Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

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Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der
                       COVID-19-Pandemie
         im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

                                     – Wesentlicher Inhalt und vorläufige Analyse –

Nachdem die Ministerialbeamten über das Wochenende                               Moratorium für vertragliche Verpf lichtungen von Ver-
vom 20. bis 22. März 2020 rund um die Uhr an einer als                           brauchern und Kleinstunternehmen in Bezug auf be-
Formulierungshilfe der Bundesregierung ausgestalteten                            stimmte Dauerschuldverhältnisse zur Sicherung der
Vorlage gearbeitet hatten, hat der Deutsche Bundestag am                         Grundversorgung bzw. der wirtschaftlichen Grundlagen
25. März 2020 ein Gesetz zur Abmilderung der Folgen der                          des Erwerbsbetriebs, Stundung des Schuldendienstes
COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafver-                            unter Verbraucherdarlehensverträgen sowie ein Kündi-
fahrensrecht beschlossen. Das Gesetz hat am 27. März                             gungsverbot für Miet- und Pachtverträge zur Vermei-
2020 den Bundesrat passiert, wurde noch am selben Tag im                         dung außergewöhnlicher Belastungen; und
Bundesgesetzblatt verkündet und konnte somit bereits am
28. März 2020 in Kraft treten.                                                   Flexibilität bei der Aussetzung von Gerichtsverfahren in
                                                                                 den strafrechtlichen Verfahrensvorschriften
Das neue Gesetz wurde zusammen mit weiteren Regie-
rungsmaßnahmen, vor allem Nothilfepaketen für Unter-
nehmen, wie z. B. direkte Finanzhilfen, staatlich subven-                    1. Insolvenzrecht
tionierte Kredite, Steuererleichterungen und Eigenkapital-
                                                                             Die Gesetzesänderungen zielen darauf ab, Unternehmen,
maßnahmen erarbeitet, wie sie etwa in das am selben Tag
                                                                             die infolge der COVID-19-Pandemie zahlungsunfähig
verkündete Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz (WStFG)
                                                                             geworden sind oder sich in finanziellen Schwierigkeiten
Eingang gefunden haben. Es ist damit zu rechnen, dass die
                                                                             befinden, die Fortführung ihrer Geschäftstätigkeit zu
Regierung auch in den nächsten Tagen und Wochen wei-
                                                                             ermöglichen. Dies soll durch eine umfassende Aussetzung
tere Gesetzesvorhaben f lexibel einbringen wird, um den
                                                                             der Insolvenzantragspf licht bis zum 30. September 2020
Bedürfnissen der Bürger und der Wirtschaft während der
                                                                             und durch eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen erreicht
durch die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-
                                                                             werden, die (i) sicherstellen, dass die Geschäftsführung den
Pandemie) ausgelösten Ausnahmesituation gerecht zu
                                                                             Geschäftsbetrieb im ordentlichen Geschäftsgang weiter-
werden.
                                                                             führen kann, (ii) rechtliche Risiken im Zusammenhang mit
                                                                             der Bereitstellung neuer Finanzierungen in einer Krise
                                                                             ausschließen und (iii) die Insolvenzanfechtungsrisiken für
I. Überblick                                                                 Vertragspartner im Allgemeinen reduzieren sollen.

Das Gesetz umfasst vier Bereiche:

   Aussetzung der Insolvenzantragspf licht, entsprechende                    2. Gesellschaftsrecht
   Beschränkung der Haftung der Geschäftsleitung im
                                                                             Die COVID-19-Pandemie hat zu weitreichenden Einschrän-
   Rahmen der Betriebsfortführung und Beseitigung von
                                                                             kungen der öffentlichen und privaten Versammlungs-
   Rechtsrisiken bei der Kreditvergabe und der Fortfüh-
                                                                             freiheit von Menschen geführt, was auch die Möglichkeiten
   rung der Geschäfte mit den betroffenen Unternehmen;
                                                                             von Unternehmen, (Haupt-)Versammlungen abzuhalten
                                                                             und Beschlüsse zu fassen, eingeschränkt hat. Da die
   Maßnahmen zur Vereinfachung von Entscheidungen im
                                                                             rechtssichere Fassung von Gesellschafter- bzw. Haupt-
   Gesellschaftsrecht (vor allem bei Hauptversammlungen),
                                                                             versammlungsbeschlüssen für die Gesellschafter (z.B. in
   im Vereins- und Genossenschaftsrecht sowie im
                                                                             Bezug auf Dividendenausschüttungen) und – vor allem
   Wohnungseigentumsrecht;
                                                                             angesichts der aktuellen Situation – für das Unternehmen

Freshfields Bruckhaus Deringer LLP        Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

                                          28. März 2020                                                                                                1
selbst (z.B. in Bezug auf Kapitalmaßnahmen oder Um-
                                                                        II. Wesentlicher Inhalt des Gesetzes
strukturierungen) essentiell ist, besteht das Hauptziel des
Gesetzes betreffend das Gesellschaftsrecht darin, den                   Das Gesetz enthält sechs Artikel mit punktuellen
Unternehmen die effiziente Einberufung von Versamm-                     Änderungen und Ergänzungen der betreffenden Gesetze.
lungen und die Beschlussfassung ohne physische Anwesen-
heit zu ermöglichen.
                                                                        1. Insolvenzrecht: Vorübergehende Aussetzung
                                                                        der Insolvenzantragspflicht
3. Zivilrecht                                                           Die in dem sog. COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz
Die vorgeschlagenen Ergänzungen des Einführungsgesetzes                 (COVInsAG) zusammengefassten insolvenzrechtlichen
zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) zielen darauf ab,                   Änderungen umfassen (i) eine Änderung der strengen
Einkommensverluste und ihre negativen Konsequenzen bei                  Haftungsregelung für die Unternehmensleitung in Bezug
Verbrauchern und Kleinstunternehmen abzumildern. So                     auf Zahlungen, die nach dem Eintritt der Zahlungsun-
soll durch die Einführung eines bis zum 30. Juni 2020 be-               fähigkeit oder der insolvenzrechtlichen Überschuldung
fristeten Leistungsverweigerungsrechts die Deckung des                  geleistet werden, (ii) Haftungs-, Insolvenzanfechtungs- und
angemessenen Lebensunterhalts bei Verbrauchern bzw. die                 andere Ausnahmen in Bezug auf neue Darlehen und
Erhaltung der wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbs-                  Sicherheiten, einschließlich einer Ausnahme von dem
betriebs bei Kleinstunternehmen durch ein gezieltes Mora-               allgemeinen Prinzip, dass Gesellschafterdarlehen bei einer
torium gesichert werden. Die Regierung befürchtet offen-                späteren Insolvenz der Tochtergesellschaft nachrangig
bar ferner, dass Mieter nicht in der Lage sein werden, ihre             sind, und (iii) Ausnahmen von den Insolvenzanfechtungs-
Mietschulden rechtzeitig zu begleichen. Ebenso wird an-                 tatbeständen, um zu verhindern, dass Vertragsparteien den
genommen, dass Verbraucher Schwierigkeiten bei der                      Handel einstellen oder Vertragsbeziehungen beenden. Die
rechtzeitigen Rückzahlung von Darlehen und der recht-                   Bestimmungen gelten rückwirkend ab dem 1. März 2020.
zeitigen Zahlung von Darlehensraten und Zinsen haben
werden. Während die Erleichterungen bei langfristigen                   § 1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Verträgen der Deckung des Grundbedarfs bzw. der wirt-                   § 1 COVInsAG setzt die Pf licht zur Stellung eines Insolvenz-
schaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs nur Verbrau-                antrags gemäß § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB bis zum
chern und Kleinstunternehmen zugutekommen und die                       30. September 2020 aus. Die Aussetzung gilt nicht, wenn
Erleichterungen bei Darlehensverträgen ausschließlich für               die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-
Verbraucher gelten sollen, ist beabsichtigt, dass von den               Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten darauf
Erleichterungen bei Miet- und Pachtverträgen alle Mieter                bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu besei-
und Pächter von Grundstücken und Räumen profitieren                     tigen. Wenn der Schuldner zum 31. Dezember 2019 nicht
sollen.                                                                 zahlungsunfähig war, wird gesetzlich vermutet, dass die
                                                                        Insolvenz auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
                                                                        beruht und dass Aussichten auf die Behebung einer be-
                                                                        stehenden Zahlungsunfähigkeit bestehen. Ist der Schuldner
4. Strafverfahrensrecht
                                                                        eine natürliche Person, so kann eine Versagung der Rest-
Das Gesetz sieht eine Änderung des Strafverfahrensrechts                schuldbefreiung nicht auf die Verzögerung der Eröffnung
dahingehend vor, dass durch die COVID-19-Pandemie unter-                des Insolvenzverfahrens zwischen dem 1. März 2020 und
brochene Strafverfahren nicht neu verhandelt werden                     dem 30. September 2020 gestützt werden, es sei denn, dass
müssen.                                                                 die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung der
                                                                        COVID-19-Pandenmie beruht, für diesen Zusammenhang
                                                                        spricht jedoch auch in diesem Fall eine gesetzliche
                                                                        Vermutung.

