Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund

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Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
D I E Z E I T S C H R I F T D E S K I N D E R S C H U T Z B U N D E S  3 . Q UA R TA L 2 0 2 1 / H 8 7 6 3 F

                            KINDERSCHUTZ A K T U E L L

                                                                                        3.21

Essen zwischen
Lust und Frust:
     Schmeckt´s?
              Essen macht Spaß. Und trotzdem ist die Ernährung
                  von Kindern kein leichtes Sommerthema –
                     zumindest nicht aus der Perspektive
                            des Kinderschutzes.
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
Essen zwischen Lust und Frust: Schmeckt’s?
Als leichtes Sommerheft sollte diese KSA-Ausgabe Appetit machen auf Essen mit Spaß, viele Rezept-
tipps und tolle Projekte des DKSB. Das alles, zusammen mit gesammelten O-Tönen von Kindern, findet
sich im Heft. Aber im Thema Kinderernährung stecken eben nicht nur gute Laune, neue Food-Trends oder
kochlustige junge Leute. Vielmehr geht es auch um das Kinderrecht auf ein bestmögliches Aufwachsen
oder die Rolle von Armut im Hinblick auf gesunde Ernährung. Ebenso kommen auf den nächsten Seiten
manche Essgewohnheiten in Familien oder unterwegs auf den Tisch. Und auch zu Unsitten, Lebensmittel
zu verschwenden oder „anzureichern“, werden klare Worte gesprochen.

                                                                                                   Inhalt 3.2021

         7                                                                               KLIPP & KLAR
                                                                                         4    Kolumne, Leserbriefe, Kampagne

                                                                                         THEMA
                                                                                         6    Schmeckt‘s?
                                                                                              O-Töne: Was Kinder über Essen denken
                                                                                         7

                                                                         20
                                                                                              Darum kümmern wir uns
                                                                                              Kinderrechte: Warum gutes Essen dazugehört
                                                                                         9    Gesundheit macht Spaß
                                                                                              Praxis: Was der DKSB alles auf die Beine stellt
 Darum kümmern wir uns                                   Was tun?                        10   Heute wäre genug für alle da
  Kinder und Jugendliche brauchen ge- Die Wissenschaft weiß: Kinder und Jugend-               Geschichte: Ernährung bleibt ein Problem
  sunde Ernährung. Dafür engagiert sich     liche ernähren sich nicht wie empfohlen.     12   Mit dem gewissen „Extra“?
der Kinderschutzbund. Das ist kein Zufall: Die Zahl übergewichtiger junger Menschen           Kinderlebensmittel: Normalerweise überflüssig
 Seine Positionen und Angebote vor Ort wächst trotz allgemeinem Trend zu gesün-          13   „Am liebsten ernte ich“
 leiten sich direkt aus den Kinderrechten   derer Ernährung. In Spannung dazu steht           Gemüseanbau: Kinder säen und ernten selber
   ab – zum Beispiel aus dem Recht auf        das in sozialen Netzwerken vermittelte
                                                                                         14   Überall mampfende Münder
 bestmögliches Aufwachsen. Ab Seite 7            „ideale“ Körperbild. Ab Seite 20
                                                                                              Erfahrungen: Wie essen in Bewegung kam
                                                                                         16

                                                       28
                                                                                              Bitte keine Appetitverderber!
                                                                                              Familie: Was Kinder wollen, was Eltern besorgt
                                                                                         18   Wir haben es satt!
                                                                                              Jugend: Impulse für Nachhaltigkeit
                                                                                         19    „Kühe sind nicht lila“
                                                                                              Armut: Auch an der Tafel Deutschland sichtbar
                                                                                         20   Was tun?
                                                                                              Studien & Trends: Passen nicht zusammen
                                                                                         22   An die Töpfe, fertig, los!
                                                                                              Rezepte: Kleine Tipps zum Weiterlesen

                                                                                         KINDER IM BLICK
                                                                                         23 Verbandsentwicklung
                                                                                              Vielköpfige Expertise im DKSB Hessen
                                                                                         24   Die machen Sachen
                                                                                              Infos & Tipps aus der DKSB-Praxis
                                                                                         26   Mitgliederversammlung des DKSB
    Fachtagung: Recht auf gewaltfreie Erziehung 2021                                          Im Mai digital, im September in Präsenz
 Seit 21 Jahren gibt es in Deutschland das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Bürger-    27   Blauer Elefant®
 lichen Gesetzbuch. Der DKSB zog dazu auf einer digitalen Fachtagung das Resümee:             Seit 25 Jahren starke Hilfen unter einem Dach
Wir können uns trotzdem noch nicht zurücklehnen. Denn immer noch finden (zu) viele       28   Recht auf gewaltfreie Erziehung 2021
 Erwachsene Körperstrafen gegen Kinder in Ordnung, stellte Prof. Dr. Jörg Fegert fest.        Fachtagung mit vielen Erkenntnissen
   DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Sabine Andresen bewertete es wiederum „mehr als
                                                                                         30   Aktuelles aus dem Bundesverband
   kritisch“, dass Kinder und Jugendliche in der Corona-Krise von der Politik zu wenig
   gesehen werden. Nach den Vorträgen boten sechs Workshops Gelegenheit, unter-          31   Impressum
       schiedliche Aspekte von gewaltfreier Erziehung zu bearbeiten. Ab Seite 28
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
KLIPP &
              Kolumne                                                            KLAR
                    Liebe Leserinnen
                    und Leser,                                                 LeserBriefe                    Die Redaktion behält sich
                                                                                                              vor, Leserbriefe zu kürzen.

                     das Vorhaben, die Kinderrechte im Grundgesetz zu          Zu KSA 2.2021, Schwerpunktthema:
                     verankern, ist in dieser Legislaturperiode gescheitert.   „Kleine Menschen, großer Kummer – Hilfe hilft“
                     Nach Jahrzehnten intensiver Lobbyarbeit im politischen    Einfühlsam
                     Raum und kontinuierlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie
                     ungezählten Vorträgen ist das für mich persönlich eine    Mit Ihren ausgesuchten Beispielen haben Sie ge-
                                                                               zeigt, was der Kinderschutzbund immer fest im
                     besonders große Enttäuschung. Vor knapp 30 Jahren
                                                                               Blick hat: die Kinder! Gerade in schlimmen Krisen
                     hat Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention ratifi-
                                                                               brauchen sie jemanden, der nicht die Augen ver-
                     ziert und fast ebenso lange prüfen Bundesregierungen
                                                                               schließt oder in Mitleid versinkt, sondern der für
                     die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz. Dass
                                                                               sie da ist und sie mit Kompetenz und Einfühlungs-
                     dies nun ausgerechnet in der Pandemie gescheitert ist,    vermögen unterstützt. 
in der die Interessen der Kinder immer wieder hinten runtergefallen sind,      Sebastian Ronge, Düsseldorf
ist ein deprimierendes Signal für Kinder und Familien.
                                                                               Ich bin immer wieder beeindruckt, wie mutig sich
Hinter dem Streit steht ein Grundkonflikt: Konservative politische Kräfte      der Kinderschutzbund auch schwierigster Themen
sehen die Kinderrechte ausschließlich im Familienrecht und hier im Dreieck     annimmt. Besonders bewegt haben mich die Be-
„Eltern – Kind – Staat“. Kinder werden nur über ihre Eltern wahrgenommen,      richte über Kinder psychisch kranker Eltern sowie
oft gar als deren „Eigentum“ betrachtet. Dagegen steht das Bild, dass Kinder   über trauernde Kinder und Jugendliche. Man spürt
eigene Würde und eigene Rechte besitzen. Dies hat das Bundesverfas-            in jeder Zeile, wie empathisch Sie mit solchen
sungsgericht in zwei zentralen Entscheidungen unterstrichen und dabei          Problematiken umgehen. 
festgestellt: Das Elternrecht ist ein dienendes Recht. Es dient dem Kindes-    Jessica Vornkahl, Hildesheim
wohl. Hinter dieser Rechtsprechung darf eine ausdrückliche Festschreibung
der Kinderrechte im Grundgesetz keinesfalls zurückbleiben. Deshalb ist es      Zu KSA 2.2021, klipp & klar: „Das macht wütend!“
gut, dass der Vorschlag, den die Regierung am Ende in den Bundestag            Irreführend
eingebrachte, nicht Gesetz geworden ist.
                                                                               Sie behaupten, die „Kinderärztliche Praxis“ lege
Oft wird dem Vorhaben, Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich fest-          ihren Lesern nahe, Kinder ggf. frühzeitig mit
zuschreiben, entgegengehalten, Kindern stünden die Menschenrechte nach         Wachstumshormon zu behandeln, um deren spä-
dem Text des Grundgesetzes ja schon zu. Kinder sind aber keine kleinen         tere Verdienstmöglichkeiten zu optimieren. Diese
Erwachsenen, sondern brauchen besondere Schutz- und Förderrechte sowie         Meldung ist irreführend. In der Pressemitteilung der
das Recht auf eine kindgerechte Beteiligung. In der Abwägung zu anderen        Fa. Hexal in der „Kinderärztlichen Praxis“ (Heft 2, S.
Grundrechten muss das Kindeswohl einen besonderen, ja oft vorrangigen          138) wird auf die vielfältigen psychosozialen Konse-
Stellenwert erhalten. Kinder müssen nicht nur gehört werden, sondern           quenzen des Kleinwuchses noch im Erwachsenen-
ihre Meinung und ihr Wille sind entsprechend ihres Alters und ihrer Reife      alter aufmerksam gemacht, diese sind unbestreitbar
auch zu berücksichtigen. Von Kinderrechten im Grundgesetz, die diesen          und durch vielfältige Studien belegt. Ferner lässt
Grundsätzen folgen, würden Kinder und Eltern gemeinsam profitieren.            Ihre Meldung außer Acht, welche Kriterien für die
                                                                               Indikation einer Wachstumshormontherapie bei
In den kommenden Jahren müssen wir weiter daran arbeiten, die gesamte          Kleinwuchs im Kindesalter in Deutschland gelten.
Gesellschaft von diesen Grundsätzen zu überzeugen. Dass das möglich ist,       Nur bei wenigen Prozent kleinwüchsiger Kinder ist
haben zwei Bundesländer bewiesen: Hessen hat nach überragendem Er-             eine Wachstumshormontherapie möglich. Die
gebnis einer Volksabstimmung die Kinderrechte entsprechend formuliert.         diagnostische Abklärung des Kleinwuchses (wie
Und erst kürzlich hat Bremen gezeigt, dass echte Kinderrechte in der Lan-      auch ggf. die Wachstumshormontherapie) wird von
desverfassung einstimmig beschlossen werden können. Mit dem Zusatz             einem pädiatrischen Endokrinologen leitlinienge-
in Artikel 25 Absatz 1 der bremischen Landesverfassung wurde außer-            recht durchgeführt. Nie kann für ihn eine „Optimie-
dem ein Staatsziel formuliert: „Eltern, soziale Gemeinschaft und staatliche    rung“ des Kindes hinsichtlich seiner späteren Ver-
Organisation haben die besondere Verantwortung, gemeinsam allen                dienstmöglichkeiten ein Kriterium für die Indikati-
Kindern gerechte Lebenschancen und Teilhabe entsprechend ihren Talenten        onsstellung zur Wachstumshormontherapie dar-
und Neigungen zu ermöglichen.“ Das ist zugleich ein Auftrag, Kinderarmut       stellen, dies würde von den Krankenkassen als
und ihre gravierenden Folgen zu beseitigen. Es macht uns Mut, weiter für       Kostenträger der Wachstumshormontherapie eine
                                                                               Regressforderung nach sich ziehen. 
die Kinderrechte, auch im Grundgesetz, zu kämpfen.
                                                                               Prof. Dr. K. Brockmann, Prof. Dr. M. Knuf,
Ihr Heinz Hilgers                                                              Prof. Dr. R. von Kries (für die Redaktion
Präsident                                                                      „Kinderärztliche Praxis“), Mainz

