DAS? - Deutscher Kinderschutzbund
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D I E Z E I T S C H R I F T D E S K I N D E R S C H U T Z B U N D E S 2 . Q UA R TA L 2 0 2 0 / H 8 7 6 3 F KINDERSCHUTZ A K T U E L L 2.20 Übergänge meistern: Schaff ´ ich DAS? Kinder stehen in ihrer Entwicklung vor vielen Veränderungen, die bewältigt werden müssen. Gut, wenn Erwachsene sie dabei begleiten.
starke eltern starke kinder Das Magazin des Deutschen Kinderschutzbundes Starke Kinder brauchen starke Eltern. Auf 192 Seiten finden Sie hilfreiche Ideen und Anregungen rund um das Thema Erziehung interessante Artikel zum Lesen und Schmökern weitere Informationen, Lesetipps und Internetlinks zu den Artikeln Reportagen, Interviews und viele Fotos starke eltern starke kinder ist ein zuverlässiger Ratgeber in allen Lebenslagen. Ab sofort am Kiosk oder beim Verlag erhältlich. Jetzt bestellen: Bestellschein per Post ZIEL:MARKETING Hiermit bestelle ich Exemplar(e) Danneckerstraße 23A des DKSB-Jahresheftes 2020 „starke eltern starke kinder” 70182 Stuttgart zum Stückpreis von 6,90 € zzgl. 2,00 € Versandkosten bequem und einfach im Internet unter Absender www.ziel-marketing.de Name Vorname per E-mail bestellungen@ziel-marketing.de Straße telefonisch PLZ Ort (0711) 9 66 95-0 Telefon Telefax per Fax (0711) 9 66 95-20 E-mail Datum Unterschrift KSA
Übergänge meistern: Schaff’ ich das? Der Eintritt in die Kita oder Grundschule – solche Entwicklungen bewältigt jedes Kind auf seine jeweils eigene Weise. Eine Herausforderung bleiben Übergänge für Kinder allemal, gerade wenn Veränderungen, z.B. ein Umzug, ganz plötzlich anstehen. Wie gelingt dem Kind die Anpassung an die neue Situation, an die neue Lebenswelt, an seine neue Rolle? Immerhin wandeln sich mit jedem Übergang auch gewohnte Beziehungsgefüge. Das macht Eltern übrigens stets zu „Mitbetroffenen“. Auch sie müssen sich an Verän- derungen im Leben ihres Kindes erst gewöhnen – und es dabei zugleich feinfühlig in solchen Phasen begleiten. Empathie ist an dieser Stelle auch von pädagogischen Fachkräften zu erhoffen, die die Prozesse maßgeblich mitmoderieren. INHALT 2.2020 10 KLIPP & KLAR 4 Kolumne, Corona-Virus THEMA 6 Im Fluss der Entwicklung Was hilft Kindern, wenn Neues noch fremd ist? 20 8 Herzlich willkommen! Ein Kind kommt zur Welt 10 Wie kann´s klappen? Der erste Weg in die außerfamiliäre Betreuung 13 „Ist nicht schliiiiimm!“ Wie kann`s klappen? Das Staffelholz Interview mit einem Experten Es dient dem Interesse des Kindes, wenn weiterreichen vor dem Schuleintritt es einen Kindergarten oder eine Kita Der DKSB begleitet Kinder und Jugendliche 15 SEK, TEM und anderer Bohei besucht. Die Frage ist nur: Ab welchem bei Übergängen oft besonders intensiv. Zwischenfrage: Geht es wirklich um die Kinder? Alter? Lesen Sie, wie mit guter Vorberei- Dafür muss er sich selbst gut „aufstellen“ tung und Eingewöhnung auch der frühe 16 Brücken in die Zukunft und seine eigenen Übergangsphasen Der DKSB Dinslaken-Voerde Übergang in eine Einrichtung gelingen sinnvoll gestalten. Wie? Darüber hat eine kann. Ab Seite 10 stärkt Jugendliche im Quartier Kinderschützerin nachgedacht. Ab Seite 20 18 Vom Abschied und Ankommen Eine umzugserprobte Mutter berichtet 20 Das Staffelholz weiterreichen Aufbauende Gedanken zu Übergängen im DKSB 23 26 KINDER IM BLICK 23 Umweltschutz im DKSB Es geht um die Zukunft der Kinder 26 20 Jahre Recht auf gewaltfreie Erziehung DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen 20 Jahre Recht auf gewaltfreie Erziehung mit einer Zwischenbilanz Der Kinderschutzbund hatte entscheidenden Anteil daran, dass Kinder seit mittlerweile 28 Die machen Sachen! 20 Jahren das Recht auf ein gewaltfreies Aufwachsen besitzen. „Wir können uns aber Infos & Tipps aus der DKSB-Praxis leider noch nicht zurücklehnen“, sagt DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen 30 Aktuelles aus dem Bundesverband im Gespräch mit Joachim Türk. Eine Zwischenbilanz. Ab Seite 26 31 Impressum
KOLUMNE KLIPP & KLAR LIEBE LESERINNEN UND LESER Stand März 2020: Auf einmal steht das Leben still. Ich wollte Ihnen an dieser Stelle eigentlich von meinen Eindrücken der Fachtagung zum Jubiläum des Geset- zes zur Ächtung der Gewalt berichten. Seit 20 Jahren haben Kinder in Deutschland ein Recht auf gewalt- freie Erziehung. Dieses Jubiläum wollten wir in Berlin mit einer großen Veranstaltung feiern, zu der viele CoronaVirus I Foto: iStock-Kristen Prahl namhafte WissenschaftlerInnen zugesagt hatten. Ich wollte einen Ausblick geben auf die diesjährigen Kinderschutztage in Schwerin. Die Ministerpräsidentin Wie geht es des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, hatte die Schirmherrschaft übernommen, worüber ich mich sehr DEN KINDERN? gefreut habe. Ebenso gefreut hätte ich mich, die KinderschützerInnen aus Auch der Alltag von Kindern und Jugendlichen ganz Deutschland wieder zu sehen und gemeinsam mit ihnen über ist im Frühjahr 2020 vom Corona-Virus auf den vergangene Erfolge und Projekte für die Zukunft zu sprechen. Kopf gestellt. Wie geht es ihnen? Stattdessen haben wir beschlossen, beide Veranstaltungen abzusagen. Die gute Nachricht vorweg: Kinder erkranken bis- Uns im Bundesvorstand ergeht es wie Ihnen in den Gliederungen: her weit seltener als Erwachsene. Und wenn, dann Lang geplante Konferenzen, Fachtage und Jubiläumsveranstaltungen sind auch die Krankheitsverläufe bei Kindern laut müssen verschoben werden. Vom Kinderschutzbund betriebene Kitas und Robert Koch Institut eher mild und unspezifisch. Einrichtungen schließen. Und auf einmal blicke auch ich in meinen sich leerenden Terminkalender und werde von Ratlosigkeit erfasst. Jenseits davon haben Kinder aber soeben große Veränderungen erlebt: Kitas und Schulen ge- Was nun? schlossen, obwohl keine Ferienzeit ist. Darf ich da Das fragen sich noch mehr die Eltern, die vor verschlossenen Kitas und nie wieder hin? Kinder werktags plötzlich von Schulen stehen. Das fragen sich Lehrkräfte, die eigentlich bald zum fremden Leuten betreut. Hä? Oder daheim von Schulabschluss prüfen müssen. Das fragen sich auch Großeltern, den Eltern, die auf einmal zu Hause sind und oft die den Kontakt mit ihren Enkelkindern vermeiden sollen. ratlos wirken, unsicher und bedrückt. Irgendwas ist bestimmt ganz schlimm. Spielplätze gesperrt, Die Epidemie des Corona-Virus zwingt uns alle, neu zu denken. Ausflüge und Treffen mit Freunden fallen aus. ArbeitgeberInnen müssen sich flexibel bei Homeoffice-Lösungen zeigen. Auch kein Besuch mehr bei Oma oder Opa. Das Schulen entwickeln kreative Lösungen zur Vermittlung von Unterrichtsstoff. macht mich soooo traurig! Draußen Leute hinter Das öffentlich-rechtliche Fernsehen bietet nun am Vormittag Lerneinheiten Mundschutz vermummt. Sehr, sehr merkwürdig, für SchülerInnen verschiedener Jahrgangsstufen