                                                                        § 2 Folgen der Aussetzung
                                                                        (1) Soweit nach § 1 die Pf licht zur Stellung eines Insolvenz-
                                                                        antrags ausgesetzt ist,

                                                                        1. gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen
                                                                        Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen,
                                                                        die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des
                                                                        Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungs-
                                                                        konzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen
                                                                        und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64
                                                                        Satz 2 GmbHG, des § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, des § 130a

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                                     28. März 2020                                                                                                2
Abs. 1 Satz 2, auch in Verbindung mit § 177a Satz 1 HGB                  § 4 Verordnungsermächtigung
und des § 99 Satz 2 GenG vereinbar;
                                                                         Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher-
2. gilt die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rück-                  schutz wird ermächtigt, die Aussetzung der Insolvenzan-
gewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen                      tragspf licht nach § 1 und die Regelung zum Eröffnungs-
Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Be-                    grund bei Gläubigerinsolvenzanträgen nach § 3 jeweils
stellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite                durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats
als nicht gläubigerbenachteiligend; dies gilt auch für die               bis höchstens zum 31. März 2021 zu verlängern, wenn dies
Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen                      aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren
auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen                  öffentlichen Hilfen, andauernder Finanzierungsschwie-
Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht aber deren                    rigkeiten oder sonstiger Umstände geboten erscheint.
Besicherung; § 39 Abs. 1 Nr. 5 und § 44a InsO finden inso-
weit in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuld-
ners, die bis zum 30. September 2023 beantragt wurden,                   2. Gesellschaftsrecht: Maßnahmen zur Verein-
keine Anwendung;
                                                                         fachung von Entscheidungen im Gesellschafts-
3. sind Kreditgewährungen und Besicherungen während                      recht, Vereinsrecht, Stiftungsrecht, Genossen-
des Aussetzungszeitraums nicht als sittenwidriger Beitrag                schaftsrecht und Wohnungseigentumsrecht
zur Insolvenzverschleppung anzusehen;                                    § 1 Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften
4. sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Siche-               auf Aktien, Europäische Aktiengesellschaften (SE);
rung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die                Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit
dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in                Das Gesetz sieht vor, dass der Vorstand auch ohne entspre-
einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies                 chende Satzungsermächtigung (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 2
gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die                  AktG) entscheiden kann, dass die (ordentliche oder außer-
Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuld-                      ordentliche) Hauptversammlung im Wege elektronischer
ners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungs-                 Bild- und Tonübertragung abgehalten wird, die Teilnahme
unfähigkeit geeignet waren. Entsprechendes gilt für:                     und Stimmabgabe der Aktionäre auf elektronischem Wege
                                                                         erfolgen kann und Aufsichtsratsmitglieder per Audio- oder
   Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber;                  Videokonferenz teilnehmen können. Darüber hinaus wird
   Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des                       der Vorstand ermächtigt festzulegen, dass die Hauptver-
   Schuldners;                                                           sammlung komplett virtuell (d.h. ohne jegliche physische
   die Bestellung einer anderen als der ursprünglich ver-                Präsenz von Aktionären) durchgeführt wird, sofern die
   einbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist;              folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
   die Verkürzung von Zahlungszielen und
   die Gewährung von Zahlungserleichterungen.                                Es erfolgt eine Bild- und Tonübertragung der gesamten
                                                                             Hauptversammlung via Internet;
(2) Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 gilt auch für Unternehmen, die                     die Stimmrechtsausübung der Aktionäre und
keiner Insolvenzantragspf licht unterliegen, sowie für                       Vollmachtserteilung sind auf elektronischem Wege
Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet                       möglich;
sind.                                                                        den Aktionären wird eine Fragemöglichkeit im Wege der
                                                                             elektronischen Kommunikation eingeräumt;
(3) Abs. 1 Nr. 2 und 3 gilt im Fall von Krediten, die von der                den Aktionären, welche ihr Stimmrecht ausgeübt
Kreditanstalt für Wiederaufbau und ihren Finanzierungs-                      haben, wird die Möglichkeit gegeben, (abweichend von
partnern oder von anderen Institutionen im Rahmen                            § 245 Nr. 1 AktG) auch ohne persönliches Erscheinen
staatlicher Hilfsprogramme anlässlich der COVID-19-                          einem Beschluss der Hauptversammlung zu
Pandemie gewährt werden, auch dann, wenn der Kredit                          widersprechen.
nach dem Ende des Aussetzungszeitraums gewährt oder
besichert wird, und unbefristet für deren Rückgewähr.                    Im Hinblick auf Fragen der Aktionäre zu Tagesordnungs-
                                                                         punkten der Hauptversammlung kann der Vorstand nach
§ 3 Verfahrenseröffnung auf Gläubigerantrag
                                                                         pf lichtgemäßem, freiem Ermessen entscheiden, ob und in
Bei Gläubigerinsolvenzanträgen, die zwischen dem                         welcher Form derartige Fragen zugelassen und beantwortet
28. März und dem 28. Juni 2020 gestellt werden, setzt die                werden. Er kann außerdem festlegen, dass Fragen bis
Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus, dass der Grund                 spätestens zwei Tage vor dem Tag der Hauptversammlung
für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits am                     elektronisch übermittelt werden müssen. Zudem müssen
1. März 2020 vorlag.                                                     nicht alle Fragen beantwortet werden, sondern der Vor-
                                                                         stand darf eine Auswahl in pf lichtgemäßem Ermessen
                                                                         treffen. Dies führt im Ergebnis zu erheblichen Erleichte-

