Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD

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Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
Juni 2021
Das VPOD-Magazin erscheint 10-mal pro Jahr

Die Gewerkschaft
Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste

Gefahrenzone Kita
Eine VPOD-Umfrage zeigt, worunter Betreuerinnen leiden und wie das zu ändern wäre
Untragbare Zustände: Das Brokerunwesen in der zweiten Säule gehört abgestellt
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
Editorial und Inhalt    |   VPOD

        Themen des Monats

5       Mai macht mobil
        Die Fotos vom Tag der Pflege und vom Zukunftsstreik

6–7     Menschliche Interaktion bleibt zentral
        Die Digitalisierung sorgt auch im öffentlichen
        Personennahverkehr für Transformation
                                                                                              Christoph Schlatter
8–9     «Dieser Zustand ist nicht mehr tragbar»                                ist Redaktor des VPOD-Magazins
        Fehlanreize durch Broker-Honorare in der zweiten Säule:
        Interview mit Eliane Albisser, Geschäftsleiterin PK-Netz

11–15   Dossier: Gefahrenzone Kita                                     Langstrecke
        Die Ergebnisse der grossen VPOD-Umfrage «Gesundes              Keine Scherze über Namen, ich weiss, möchte aber trotzdem daran
        Kita-Personal, gesunde Kinder!»                                erinnern, dass sämtliche olympischen Langstreckenrennen der 70er
        Das Interview mit Olivia Blöchliger, die als Psychologin die   Jahre von einem Finnen namens Viren gewonnen wurden. Ich kann
        Situation in Kitas untersucht hat                              mich, weil wir 1976 den Fernseher neu hatten, sogar noch an den
                                                                       hageren, bärtigen Mann in seinem blauen Trägerleibchen erinnern,
16      Die Zeit der Eiferer                                           wie er, die Schuhe in der Hand, barfuss ins Ziel lief.
        Die Spaltung der Arbeiterbewegung, Teil 3 von 3:               Unser Bundesrat Alain Berset war als junger Mann ebenfalls ein aus-
        Kalter Krieg im VPOD                                           gezeichneter Läufer, allerdings auf der Mittelstrecke. Für die 800 Me-
                                                                       ter benötigte er zu seinen besten Zeiten 1:54:06 Minuten. Das ist
                                                                       ziemlich gut und jedenfalls geschwinder als fast jede Frau: Nur drei
                                                                       waren jemals schneller, allen voran die Tschechoslowakin Jarmila Kra-
                                                                       tochvilova, deren Weltrekord aus dem Jahr 1983 noch immer Bestand
                                                                       hat. Und das allein dank Vitamin B12, wie sie betont. Eindrücklich!
        Rubriken                                                       Inzwischen hat Berset auf die Langstrecke gewechselt. Er hat uns das
                                                                       schon letztes Jahr mitgeteilt: Die Corona-Krise ist ein Marathon. Das
4       Gewerkschaftsnachrichten                                       Bild ist insofern unglücklich gewählt, als der Bote, der gemäss Le-
                                                                       gende 490 v. u. Z. den Sieg der Griechen über die Perser zu melden
10      Aus den Regionen und Sektionen                                 hatte, bei seiner Ankunft tot umfiel. Auch die Distanz ist keineswegs
                                                                       eindeutig: Von Marathon bis nach Athen sind es laut Google-Maps
17      Sunil Mann: Ein anderer Name                                   lediglich 34,5 Kilometer, für die man 7 Stunden und 22 Minuten Fuss-
                                                                       marsch rechnen sollte. Die heute gültige Marathonstrecke misst aber
18      Wirtschaftslektion: Wenig Lohn, wenig Vertrauen                42,195 Kilometer. Sie wurde erst bei den Olympischen Spielen von
                                                                       London 1908 fixiert, und zwar so, dass das Ziel just vor der Königs-
19      Wettbewerb: Frau, lustig                                       loge lag. Die erste Zeit unter 2 Stunden wurde 2019 gelaufen, sie wird
                                                                       aber nicht als Weltrekord anerkannt, weil die Tempomacher mehrfach
20      VPOD aktuell                                                   ausgetauscht wurden.
                                                                       Das ist gegen die Regeln. Und die sind, wie der Zielpunkt, beim Ma-
21      Hier half der VPOD: Einer für alle                             rathon und überhaupt im Sport, jeweils von Anfang an festgelegt. Im
                                                                       Leben und speziell in der Corona-Krise, die uns jetzt schon so lange
22      Solidar Suisse: Nicht im gleichen Rettungsboot                 plagt, ist es anders. Alles wird laufend geändert. Ist da wirklich Licht
                                                                       am Ende des Tunnels? Auch Alain Berset kann nicht sagen, ob wir
23      Menschen im VPOD: Mattia De Lucia,                             wirklich schon auf der Zielgeraden sind.
        Mitarbeiter bei «Grassrooted», Klimaaktivist, Zürich           Aber mir dämmert’s langsam: Wir laufen rückwärts! Das Licht ist das
                                                                       Licht am Anfang des Tunnels. Es gibt in Südamerika Völker, die «hin-
                                                                       ter uns» sagen, wenn sie die Zukunft meinen, in die wir bekanntlich
                                                                       nicht sehen können. Und «vor uns», wenn sie über die Vergangenheit
                                                                       sprechen, die allein gewiss ist. Den Weltrekord im Rückwärtsmarathon
        Redaktion /Administration:
        Postfach, 8036 Zürich                                          hält übrigens seit 2017 der Deutsche Markus Jürgens mit 3:38:27 Stun-
        Telefon 044 266 52 52, Telefax 044 266 52 53                   den. Aber das ist nichts gegen Johann Plattner, der im Rückwärtsrad-
        Nr. 5, Juni 2021                                               fahren mit Musikinstrument seit 1987 ungeschlagen ist. 70 Kilometer
        E-Mail: redaktion@vpod-ssp.ch | www.vpod.ch                    mit dem Rücken zur Fahrtrichtung pedalt und dabei noch Akkordeon
        Erscheint 10-mal pro Jahr                                      gespielt! Nach 4¼ Stunden stieg er vom Rad – lebend.

                                                                                                                                   Juni 2021 3
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
VPOD      | Gewerkschaftsnachrichten

                                                                       Ende eines langen Matches: Der Rahmen ist kaputt.

                                                                       Ende eines Geschäftsmodells: Uber Eats verkehrt verkehrt.

                                                                       für die 13. AHV-Rente zeigen wir, dass andere Veränderungen in der
                                                                       Altersvorsorge möglich sind. Denn von einer starken AHV profitieren
                                                                       alle», bekräftigt der SGB. | sgb

                                                                       Modell Uber: Es wird langsam eng
                                                                       Für das von Uber & Co. praktizierte Geschäftsmodell – eine Platt-
                                                                       formwirtschaft mit Scheinselbständigen – wird es zunehmend eng.
                                                                       Uber Eats betreibt nach dem Urteil des Genfer Verwaltungsgerichts
                                                                       Personalverleih, muss also seine Kurierinnen und Kuriere als Arbeit-
                                                                       nehmende behandeln. Und die PostCom hat den Service von Uber
                                                                       Eats als anmeldepflichtige Dienstleistung eingestuft; damit ist eine
                                                                       GAV-Pflicht verbunden. In einem neuen Gutachten zeigt Kurt Pärli,
                                                                       Rechtsprofessor an der Universität Basel, was das bedeutet: Er kommt
                                                                       zum Schluss, dass der GAV Personalverleih und der GAV des Gastge-
                                                                       werbes anwendbar sind (für Löhne und Arbeitszeiten letzterer). Das
                                                                       Minimum ist ein Stundenlohn von 23 Franken; die Höchstarbeitszeit
                                                                       beträgt 42 Stunden pro Woche. | unia/slt (Foto: FerreiraSilva/iStock)