an. In Deutschland lernen die Welt. Und für die Jüngsten manchmal auch gerade viele Großeltern, wie man mit den Enkelkindern auch per Videochat gruselig. Kontakt halten kann. Und auch wir im Bundesvorstand erproben nun Deshalb wird Erziehenden von psychologischen Formate wie Videokonferenzen und Telefonschaltkonferenzen, digitale Fachleuten geraten: Beschlussverfahren und Informationsangebote. M Schützen Sie das Kind vor Corona-Panik. Dieses Heft trägt den Namen „Übergänge“. Das Corona-Virus ist ein Es ängstigt sich, wenn es Angst bei harter Einschnitt in unser gesellschaftliches Leben. Es zwingt uns alle in Erwachsenen spürt. Bleiben Sie deshalb die Häuslichkeit. Es befeuert den digitalen Wandel. So scheint die Pandemie möglichst ruhig und sachlich. ein Katalysator eines Übergangs zu sein, Ausgang: offen. M Erklären Sie dem Kind, dass sich die Ich sehe die Herausforderungen, die die Maßnahmen von Schul- und Kita- Menschen mit mehreren Maßnahmen vor schließungen mit sich bringen. Dennoch halte ich die Entscheidung für dem neuartigen Virus schützen, weil der richtig. Wenn dies dazu beiträgt, Menschenleben zu retten, dürfen wir Köper dagegen noch kein Schutzschild hat. nichts unversucht lassen. M Erläutern Sie die Schutz-Regeln im Hinblick auf Kontakte und Hygiene. Ich wünsche allen Kindern, Eltern, Großeltern, KinderschützerInnen und M Ermöglichen Sie dem Kind täglich Bewegung Fachkräften viel Energie, Kreativität und Kraft, um die aktuelle Situation sowie einen strukturierten festen Tagesab- bewältigen zu können. Vor allem wünsche ich uns allen aber etwas, lauf. Das gibt Sicherheit. das fast schon zur Phrase verkommen war: Bleiben Sie gesund! M Lassen Sie das Kind nicht allein im Internet Ihr Heinz Hilgers über das Corona-Virus recherchieren. Präsident des Kinderschutzbundes Dort kursieren viele verstörende und auch falsche Informationen. -dü 4 KSA 2.2020
CoronaVirus II AUSWIRKUNGEN auf den DKSB Das sich ausbreitende Coronavirus hat Der Bez.-Verband Frankfurt musste uns auch viele E-Mails rund um das Corona- sich enorm auf die Arbeit, Angebote und seinen 20. Hilton-Basar (für 2.000 Gäste, mit Virus. Kinder fühlen sich z.B. oft von der Veranstaltungen des Kinderschutzbundes 150 ehrenamtlichen HelferInnen) absagen. Angst der Erwachsenen bedrückt, aber sie ausgewirkt. Hier einige Schlaglichter. haben auch selbst Angst, dass sich ihre An- NICHTS IST, WIE ES WAR: Das betraf vor gehörigen anstecken. Viele sind traurig, weil KINDERSCHUTZTAGE 2020: Die zentrale allem regelmäßige Angebote des DKSB: z.B. ein von ihnen getrennt lebendes Eltern- Veranstaltung des DKSB fand nicht wie Kindereinrichtungen (z.B. Kitas) schlossen. teil isoliert ist. Ältere Kinder sorgen sich auch gewohnt im Mai statt, sondern wurde auf Nur noch Kinder, deren Eltern in systemrele- um ihre schulische Zukunft im Hinblick auf Herbst 2020 verschoben. Das entschied der vanten Berufen (Gesundheitswesen, Polizei, Prüfungen. Häufiger erfahren wir auch von Bundesvorstand bereits Anfang März. Feuerwehr etc) arbeiten, wurden betreut. verstärkten Depressionen oder sogar Suizid- Schwerin als Austragungsort bleibt aber Beratungsstellen stellten persönliche gedanken, weil Kinder nicht zu ihrer Bera- bestehen, der neue Termin wird rechtzeitig Gespräche vor Ort ein. Dafür weiteten sie tung oder Therapie gehen können. Eltern mitgeteilt. telefonisch oder online ihre Unterstützung wiederum sind oft ratlos, wie sie ihre Kinder aus. den langen Tag über beschäftigen können, FACHTAG AM 30. APRIL:„20 Jahre gewalt- Bei den Frühen Hilfen gab es keine so lange Kitas und Schulen geschlossen freie Erziehung“ wollte der Bundesverband Baby-Willkommensbesuche mehr. bleiben. Der Druck in Familien steigt.“ mit einer großen Veranstaltung in Berlin OV/KV sperrten ihre Räumlichkeiten für würdigen. Alle Plätze waren sehr rasch aus- jeden Publikumsverkehr (z.B. Elterntreffs, LOBBYARBEIT GEHT WEITER gebucht. Bis die unausweichliche Verlegung Kindertreffs, Müttercafés). Für sehr viele Kinder ist durch die Schließung auf Herbst 2020 kam – mit noch unbekann- Weitere betroffene Arbeitsbereiche: u.a. der Schulen und Kitas das kostenfreie Mit- tem Datum. Kleiderläden, Ferienprogramme, Familien- tagessen weggefallen. Das trifft Familien, bildung, Patenprojekte und vieles andere die von Leistungen zur Existenzsicherung KONFERENZ DER KINDERHÄUSER mehr. leben müssen, besonders. Für sie forderte BLAUER ELEFANT®: Am 17./18. März 2020 DKSB-Präsident Heinz Hilgers bereits am stand die Jahreskonferenz der DKSB-Kinder- VERMEHRTE KONTAKTE ZUR NUMMER 20. März einen unbürokratischen Zuschlag häuser in Neumünster an – sie musste GEGEN KUMMER E.V.: Deren Angebote in Höhe von 90 Euro pro Monat und Kind – abgesagt werden. (Kinder- und Jugendtelefon, Elterntelefon finanziert aus den freigewordenen Mitteln und online-Beratung) wurden immer stärker des Bildungs- und Teilhabepakets. „Das sind AUCH ORTS, KREIS UND LANDES frequentiert. Anna Zacharias, Fachreferentin drei Euro pro Tag und Kind, die zumindest VERBÄNDE SIND STARK BETROFFEN: für Öffentlichkeitsarbeit beim Dachverband, eine Sorge der betroffenen Familien lindern Nicht wenige haben ihren Betrieb vorüber- berichtet Ende März: „Zunehmend erreichen können“, so Hilgers. -dü gehend ganz eingestellt. Viele Hauptamt- liche arbeiteten in Homeoffice, viele er- hielten auch Kurzarbeitergeld. Zahlreiche Gliederungen wussten Anfang April noch Foto: D. Blappert nicht, ob und wie Fragen z.B. zu ihren Sach- und Betriebskosten geregelt werden. Darüber hinaus wurden Mitgliederver- sammlungen, Info-Abende, Teamtreffen, Fortbildungskurse u.v.m. vorerst aus dem Terminplan gestrichen. EINIGE BEISPIELE VON VIELEN: Die Kinderschutz-Akademie des LV Niedersachsen sagte alle Veranstaltungen zunächst bis 18. April ab. Auch der zwei- tägige Fachtag „… aus Lügde lernen …?!“ des LV NRW zu den Missbrauchsfällen fiel im März aus. Der LV Sachsen konnte im April sein 30-jähriges Bestehen nicht feiern (trotzdem herzlichen Glückwunsch!). Sonntag, den 15. März, in dieser Form noch erlaubt: Leitungsteams des OV Essen besprechen die anstehende Schließung der Kitas und Sicherung der Notbetreuung 5