4 KSA 3.2021
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
DKSBKampagne gegen Kinderarmut

 Ganz nach oben
 auf die Agenda!
„Kinder haben Armut nicht                                WELCHE LÖSUNGEN
                                                       SCHLÄGT DER DKSB VOR?
gewählt“ – unter dieses Motto
                                                Wichtig ist eine Haltungsänderung gegen-
hat der Kinderschutzbund seine                  über Menschen, die in Armut leben. Wir
aktuelle Kampagne gestellt.                     Kinderschützer*innen im DKSB bringen
Dabei steht die Einführung einer                allen Eltern eine Haltung von Vertrauen,
                                                Wertschätzung und Unterstützung in Not-
Kindergrundsicherung genauso
                                                situationen entgegen. Diese Haltung muss
in seinem Forderungskatalog                     auch für politische Maßnahmen handlungs-
wie ein Investitionspaket                       leitend sein.
„Kinder-Infrastruktur“.                         Wir fordern die Bündelung aller kindbe-
                                                zogenen Leistungen in eine Kindergrund-
Jana Liebert, Fachreferentin für soziale        sicherung. Sie geht vom Kind aus, ist in der
Sicherung im DKSB Bundesverband,                Höhe ausreichend und erreicht die Kinder
erläutert hier an vier Fragen, worum es         direkt und automatisch. Daneben muss
dem Verband geht.                               aber auch ein Investitionspaket „Kinder-
                                                Infrastruktur“ stehen, mit dem Angebote
WARUM DAS THEMA KINDERARMUT?                    Kinder und Jugendliche in ihrem direkten
Deutschland ist kein armes Land. Und            Lebensumfeld stärken.
trotzdem lebt hier mehr als jedes 5. Kind in
Armut. Obwohl dieser Befund seit langem                  WARUM GERADE JETZT
bekannt ist, hat sich viel zu wenig getan.                 DIE KAMPAGNE?
Gerade in der Corona-Pandemie zeigte sich       Im September wird eine neue Bundesregie-
wie unter einem Brennglas, was Kinder-          rung gewählt. Die Parteien diskutieren jetzt
armut im Alltag u.a. bedeutet:                  über Themen, für die sie sich in der neuen
M Das Lernen zuhause war deutlich               Legislaturperiode einsetzen wollen. Unser
   schwieriger oder sogar völlig unmöglich,     Ziel: Das Thema Kinderarmut muss ganz
   weil kein digitales Gerät und kein ruhiger   nach oben auf die Agenda, damit eine künf-
                                                                                                      iStockphoto/VYCHEGZHANINA
   Arbeitsplatz vorhanden waren.                tige Bundesregierung der Bekämpfung der
M Die existenziellen finanziellen Sorgen         Kinderarmut Priorität einräumt.                  M Organisieren Sie vor Ort Veranstaltungen
   wurden in vielen Familien noch größer,                                                           mit Kandidierenden, führen Sie Presse-
   weil das vorher kostenfreie Mittagessen              UND WIE SOLL DAS                            gespräche und sorgen Sie auf Social-
   in Kita oder Schule wegfiel und gleich-           KONKRET ERREICHT WERDEN?                        Media-Kanälen für Aufmerksamkeit.
   zeitig die Lebensmittelpreise anstiegen.     Um das Thema Kinderarmut hoch auf die            M Stellen Sie Ihr Kinder- und Familienfest
M Schnelle Unterstützung durch die Politik,     Agenda zu bekommen, müssen wir sie mit              zum Weltkindertag unter das Motto
   wie z.B. die unbürokratische Aufstockung     unserer Lobbyarbeit sichtbar machen!                „Kinder haben Armut nicht gewählt“.
   von Sozialleistungen, blieb aus.             In der Politik, in der Gesellschaft, auf allen      Laden Sie auch dazu Kandidierende
Kinderarmut bedeutet weniger Chancen auf        Ebenen.                                             und Presse ein und veranstalten Sie
eine gute Zukunft. Fair ist das nicht, denn:    Jeder kann etwas dazu beitragen!                    Mitmachaktionen mit den Kindern und
Kinder haben Armut nicht gewählt. Des-          M Schreiben Sie einen Brief an die                  Jugendlichen vor Ort.
halb engagieren wir uns mit all unserer Kraft      jeweiligen Kandidierenden aus Ihrem           Jede und jeder einzelne von uns kann seine
für die Beseitigung der Kinderarmut. Aktuell       Wahlkreis. Stellen Sie die richtigen          eigenen kreativen Ideen einbringen, um das
werden wir das Thema rund um die Bundes-           Fragen bei Bürgerveranstaltungen.             Thema Kinderarmut überall stark ins Be-
tagswahl und den Weltkindertag 2021 auf            Und machen Sie ihr Kreuz am Wahltag           wusstsein zu rücken. Kinder verdienen ein
die Agenda setzen und für grundlegende             bei Personen und Parteien, die sich           gutes, sicheres Aufwachsen. Wir als Kinder-
Reformen werben.                                   ehrlich gegen Kinderarmut einsetzen.          schutzbund setzen uns dafür ein! 

                                                                                                                                         5
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
Essen zwischen Lust und Frust

                                                      Schmeckt´s?
                             TITEL-
                            THEMA
Illustrationen: iStockphoto/asantosg

                                             Papa, ich bin der Bestimmer.
                                              Und ich esse kein Gemüse.
                                               Und kein Obst.
                                                 Außer Bananen.
                                                      Ole, 5 Jahre                                   Wenn ich mit Mama koche,
                                                                                                  schnibbel ich am liebsten Möhren
                                                                                                    oder Pilze. Das kann ich schon
                                                                                                  richtig gut! Ich weiß auch, wo auf
                                                                                                   dem Tisch die Gabel hinkommt:
                                                                                                     neben den Teller. Jolina, 5 Jahre

                                       Bei Oma darf ich immer mit ihr zusammen
                                        kochen. Letztes Mal haben wir Brokkoli-
                                            Bäumchen gemacht. Marlon, 7 Jahre
                                                                              Am Wochenende wollen meine Eltern
                                                                                 faul sein, da wird nicht gekocht.
                                                                             Dann bestellen wir uns Pizza oder holen
                                                                               was vom Vietnamesen. Manchmal
                                                                              schauen wir uns beim Essen dann mit
                                                                                der ganzen Familie einen Film an.
                                                                              Ich finde das gemütlich. Sarah, 15 Jahre
                                                Diese Erbsen sehen
                                                  anders aus, die                                     Ich möchte mich jetzt
                                                  mag ich nicht.                                      vegetarisch ernähren.
                                                        Sandro, 4 Jahre                             Aber meine Eltern nehmen
                                                                                                      das nicht richtig ernst.
                                                                                                               Tabea, 12 Jahre