                                                                       Bund und BZ: Keine halben Sachen
                                                                       Die Belegschaften der Tageszeitungen Bund und BZ haben mit einer
                                                                       lautstarken Aktion gegen den Abbau von rund 20 Vollzeitstellen und
Rahmen ade! SGB froh                                                   gegen die vollständige Zusammenlegung ihrer Redaktionen protes-
Der SGB begrüsst den Entscheid des Bundesrates zum Abbruch             tiert. Für die Mediengewerkschaft Syndicom ist klar: Mit dem Ende
der Verhandlungen über das Rahmenabkommen. Damit werde ein             des «Berner Modells» positioniert sich Tamedia nicht nur erneut als
eigenständiger Lohnschutz für die Schweiz gewährleistet. Mit dem       unverantwortliche Arbeitgeberin, sondern verliert auch weiter an jour-
Abkommen wäre dieser substanziell geschwächt und ausserdem der         nalistischer Glaubwürdigkeit. Das Modell – zwei konkurrierende Ta-
Service public in Gefahr geraten, schreibt der SGB. Man werde sich     geszeitungen unter einem Verlagsdach – existiert seit 2003 und wird
weiterhin dafür einsetzen, dass der Arbeitnehmerschutz verbessert      mit der für Oktober geplanten vollständigen Fusion der Redaktionen
wird und die sozialen Rechte in der EU und in der Schweiz gestärkt     Geschichte sein. Als Teil der Aktion wurde ein Holzhaus mit einer
werden. Der SGB betont die Bedeutung der bilateralen Verträge: «Ei-    Motorsäge in zwei Teile zerlegt. Unter dem Motto «Keine halben Sa-
ne Eskalation durch die Schweiz oder die EU-Kommission ist uner-       chen!» wurden ausserdem halbe Sandwichs serviert. | syndicom
wünscht.» Aus diesem Grund sei auch die Kohäsionsmilliarde bald-
möglichst freizugeben. Wie es im Europa-Dossier weitergeht und wie     Gewerkschaften am Zukunftsstreik
eine Erosion der Bilateralen und eine Verschärfung der EU-seitigen     Nicht nur der VPOD (siehe rechte Seite), sondern auch die Unia und
«Nadelstiche» vermieden werden sollen, ist derzeit ungewiss. Im        der SEV haben für den Zukunftsstreik («Strike for future») mobilisiert
VPOD sieht man weder für Triumphgeheul noch für Häme Anlass.           und den Schulterschluss mit der Klimabewegung gesucht. «Ökolo-
| slt (Foto: ewg3D/istock)                                             gischer Umbau kann nur zusammen mit einem gesellschaftlichen
                                                                       Umbau für mehr soziale Gerechtigkeit funktionieren», betont die
137 777 Unterschriften für 13. AHV-Rente                               Unia, die namentlich ihre Mitglieder auf dem Bau, im Gartenbau
Die Initiative für eine 13. AHV-Rente ist zustande gekommen: 137 777   und im Gastgewerbe der zunehmenden Hitze ausgesetzt sieht. Der
Unterschriften für ein besseres Leben im Alter hat der SGB Ende        SEV verweist auf die vergleichsweise gute Ökobilanz des öffentlichen
Mai eingereicht. 13 statt 12 Monatsrenten pro Jahr: Das entspricht     Verkehrs: Für einen Fünftel des Verkehrsvolumens braucht dieser
einer Erhöhung um rund 7,7 Prozent. Der Abstimmungskampf hat           lediglich einen Zwanzigstel der Energie, die für Mobilität verwendet
quasi schon begonnen; in der zweiten Säule gibt es für immer mehr      wird. Als Zeichen für die Dringlichkeit des ökologischen Umbaus ver-
einzuzahlendes Geld immer weniger Rente. Und bei der AHV droht         anstalteten Lokführerinnen und Lokführer in der ganzen Schweiz um
mit «AHV 21» ein Abbau vor allem für die Frauen. «Mit dem Einsatz      11.59 Uhr ein Pfeifkonzert. | unia/sev/slt

4 Juni 2021
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
|   VPOD

«Tag der Pflege» (12.5.) und «Strike for future» (21.5.): Der VPOD mobilisiert

Der Mai – die Bilder
Wie jede Krise trifft auch die Klimakrise die      Ein Beispiel dafür, wie Service public eine
ärmeren Leute doppelt und dreifach. Die Ar-        Krise überwinden hilft, bot in den letzten Mo-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier,             naten das Gesundheitspersonal. Viel mehr als
aber erst recht jene im globalen Süden, lei-       ein wenig Applaus und einen vereinzelten Ex-
den schon heute ganz direkt unter der Erder-       trabatzen gab es dafür aber nicht. Am Tag der
wärmung; Hunderttausende drohen ihr Zu-            Pflege stellte der VPOD mit den anderen Or-
hause, ihre Arbeit, ihre Lebensgrundlagen zu       ganisationen des Bündnisses (u. a. Syna und
verlieren. Dass es auf einem toten Planeten        SBK) klar, dass es dabei nicht bleiben kann.
keine Jobs gibt, ist zwar ein Gemeinplatz –        Corona traf auf ein System, das nach Jahr-
aber trotzdem wahr. Der VPOD sieht im Ser-         zehnten von Auslagerungen und Personalab-
vice public einen Schlüssel für die Ökowende:      bau längst auf den Felgen lief. Die ausseror-
Der Ausbau von öffentlichen, breit zugängli-       dentliche Belastung durch Corona brachte das
chen und umweltfreundlichen Dienstleistun-         Fass zum Überlaufen. Es braucht dringend
gen aller Art wird helfen, die Erde zu retten      Gegensteuer, sonst verlassen auch noch die
und zu heilen. Diese Botschaft hat der VPOD        bisher Verbliebenen die Branche. Die Kund-
auch am Tag des Zukunftsstreiks («Strike for       gebungen am 12. Mai waren teilweise pande-
future») am 21. Mai auf die Strasse getragen –     miebedingten Beschränkungen unterworfen –
zu guten Teilen im strömenden Regen. Bilder        dafür umso lauter. Die Fotos (oben) stammen
(unten) aus Zürich, Baden und Basel.               aus Zürich und Basel. | vpod (Fotos: vpod)
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
VPOD      | Nahverkehr

Die Digitalisierung sorgt auch im öffentlichen Personennahverkehr für Transformation

Menschliche Interaktion bleibt zentral
Die Auswirkungen der Digitalisierung sind branchenspezifisch, erst recht vor dem Hintergrund von Pandemie und
Klimawandel. «Verknüpfung» heisst das Wort der Stunde im öffentlichen Verkehr. Beim Abzug von Personal von der
«Front» ist Zurückhaltung geboten. | Text: Kurt Altenburger, VPOD-Zentralsekretär (Illustrationen: Maxwell J. Roberts)

Die Digitalisierung ist die Industrialisierung     ne flexible, günstige, nachhaltige und saubere     ist, dass nicht nur die Unternehmen selbst,
des 21. Jahrhunderts. Wie seinerzeit die Ab-       Art der Fortbewegung, wobei auch zukünftig         sondern auch ihre Eigner sowie der Staat als
lösung der mit Muskelkraft (auch derjeni-          verschiedene Verkehrsmittel eine Rolle spie-       Besteller und Regulator solche Veränderun-
gen von Pferden) betriebenen Maschinen             len werden. Es gilt, diese intelligent miteinan-   gen mittragen und entsprechende Investitio-
und Fahrzeuge verändert auch die aktuelle          der zu vernetzen, so dass ohne Hürden zwi-         nen tätigen.
Transformation die Art, wie in einem Berufs-       schen Bus und Bahn, dem E-Auto und dem
feld gearbeitet wird. Und zwar je nach Bran-       Fahrrad gewechselt werden kann – mit einem         Fahren heisst er-fahren
che durchaus unterschiedlich. Eine Analyse         starken und zuverlässigen öffentlichen Nah-        Zwei Merkmale müssen für den öffentlichen
wäre aber wertlos, wenn sie nicht auch die         verkehr als Rückgrat. «Verknüpfung» lautet         Verkehr dabei weiterhin zentral bleiben: sei-
klimapolitischen Erfordernisse einbezöge.          das Wort der Stunde. Werkzeuge dafür stellt        ne allgemeine Zugänglichkeit und seine Fä-
Und wenn sie nicht die Erfahrungen der             die Digitalisierung zur Verfügung.                 higkeit, auf wenig Fläche viele Menschen zu
Pandemie mitdächte: Corona hatte und hat           Was bedeutet das für Bus, Tram & Co? Und           transportieren. Ebenso wenig darf vergessen
auch auf den öffentlichen Nahverkehr deut-         für die Entwicklung der Städte und Agglo-          gehen, dass Mobilität keine strikt rationale
liche Auswirkungen. Neue Hygiene- und              merationen? Öffentlicher Verkehr ist in Zu-        Materie ist, sondern dass sie auch einen aus-
Abstandsregeln sowie ein stark verändertes         kunft weniger ein Liniennetz, vielmehr ein         gesprochen starken Erlebnisaspekt besitzt:
Nutzerverhalten stellen die Branche derzeit        Angebot von Haustür zu Haustür, das vom            Fahren ist immer auch Erfahren. Der Digi-
vor grosse Herausforderungen.                      Bestellbus übers (E-)Autosharing bis zu Platt-     talisierung und Automatisierung zum Trotz
                                                   formen reicht, auf denen all diese Angebote        bleibt die Interaktion zwischen Menschen un-
Mobilität von Tür zu Tür                           zusammengeführt werden. Absehbar ist, dass         verzichtbar (siehe auch Kasten)! Zwar ist der
Der pandemiebedingte Trend zum Home-               die Betreiber solcher Portale als Händler den      Ticket-Direktverkauf im städtischen Verkehr
office und die rückläufige Reiselust haben         Markt kontrollieren und Profite abschöpfen,        verschwunden; auch im Regionalverkehr
Fahrgastzahlen und Erlöse der öffentlichen         während die Ausführenden – also auch die           wird er sich nicht mehr Jahrzehnte halten.
Verkehrsunternehmen empfindlich sinken             klassischen Anbieter von Linienverkehren           Eine Rückkehr des Bargelds im grossen Stil
lassen. Gleichzeitig spielt der öffentliche Ver-   – das Nachsehen haben. Das gilt zumindest          nach Covid ist ebenfalls nicht zu erwarten.
kehr jedoch nach wie vor eine Schlüsselrolle       dann, wenn sie sich nicht selber mit gemisch-      Beim Automaten-, Handy- und Internetver-
bei der dringend erforderlichen Wende hin          ten Angeboten, als Mobilitätshubs oder mit         kauf von Fahrausweisen ist es indes vordring-
zu einer nachhaltigeren Mobilität. Ziel ist ei-    eigenen Plattformen beteiligen. Wesentlich         lich, dass die Kundinnen und Kunden nicht
                                                                                                      im Tarifdschungel sitzenbleiben.
                                                                                                      Kehrseite des schwindenden direkten Kun-
                                                                              Den öffentlichen        denkontakts: Das Sicherheitsgefühl leidet.
                                                                              Verkehr neu denken:     Immer mehr Haltestellen werden mit Vi-
                                                                              Paris . . .
                                                                                                      deoüberwachung ausgerüstet (in der Stadt
                                                                                                      Zürich beispielsweise schon 21 der 435 Hal-
                                                                                                      testellen), was auch gegen Vandalismus hel-
                                                                                                      fen soll.
                                                                                                      Das Tracking der Fahrzeuge mit GPS zeitigt
                                                                                                      neben erwünschten auch unerwünschte Wir-
                                                                                                      kungen. Für mich als Fahrgast ist es ange-
                                                                                                      nehm, wenn ich auf dem Handy sehen kann,
                                                                                                      dass mein Bus heute Verspätung hat. Blöd ist
                                                                                                      es nur dann, wenn die Verspätung auf den
                                                                                                      letzten Metern aufgeholt wurde und ich nur
                                                                                                      noch die Rücklichter sehe. Und unglücklich
                                                                                                      sind übrigens auch Ortsunkundige, wenn
                                                                                                      im Innern des Gefährts statt der Anzeige
                                                                                                      von Haltestellen lediglich darüber informiert