TITEL- THEMA Foto: iStock-SolStock Übergänge meistern Im Fluss der Entwicklung Bis Kinder erwachsen sind, machen sie viele körperliche, GEFÜHLE REGULIEREN Eine verlässliche, sichere Bindung ist für das seelische und geistige Entwicklungssprünge. Kinder meis- Kleinkind Ausgangspunkt für den nächsten tern diese in ihrem jeweils eigenen Tempo vor allem dann, Übergang, sich mit zunehmenden motori- wenn empathische Bezugspersonen an ihrer Seite stehen. schen Fähigkeiten von der Bezugsperson zu entfernen. Krabbelnd unternimmt es erste Dabei zeigt sich: Alle Übergänge gelingen umso besser, Exkursionen – aber immer mit Rückversiche- je früher ein Kind gut und sicher gebunden ist. Die Basis rung zum Elternteil. Verhält sich die Mutter/ wird also in den ersten Lebensjahren gelegt, das zeigt auch der Vater dabei aufmunternd? Oder ängst- lich? Die Reaktion der erwachsenen Bin- die Gewichtung in der folgenden Entwicklungsübersicht. dungsperson bestimmt den Tatendrang der Neuere Arbeiten aus der Säuglingsforschung aber wohl: Eine Schwangere, die gern Punk- kleinen Weltentdecker mit – und damit zu- und den Neurowissenschaften schreiben be- Musik hört, wäre von Mozart oder Brahms gleich den Übergang von der Eltern-Kind-Ein- reits einem Embryo Fähigkeiten zu Wahrneh- wohl eher gestresst... heit hin zum ersten Erleben von Unabhängig- mungen und Unterscheidungen zu. Dieses keit und Selbstwirksamkeit (z.B. beim Auf- frühe Vermögen bedeutet aber auch, schon DAS KIND IN SICHERER BINDUNG und Zuschieben einer Schublade). früh Übergängen ausgesetzt zu sein. Kann Hat das Kind den Übergang „Geburt“ ge- Es bleibt aber weiterhin Aufgabe der Bezugs- ein Embryo z.B. Stimmen unterscheiden, so schafft, bindet es sich rasch, zumeist an die person, die Emotionen beim Kleinkind zu re- „schafft“ er sich damit einen Übergang aus Mutter. Säuglinge können ihre Bezugsperso- gulieren, wenn die neu erforschte Welt ihm dem „Chaos“ hin zur beruhigenden Sicher- nen schnell von fremden Menschen unter- Angst macht oder wenn es sich das Händchen heit einer vertrauten Stimme. scheiden, ohne dass ihnen ein Ich und Du be- in der Schublade einklemmt. Tröstender Zu- Die neuronale Vernetzung und Entwicklung wusst ist. Für das Baby ist eine gute Bindung spruch und ggf. sanftes Pusten aufs „Aua“ re- des Gehirns beginnt in der embryonalen Pha- überlebenswichtig, denn es kann sich für gulieren zunächst von extern die Gefühle des se und ist bei Stress der Mutter verletzlich. Das lange Zeit nicht allein versorgen. Was eine Kindes. Kehrt das beruhigende Verhalten der liegt am Cortisol in ihrem Blut. Dieses Stress- gelingende emotionale Beziehung zum Kind Bezugsperson ritualisiert und verlässlich im- hormon kann die wichtigen Prozesse hem- ausmacht, beschreiben BindungsforscherIn- mer wieder, z.B. beim Übergang des Kindes men und nach dem Übergang „Geburt“ zu nen wie der britische Kinderpsychiater John vom Wachsein in den Schlaf, so kann es ganz Entwicklungsverzögerungen des Säuglings Bowlby. Sicher gebundene Kleinkinder kann allmählich lernen, sich selbst zu beruhigen. führen. Ob wiederum klassische Musik die man oft nach dem ersten Lebensjahr von un- Diese Selbstregulation ist ein wichtiger Schritt Entwicklung des kleinen Gehirns fördert, wie sicher gebundenen Kindern unterscheiden. in der Entwicklung und wird als Fähigkeit in manche sagen, bleibt dahingestellt. Fest steht Institutionen wie Krippe, Kita und Schule zu- 6 KSA 2.2020
Foto: iStock-cokada nehmend vom Kind gefordert. Mangelt es ei- IN KITA UND SCHULE nem Kind hingegen daran, kann es seine ko- GUT ANKOMMEN gnitiven Leistungen oft nicht ausreichend ab- Gelingen dem Kind die bisher beschrieben rufen. Die Folge sind erschwerte Übergänge basalen Übergänge, so ist es für die nächsten in die Kita und Schule. Schritte in die institutionelle, außerfamiliäre Erziehung gut ausgestattet. Hier kommen zu- „SELBST“ENTWICKLUNG FÖRDERN nehmend andere Kinder ins Spiel – aber auch Das „Selbst“ spielt nicht nur in Begriffen wie ErzieherInnen und Lehrkräfte. Die Forschung Selbstregulation oder Selbstmanagement ei- zeigt: Sicher gebundene Kinder können auch ne wichtige Rolle. Aber wie gelingt denn nun zu anderen Bezugspersonen eine sichere Bin- der Übergang aus dem „ozeanischen Gefühl“ dung aufbauen, wenn diese empathisch sind. einer Eltern-Kind-Einheit hin zu einem eige- In Kindergarten und Schule sollen sich beim nen Selbst und dem anderer Menschen als Kind wichtige soziale Kompetenzen heraus- Gegenüber? Und was ist überhaupt dieses bilden, die später Grundlage für weitere Über- „Selbst“? gänge sind. Ist diese Entwicklung des Sozial- Kinder haben mit etwa 18 Monaten ein äuße- verhaltens gestört, so führt das häufig auch zu res Bild von sich. Im Spiegel erkennen sie sich Schulversagen und in der Folge zu Risiken für als „Ich“. Sie können aber noch nicht zwischen die Zukunft des Kindes. Lernen Kinder dage- ihren inneren psychischen Zuständen bzw. gen früh, mit einem durch Selbstwirksam- Gedanken und dem Äußeren unterscheiden, keitserleben gestärkten Selbst ihre Affekte zu weil Kognitionen und Emotionen noch nicht sortieren und zu regulieren, so werden sie sich Aber bleiben wir noch mal bei ihrer Entwick- an das Selbst gebunden sind. auch zunehmend gut in den anderen einfüh- lung. Vor allem Jungen haben mit ihrer ausge- Ein wichtiger Übergang für das Kind ist es len können. Dann begreifen sie z.B.: Was mir prägten Motorik häufig einen Hang zum Risi- daher, dass es über Symbolisierung/Sprache wehtut, tut auch dem anderen weh – das ist ko. Die neuronale Verbindung zum vorderen lernt, Gefühlen wie Angst oder Freude ein auch in der Gewaltprävention ein wichtiger Teil des Gehirns bremst diese Impulse ab, ist Wort zu geben. Damit gestaltet es einen refle- Aspekt! aber noch nicht ausgereift. Daher kann es in xiven Bezug zu sich selbst. Natürlich braucht Für gelingende Übergänge sind neben dem der Pubertät zu riskantem Verhalten kommen. das Kind dafür wieder ein empathisches Ge- Einfühlungsvermögen aber auch die Vorstel- Das lässt sich z.B. bei Statusbestimmungen in genüber. Diese Person spiegelt dem Kind lungen des Kindes über eigene und fremde Gruppen beobachten. Mit guten Grundlagen schon im vorsprachlichen Bereich dessen Ge- Erwartungen bedeutsam: Was erwartet je- für gegenseitiges Vertrauen hat ein Jugendli- fühle deutlich wider, sodass es vorbewusst ler- mand von mir – und was erwarte ich vom an- cher aber meist soviel Selbstvertrauen, dass er nen kann: Das sind meine Gefühle – und nicht deren? Kurz: Das Kind lernt zu deuten, zu weiß, wann der Gruppendruck die persönli- die von Mama oder Papa. Klingt kompliziert? reflektieren und daraus seine Schlüsse zu che Grenze überschreitet. Vielleicht, aber die meisten Eltern machen das ziehen. Auch wenn Jugendliche autonom sein wol- intuitiv richtig. Sie ahmen z.B. das Gähnen des len, brauchen sie ein empathisches Gegen- Säuglings mit übertriebenem Gähnen nach DIE JUGENDZEIT BETRETEN über. Die allermeisten Eltern wissen das; sie oder spiegeln dem Kind seine Freude mit Jugendlichen erscheinen die Eltern oft nur verstehen, dass sich ihr heranwachsendes Überschwang wider. Diese Art Zwiegespräch noch peinlich, „alt“, ängstlich, meckernd usw. Kind von ihnen ablösen muss, und sind auch mit dem Nachwuchs, die Spiegelung von au- Teenager wollen nun ihre eigenen Werte be- in dieser Phase an dessen Seite. Im Vergleich ßen, wird auf Neudeutsch „babytalking“ ge- stimmen und danach leben – was in einer zur Trotzphase des Kleinkindes ist die Puber- nannt. Sie fördert die „Selbst“-Entwicklung pluralistischen Gesellschaft wie unserer gar tät eine Loslösung auf höherer Ebene und und auch das Erleben von Selbstwirksamkeit nicht so einfach ist. kann zuweilen „spektakuläre“ Momente ha- beim Kind. ben... Zu guter Letzt: Im Jugendalter spielt die Part- nerschaft eine zunehmende Rolle. Es geht um Foto: Depositphotos_monkeybusiness geschlechtliche Orientierung, Entdeckung der Sexualität des erwachsenen Menschen, das Finden von Interessen in Schule und Aus- bildung. Hier schließt sich der Kreis zum Textanfang: Viel Auswahl in unserer pluralen Gesellschaft setzt ein gefestigtes, entscheidungsfähiges Selbst voraus. Dafür wird in der frühen Kind- heit die Basis gelegt. Sie befähigt Kinder und Jugendliche auch, die vielen Übergänge, Ab- brüche und Neustarts, die heute das Leben für junge Menschen bereithält, zu bewältigen. Jens Pannemann, Dipl.-Psychologe, Leiter des Kinderhauses BLAUER ELEFANT® im OV Brake 7