                                           Meine große Schwester ist
                                           vegan. Ich bin vegetarisch.                             Von Nudeln mit roter Soße
                                          Mein Vater ist Fleischfresser                               suche ich immer die
                                          und meine Mutter und unser                                Tomatenstückchen raus.
                                            Baby essen alles. Mia, 9 Jahre                            Die sind voll ekelig.
                                                                                                              Amira, 7 Jahre

                                       6 KSA 3.2021
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
Kinderrechte & Ernährung

    Darum kümmern wir uns
Jeder Mensch isst.
Aber was und wieviel er zu
sich nimmt, hat Einfluss auf
seine Gesundheit und bei
Kindern auch auf ihre Ent-

                                                  iStockphoto/taonga
wicklung. Deshalb kommt
der Kinderschutzbund am
Thema Ernährung nicht
vorbei. Die Grundlage dafür
legen die Kinderrechte.
Wenn wir Google fragen, ist „Gesunde Ernäh-
rung für Kinder“ eines der wichtigsten The-
men überhaupt: 27 Millionen Fundstellen in
der Suchmaschine entsprechen dieser deut-
schen Wortkombination. In einer der wohlha-
bendsten, potenziell bestinformierten Gesell-
schaften dieses Planeten suchen jede Menge
Menschen online nach Antworten auf die Fra-
ge, wie sie ihren Kindern gutes Essen servie-    den Eltern und Kindern, Grundkenntnisse

                                                                                                    ‚‚
ren können. Diese Unsicherheit könnte mit        über die Gesundheit und Ernährung des Kin-
den Nachrichten über die Ernährungslage          des“ vermitteln und sie bei der Anwendung
von Kindern in Deutschland zusammenhän-          dieses Wissens unterstützen.
gen: Leider essen längst nicht alle gesund –     Das Ergebnis des staatlichen Handelns lässt
und die Lage ist in den Lockdown-Monaten         in Deutschland noch viel Luft nach oben. Er-
noch schlechter geworden.                        nährungswissenschaftler*innen von der Uni-              Früher hab ich auch
                                                 versität München fanden heraus: Kinder es-
  GUTES ESSEN, SAUBERES WASSER                   sen und trinken zu viel Süßes, und sie bewe-       Wurst gegessen. Da wusste
Zum Glück sind viele Familien nicht auf „Dr.     gen sich zu wenig. Übergewicht und Fehler-         ich noch nicht, dass die aus
Google“ angewiesen, sondern können sich          nährung folgen auf dem Fuße. Das war schon           toten Tieren gemacht ist.
auf den Kinderschutzbund verlassen: Von der      vor Corona so und hat sich durch die Lock-
                                                                                                                  Paul, 10 Jahre
„Kinderküche auf Tour“ durch Schleswig-Hol-      downs noch verschlimmert. Mittlerweile ist
stein bis „Alpens kleine Köche“ in NRW teilen    jedes sechste Kind in Deutschland überge-          stand Gesundheit weit über die Abwesenheit
zahllose Kinderschützer*innen Wissen, Pra-       wichtig und entwickelt oft schon früh ge-          von Krankheit und Gebrechen hinaus bis hin
xis und Freude an gesunder Ernährung mit         sundheitliche Probleme wie Herz-Kreislaufer-       zum Einfluss des Klimawandels auf die ge-
Kindern und Eltern. Damit bewegen sich die       krankungen, Gelenkprobleme oder Depres-            sunde Entwicklung der Kinder. Damit bein-
Landes-, Kreis- und Ortsverbände des DKSB        sionen. Bei den 11- bis 13-Jährigen betrifft        haltet ihr Recht auf das erreichbare Höchst-
auf einer Linie mit zentralen Forderungen        das sogar schon 20 Prozent – und genau die-        maß an Gesundheit auch das Recht, gut auf-
der Kinderrechtskonvention. Die Vereinten        se Altersgruppe hat auch im Lockdown am            zuwachsen und die eigenen Fähigkeiten zu
Nationen verpflichten ihre Mitgliedsländer        stärksten zugelegt.                                entfalten – also das Recht auf die grundlegen-
gleich an mehreren Stellen der Charta dazu,                                                         den Faktoren von Gesundheit, zu denen u.a.
Kindern gutes Essen und sauberes Wasser zu                             NEUER BLICK AUF GESUNDHEIT   gesunde Ernährung gehört. Deshalb hat der
sichern. Dass wir uns in Deutschland ange-       Als die Kinderrechtskonvention vor mehr als        Ausschuss sich auch der Frage gewidmet, wie
sichts dieser Passagen nicht zufrieden zurück-   30 Jahren geschrieben wurde, stand nicht           neben dem Nahrungsmangel auch Probleme
lehnen können, hat seinen Grund: Hunger ist      Übergewicht, sondern bittere Not im Fokus:         durch Fehl- und Überernährung verhindert
hierzulande zwar nicht weit verbreitet – aber    Hunger und Durst. Vor acht Jahren nahm sich        werden können.
Fehl- und Mangelernährung sind durchaus          dann der UN-Kinderrechtsausschuss des The-         Der Ausschuss legt den Staaten u.a. die Pflicht
ein Massenphänomen.                              mas Gesundheit an und ergänzte den Blick           auf, Fettleibigkeit zu bekämpfen, weil sie viele
Weil dabei auch Wissen eine Rolle spielt,        auf die Ernährung von Kindern um diesen As-        Krankheiten auslösen und die Lebenserwar-
greift ein zusätzlicher Passus aus Artikel 24    pekt. In seiner Allgemeinen Bemerkung Nr.          tung verkürzen kann. Zudem werden aus kor-
der Kinderrechte. Danach sollen die Staaten      15 vom April 2013 offenbarte das Gremium            pulenten Kindern häufig zu dicke Erwachse-
„allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere     seine ganzheitliche Betrachtungsweise, ver-        ne. Als Ursache ist im Papier herausragend W     W
                                                                                                                                             7
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
Frische Möhren schälen und – KNACK – pro-
iStockphoto/dcdp

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                                                                                                                     aus dem Beutel, sondern als ganze Knolle aus
                                                                                                                     der Erde holen. Die Geschmacksvielfalt von
                                                                                                                     Äpfeln gegen die Tetrapak-Monotonie setzen
                                                                                                                     und über Zwiebelchen Tränen vergießen. Es
                                                                                                                     geht um die Lust, Neues zu probieren, um
                                                                                                                     Vor- und Zubereitung und um ursprüngliche
                                                                                                                     Geschmackserlebnisse.

                                                                                                                               POSITION BEZIEHEN
                                                                                                                     Aber es geht auch um den größeren Rahmen:
                                                                                                                     Der Kinderrechteausschuss richtet die Auf-
                                                                                                                     merksamkeit der Regierungen auf die Bedeu-
                                                                                                                     tung der Umwelt für ein gesundes Aufwach-
                   „fast food“ mit seinem problematischen Drei-     Damit ist ein wichtiges Betätigungsfeld für      sen und empfiehlt, das Recht der Kinder auf
                   gestirn genannt: ungesunde Fette, zuviel Salz,   uns Kinderschützer*innen definiert: Familien      Gesundheit in den Mittelpunkt der Bemü-
                   zuviel Zucker. Daher sollen Staaten Fast Food    über gesunde Ernährung aufklären, Eltern         hungen gegen den Klimawandel zu rücken.

                   ‚‚
                   begrenzen, das Marketing für solche Produk-      und Kindern beibringen, woraus gutes Essen       Das ermutigt den DKSB beim Thema Ernäh-
                   te vor allem dann regulieren, wenn es sich an    besteht – und was kein gutes Essen ist. Der      rung auch, auf der Grundlage der Kinderrech-
                   Kinder wendet, sowie das Angebot in Schu-        Kinderrechteausschuss nennt als schlechte        te zu Fragen nach Massentierhaltung und
                   len kontrollieren.                               Beispiele u.a.: Essen mit hoher Energiedichte,   Fleischkonsum, dem Einsatz von Chemie in
                                                                    Lebensmittel mit einem zu geringen Anteil        der Landwirtschaft, der industriellen Herstel-
                                                                    hochwertiger Nährstoffe und Spurenelemen-         lung und den langen Transportwegen vieler
                      Ich esse kein Obst,                           te sowie Getränke mit potenziell schädlichen     Nahrungsmittel Position zu beziehen. Immer
                    außer Ananas auf Pizza!                         Inhalten, zum Beispiel Koffein.                   dann, wenn Praktiken die Umwelt, also den
                                  Emma, 6 Jahre                     Unser Verband hat sich in diesem Sinne längst    Lebensraum von Kindern und Kindeskindern,
                                                                    auf den Weg gemacht, wie die vielen Angebo-      beeinträchtigen, sagen uns die Kinderrechte
                                                                    te der DKSB-Praxis belegen. Unterm Strich        eindeutig: Das darf nicht sein! Solche Be-
                                                                    knapp zusammengefasst geht es dabei um           trachtungen einer Generationenfolge im Sin-
                                                                    gesunde Nahrungsmittel aus der Region,           ne von „wir haben die Erde von unseren Kin-
                                                                    möglichst nicht industriell verarbeitet, son-    dern nur geborgt“ stehen auch hinter dem
                   Überhaupt weist der Kinderrechtsausschuss        dern selbst frisch auf den Tisch gebracht, am    Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das
                   den Schulen in der Ernährung eine Schlüssel-     besten sogar aus dem eigenen Beet. Kinder        will Entscheidungen der Gegenwart nach ih-
                   rolle zu. Sie sollen zumindest einmal täglich    sollen Obst, Gemüse und Getreide mit allen       ren Auswirkungen auf das Leben der nachfol-

