Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
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D I E Z E I T S C H R I F T D E S K I N D E R S C H U T Z B U N D E S 3 . Q UA R TA L 2 0 2 1 / H 8 7 6 3 F KINDERSCHUTZ A K T U E L L 3.21 Essen zwischen Lust und Frust: Schmeckt´s? Essen macht Spaß. Und trotzdem ist die Ernährung von Kindern kein leichtes Sommerthema – zumindest nicht aus der Perspektive des Kinderschutzes.
Essen zwischen Lust und Frust: Schmeckt’s? Als leichtes Sommerheft sollte diese KSA-Ausgabe Appetit machen auf Essen mit Spaß, viele Rezept- tipps und tolle Projekte des DKSB. Das alles, zusammen mit gesammelten O-Tönen von Kindern, findet sich im Heft. Aber im Thema Kinderernährung stecken eben nicht nur gute Laune, neue Food-Trends oder kochlustige junge Leute. Vielmehr geht es auch um das Kinderrecht auf ein bestmögliches Aufwachsen oder die Rolle von Armut im Hinblick auf gesunde Ernährung. Ebenso kommen auf den nächsten Seiten manche Essgewohnheiten in Familien oder unterwegs auf den Tisch. Und auch zu Unsitten, Lebensmittel zu verschwenden oder „anzureichern“, werden klare Worte gesprochen. Inhalt 3.2021 7 KLIPP & KLAR 4 Kolumne, Leserbriefe, Kampagne THEMA 6 Schmeckt‘s? O-Töne: Was Kinder über Essen denken 7 20 Darum kümmern wir uns Kinderrechte: Warum gutes Essen dazugehört 9 Gesundheit macht Spaß Praxis: Was der DKSB alles auf die Beine stellt Darum kümmern wir uns Was tun? 10 Heute wäre genug für alle da Kinder und Jugendliche brauchen ge- Die Wissenschaft weiß: Kinder und Jugend- Geschichte: Ernährung bleibt ein Problem sunde Ernährung. Dafür engagiert sich liche ernähren sich nicht wie empfohlen. 12 Mit dem gewissen „Extra“? der Kinderschutzbund. Das ist kein Zufall: Die Zahl übergewichtiger junger Menschen Kinderlebensmittel: Normalerweise überflüssig Seine Positionen und Angebote vor Ort wächst trotz allgemeinem Trend zu gesün- 13 „Am liebsten ernte ich“ leiten sich direkt aus den Kinderrechten derer Ernährung. In Spannung dazu steht Gemüseanbau: Kinder säen und ernten selber ab – zum Beispiel aus dem Recht auf das in sozialen Netzwerken vermittelte 14 Überall mampfende Münder bestmögliches Aufwachsen. Ab Seite 7 „ideale“ Körperbild. Ab Seite 20 Erfahrungen: Wie essen in Bewegung kam 16 28 Bitte keine Appetitverderber! Familie: Was Kinder wollen, was Eltern besorgt 18 Wir haben es satt! Jugend: Impulse für Nachhaltigkeit 19 „Kühe sind nicht lila“ Armut: Auch an der Tafel Deutschland sichtbar 20 Was tun? Studien & Trends: Passen nicht zusammen 22 An die Töpfe, fertig, los! Rezepte: Kleine Tipps zum Weiterlesen KINDER IM BLICK 23 Verbandsentwicklung Vielköpfige Expertise im DKSB Hessen 24 Die machen Sachen Infos & Tipps aus der DKSB-Praxis 26 Mitgliederversammlung des DKSB Fachtagung: Recht auf gewaltfreie Erziehung 2021 Im Mai digital, im September in Präsenz Seit 21 Jahren gibt es in Deutschland das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Bürger- 27 Blauer Elefant® lichen Gesetzbuch. Der DKSB zog dazu auf einer digitalen Fachtagung das Resümee: Seit 25 Jahren starke Hilfen unter einem Dach Wir können uns trotzdem noch nicht zurücklehnen. Denn immer noch finden (zu) viele 28 Recht auf gewaltfreie Erziehung 2021 Erwachsene Körperstrafen gegen Kinder in Ordnung, stellte Prof. Dr. Jörg Fegert fest. Fachtagung mit vielen Erkenntnissen DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen bewertete es wiederum „mehr als 30 Aktuelles aus dem Bundesverband kritisch“, dass Kinder und Jugendliche in der Corona-Krise von der Politik zu wenig gesehen werden. Nach den Vorträgen boten sechs Workshops Gelegenheit, unter- 31 Impressum schiedliche Aspekte von gewaltfreier Erziehung zu bearbeiten. Ab Seite 28
KLIPP & Kolumne KLAR Liebe Leserinnen und Leser, LeserBriefe Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. das Vorhaben, die Kinderrechte im Grundgesetz zu Zu KSA 2.2021, Schwerpunktthema: verankern, ist in dieser Legislaturperiode gescheitert. „Kleine Menschen, großer Kummer – Hilfe hilft“ Nach Jahrzehnten intensiver Lobbyarbeit im politischen Einfühlsam Raum und kontinuierlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie ungezählten Vorträgen ist das für mich persönlich eine Mit Ihren ausgesuchten Beispielen haben Sie ge- zeigt, was der Kinderschutzbund immer fest im besonders große Enttäuschung. Vor knapp 30 Jahren Blick hat: die Kinder! Gerade in schlimmen Krisen hat Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention ratifi- brauchen sie jemanden, der nicht die Augen ver- ziert und fast ebenso lange prüfen Bundesregierungen schließt oder in Mitleid versinkt, sondern der für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz. Dass sie da ist und sie mit Kompetenz und Einfühlungs- dies nun ausgerechnet in der Pandemie gescheitert ist, vermögen unterstützt. in der die Interessen der Kinder immer wieder hinten runtergefallen sind, Sebastian Ronge, Düsseldorf ist ein deprimierendes Signal für Kinder und Familien. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie mutig sich Hinter dem Streit steht ein Grundkonflikt: Konservative politische Kräfte der Kinderschutzbund auch schwierigster Themen sehen die Kinderrechte ausschließlich im Familienrecht und hier im Dreieck annimmt. Besonders bewegt haben mich die Be- „Eltern – Kind – Staat“. Kinder werden nur über ihre Eltern wahrgenommen, richte über Kinder psychisch kranker Eltern sowie oft gar als deren „Eigentum“ betrachtet. Dagegen steht das Bild, dass Kinder über trauernde Kinder und Jugendliche. Man spürt eigene Würde und eigene Rechte besitzen. Dies hat das Bundesverfas- in jeder Zeile, wie empathisch Sie mit solchen sungsgericht in zwei zentralen Entscheidungen unterstrichen und dabei Problematiken umgehen. festgestellt: Das Elternrecht ist ein dienendes Recht. Es dient dem Kindes- Jessica Vornkahl, Hildesheim wohl. Hinter dieser Rechtsprechung darf eine ausdrückliche Festschreibung der Kinderrechte im Grundgesetz keinesfalls zurückbleiben. Deshalb ist es Zu KSA 2.2021, klipp & klar: „Das macht wütend!