Herzlich Übergang Geburt WILLKOMMEN Eine Schwangerschaft, die Geburt und die erste Zeit profitiert jede Schwangere von einer guten fachlichen und persönlichen Begleitung zu danach sind für Eltern und Kind tiefgreifende Erfahrungen. allen Fragen, die sie bewegen. (Werdende) Mütter sind einmaligen hormonellen und Ist das Kind auf der Welt, muss es selbststän- seelischen Prozessen ausgesetzt und erfahren eine nie dig atmen, mit der Schwerkraft, mit Lautstär- ke und Licht zurechtkommen, es muss trinken gekannte Veränderung. Paare erleben gute oder ungute und verdauen. Eine Menge Anforderungen Dynamiken, vergehen vor Glück oder stehen vor vielfältigen auf einmal. „Wie schön ist es dann, gehalten, Nöten. Und das Kind? Mit dem Moment des Übergangs gewärmt, genährt und beruhigt zu werden“, weist Manfred Lübke auf die Grundbedürfnis- auf diese Welt sind von ihm Anpassungsleistungen se von Neugeborenen hin. Das Baby erlebt die gefordert, die ihresgleichen suchen. erste Berührung, den ersten Blickkontakt, es entsteht die erste Zwiesprache zwischen Mut- Mit der Empfängnis beginnt ein neues Leben sich dort sicher geborgen bei optimaler Tem- ter und Kind bzw. Vater und Kind. – ein Mensch wächst im Mutterleib heran. peratur und Versorgung mit Nahrung. So lan- Für die Eltern ist das ein Übergang in einen ge noch Platz ist, lebt es in Schwerelosigkeit. MIT DEN ELTERN ZU HAUSE ungewohnt anstrengenden, aber hoffentlich Geräusche sind gedämpft, Bewegungen sanft Hier lernt das Kind allmählich, wie das Leben auch schönen neuen Lebensabschnitt, gera- abgefedert. außerhalb des Mutterleibs und der Rhyth- de wenn sie ihr erstes Kind erwarten. Das Die Entbindung ändert dann alles. mus seiner Familie funktionieren. Umge- „Wunder der Natur“ verändert plötzlich ganz kehrt lernen die Eltern den Lebensrhythmus viel. Die meisten Schwangeren kommen gut DER WEG AUF DIE WELT ihres Kindes kennen. Was braucht das Kleine durch diese besondere Zeit, gerade bei regel- Eine komplikationsfreie Spontangeburt ist – und wann? „Eltern werden zu Spezialisten haftem Verlauf der Schwangerschaft, gesi- aus Sicht von Manfred Lübke, Mitbegründer für ihr Kind und umgekehrt. Der Mensch cherten Lebensbedingungen und gemein- der Kieler Schreiambulanz und Kinderarzt im meistert diesen begonnenen Lernprozess, samer Vorfreude auf das Kind. Trotzdem kann Ruhestand, der optimale Start ins Leben und weil er die Fähigkeit dazu schon in sich trägt“, es zeitweilig durchaus mal kräftig holpern die beste Basis für die spätere Entwicklung sagt Dipl.-Psychologin Lidija Baumann. Die und ruckeln. Für nicht wenige Frauen ist die des Kindes: „Windet es sich durch den en- Leiterin des Kinderschutz-Zentrums und der Schwangerschaft aber auch begleitet von gen Geburtskanal, so wird das Fruchtwasser Frühen Hilfen im OV Kiel räumt entschieden Unsicherheiten, Ängsten und besonderen so- gründlich aus den kindlichen Lungen he- mit dem Mythos auf, dass Mütter ihr erstes zialen oder gesundheitlichen Belastungen. rausgepresst. Mit dem ersten Schrei beginnt Neugeborenes in den Armen halten und so- dann das eigenständige Atmen.“ fort wüssten, was jetzt richtig zu tun sei. Und DIE SCHWANGERSCHAFT In Deutschland kommt heute allerdings na- auch Manfred Lübke erinnert an eine zu oft Während sich der Bauch rundet, ist ein Eltern- hezu jedes dritte Kind per Kaiserschnitt auf vergessene Erkenntnis: „Der Mensch ist mit paar immer noch zu zweit, es bewegt sich be- die Welt – selbst im europäischen Vergleich seiner Entwicklung auf die Anpassung an äu- ziehungsmäßig also auf (noch) bekanntem ist das eine sehr hohe Rate. Diese Geburtsart ßere Umstände vorbereitet. Der Mensch hat Terrain. Und befindet sich doch im Übergang ist in vielen Fällen zur Minimierung bestimm- für seine Entwicklung Zeit. Und die dafür hin zu einer Familie mit Kind, was an neuen ter Risiken für Mutter oder Kind medizinisch benötigte Zeit kann sehr unterschiedlich „ Themen und ungewohnten Situationen spür- auch angezeigt. Bedenklich erscheint sie hin- sein – geben wir sie den Kindern und auch bar wird: morgendliche Übelkeit, Stimmungs- gegen, wenn Kaiserschnitte lediglich zur Ent- den Eltern!“ schwankungen, Dehnungsstreifen, heiraten lastung unterbesetzter Entbindungsstatio- Eine ganz wichtige Phase zum gegenseitigen oder nicht, noch schnell eine andere Woh- nen oder zum Nutzen eines reibungslosen Kennenlernen ist für die Eltern und das Kind nung besorgen oder nicht, wo kriegen wir Ba- Klinikbetriebs geplant werden. Manche Frau- die Wochenbettzeit. „Frisch gebackene Eltern bybettchen, Kleidung und Kinderwagen her, en wählen auch einen „Wunschkaiserschnitt“ Vorsorgeuntersuchungen, manchmal auch zur Entbindung. In einzelnen Fällen verber- existenzielle Fragen – das und anderes mehr gen sich hinter dieser Entscheidung auch Die Eltern und prägen jetzt den Alltag mit. Immer öfter wird Ängste oder falsche Vorstellungen unter- das Kind meistern den schon in dieser „Übergangsphase“ die Beglei- schiedlichen Ursprungs, die in beratenden tung einer Hebamme gewünscht. Gesprächen mit einer Hebamme oder der begonnenen Lernprozess, Derweil ist das Kind im Bauch der Mutter bes- Ärztin/dem Arzt geklärt werden können. Un- weil sie diese Fähigkeit tens aufgehoben. Ist alles gut, entwickelt es abhängig von der bevorzugten Geburtsart schon in sich tragen. 8 KSA 2.2020