                                                                                                    ‚‚
                   Kindern eine komplette gesunde Mahlzeit          Sinnen im Urzustand kennenlernen – und           genden Generationen bewertet wissen. Da-
                   bieten. Dass dies nicht nur in armen Ländern     nicht erst dann, wenn es von Maschinen bis       mit ragt auch das Recht auf gesunde Ernäh-
                   mit unsicherer Versorgungslage bedeutsam         zur Unkenntlichkeit gehäckselt, auf Pizzateige   rung weit über die nächste Mahlzeit hinaus. 
                   ist, war während der Pandemie auch in            geklatscht oder in Paniermehl erstickt wurde.    Joachim Türk, Redaktion
                   Deutschland zu spüren: Was geschieht mit
                   Kindern, die ihr einziges vollständiges Essen
                                                                                                        Wenn Mama nicht da ist, holen Papa
                   am Tag in der Schule bekommen – aber diese
                   geschlossen ist?
                                                                                                   und ich immer Currywurst und Pommes und
                   Dem Kinderrechteausschuss geht es jedoch                                         machen einen Männerabend. Fabio, 9 Jahre
                   nicht nur um die Mahlzeiten, denn Schule soll
                   noch mehr auftischen: z. B. Informationen
                                                                                                                                                                      iStockphoto/Onfokus

                   über Essen und Gesundheit in den Mensen
                   sowie die Einrichtung von Schulgärten. Zu-
                   dem sollen Lehrkräfte in die Lage versetzt
                   werden, die Essensgewohnheiten von Kin-
                   dern zu verbessern. Die Lehrkräfte nimmt der
                   Ausschuss neben den Eltern am stärksten in
                   die Pflicht, wenn es um gesunde Ernährung
                   für Kinder geht. Aber auch Kinderrechteorga-
                   nisationen sind bei der Gewährleistung und
                   Kontrolle gefragt – und sollten nach Willen
                   des Ausschusses dafür von der Öffentlichen
                   Hand mit den nötigen Ressourcen ausgestat-
                   tet werden.

                   8 KSA 3.2021
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
Gesundheit macht Spaß!
Gesund essen ist kinderleicht und lecker, macht Spaß und muss nicht teuer sein.
Diese Erfahrung vermitteln viele Orts-, Kreis- und Landesverbände seit Jahren an
Kinder und Erwachsene. Dabei beweist der DKSB eine Kreativität wie ein Sternekoch –
serviert häufig als Vorspeise Bewegung und als Dessert Entspannung dazu.
Zwischen diesen Gängen steckt Gesundheit, die schmeckt.
Hier einige Beispiele von der langen Ange-                                    Blick in die DKSB-Praxis
botsliste des DKSB: Ein Bestseller auf der Spei-
sekarte ist „GELKI! Gesund leben mit Kindern
– Eltern machen mit“. Entwickelt und weit ver-
breitet vom LV Nordrhein-Westfalen, bringt

                                                                                                                                                      Foto: LV Schleswig-Holstein
der Kurs Eltern von Vor- und Grundschulkin-
dern einen gesunden Alltag in Theorie und
Praxis nahe – von schmackhaften Rezepten
über Bewegungsspiele bis hin zu Entspan-
nungsübungen.
Dieser gesunde Dreiklang steht auch bei vie-
len Vortragsangeboten obenan und wird be-
reits in Stillgruppen thematisiert. Ebenso er-
klingt er bei den Essensangeboten in DKSB-
eigenen Kitas und Kinderhäusern. Dort gibt
es nicht nur Rohkost und Obst vom Büffet,
sondern die pädagogische Begleitung gleich
dazu – wie u.a. in den Ortsverbänden Lü-              „Kinderküche auf Tour“, LV Schleswig-Holstein
beck, Gifhorn, Burgdorf, Uelzen, Viersen,
Langelsheim und Schwerin. Die „Kita Wirbel-        Schwimmbad. Im OV Celle bringen die Kin-           gesundes Essen einhergeht mit guter Laune
wind“ des OV Euskirchen ist sogar mit dem          der hingegen selbst ihre Ideen zu Papier und       und gutem Appetit, erleben Kinder beim
Schwerpunkt „Pluspunkt Ernährung“ zertifi-          nehmen an einer Plakataktion teil. Und der OV      OV Willich in den Kochkursen „Gesund und
ziert. Hier wird nicht nur gekocht, sondern        Aachen macht Appetit auf „YamYam“. Dieses          lecker“.
auch Nachhaltigkeit, Ökologie und Mülltren-        „Breikochbuch für Familien“ ist top!               Und woher kommt das gute Essen? Beim Kin-
nung gepflegt. Und manchmal, wie etwa               Kinder-Koch-Kurse? Einfach Klasse! Alle diese      derhaus des OV Bad Segeberg aus dem eige-
vom KV Bamberg, bringen Gliederungen ein           leicht verdaulichen Bildungsangebote auf-          nen Hochbeet. Hier säen, pflanzen und ern-
gesundes Frühstück auch in die Schule.             zulisten, würde jedoch den Rahmen des Hef-         ten die Kinder Kräuter und Gemüse, und an-
Im LV Schleswig-Holstein fährt gleich eine         tes sprengen. Deshalb hier nur einige Appe-        schließend wird alles verputzt. Mit Gemüse-
ganze „Kinderküche auf Tour“ in Einrichtun-        titanreger: Der OV Mönchengladbach berät           anbau befassen sich auch Kinder psychisch
gen, vollgepackt mit frischen Zutaten und          und kocht – kinderleicht. Im OV Alpen (NRW)        kranker Eltern beim OV Bielefeld im Faba-Na-
begleitet von Fachkräften, mit denen gesun-        sind „Alpens kleine Köche“ schon Tradition –       turprojekt. Und der OV Lübeck lässt die Kin-
des Essen zubereitet wird. Vor Ort ist dafür nur   ein Angebot für Zehn- bis Zwölfjährige. An         der im Garten seiner Forscher-Kita den Ur-
eine Küche nötig. Hoffentlich rollt dieses tolle    fünf Terminen im Abstand von vier Wochen           sprung von Obst und Gemüse entdecken.
Angebot bald wieder an.                            wird jahreszeitlich oder festlich gekocht:         Das Thema Ernährung ist häufig eingebettet
Etliche Ortsverbände ergänzen ihre Angebo-         Picknick, Pizza, Pasta, Party. Alles zusammen      in Programme und Projekte – wie im OV Aa-
te zur Ernährung auch mit Printprodukten.          angerichtet mit Fachkräften aus Küche und          chen, wo das Präventionsprogramm AGIL
Der OV Wetter z.B. hat schon ein Kochbuch,         Pädagogik.                                         nun in die Region aufbricht, Hand in Hand mit
einen Kalender und einen Bio-Einkaufsführer        Früh übt sich ..., denkt sich der OV Essen und     einer Praxis für Ernährungstherapie. Oder im
herausgebracht und fokussiert sich aktuell         hat unter dem Titel „Löffeln, kleckern, schme-      OV Halle, der in seinem KIETZ-Projekt in vier
auf „Fingerfood, gerollt, gestapelt und aufge-     cken“ Infos über und Zubereitung von Mahl-         Kitas „Gesunde Ernährung“ und „Mehr Spaß
spießt“. Das wohl bekannteste Druckerzeug-         zeiten im ersten Lebensjahr angeboten. Der         an Bewegung“ verbindet. Im Modul „Gesun-
nis in Sachen Ernährung und Kinder ist das         OV St. Augustin wendet sich an Kinder und          de Ernährung“ schulen die Kinder zum Bei-
Heft „AGI findet Freunde“ aus dem Verlag            Jugendliche und richtet deren Neugier auf          spiel ihren Geschmacks- und Geruchssinn,
Kinder & Lernen, das in Zusammenarbeit mit         das Essen: Der Kurs „Ich entdecke Neues und        lernen frische regionale Produkte kennen
vielen Ortsverbänden und Gesundheitsäm-            probiere es aus“ kocht, kauft ein und tischt In-   und bereiten sie zu. Und gegessen wird auch
tern erscheint. AGI geht mit Kindern einkau-       formationen altersgerecht auf. Der OV Rends-       – denn nie schmeckt es besser als in großer
fen, ermuntert sie zu riechen, schmecken,          burg geht die Sache in Kitas und Grundschu-        Runde nach gemeinsamem Kochspaß. 
mixen und kochen und geht mit ihnen (und           len spielerisch an – und am Ende bekommen          Joachim Türk, Redaktion
ihren Freunden) auf den Spielplatz und ins         die Kids einen „Ernährungsführerschein“. Dass