“ gut, dass der Vorschlag, den die Regierung am Ende in den Bundestag Irreführend eingebrachte, nicht Gesetz geworden ist. Sie behaupten, die „Kinderärztliche Praxis“ lege Oft wird dem Vorhaben, Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich fest- ihren Lesern nahe, Kinder ggf. frühzeitig mit zuschreiben, entgegengehalten, Kindern stünden die Menschenrechte nach Wachstumshormon zu behandeln, um deren spä- dem Text des Grundgesetzes ja schon zu. Kinder sind aber keine kleinen tere Verdienstmöglichkeiten zu optimieren. Diese Erwachsenen, sondern brauchen besondere Schutz- und Förderrechte sowie Meldung ist irreführend. In der Pressemitteilung der das Recht auf eine kindgerechte Beteiligung. In der Abwägung zu anderen Fa. Hexal in der „Kinderärztlichen Praxis“ (Heft 2, S. Grundrechten muss das Kindeswohl einen besonderen, ja oft vorrangigen 138) wird auf die vielfältigen psychosozialen Konse- Stellenwert erhalten. Kinder müssen nicht nur gehört werden, sondern quenzen des Kleinwuchses noch im Erwachsenen- ihre Meinung und ihr Wille sind entsprechend ihres Alters und ihrer Reife alter aufmerksam gemacht, diese sind unbestreitbar auch zu berücksichtigen. Von Kinderrechten im Grundgesetz, die diesen und durch vielfältige Studien belegt. Ferner lässt Grundsätzen folgen, würden Kinder und Eltern gemeinsam profitieren. Ihre Meldung außer Acht, welche Kriterien für die Indikation einer Wachstumshormontherapie bei In den kommenden Jahren müssen wir weiter daran arbeiten, die gesamte Kleinwuchs im Kindesalter in Deutschland gelten. Gesellschaft von diesen Grundsätzen zu überzeugen. Dass das möglich ist, Nur bei wenigen Prozent kleinwüchsiger Kinder ist haben zwei Bundesländer bewiesen: Hessen hat nach überragendem Er- eine Wachstumshormontherapie möglich. Die gebnis einer Volksabstimmung die Kinderrechte entsprechend formuliert. diagnostische Abklärung des Kleinwuchses (wie Und erst kürzlich hat Bremen gezeigt, dass echte Kinderrechte in der Lan- auch ggf. die Wachstumshormontherapie) wird von desverfassung einstimmig beschlossen werden können. Mit dem Zusatz einem pädiatrischen Endokrinologen leitlinienge- in Artikel 25 Absatz 1 der bremischen Landesverfassung wurde außer- recht durchgeführt. Nie kann für ihn eine „Optimie- dem ein Staatsziel formuliert: „Eltern, soziale Gemeinschaft und staatliche rung“ des Kindes hinsichtlich seiner späteren Ver- Organisation haben die besondere Verantwortung, gemeinsam allen dienstmöglichkeiten ein Kriterium für die Indikati- Kindern gerechte Lebenschancen und Teilhabe entsprechend ihren Talenten onsstellung zur Wachstumshormontherapie dar- und Neigungen zu ermöglichen.“ Das ist zugleich ein Auftrag, Kinderarmut stellen, dies würde von den Krankenkassen als und ihre gravierenden Folgen zu beseitigen. Es macht uns Mut, weiter für Kostenträger der Wachstumshormontherapie eine Regressforderung nach sich ziehen. die Kinderrechte, auch im Grundgesetz, zu kämpfen. Prof. Dr. K. Brockmann, Prof. Dr. M. Knuf, Ihr Heinz Hilgers Prof. Dr. R. von Kries (für die Redaktion Präsident „Kinderärztliche Praxis“), Mainz 4 KSA 3.2021
DKSBKampagne gegen Kinderarmut Ganz nach oben auf die Agenda! „Kinder haben Armut nicht WELCHE LÖSUNGEN SCHLÄGT DER DKSB VOR? gewählt“ – unter dieses Motto Wichtig ist eine Haltungsänderung gegen- hat der Kinderschutzbund seine über Menschen, die in Armut leben. Wir aktuelle Kampagne gestellt. Kinderschützer*innen im DKSB bringen Dabei steht die Einführung einer allen Eltern eine Haltung von Vertrauen, Wertschätzung und Unterstützung in Not- Kindergrundsicherung genauso situationen entgegen. Diese Haltung muss in seinem Forderungskatalog auch für politische Maßnahmen handlungs- wie ein Investitionspaket leitend sein. „Kinder-Infrastruktur“. Wir fordern die Bündelung aller kindbe- zogenen Leistungen in eine Kindergrund- Jana Liebert, Fachreferentin für soziale sicherung. Sie geht vom Kind aus, ist in der Sicherung im DKSB Bundesverband, Höhe ausreichend und erreicht die Kinder erläutert hier an vier Fragen, worum es direkt und automatisch. Daneben muss dem Verband geht. aber auch ein Investitionspaket „Kinder- Infrastruktur“ stehen, mit dem Angebote WARUM DAS THEMA KINDERARMUT? Kinder und Jugendliche in ihrem direkten Deutschland ist kein armes Land. Und Lebensumfeld stärken. trotzdem lebt hier mehr als jedes 5. Kind in Armut. Obwohl dieser Befund seit langem WARUM GERADE JETZT bekannt ist, hat sich viel zu wenig getan. DIE KAMPAGNE? Gerade in der Corona-Pandemie zeigte sich Im September wird eine neue Bundesregie- wie unter einem Brennglas, was Kinder- rung gewählt. Die Parteien diskutieren jetzt armut im Alltag u.a. bedeutet: über Themen, für die sie sich in der neuen M Das Lernen zuhause war deutlich Legislaturperiode einsetzen wollen. Unser schwieriger oder sogar völlig unmöglich, Ziel: Das Thema Kinderarmut muss ganz weil kein digitales Gerät und kein ruhiger nach oben auf die Agenda, damit eine künf- iStockphoto/VYCHEGZHANINA Arbeitsplatz vorhanden waren. tige Bundesregierung der Bekämpfung der M Die existenziellen finanziellen Sorgen Kinderarmut Priorität einräumt. M Organisieren Sie vor Ort Veranstaltungen wurden in vielen Familien noch größer, mit Kandidierenden, führen Sie Presse- weil das vorher kostenfreie Mittagessen UND WIE SOLL DAS gespräche und sorgen Sie auf Social- in Kita oder Schule wegfiel und gleich- KONKRET ERREICHT WERDEN? Media-Kanälen für Aufmerksamkeit. zeitig die Lebensmittelpreise anstiegen. Um das Thema Kinderarmut hoch auf die M Stellen Sie Ihr Kinder- und Familienfest M Schnelle Unterstützung durch die Politik, Agenda zu bekommen, müssen wir sie mit zum Weltkindertag unter das Motto wie z.B. die unbürokratische Aufstockung unserer Lobbyarbeit sichtbar machen! „Kinder haben Armut nicht gewählt“. von Sozialleistungen, blieb aus. In der Politik, in der Gesellschaft, auf allen Laden Sie auch dazu Kandidierende Kinderarmut bedeutet weniger Chancen auf Ebenen. und Presse ein und veranstalten Sie eine gute Zukunft. Fair ist das nicht, denn: Jeder kann etwas dazu beitragen! Mitmachaktionen mit den Kindern und Kinder haben Armut nicht gewählt. Des- M Schreiben Sie einen Brief an die Jugendlichen vor Ort. halb engagieren wir uns mit all unserer Kraft jeweiligen Kandidierenden aus Ihrem Jede und jeder einzelne von uns kann seine für die Beseitigung der Kinderarmut. Aktuell Wahlkreis. Stellen Sie die richtigen eigenen kreativen Ideen einbringen, um das werden wir das Thema rund um die Bundes- Fragen bei Bürgerveranstaltungen. Thema Kinderarmut überall stark ins Be- tagswahl und den Weltkindertag 2021 auf Und machen Sie ihr Kreuz am Wahltag wusstsein zu rücken. Kinder verdienen ein die Agenda setzen und für grundlegende bei Personen und Parteien, die sich gutes, sicheres Aufwachsen. Wir als Kinder- Reformen werben. ehrlich gegen Kinderarmut einsetzen. schutzbund setzen uns dafür ein! 5
Essen zwischen Lust und Frust Schmeckt´s? TITEL- THEMA Illustrationen: iStockphoto/asantosg Papa, ich bin der Bestimmer. Und ich esse kein Gemüse. Und kein Obst. Außer Bananen. Ole, 5 Jahre Wenn ich mit Mama koche, schnibbel ich am liebsten Möhren oder Pilze. Das kann ich schon richtig gut! Ich weiß auch, wo auf dem Tisch die Gabel hinkommt: neben den Teller. Jolina, 5 Jahre Bei Oma darf ich immer mit ihr zusammen kochen. Letztes Mal haben wir Brokkoli- Bäumchen gemacht. Marlon, 7 Jahre Am Wochenende wollen meine Eltern faul sein, da wird nicht gekocht. Dann bestellen wir uns Pizza oder holen was vom Vietnamesen. Manchmal schauen wir uns beim Essen dann mit der ganzen Familie einen Film an. Ich finde das gemütlich. Sarah, 15 Jahre Diese Erbsen sehen anders aus, die Ich möchte mich jetzt mag ich nicht. vegetarisch ernähren. Sandro, 4 Jahre Aber meine Eltern nehmen das nicht richtig ernst. Tabea, 12 Jahre Meine große Schwester ist vegan. Ich bin vegetarisch. Von Nudeln mit roter Soße Mein Vater ist Fleischfresser suche ich immer die und meine Mutter und unser Tomatenstückchen raus. Baby essen alles. Mia, 9 Jahre Die sind voll ekelig. Amira, 7 Jahre 6 KSA 3.2021