Foto: depositphotos - icefront brauchen vor allem praktische Unterstützung, vielleicht eine lecker gekochte Suppe oder je- manden, der das Badezimmer putzt oder ein- kaufen geht. So hat die junge Familie Muße, sich auf das Leben zu dritt umzustellen. Wird „ Die erfahrene frühe Bindung und feinfühlige Fürsorge sind quasi die Lebensversicherung keiten hat und untröstlich sehr viel schreit. Kinderarzt Manfred Lübke erläutert, dass es dafür viele Ursachen geben kann. „Neugebo- rene können sich noch nicht selbst beruhi- gen, dafür brauchen sie ihre Eltern. Werden sie vom Umfeld vor Stress geschützt, ist das eines Kindes. keine organischen Ursachen festgestellt, kön- für die Entwicklung des Kindes ein wahrer Se- nen die Fachberaterinnen einer Schreiambu- gen“, macht sich Lidija Baumann insbesonde- gefährdet. Manche Mütter werden zum Bei- lanz Eltern und Kind helfen.“ re für alleinerziehende Eltern stark. spiel von einer ausgeprägten und/oder lang Die Ortsverbände des Kinderschutzbundes Manche Säuglinge brauchen für die Anpas- anhaltenden Wochenbettdepression daran halten u.a. als Träger von Familienzentren sung an diese Welt nur wenige Wochen, nach gehindert, auf ihre Kinder angemessen ein- oder unter dem Dach eines Kinderhauses drei bis vier Monaten haben es die meisten zugehen. „Die betroffenen Babys unterneh- BLAUER ELEFANT® unterschiedliche Frühe Hil- Kindern geschafft. „Eine frühe Bindungser- men extreme Anstrengungen, sich ihren fen für werdende und frisch gebackene Eltern fahrung des Kindes und die feinfühlige Für- Müttern verständlich zu machen“, weiß Lidija bereit: Sie beschäftigen z.B. Familienhebam- sorge der Eltern sind quasi die Lebensversi- Baumann und betont: „Deswegen ist es für men oder können interdisziplinär mit Fach- cherung eines Kindes und prägen lebens- die Entwicklung dieser Kinder sehr wichtig, kräften aus dem Kinderschutz, des Gesund- lang seine Reaktionen auf Stress mit“, führt dass ihre Mütter so früh wie möglich Hilfe er- heitswesens und der Gemeinde beraten. Wei- Lidija Baumann aus. „Ab etwa drei Monaten halten.“ tere niedrigschwellige Angebote sind bei- wird das Baby zum Spezialisten für seine El- spielsweise das Elternfrühstück, Elterntreffs tern. Es bindet sich an sie und kann ihnen zei- FRÜHE HILFEN wie „Hallo kleiner Mensch“, „Café Kinderwa- gen, wie sie mit ihm umgehen sollen. Anders- Hier setzen die sogenannten Frühen Hilfen gen“ und ,„Elterngarten“ oder Baby-Willkom- herum lernen Babys aber auch schnell, was an. Dieser Begriff steht für ein engmaschiges mensbesuche. Der Kinderschutzbund führt mit ihren Eltern geht und was nicht.“ Im bes- Netzwerk aus Frauen- und Kinderärztinnen diese Angebote entweder mit hauptamtli- ten Fall hat ein Kind Eltern, die es in jeder Wei- und -ärzten, Familienhebammen, Familien- chen Fachkräften als alleiniger Träger oder in se feinfühlig wahrnehmen und versorgen. zentren mit Angeboten für (werdende) Eltern Kooperation mit der Gemeinde oder weite- Dieses Kind muss sich viel weniger anstren- mit Kindern bis drei Jahre sowie weiteren re- ren Trägern durch. Andere Angebote wie z. B. gen, damit seine Signale „gelesen“, also ver- gionalen Akteuren, beispielsweise auch den Familienpaten sind in einem Miteinander von standen, und die Bedürfnisse erfüllt werden. Frühen Hilfen der Kinderschutz-Zentren. So Hauptamtlichen und geschulten Ehrenamtli- Sind Eltern jedoch durch starken Stress, gro- können junge Familien genau die Hilfe erhal- chen organisiert. ße Sorgen oder psychische Erkrankung belas- ten, die sie in Übergangsphasen benötigen. Gesa Gaedeke, Redaktion tet, ist das zarte Pflänzchen „frühe Bindung“ Etwa wenn das Kind Anpassungsschwierig- 9
Foto: iStock-YanLev Übergang Familie Kita Wie kann´ s KLAPPEN? Der erste Weg, der ein Kind regelmäßig weg vom elterlichen Zuhause führt, ist der in den Kindergarten oder die Kindertagesstätte. Dass Kinder eine solche Einrichtung besuchen, ist heute aus vielen Gründen wünschenswert und selbstverständlich. Nur über das ge- eignete Alter für diesen Start wird heftig gestritten. Was ist hier im Interesse der Kinder? Der deutsche Pädagoge Friedrich Fröbel Die Kindergärten in der jungen Bundesrepu- von Mutti liebevoll bekocht worden waren. fand schon vor 180 Jahren, dass Kleinkinder blik ermöglichten Eltern (Müttern!) kaum ei- Bis ins 21. Jahrhundert hinein hatten viele Kin- in ihrer Entwicklung gefördert, erzogen und ne geregelte Berufstätigkeit, das ließen die dergärten in der BRD dieses zweigeteilte An- gebildet werden sollten, wenn ihre Eltern ar- Betreuungszeiten von acht bis zwölf Uhr gar gebot. In der DDR waren die Kitas dagegen beiten. Also gründete er damals die ersten nicht zu. Immerhin konnte die Hausfrau in durchgängig geöffnet. Kindergärten. Sie wurden vom preußischen dieser Zeit ungestört den Boden wienern Seit 2013 haben Kinder bundesweit ab ihrem Staat zunächst für fast zehn Jahre als „atheis- oder einkaufen gehen. Lediglich ältere Kin- ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf tisch und demagogisch“ verboten. Doch die der, die in der Nähe der Kita wohnten und den Kinderbetreuung („U3-Betreuung“). Für Kin- Idee der Kindergärten setzte sich durch, Weg dorthin allein bewältigen konnten, nah- der ab drei Jahren („Ü3-Betreuung“) bedeutet wurde exportiert – und entwickelt sich bis men zwischen zwei und vier Uhr das Nach- das: einen Platz in einer Kindertagesstätte. heute ständig weiter. mittagsangebot wahr – nachdem sie zuhause Doch trotz großer Anstrengungen von allen 10 KSA 2.2020
Seiten reichen die Plätze vielerorts nicht aus, um die Nachfrage zu decken (s. Kasten „Be- treuungsbedarf“). Man muss es ehrlich sagen: Der Ausbau der frühen Betreuung ist vorwiegend „den Erfor- er durstig oder müde ist? Wie lässt er sich am besten trösten? Fritzchen protestiert, als der Vater mit ihm nach eineinhalb Stunden aufbricht, aber die Erzieherinnen finden, für heute sei es genug. „ Ideal wäre, wenn junge Familien genügend Betreuungsplätze vorfinden würden, aber auch finanziell dernissen des Marktes“ geschuldet. Frauen Am nächsten Tag läuft der Kleine die ganze sollten, wollten und mussten auch oft bald Strecke zur Kita schon alleine. Und auch heu- abgesichert wären. wieder an den Arbeitsplatz zurück. Für viele te bleibt der Papa immer im Raum. Erst am Foto: iStock-omgimages eine wirtschaftliche Notwendigkeit, für viele vierten Tag verabschiedet er sich kurz („Papa auch eine persönliche Entscheidung. Ideal kommt gleich wieder“) und setzt sich für eine wäre heute, wenn junge Familien genügend halbe Stunde auf die Parkbank vor der Kita, Betreuungsplätze vorfinden würden, aber das Smartphone parat. Fritz verkraftet die auch finanziell abgesichert wären. Dann hät- kleinen Trennungen gut, am Ende der zwei- ten sie eine wirkliche Wahlfreiheit. ten Woche verbringt er bereits zwei Stunden Mit dem Trend zur frühen „außerhäuslichen alleine in der Gruppe. Einmal hat er sich weh- Betreuung“, die zugleich Entwicklungsförde- getan. Da weint er bitterlich nach dem Papa, rung ist und ganz offiziell einen Bildungsauf- der auch prompt angerufen wird und kommt. trag hat, wandelte sich auch der öffentliche Aber da hat sich Fritz bereits auf dem Arm sei- Diskurs: Während Mütter noch vor einer Ge- ner Erzieherin beruhigt. Zwei Dinge hat er ge- neration oft schief