Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV

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Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
69. Jahrgang . ISSN 0341-2458

                                                       04 | 2022

                     Zeitschrift des
                     Deutschen Ärztinnenbundes e.V.

Das Mutterschutz-Dilemma –
und wie es sich lösen lässt
Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
INHALT/IMPRESSUM

                                                                                       ärztin
                                                                                       Offizielles Organ
                                                                                       des Deutschen Ärztinnenbundes e. V.
                                                                                       ISSN 0341-2458

                 Inhalt                                                                Herausgegeben vom
                                                                                       Deutschen Ärztinnenbund e. V.
                                                                                       Präsidentin: Dr. med. Christiane Groß, M.A.
                                                                                       E-Mail: gsdaeb@aerztinnenbund.de

                                                                                       Redaktion und V.i.S.d.P.:
          03      Editorial                                                            Alexandra von Knobloch
                  Dr. med. Christiane Groß, M.A.                                       Pressereferentin des Deutschen Ärztinnenbundes (frei)
                                                                                       E-Mail: presse@aerztinnenbund.de

          04      Gastbeitrag                                                          Redaktionsausschuss:
                  Prof. Dr. med. Britta Siegmund                                       Dr. med. Christiane Groß, M.A.
                  Der Anteil der DFG-geförderten Medizinerinnen wächst                 Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk
                                                                                       PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser
                                                                                       Dr. med. Heike Raestrup
          05      Schwerpunkt: Das Mutterschutz-Dilemma –                              Dr. med. Wajima Safi
                  und wie es sich lösen lässt
                  PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser                                 Geschäftsstelle des DÄB
                                                                                       Rhinstraße 84, 12681 Berlin
                  Prof. Dr. jur. Katja Nebe                                            Tel.: 030 54 70 86 35
                  Prof. Dr. med. Detlef K. Bartsch                                     Fax: 030 54 70 86 36
                  anonymisierter Bericht einer jungen Ärztin                           E-Mail: gsdaeb@aerztinnenbund.de

                                                                                       Wir bitten alle Mitglieder, uns ihre aktuelle
          12      Sabine C. Jenner, M.A.; Dr. phil. Christine Kurmeyer                 E-Mail-Adresse mitzuteilen
                  Schutz und Prävention vor sexueller Belästigung an der Charité
                                                                                       Grafikdesign:
                                                                                       d‘sign, Anne-Claire Martin
          14      Dr. med. Dagmar Hertle
                                                                                       Mommsenstraße 70, 10629 Berlin
                  Interprofessionelle Schwangerenvorsorge:                             Tel.: 030 883 94 95
                  Kein Abrechnungs- oder Haftungsproblem für Frauenärztinnen           E-Mail: anneclaire.martin@berlin.de

                                                                                       Druck:
          16      Dr. med. Svenja Sliwinski
                                                                                       Umweltdruck Berlin GmbH
                  Frauen in der Chirurgie im Digitalisierungsprozess                   Sportfliegerstr. 5, 12487 Berlin

          17      Bewegung in der Genderdebatte in der Chirurgie

          18      Aus dem Verband                                                      Die Zeitschrift erscheint dreimal pro Jahr.
                  Dr. med. Ulrike Berg; Dr. med. Tonia Iblher                          Heftpreis 5 Euro. Bestellungen werden von der
                                                                                       Geschäftsstelle entgegengenommen.
                  Frauen gesundheitlich vom Klimawandel stärker
                                                                                       Für ordentliche Mitglieder des DÄB ist der Be-
                  betroffen als Männer                                                 zugspreis durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten.
                                                                                       Redaktionsschluss der Ausgabe 02/2022:
          20      Junges Forum: Interview mit Lina Mosch über Veränderungen            30. Juni 2022
                  durch die Digitalisierung der Medizin – aus Sicht junger Ärztinnen
                                                                                       Fotos:
                                                                                       S. 1: 123rf_sheeler, S. 5: 123rf_kittikornphongok,
          21      Dr. med. Olga Herschel                                               S. 8: 123rf_donot6, S. 10, 12, 13, 15, 16: Unsplash,
                  Buchbesprechung: Einmalig breites Kompendium zur Zukunft             S. 17: 123rf_jeep5d, S. 18: 123rf_alohaflaminggo,
                                                                                       S. 19: 123rf_manpeppe, S. 20: 123rf_rumkavodki,
                  der Frauen in der Medizin                                            S. 21: 123rf_gmast3r

          22      Neue Mitglieder • Mitgliederversammlung • Wir gratulieren            Haftungsbeschränkung
                                                                                       Der DÄB übernimmt weder die Verantwortung für den
                                                                                       Inhalt noch die geäußerte Meinung in den veröffent­
          23      Dr. PH Benjamin Kuntz                                                lichten Beiträgen. Für unverlangt eingesandte Manu­
                  150. Geburtstag von Hermine Heusler-Edenhuizen:                      s­kripte und Fotos übernehmen wir keine Haftung.
                  Gründungsvorsitzende des Bundes Deutscher Ärztinnen                  Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die
                                                                                       Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen
                                                                                       Autorin und nicht immer die Meinung der Redaktion
          24      Aufruf: Themen und Material für 100 Jahre Ärztinnenbund              wieder. Wir behalten uns das Recht vor, Beiträge und
                                                                                       auch Anzeigen nicht zu veröffentlichen.