                                                                                                                                                9
Schmeckt s? - Deutscher Kinderschutzbund
iStockphoto/BravissimoS

                                       Kleine „Ess-Geschichte“

                          Heute wäre
                           genug für alle da
                              Der anatomisch moderne Mensch ist im Prinzip ein                                                 Vorhandene geteilt wurde. Und wahrschein-
                                                                                                                               lich nahm sich der Chef die größten Fleisch-
                            „Allesfresser“. Ob er jedoch zu jeder Zeit alles isst bzw.                                         brocken, schließlich musste er am nächsten
                            Zugang zu allem hat, was er braucht, hing schon immer                                              Tag wieder auf kräftezehrende Jagd gehen.
                             von vielen Faktoren ab. Das zeigt auch ein kleiner Ritt                                           Wie lange sich solche Gewohnheiten doch
                                                                                                                               gehalten haben…
                                          durch die „Ess-Geschichte“.                                                          Erst nach der sogenannten landwirtschaftli-
                          Essen hält nicht nur Leib und Seele zusam-                                                           chen Revolution (um 10.000 v. Chr.), die sich
                          men, sondern ganze Stämme. Die kollektive                                                            über viele hundert Jahre hinzog, wurde der

                                                                             ‚‚
                          Essensbeschaffung war das Bindeglied der                                                              Speiseplan der Ackerbauern und Viehzüchter
                          ersten menschlichen Gesellschaften: Nur ge-                                                          durch Hülsenfrüchte, Getreide und Milchvieh
                          meinsam ließ sich ein Mammut in die Falle                                                            unseren heutigen Essgewohnheiten ähnli-
                          locken und zerlegen. Nur gemeinsam konnte                                                            cher. Dass sich mit dieser Art der Ernährung
                          man genug Vorräte für den Winter sammeln.                                                            ein hohes Maß an Organisation, Handelsbe-
                          Und nur wenn es auch für den Nachwuchs                Essen ist toll! Besonders                      ziehungen und Wissensaustausch entwickel-
                          reichte, war der Fortbestand der Sippe gesi-                                                         te, erfahren wir u.a. aus einem uralten Bestsel-
                          chert.
                                                                             wenn wir vorher mit unserer                       ler, der Bibel. Viele Texte im Alten Testament
                          Alle neugeborenen Säugetiere sind auf die Er-      Clique zusammen gekocht                           beschäftigen sich ausgiebig mit Bodenbear-
                          nährung durch die Mutter angewiesen. Aber            haben. Wir machen oft                           beitung und dokumentieren Viehbestände,
                          beim Menschen dauert es nach der Stillzeit           Küchenparty, wenn wir                           Ernteabläufe und Warenaustausch.
                          noch sehr lange, bis er in der Lage ist, sich                                                        „Satt werden“ wollten die Menschen im Laufe
                          selbst sein Frühstück zusammenzusammeln,
                                                                                allein sind! Emily, 17 Jahre                   der Zeit auch im metaphysischen Sinne. Viele
                          sein Abendessen zu erjagen. Das Durchfüt-         Es ist unwahrscheinlich, dass es uns Heute-        Rituale der großen Weltreligionen haben Ess-
                          tern der Kleinen ist seit Urzeiten das zentrale   Menschen am Lagerfeuer bei Neandertalers           gewohnheiten und Speisevorschriften zum
                          Merkmal elterlicher Fürsorge und die Basis        geschmeckt hätte. Dort gab`s jede Menge            Thema, die im Kern oft der Gesundheit dien-
                          für alle späteren Ansätze und Ideen von Auf-      Fleisch, hauptsächlich wohl nicht immer gut        ten, etwa das Verbot von Schweinefleisch im
                          zucht und Erziehung. Gelingt es nicht, so         durchgebrate oder gar gewürzte große Säu-          heißen Mittelmeer-Klima, wo sich Trichinen
                          droht der Untergang. Vielleicht ist das die ar-   getiere; ein paar Wurzeln und Schlehen statt       schnell vermehren. Und welche Taten Jesu
                          chaische Wurzel der geradezu existenziellen       Obst und Gemüse – also alles auch nicht ge-        sind fast jedem noch so ungläubigen Schul-
                          Angst, die manche Eltern heute noch befällt,      rade „gesund“, oder? Gegessen wurde aller-         kind im Kopf geblieben? Natürlich die wun-
                          wenn ihr Kind „sehr zart“ ist – und noch dazu     dings schon damals gemeinsam, vermutlich           dersame Brotvermehrung nach einer stun-
                          ein „schlechter Esser“.                           nicht nur, weil`s lustiger war, sondern weil das   denlangen Predigt, als der vielköpfigen Zu-

                          10 KSA 3.2021
hörerschaft schon die Mägen knurrten. Weit-       Seit rund 70 Jahren ist Hunger in Deutschland

                                                                                                      ‚‚
hin bekannt ist auch die Bibel-Geschichte von     nun auf den ersten Blick kein Thema mehr.
der Verwandlung von Wasser in Wein, als auf       Die Nachkriegskinder erinnern sich jedoch
einer Hochzeit die Stimmung abzuflauen             noch an die Bedeutung der Waage beim Kin-
drohte, weil es nichts Ordentliches mehr zu       derarzt oder der Fürsorgerin für das Renom-
trinken gab.                                      mee der Familie. Dicke Kinder, so hieß es bei
Ob der Wechsel von genussvollen Zeiten mit        uns in den 1950er Jahren, waren gesunde
solchen des Fastens daher rührt, dass wetter-     Kinder. Zum Glück ist das heute nicht mehr
                                                                                                           Mein Kaninchen ist mein
und jahreszeitenabhängig Nahrung nicht im-        so. Jetzt werden die meisten Kinder nicht              bester Freund. Und gute
mer im Überfluss vorhanden war? Als struk-         mehr wie früher bis zum Brechreiz gezwun-              Freunde isst man nicht.
turgebendes Element im religiösen Jahresab-       gen, den Teller leerzufuttern. Heute wandern       Man isst überhaupt nix, was ein
lauf hat er sich jedenfalls bis heute gehalten.   die Reste vom Teller in die Tonne – also viel-     Freund sein kann. Unsere Nach-
                                                  leicht besser nicht so viel drauftun und lieber    barn haben zum Beispiel Ferkel.
Vor 2000 Jahren herrschte im alten Rom Skla-      ein bisschen nachnehmen?                            Da ist das auch so. Kayo, 6 Jahre
verei, Hunger und Elend, aber auch eine Ober-     In jüngster Zeit hat Essen nicht nur einfach in
schicht, die ihren Reichtum bei gewaltigen        ausreichendem Maße vorhanden zu sein.             Seit die Menschen sesshaft geworden sind, so
Festmählern und kalorienbetonten Orgien           Nein, zunehmend wird mehr Wert auf ge-            eine gängige Auffassung, gehe es bei kriege-
zelebrierte. Auf die Menge kam es an, wes-        sundheitliche und auch geschmackliche Qua-        rischen Auseinandersetzungen hauptsäch-
halb sich mancher Patrizier mittels einer den     lität gelegt. Übergewicht gilt längst nicht       lich darum, Land zu gewinnen, damit der ei-
Rachen kitzelnden Feder den Magen leerte,         mehr als Zeichen von Wohlstand, sondern           gene Stamm genug zu essen hat und sich
um anschließend noch mehr vertilgen zu            weckt eher den Verdacht, Eltern kümmerten         vermehren kann – Krieg gegen Hunger. Doch
können: eine frühe Form der Lebensmittel-         sich nicht genug um „gutes Essen“ für ihre        schon in frühen Texten werden Hungersnöte
vernichtung. Die Beschreibungen fürstlicher       Sprösslinge. An den Universitäten werden          nicht nur als Folge von Missernten oder Über-
Festgelage im Mittelalter legen nahe, dass        Wissenschaftler*innen für Ernährung und           bevölkerung beschrieben, sondern als Be-
man zu der Zeit eine ähnliche Völlerei pfleg-      Lebensmitteltechnologie ausgebildet. Die          gleiterscheinung von Kriegen. Kriege zerstör-
te. Die große Zahl der armen Menschen in          optimale Ernährung ist vielen zur Glaubens-       ten gewachsene Strukturen und ließen viele
Europa hingegen war gegen Ende des Win-           frage geworden, auch mit Blick auf die Kinder     tausende junger Männer, anstatt zuhause das
ters, wenn die spärlichen Vorräte aufgezehrt      (Stillen – wie lange? Völliger Verzicht auf Zu-   Feld zu bestellen, als Soldaten durchs Land
waren, dem Verhungern nahe.                       cker? Vegan mit Vitamin-B12-Ergänzung?).          ziehen und die Dörfer plündern, auch um sich
Mit der Aufklärung (etwa ab 1700) kam lang-       Gleichzeitig ist das Angebot an hierzulande       mit Nahrung zu versorgen. In den aggressi-
sam die Überzeugung auf, dass Armut und           jederzeit erhältlichen Lebensmitteln so um-       ven Auseinandersetzungen von heute geht
Reichtum, Hunger und Überfluss nicht gott-         fangreich wie nie. Kochbücher werden zu           es um Vormachtstellungen, um Anbauflä-
gewollt sind, sondern von Menschen ge-            Bestsellern, Kochkurse und Websites mit Re-       chen für rentable Produkte, um Absatzmärk-
macht, und dass man die ungleiche Vertei-         zept-Wettbewerben schießen aus dem Bo-            te, um Besetzung von Ressourcen und Zu-
lung lebensnotwendiger Güter in Frage stel-       den. Wir zelebrieren (gesundes?) Essen und        gang zu Transportwegen. Aber die Folgen für
len und ändern könne. „Es wächst hienieden        haben uns daran gewöhnt, im Januar fri-           die Schwächsten der Bevölkerung, ob in Sy-
Brot genug für alle Menschenkinder“, dichte-      sche Erdbeeren und im Juli saftige Orangen        rien, am Amazonas oder im Sudan, sind im-
te Heinrich Heine (1797-1856) später in sei-      zu bekommen – einfach weil wir es wollen          mer noch dieselben: Vertreibung, Flucht, Ar-
nem „Wintermärchen“ und stellte gleich noch       und können. Den Preis dafür? Den zahlen           mut, Hunger.
weitere Genüsse in Aussicht: „Auch Rosen          die Endverbraucher*innen nur zu einem             Dass unsere Ernährung heute so vielseitig ist,
und Myrthen, Schönheit und Lust, und Zu-          verschwindend geringen Teil an der Laden-         aber zugleich der Aspekt der gemeinschaft-
ckererbsen nicht minder!“                         kasse...                                          lich eingenommenen Mahlzeit an Bedeutung
                                                                                                    verliert, mag man bedauern. Dass die Quali-
                                                                                                    tät der Speisen in Kitas und Schulen trotz al-
                                                                                                    ler Erkenntnisse über gesundes Essen zu
                                                                                                    wünschen übrig lässt, ist ärgerlich. Dass sich
                                                                                                    Schadstoffe und Mikroplastik in unseren Le-
                                                                                                    bensmitteln finden, ist besorgniserregend.
                                                                                                    Aber dass auf unserer Erde heute, im 21. Jahr-
                                                                                                    hundert, Millionen Menschen vom Hunger-
                                                                                                    tod bedroht sind, weil sie ihren Lebensunter-
                                                                                                    halt nicht mehr bestreiten können – das ist
                                                                                                    ein Skandal!
                                                                                                    Vielleicht werden wir uns umstellen müssen.
                                                                                                    Vielleicht wird es in Zukunft wieder wichtiger
                                                                                                    werden, beieinander zu sein und das Essen
                                                                                                    mit anderen zu teilen, statt dass jeden Tag et-
                                                                                                    was Neues auf den Tisch kommt. Aber es wäre
                                                                                                    genug für alle da. 
                                                                                                    Korinna Bächer, Redaktion
                          iStockphoto/poco_bw        iStockphoto/puhimec
                                                                                                                                               11
Mit dem gewissen „Extra“?
    Kinderlebensmittel                                                                               Und auch nicht jene, die mit Mineralstoffen
                                                                                                     oder Vitaminen angereichert wurden, denn
                                                                                                     eine gesunde Ernährung ist durch nichts zu
                                                                                                     ersetzen. Ausgewogene Familienmahlzeiten