Kinderrechte & Ernährung Darum kümmern wir uns Jeder Mensch isst. Aber was und wieviel er zu sich nimmt, hat Einfluss auf seine Gesundheit und bei Kindern auch auf ihre Ent- iStockphoto/taonga wicklung. Deshalb kommt der Kinderschutzbund am Thema Ernährung nicht vorbei. Die Grundlage dafür legen die Kinderrechte. Wenn wir Google fragen, ist „Gesunde Ernäh- rung für Kinder“ eines der wichtigsten The- men überhaupt: 27 Millionen Fundstellen in der Suchmaschine entsprechen dieser deut- schen Wortkombination. In einer der wohlha- bendsten, potenziell bestinformierten Gesell- schaften dieses Planeten suchen jede Menge Menschen online nach Antworten auf die Fra- ge, wie sie ihren Kindern gutes Essen servie- den Eltern und Kindern, Grundkenntnisse ‚‚ ren können. Diese Unsicherheit könnte mit über die Gesundheit und Ernährung des Kin- den Nachrichten über die Ernährungslage des“ vermitteln und sie bei der Anwendung von Kindern in Deutschland zusammenhän- dieses Wissens unterstützen. gen: Leider essen längst nicht alle gesund – Das Ergebnis des staatlichen Handelns lässt und die Lage ist in den Lockdown-Monaten in Deutschland noch viel Luft nach oben. Er- noch schlechter geworden. nährungswissenschaftler*innen von der Uni- Früher hab ich auch versität München fanden heraus: Kinder es- GUTES ESSEN, SAUBERES WASSER sen und trinken zu viel Süßes, und sie bewe- Wurst gegessen. Da wusste Zum Glück sind viele Familien nicht auf „Dr. gen sich zu wenig. Übergewicht und Fehler- ich noch nicht, dass die aus Google“ angewiesen, sondern können sich nährung folgen auf dem Fuße. Das war schon toten Tieren gemacht ist. auf den Kinderschutzbund verlassen: Von der vor Corona so und hat sich durch die Lock- Paul, 10 Jahre „Kinderküche auf Tour“ durch Schleswig-Hol- downs noch verschlimmert. Mittlerweile ist stein bis „Alpens kleine Köche“ in NRW teilen jedes sechste Kind in Deutschland überge- stand Gesundheit weit über die Abwesenheit zahllose Kinderschützer*innen Wissen, Pra- wichtig und entwickelt oft schon früh ge- von Krankheit und Gebrechen hinaus bis hin xis und Freude an gesunder Ernährung mit sundheitliche Probleme wie Herz-Kreislaufer- zum Einfluss des Klimawandels auf die ge- Kindern und Eltern. Damit bewegen sich die krankungen, Gelenkprobleme oder Depres- sunde Entwicklung der Kinder. Damit bein- Landes-, Kreis- und Ortsverbände des DKSB sionen. Bei den 11- bis 13-Jährigen betrifft haltet ihr Recht auf das erreichbare Höchst- auf einer Linie mit zentralen Forderungen das sogar schon 20 Prozent – und genau die- maß an Gesundheit auch das Recht, gut auf- der Kinderrechtskonvention. Die Vereinten se Altersgruppe hat auch im Lockdown am zuwachsen und die eigenen Fähigkeiten zu Nationen verpflichten ihre Mitgliedsländer stärksten zugelegt. entfalten – also das Recht auf die grundlegen- gleich an mehreren Stellen der Charta dazu, den Faktoren von Gesundheit, zu denen u.a. Kindern gutes Essen und sauberes Wasser zu NEUER BLICK AUF GESUNDHEIT gesunde Ernährung gehört. Deshalb hat der sichern. Dass wir uns in Deutschland ange- Als die Kinderrechtskonvention vor mehr als Ausschuss sich auch der Frage gewidmet, wie sichts dieser Passagen nicht zufrieden zurück- 30 Jahren geschrieben wurde, stand nicht neben dem Nahrungsmangel auch Probleme lehnen können, hat seinen Grund: Hunger ist Übergewicht, sondern bittere Not im Fokus: durch Fehl- und Überernährung verhindert hierzulande zwar nicht weit verbreitet – aber Hunger und Durst. Vor acht Jahren nahm sich werden können. Fehl- und Mangelernährung sind durchaus dann der UN-Kinderrechtsausschuss des The- Der Ausschuss legt den Staaten u.a. die Pflicht ein Massenphänomen. mas Gesundheit an und ergänzte den Blick auf, Fettleibigkeit zu bekämpfen, weil sie viele Weil dabei auch Wissen eine Rolle spielt, auf die Ernährung von Kindern um diesen As- Krankheiten auslösen und die Lebenserwar- greift ein zusätzlicher Passus aus Artikel 24 pekt. In seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. tung verkürzen kann. Zudem werden aus kor- der Kinderrechte. Danach sollen die Staaten 15 vom April 2013 offenbarte das Gremium pulenten Kindern häufig zu dicke Erwachse- „allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere seine ganzheitliche Betrachtungsweise, ver- ne. Als Ursache ist im Papier herausragend W W 7
Frische Möhren schälen und – KNACK – pro- iStockphoto/dcdp bieren. Kartoffeln mal nicht in Stäbchenform aus dem Beutel, sondern als ganze Knolle aus der Erde holen. Die Geschmacksvielfalt von Äpfeln gegen die Tetrapak-Monotonie setzen und über Zwiebelchen Tränen vergießen. Es geht um die Lust, Neues zu probieren, um Vor- und Zubereitung und um ursprüngliche Geschmackserlebnisse. POSITION BEZIEHEN Aber es geht auch um den größeren Rahmen: Der Kinderrechteausschuss richtet die Auf- merksamkeit der Regierungen auf die Bedeu- tung der Umwelt für ein gesundes Aufwach- „fast food“ mit seinem problematischen Drei- Damit ist ein wichtiges Betätigungsfeld für sen und empfiehlt, das Recht der Kinder auf gestirn genannt: ungesunde Fette, zuviel Salz, uns Kinderschützer*innen definiert: Familien Gesundheit in den Mittelpunkt der Bemü- zuviel Zucker. Daher sollen Staaten Fast Food über gesunde Ernährung aufklären, Eltern hungen gegen den Klimawandel zu rücken. ‚‚ begrenzen, das Marketing für solche Produk- und Kindern beibringen, woraus gutes Essen Das ermutigt den DKSB beim Thema Ernäh- te vor allem dann regulieren, wenn es sich an besteht – und was kein gutes Essen ist. Der rung auch, auf der Grundlage der Kinderrech- Kinder wendet, sowie das Angebot in Schu- Kinderrechteausschuss nennt als schlechte te zu Fragen nach Massentierhaltung und len kontrollieren. Beispiele u.a.: Essen mit hoher Energiedichte, Fleischkonsum, dem Einsatz von Chemie in Lebensmittel mit einem zu geringen Anteil der Landwirtschaft, der industriellen Herstel- hochwertiger Nährstoffe und Spurenelemen- lung und den langen Transportwegen vieler Ich esse kein Obst, te sowie Getränke mit potenziell schädlichen Nahrungsmittel Position zu beziehen. Immer außer Ananas auf Pizza! Inhalten, zum Beispiel Koffein. dann, wenn Praktiken die Umwelt, also den Emma, 6 Jahre Unser Verband hat sich in diesem Sinne längst Lebensraum von Kindern und Kindeskindern, auf den Weg gemacht, wie die vielen Angebo- beeinträchtigen, sagen uns die Kinderrechte te der DKSB-Praxis belegen. Unterm Strich eindeutig: Das darf nicht sein! Solche Be- knapp zusammengefasst geht es dabei um trachtungen einer Generationenfolge im Sin- gesunde Nahrungsmittel