 2    ärztin 1 April 2022                                                                                                      69. Jahrgang
Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
EDITORIAL

Liebe Kolleginnen,

in der vorliegenden Ausgabe der ärztin                                   Im Heft finden Sie außerdem andere
beschäftigen wir uns in der Titelstrecke                                 wichtige Themen, die den DÄB seit Jah-
(ab S. 5) mit einem der aktuell wichtigs-                                ren beschäftigen. Der Blick auf Gender-
ten Themen für junge Ärztinnen. Schwan-                                  medizin, Digitalisierung, die Problematik
gerschaft verlängert für sie – zum Teil                                  sexueller Übergriffe im beruflichen Um-
schon während des Studiums – durch                                       feld und der Blick in die Geschichte des
die Beschäftigungsverbote die zeitlichen Abstände ge-         DÄB werden Sie hoffentlich ebenso faszinieren wie
genüber Ärzten bis zur Facharztanerkennung. Ein Kind          mich.
zu erwarten ist damit einer der Hauptgründe für den
Karriereknick bei Ärztinnen.                                  Die Mitgliederversammlung hat die Mitgliedschaft
                                                              bei KLUG beschlossen (S. 18–19), damit der Deutsche
Das Thema Mutterschutz betrifft auch die Kolleg:in-           Ärztinnenbund auch ein sichtbares Zeichen für Klima
nen, die bei einem Beschäftigungsverbot die anfallen-         und Gesundheit setzt. Ein neuer Ausschuss ist für das
den Aufgaben und ausfallenden Dienste übernehmen              Thema zuständig und Ihre Mitarbeit ist erwünscht!
und abfedern müssen. Das wird oft als Argument her­           Wir arbeiten auch an weiteren Ausschüssen, so dass
angezogen, um eine schwangere Kollegin möglichst              sich Mitglieder insgesamt einfacher beteiligen kön-
rasch und konsequent aus der Planung zu nehmen.               nen. Auch bei diesem Prozess ist Ihre Mitwirkung er-
Kein Wunder also, dass sich immer noch viele Ärztin-          wünscht! Schauen Sie einfach demnächst mal auf
nen entscheiden, ihre Schwangerschaft erst mal gar            die Homepage und erkunden Sie die neuen Mitmach-
nicht oder sehr spät zu melden. Das konterkariert na-         Optionen.
türlich den Sinn der Mutterschutz-Gesetzgebung.
                                                              Und last, but not least sind wir von der Situation des
Erstaunlich ist für mich, dass sich die Arbeitgeber:in-       Krieges in der Ukraine auch sehr betroffen und haben
nen trotz des Ärzt:innenmangels nicht stärker dafür           überlegt, wie wir Hilfe bieten können. Möglichkeiten
einsetzen, die Schwangere zu unterstützen und sie             für Hilfen und Spenden gibt es viele mit finanziellem
sich als Arbeitskraft zu erhalten. Wie der Begriff Ärzt:in-   und/oder persönlichem Einsatz. Ärztinnen und Ärzte in
nenmangel ja verdeutlicht, müsste außerdem die Ge-            der Ukraine benötigen Medikamente und andere Ma-
sellschaft daran interessiert sein, dass schwangeren          terialien für die Gesundheitsversorgung. Hier möchte
Ärztinnen, die weiterarbeiten wollen, ein Weg bereitet        ich unter anderem auf „Aktion Medeor“ und „I.S.A.R.
wird, dies zu tun. Und zwar ohne dass sie damit sich          Germany“ (International Search and Rescue) aufmerk-
und das Kind gefährden. Nichts anderes sollte die No-         sam machen, falls Sie noch eine diesbezügliche Spen-
vellierung der Mutterschutz-Gesetzgebung erreichen.           denoption suchen.
Gut gedacht ist hier aber nicht gut gemacht und für
Frauen im Gesundheitswesen hat sich die Novellie-             Ich wünsche Ihnen, dass Sie weiter gut durch die Pan-
rung eher zu einem Bumerang entwickelt.                       demie kommen und wünsche uns allen, dass die Welt-
                                                              gemeinschaft einen Weg findet zum Frieden, um das
Wir fordern eine Besserung. Natürlich darf diese aber         Leid zu verringern.
nicht dazu führen, dass nun psychischer Druck auf
diejenigen Schwangeren ausgeübt würde, die nicht              Mit kollegialen Grüßen
weiterarbeiten möchten, weil sie Bedenken wegen
des Kindes haben. Das darf nicht passieren! In unse­
rem Heft stellen wir uns dem Spannungsfeld zwi-
schen der Freude von Schwangeren, bald Mutter zu
werden, und den Problemen, die mit dem Arbeits-
platz zusammenhängen, so dass – wie auf unserem               Dr. med. Christiane Groß, M.A.,
Titelbild – mancher ärztliche Arbeitsplatz leer bleibt.       Präsidentin des DÄB