6 Juni 2021
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
Nahverkehr        |   VPOD

wird, dass das System gerade einen Neustart        Aber auch die Betriebsleitung hat Zugriff auf        sich den Dienstag für ihr Wandergrüppli
in Angriff nimmt.                                  diese Daten und könnte sie für Disziplinar-          freihalten. Natürlich können nicht alle Wün-
                                                   oder Lohnmassnahmen missbrauchen. Da-                sche berücksichtigt werden, und ohnehin
Big Brother guckt aufs Lenkrad                     gegen würde sich der VPOD mit Vehemenz               muss meist noch von Hand nachgebessert
In bester Absicht – nämlich um ihr Fahrper-        wehren, sollte ein Fall bekannt werden.              werden. Klar ist, dass die Akzeptanz solcher
sonal auf eine ökologische Fahrweise zu trim-      Weitgehend positiv einzuschätzen ist die             Softwarelösungen mit dem Grad der indivi-
men – setzen Verkehrsbetriebe zunehmend            Auswirkung der Digitalisierung auf die Ge-           duellen Wunscherfüllung steht und fällt. Und
auf lückenlose Überwachung. Ein Anzeigege-         staltung der Dienstpläne. Man füttert das            dass sie die Mitarbeit der Beschäftigten erfor-
rät neben dem Lenkrad gibt der Fahrerin, dem       System mit den gesetzlichen und betriebli-           dern, dass also mehr Nebenarbeitszeit abseits
Fahrer mit unterschiedlichen Leuchtsymbolen        chen Rahmenbedingungen und zuletzt mit               der Kernaufgabe anfällt.
Hinweise über den aktuellen Fahrstil, warnt        den Wünschen der Mitarbeitenden. Kollegin
beispielsweise bei zu hochtourigem Fahren          A mag die frühen Morgenstunden, Kollege              Pionierarbeit in Bern
oder bei zu starker Beschleunigung. Solche In-     B fährt aus familiären Gründen derzeit gern          Dass die Digitalisierung zu Personalabbau
formationen senken den Treibstoffverbrauch.        am Wochenende, und Kollegin C möchte                 führen wird, ist nicht zwingend; sicher ist
                                                                                                        aber, dass andere Qualifikationen gefragt sein
                                                                                                        werden als heute. In dieser Frage haben Bern-
                                                                                . . . und Moskau.*      mobil und der VPOD Bern Städte Gemeinden
                                                                                                        Energie Pionierarbeit geleistet. Ausgehend
                                                                                                        von der Überlegung, dass die Transformation
                                                                                                        in gewissen Bereichen Geld spart, an anderen
                                                                                                        Orten aber einen Bedarf an Nach- oder Neu-
                                                                                                        qualifizierung schafft, haben sie auf 2019 ei-
                                                                                                        nen Digitalisierungsfonds ins Leben gerufen.
                                                                                                        Digitalisierungsbedingte Weiterbildung soll
                                                                                                        auf diese Weise aus digitalisierungsbedingten
                                                                                                        Erlösen bezahlt werden. Inzwischen haben
                                                                                                        auch der SEV und die SBB etwas Vergleichba-
                                                                                                        res geschaffen, aber entgegen ihrer Verlautba-
                                                                                                        rung waren sie damit nicht die ersten . . .

                                                                                * Die gute Darstellung eines Linien­netzes ist eine Kunst für sich. Der bri-
                                                                                tische Psychologe und Designer Maxwell J. Roberts macht Vorschläge,
                                                                                wie die Pläne übersichtlicher gestaltet werden können, beispielsweise
                                                                                indem sie konzentrisch aufgebaut sind oder geschwungene L­ inien auf-
                                                                                weisen. Stets ist ein Kompromiss zwischen realer Topografie und leich-
                                                                                ter Lesbarkeit gesucht; dichte Innenstadtknäuel müssen entzerrt, lange
                                                                                Strecken in die Vorstädte gestaucht oder gebogen werden.

Niemand am Steuer – ungeheuer?
Die technologischen Möglichkeiten des auto-        Sobald andere Verkehrsteilnehmende ins Spiel        eben auch hier nicht nur um Technik: Die Ver-
matisierten Steuerns von Fahrzeugen sind heu-      kommen, die sich nicht durchwegs rational und       breitung von automatisierten Fahrzeugen hängt
te weit fortgeschritten. Auch im privaten PKW      vorhersehbar verhalten, wird es schwierig. Der      etwa auch von rechtlichen Voraussetzungen ab
gibt es bereits eine Unzahl von Assistenzsyste-    Betrieb des autonom fahrenden Kleinbusses, der      – und nicht zuletzt von der gesellschaftlichen
men, die dabei helfen, das Ziel zu finden, sanft   den Bahnhof Schaffhausen mit dem Rheinfall          Akzeptanz. Kurz: Automatisierte Fahrzeuge wer-
zu bremsen, berührungsfrei zu parkieren, das       verband, dauerte im Sommer 2019 nur wenige          den noch während einer längeren Phase mehr
Tempolimit zu befolgen oder die Spur und die       Wochen. Obwohl dort stets eine interventionsbe-     können, als sie dürfen.
Wunschgeschwindigkeit zu halten. Stets sitzt       rechtigte Begleitperson mit an Bord war, kam es     Wie geht’s weiter? Eine Studie geht davon aus,
aber jemand am Lenkrad, die oder der im Zwei-      zu einem Unfall mit einem E-Bike. Daraufhin         dass die Entwicklung abgestimmt mit dem euro-
felsfall die Automatik übersteuern kann.           wurde das Projekt eingestellt.                      päischen Ausland verlaufen sollte, insbesondere
Im schienengebundenen Verkehr sind führerlose      Heute wird das Thema in erster Linie techno-        beim Individualverkehr. Im öV kann man sich die
Fahrzeuge auch in der Schweiz schon Realität.      logie- und industriegetrieben behandelt. Ge-        Schweiz durchaus in einer Vorreiterrolle vorstel-
Die Metro Lausanne und die Zubringerbahn zum       sichertes Wissen über die Wirkungen auf das         len. Die Koordination der Aufgaben und Prozes-
Terminal E am Flughafen Zürich haben aller-        Mobilitätsverhalten, auf die Raumentwicklung        se wird indes eine immense Herausforderung
dings eines gemeinsam: Sie sind kreuzungsfrei.     oder die Infrastruktur fehlt weitgehend. Es geht    darstellen. | Kurt Altenburger