aus der Region, ne von „wir haben die Erde von unseren Kin- möglichst nicht industriell verarbeitet, son- dern nur geborgt“ stehen auch hinter dem Überhaupt weist der Kinderrechtsausschuss dern selbst frisch auf den Tisch gebracht, am Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das den Schulen in der Ernährung eine Schlüssel- besten sogar aus dem eigenen Beet. Kinder will Entscheidungen der Gegenwart nach ih- rolle zu. Sie sollen zumindest einmal täglich sollen Obst, Gemüse und Getreide mit allen ren Auswirkungen auf das Leben der nachfol- ‚‚ Kindern eine komplette gesunde Mahlzeit Sinnen im Urzustand kennenlernen – und genden Generationen bewertet wissen. Da- bieten. Dass dies nicht nur in armen Ländern nicht erst dann, wenn es von Maschinen bis mit ragt auch das Recht auf gesunde Ernäh- mit unsicherer Versorgungslage bedeutsam zur Unkenntlichkeit gehäckselt, auf Pizzateige rung weit über die nächste Mahlzeit hinaus. ist, war während der Pandemie auch in geklatscht oder in Paniermehl erstickt wurde. Joachim Türk, Redaktion Deutschland zu spüren: Was geschieht mit Kindern, die ihr einziges vollständiges Essen Wenn Mama nicht da ist, holen Papa am Tag in der Schule bekommen – aber diese geschlossen ist? und ich immer Currywurst und Pommes und Dem Kinderrechteausschuss geht es jedoch machen einen Männerabend. Fabio, 9 Jahre nicht nur um die Mahlzeiten, denn Schule soll noch mehr auftischen: z. B. Informationen iStockphoto/Onfokus über Essen und Gesundheit in den Mensen sowie die Einrichtung von Schulgärten. Zu- dem sollen Lehrkräfte in die Lage versetzt werden, die Essensgewohnheiten von Kin- dern zu verbessern. Die Lehrkräfte nimmt der Ausschuss neben den Eltern am stärksten in die Pflicht, wenn es um gesunde Ernährung für Kinder geht. Aber auch Kinderrechteorga- nisationen sind bei der Gewährleistung und Kontrolle gefragt – und sollten nach Willen des Ausschusses dafür von der Öffentlichen Hand mit den nötigen Ressourcen ausgestat- tet werden. 8 KSA 3.2021
Gesundheit macht Spaß! Gesund essen ist kinderleicht und lecker, macht Spaß und muss nicht teuer sein. Diese Erfahrung vermitteln viele Orts-, Kreis- und Landesverbände seit Jahren an Kinder und Erwachsene. Dabei beweist der DKSB eine Kreativität wie ein Sternekoch – serviert häufig als Vorspeise Bewegung und als Dessert Entspannung dazu. Zwischen diesen Gängen steckt Gesundheit, die schmeckt. Hier einige Beispiele von der langen Ange- Blick in die DKSB-Praxis botsliste des DKSB: Ein Bestseller auf der Spei- sekarte ist „GELKI! Gesund leben mit Kindern – Eltern machen mit“. Entwickelt und weit ver- breitet vom LV Nordrhein-Westfalen, bringt Foto: LV Schleswig-Holstein der Kurs Eltern von Vor- und Grundschulkin- dern einen gesunden Alltag in Theorie und Praxis nahe – von schmackhaften Rezepten über Bewegungsspiele bis hin zu Entspan- nungsübungen. Dieser gesunde Dreiklang steht auch bei vie- len Vortragsangeboten obenan und wird be- reits in Stillgruppen thematisiert. Ebenso er- klingt er bei den Essensangeboten in DKSB- eigenen Kitas und Kinderhäusern. Dort gibt es nicht nur Rohkost und Obst vom Büffet, sondern die pädagogische Begleitung gleich dazu – wie u.a. in den Ortsverbänden Lü- „Kinderküche auf Tour“, LV Schleswig-Holstein beck, Gifhorn, Burgdorf, Uelzen, Viersen, Langelsheim und Schwerin. Die „Kita Wirbel- Schwimmbad. Im OV Celle bringen die Kin- gesundes Essen einhergeht mit guter Laune wind“ des OV Euskirchen ist sogar mit dem der hingegen selbst ihre Ideen zu Papier und und gutem Appetit, erleben Kinder beim Schwerpunkt „Pluspunkt Ernährung“ zertifi- nehmen an einer Plakataktion teil. Und der OV OV Willich in den Kochkursen „Gesund und ziert. Hier wird nicht nur gekocht, sondern Aachen macht Appetit auf „YamYam“. Dieses lecker“. auch Nachhaltigkeit, Ökologie und Mülltren- „Breikochbuch für Familien“ ist top! Und woher kommt das gute Essen? Beim Kin- nung gepflegt. Und manchmal, wie etwa Kinder-Koch-Kurse? Einfach Klasse! Alle diese derhaus des OV Bad Segeberg aus dem eige- vom KV Bamberg, bringen Gliederungen ein leicht verdaulichen Bildungsangebote auf- nen Hochbeet. Hier säen, pflanzen und ern- gesundes Frühstück auch in die Schule. zulisten, würde jedoch den Rahmen des Hef- ten die Kinder Kräuter und Gemüse, und an- Im LV Schleswig-Holstein fährt gleich eine tes sprengen. Deshalb hier nur einige Appe- schließend wird alles verputzt. Mit Gemüse- ganze „Kinderküche auf Tour“ in Einrichtun- titanreger: Der OV Mönchengladbach berät anbau befassen sich auch Kinder psychisch gen, vollgepackt mit frischen Zutaten und und kocht – kinderleicht. Im OV Alpen (NRW) kranker Eltern beim OV Bielefeld im Faba-Na- begleitet von Fachkräften, mit denen gesun- sind „Alpens kleine Köche“ schon Tradition – turprojekt. Und der OV Lübeck lässt die Kin- des Essen zubereitet wird. Vor Ort ist dafür nur ein Angebot für Zehn- bis Zwölfjährige. An der im Garten seiner Forscher-Kita den Ur- eine Küche nötig. Hoffentlich rollt dieses tolle fünf Terminen im Abstand von vier Wochen sprung von Obst und Gemüse entdecken. Angebot bald wieder an. wird jahreszeitlich oder festlich gekocht: Das Thema Ernährung ist häufig eingebettet Etliche Ortsverbände ergänzen ihre Angebo- Picknick, Pizza, Pasta, Party. Alles zusammen in Programme und Projekte – wie im OV Aa- te zur Ernährung auch mit Printprodukten. angerichtet mit Fachkräften aus Küche und chen, wo das Präventionsprogramm AGIL Der OV Wetter z.B. hat schon ein Kochbuch, Pädagogik. nun in die Region aufbricht, Hand in Hand mit einen Kalender und einen Bio-Einkaufsführer Früh übt sich ..., denkt sich der OV Essen und einer Praxis für Ernährungstherapie. Oder im herausgebracht und fokussiert sich aktuell hat unter dem Titel „Löffeln, kleckern, schme- OV Halle, der in seinem KIETZ-Projekt in vier auf „Fingerfood, gerollt, gestapelt und aufge- cken“ Infos über und Zubereitung von Mahl- Kitas „Gesunde Ernährung“ und „Mehr Spaß spießt“. Das wohl bekannteste Druckerzeug- zeiten im ersten Lebensjahr angeboten. Der an Bewegung“ verbindet. Im Modul „Gesun- nis in Sachen Ernährung und Kinder ist das OV St. Augustin wendet sich an Kinder und de Ernährung“ schulen die Kinder zum Bei- Heft „AGI findet Freunde“ aus dem Verlag Jugendliche und richtet deren Neugier auf spiel ihren Geschmacks- und Geruchssinn, Kinder & Lernen, das in Zusammenarbeit mit das Essen: Der Kurs „Ich entdecke Neues und lernen frische regionale Produkte kennen vielen Ortsverbänden und Gesundheitsäm- probiere es aus“ kocht, kauft ein und tischt In- und bereiten sie zu. Und gegessen wird auch tern erscheint. AGI geht mit Kindern einkau- formationen altersgerecht auf. Der OV Rends- – denn nie schmeckt es besser als in großer fen, ermuntert sie zu riechen, schmecken, burg geht die Sache in Kitas und Grundschu- Runde nach gemeinsamem Kochspaß. mixen und kochen und geht mit ihnen (und len spielerisch an – und am Ende bekommen Joachim Türk, Redaktion ihren Freunden) auf den Spielplatz und ins die Kids einen „Ernährungsführerschein“. Dass 9