angesehen wurden, wenn rade erfahren: Meine Eltern kommen, wenn sie ohne Not ihr Kind vor dem dritten Geburts- ich sie brauche – und wenn sie nicht da sind, tag „abgeben“ oder „fremdbetreuen lassen“ kann mich auch die Frau in der Kita trösten. wollten, so berichten Eltern heute von schrä- Bis Fritz von den Eltern regelmäßig erst nach- gen Blicken, wenn sie ihr Kind erst mit drei mittags abgeholt wird, vergehen noch Mona- Jahren in den Kindergarten geben möchten. te. Da kennt der Junge längst alle Regeln in der Kita, räumt seine Schuhe selbst ins Fach WIE KANN DER FRÜHE ÜBERGANG und rennt nach dem Essen ins Bad zum Zäh- GUT GELINGEN? neputzen. Da ist zum Beispiel Fritzchen, der gerade ein Seine Kita bietet wie viele andere eine „Einge- Jahr alt geworden ist. Seine Mutter muss wöhnung nach dem Berliner Modell“: Tempo und will wieder zurück in den Beruf. Ihr Part- und Dauer der Trennung von den Eltern rich- ner verdient als Freiberufler wenig und eher ten sich nach dem Entwicklungsstand und unregelmäßig, aber wenn er einen Auftrag den aktuellen Bedürfnissen des Kindes. Das hat, ist er oft tage- oder wochenlang weg. klingt aufwändig und umständlich? Aber es Die Miete für ihre Drei-Zimmer-Wohnung lohnt sich. Zahlreiche Studien zeigen: Kinder, schluckt einen großen Teil des Elterngelds. die auf diese Weise eingewöhnt werden, kön- PERSONALNOT Aber die Mutter freut sich auch auf ihren Job nen die Kita-Angebote besser nutzen, zeigen Zum Deutschen Kitaleitungskongress in Düssel- und die Kolleginnen. Jetzt suchen die Eltern weniger Angst- und Rückzugsverhalten – und dorf Anfang März 2020 hat der Chef der Gewerk- für Fritzchen einen Platz, wo er bis zum Nach- sie sind seltener krank. schaft Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, Foto: iStock-FatCamera mittag betreut werden kann. Kein leichtes Un- die wesentlichen Ergebnisse einer aktuellen terfangen in ihrer Großstadt – aber nach eini- repräsentativen Befragung unter 2.795 Kita- gen Monaten wird überraschend ein Platz in Leitungen in Deutschland vorgestellt: Danach der „Zwergengruppe“ einer städtischen Kita hatten im Jahr 2019 nur 8 % der Kitas durchge- in der Nähe frei. Prima, in dieser Einrichtung hend eine auskömmliche Personalausstattung. kann Fritzchen sogar bis zur Einschulung Jede vierte Kita-Leitung gab an, sogar in über 40 % bleiben. der Betreuungszeit mit zu wenig Personal gearbei- Mit 17 Monaten geht Fritzchen zum ersten tet zu haben. Das berge Sicherheitsrisiken für die Mal in die Kita. Mit seinem kleinen Stoffruck- Kinder, so die Autoren der Studie. Und auch das sack, in dem sein Schnuller und der Hase ste- ein Befund: Es ist immer schwieriger, Personal für cken, stiefelt er an der Hand des Vaters los, will offene Stellen zu finden. nach halber Strecke aber getragen werden. Die Befragung ergab außerdem, dass 94 % der Am ersten Tag in der Kita passiert nicht viel. Kitas bei der Betreuung der unter Dreijährigen Fritzchen kniet zwischen neun anderen Kin- hinter der wissenschaftlich empfohlenen Fach- dern und einer Erzieherin am Boden und kraft-Kind-Relation von 1: 3 zurückbleiben. Bei den spielt; manchmal läuft er zu seinem Vater, der über Dreijährigen verfehlen laut Studie 76 Prozent auf der Bank an der Wand sitzt und mit einer den statistischen Betreuungsschlüssel von 1:7,5. anderen Erzieherin spricht. Sie macht sich No- Quelle: Gewerkschaft Bildung tizen: Was spielt Fritzchen gerne? Wie nennt er und Erziehung seine Eltern? Und sich selbst? Wie sagt er, dass 11
BETREUUNGSBEDARF Foto: iStock-emholk Im Jahr 2018 besuchten knapp 790.000 für alle Kinder geht, auch für solche aus pre- Kinder unter drei Jahren in Deutschland kären Verhältnissen, ob es um Spracherwerb eine Kindertageseinrichtung oder Kinder- und Sprachförderung für Kinder mit einer tagespflege. Der tatsächliche Betreuungs- nicht-deutschen Muttersprache geht oder bedarf lag durchschnittlich gut 14 % höher. um soziale Erfahrungen für Einzelkinder: Für Geschätzt werden bis zum Jahr 2025 rund jedes Kind hat die Kita jede Menge zu bieten. 307.000 zusätzliche Plätze für die unter Dafür brauchen Kinder viele gut ausgebildete Dreijährigen benötigt. ErzieherInnen mit einer hohen Arbeitszufrie- Knapp 2,43 Millionen Kinder im Alter von denheit. drei Jahren bis zum Schuleintritt nahmen Deshalb fordert der Kinderschutzbund z. B. Angebote der frühkindlichen Bildung, Er- in seiner Stellungnahme zum Gute-Kita-Ge- ziehung und Betreuung in Anspruch. Die setz (zu finden auf www.dksb.de): Der Aus- Betreuungsquote lag in dieser Altersgruppe bau der frühkindlichen Betreuung darf nicht bei gut 93 % in Westdeutschland, in Ost- zu Lasten der Qualität gehen! deutschland leicht höher. Der Betreuungs- Der DKSB bereichert mit zahlreichen Ange- bedarf geht aber gegen 100 %. bote der Ortsverbände auch selbst die Bil- dungslandschaft für die Kleinen: z.B. durch Quelle: Bundesfamilienministerium Spielgruppen, durch Integrationsbausteine, die kürzlich zugewanderten Familien u. a. WIE KANN EIN KIND WER SOLL DAS ALLES HINKRIEGEN? das hiesige Bildungs- und Erziehungssystem GUT VORBEREITET WERDEN? Hohe Ansprüche an die Eltern. Aber auch ho- näher bringen, durch Beratung für Fachkräf- Auch Eltern können ihrem Kind den Einstieg he und weiter gestiegene Ansprüche an die te und Eltern, durch Familienbildungsange- in die Kita erleichtern: professionell Erziehenden. Ausbildung, Bezah- bote in Kitas (wie der Elternkurs Starke El- Fritz z.B. kannte das schon, neben und lung und gesellschaftliche Anerkennung ihres tern-starke Kinder®). Nicht zuletzt ist der Kin- mit anderen Kindern zu spielen – er hatte Berufsstandes kommen da nur schleppend derschutzbund Träger von zahlreichen Kin- vorher mit seiner Mutter bereits einen hinterher, ebenso die Personalausstattung. dertagesstätten in ganz Deutschland. All das Eltern-Kind-Treff besucht. Dabei kann nicht oft genug betont werden: sind Bausteine, damit Betreuung, Bildung Als Fritzchen ein Baby war, haben sich sei- Die Tätigkeit der pädagogischen Fachkräfte und Erziehung von kleinen Kindern nicht nur ne Eltern abwechselnd um ihn gekümmert, in Kitas ist grundlegend wichtig für die Lern- „marktgerecht“ ist, sondern in erster Linie und manchmal auch die Großmutter oder bereitschaft und Lebenszufriedenheit kleiner dem Kindeswohl entspricht. eine Freundin der Eltern. So hat der Junge Kinder! Ob es um gleiche Bildungschancen Korinna Bächer, Redaktion gemerkt: Es geht! Auch wenn ich nicht an- dauernd auf Mutters Schoß bin, wird gut Foto: iStock-skynesher für mich gesorgt. Fritzchens Eltern tauschen sich auch von Anfang an über ihre unterschiedliche Art aus, mit dem Kleinen umzugehen. Sie finden: Es darf mehr geben als nur eine richtige Methode. Sie akzeptieren auch, dass im Kindergarten manches – auch die Regeln – anders läuft als zuhause. Das hilft auch Fritz, Unterschiede auszuhalten. Und wenn die Eltern mit etwas nicht einverstanden sind, sprechen sie die ErzieherInnen darauf an – und verunsichern damit nicht den Jungen. Lieben bedeutet auch, loslassen zu kön- nen. Fritzens Eltern sind für ihn da, aber sie ermöglichen ihm den Kontakt zu anderen „ Erwachsenen und Kindern und freuen sich, wenn er sich auch bei anderen wohl fühlt. Sie sind nicht gekränkt, wenn Fritz neuer- dings die Erzieherin statt der Mama heiraten will, oder dass ihm der Kartoffelbrei in der Kita besser schmeckt als zuhause. Sie finden es gut, dass er die Kita besucht. Fritz spürt das auch ohne Worte. Das macht es ihm Die Tätigkeit der pädagogischen Fachkräfte in Kitas leichter, in der Kita anzukommen und sich ist grundlegend wichtig für die Lernbereitschaft dort sicher zu fühlen. und Lebenszufriedenheit kleiner Kinder! 12 KSA 2.2020