                                                                                                       ‚‚
                                                                                                     versorgen die Kleinen mit allen wichtigen
                                                                                                     Nährstoffen. Die meisten Kinderlebensmittel
                                                                                                     bleiben also das, was sie sind: Ungesunde Le-
                                                                                                     ckerbissen.

                                                                                                             Ich mag Gurkensalat.
                                                                                                           Und Bratwürstchen, die
                                                                                                            Papa draußen grillt.
                                                                                                           Weil dann bei uns alle
                                                                                                          gut drauf sind. Felix, 9 Jahre

                iStockphoto/
                   kzenon

Nur Neugeborene und Säuglinge, die von ihren Müttern
nicht gestillt werden (können), brauchen eigens für sie                                              In Zeiten wachsenden Ernährungsbewusst-
                                                                                                     seins bei den Eltern müssen sich die Herstel-
hergestellten muttermilchähnlichen Nahrungsersatz. An-                                               ler also was einfallen lassen. Und das tun sie
sonsten sind Lebensmittel eigens für Kinder vollkommen                                               auch: Sie setzen auf die direkte Ansprache der
überflüssig. Trotzdem füllen sie ganze Supermarktregale.                                             Kinder z.B. in 70 % ihrer entsprechenden Wer-
                                                                                                     bespots im Fernsehen. Außerdem zeigt eine
Vor zwei Jahren wurden hierzulande etwa 400 „Kinder-                                                 aktuelle Studie der Universität Hamburg, dass
lebensmittel“ gezählt, Tendenz weiter steigend.                                                      sich rund 92% der Werbung, die Kinder im
Was ist dran an diesen „Schmankerln“?                                                                Fernsehen und Internet überhaupt sehen, auf
                                                                                                     Süßes, Fast Food und Snacks bezieht.
Die Werbeindustrie leistet ganze Arbeit, um        enthüllen z.B., wieviel Zucker, Salz oder Fett    Es gibt aber auch ein bisschen Licht am Ende
bei Klein und Groß zu punkten. Die fröhlich        im Produkt enthalten sind. In vielen Kinder-      des Tunnels: Zwar dürfen Kinder auch weiter-
bunten Verpackungen, gerne auch in Tier-           lebensmitteln verstecken sich nämlich viel        hin unverändert mit Figuren, Bildchen etc.
form, sprechen Kinder an. Locken dazu noch         mehr dieser ungesunden Geschmacksträger,          geködert werden. Aber Hersteller, der Han-
Zugaben wie Sticker, Spielfiguren oder Sam-         als man erwarten würde. So kassierte die Fir-     del, die Werbung und die Medien haben sich
melbilder, ist die junge Zielgruppe schnell        ma Zwergenwiese für ihre „Kinder-Tomaten-         aktuell eine andere Art der Selbstverpflich-
überzeugt: Das will ich! Dazu sind die Portions-   sauce Bio“ 2019 den „Goldenen Windbeutel“,        tung auferlegt. Danach darf Werbung, die
größen perfekt an kleine Hände und Bäuchlein       der von foodwatch e. V. jährlich für die dreis-   Kinder direkt anspricht, seit 1. Juni 2021 nicht
angepasst. Wer es sich hier schmecken lassen       teste Werbelüge vergeben wird. Denn die So-       mehr den Anschein erwecken, dieses Lebens-
soll, macht auch der Zusatz „Kinder“ oder          ße enthält fast dreimal so viel Zucker (11%)      mittel sei unverzichtbar für eine gesunde Er-
„Kids“ im Produktnamen klar.                       wie die Tomatensauce für Erwachsene (4,6%).       nährung. Außerdem darf kein ungesunder,
Ob die Bärchenwurst, die Milchchnitte, die         Das macht für die Kleinen pro Portion sechs       bewegungsarmer Lebensstil mehr gezeigt
Dino-Nudelsuppe oder der Frucht-Quetschie          Würfel Zucker auf dem Teller. Zwergenwiese        werden. Und ungesunde Lebensmittel dür-
tatsächlich in den Einkaufswagen wandern           hielt dagegen, es handele sich ja nicht um        fen nicht mehr mit positiven Eigenschaften
und es bis zur Kasse schaffen, entscheiden          Kristallzucker, sondern um Apfeldicksaft. Der     wie „reich an wichtigen Mineralien“ bewor-
aber (meist) die Eltern. Deshalb versuchen die     wird auf der Soßen-Verpackung als „mild-to-       ben werden. Mal schauen, ob daraus was
Hersteller, auch Mami und Papi mit einigen         matig mit Apfelsüße“ auch angepriesen. Ap-        wird...
psychologischen Finessen mit ins Boot holen.       feldicksaft besteht jedoch zu 60 bis 80 % aus     Eltern dagegen werden (sollen) solche Bot-
Zugkräftig sind da Werbebotschaften wie „die       Zucker. Und die WHO definiert als zugesetz-        schaften weiterhin ungefiltert empfangen. Es
Extraportion Milch“ oder „mit wertvollen Vita-     ten Zucker auch jenen, der aus Fruchtsaftkon-     steht zu befürchten, dass auch in Zukunft vie-
minen“. Schließlich wollen Eltern ihren Nach-      zentraten gewonnen wird.                          le darauf reinfallen werden, gerade wenn das
wuchs ja möglichst gesund ernähren...              Ernährungswissenschaftler*innen und Kin-          „angereicherte“ Produkt eine Förderung der
Genau deshalb ist der Blick auf die Nährwert-      derärztinnen und -ärzte stellen klar: Kinder      Lernkonzentration o.ä. verspricht. 
angaben auf der Verpackung so wichtig. Sie         benötigen keine besonderen Lebensmittel.          Swaantje Düsenberg, Redaktion

12 KSA 3.2021
Foto: J. Göres

                              Gemüse-Ackerdemie für Kinder

                 „Am liebsten ernte ich“
                 Wir möchten, dass Kinder frisches regionales Gemüse
                                                                                                                                          ackerdemia.de
                                                                                                                                                          