                                                                                                                                               Juni 2021 7
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
VPOD        | Berufliche     Vorsorge

Fehlanreize durch Broker-Honorare in der zweiten Säule: Interview mit Eliane Albisser, Geschäftsleiterin PK-Netz

«Dieser Zustand ist nicht mehr tragbar»
Pensionskassen-Maklerinnen und -Broker lassen sich ihre Dienste teuer abgelten. Das PK-Netz kritisiert das
verbreitete Entschädigungsmodell. Geschäftsleiterin Eliane Albisser erklärt, warum. Und nimmt Stellung zum
aktuellen Trauerspiel in der Ständeratskommission. | Interview: Christoph Schlatter (Foto: zVg)

                                                     Es verhält sich so, wie wenn die Autorin          meistens an sehr schlechte Vorsorgeeinrich-
                                                     eines Restaurantführers nicht aus dem             tungen angeschlossen. Es gibt nach meiner
                                                     Bucherlös entschädigt würde, sondern von          Beobachtung eine klare Korrelation zwischen
                                                     den Wirtinnen und Wirten. Sie empfiehlt           der Qualität der Arbeitsbedingungen und je-
                                                     demnach nicht die besten Restaurants,             ner der Pensionskassenlösung.
                                                     sondern diejenigen, die ihr am meisten zahlen.    Du sprichst ausserdem auch von
                                                     Ein schönes Bild. Die Sache bei den Pensi-        einer unguten Beschleunigung
                                                     onskassen ist aber nochmals komplizierter,        im Pensionskassenwesen.
                                                     indem die Leute – in deinem Beispiel die          Dass der Vorsorgemarkt immer schneller
                                                     Restaurantgäste – ja gar nicht frei wählen        wird, ist mit eine Folge des von uns kritisier-
                                                     können, wo sie essen gehen. Beziehungs-           ten, aber leider verbreiteten Entschädigungs-
                                                     weise wo sie versichert sind. Nicht falsch ver-   modells für Broker-Dienstleistungen. Die
                                                     stehen: Die freie Pensionskassenwahl ist auf      Maklerinnen ziehen Gewinn aus häufigem
                                                     keinen Fall die Lösung! Aber damit würden         Wechsel, und manche von ihnen schieben
                                                     wir wieder ein neues Fass aufmachen. Wich-        deshalb Versichertenbestände von A nach B
                                                     tig fürs Verständnis ist der Strukturwandel in    nach C, während die Versicherten an diesem
                                                     der gesamten Branche. Die Tendenz geht von        gesteigerten Traffic überhaupt kein Interesse
                                                     betrieblichen Kassen, . . .                       haben.
                                                     . . . wie man sie im Organisationsgebiet          Vielleicht kannst du ein Beispiel geben,
                                                     des VPOD häufig findet, . . .                     wie so ein Pensionskassenwechsel
                                                     . . . zu grossen Sammelstiftungen mit vie-        heute häufig abläuft – und wie er
                                                     len Anschlüssen. Dort ist es übrigens auch        eben nicht ablaufen sollte.
                                                     deutlich schwieriger als bei den öffentlichen     Die Arbeitgeberin, die sich verständlicherwei-
                                                     oder betrieblichen Kassen, Parität zu leben.      se in der Materie nicht so gut auskennt, sucht
                                                     Beim VPOD sind es vor allem die Beschäf-          Beratung und gerät an einen Vermittler, der
Eliane Albisser ist Geschäftsführerin beim gewerk-   tigten in der privaten Pflege und Betreuung       ihr Angebote der Kassen A, B und C vorlegt.
schaftlichen PK-Netz.                                und jene von kleinen Einrichtungen des So-        Mitsamt der Empfehlung, zur Kasse C zu zü-
                                                     zialbereichs, die bei einer Sammelstiftung        geln, die angeblich die besten Bedingungen
                                                     andocken.                                         biete. Es ist aber gut möglich, dass er sich von
Es gibt viele Bereiche, in denen                     Die Parameter sind allerdings auch für eine       seinem eigenen Wohlergehen hat leiten las-
Vermittlungsdienste notwendig sind                   Publica oder eine Pensionskasse der Stadt         sen: Womöglich zahlt C ihm die höchste Pro-
oder zumindest nachgefragt werden,                   Zürich – lange als Vorzeigekassen gehandelt       vision oder gar eine fortlaufende Courtage.
vom Arbeits- bis zum Liebesmarkt                     – schwieriger geworden. Auch hier gibt es         Da erhält er dann jährlich Ausschüttungen,
(Stichwort: «Parship»). Braucht es Broker            fürs gleiche Geld weniger Rente als früher.       solange der Versichertenbestand besteht. Die
auch in der beruflichen Vorsorge?                    Das trifft zu. Der Druck auf die Parameter        Broker-Kosten werden am Ende via Verwal-
Aufgrund der heutigen Komplexität des                ist in allen Vorsorgemodellen massiv. Man         tungskosten von den Versicherten berappt.
ganzen Vorsorgeangebots mit seinen unter-            kann daher auch nicht pauschal sagen,             Die Versicherten müssen für eine
schiedlichen Modellen haben wir immer ge-            dass Anschlüsse bei Sammeleinrichtungen           einmalige, punktuelle Dienstleistung
sagt: Wir haben per se nichts gegen Beratung.        grundsätzlich schlecht seien. Es wird aber        wiederkehrend Geld bezahlen?
Was wir kritisieren, ist das Entschädigungs-         in Kassen, die tatsächlich von Arbeitgebern       Das ist doch wohl die Höhe!
modell, das sich hier etabliert hat, bei dem         und Arbeitnehmenden gemeinsam verwaltet           Die Broker rechtfertigen sich mit angebli-
erfolgsabhängige Prämien oder sogar fort-            werden, viel Arbeit im Hintergrund geleistet,     chen Beratungsdienstleistungen. Wir mei-
laufende Courtagen fliessen. Zweites Prob-           um Einbussen zu verhindern oder wenigs-           nen: Wenn es diese gibt, sollen sie aufwand-
lem: Es sind heute meist die Pensionskassen,         tens sozialverträglich abzufedern. Dagegen        basiert entschädigt werden. Aber doch nicht
welche diese Broker bezahlen. Und nicht wie          sind – um ein besonders prekäres Beispiel         auf unabsehbare Zeit! Und nicht aus dem
gesetzlich vorgesehen die Arbeitgebenden.            zu nennen – die 24-Stunden-Betreuerinnen          Vorsorgevermögen, das den Versicherten ge-