Foto: iStock-kzenon Übergang Kita Schule „Ist nicht schliiiiimm!“ Von allen Übergängen ist die Einschulung wahrscheinlich Viele Gliederungen des Kinderschutzbundes leisten deshalb zu Schuljahresbeginn tolle der erste, an den wir uns lebhaft erinnern. Ein markanter Unterstützung. Sie kooperieren mit Einzel- Einschnitt, zumindest im Rückblick. Mit dem Schulbesuch händlern beim kostenlosen Befüllen von beginnt der Ernst des Lebens, ist oft zu hören. Es stimmt ja Schultüten, sammeln Spenden, die in kosten- lose Schulranzen für bedürftige Familien flie- auch: Mit den Schulnoten wird erstmals eine (bisweilen ßen, oder vermitteln gebrauchte Ranzen. Der trügerische) Vergleichbarkeit hergestellt – auch für die DKSB konzentriert ohnehin einen großen Teil Eltern: Wo steht mein Kind im Vergleich zu den anderen? seines Angebots auf diesen wegweisenden Übergang im Kinderleben – sei es als Träger Ist es eher ein Mathecrack oder der musische Typ? Von den einer Kita oder als freiwillige Begleitung auf Antworten auf solche Fragen hängt viel ab. Das Bild vom dem Weg in die erste Klasse. Nach ihrer Ein- eigenen Kind wird spätestens jetzt ergänzt durch die schulung treffen Kinder dann in vielen Schu- len in der Schulsozialarbeit, in der Ganztags- Perspektive einer Gesellschaft, die Leistung belohnen will. betreuung und in vielen weiteren Angeboten Es ist erst Mitte Februar. In der Büroküche dre- der Trend die Rucksäcke nach vorne, mal al- und Projekten auf den DKSB. hen sich die Gespräche der Eltern aber schon ternative Modelle, mit denen sich auch um- Aber zurück zum Büroküchengespräch: Wer jetzt um die Wahl des richtigen Schulranzens weltbewusste Eltern anfreunden können. Am im Februar noch nicht das Restaurant für die und die Ausrichtung der Einschulungsfeier Ende ist man 100 Euro los oder mehr – die ers- gemeinsame Familienfeier nach der Einschu- im Sommer. te Rate für die schulische Grundausstattung lung reserviert hat, kann im Grunde einpa- So ein Schulranzen muss offenbar mit bei- des Kindes, die mit bis zu 400 Euro manche El- cken. Eltern mit dem zweiten schulpflichti- nahe wissenschaftlichen Fertigkeiten auf tern vor große Herausforderungen stellt. Und gen Kind lächeln nur müde, wenn man sich Maß angepasst werden. Deshalb wird auch so zeigt sich auf dem Rücken der Kinder erst- erstaunt zeigt, dass die Vorbereitungen so der Kauf genau geplant. Ich erinnere mich, mals die soziale Spaltung unserer Gesell- früh beginnen müssen. dass das auch zu meiner Schulzeit ein wichti- schaft: Die Grenze verläuft zwischen teurem Wie dem auch sei: Eltern sind schon Monate ger Akt war, anno 1993. Nur ist heute die Aus- Markenmodell und no-name-Ranzen vom vor der Einschulung in Aufregung, einige er- wahl viel größer. Für jeden Geschmack und Discounter. scheinen ängstlicher als das Kind, das seine jeden Geldbeutel ist etwas dabei, mal spült künftige Schule und hilfreiche Schulpaten 13
meist schon kennengelernt hat. Manch ein frage ich Paul und zeige ihm die aktuelle KSA- der Schule?“ - „Lesen.“ - „Und was noch?“ - Paar bedauert, dass nun viel Flexibilität verlo- Ausgabe. Ein Blick aufs Heft, flüchtiges Blät- „Rechnen.“ Ich fühle mich mittlerweile wie bei ren geht. Die Schule beginnt um 8 Uhr – Punkt tern, zustimmendes Nicken. Und was ist mit einer investigativen Hintergrundrecherche. 8 Uhr. Reisen sind nur noch in der (teureren) einem Foto? Auch kein Problem. Also gut – Immer auf der Suche nach Fragen, die hof- Ferienzeit möglich, und natürlich spüren Müt- aber womit fange ich an? Mit der Frage nach fentlich druckfähige Antworten produzieren. ter und Väter spätestens jetzt auch einen ge- dem künftigen Alltag unter Gleichaltrigen, So langsam dämmert mir, dass mein Reper- wissen Erwartungsdruck. Man ist geneigt zu dem recht klar strukturierten Schultagen und toire nicht so richtig zündet. Kann aber auch sagen: Nicht für die Kinder, vor allem für die El- einer Lehrerin, die sicher nicht so viel Zeit und sein, dass Paul sich keine großen Gedanken tern beginnt nun der Ernst des Lebens. Nähe aufbringen wird wie die Erzieherin? gemacht hat über die Einschulung. Aber so Messen Eltern dem Übergang mehr Bedeu- Nein, denn es soll ja keine weitere wissen- schnell gebe ich nicht auf. tung bei als das Kind selbst? Bei mir war das schaftliche Untersuchung an dieser entschei- „Ein bisschen rechnen kannst Du schon, wohl der Fall: Soweit ich mich erinnere, habe denden Schnittstelle werden, sondern nur ei- oder?“ - „Ja, 3x3 macht 9.“ Großes Erstaunen ich die Einschulung achselzuckend hinge- ne Momentaufnahme. Ohnehin findet Paul meinerseits. „Was willst Du denn noch ler- nommen. Die prägendste Erinnerung an die den Ausschlag der Mikrofon-Kurve auf mei- nen?“ - „Weiß nicht. 100 + 100. Oder 50 + 330. Feier ist, dass ich ein Matrosen-Kleid tragen nem Smartphone spannender, mit dem ich Das kann ich noch nicht. So schwere Sachen.“ musste und dazu schwarze Lackschuhe. Das das Gespräch aufzeichnen möchte. Okay, das macht Sinn. „Und kannst Du denn Schönste an der Einschulung war für mich die Also erstmal keine Frage. Wir verbringen schon schreiben? Deinen Namen zum Bei- riesige Schultüte, der Rest bleibt vage. stattdessen sehr viel Zeit mit Grunz- und Fan- spiel?“ - „Ja!“ - „Und kannst Du noch mehr?“ - Fragen wir dazu lieber einen Fachmann der tasiegeräuschen, um das Mikrofon zu testen. „Ja!“ - „Und was?“ (allmählich wird‘s haarig…) heutigen „Generation Schulkind“: Paul ist Hier und da lässt Paul sich aber doch zu Ant- „Lisa. Pauline. Tamara.“ sechs Jahre alt, wohnt in Berlin, ist eines von worten hinreißen: Ich versuche es anders, weg von der Schule – rund 35.000 angehenden Schulkindern in „Du kannst ja erstmal Deinen Namen sagen hin zur Party. Jedes Kind freut sich doch be- der Bundeshauptstadt, eines von 730.000 in und Dein Alter.“ - „P-A-U-L.“ - „Und wie alt bist stimmt jetzt schon wie wahnsinnig auf die Deutschland – und mein Patenkind. Paul hät- Du, Paul?“ - „Ein Erwachsener!