iStockphoto/BravissimoS Kleine „Ess-Geschichte“ Heute wäre genug für alle da Der anatomisch moderne Mensch ist im Prinzip ein Vorhandene geteilt wurde. Und wahrschein- lich nahm sich der Chef die größten Fleisch- „Allesfresser“. Ob er jedoch zu jeder Zeit alles isst bzw. brocken, schließlich musste er am nächsten Zugang zu allem hat, was er braucht, hing schon immer Tag wieder auf kräftezehrende Jagd gehen. von vielen Faktoren ab. Das zeigt auch ein kleiner Ritt Wie lange sich solche Gewohnheiten doch gehalten haben… durch die „Ess-Geschichte“. Erst nach der sogenannten landwirtschaftli- Essen hält nicht nur Leib und Seele zusam- chen Revolution (um 10.000 v. Chr.), die sich men, sondern ganze Stämme. Die kollektive über viele hundert Jahre hinzog, wurde der ‚‚ Essensbeschaffung war das Bindeglied der Speiseplan der Ackerbauern und Viehzüchter ersten menschlichen Gesellschaften: Nur ge- durch Hülsenfrüchte, Getreide und Milchvieh meinsam ließ sich ein Mammut in die Falle unseren heutigen Essgewohnheiten ähnli- locken und zerlegen. Nur gemeinsam konnte cher. Dass sich mit dieser Art der Ernährung man genug Vorräte für den Winter sammeln. ein hohes Maß an Organisation, Handelsbe- Und nur wenn es auch für den Nachwuchs Essen ist toll! Besonders ziehungen und Wissensaustausch entwickel- reichte, war der Fortbestand der Sippe gesi- te, erfahren wir u.a. aus einem uralten Bestsel- chert. wenn wir vorher mit unserer ler, der Bibel. Viele Texte im Alten Testament Alle neugeborenen Säugetiere sind auf die Er- Clique zusammen gekocht beschäftigen sich ausgiebig mit Bodenbear- nährung durch die Mutter angewiesen. Aber haben. Wir machen oft beitung und dokumentieren Viehbestände, beim Menschen dauert es nach der Stillzeit Küchenparty, wenn wir Ernteabläufe und Warenaustausch. noch sehr lange, bis er in der Lage ist, sich „Satt werden“ wollten die Menschen im Laufe selbst sein Frühstück zusammenzusammeln, allein sind! Emily, 17 Jahre der Zeit auch im metaphysischen Sinne. Viele sein Abendessen zu erjagen. Das Durchfüt- Es ist unwahrscheinlich, dass es uns Heute- Rituale der großen Weltreligionen haben Ess- tern der Kleinen ist seit Urzeiten das zentrale Menschen am Lagerfeuer bei Neandertalers gewohnheiten und Speisevorschriften zum Merkmal elterlicher Fürsorge und die Basis geschmeckt hätte. Dort gab`s jede Menge Thema, die im Kern oft der Gesundheit dien- für alle späteren Ansätze und Ideen von Auf- Fleisch, hauptsächlich wohl nicht immer gut ten, etwa das Verbot von Schweinefleisch im zucht und Erziehung. Gelingt es nicht, so durchgebrate oder gar gewürzte große Säu- heißen Mittelmeer-Klima, wo sich Trichinen droht der Untergang. Vielleicht ist das die ar- getiere; ein paar Wurzeln und Schlehen statt schnell vermehren. Und welche Taten Jesu chaische Wurzel der geradezu existenziellen Obst und Gemüse – also alles auch nicht ge- sind fast jedem noch so ungläubigen Schul- Angst, die manche Eltern heute noch befällt, rade „gesund“, oder? Gegessen wurde aller- kind im Kopf geblieben? Natürlich die wun- wenn ihr Kind „sehr zart“ ist – und noch dazu dings schon damals gemeinsam, vermutlich dersame Brotvermehrung nach einer stun- ein „schlechter Esser“. nicht nur, weil`s lustiger war, sondern weil das denlangen Predigt, als der vielköpfigen Zu- 10 KSA 3.2021
hörerschaft schon die Mägen knurrten. Weit- Seit rund 70 Jahren ist Hunger in Deutschland ‚‚ hin bekannt ist auch die Bibel-Geschichte von nun auf den ersten Blick kein Thema mehr. der Verwandlung von Wasser in Wein, als auf Die Nachkriegskinder erinnern sich jedoch einer Hochzeit die Stimmung abzuflauen noch an die Bedeutung der Waage beim Kin- drohte, weil es nichts Ordentliches mehr zu derarzt oder der Fürsorgerin für das Renom- trinken gab. mee der Familie. Dicke Kinder, so hieß es bei Ob der Wechsel von genussvollen Zeiten mit uns in den 1950er Jahren, waren gesunde solchen des Fastens daher rührt, dass wetter- Kinder. Zum Glück ist das heute nicht mehr Mein Kaninchen ist mein und jahreszeitenabhängig Nahrung nicht im- so. Jetzt werden die meisten Kinder nicht bester Freund. Und gute mer im Überfluss vorhanden war? Als struk- mehr wie früher bis zum Brechreiz gezwun- Freunde isst man nicht. turgebendes Element im religiösen Jahresab- gen, den Teller leerzufuttern. Heute wandern Man isst überhaupt nix, was ein lauf hat er sich jedenfalls bis heute gehalten. die Reste vom Teller in die Tonne – also viel- Freund sein kann. Unsere Nach- leicht besser nicht so viel drauftun und lieber barn haben zum Beispiel Ferkel. Vor 2000 Jahren herrschte im alten Rom Skla- ein bisschen nachnehmen? Da ist das auch so. Kayo, 6 Jahre verei, Hunger und Elend, aber auch eine Ober- In jüngster Zeit hat Essen nicht nur einfach in schicht, die ihren Reichtum bei gewaltigen ausreichendem Maße vorhanden zu sein. Seit die Menschen sesshaft geworden sind, so Festmählern und kalorienbetonten Orgien Nein, zunehmend wird mehr Wert auf ge- eine gängige Auffassung, gehe es bei kriege- zelebrierte. Auf die Menge kam es an, wes- sundheitliche und auch geschmackliche Qua- rischen Auseinandersetzungen hauptsäch- halb sich mancher Patrizier mittels einer den lität gelegt. Übergewicht gilt längst nicht lich darum, Land zu gewinnen, damit der ei- Rachen kitzelnden Feder den Magen leerte, mehr als Zeichen von Wohlstand, sondern gene Stamm genug zu essen hat und sich um anschließend noch mehr vertilgen zu weckt eher den Verdacht, Eltern kümmerten vermehren kann – Krieg gegen Hunger. Doch können: eine frühe Form der Lebensmittel- sich nicht genug um „gutes Essen“ für ihre schon in frühen Texten werden Hungersnöte vernichtung. Die Beschreibungen fürstlicher Sprösslinge. An den Universitäten werden nicht nur als Folge von Missernten oder Über- Festgelage im Mittelalter legen nahe, dass Wissenschaftler*innen für Ernährung und bevölkerung beschrieben, sondern als Be- man zu der Zeit eine ähnliche Völlerei pfleg- Lebensmitteltechnologie ausgebildet. Die gleiterscheinung von Kriegen. Kriege zerstör- te. Die große Zahl der armen Menschen in optimale Ernährung ist vielen zur Glaubens- ten gewachsene Strukturen und ließen viele Europa hingegen war gegen Ende des Win- frage geworden, auch mit Blick auf die Kinder tausende junger Männer, anstatt zuhause das ters, wenn die spärlichen Vorräte aufgezehrt (Stillen – wie lange? Völliger Verzicht auf Zu- Feld zu bestellen, als Soldaten durchs Land waren, dem Verhungern nahe. cker? Vegan mit Vitamin-B12-Ergänzung?). ziehen und die Dörfer plündern, auch um sich Mit der Aufklärung (etwa ab 1700) kam lang- Gleichzeitig ist das Angebot an hierzulande mit Nahrung zu versorgen. In den aggressi- sam die Überzeugung auf, dass Armut und jederzeit erhältlichen Lebensmitteln so um- ven