten scheint ihn das Thema Einschu-             ter korrigiert: Finn ist schon im vergangenen       ne Eltern noch richtig Stress kriegen werden.
                      lung aber – in seiner Welt noch eine Ewigkeit        Jahr eingeschult worden. Nun ja.                    Soweit ich weiß, haben die nämlich noch kei-
                      weit weg – herzlich wenig zu interessieren.          „Freust Du Dich eigentlich auf die Schule,          nen Tisch reserviert. Anfängerfehler!
                      „Ich möchte ein Interview mit Dir führen und         Paul?“ - „Ja!“ - „Und warum?“ - „Weil da Finn       Ein letzter Versuch: der Schulranzen. Hat Paul
                      das dann in diesem Heft drucken. Darf ich?“,         ist!“ Bestechende Logik. „Was lernt man so in       schon Ausschau danach gehalten? Die ge-
                                                                                                                               neigte Leserschaft wird die bündige Antwort
                                   In Pauls Schultüte werden sich Marshmallows und                                             ahnen: „Ja.“ Dann versucht er es selbst mit ei-
                                  ein Federmäppchen befinden. Ein glücklicher Junge,                                            nem rhetorischen Trick – der Gegenfrage:
                                                                                                                               „Warum eigentlich? Warum fragst Du?“
                                                der schnell zufrieden ist.                                                     Da fällt mir dann auch so richtig nichts mehr
                                                                                                                               ein. Ich erkläre ihm, dass ich gern wissen
                                                                                                                               möchte, ob er sich auf die Schule freut. Ob er
Foto: J. Wlodarczak

                                                                                                                               seine Kitafreunde vermissen wird. Ob er sich
                                                                                                                               vielleicht ein wenig Sorgen macht? Paul ist
                                                                                                                               unerschütterlich. Mit freudigen Augen über
                                                                                                                               die mittlerweile recht deutlichen Ausschläge
                                                                                                                               auf dem Smartphone ruft er laut ins Mikrofon:
                                                                                                                               „Ist nicht schliiiiiiiiiimm!“
                                                                                                                               Es klingt, als wolle er vor allem mich, seine
                                                                                                                               Patentante, die das Thema ja offensichtlich
                                                                                                                               sehr umzutreiben scheint, beruhigen. Wir
                                                                                                                               beschließen, dass damit wohl alles gesagt
                                                                                                                               ist, beenden das Interview und spielen end-
                                                                                                                               lich die versprochene Partie „Zug um Zug“.
                                                                                                                               Was ja auch kein schlechtes Rezept für den
                                                                                                                               Umgang mit Übergängen ist. 
                                                                                                                               Juliane Wlodarczak, Redaktion

                      14 KSA 2.2020
Zwischenruf

   SEK, TEM
 und anderer                                                          Bohei
Kürzlich waren wir bei unserem Finanzberater. Eigentlich sollte es um die Finanzierung
unseres Hausbaus gehen. Aber dann fragte er uns plötzlich mit hoffnungsvollem
Lächeln, ob wir denn auch Kinder planen würden. Als wir ein unentschiedenes Ja
andeuteten, folgte sogleich sein Hinweis auf ein Superangebot der Bank: den gerade
so günstigen SEK-Fonds.