8 Juni 2021
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
Berufliche Vorsorge       |   VPOD

hört! Diese bezahlen damit       VPOD-Frauenpower in der zwei-       nis der Arbeitnehmenden              zögern lässt. Ein Wechsel muss also auf jeden
für eine Dienstleistung, die     ten Säule: Die Kassenkommissi-      braucht. Das Bundesgericht           Fall wohlüberlegt sein. Und dafür, alle paar
so nirgends vorgesehen ist       on der Publica wird jünger und      verdeutlicht, dass damit ei-         Jahre die Kasse zu wechseln, sehe ich über-
und zu der sie auch keinen       weiblicher. Die Neuwahl in das      ne «aktive Rolle» der Ver-           haupt keinen Grund. Ausser eben den, dass
Auftrag gegeben haben.           paritätisch zusammengesetzte        sicherten gemeint ist. Das           die Broker damit Geld machen.
Artikel 11 des BVG ist da        16-köpfige Gremium schafften so-    Personal soll also beispiels-        Der Bundesrat möchte eine Regelung. Der
glasklar: Er definiert die       wohl die stellvertretende VPOD-     weise die vom Arbeitgeber            Pensionskassenverband ebenso. Jetzt hat
Gründung einer bzw. den          Generalsekretärin Natascha Wey      eingeholten Offerten prüfen          sich die zuständige Ständeratskommission
Anschluss an eine Vorsor-        als auch Eliane Albisser, frühere   und einen «informierten              des Themas angenommen, spricht sich aber
geeinrichtung als Aufgabe        VPOD-Rechtsberaterin in Basel       Entscheid» fällen können,            gegen eine Korrektur des Missstandes aus.
der Arbeitgebenden.              und heutige Geschäftsleiterin       möglicherweise ebenfalls             Der Entscheid der ständerätlichen Kommis-
Das ist die                      des gewerkschaftlichen PK-Net-      mit Hilfe einer Fachperson.          sion für soziale Sicherheit und Gesundheit
Gewerkschaftssicht.              zes. Die beiden VPOD-Männer         Das ändert aber nichts dar-          SGK-S empört mich sehr. Es ist ein Trauer-
Keineswegs nur. Es gibt          Cipriano Alvarez und Jorge Serra    an, dass die Verantwortung           spiel! Eine deutliche Mehrheit der Kommis-
zwei wasserdichte Gut-           wurden wiedergewählt. Die Kas-      mitsamt dem finanziellen             sion folgt blindlings – und entgegen den Ge-
achten. Laurence Uttinger        senkommission ist das oberste       Aufwand für die Beratung             werkschaften, dem Pensionskassenverband
spricht von zweckwidriger        Organ der Publica; sie ernennt      beim Arbeitgeber angesie-            und dem Bundesrat – der Argumentation des
Verwendung von Vorsorge-         die Direktion und entscheidet       delt ist.                            Brokerverbandes SIBA. Demnach drohe eine
kapitalien, Roger Baumann        über die Anlage- und die Vorsor-    Du hast am Anfang                    Benachteiligung der KMU, wenn man die
problematisiert vor allem        gepolitik der grössten Pensions-    des Gesprächs die                    Frage reguliere. Über die massiven Fehlan-
den Fehlanreiz, wonach           kasse der Schweiz (rund 66 000      Beschleunigung des                   reize dieses Modells wird einfach hinwegge-
Maklerinnen die Versicher-       Versicherte, rund 42 000 Rentne-    Vorsorgemarkts kritisiert,           sehen, über die Interessen der Versicherten
tenbestände nicht zu den         rinnen und Rentner). | vpod         von der lediglich die                auch. Die Kommission will den vom Bundes-
besten, sondern zu den für                                           Broker profitieren. Ist              rat vorgeschlagenen Passus wieder streichen.
sie selbst einträglichsten Offerten lotsen.        der Wechsel der Vorsorgeeinrichtung                    Und sie hat die Empfehlung sogar mit deutli-
Beim Wechsel der Pensionskasse haben               denn grundsätzlich etwas Schlechtes?                   cher Mehrheit beschlossen!
ja auch die Arbeitnehmerinnen und                  Natürlich nicht. Aber die Materie ist komplex,         Wie geht es weiter?
Arbeitnehmer ein Wörtchen mitzureden;              und man muss sich schon überlegen, wer                 Wir hoffen, dass das Plenum des Ständerats
das hat das Bundesgericht klargestellt.            wovon profitiert und wer bei einem Wechsel             etwas näher bei den realen Problemen der
Jetzt soll trotzdem der Arbeitgeber                verliert. Welche Beiträge, welche Risikoprä-           Arbeitnehmenden in diesem Land ist und
allein die nötige Vermittlung bezahlen?            mien fallen neu an? Welche Leistungen sind             etwas mehr Distanz zum Profitinteresse ei-
Ist das nicht ein Widerspruch?                     vorgesehen? Was geschieht mit den Rentne-              ner einzelnen Branche wahrt. Auch im Na-
Nein. Du sprichst das Bundesgerichtsurteil rinnen und Rentnern? Auch die Kassen sind                      tionalrat stehen die Vorzeichen hoffentlich
vom Mai 2020 an, das aber eigentlich ledig- ja wählerisch und möchten lieber junge und                    besser. Denn diesem unfairen System muss
lich eine Präzisierung dessen ist, was im Ge- gesunde «Bestände». Wechselt man in eine                    jetzt endlich der Riegel geschoben werden;
setz steht. Dort heisst es, dass es für einen bessere Kasse, muss der Arbeitgeber womög-                  der heutige Zustand ist für die Versicherten
Wechsel der Pensionskasse das Einverständ- lich hohe Einkaufssummen leisten, was ihn                      einfach nicht mehr tragbar.

Sinkflug? Höhe gewinnen!
Die vom Bundesamt für Statistik neulich vorge-       geverfahren geplante Rentenzuschlag wäre vor
legte Neurentenstatistik für 2019 zeigt: Die Ren-    allem den Arbeitnehmenden im Tieflohnsektor
ten aus der zweiten Säule sinken und sinken.         hochwillkommen.
Und es besteht weiterhin ein immenser Gender         Das PK-Netz weist seit Jahren auf die Dringlich-
Gap: Die neue Altersrente aus der beruflichen        keit einer Reform in der beruflichen Vorsorge
Vorsorge lag 2019 im Median bei den Frauen bei       hin: «Wir brauchen keine Belege mehr; die Re-
1160 Franken pro Monat, die Männer erhielten im      form muss jetzt vorangetrieben und darf nicht
Mittel 2144 Franken. Also fast das Doppelte.         mehr auf die lange Bank geschoben werden.»
Aus Sicht des PK-Netzes wird die Reformvorlage       | pk-n/vpod (Foto: matspersson0/iStock)
«BVG 21», die auf dem sogenannten Sozialpart-
nerkompromiss fusst, in beiden Punkten helfen:
Eine Halbierung des Koordinationsabzugs ver-
bessert die Situation vieler Teilzeitbeschäftigter           Für Geringverdienende und Teilzeitlerinnen
– darunter sind viele Frauen. Und der im Umla-                            bringt «BVG 21» Fortschritte.

                                                                                                                                            Juni 2021 9
Gefahrenzone Kita - Die Gewerkschaft - VPOD
VPOD      | Aus   den Regionen und Sektionen

                                                                         Hier spielt die Musik: BVB-Tram.

                                                                         Hier wird geschlossen: Spital Heiden.

                                                                         nostizierte das Seco eine Teuerung von 0,4 Prozent; Tendenz steigend.
                                                                         Der VPOD und die weiteren Personalverbände haben angesichts der
                                                                         Corona-Situation auf Lohnforderungen für 2021 verzichtet; sie verlan-
                                                                         gen aber, dass die Teuerung 2022 wieder ausgeglichen wird. Bundesrat
                                                                         Ueli Maurer stellt diesen Ausgleich in Frage und widerspricht damit
                                                                         eigenen Zusicherungen, wonach die Anpassung selbstverständlich sei.
                                                                         Die negative Teuerung des Vorjahrs einzurechnen, war bis dato nicht
                                                                         Brauch; die Verbände würden sich dagegen wehren. Sie hoffen aber,
                                                                         auf Gesinnungswandel durch den Gesamtbundesrat. Die abschliessen-
                                                                         den Lohnverhandlungen sind für November geplant. | vpod

                                                                         Heiden: Abrupte Spitalschliessung
                                                                         Der VPOD Ostschweiz ist in grosser Sorge: Mit der Schliessung des
                                                                         Spitals Heiden geschieht ein weiterer Abbau im Service public. Zumal
                                                                         der Wegfall des Spitals als Ausbildungsstätte gibt dem VPOD zu den-
                                                                         ken, gerade angesichts des schweizweiten Mangels an Fachpersonal.
                                                                         Die Politik müsse aufzeigen, wie sie die Lücke zu schliessen gedenke.
                                                                         Der VPOD geht davon aus, dass Angestellte problemlos eine neue
                                                                         Stelle finden, wenn sie mobil sind. Wenn sich jemand aber mit Fa-
Im Drämmli erklingt Musik                                                milie in der Region niedergelassen hat und der Partner, die Partnerin
Seit 1. Juni ist das Musikhören im Führerstand der BVB-Fahrzeuge         dort ebenfalls berufstätig, der Nachwuchs schulpflichtig ist, wird es
zulässig – einstweilen im Rahmen eines einjährigen Versuchsbe-           schwierig. Der VPOD wird nicht locker lassen, bis für alle eine zufrie-
triebs. Damit geht ein alter, von einer Petition mit 600 Unterschrif-    denstellende Lösung gefunden ist. | vpod (Foto: Keystone)
ten untermalter Wunsch des Verkehrspersonals in Erfüllung. Im Mai
2022 soll entschieden werden, ob der Pilotbetrieb in eine definitive     Warnstreik am Waadtländer Unispital
Regelung umgewandelt wird. Eine Analyse der FHNW ergab, dass             Das Personal des Waadtländer Universitätsspitals CHUV hat für den
mit Musik im Führerstand kein erhöhtes Sicherheitsrisiko einhergeht.     23. Juni einen eintägigen Streik beschlossen. Gründe dafür sind der
Trotzdem haben sich BVB und VPOD für die Phase I auf gewisse             anhaltende Personalmangel sowie eine restriktive Verteilung der
Rahmenbedingungen geeinigt. Mit Mobilen à la Streetparade ist also       Corona-Prämie. Schon vor der zweiten Welle hatte das Personal sei-
einstweilen nicht zu rechnen. | slt (Foto: Occitandu34/Wikimedia CC)     ne Forderungen auf den Tisch gelegt. Trotz Verhandlungsversuchen
                                                                         und Protesten der Gewerkschaften hat sich kaum etwas bewegt. Die
Schaffhausen: Notruf vom Notfall                                         Corona-Prämie von 900 Franken wird nur ans «Personal der zweiten
Die Personalsituation im Notfalldienst der Schaffhauser Spitäler ist     Welle» ausbezahlt, und auch dies nach undurchsichtigen Kriterien.
sehr angespannt. Der «Notruf» kommt aber nur scheinbar aus heite-        Bemühungen um eine Personalaufstockung sind nicht erkennbar. Der
rem Himmel, betont der VPOD; vielmehr habe sich die Entwicklung          Streikbeschluss wurde im Mai mit sehr grosser Mehrheit an einer aus-
abgezeichnet, und zwar schon vor Corona. «Die hohe Aussteigerin-         serordentlichen Generalversammlung des Personals getroffen. | vpod
nenrate deutet darauf hin, dass die Attraktivität des Berufes gelitten
hat», erläutert der VPOD. Nicht nur die Gewinnung neuer Fachkräf-        Freiburg: Keine kleineren Klassen
te, sondern auch das Halten vorhandenen Personals werden immer           Mit fast 3000 Unterschriften hatte der VPOD seine Forderungen
schwieriger. Das Communiqué ist auch ein Aufruf an die Politik, bei      nach kleineren Klassen in der Mittelschule untermauert. Heute gilt
den von ihr steuerbaren Komponenten – namentlich der Lohnent-            ein Maximum von 27 Schülerinnen und Schülern und ein angestreb-
wicklung – zu handeln. Und zwar jetzt! | vpod                            ter Durchschnittsbestand von 22. Der VPOD will die Kennzahlen auf
                                                                         24 (maximal) und 21 (Durchschnitt) senken. Dafür hat der Freiburger
Maurer sitzt auf der Bundeskasse                                         Staatsrat aber kein Gehör. Der VPOD hält daran fest, dass eine Ver-
Im Bundesbudget ist bisher kein Betrag für Lohnmassnahmen einge-         kleinerung der Klassen auf allen Schulstufen die Chancengerechtig-
stellt, obwohl die Teuerung jetzt anzieht. Bereits im März 2021 prog-    keit stärken und die Bedingungen für alle verbessern würde. | vpod