Auseinandersetzungen von heute geht Reichtum, Hunger und Überfluss nicht gott- fangreich wie nie. Kochbücher werden zu es um Vormachtstellungen, um Anbauflä- gewollt sind, sondern von Menschen ge- Bestsellern, Kochkurse und Websites mit Re- chen für rentable Produkte, um Absatzmärk- macht, und dass man die ungleiche Vertei- zept-Wettbewerben schießen aus dem Bo- te, um Besetzung von Ressourcen und Zu- lung lebensnotwendiger Güter in Frage stel- den. Wir zelebrieren (gesundes?) Essen und gang zu Transportwegen. Aber die Folgen für len und ändern könne. „Es wächst hienieden haben uns daran gewöhnt, im Januar fri- die Schwächsten der Bevölkerung, ob in Sy- Brot genug für alle Menschenkinder“, dichte- sche Erdbeeren und im Juli saftige Orangen rien, am Amazonas oder im Sudan, sind im- te Heinrich Heine (1797-1856) später in sei- zu bekommen – einfach weil wir es wollen mer noch dieselben: Vertreibung, Flucht, Ar- nem „Wintermärchen“ und stellte gleich noch und können. Den Preis dafür? Den zahlen mut, Hunger. weitere Genüsse in Aussicht: „Auch Rosen die Endverbraucher*innen nur zu einem Dass unsere Ernährung heute so vielseitig ist, und Myrthen, Schönheit und Lust, und Zu- verschwindend geringen Teil an der Laden- aber zugleich der Aspekt der gemeinschaft- ckererbsen nicht minder!“ kasse... lich eingenommenen Mahlzeit an Bedeutung verliert, mag man bedauern. Dass die Quali- tät der Speisen in Kitas und Schulen trotz al- ler Erkenntnisse über gesundes Essen zu wünschen übrig lässt, ist ärgerlich. Dass sich Schadstoffe und Mikroplastik in unseren Le- bensmitteln finden, ist besorgniserregend. Aber dass auf unserer Erde heute, im 21. Jahr- hundert, Millionen Menschen vom Hunger- tod bedroht sind, weil sie ihren Lebensunter- halt nicht mehr bestreiten können – das ist ein Skandal! Vielleicht werden wir uns umstellen müssen. Vielleicht wird es in Zukunft wieder wichtiger werden, beieinander zu sein und das Essen mit anderen zu teilen, statt dass jeden Tag et- was Neues auf den Tisch kommt. Aber es wäre genug für alle da. Korinna Bächer, Redaktion iStockphoto/poco_bw iStockphoto/puhimec 11
Mit dem gewissen „Extra“? Kinderlebensmittel Und auch nicht jene, die mit Mineralstoffen oder Vitaminen angereichert wurden, denn eine gesunde Ernährung ist durch nichts zu ersetzen. Ausgewogene Familienmahlzeiten ‚‚ versorgen die Kleinen mit allen wichtigen Nährstoffen. Die meisten Kinderlebensmittel bleiben also das, was sie sind: Ungesunde Le- ckerbissen. Ich mag Gurkensalat. Und Bratwürstchen, die Papa draußen grillt. Weil dann bei uns alle gut drauf sind. Felix, 9 Jahre iStockphoto/ kzenon Nur Neugeborene und Säuglinge, die von ihren Müttern nicht gestillt werden (können), brauchen eigens für sie In Zeiten wachsenden Ernährungsbewusst- seins bei den Eltern müssen sich die Herstel- hergestellten muttermilchähnlichen Nahrungsersatz. An- ler also was einfallen lassen. Und das tun sie sonsten sind Lebensmittel eigens für Kinder vollkommen auch: Sie setzen auf die direkte Ansprache der überflüssig. Trotzdem füllen sie ganze Supermarktregale. Kinder z.B. in 70 % ihrer entsprechenden Wer- bespots im Fernsehen. Außerdem zeigt eine Vor zwei Jahren wurden hierzulande etwa 400 „Kinder- aktuelle Studie der Universität Hamburg, dass lebensmittel“ gezählt, Tendenz weiter steigend. sich rund 92% der Werbung, die Kinder im Was ist dran an diesen „Schmankerln“? Fernsehen und Internet überhaupt sehen, auf Süßes, Fast Food und Snacks bezieht. Die Werbeindustrie leistet ganze Arbeit, um enthüllen z.B., wieviel Zucker, Salz oder Fett Es gibt aber auch ein bisschen Licht am Ende bei Klein und Groß zu punkten. Die fröhlich im Produkt enthalten sind. In vielen Kinder- des Tunnels: Zwar dürfen Kinder auch weiter- bunten Verpackungen, gerne auch in Tier- lebensmitteln verstecken sich nämlich viel hin unverändert mit Figuren, Bildchen etc. form, sprechen Kinder an. Locken dazu noch mehr dieser ungesunden Geschmacksträger, geködert werden. Aber Hersteller, der Han- Zugaben wie Sticker, Spielfiguren oder Sam- als man erwarten würde. So kassierte die Fir- del, die Werbung und die Medien haben sich melbilder, ist die junge Zielgruppe schnell ma Zwergenwiese für ihre „Kinder-Tomaten- aktuell eine andere Art der Selbstverpflich- überzeugt: Das will ich! Dazu sind die Portions- sauce Bio“ 2019 den „Goldenen Windbeutel“, tung auferlegt. Danach darf Werbung, die größen perfekt an kleine Hände und Bäuchlein der von foodwatch e. V. jährlich für die dreis- Kinder direkt anspricht, seit 1. Juni 2021 nicht angepasst. Wer es sich hier schmecken lassen teste Werbelüge vergeben wird. Denn die So- mehr den Anschein erwecken, dieses Lebens- soll, macht auch der Zusatz „Kinder“ oder ße enthält fast dreimal so viel Zucker (11%) mittel sei unverzichtbar für eine gesunde Er- „Kids“ im Produktnamen klar. wie die Tomatensauce für Erwachsene (4,6%). nährung. Außerdem darf kein ungesunder, Ob die Bärchenwurst, die Milchchnitte, die Das macht für die Kleinen pro Portion sechs bewegungsarmer Lebensstil mehr gezeigt Dino-Nudelsuppe oder der Frucht-Quetschie Würfel Zucker auf dem Teller. Zwergenwiese werden. Und ungesunde Lebensmittel dür- tatsächlich in den Einkaufswagen wandern hielt dagegen, es handele sich ja nicht um fen nicht mehr mit positiven Eigenschaften und es bis zur Kasse schaffen, entscheiden Kristallzucker, sondern um Apfeldicksaft. Der wie „reich an wichtigen Mineralien“ bewor- aber (meist) die Eltern. Deshalb versuchen die wird auf der Soßen-Verpackung als „mild-to- ben werden. Mal schauen, ob daraus was Hersteller, auch Mami und Papi mit einigen matig mit Apfelsüße“ auch angepriesen. Ap- wird... psychologischen Finessen mit ins Boot holen. feldicksaft besteht jedoch zu 60 bis 80 % aus Eltern dagegen werden (sollen) solche Bot- Zugkräftig sind da Werbebotschaften wie „die Zucker. Und die WHO definiert als zugesetz- schaften weiterhin ungefiltert empfangen. Es Extraportion Milch“ oder „mit wertvollen Vita- ten Zucker auch jenen, der aus Fruchtsaftkon- steht zu befürchten, dass auch in Zukunft vie- minen“. Schließlich wollen Eltern ihren Nach- zentraten gewonnen wird. le darauf reinfallen werden, gerade wenn das wuchs ja möglichst gesund ernähren... Ernährungswissenschaftler*innen und Kin- „angereicherte“ Produkt eine Förderung der Genau deshalb ist der Blick auf die Nährwert- derärztinnen und -ärzte stellen klar: Kinder Lernkonzentration o.ä. verspricht. angaben auf der Verpackung so wichtig. Sie benötigen keine besonderen Lebensmittel. Swaantje Düsenberg, Redaktion 12 KSA 3.2021