Freshfields Bruckhaus Deringer LLP    Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

                                      28. März 2020                                                                                                3
rungen im Vergleich zu den Bestimmungen des allgemei-                   Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien,
nen Fragerechts aus § 131 AktG. Darüber hinaus kann auch                Europäische Aktiengesellschaften (SE) und Versicherungs-
das Recht der Aktionäre eingeschränkt werden, während                   vereine auf Gegenseitigkeit getroffenen Regelungen –
einer virtuellen Hauptversammlung Anträge zu stellen.                   insbesondere vor, dass Mitglieder von Genossenschaften
                                                                        ihre Beschlüsse schriftlich oder elektronisch fassen
Die Einberufungsfrist für Hauptversammlungen wird auf                   können, unabhängig davon, ob die Satzung dies zulässt.
21 Tage reduziert und andere, damit zusammenhängende                    Darüber hinaus sieht das Gesetz vor, dass Jahresabschlüsse
Zeiträume werden ebenfalls entsprechend verkürzt. Das                   durch den Aufsichtsrat anstelle der Generalversammlung
bisherige Erfordernis, wonach die Hauptversammlung                      festgestellt werden können. Vorstands- und Aufsichtsrats-
innerhalb der ersten acht Monate des Geschäftsjahres                    mitglieder können auch über ihre ursprüngliche Amtszeit
stattzufinden hatte (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG) – für die                hinaus bis zu ihrer Abberufung oder Wahl eines Nach-
meisten Unternehmen endet dieser Zeitraum am                            folgers im Amt bleiben; das Gesetz erlaubt außerdem eine
31. August 2020 – wird auf zwölf Monate (d.h. bis zum                   Unterschreitung der vorgeschriebenen Mindestzahl an
31. Dezember 2020) verlängert. Letzteres gilt jedoch nicht              Mitgliedern des Vorstands bzw. Aufsichtsrats. Eine Anfech-
für Europäische Aktiengesellschaften (SE).                              tung von Beschlüssen der Generalversammlung kann –
                                                                        Fälle von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit seitens der
Der Vorstand kann zudem entscheiden, eine Abschlags-
                                                                        Genossenschaft ausgenommen – nicht auf Verletzungen
zahlung auf die Dividende (§ 59 AktG) für das vergangene
                                                                        des Gesetzes oder der Mitgliederrechte gestützt werden, die
Geschäftsjahr auszuschütten, selbst wenn dies in der Sat-
                                                                        auf technische Störungen im Zusammenhang mit schrift-
zung nicht vorgesehen ist. Entsprechendes gilt für eine
                                                                        lichen oder elektronisch durchgeführten Beschluss-
Abschlagszahlung auf die Ausgleichszahlung (§ 304 AktG)
                                                                        fassungen zurückzuführen sind.
an außenstehende Aktionäre im Rahmen eines Unter-
nehmensvertrags.                                                        § 4 Umwandlungsrecht
Alle vorgenannten Entscheidungen erfordern die Zustim-                  Für Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz sieht das
mung des Aufsichtsrats, wobei der jeweilige Beschluss auch              Gesetz vor, dass Umwandlungen basierend auf einer Bilanz
schriftlich, telefonisch oder auf vergleichbaren Kommuni-               erfolgen können, deren Stichtag bis zu zwölf Monate (statt
kationswegen erfolgen kann.                                             bislang acht Monate) zurückliegt.

Das Recht der Aktionäre, Hauptversammlungsbeschlüsse                    § 5 Vereine und Stiftungen
aufgrund bestimmter Formalien – einschließlich in der                   In Bezug auf Vereine und Stiftungen sieht das Gesetz vor,
(oben genannten) elektronischen/virtuellen Form einzu-                  dass Vorstandsmitglieder auch über das Ende ihrer
berufen –anzufechten, wird eingeschränkt. Eine Anfech-                  ursprünglichen Amtszeit hinaus bis zu ihrer Abberufung
tung kann insoweit nur auf vorsätzlich begangene Verstöße               oder der Bestellung eines Nachfolgers im Amt bleiben
gestützt werden.                                                        können. Außerdem kann es der Vorstand den Mitgliedern
                                                                        auch ohne ausdrückliche Ermächtigung in der Satzung
§ 1 des Gesetzes gilt auch für Kommanditgesellschaften auf
                                                                        ermöglichen, ohne physische Präsenz an einer Mitglieder-
Aktien (KGaA) und – mit Ausnahme der Verlängerung der
                                                                        versammlung teilzunehmen und ihre Mitgliederrechte
Einberufungsfrist auf zwölf Monate – für Europäische
                                                                        auszuüben sowie ihre Stimmen vor der Durchführung der
Aktiengesellschaften (SE). Hauptversammlungen Europä-
                                                                        Versammlung schriftlich abzugeben. Schließlich werden
ischer Aktiengesellschaften müssen aufgrund vorrangiger
                                                                        die Anforderungen für Beschlüsse außerhalb einer Mit-
Vorschriften des europäischen Rechts (Art. 54 Abs. 1 SE-VO)
                                                                        gliederversammlung gelockert. Sofern alle Mitglieder
weiterhin innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäfts-
                                                                        beteiligt werden, ist ein Beschluss ohne Versammlung der
jahres abgehalten werden. Schließlich gelten die meisten
                                                                        Mitglieder gültig, wenn mindestens die Hälfte der Mit-
der vorgenannten Bestimmungen auch entsprechend für
                                                                        glieder ihre Stimmen abgegeben haben und die jeweils
Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit.
                                                                        erforderliche Mehrheit erreicht wurde.
§ 2 Gesellschaften mit beschränkter Haftung
                                                                        § 6 Wohnungseigentümergemeinschaften
Für Gesellschaften mit beschränkter Haftung sieht das
                                                                        Für Wohnungseigentümergemeinschaften sieht das Gesetz
Gesetz vor, dass Gesellschafterbeschlüsse auch dann außer-
                                                                        vor, dass der zuletzt bestellte Verwalter bis zu seiner Ab-
halb einer physischen Versammlung in Textform oder
                                                                        berufung oder Bestellung eines neuen Verwalters im Amt
durch schriftliche Stimmabgabe gefasst werden können,
                                                                        bleiben kann. Auch gilt der zuletzt beschlossene Wirt-
wenn nicht alle Gesellschafter mit einem solchen Ver-
                                                                        schaftsplan bis zum Beschluss eines neuen Wirtschafts-
fahren einverstanden sind.
                                                                        plans fort.
§ 3 Genossenschaften
Des Weiteren umfasst das Gesetz verschiedene Erleich-
terungen für Genossenschaften. Es sieht – ähnlich den für