“ - „Nein, wie alt Schultüte. Paul lässt mich wissen, dass sich in te schon im letzten Jahr eingeschult werden bist Du denn nun wirklich? Bist Du schon 6?“ seiner Schultüte Marshmallows und ein Fe- können, aber seine Eltern haben sich dage- - „Ich bin 18!“ So geht es unter großem Feixen dermäppchen befinden werden. Ein glückli- gen entschieden. Sie gönnen sich und ihm und Lachen weiter. Immerhin: Paul lässt mich cher Junge, der schnell zufrieden ist. Auf die noch ein weiteres Jahr ungebundene Kita- noch wissen, dass er sechs Jahre alt ist, im Au- Frage, ob er weiß, was auf der Einschulungs- Zeit. Für Paul war es nicht einfach, seine Kita- gust eingeschult wird und sein Freund Finn feier passieren wird, die klare Antwort: „Ja. „ Freunde schon in die Schule ziehen zu lassen. ganz sicher in seine Klasse kommt. Seine Mut- Man feiert.“ Wenn der Junge wüsste, dass sei- Ansonsten scheint ihn das Thema Einschu- ter korrigiert: Finn ist schon im vergangenen ne Eltern noch richtig Stress kriegen werden. lung aber – in seiner Welt noch eine Ewigkeit Jahr eingeschult worden. Nun ja. Soweit ich weiß, haben die nämlich noch kei- weit weg – herzlich wenig zu interessieren. „Freust Du Dich eigentlich auf die Schule, nen Tisch reserviert. Anfängerfehler! „Ich möchte ein Interview mit Dir führen und Paul?“ - „Ja!“ - „Und warum?“ - „Weil da Finn Ein letzter Versuch: der Schulranzen. Hat Paul das dann in diesem Heft drucken. Darf ich?“, ist!“ Bestechende Logik. „Was lernt man so in schon Ausschau danach gehalten? Die ge- neigte Leserschaft wird die bündige Antwort In Pauls Schultüte werden sich Marshmallows und ahnen: „Ja.“ Dann versucht er es selbst mit ei- ein Federmäppchen befinden. Ein glücklicher Junge, nem rhetorischen Trick – der Gegenfrage: „Warum eigentlich? Warum fragst Du?“ der schnell zufrieden ist. Da fällt mir dann auch so richtig nichts mehr ein. Ich erkläre ihm, dass ich gern wissen möchte, ob er sich auf die Schule freut. Ob er Foto: J. Wlodarczak seine Kitafreunde vermissen wird. Ob er sich vielleicht ein wenig Sorgen macht? Paul ist unerschütterlich. Mit freudigen Augen über die mittlerweile recht deutlichen Ausschläge auf dem Smartphone ruft er laut ins Mikrofon: „Ist nicht schliiiiiiiiiimm!“ Es klingt, als wolle er vor allem mich, seine Patentante, die das Thema ja offensichtlich sehr umzutreiben scheint, beruhigen. Wir beschließen, dass damit wohl alles gesagt ist, beenden das Interview und spielen end- lich die versprochene Partie „Zug um Zug“. Was ja auch kein schlechtes Rezept für den Umgang mit Übergängen ist. Juliane Wlodarczak, Redaktion 14 KSA 2.2020
Zwischenruf SEK, TEM und anderer Bohei Kürzlich waren wir bei unserem Finanzberater. Eigentlich sollte es um die Finanzierung unseres Hausbaus gehen. Aber dann fragte er uns plötzlich mit hoffnungsvollem Lächeln, ob wir denn auch Kinder planen würden. Als wir ein unentschiedenes Ja andeuteten, folgte sogleich sein Hinweis auf ein Superangebot der Bank: den gerade so günstigen SEK-Fonds. Foto: iStock-yaruta Dabei handelt es sich nicht um ein Sonder- einsatzkommando der Polizei, sondern um den Special Events Kids Fonds. Der sorgt da- für, dass wir nicht spätestens zur Konfirmati- on unseres Kindes in die Insolvenz gehen müssen, meinte unser Finanzberater. Wir waren immer noch ahnungslos, bis Herr Meyer uns aufklärte: Schon die üblichen Kin- dergeburtstage sind heutzutage eine be- sondere Herausforderung an das elterliche Eventmanagement und nehmen spätestens zum 18. Geburtstag des Kindes festivalähnli- che Ausmaße an. Zusätzlich ist zu bedenken, dass auch zwischen den Geburtstagen des Kindes Übergänge gewürdigt werden müs- sen, die Eltern – vor allem ihren Geldbeutel – deutlich strapazieren. Herr Meyer zählte auf: erstmal die Geburt, ge- folgt vom Start in die Krippe und dem Über- tigen Entwicklungsschritten der Kinder.“ Zu- Kinderplanung und den SEK durch den Kopf gang in die Kita. Dann der Eintritt in die mindest per Posting in den sozialen Netz- gehen zu lassen. Grundschule und später in die weiterführen- werken oder besser noch gleich als Livestre- Zu Hause fragten wir uns, ob die Kinder all de Schule, die Konfirmation oder Jugendwei- am.„Da lässt sich heute keiner mehr lumpen.“ diese Events überhaupt selbst wollen. Und he nicht zu vergessen, die erste Monatsblu- Wir sahen uns verstohlen an und begriffen: was sie wohl davon haben. Allerdings sind tung (wenn’s ein Mädchen wird) oder der Es geht ja gar nicht um die Kinder.... das wohl die falschen Fragen. Denn die Kin- Stimmbruch (im Falle eines Jungen), das Abi- „Jede Gelegenheit will halt gebührend, an- der wachsen ja heute mit solchen Events auf. tur natürlich, na und dann der Ausbildungs- sprechend und angemessen gefeiert wer- Wenn sie noch klein sind, entscheiden wir Er- beginn.„Sogar Übergänge zwischen den Klas- den“, setzte Herr Meyer unbeirrt nach und wachsene das so für sie und richten es ein. senstufen werden bereits zelebriert “, lehrte führte uns vor Augen: Wahrscheinlich wird Dann sind die Kids schon mal daran ge- Herr Meyer uns das Fürchten. Schnitzeljagd uns schon ein ganz normaler Kindergeburts- wöhnt, weshalb wir uns mit ihrem zuneh- bei Ikea oder angeleitetes Basteln mit Bern- tag spätestens ab dem sechsten Lebensjahr mendem Alter und der wachsenden Bedeu- stein reichen schon lange nicht mehr. Vorbei komplett überfordern. Weshalb wir outsour- tung ihrer Übergänge eventmäßig steigern die Zeiten, als man noch mit Topfschlagen cen müssen an Dienstleister wie Geburtstags- müssen. Sind die Kleinen dann selbst er- und Liedern zur Gitarre reüssieren konnte. Im planer oder neudeutsch: Transitionseventma- wachsen, ist alles gelaufen und geht mit ih- 21. Jahrhundert gelten andere Maßstäbe. nagament (kurz: TEM) – und das kostet! Da ren Kindern von vorne los. Zum Beispiel eine Drachenralley (Kostümie- können schnell ein paar 100 Euro pro Stunde Hand aufs Herz: Zieht diese „Eventisierung“ rung und Geo-Caching inklusive), als Prinzes- fällig werden, die Gala-Garderobe fürs Kind von Übergängen tatsächlich die geballte sin auf einem echten Schloss oder eine Top- (und uns) zum Abitur noch nicht eingerech- Aufmerksamkeit auf die Kinder, wie manche modelparty mit Fotoshooting, sowas sind net, sagte Herr Meyer. Und hatte für uns so- ernsthaft glauben? Ach ja, schon wieder die heute angesagte Events! gleich die beste Absicherung dieser Risiken falsche Frage. Denn wie gesagt: Bei dem Herr Meyer weiß Bescheid: „Man will ja die parat: den SEK. „Mit unserem Special Events ganzen Bohei geht`s ja gar nicht primär um gesamte Verwandtschaft, Nachbarschaft und Kids Fonds investieren Sie in die Zukunft Ih- sie... Freundeskreise teilhaben lassen an den wich- rer Kinder!“ Wir versprachen ihm, uns die Martin Stahlmann, Redaktion 15
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