                                                                                                                    sachsen und Bremen koordiniert die Arbeit
                                                                                                                    mit den dortigen Schulen und Kitas. „Vor al-
                 schätzen. Das lernen sie am besten, wenn sie den Kohl-
                                                                                                                    lem müssen die Lehrkräfte und Kita-Fachkräf-
                 kopf und das Möhrchen mit allen Sinnen selbst erfassen –                                           te Lust auf so ein Projekt haben, das ist ent-
                 durch Aussaat und Pflege, Ernte und Zubereitung. Schon                                             scheidend. Gärtnerische Vorkenntnisse brau-
                                                                                                                    chen sie dagegen nicht.“ Ziel bleibt immer,
                 auf dem kleinsten Fleckchen Erde kann das gelingen.
                                                                                                                    dass die Schulen und Kindertagesstätten den
                 Am Rande der Lüneburger Heide liegt das          ten können „GemüseKita“ werden, wenn sie          Gemüseanbau nach der mindestens ein Jahr
                 Städtchen Bergen. Hier findet in der Eugen-       die Jüngsten an gesundes und nachhaltiges         dauernden Betreuung durch Ackerdemia
                 Naumann-Schule zweimal die Woche der             Essen und Verantwortungsgefühl heranfüh-          langfristig selbst fortführen.
                 Sachunterricht der 4. Klasse draußen unter       ren möchten. Im Moment kooperiert Acker-          Was bringt das? 2018 hat Ackerdemia dazu El-
                 freiem Himmel auf einem benachbarten             demia deutschlandweit mit etwa 180 Ein-           tern aus teilnehmenden Schulen befragt. Gut
                 Acker statt. Das 10 x 14 Meter große Feld-       richtungen der frühen Bildung.                    die Hälfte erzählte, dass sie durch den Gemü-
                 stück hat ein freundlicher Landwirt der Schu-    Ob Schule oder Kita, ob in Niedersachsen          seanbau in der Schule angeregt wurden, sich
                 le zur Verfügung gestellt. Bereits seit der      oder Baden-Württemberg – die Ackerdemia-          zu Hause im Garten oder auf dem Balkon
                 zweiten Klasse lernen die Kinder dort den        Mitarbeitenden der jeweiligen Region helfen       selbst Nutzpflanzen zu halten. Und die Kinder
                 Gemüseanbau ganz praktisch kennen.               beim Aufspüren von Anbauflächen, nehmen            waren dafür oft die treibende Kraft! Ebenfalls
                 Die meisten sind mit großem Eifer dabei –        sie in Augenschein und stellen auch das zum       über die Hälfte spricht von gestiegener Wert-
                 trotz matschigem Boden, nassen Pflanzen           jeweiligen Boden passende Saatmaterial so-        schätzung für Lebensmittel bei den Kindern:
                 oder stachligem Unkraut. „Am liebsten ernte      wie Jungpflanzen zur Verfügung. Dabei ist          Sie achten jetzt darauf, dass nichts mehr weg-
                 ich“, sagt Greta. Hauke nickt: „Ich auch, und    Sortenvielfalt Trumpf, das senkt das Risiko ei-   geworfen wird, oder fragen nach, ob einge-
                 zwar Gurken. Die schmecken voll gut. Fen-        ner Missernte. Es wird auch nicht gespritzt,      kaufte Lebensmittel auch wirklich Bio-Quali-
                 chel und Mangold kenne ich auch schon –          sondern Schädlinge werden nur mit ökologi-        tät haben. Lehrkräfte von teilnehmenden
                 aber probiert hab` ich die noch nicht.“ In den   schen Mitteln bekämpft.                           Schulen wiederum erleben, wie die gemein-
                 Ferien kümmern sich Eltern und Kinder ge-        Apropos Flächen: Nicht überall gibt es einen      same Arbeit auf dem Acker den Zusammen-
                 meinsam um das kleine Feld, auf dem auch         netten Bauern wie in Bergen, der Kindern          halt der Klasse fördert und die körperliche W  W
                 bunte Bete, Kartoffeln, Zucchini, Tomaten,        ein Stückchen freies Feld für die praktische
                 Kohlrabi, Lauch, Bohnen, Kresse, Salatköpfe,     Ernährungsbildung spendiert – und in der
                 Kürbisse, Mais, Radieschen, Brennnesseln         Stadt schon gar nicht. Aber auch dort kann
                 und Mohrrüben wachsen.                           es mit Hilfe von Ackerdemia gelingen, ein
                 Die Eugen-Naumann-Schule ist einer von           geeignetes Areal aufzutun. Auf dem eige-
                 bundesweit rund 400 schulischen Lernorten,       nen Gelände der Kita, der Schule, des Kin-
                 die mit dem Verein Ackerdemia aus Potsdam        derschutzbundes, beim Nachbarn nebenan
                 zusammenarbeiten, also eine „Gemüse-             oder auf einer ungenutzten Grünfläche in
                 Ackerdemie“ für Kinder sind. Dabei erfahren      der Nähe. „Sie würden staunen, wo die Kin-
                 die Schüler*innen das ganze Schuljahr lang       der überall Gemüse anbauen können. Sogar
                 überwiegend durch eigene Praxis, wo Le-          mitten in der Stadt“, verspricht Verena Rei-
                 bensmittel herkommen, wieviel Arbeit im          ninger vom Potsdamer Verein. „100 Quadrat-
                 Gemüseanbau steckt und welche Bedeu-             meter wären schon schön, es geht aber auch
                 tung die Natur als Lebensgrundlage für den       mit weniger Platz“, sagt Marlena Wache. Die
                 Menschen hat. Aber auch Kindertagesstät-         Ackerdemia-Regionalmanagerin für Nieder-
                                                                                                                      iStockphoto/Pahis

                                                                                                                                                           13
Verausgabung auf dem Feld die Konzentra-
tion für nachfolgenden Unterricht steigert.
Darüber hinaus scheint es den Kindern leich-
                                                  Überall MAMP              Unterwegs zwischen gestern und heute
ter zu fallen, wichtige Zusammenhänge zwi-
schen Wetter, Wachstumszeiten und Frucht-

                                                   iStockphoto/Juanmonino
entwicklung zu erkennen – solches Wissen
bleibt durch eigenes praktisches Handeln
viel besser hängen als durch reine Theorie-
vermittlung.
Ackerdemie beschreibt den Bildungsansatz
für die schulischen „AckerProjekte“ mit fol-
genden Schlüsselbegriffen: mit Begeisterung
lernen, Selbstwirksamkeit erfahren, in Zu-
sammenhängen denken, Sozialkompetenz
steigern und Zusammenhalt stärken, eigene
Fähigkeiten entdecken, Verantwortungsbe-
wusstsein entwickeln. Das alles würde Silke
Hüttmann sofort unterschreiben. Die Sozial-
pädagogin ist Fachbereichsleiterin der Schul-
projekte im Kinderschutzbund Kreisverband
Ostholstein und kann sich gut vorstellen, z.B.
in den DKSB-Angeboten der Offenen Ganz-
tagsschulen mit den Kindern Gemüse anzu-
bauen. „Das ist Gesundheitsförderung im
besten und mehrfachen Sinne!“, sagt sie und
denkt auch an das wachsende Umweltbe-
wusstsein im Kinde – und ebenso an den Ef-
fekt der Gewaltprävention. Die Fachfrau ist
überzeugt: „Wer selbst in der Erde schaufelt
und Gemüse produziert, ernährt sich hinter-
her besser, bekommt ein ganz neues Be-
wusstsein für den eigenen Körper, erlebt,
dass er etwas erreichen kann – und wird auch
mit sich und anderen hinterher friedlicher
umgehen.“                                         Auf der Straße, im Bus, an der Haltestelle oder auf der Park-
Diese Erfahrungen machen auch die Acker-          bank – heutzutage wird offensichtlich allerorts gegessen.
Kitas, in denen das Entwickeln von gesunden
                                                  Essen wir gar nicht mehr zuhause? Gemeinsam im Kreis
und nachhaltigen Essgewohnheiten, Natur-
verbundenheit, Bewegung und Motorik, Ver-         unserer Lieben? Wo bitte ist unsere schöne Esskultur hin!
antwortungsgefühl und sozialer Zusammen-          Stefan Schwarck hat ihr zwischen den Zeiten nachgespürt.
halt wichtige Bildungsziele sind. Dafür muss
gewährleistet sein, dass eine teilnehmende        Ganz ehrlich: Sooo dolle war das früher um       Im Damals meiner Kindheit gab es indoor
Kindergruppe sich ein Jahr lang mindestens        unsere Esskultur auch nicht bestellt. Kennen     bei uns an Schultagen Muttis Küche und nur
alle zwei Wochen um den Gemüseanbau               Sie das noch aus den 1970er Jahren? Im Kino      an meinem Geburtstag exotische Ravioli.
kümmert und dabei von zwei festen Betreu-         preist ein Werbespot vor dem eigentlichen        Das Esszimmer wurde ausschließlich sonn-
ungskräften begleitet wird.                       Film ein lokales Restaurant an. Fröhliche Men-   tags von der dann versammelten Familie ge-
Bleibt die spannende Frage nach den Kosten        schen verkünden: „Heute bleibt die Küche
für die Kooperation mit Ackerdemia. Diese         kalt – wir gehen in den Wienerwald!“ Dazu ei-
richten sich einerseits nach der finanziellen      ne glückliche Mehrgenerationenfamilie im
Ausstattung der interessierten Bildungsein-       damals typisch schrecklichen Frisuren- und
richtungen – sowie auch danach, ob Ackerde-       Bekleidungslook vor gebratenen Hühner-
mia am jeweiligen Standort mit starken oder       bergen. Mutti wischt dem Sohnemann, des-
weniger starken Förderern aufwarten kann.         sen Pullover mir erschreckend bekannt vor-
Für Ortsverbände des Kinderschutzbundes           kommt, übers fettige Schnütchen und lä-
lohnt sich die Nachfrage beim Verein in der je-   chelt selig, weil sie mal nicht kochen muss.
weiligen Region in jedem Fall. Wenn alles gut     Gut, dass es uns freisteht zu essen, wo es uns
                                                                                                   JLucaLorenzelli
                                                                                                    iStockphoto/

läuft, liegt ihr Eigenanteil bei einem über-      gefällt. Nur: Wo gefällt es uns? Wo essen wir?
schaubaren dreistelligen Betrag.                 Und was? Und mit wem?
Joachim Göres, Journalist, Celle