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                                     28. März 2020                                                                                                4
§ 7 Übergangsregelungen /                                               Dauer des Moratoriums wird die Leistung nicht fällig, so
§ 8 Verordnungsermächtigung                                             dass für den Zeitraum, in dem die Voraussetzungen für ein
                                                                        Moratorium vorliegen, auch keine Verzugszinsen auf-
Die §§ 1 bis 6 gelten nur für Maßnahmen und Ereignisse
                                                                        laufen.
(d.h. Hauptversammlungen oder andere Versammlungen,
gezahlte Vorabdividenden, Handelsregisteranmeldungen),                  Der Schuldner trägt die Beweislast für das Vorliegen sämt-
die im Jahr 2020 stattfinden. Das Bundesministerium der                 licher Voraussetzungen des Moratoriums in seiner Person
Justiz und für Verbraucherschutz kann diesen Zeitraum                   bzw. seinem Erwerbsbetrieb.
jeweils durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des
Bundesrats bis zum 31. Dezember 2021 verlängern, wenn                   Eine Ausnahme von diesen Leistungsverweigerungsrechten
dies angesichts der COVID-19-Pandemie geboten erscheint.                gilt in dem Fall, dass die Erfüllungsverweigerung des
                                                                        Schuldners für den Gläubiger unzumutbar wäre, wobei
                                                                        hier im Wesentlichen dieselben Maßstäbe gelten, wie bei
                                                                        der Beurteilung des Rechts des Schuldners, die Erfüllung zu
3. Zivilrecht: Moratorium und Erleichterungen                           verweigern. Ist das Leistungsverweigerungsrecht des
für bestimmte Vertragspflichten                                         Schuldners ausgeschlossen, weil dies zu einer unzumut-
Im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch                        baren Belastung des Gläubigers führen würde, kann der
werden in einem neuen Art. 240 folgende Bestimmungen                    Schuldner zur Vermeidung seiner Leistungspf licht den
hinzugefügt, die zum 1. April 2020 in Kraft treten.                     Vertrag kündigen. Die Kündigung soll für den Schuldner
                                                                        offenbar möglich sein, ohne dass er dadurch Ausgleichsver-
§ 1 Moratorium                                                          pf lichtungen oder Ersatzansprüchen aus Anlass der
Verbraucher, die eine Verpf lichtung im Zusammenhang                    Kündigung ausgesetzt wird.
mit einem „wesentlichen“ Dauerschuldverhältnis auf der
                                                                        Die Bestimmung zum Moratorium findet keine Anwen-
Grundlage eines vor dem 8. März 2020 geschlossenen
                                                                        dung auf Ansprüche im Zusammenhang mit Miet-, Pacht-
Verbrauchervertrags haben, können die Erfüllung der
                                                                        und Darlehensverträgen (für die ein spezielles Schutzpro-
Verpf lichtung bis zum 30. Juni 2020 verweigern, wenn sie
                                                                        gramm gilt, siehe §§ 2 und 3 der vorgeschlagenen Bestim-
aufgrund von auf die COVID-19-Pandemie zurückzufüh-
                                                                        mungen) sowie mit arbeitsrechtlichen Ansprüchen.
renden Umständen die Erfüllung der Verpf lichtung nicht
ohne Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts des                   § 2 Beschränkung der Kündigung von Miet- und
Schuldners oder seiner unterhaltsberechtigten Angehö-
                                                                        Pachtverträgen
rigen erbringen können; Kleinstunternehmen im Sinne der
Empfehlung 2003/361/EG der Kommission können die                        Vermieter von Grundstücken sowie privat oder geschäftlich
Erfüllung einer Verpf lichtung aus wesentlichen Dauer-                  genutzten Räumen sind nicht berechtigt, solche Mietver-
schuldverhältnissen, die bis zum 8. März 2020 abgeschlos-               träge zu kündigen, wenn der Mieter die Miete während des
sen wurden verweigern, wenn sie infolge von Um-ständen,                 Zeitraums vom 1. April bis einschließlich 30. Juni 2020
die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind,                      nicht zahlt, sofern die Nichtzahlung durch die Auswir-
entweder die Verpf lichtung nicht erfüllen können oder die              kungen der COVID-19-Pandemie verursacht wurde. Der
Erfüllung der Verpf lichtung die wirtschaftlichen Grund-                Mieter hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen der
lagen des Erwerbsbetriebs des Schuldners gefährden                      COVID-19-Pandemie und der Nichtzahlung der Miete glaub-
würde. Die ausgesetzten Verpf lichtungen sind dann jedoch               haft zu machen. Die nicht gezahlte Miete ist bis zum
nach dem 30. Juni 2020 zu erfüllen; sie entfallen nicht                 30. Juni 2022 nachzuentrichten. Für Pachtverträge gelten
(Moratorium). In beiden Fällen gilt das Moratorium nur für              die vorstehenden Regelungen entsprechend.
„wesentliche“ Dauerschuldverhält-nisse, d.h. solche die –
im Falle von Verbrauchern – zur Eindeckung mit Leistun-                 § 3 Stundung der Rückzahlung von
gen der angemessenen Daseinsvorsorge, bzw. – bei Kleinst-               Verbraucherdarlehen
unternehmen – zur Eindeckung mit Leistungen zur ange-                   Für vor dem 15. März 2020 geschlossene Verbraucher-
messenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebs erforderlich                   darlehensverträge werden Ansprüche auf Rückzahlung,
sind.                                                                   Tilgung und Zinsen, die zwischen dem 1. April und 30. Juni
                                                                        2020 fällig werden, für die Dauer von drei Monaten ab dem
Das Moratorium gilt unabhängig davon, ob die Verpf lich-                jeweiligen Fälligkeitstermin gestundet, wenn der Verbrau-
tung des Schuldners in der Zahlung einer vertraglichen                  cher aufgrund der durch die COVID-19-Pandemie hervor-
Vergütung (d.h. Geld) oder in der Erbringung einer sons-                gerufenen außergewöhnlichen Umstände Einnahme-
tigen vertraglichen Leistung (z. B. Lieferung von Waren                 ausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erfüllung der
oder Erbringung von Dienstleistungen) besteht. Es erstreckt             jeweiligen Verpf lichtung nicht zumutbar ist, insbesondere
sich nicht nur auf die vertraglichen Primäransprüche                    in Fällen, in denen der angemessene Lebensunterhalt des
gegen den Schuldner, sondern auch auf vertragliche oder                 Darlehensnehmers oder seiner Unterhaltsberechtigten
gesetzliche Sekundäransprüche, wie Rückgewähr-, Scha-                   gefährdet ist. Das Kündigungsrecht des Darlehensgebers
densersatz- und Aufwendungsersatzansprüche. Für die

Freshfields Bruckhaus Deringer LLP   Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