10 Juni 2021
Dossier: Gefahrenzone Kita

Umfrage verweist auf strukturelle Probleme der Branche

Krankes System, krankes Personal
Die Ergebnisse der VPOD-Umfrage zur Gesundheit des Personals in der vorschulischen Kinderbetreuung
(folgende Seiten) sind unschön, aber nicht überraschend. Die Probleme sind struktureller Natur:
Die Branche ist chronisch unterfinanziert. | Text: Natascha Wey, stv. VPOD-Generalsekretärin (Foto: Eric Roset)

                                                                                Der VPOD will        des Personals. Zudem hat die Ausdifferenzie-
                                                                                nicht einfach mehr   rung der Kita-Branche mangels Finanzierung
                                                                                Geld, sondern Geld
                                                                                                     eben nicht dazu geführt, dass Kitas öffentlich
                                                                                für das Richtige.
                                                                                                     sind, sondern es ist ein Markt mit privaten
                                                                                                     Anbietern entstanden, die oft gewinnorien-
                                                                                                     tiert arbeiten und um Kinder buhlen.
                                                                                                     Der Kinderbetreuungsreport der Stadt Zürich
                                                                                                     für das Jahr 2020 zeigt, dass 82,8 Prozent der
                                                                                                     Kitas in der Stadt Zürich privat sind. Der An-
                                                                                                     teil ist in anderen Städten und Regionen wohl
                                                                                                     noch höher; immerhin betreibt die Stadt Zü-
                                                                                                     rich noch eigene Kitas. Es bleibt aber schwie-
                                                                                                     rig zu kontrollieren, wie viel (subventionier-
                                                                                                     tes) Geld jeweils in die Marketingaktivitäten,
                                                                                                     in die Administration und in den Gewinn ei-
                                                                                                     ner Kita fliessen – und wie viel in Betreuung
                                                                                                     und Personal.

Seit Jahren fordert der VPOD eine bessere Fi-      stalten. Das ist – bei kluger Umsetzung – im-     Arbeitsbedingungen regulieren!
nanzierung der vorschulischen Kinderbetreu-        merhin die richtige Stossrichtung.                Die Losung «Mehr Geld für Kitas» führt da-
ung. In der Theorie wäre es einfach: Vorschu-      Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten            her nicht zwingend zu einer besseren Betreu-
lische Kinderbetreuung ist Service public; es      mit der Anstossfinanzierung schweizweit           ungsqualität. Diese lässt sich nur erreichen,
gibt keinen Grund, Kitas anders einzustufen        rund 60 000 Betreuungsplätze geschaffen           wenn das dafür gesprochene Geld auch wirk-
oder zu finanzieren als die Schule. In einer       wurden, muss jetzt aber die Qualität im Fo-       lich beim Personal ankommt. Kontrollieren
idealen Welt wären Kitas Teil der Bildung,         kus stehen. Ziel der Kommission war es ei-        liesse sich dies mit einer GAV-Pflicht dort,
vollständig finanziert durch die Kantone und       nerseits, eine Verringerung der Elternbeiträ-     wo private Träger mitmischen, oder mit voll-
Gemeinden. In einer idealen Welt wären die         ge zu erreichen (Eltern in der Schweiz tragen     ständig öffentlichen Arbeitsbedingungen. Ein
Betreuungsangebote gut und die Kita-Plätze         heute bereits zwei Drittel der Vollkosten in      besserer Betreuungsschlüssel und ein besse-
für Eltern gratis. Dass Kitas Teil der Bildungs-   der vorschulischen Kinderbetreuung). Eine         res Betreuungsverhältnis pro Kind tun not. Es
landschaft werden, hat VPOD-Präsidentin            Reduktion dieser Beiträge ist gleichstellungs-    braucht mehr und besser ausgebildetes Per-
Katharina Prelicz-Huber unlängst in einer          politisch richtig, da sie die Erwerbstätigkeit    sonal, dem man folglich auch höhere Löhne
Parlamentarischen Initiative gefordert.            der Frauen fördert. Sie trägt zur Verbesse-       zahlen muss und das die Perspektive einer
                                                   rung der Betreuungsqualität jedoch nichts         Lohnentwicklung besitzen muss.
Handlungsbedarf erkannt                            bei. Beide Kommissionen hielten aber fest,        Die Arbeit in einer Kita ist anspruchsvoll. Ein
Der Vorstoss wurde von der nationalrätlichen       auch für die Verbesserung der frühkindlichen      pädagogischer Mehrwert tritt nur dann ein,
Kommission für Bildung, Wissenschaft und           Bildung Geld in die Hand nehmen zu wollen.        wenn das Personal pädagogisch ausgebildet
Kultur (WBK-N) jedoch abgeschmettert. Ei-                                                            ist und für seine Arbeit genügend Vor- und
ne Umkehrung dieses Entscheids durch das           Qualität gibt’s nicht umsonst                     Nachbereitungszeit hat. Ausserdem braucht
Nationalratsplenum käme einem Wunder               Wieso aber hängt die Betreuungsqualität           es eine gewisse Konstanz beim Personal. In
gleich. Und doch: Auch die WBK der beiden          so stark mit den Arbeitsbedingungen zu-           einer idealen Welt gehören auch insbesondere
Räte scheinen mittlerweile den Handlungs-          sammen? Die Rechnung ist einfach: 70 bis          die unsäglichen Vorpraktika verboten. In der
bedarf erkannt zu haben. Sie verabschiede-         85 Prozent der Kosten, die in einer Kita anfal-   aktuellen Situation würde es schon helfen,
ten im Januar bzw. März dieses Jahres eine         len, sind Personalkosten. Diese sind ohnehin      wenn Praktikantinnen und Auszubildende
Parlamentarische Initiative, die vorsieht, die     knapp bemessen mit den allerorts schlechten       zumindest nicht in die Betreuungsschlüssel
An­stossfinanzierung für Kinderbetreuungs-         kantonalen Vorgaben zu Betreuungsschlüs-          einflössen. Es wäre am Bund, den Kantonen
plätze in eine zeitgemässe Lösung umzuge-          seln und Anforderungen an die Ausbildung          dazu verbindliche Vorgaben zu machen.