14 KSA 3.2021
FENDE MÜNDER                                                            und Parks, auf dem Spielplatz oder nachmit-       knappen Pausenzeiten, die Schüler*innen

‚‚
                                                                        tags zwischendurch beim Shoppen – überall         lieber zusammen außerhalb der Mensa ver-
                                                                        wird gekaut. Kein Wunder, dass Möbelhäuser        bringen. Dann wird das Essen herunterge-
                                                                        kaum noch Esstische an Familien verkaufen,        schlungen, weil jugendliche Zeit bekannter-
                                                                        wie ich kürzlich gehört habe. Na ja, heute        maßen ein wertvolles Gut ist. Häufig liegt`s
                                                                        passt ja auch keiner mehr hinein in die winzi-    auch weniger an der knappen Zeit als viel-
                                                                        gen Arbeitsküchen.                                mehr an den Speisen selbst sowie der Atmo-
   So’n Döner unterwegs                                                 Trotzdem wird in den eigenen vier Wänden          sphäre in Schulmensen. So manche ergreifen
  ist echt cool und lecker.                                             noch (oder wieder?) fleißig gekocht, das legt      die Flucht vor unwirtlichen Räumen und ver-
                                                                        auch der große Markt an stylischen Küchen-        kochten Spaghetti Bolo und holen sich lieber
              Jonni, 16 Jahre
                                                                        geräten nahe. Außerdem ist die Zahl der ge-       `ne Tüte Chips oder ein Klatsch-Brötchen um
nutzt. Outdoor in meiner Stadt versprachen                              teilten Rezepte im Internet gigantisch, und       die Ecke.
ein Steakhouse, der Wienerwald, zwei Pizze-                             mit Video-Tutorials hat schon so manch jun-       Nachmittags gibt`s dann gern ein Stück Pizza
rien, zwei jugoslawische Esstempel und ein                              ger Mensch den Löffel im Topf geschwungen.         auf die Hand oder den stets beliebten Döner.
Chinarestaurant höchste Gaumenfreuden.                                  Überhaupt müssen immer mehr Erwachsene            Den kriegen die Kids mittlerweile aus der
Da ging man zur Abwechslung mal hin, aber                               die Küche mit dem heranwachsenden Nach-           Pappbox mit Pommes statt Brot, damit sich
selten. Geburtstage und Silberhochzeiten                                wuchs teilen, der gern mal was Neues aus-         keiner beim Essen im Gehen bekleckert. Die
waren noch gutbürgerlich von gemischtem                                 probiert. Selber, versteht sich. Einige Famili-   Auswahl an „Food to go“ ist überhaupt er-
Braten mit Kartoffeln an Gemüse geprägt,                                 en haben auf diesem Wege (und befeuert            staunlich geworden: Heute lieber eine Ha-
was wegen Oma meistens Erbsen mit Möhr-                                 durch die Lockdowns?) Gefallen an vegetari-       waiian Bowl oder einen Wrap oder doch lie-

                                                                                                                          ‚‚
chen hieß. Revolutionärer Brokkoli ging gar                             schen oder veganen Alternativen zu Großva-        ber Sushi?
nicht, zumindest nicht in den 1970er Jahren                             ters „Da gehört Fleisch auf den Teller“ gefun-
im relativ provinziellen Kiel.                                          den. Nicht alle Eltern sind von selbst darauf
Da war es eine willkommene Abwechslung,                                 gekommen...
mal Mitesser in Familien meiner Mitschüler*                             Natürlich wird auch viel allein gegessen – be-
innen zu sein. Mein erstes Cevapcici bekam                              sonders wenn das Kind schon älter ist. Ken-
ich bei Branka, deren Eltern aus Kroatien                               nen Sie den? Ein gut gefüllter Teller braucht
                                                                                                                             Wenn ich mit Freundinnen
stammten. Bei meinem Freund Klaus war es                                zwanzig Sekunden, um im Kinderzimmer zu
                                                                                                                          mal shoppen gehe, muss ich trotz-
dagegen nicht so vergnüglich, da durften                                verschwinden. Und es dauert zwei Wochen,
                                                                                                                          dem pünktlich zum Essen zu Hause
Kinder zu Hause während des Essens nicht                                bis er wieder auftaucht. Gechillt „snacken“ im
                                                                                                                            sein. Das nervt! Jolina, 14 Jahre
mal sprechen – außer wenn sie gefragt wur-                              Bett, auf dem Sofa oder Fußboden ist für Ju-      Auch die Anziehungskraft der Fastfood-Ket-
den. Ein wahrer Alptraum und selbst für da-                             gendliche heute selbstverständlich. Fehlen        ten ist vor allem auf junge Menschen unge-
malige Zeiten befremdlich! Essen war, ist und                           nur noch ein paar Freundinnen und der Bild-       brochen, das Sortiment bietet inzwischen
bleibt in meiner Familie laut und redselig.                             schirm, um das Zimmer meiner Tochter bei ei-      auch Alternativen zur Fleischbulette mit oder
„Eben typisch norddeutsch“, finden meine                                 nem Video-Abend zu sein. Auch wenn die gu-        ohne Käse. Über Geschmack, gesundheit-
Tochter und ihre Freundinnen.                                           ten alten VHS-Kassetten oder DVD mittler-         lichen Wert und Preis-Leistungs-Verhältnis
Irgendwann kamen Büfetts in Mode, was ich                               weile Netflix Platz gemacht haben – ich nen-       lässt sich streiten. Fest steht: Ein von man-
herrlich fand: Essen und Gespräche kamen in                             ne es immer noch „Video-Abend“. Und liebe         chem Kind sehnlichst gewünschter Geburts-
Bewegung! Heute wird offensichtlich nur                                  ihn! Meine Tochter sagt dann: „Ich guck mit       tag in einem der beliebten Burger-Schuppen
noch mobil gegessen. Kaum mehr ein Ort, an                              den Mädels `n Film.“ Der Snack ist inklusive.     geht richtig ins Geld.
dem wir nicht munter mampfenden Men-                                    „Snacken“ ist das Synonym für schnelles Es-       Durch Corona hat sich mancherorts übrigens
schen begegnen. Zu Fuß, radelnd oder im Au-                             sen zwischendurch. Ob daheim, in der Schule       ein neuer Trend von „Essen to go“ entwickelt:
to, auf dem Weg zur Schule oder Arbeit, in                              oder unterwegs. Einige Kinder ernähren sich       Grüppchen junger Menschen laufen zu Fuß
Bussen und Bahnen und Fußgängerzonen                                    auch nur noch von Snacks, was je nach Be-         durch den Drive-in und picknicken dann zu-
                                                                        schaffenheit der Gesundheit kaum zuträglich        sammen auf dem Parkplatz! Es gibt wahrlich
                                                                        ist. Ein „Snack“ wird auch längst nicht immer     schönere Orte zur Einnahme von Mahlzeiten
                                                                        von Zuhause mitgenommen, sondern oft in           als der Beton vor MacDonald – aber das Ge-
                                          Adobe Stock/Tom Merton/Caia

                                                                        der Bäckerei um die Ecke, am Büdchen oder         meinschaftserlebnis ist offensichtlich doch
                                                                        Schulkiosk geholt.                                noch nicht ausgestorben. Corona hat uns oh-
                                                                        Erschreckenderweise steigt in Deutschland         nehin eine Renaissance des klassischen Pick-
                                                                        die Zahl der Kinder, die höchstens eine rich-     nicks beschert: Parks, Grünflächen, Parkbän-
                                                                        tige Mahlzeit am Tag bekommen. Höchstens.         ke, Spielplätze und Bordsteinkanten sind in
                                                                        Gut, dass immer mehr Schulen täglich ein          unseren Städten zu Ess-Treffpunkten gewor-
                                                                        vollwertiges Essen anbieten (wenn nicht ge-       den. Esskultur ist also doch noch nicht tot –
                                                                        rade Corona ist). Wobei wir „vollwertig“ diffe-    sie ist nur in Bewegung. Und das muss nicht
                                                                        renzieren müssen: Manchmal steht das „voll“       immer schlecht sein. 
                                                                        nämlich auch bloß für das Gedrängel in den        Stefan Schwarck, freier Autor, Kiel

                                                                                                                                                                    15
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