                                     28. März 2020                                                                                                5
wegen Zahlungsverzugs und wegen wesentlicher Ver-                       und zehn Tage vor. Die Regelung soll nach einem Jahr auf-
schlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners                  gehoben werden.
oder der Werthaltigkeit der für das Darlehen gewährten
Sicherheiten wird bis zum Ablauf der Stundung ausgesetzt.               Nach dem Gesetz ist Voraussetzung für die Verlängerung,
Der Darlehensgeber soll dem Verbraucher ein Gespräch                    dass der nächste Hauptverhandlungstermin aufgrund der
über die Möglichkeit einer einvernehmlichen Regelung                    COVID-19-Pandemie nicht früher stattfinden kann. Dies
sowie über mögliche Unterstützungsmaßnahmen anbieten.                   soll beispielsweise dann der Fall sein, wenn an dem Prozess
Können sich Darlehensgeber und Darlehensnehmer nicht                    Personen mit einem erhöhten Risiko (ältere Menschen,
auf eine Regelung für den Zeitraum nach dem 30. Juni                    Menschen mit Vorerkrankungen) beteiligt sind oder wenn
2020 einigen, verlängert sich die Laufzeit des Vertrags um              der normale Geschäftsbetrieb des Gerichts aufgrund der
drei Monate.                                                            Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie
                                                                        eingeschränkt ist. Letzteres dürfte schon heute auf prak-
Die Entlastung des Darlehensnehmers gilt nicht, wenn die                tisch jedes deutsche Strafgericht zutreffen – und daher
Stundung oder der Ausschluss des Kündigungsrechts für                   ermöglichen, jede derzeit in Deutschland laufende straf-
den Darlehensgeber unter Berücksichtigung aller Um-                     rechtliche Hauptverhandlung für drei Monate und zehn
stände des Einzelfalls nicht zumutbar ist.                              Tage zu unterbrechen (sofern der Beschleunigungsgrund-
                                                                        satz, insbesondere bei Haftsachen, das zulässt).
§3 Abs. 8 / § 4 Verlängerungsmöglichkeit
Die Bundesregierung kann die Maßnahmen in Bezug auf
Darlehensverträge (§ 3) durch Rechtsverordnung mit
Zustimmung des Bundestages auch auf andere Personen                     III. Vorläufige Analyse
ausweiten (insbesondere auf Kleinstunternehmen). Außer-
dem kann die Bundesregierung das Moratorium bis zum
                                                                        1. Insolvenzrecht
30. September 2020, das Verbot der Kündigung von
Mietverträgen wegen nicht geleisteter Mietzahlungen für                 Die Änderungen zielen darauf ab, Unternehmen, die infol-
den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2020 sowie die               ge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden oder in
Verlängerung der dreimonatigen Stundung für Zins und                    finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, die Möglichkeit
Tilgung unter Verbraucherdarlehensverträgen auf Ansprü-                 zu geben, ihre Geschäftstätigkeit fortzusetzen und Zugang
che, die bis zum 30. September 2020 fällig werden, sowie                zu Finanzmitteln zu erhalten.
die Darlehenslaufzeit auf bis zu zwölf Monate jeweils durch
Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats                         Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
verlängern, wenn zu erwarten ist, dass das soziale Leben,               Durch die umfassende Aussetzung der gesetzlichen
die wirtschaftliche Tätigkeit einer Vielzahl von Unterneh-              Antragspf licht nach Eintritt von Überschuldung und
men oder die Erwerbstätigkeit einer Vielzahl von Men-                   Zahlungsunfähigkeit wird den Unternehmen eine Atem-
schen durch die COVID-19-Pandemie weiterhin in erheb-                   pause verschafft, damit sie auf die staatlich gestützten
lichem Maße beeinträchtigt bleibt. Darüber hinaus wird die              Förderprogramme zugreifen oder eine Insolvenz auf andere
Bundesregierung ermächtigt, die o. g. Fristen durch Rechts-             Weise abwenden können. Die damit verbundenen Nachteile
verordnung mit Zustimmung des Bundestages und ohne                      für die Gläubigergesamtheit in einer möglichen Folge-
Zustimmung des Bundesrates über den 30. September 2020                  insolvenz sind nach Aussage des Gesetzgebers hinzuneh-
hinaus zu verlängern, wenn die Beeinträchtigungen                       men, „um einen Zusammenbruch ganzer Wirtschafts-
fortbestehen.                                                           zweige zu vermeiden, der aufgrund des andernfalls feh-
                                                                        lenden Zugangs zu neuen notwendigen Krediten oder der
                                                                        Erschwerung der Fortführung der Geschäfte drohen
                                                                        würde“. Die Aussetzung gilt nicht, wenn die Insolvenz
4. Strafverfahren: Fristverlängerung zwischen
                                                                        nicht durch die COVID-19-Pandemie verursacht wurde oder
zwei Verhandlungsterminen                                               keine Aussichten bestehen, dass die Zahlungsunfähigkeit
Bislang schrieb das deutsche Strafprozessrecht vor, dass                behoben werden kann. Die weitgehende gesetzliche Ver-
eine einmal begonnene Hauptverhandlung nicht für län-                   mutung, wonach die Insolvenz durch die Auswirkungen
gere Zeit (maximal zwischen drei Wochen und einem                       der COVID-19-Pandemie verursacht wurde und es Aus-
Monat mit gewissen Verlängerungen in besonderen Fällen)                 sichten auf Beseitigung einer bestehenden Zahlungsun-
unterbrochen werden darf. Wurde die Frist nicht eingehal-               fähigkeit gibt, wenn der Schuldner zum 31. Dezember 2019
ten, musste die Hauptverhandlung ausgesetzt und von                     nicht zahlungsunfähig war, soll die offensichtlichen Un-
neuem begonnen werden. Die Beweisaufnahme musste                        sicherheiten ausgleichen und nimmt bei der Beurteilung,
wiederholt werden.                                                      ob die Anmeldepf licht ausgesetzt ist oder nicht, eine
                                                                        erhebliche Last von der Geschäftsleitung.
Das neue Gesetz sieht eine Verlängerung des maximalen
Zeitraums zwischen aufeinander folgenden Hauptverhand-
lungsterminen in Strafsachen auf insgesamt drei Monate