                                                                                                                                       Juni 2021 11
Dossier: Gefahrenzone Kita

Die Ergebnisse der grossen VPOD-Umfrage «Gesundes Kita-Personal, gesunde Kinder!» liegen vor

Lasten, Lärm und Reizbarkeit
714 Kita-Mitarbeitende haben bei der ausführlichen Gesundheitsbefragung durch den VPOD mitgemacht.
Die Resultate sprechen eine deutliche Sprache: Der Beruf ist schön und sinnstiftend, aber unter den gegebenen
Umständen nicht auf längere Zeit ausübbar. | Text: Julia Maisenbacher, VPOD Zürich

Im April 2021 hat der VPOD Mitarbeitende         muss gemäss dem gesetzlich vorgeschriebe-       zurechtkommen. Pädagogische Teamarbeit
von Deutschschweizer Kitas zu ihrer Gesund-      nen Betreuungsschlüssel in einer Mehrheit       verlangt zudem eine Vielfalt an sozialen Fä-
heit befragt. Ziel: mehr gesichertes Wissen      der Deutschschweizer Kantone lediglich die      higkeiten: Sie erfordert Kooperations- und
über die gesundheitliche Belastung des Per-      Hälfte des Personals ausgebildet sein. In Be-   Kommunikationskompetenz sowie ein hohes
sonals, über die Hauptursachen von Über-         zug auf den Ausbildungsstand widerspiegelt      Mass an Empathie. Kaum verwunderlich also,
lastung und über mögliche Massnahmen zur         unsere Umfrage also nicht die tatsächliche      dass eine grosse Anzahl der Umfrageteilneh-
Verbesserung der Situation. An der Umfrage       Situation der Branche. Die Mehrheit der Um-     menden den Beruf als «schön» und «wich-
«Gesundes Kita-Personal, gesunde Kinder!»        frageteilnehmenden besitzt eine einschlägige    tig» empfindet. Die starke Identifikation mit
haben 714 Kita-Mitarbeitende teilgenommen.       Ausbildung: zwei Drittel sind Fachfrau/Fach-    der sinnstiftenden Aufgabe Kinderbetreuung
Die Ergebnisse zeigen: Das Kita-Personal         mann Betreuung, und lediglich 13 Prozent        führt bei vielen Teilnehmerinnen jedoch zu-
identifiziert sich stark mit seinem Beruf, ist   stehen noch in der Ausbildung.                  gleich zu einer inneren Zerrissenheit, denn
aber gesundheitlich massiv belastet.                                                             die Rahmenbedingungen, unter denen der
Das Betreuungspersonal wünscht sich mehr         Vielfalt und Fitness                            Beruf derzeit ausgeübt wird, sind offenbar
Massnahmen zum Schutz der Gesundheit.            Kinderbetreuung in Kindertagesstätten ist       sehr belastend.
Obwohl die physische und die psychische Be-      eine vielfältige, abwechslungsreiche und her-   «Es muss sich dringend etwas ändern! Ich
lastung des Kita-Personals hoch sind, fehlen     ausfordernde Tätigkeit. Das Kita-Personal be-   bin seit Jahren hin- und hergerissen zwischen
im Gegensatz zu anderen Branchen oft kan-        nötigt körperliche Fitness, die für das Heben   Freude am Beruf und Verzweiflung – wobei
tonale Vorgaben zur Prävention und zum Ge-       und Tragen von Kindern und Mobiliar sowie       zweiteres überwiegt. Ich überlege mir fast
sundheitsschutz. Darüber hinaus gibt es bis      für das Durchhalten von langen und bewe-        wöchentlich zu kündigen und lasse es dann
auf wenige Ausnahmen bislang kaum Stu-           gungsreichen Arbeitstagen nötig ist. Darüber    wegen den Kindern und dem Team sein. Bin
dien und Analysen, welche die gesundheit-        hinaus erfordert das Spielen und das Gestal-    aber eigentlich unglücklich – das darf doch
liche Belastung des Kita-Personals genauer       ten des Betreuungsangebots feinmotorisches      nicht sein!» So lautet eine der Aussagen, die
beleuchten (siehe folgende Seiten).              Geschick und ein hohes Mass an Kreativität.     im freien Kommentarfeld der Umfrage ge-
                                                 Betreuerinnen müssen geschickte Problemlö-      macht wurden. Die Zahlen bestätigen das: Ei-
Profil: Jung und weiblich                        serinnen sein. Und sie müssen eine emotio-      ne deutliche Mehrheit der Befragten gibt an,
Die persönlichen Merkmale der Umfrageteil-       nale Stabilität aufweisen, die für den Umgang   bei der Arbeit gestresst zu sein !. Knapp 80
nehmerinnen und (wenigen) Umfrageteil-           mit den Kindern und jenen mit den Eltern        Prozent finden die Aussage «Ich fühle mich
nehmer spiegeln weitgehend die Gegebenhei-       gleichermassen notwendig ist.                   bei der Arbeit gestresst» zutreffend oder eher
ten in der Branche. 94 Prozent der Befragten     Kinder entwickeln sich schnell. Ihre Betreu-    zutreffend. Häufige krankheitsbedingte Abwe-
sind weiblich. Und: Das Kita-Personal in der     ungspersonen müssen sich rasch an ständig       senheit @ scheint in vielen Kitas zum Alltag
Deutschschweiz ist vergleichsweise jung. In      ändernde Rahmenbedingungen anpassen             zu gehören. Über die Hälfte der Befragten in
unserer Umfrage ist fast die Hälfte zwischen     und mit wechselnden Gruppendynamiken            Führungsposition (62 Prozent) gibt an, dass
20 und 30 Jahre alt, lediglich 17 Prozent sind
über 40. Repräsentativ für die Branche ist
                                                  Ich fühle mich bei der Arbeit gestresst                                                 !
auch der geringe Anteil an tertiär ausgebilde-
tem Betreuungspersonal: Nur 17 Prozent der                 Trifft eher zu
Umfrageteilnehmenden haben eine tertiäre
Ausbildung.                                                     Trifft zu
Aufgrund fehlender Aufstiegschancen und
mangelnder Lohnanreize sind tertiäre Aus-
                                                     Trifft eher nicht zu
bildungen bisher offenkundig (zu) wenig at-
traktiv für das Betreuungspersonal in Kitas.
                                                          Trifft nicht zu
Der Einsatz von unausgebildetem Personal
ist immer noch weit verbreitet. Laut einer ak-
tuellen SODK-Studie zur Situation der fami-              Keine Antwort
                                                                            0%   5%    10%       15%    20%      25%     30%      35%     40%
lienergänzenden Betreuung in den Kantonen

12 Juni 2021
Dossier: Gefahrenzone Kita

 Wie lange bist du in den letzten drei                 Erwägst du aufgrund der belastenden                Bist du im Zusammenhang mit deiner
 ­Monaten krankheitsbedingt ausgefallen?               gesundheitlichen Situation den Beruf zu            Arbeit in ärztlicher oder therapeutischer
                                                       wechseln?                                          Behandlung?

    Unter 3 Tagen            4 bis 10 Tage
    10 bis 20 Tage           Mehr als 20 Tage             Ja                      Nein                       Ja                     Nein
    Keine Antwort                                 @       Keine Antwort                           #          Keine Antwort                          $