Foto: J. Göres Gemüse-Ackerdemie für Kinder „Am liebsten ernte ich“ Wir möchten, dass Kinder frisches regionales Gemüse ackerdemia.de sachsen und Bremen koordiniert die Arbeit mit den dortigen Schulen und Kitas. „Vor al- schätzen. Das lernen sie am besten, wenn sie den Kohl- lem müssen die Lehrkräfte und Kita-Fachkräf- kopf und das Möhrchen mit allen Sinnen selbst erfassen – te Lust auf so ein Projekt haben, das ist ent- durch Aussaat und Pflege, Ernte und Zubereitung. Schon scheidend. Gärtnerische Vorkenntnisse brau- chen sie dagegen nicht.“ Ziel bleibt immer, auf dem kleinsten Fleckchen Erde kann das gelingen. dass die Schulen und Kindertagesstätten den Am Rande der Lüneburger Heide liegt das ten können „GemüseKita“ werden, wenn sie Gemüseanbau nach der mindestens ein Jahr Städtchen Bergen. Hier findet in der Eugen- die Jüngsten an gesundes und nachhaltiges dauernden Betreuung durch Ackerdemia Naumann-Schule zweimal die Woche der Essen und Verantwortungsgefühl heranfüh- langfristig selbst fortführen. Sachunterricht der 4. Klasse draußen unter ren möchten. Im Moment kooperiert Acker- Was bringt das? 2018 hat Ackerdemia dazu El- freiem Himmel auf einem benachbarten demia deutschlandweit mit etwa 180 Ein- tern aus teilnehmenden Schulen befragt. Gut Acker statt. Das 10 x 14 Meter große Feld- richtungen der frühen Bildung. die Hälfte erzählte, dass sie durch den Gemü- stück hat ein freundlicher Landwirt der Schu- Ob Schule oder Kita, ob in Niedersachsen seanbau in der Schule angeregt wurden, sich le zur Verfügung gestellt. Bereits seit der oder Baden-Württemberg – die Ackerdemia- zu Hause im Garten oder auf dem Balkon zweiten Klasse lernen die Kinder dort den Mitarbeitenden der jeweiligen Region helfen selbst Nutzpflanzen zu halten. Und die Kinder Gemüseanbau ganz praktisch kennen. beim Aufspüren von Anbauflächen, nehmen waren dafür oft die treibende Kraft! Ebenfalls Die meisten sind mit großem Eifer dabei – sie in Augenschein und stellen auch das zum über die Hälfte spricht von gestiegener Wert- trotz matschigem Boden, nassen Pflanzen jeweiligen Boden passende Saatmaterial so- schätzung für Lebensmittel bei den Kindern: oder stachligem Unkraut. „Am liebsten ernte wie Jungpflanzen zur Verfügung. Dabei ist Sie achten jetzt darauf, dass nichts mehr weg- ich“, sagt Greta. Hauke nickt: „Ich auch, und Sortenvielfalt Trumpf, das senkt das Risiko ei- geworfen wird, oder fragen nach, ob einge- zwar Gurken. Die schmecken voll gut. Fen- ner Missernte. Es wird auch nicht gespritzt, kaufte Lebensmittel auch wirklich Bio-Quali- chel und Mangold kenne ich auch schon – sondern Schädlinge werden nur mit ökologi- tät haben. Lehrkräfte von teilnehmenden aber probiert hab` ich die noch nicht.“ In den schen Mitteln bekämpft. Schulen wiederum erleben, wie die gemein- Ferien kümmern sich Eltern und Kinder ge- Apropos Flächen: Nicht überall gibt es einen same Arbeit auf dem Acker den Zusammen- meinsam um das kleine Feld, auf dem auch netten Bauern wie in Bergen, der Kindern halt der Klasse fördert und die körperliche W W bunte Bete, Kartoffeln, Zucchini, Tomaten, ein Stückchen freies Feld für die praktische Kohlrabi, Lauch, Bohnen, Kresse, Salatköpfe, Ernährungsbildung spendiert – und in der Kürbisse, Mais, Radieschen, Brennnesseln Stadt schon gar nicht. Aber auch dort kann und Mohrrüben wachsen. es mit Hilfe von Ackerdemia gelingen, ein Die Eugen-Naumann-Schule ist einer von geeignetes Areal aufzutun. Auf dem eige- bundesweit rund 400 schulischen Lernorten, nen Gelände der Kita, der Schule, des Kin- die mit dem Verein Ackerdemia aus Potsdam derschutzbundes, beim Nachbarn nebenan zusammenarbeiten, also eine „Gemüse- oder auf einer ungenutzten Grünfläche in Ackerdemie“ für Kinder sind. Dabei erfahren der Nähe. „Sie würden staunen, wo die Kin- die Schüler*innen das ganze Schuljahr lang der überall Gemüse anbauen können. Sogar überwiegend durch eigene Praxis, wo Le- mitten in der Stadt“, verspricht Verena Rei- bensmittel herkommen, wieviel Arbeit im ninger vom Potsdamer Verein. „100 Quadrat- Gemüseanbau steckt und welche Bedeu- meter wären schon schön, es geht aber auch tung die Natur als Lebensgrundlage für den mit weniger Platz“, sagt Marlena Wache. Die Menschen hat. Aber auch Kindertagesstät- Ackerdemia-Regionalmanagerin für Nieder- iStockphoto/Pahis 13
Verausgabung auf dem Feld die Konzentra- tion für nachfolgenden Unterricht steigert. Darüber hinaus scheint es den Kindern leich- Überall MAMP Unterwegs zwischen gestern und heute ter zu fallen, wichtige Zusammenhänge zwi- schen Wetter, Wachstumszeiten und Frucht- iStockphoto/Juanmonino entwicklung zu erkennen – solches Wissen bleibt durch eigenes praktisches Handeln viel besser hängen als durch reine Theorie- vermittlung. Ackerdemie beschreibt den Bildungsansatz für die schulischen „AckerProjekte“ mit fol- genden Schlüsselbegriffen: mit Begeisterung lernen, Selbstwirksamkeit erfahren, in Zu- sammenhängen denken, Sozialkompetenz steigern und Zusammenhalt stärken, eigene Fähigkeiten entdecken, Verantwortungsbe- wusstsein entwickeln. Das alles würde Silke Hüttmann sofort unterschreiben. Die Sozial- pädagogin ist Fachbereichsleiterin der Schul- projekte im Kinderschutzbund Kreisverband Ostholstein und kann sich gut vorstellen, z.B. in den DKSB-Angeboten der Offenen Ganz- tagsschulen mit den Kindern Gemüse anzu- bauen. „Das ist Gesundheitsförderung im besten und mehrfachen Sinne!“, sagt sie und denkt auch an das wachsende Umweltbe- wusstsein im Kinde – und ebenso an den Ef- fekt der Gewaltprävention. Die Fachfrau ist überzeugt: „Wer selbst in der Erde schaufelt und Gemüse produziert, ernährt sich hinter- her besser, bekommt ein ganz neues Be- wusstsein für den eigenen Körper, erlebt, dass er etwas erreichen kann – und wird auch mit sich und anderen hinterher friedlicher umgehen.“ Auf der Straße, im Bus, an der Haltestelle oder auf der Park- Diese Erfahrungen machen auch die Acker- bank – heutzutage wird offensichtlich allerorts gegessen. Kitas, in denen das Entwickeln von gesunden Essen wir gar nicht mehr zuhause? Gemeinsam im Kreis und nachhaltigen Essgewohnheiten, Natur- verbundenheit, Bewegung und Motorik, Ver- unserer Lieben? Wo bitte ist unsere schöne Esskultur hin! antwortungsgefühl und sozialer Zusammen- Stefan Schwarck hat ihr zwischen den Zeiten nachgespürt. halt wichtige Bildungsziele sind. Dafür muss gewährleistet sein, dass eine teilnehmende Ganz ehrlich: Sooo dolle war das früher um Im Damals meiner Kindheit gab es indoor Kindergruppe sich ein Jahr lang mindestens unsere Esskultur auch nicht bestellt. Kennen bei uns an Schultagen Muttis Küche und nur alle zwei Wochen um den Gemüseanbau Sie das noch aus den 1970er Jahren? Im Kino an meinem Geburtstag exotische Ravioli. kümmert und dabei von zwei festen Betreu- preist ein Werbespot vor dem eigentlichen Das Esszimmer wurde ausschließlich sonn- ungskräften begleitet wird. Film ein lokales Restaurant an. Fröhliche Men- tags von der dann versammelten Familie ge- Bleibt die spannende Frage nach den Kosten schen verkünden: „Heute bleibt die Küche für die Kooperation mit Ackerdemia. Diese kalt – wir gehen in den Wienerwald!“ Dazu ei- richten sich einerseits nach der finanziellen ne glückliche Mehrgenerationenfamilie im Ausstattung der interessierten Bildungsein- damals typisch schrecklichen Frisuren- und richtungen – sowie auch danach, ob Ackerde- Bekleidungslook vor gebratenen Hühner- mia am jeweiligen Standort mit starken oder bergen. Mutti wischt dem Sohnemann, des- weniger starken Förderern aufwarten kann. sen Pullover mir erschreckend bekannt vor- Für Ortsverbände des Kinderschutzbundes kommt, übers fettige Schnütchen und lä- lohnt sich die Nachfrage beim Verein in der je- chelt selig, weil sie mal nicht kochen muss. weiligen Region in jedem Fall. Wenn alles gut Gut, dass es uns freisteht zu essen, wo es uns JLucaLorenzelli iStockphoto/ läuft, liegt ihr Eigenanteil bei einem über- gefällt. Nur: Wo gefällt es uns? Wo essen wir? schaubaren dreistelligen Betrag. Und was? Und mit wem? Joachim Göres, Journalist, Celle 14 KSA 3.2021