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                                     28. März 2020                                                                                                6
Folgen der Aussetzung                                                   staatlicher Hilfsprogramme anlässlich der COVID-19-Pan-
                                                                        demie gewährten Kredite unterliegen demselben Schutz,
§ 2 Nr. 1 COVInsAG soll die Geschäftsleitung in die Lage
                                                                        und das neue Gesetz weitet diesen Schutz sogar auf ent-
versetzen, das Unternehmen im ordentlichen Geschäfts-
                                                                        sprechend geförderte Darlehen aus, die nach Ablauf des
gang fortzuführen. Nach deutschem Recht ist die Ge-
                                                                        Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert werden, um
schäftsleitung nach dem Eintritt von Überschuldung und
                                                                        so sämtliche staatlichen Finanzierungen zu erfassen, die
Zahlungsunfähigkeit zu einer sogenannten Notfall-
                                                                        zur Abwendung der durch die COVID-19-Pandemie
geschäftsführung verpf lichtet, wonach sie nur solche
                                                                        ausgelösten finanziellen Schwierigkeiten gewährt wurden.
Zahlungen vornehmen darf, die unbedingt erforderlich
sind, um den unmittelbaren Zusammenbruch des Ge-                        Zusätzlich zum Schutz für Darlehen und Sicherheiten nach
schäfts zu vermeiden. Das neue Gesetz erlaubt es der                    § 2 Nr. 2 bietet schließlich § 2 Nr. 4 COVInsAG auch an-
Geschäftsleitung, weiterhin alle Zahlungen im gewöhn-                   deren Vertragspartnern, wie z. B. Lieferanten, Kunden und
lichen Geschäftsgang zu leisten. Dazu gehören nicht nur                 Vermietern, Schutz vor Insolvenzanfechtung. Ohne einen
Zahlungen zur Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme                     solchen Schutz würden die Vertragspartner auf der Grund-
des Geschäftsbetriebs, sondern auch Zahlungen, die bspw.                lage der derzeit geltenden Bestimmungen erhebliche
für die Umsetzung einer Restrukturierung erforderlich                   Gefahr laufen, dass Zahlungen, Lieferungen usw. in einer
sind. § 2 Nr. 2 und 3 COVInsAG zielen darauf ab, die Bereit-            späteren Insolvenz zurückgefordert werden, und sie
stellung von Finanzierungen für Unternehmen, die von der                würden daher höchstwahrscheinlich den Handel mit dem
COVID-19-Pandemie betroffen sind, zu fördern und zu                     betroffenen Unternehmen einstellen oder das Vertrags-
erleichtern.                                                            verhältnis beenden. Der erste Satz von Nr. 4 enthält ein
                                                                        Privileg für Fälle kongruenter Deckung, d.h., wenn der
Gemäß § 2 Nr. 2 COVInsAG können bis zum 30. September
                                                                        Vertragspartner Anspruch auf Leistung oder Sicherheit in
2023 erfolgende Rückzahlungen von neuen Krediten (ein-
                                                                        dieser Art und zu dieser Zeit hatte. Satz 2 enthält ein Privi-
schließlich Lieferantenkrediten), die während der Aus-
                                                                        leg für Fälle der inkongruenten Deckung, d.h., wenn die
setzungsfrist gewährt wurden und die Gewährung von
                                                                        Leistung oder die Gewährung von Sicherheiten von dem
Sicherheiten für diese neuen Kredite in einem späteren
                                                                        vertraglich oder anderweitig Geschuldeten abweicht. Die
Insolvenzverfahren nicht angefochten werden. Das Gesetz
                                                                        Rückforderungsbefreiungen gelten nicht, wenn dem An-
sieht auch Anreize für Gesellschafter vor, angeschlagenen
                                                                        fechtungsgegner bekannt war, dass die Sanierungs- oder
Tochtergesellschaften Finanzmittel zur Verfügung zu
                                                                        Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht geeignet
stellen. Entgegen dem bislang geltenden deutschen Insol-
                                                                        waren, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beheben,
venzrecht sind neue Gesellschafterdarlehen, die innerhalb
                                                                        was je nach den Umständen zu einer gewissen Unsicherheit
der Aussetzungsfrist gewährt werden, in späteren Insol-
                                                                        führen kann.
venzverfahren der Tochtergesellschaft, das bis zum
30. September 2023 beantragt wird, nicht nachrangig, und
Rückzahlungen auf solche Gesellschafterdarlehen sind von
der Anfechtbarkeit befreit. Anders als bei durch Dritte                 2. Maßnahmen zur Vereinfachung von
gewährten Darlehen sind jedoch Sicherheiten, die zuguns-                Entscheidungen im Gesellschaftsrecht
ten von Gesellschafterdarlehen gewährt werden, nicht
privilegiert, so dass sie weiterhin mit einer Frist von zehn            Das neue Gesetz bietet Unternehmen einen effektiven Weg,
Jahren ab dem Tag der Insolvenzantragstellung angefoch-                 ihre jeweiligen Versammlungen einzuberufen und die rele-
ten werden können.                                                      vanten Beschlüsse angesichts auch in Zeiten von Ausgangs-
                                                                        sperren und Versammlungsverboten zu fassen.
§ 2 Nr. 3 COVInsAG erhöht die Rechtssicherheit für Kre-
dite, die in einer finanziellen Schief lage an ein Unterneh-            Zwar erlaubten bereits die bislang geltenden Bestimmun-
men vergeben werden, erheblich. Nach bisherigem deut-                   gen des Aktiengesetzes die Übertragung von Hauptver-
schem Recht wäre ein Kreditgeber, der ein Darlehen oder                 sammlungen und die elektronische Beteiligung der
eine andere Form von Kredit an ein Unternehmen in der                   Aktionäre (sofern dies in der Satzung vorgesehen ist),
Krise vergibt, Haftungsrisiken ausgesetzt, wenn ein solches             Unternehmen haben aber von dieser Möglichkeit aufgrund
Darlehen oder ein solcher Kredit nicht ausreicht, um eine               technischer Schwierigkeiten und damit verbundener
Sanierung zu erreichen, eine unvermeidliche Insolvenz                   Unsicherheiten bislang kaum Gebrauch gemacht – insbe-
somit nur hinauszögert und somit andere Gläubiger schä-                 sondere im Hinblick auf potentielle Anfechtungsklagen
digt. Sicherheiten, die für ein solches Darlehen oder einen             seitens der Aktionäre. Der teilweise Ausschluss von An-
solchen Kredit gewährt werden, können als sittenwidrig                  fechtungsklagen wird in dieser Hinsicht mit hoher Wahr-
und daher nichtig angesehen werden. Die Bestimmung                      scheinlichkeit zu Verbesserungen und gesteigerter
bietet Sicherheit für alle neuen Darlehen oder Kredite, die             Rechtssicherheit führen.
während der Aussetzungsfrist gewährt werden.
                                                                        Die Einführung einer rein virtuellen Hauptversammlung
Alle durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau, ihre Finan-              ist ein Novum, das bereits in den vergangenen Jahren dis-
zierungspartner oder andere Institutionen im Rahmen                     kutiert, vom Gesetzgeber aber letztlich abgelehnt worden