                                                                                                                                                 Foto: iStock-yaruta
Dabei handelt es sich nicht um ein Sonder-
einsatzkommando der Polizei, sondern um
den Special Events Kids Fonds. Der sorgt da-
für, dass wir nicht spätestens zur Konfirmati-
on unseres Kindes in die Insolvenz gehen
müssen, meinte unser Finanzberater.
Wir waren immer noch ahnungslos, bis Herr
Meyer uns aufklärte: Schon die üblichen Kin-
dergeburtstage sind heutzutage eine be-
sondere Herausforderung an das elterliche
Eventmanagement und nehmen spätestens
zum 18. Geburtstag des Kindes festivalähnli-
che Ausmaße an. Zusätzlich ist zu bedenken,
dass auch zwischen den Geburtstagen des
Kindes Übergänge gewürdigt werden müs-
sen, die Eltern – vor allem ihren Geldbeutel –
deutlich strapazieren.
Herr Meyer zählte auf: erstmal die Geburt, ge-
folgt vom Start in die Krippe und dem Über-      tigen Entwicklungsschritten der Kinder.“ Zu-    Kinderplanung und den SEK durch den Kopf
gang in die Kita. Dann der Eintritt in die       mindest per Posting in den sozialen Netz-       gehen zu lassen.
Grundschule und später in die weiterführen-      werken oder besser noch gleich als Livestre-    Zu Hause fragten wir uns, ob die Kinder all
de Schule, die Konfirmation oder Jugendwei-       am.„Da lässt sich heute keiner mehr lumpen.“    diese Events überhaupt selbst wollen. Und
he nicht zu vergessen, die erste Monatsblu-      Wir sahen uns verstohlen an und begriffen:       was sie wohl davon haben. Allerdings sind
tung (wenn’s ein Mädchen wird) oder der          Es geht ja gar nicht um die Kinder....          das wohl die falschen Fragen. Denn die Kin-
Stimmbruch (im Falle eines Jungen), das Abi-     „Jede Gelegenheit will halt gebührend, an-      der wachsen ja heute mit solchen Events auf.
tur natürlich, na und dann der Ausbildungs-      sprechend und angemessen gefeiert wer-          Wenn sie noch klein sind, entscheiden wir Er-
beginn.„Sogar Übergänge zwischen den Klas-       den“, setzte Herr Meyer unbeirrt nach und       wachsene das so für sie und richten es ein.
senstufen werden bereits zelebriert “, lehrte    führte uns vor Augen: Wahrscheinlich wird       Dann sind die Kids schon mal daran ge-
Herr Meyer uns das Fürchten. Schnitzeljagd       uns schon ein ganz normaler Kindergeburts-      wöhnt, weshalb wir uns mit ihrem zuneh-
bei Ikea oder angeleitetes Basteln mit Bern-     tag spätestens ab dem sechsten Lebensjahr       mendem Alter und der wachsenden Bedeu-
stein reichen schon lange nicht mehr. Vorbei     komplett überfordern. Weshalb wir outsour-      tung ihrer Übergänge eventmäßig steigern
die Zeiten, als man noch mit Topfschlagen        cen müssen an Dienstleister wie Geburtstags-    müssen. Sind die Kleinen dann selbst er-
und Liedern zur Gitarre reüssieren konnte. Im    planer oder neudeutsch: Transitionseventma-     wachsen, ist alles gelaufen und geht mit ih-
21. Jahrhundert gelten andere Maßstäbe.          nagament (kurz: TEM) – und das kostet! Da       ren Kindern von vorne los.
Zum Beispiel eine Drachenralley (Kostümie-       können schnell ein paar 100 Euro pro Stunde     Hand aufs Herz: Zieht diese „Eventisierung“
rung und Geo-Caching inklusive), als Prinzes-    fällig werden, die Gala-Garderobe fürs Kind     von Übergängen tatsächlich die geballte
sin auf einem echten Schloss oder eine Top-      (und uns) zum Abitur noch nicht eingerech-      Aufmerksamkeit auf die Kinder, wie manche
modelparty mit Fotoshooting, sowas sind          net, sagte Herr Meyer. Und hatte für uns so-    ernsthaft glauben? Ach ja, schon wieder die
heute angesagte Events!                          gleich die beste Absicherung dieser Risiken     falsche Frage. Denn wie gesagt: Bei dem
Herr Meyer weiß Bescheid: „Man will ja die       parat: den SEK. „Mit unserem Special Events     ganzen Bohei geht`s ja gar nicht primär um
gesamte Verwandtschaft, Nachbarschaft und        Kids Fonds investieren Sie in die Zukunft Ih-   sie... 
Freundeskreise teilhaben lassen an den wich-     rer Kinder!“ Wir versprachen ihm, uns die       Martin Stahlmann, Redaktion

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