FENDE MÜNDER und Parks, auf dem Spielplatz oder nachmit- knappen Pausenzeiten, die Schüler*innen ‚‚ tags zwischendurch beim Shoppen – überall lieber zusammen außerhalb der Mensa ver- wird gekaut. Kein Wunder, dass Möbelhäuser bringen. Dann wird das Essen herunterge- kaum noch Esstische an Familien verkaufen, schlungen, weil jugendliche Zeit bekannter- wie ich kürzlich gehört habe. Na ja, heute maßen ein wertvolles Gut ist. Häufig liegt`s passt ja auch keiner mehr hinein in die winzi- auch weniger an der knappen Zeit als viel- gen Arbeitsküchen. mehr an den Speisen selbst sowie der Atmo- So’n Döner unterwegs Trotzdem wird in den eigenen vier Wänden sphäre in Schulmensen. So manche ergreifen ist echt cool und lecker. noch (oder wieder?) fleißig gekocht, das legt die Flucht vor unwirtlichen Räumen und ver- auch der große Markt an stylischen Küchen- kochten Spaghetti Bolo und holen sich lieber Jonni, 16 Jahre geräten nahe. Außerdem ist die Zahl der ge- `ne Tüte Chips oder ein Klatsch-Brötchen um nutzt. Outdoor in meiner Stadt versprachen teilten Rezepte im Internet gigantisch, und die Ecke. ein Steakhouse, der Wienerwald, zwei Pizze- mit Video-Tutorials hat schon so manch jun- Nachmittags gibt`s dann gern ein Stück Pizza rien, zwei jugoslawische Esstempel und ein ger Mensch den Löffel im Topf geschwungen. auf die Hand oder den stets beliebten Döner. Chinarestaurant höchste Gaumenfreuden. Überhaupt müssen immer mehr Erwachsene Den kriegen die Kids mittlerweile aus der Da ging man zur Abwechslung mal hin, aber die Küche mit dem heranwachsenden Nach- Pappbox mit Pommes statt Brot, damit sich selten. Geburtstage und Silberhochzeiten wuchs teilen, der gern mal was Neues aus- keiner beim Essen im Gehen bekleckert. Die waren noch gutbürgerlich von gemischtem probiert. Selber, versteht sich. Einige Famili- Auswahl an „Food to go“ ist überhaupt er- Braten mit Kartoffeln an Gemüse geprägt, en haben auf diesem Wege (und befeuert staunlich geworden: Heute lieber eine Ha- was wegen Oma meistens Erbsen mit Möhr- durch die Lockdowns?) Gefallen an vegetari- waiian Bowl oder einen Wrap oder doch lie- ‚‚ chen hieß. Revolutionärer Brokkoli ging gar schen oder veganen Alternativen zu Großva- ber Sushi? nicht, zumindest nicht in den 1970er Jahren ters „Da gehört Fleisch auf den Teller“ gefun- im relativ provinziellen Kiel. den. Nicht alle Eltern sind von selbst darauf Da war es eine willkommene Abwechslung, gekommen... mal Mitesser in Familien meiner Mitschüler* Natürlich wird auch viel allein gegessen – be- innen zu sein. Mein erstes Cevapcici bekam sonders wenn das Kind schon älter ist. Ken- ich bei Branka, deren Eltern aus Kroatien nen Sie den? Ein gut gefüllter Teller braucht Wenn ich mit Freundinnen stammten. Bei meinem Freund Klaus war es zwanzig Sekunden, um im Kinderzimmer zu mal shoppen gehe, muss ich trotz- dagegen nicht so vergnüglich, da durften verschwinden. Und es dauert zwei Wochen, dem pünktlich zum Essen zu Hause Kinder zu Hause während des Essens nicht bis er wieder auftaucht. Gechillt „snacken“ im sein. Das nervt! Jolina, 14 Jahre mal sprechen – außer wenn sie gefragt wur- Bett, auf dem Sofa oder Fußboden ist für Ju- Auch die Anziehungskraft der Fastfood-Ket- den. Ein wahrer Alptraum und selbst für da- gendliche heute selbstverständlich. Fehlen ten ist vor allem auf junge Menschen unge- malige Zeiten befremdlich! Essen war, ist und nur noch ein paar Freundinnen und der Bild- brochen, das Sortiment bietet inzwischen bleibt in meiner Familie laut und redselig. schirm, um das Zimmer meiner Tochter bei ei- auch Alternativen zur Fleischbulette mit oder „Eben typisch norddeutsch“, finden meine nem Video-Abend zu sein. Auch wenn die gu- ohne Käse. Über Geschmack, gesundheit- Tochter und ihre Freundinnen. ten alten VHS-Kassetten oder DVD mittler- lichen Wert und Preis-Leistungs-Verhältnis Irgendwann kamen Büfetts in Mode, was ich weile Netflix Platz gemacht haben – ich nen- lässt sich streiten. Fest steht: Ein von man- herrlich fand: Essen und Gespräche kamen in ne es immer noch „Video-Abend“. Und liebe chem Kind sehnlichst gewünschter Geburts- Bewegung! Heute wird offensichtlich nur ihn! Meine Tochter sagt dann: „Ich guck mit tag in einem der beliebten Burger-Schuppen noch mobil gegessen. Kaum mehr ein Ort, an den Mädels `n Film.“ Der Snack ist inklusive. geht richtig ins Geld. dem wir nicht munter mampfenden Men- „Snacken“ ist das Synonym für schnelles Es- Durch Corona hat sich mancherorts übrigens schen begegnen. Zu Fuß, radelnd oder im Au- sen zwischendurch. Ob daheim, in der Schule ein neuer Trend von „Essen to go“ entwickelt: to, auf dem Weg zur Schule oder Arbeit, in oder unterwegs. Einige Kinder ernähren sich Grüppchen junger Menschen laufen zu Fuß Bussen und Bahnen und Fußgängerzonen auch nur noch von Snacks, was je nach Be- durch den Drive-in und picknicken dann zu- schaffenheit der Gesundheit kaum zuträglich sammen auf dem Parkplatz! Es gibt wahrlich ist. Ein „Snack“ wird auch längst nicht immer schönere Orte zur Einnahme von Mahlzeiten von Zuhause mitgenommen, sondern oft in als der Beton vor MacDonald – aber das Ge- Adobe Stock/Tom Merton/Caia der Bäckerei um die Ecke, am Büdchen oder meinschaftserlebnis ist offensichtlich doch Schulkiosk geholt. noch nicht ausgestorben. Corona hat uns oh- Erschreckenderweise steigt in Deutschland nehin eine Renaissance des klassischen Pick- die Zahl der Kinder, die höchstens eine rich- nicks beschert: Parks, Grünflächen, Parkbän- tige Mahlzeit am Tag bekommen. Höchstens. ke, Spielplätze und Bordsteinkanten sind in Gut, dass immer mehr Schulen täglich ein unseren Städten zu Ess-Treffpunkten gewor- vollwertiges Essen anbieten (wenn nicht ge- den. Esskultur ist also doch noch nicht tot – rade Corona ist). Wobei wir „vollwertig“ diffe- sie ist nur in Bewegung. Und das muss nicht renzieren müssen: Manchmal steht das „voll“ immer schlecht sein. nämlich auch bloß für das Gedrängel in den Stefan Schwarck, freier Autor, Kiel 15
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