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                                     28. März 2020                                                                                                7
war, da das Recht der Aktionäre, zur physischen Teilnahme               von Mietern (ob Verbraucher oder nicht), von Verbrauchern
an der Hauptversammlung als zu wichtig erschien, um                     und Kleinstunternehmen hinsichtlich bestimmter Dauer-
abgeschafft zu werden. Angesichts der gegenwärtigen                     schuldverhältnisse und von Darlehensnehmern unter
Umstände ist diese Abschaffung vernünftig. Allerdings                   Verbraucherkreditverträgen. Während der Aufschub von
waren die Abstimmungsrichtlinien einiger Stimmrechts-                   Zahlungsverpf lichtungen den Schuldnern sofortige Erleich-
berater in der Vergangenheit gegenüber vollständig vir-                 terungen bringen wird, hat er gleichzeitig unmittelbare
tuellen Hauptversammlungen sehr skeptisch – vor dem                     Auswirkungen auf die Gläubiger, insbesondere Banken,
Hintergrund der aktuellen Situation ist jedoch davon aus-               sowie auf private und gewerbliche Vermieter.
zugehen, dass auch diese Richtlinien in den kommenden
Wochen an die neue Situation angepasst werden dürften.                  Anwendungsbereich
                                                                        Das Moratorium hinsichtlich „wesentlicher Dauerschuld-
Was das Recht der Aktionäre betrifft, Fragen zu den Gegen-
                                                                        verhältnisse“ gilt nur für Verbraucher und Kleinstunter-
ständen einer Hauptversammlung zu stellen, deuten die
                                                                        nehmen als Schuldner und beschränkt das Recht zur
Erfahrungen mit digitalen Medien darauf hin, dass sowohl
                                                                        Erfüllungsverweigerung ausdrücklich auf Leistungsver-
die absolute Anzahl der Fragen als auch die Anzahl unzu-
                                                                        pf lichtungen unter Dauerschuldverhältnissen, die der
lässiger Fragen aus der „sicheren Entfernung“ zunehmen
                                                                        angemessenen Daseinsvorsorge von Verbrauchern bzw. der
könnten. In dieser Hinsicht verdient die klare Aussage des
                                                                        angemessenen Fortführung des Erwerbsbetriebs von
Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung, wonach der
                                                                        Kleinstunternehmen u. a. mit Pf lichtversicherungen,
Vorstand nicht sämtliche Fragen beantworten muss, son-
                                                                        Strom, Gas, Telekommunikationsleistungen und – soweit
dern mehrere Antworten zusammenfassen und sinnvolle
                                                                        zivilrechtlich geregelt – Wasserversorgung und -entsor-
Fragen im Interesse aller Aktionäre auswählen kann, Un-
                                                                        gung dienen. Gerade im Hinblick auf die Fortführung des
terstützung. Auch das Recht des Vorstands, für die Einrei-
                                                                        Erwerbsbetriebs ist vorstellbar, dass weitere als diese in der
chung von Fragen einen Stichtag zwei Tage vor der Haupt-
                                                                        Gesetzesbegründung beispielhaft genannten Bereiche unter
versammlung zu setzen, kann in nicht unerheblichem
                                                                        die als wesentlich anzusehenden Dauerschuldverhältnisse
Maße dazu beitragen, die zu erwartende Menge an Fragen
                                                                        fallen. Miet-, Darlehens- und Arbeitsverträge sind hiervon
angemessen zu kanalisieren und strukturieren.
                                                                        ausdrücklich ausgenommen.
Leider gilt die Möglichkeit, die Hauptversammlung bis zum
                                                                        Mit Blick auf die Erleichterungen bei Darlehensverträgen
31. Dezember 2020 abzuhalten, nicht für Gesellschaften in
                                                                        dürfte der Zahlungsaufschub nur in dem Umfang gewährt
der Rechtsform einer Europäischen Aktiengesellschaft. Die
                                                                        werden, in welchem dem Schuldner die nötigen Mittel für
SE-Verordnung schreibt insoweit zwingend vor, dass die
                                                                        den Schuldendienst fehlen, dies gilt seinem Wortlaut nach
Hauptversammlung binnen sechs Monaten nach Abschluss
                                                                        auch für das Moratorium. In beiden Fällen sind die Ver-
des Geschäftsjahres abzuhalten ist.
                                                                        bindlichkeiten aber nur befristet gestundet. Wenn ein
Zu beachten ist, dass die Möglichkeit, Vorabdividenden                  Schuldner die in der Krise erlittenen Einkommensverluste
auszuschütten, auf die Zahlung von 50 Prozent des Jahres-               also nicht wieder aufholen kann, wird er bei Auslaufen der
überschusses des Unternehmens beschränkt ist und                        Erleichterungen von den aufgelaufenen Verbindlichkeiten
50 Prozent des Bilanzgewinns des vorangegangenen Ge-                    (im Falle nicht gezahlter Miete und Pacht zuzüglich Ver-
schäftsjahres 2018 nicht übersteigen darf.                              zugszinsen) eingeholt werden.

Vor der Veröffentlichung des Gesetzentwurfs hatte auch                  Der erste Formulierungsvorschlag der Bundesregierung für
das Deutsche Aktieninstitut (DAI) eine Reihe von Empfeh-                das Moratorium hatte den Kreis der geschützten Schuldner
lungen abgegeben, die seitens des deutschen Gesetzgebers                nicht auf Verbraucher und Kleinstunternehmen be-
nicht alle übernommen wurden (z. B. weiterreichende                     schränkt, und bezog alle Vertragsverhältnisse ohne
Ausnahmen für die Haftung der Gesellschaftsorgane und                   Qualifikation ein, solange nur die Leistung aufgrund der
die Anfechtbarkeit/Nichtigkeit von Hauptversammlungs-                   COVID-19-Pandemie beeinträchtigt würde. Außerdem hätte
beschlüssen; Möglichkeit, (volle) Dividenden auf der Grund-             die Regelung bis zum 30. September 2020 gelten sollen. Der
lage von Vorstands-/Aufsichtsratsbeschlüssen zu zahlen;                 Gesetzentwurf wurde in der Diskussion deutlich einge-
Möglichkeit, den Wirtschaftsprüfer allein auf der Grund-                schränkt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass grö-
lage eines Aufsichtsratsbeschlusses zu bestellen usw.).                 ßeren Unternehmen andere Unterstützungsleistungen wie
                                                                        erleichterte KfW-Kredite und andere Maßnahmen nach
                                                                        dem Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz zur Verfügung
                                                                        stehen, ohne dass in bestehende Vertragsbeziehungen
3. Moratorium und vorübergehende Erleich-                               eingegriffen werden muss. Diese Fokussierung auf be-
terungen bei vertraglichen Verpflichtungen und                          stimmte besonders schutzwürdige Schuldner und Vertrags-
bei Miet- und Pachtverhältnissen                                        verhältnisse ist zu begrüßen, da das Vertrauen in einen
                                                                        ausgewogenen, rechtssicheren individuellen Wirtschafts-
Das Gesetz greift in ungewohnt starker Weise in bestehen-
                                                                        verkehr in Deutschland auch in der Krise bewahrt werden
de vertragliche Beziehungen ein. Es zielt ab auf den Schutz
                                                                        sollte.

Freshfields Bruckhaus Deringer LLP   Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