Mitarbeitende während der letzten 6 Monate            beugen und die Gesundheit des Personals zu         den Anforderungen des Arbeitgebers verein-
krankheitsbedingt ausgefallen sind.                   schützen. Das deutet daraufhin, dass die Rah-      baren zu können.
Die häufigsten Beschwerden der Mitarbei-              menbedingungen als so belastend eingestuft         Im Kita-Alltag entstehen beim Spielen und
tenden sind Reizbarkeit (69 Prozent), Kopf-           werden, dass ein 100-Prozent-Pensum nicht          Essen, bei der Pflege und beim Schlafen der
schmerzen (64 Prozent) und emotionale                 realistisch erscheint.                             Kinder zudem körperliche Belastungsschwer-
Erschöpfung (63 Prozent). Zwei Drittel der                                                               punkte. Häufig arbeiten die Betreuerinnen in
Befragten haben während der letzten 4 Wo-             Woher kommt die Belastung?                         gebückter Haltung oder kniend auf niedriger
chen an Arbeitstagen oder während der Arbeit          Die Umfrageergebnisse geben auch darüber           (Kinder-)Augenhöhe. Dazu kommen Dreh-
mehrmals an diesen Symptomen gelitten.                Auskunft, welche Ursachen aus Sicht der Be-        bewegungen, zum Beispiel beim Schuhean-
Knapp die Hälfte der Teilnehmenden klagt              fragten für die hohe gesundheitliche Belas-        ziehen. Nicht zuletzt ist die hohe Lautstärke
über wiederkehrende Schlafstörungen (48 Pro-          tung verantwortlich sind. 58 Prozent stimm-        ein nicht unerheblicher Belastungsfaktor. Ge-
zent), Nervosität (52 Prozent) und Schmerzen          ten der Aussage teilweise oder vollständig         mäss einer Studie des arbeitswissenschaftli-
im Schulterbereich (54 Prozent). Die Umfra-           zu, in ihrer Kita herrsche Personalmangel %.       chen Instituts der Gesamthochschule Kassel
ge zeigt deutlich, dass Kinderbetreuung unter         Auch die generelle Unterfinanzierung der Ki-       herrscht in manchen Kitas durch mangelnde
den gegebenen Rahmenbedingungen nicht zu              tas wird als zentraler Stressfaktor benannt. Ei-   lärmdämmende bauliche Massnahmen und
den Beschäftigungen gehört, die man länger-           ne Teilnehmerin empfindet den Kostendruck          durch die Grösse der Kindergruppen eine
fristig zufrieden ausüben kann. Nicht weniger         in den Kitas als «riesig» und beklagt, dass er     Lärmbelastung, die in anderen Berufen zum
als 40 Prozent der Befragten erwägen, wegen           «auf das Personal abgewälzt wird». Auch ho-        Tragen eines Gehörschutzes verpflichten
der gesundheitlichen Belastung den Beruf zu           he Flexibilitätsanforderungen, die wiederum        würde. So ist es nicht verwunderlich, dass
wechseln #. Beunruhigend ist auch, dass sich          durch Personalmangel und eine grosse Per-          weit über die Hälfte der Teilnehmerinnen
ein Viertel aller Befragten im Zusammenhang           sonalfluktuation begünstigt werden, scheinen       und Teilnehmer unserer Umfrage (60 Pro-
mit ihrer Arbeit in ärztlicher oder therapeuti-       bezüglich der gesundheitlichen Belastung           zent) das Lärmniveau als teilweise oder voll-
scher Behandlung $ befindet. Die hohe ge-             des Personals eine zentrale Rolle zu spielen.      ständig zu hoch erachtet.
sundheitliche Belastung spiegelt sich weiter          64 Prozent finden, dass der Arbeitgeber viel       Die hohe gesundheitliche Belastung hat
darin, dass viele der befragten Führungskräfte        Flexibilität von ihnen verlangt, und nur 32        Auswirkungen auf den Betreuungsalltag des
Teilzeitangebote für das Personal als geeignete       Prozent geben an, genug flexibel zu sein, um       Personals und der Kinder. Insgesamt 60 Pro-
Massnahme ansehen, der Erschöpfung vorzu-             eigene Bedürfnisse und Verpflichtungen mit         zent sagen, dass sie innerhalb der letzten 2
                                                                                                         Wochen gegenüber den Kindern einmal oder
                                                                                                         mehrmals ungewollt laut und unfreundlich
 In meiner Kita herrscht Personalmangel                                                          %
                                                                                                         geworden seien. Die hohe Belastung be-
                Stimme zu                                                                                günstigt die Reizbarkeit und beeinträchtigt
                                                                                                         die Konzentration des Personals. Insgesamt
       Stimme teilweise zu                                                                               53 Prozent der Teilnehmenden geben an,
                                                                                                         während der letzten 2 Wochen einmal oder
                                                                                                         mehrmals vergesslich und unaufmerksam
          Stimme nicht zu
                                                                                                         gewesen zu sein ^.
                                                                                                         Was bräuchte es, damit die Betreuung von
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                                                                                                         Kindern in Kitas als Beruf langfristig bei gu-
                             0               50          100           150          200           250
                                                                                                         ter Gesundheit und Zufriedenheit ausgeübt

                                                                                                                                           Juni 2021 13
Dossier: Gefahrenzone Kita

  Verhaltensweisen, die in Folge von Überlastung in den letzten zwei Wochen mehrmals aufgetreten sind                                               ^
                                                                        Ich bin leicht reizbar

                                                        Ich bin vergesslich und unaufmerksam

                             Ich werde ungewollt laut und unfreundlich gegenüber den Kindern

  Ich zögere das Hochnehmen von schweren Gegenständen hinaus, um meinen Rücken zu schonen

                            Ich werde ungewollt laut und unfreundlich gegenüber Kolleg*innen

               Ich zögere das Wickeln von Kindern hinaus, um sie nicht hochnehmen zu müssen

               Ich vermeide es, mit den Kindern hinauszugehen, um weniger laufen zu müssen
                                                                                                 0%   5%      10%    15%     20%    25%     30%    35%

werden kann? Unsere Umfrage zeigt, dass              dass es in ihren Kitas auch keine Vorkeh-             Rabatt fürs Fitnessabo?
der Wunsch nach präventiven Massnahmen               rungen gibt, um Erschöpfung vorzubeugen.              Einzelne Betriebe bieten auch regelmässige
im Gesundheitsschutz gross ist. Es besteht           Die wenigen Einrichtungen, die bislang im             Mitarbeitergespräche mit Fragen zum The-
dringender Handlungsbedarf: In den Kitas             Bereich Gesundheitsschutz aktiv sind, setzen          ma Gesundheit an, verfügen über Pools von
von 60 Prozent der Umfrageteilnehmerin-              auf gesundes Essen, frisches Obst, Rücken-            Springerinnen oder gewähren zusätzliche
nen gibt es bislang keinerlei Massnahmen             schulungen, Anweisungen zum Heben von                 Pausen. Auch lärmdämmende Massnahmen,
zur Gesundheitsförderung. Rund 70 Prozent            schweren Gegenstände. Oder sie erlauben               Supervision und Sportabonnements oder Ra-
der befragten Führungspersonen geben an,             das Wickeln am Boden.                                 batt für Fitnessstudios gibt es in manchen

Interview mit Olivia Blöchliger, die als Psychologin die Situation in Kitas untersucht und auch über die internationale Forschung Bescheid weiss

«Kinder gehen uns alle an»
Die Psychologin Olivia Blöchliger hat selbst zur Situation in Kitas publiziert und kennt auch den Stand der
internationalen Forschung. Passen die Ergebnisse der VPOD-Untersuchung ins Gesamtbild?
| Interview: Julia Maisenbacher (Foto: Eric Roset)

VPOD-Magazin: Haben die Ergebnisse                   Personal mit Berufserfahrung gefühlvoller             Die Grundlage jeder guten Betreuung ist die
unserer Umfrage Sie überrascht?                      mit den Kindern umgeht und einfacher Kin-             Beziehung. Wenn jemand geht, bricht die Be-
Olivia Blöchliger: Nein, gar nicht. Sie ähneln       dergruppen leiten kann. Wir haben ja in den           ziehung natürlich ab, und die Kinder müssen
den Ergebnissen meiner eigenen Studie                Kitas in Zürich einen Anteil von weniger als          eine neue Beziehung aufbauen mit neuen Be-
und vielen anderen Untersuchungen, die               50 Prozent an ausgebildetem Personal. Und             zugspersonen. Es sind ja meist kleine Teams;
es bislang im internationalen Kontext gibt.          das hat Konsequenzen. Ein Problem ist auch,           und wenn jemand geht, hat das negative Fol-
Häufiges Resultat ist eine hohe psychische           dass teilweise zu viel Verantwortung an (noch)        gen fürs ganze pädagogische Geschehen und
Belastung des Betreuungspersonals in Kitas.          nicht ausgebildetes Personal übertragen wird.         natürlich für die Kinder. Kontinuität und Sta-
Gereiztheit und Erschöpfung sind typische            Auch in meiner Untersuchung hat sich ge-              bilität der Beziehung sind für Kinder zentral,
Burnout-Symptome. Ein weiteres Ergebnis              zeigt, dass mehr Personal bzw. mehr ausge-            damit sie Lernerfahrungen machen können.
meiner Studie war, dass mangelnde Lohn-              bildetes Personal mit geringerem und selte-           60 Prozent der Befragten empfinden
zufriedenheit im Zusammenhang mit mehr               nerem Auftreten von Burnout-Symptomen                 Lärm als stärkste Belastung im
Burnout-Symptomen steht. Betreuung in der            im Zusammenhang steht. Ein weiterer Belas-            Betreuungsalltag. Müsste diese Zahl
Kita ist ein anspruchsvoller Job mit einer sehr      tungsfaktor für das Betreuungspersonal ist das        nicht sogar noch höher sein?
grossen Verantwortung.                               Gefühl, den Kindern nicht gerecht werden zu           Viele Studien zur gesundheitlichen Belastung
Welche Rolle spielt die Ausbildung                   können, wovon zahlreiche Betreuungsperso-             im Kita-Bereich stammen aus Deutschland.
der Betreuungspersonen für die                       nen in meinen Studien berichtet haben.                Die meisten Untersuchungen, die dort zu
Qualität der Betreuung?                              Welche Auswirkungen hat die                           dem Thema entstanden sind, verweisen auf
Eine in Fachkreisen bekannte Studie von Mar-         hohe Personalfluktuation auf                          physische Belastungsfaktoren wie beispiels-
cy Whitebook zeigt, dass besser ausgebildetes        die Betreuungsqualität?                               weise eine hohe Belastung des Rückens durch

14 Juni 2021
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