                                     28. März 2020                                                                                                8
Die neue Regelung ist in das Einführungsgesetz zum                      dazu, Kündigungen und damit verbundene negative
Bürgerlichen Gesetzbuch eingebettet und bildet daher                    Konsequenzen für den Mieter zu vermeiden. Die Ungleich-
einen Teil des deutschen materiellen Zivilrechts – für                  behandlung gegenüber Dauerschuldverhältnissen zur
vertragliche Beziehungen, die ausländischem Recht unter-                Grundversorgung bzw. Erhaltung der wirtschaftlichen
liegen, gilt er nicht.                                                  Grundlagen des Erwerbsbetriebs wird bislang, soweit er-
                                                                        sichtlich, nicht näher erläutert.
Geltendmachung und Folgen
                                                                        Zu der Möglichkeit der Verlängerung der Laufzeit von
Der Schuldner muss das Leistungsverweigerungsrecht aus
                                                                        Verbraucherdarlehensverträgen in Ermangelung einer
Artikel 240 § 1 Abs. 1 oder 2 EGBGB einredeweise geltend
                                                                        einvernehmlichen individuellen anderen Lösung heißt es in
machen und trägt die Beweislast für das Vorliegen sämt-
                                                                        der Gesetzesbegründung, dass das ursprüngliche Vertrags-
licher Voraussetzungen des Moratoriums in seiner Person
                                                                        gefüge erhalten bleiben und nur zeitlich verschoben
bzw. in seinem Erwerbsbetrieb. Während hinsichtlich der
                                                                        werden soll. Die sich insoweit im Einzelfall stellenden
Frage, ob ein Kleinstunternehmen tatsächlich zur Zahlung
                                                                        Fragen z.B. im Zusammenhang mit Bankgebühren,
in der Lage ist oder nicht, Klarheit herrschen dürfte
                                                                        variablen Zinssätzen, Aus-wirkungen auf verbundene
(objektive Prüfung), ist unklar, wann von einer Gefährdung
                                                                        Verträge konnte der Gesetz-geber in der Kürze der Zeit
der wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs aus-
                                                                        nachvollziehbarerweise nicht abschließend adressieren.
zugehen ist. Ähnlich unklar dürfte der Begriff des ange-
messenen Lebensunterhalts des Schuldners sowie der ange-
                                                                        Ausblick
messenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebs sein.
                                                                        Das Gesetz befasst sich notwendigerweise kurz und recht
Im Rahmen eines vom Schuldner geltend gemachten                         allgemein mit dem Schuldner-Gläubiger-Verhältnis.
Moratoriums könnte die Stundung der Verpf lichtung des                  Zweifelsfragen aus der Berufung auf die gesetzlichen
Schuldners gleichzeitig das Recht des Gläubigers zur                    Erleichterungen im Rahmen der Krise werden im Nach-
Aufrechnung gegen eigene Verpf lichtungen blockieren.                   hinein und rückblickend geklärt werden müssen. Dies
Dasselbe gilt wohl für das allgemeine Zurückbehaltungs-                 kann in vielen Situationen zu Zweifelsfällen führen, z.B.
recht (§§ 273, 320 Abs. 1 BGB), das es dem Gläubiger                    darüber, ob der Gläubiger vernünftigerweise geltend
grundsätzlich erlaubt würde, seine eigene (Gegen-)Leistung              machen konnte, dass die Zahlungsverzögerung für ihn
zurückzuhalten, bis der Vertragspartner ebenfalls geleistet             untragbar war und dass die Zahlung rechtzeitig hätte
hat. Unklar ist, ob dies auch für das besondere Zurückbe-               erfolgen müssen, oder dass eine Kündigung zu einem
haltungsrecht des Gläubigers (gem. § 321 Abs. 1 BGB) gilt.              bestimmten Zeitpunkt rechtmäßig und wirksam erfolgt ist.
Insoweit könnte man argumentieren, dass dieses nicht                    Darüber hinaus wird die Grundrechtskonformität der
beeinträchtigt sein sollte, da es gilt, wenn die Erfüllung der          gesetzlichen Erleichterungen im Einzelnen diskutiert
Leistungspf licht des Schuldners durch seine mangelnde                  werden. Insoweit ist jedoch allgemein anerkannt, dass das
Leistungsfähigkeit gefährdet ist. Hiergegen spricht aber                Grundgesetz innerhalb bestimmter Grenzen Eingriffe in
möglicherweise der Sinn und Zweck des neuen Gesetzes.                   das Eigentum und die wirtschaftlichen Interessen des
                                                                        Einzelnen zulässt. Diese und andere Fragen werden erst
Da die jeweiligen Verpf lichtungen des Schuldners nicht zur             geklärt werden können, wenn die akuten Herausforde-
Zahlung fällig werden, ist der Schuldner, der von dem                   rungen der COVID-19-Pandemie hoffentlich bewältigt sind.
Moratorium oder der Stundung bei Verbraucherdarlehens-
verträgen profitiert, nicht zur Zahlung von Verzugszinsen               Die finale Fassung des Gesetzes schränkt die umfangrei-
verpf lichtet. Dies gilt nach der Gesetzesbegründung auch               chen Rechte der zuständigen Ministerien und der Bundes-
für Leistungen, die bei Eintritt der Voraussetzungen des                regierung, den persönlichen und zeitlichen Anwendungs-
Moratoriums bereits fällig waren – auch diese leben dann                bereich der vorgesehenen Erleichterungen zu verlängern,
mit Wegfall der Voraussetzungen des Moratoriums wieder                  gegenüber dem Ausgangsentwurf ein. Dies ist vermutlich
auf. Ob eine derart weitgehende Auslegung der Regelung,                 den während des Gesetzgebungsprozesses geäußerten
die den bereits vor Eintritt der COVID-19-Krise säumigen                Bedenken wegen der verfassungsrechtlichen Beschrän-
Schuldner schützt, sinnvoll ist, ist zu hinterfragen, denn              kungen der Möglichkeit zur Verlagerung von Gesetzge-
hinsichtlich des Rückstands mit solchen Leistungen müs-                 bungskompetenzen auf die Exekutive geschuldet. Das
sen jedenfalls bis zum Beginn der COVID-19-Pandemie                     Gesetz gibt der Bundesregierung allerdings nach wie vor
andere Gründe ursächlich gewesen sein.                                  eine weitgehende Befugnis, die Dauer der beschriebenen
                                                                        Hilfsmaßnahmen ohne Zustimmung der Legislative zu
Der Ausschluss des Verzugs ist bei Nichtzahlung von Miete               verlängern.
oder Pacht nicht vorgesehen, da insoweit kein Moratorium
vorgesehen ist, sondern ein Zahlungsverzug, der wegen der
besonderen Umstände lediglich kein Kündigungsrecht des
Vermieters auslöst. Anders als bei einem Moratorium sind
die Erleichterungen bei Mietverträgen offenbar nicht dazu
gedacht, Liquiditätsengpässe zu überbrücken, sondern

Freshfields Bruckhaus Deringer LLP   Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

                                     28. März 2020                                                                                                9
4. Strafverfahren
Lange Zeiträume zwischen den Gerichtsterminen sind in
der Regel für angeklagte Individualpersonen und betrof-
fene Unternehmen belastend. Andererseits wurden in den
vergangenen Tagen mehrere große Wirtschaftsstrafverfah-
ren, die noch für mehrere Wochen fortdauern sollten,
massiv beschleunigt und Urteile wurden, teilweise nach bis
spät in den Abend dauernden Sitzungsterminen, zügig
verkündet, um weitere Verhandlungen in oft überfüllten
Gerichtssälen zu vermeiden.

Gegenüber dieser Vorgehensweise scheint die neue Rege-
lung, die lange Unterbrechungen vorsieht, das kleinere
Übel zu sein.

Es wäre jedoch vorzuziehen, die neue Regel nur auf Ver-
fahren anzuwenden, die unbedingt fortgesetzt werden
müssen (z. B. in Haftsachen), und alle anderen Prozesse
auszusetzen und nach dem Ende bzw. einer Eindämmung
der Pandemie neu aufzunehmen.

IV. Fazit
Das Gesetz wurde innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums
von einer Woche – und damit ähnlich der schnellen
Reaktion während der Finanzkrise – auf den Weg gebracht
und verabschiedet und hat damit einen wirksamen vor-
läufigen zivil- und insolvenzrechtlichen Schutzrahmen für
Verbraucher und Unternehmen geschaffen. Die Geschwin-
digkeit, mit der das Gesetz – neben den zahlreichen
weiteren Gesetzesinitiativen zur Bewältigung der Folgen
der COVID-19-Pandemie – konzipiert wurde und das
Gesetzgebungsverfahren unter erschwerten Bedingungen
durchlaufen hat, ist beeindruckend. Unklarheiten des
Gesetzes wird die Praxis aufnehmen – und es bleibt zu
hoffen, dass die Dauer dieser unweigerlich zu einseitigen
wirtschaftlichen Belastungen führenden Eingriffe in das
Schuldrecht beschränkt bleibt.

                                                                   freshfields.com
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                                                                       City and Washington DC.
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