                                                                                                           ärztin 1 April 2022   3
Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
GASTBEITRAG

                                                 Der Anteil der DFG-geförderten
                                                 Medizinerinnen wächst
                            Foto: © Leopoldina

                                                         PROF. DR. MED. BRITTA SIEGMUND

      Genderforschung? Chancengleichheit für Frauen in der Wissenschaft? Unter anderem bei solchen The-
      men kommt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine wichtige Rolle zu.

     D
               ie Gleichstellung von Männern und Frauen in der           Verteilung der Gelder
               Wissenschaft ist in der Satzung der DFG verankert
               und stellt damit ein zentrales Ziel dar. Als Konsequenz   Grundsätzlich besteht die Besonderheit der DFG jedoch darin,
      wurden bereits 2008 die „Forschungsorientierten Gleichstel-        Forschungsvorhaben in allen Wissenschaftsbereichen zu för-
      lungsstandards“ als Selbstverpflichtung verabschiedet (dfg.        dern. Die Lebenswissenschaften spielen mit rund 1,2 Mrd.
      de/foerderung/grundlagen_rahmenbedingungen/chancen-                Euro Fördervolumen im Jahr 2020 eine wichtige Rolle: Das
      gleichheit/gleichstellungsstandards). Dazu existiert ein quali-    ist etwas mehr als ein Drittel der laufenden Förderung. Die
      tatives Berichtswesen und zu zwei Schwerpunktthemen (Re-           Forschungsthemen werden von den Wissenschaftler:innen
      krutierungsverfahren zur Gewinnung von Wissenschaftlerin-          bestimmt und nach Qualität und Qualifikation der Antragstel-
      nen, Entlastung von Wissenschaftlerinnen für die Gremienar-        lenden von Forschenden begutachtet. Natürlich kann es hier-
      beit) gibt es seit 2020 Empfehlungen, um noch weiter voran-        bei auch von der Wissenschaft getriebene, themenbezogene
      zukommen.                                                          Ausschreibungen geben, wie im Format der Schwerpunkt-
                                                                         programme oder aber durch die Kommission für Pandemie­
      Anstieg um 5 Prozent                                               forschung die Fokus-Förderungen für die aktuelle Pandemie.
                                                                         Beide Beispiele gelten für alle Wissenschaftsbereiche.
      Schaut man auf die DFG-Geförderten in der Medizin, hat der
      Anteil der Bewilligungsempfängerinnen in der Einzelförderung       Genderforschung im Blick
      in den letzten zehn Jahren erfreulich zugenommen, nämlich
      um 5 Prozentpunkte auf 30,8 Prozent. Es ist aber auch richtig,     Was die Gendermedizin anbelangt, so ist klar: Nicht nur die
      dass in der Medizin der Dropout von Wissenschaftlerinnen be-       gendermedizinischen Aspekte, sondern auch die Diversität
      sonders hoch ist.                                                  sind kritische Aspekte in wissenschaftlichen Projekten, die
                                                                         lange nicht ausreichend Aufmerksamkeit erfahren haben. Die
      Um dies zu verbessern, sind auch bessere Rahmenbedingun-           Antragstellenden werden nun aber angehalten, zur Relevanz
      gen erforderlich. Maßnahmen, die hierzu beitragen, sind unter      dieser Punkte für ihr spezifisches Forschungsvorhaben Stel-
      anderem die durch die Senatskommission für Grundsatzfragen         lung zu nehmen. Dies steht in Übereinstimmung mit dem Ko-
      der Klinischen Forschung initiierten DFG Clinician Scientist-      dex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“
      Programme. Sie erlauben eine größere zeitliche Planbarkeit         der DFG. Darüber hinaus hat die DFG eine umfangreiche In-
      der wissenschaftlichen Arbeit und sind an vielen Standorten        formationswebseite mit Begriffserklärungen, einer Checkliste
      etabliert. Darüber hinaus unterstützt die DFG Forscherinnen        sowie Beispielen aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen
      und Forscher aller Disziplinen bei der Vereinbarkeit von Beruf     ver­öffentlicht, um die Relevanz des Themas allen zu verdeut-
      und Familie durch Ausgleich des Ausfalls oder bei einer Teil-      lichen (dfg.de/foerderung/grundlagen_rahmenbedingungen/
      zeittätigkeit der Projektleitung aus familiären Gründen oder       vielfaeltigkeitsdimensionen). ƒ
      des im Projekt beschäftigten Personals. In verschiedenen
      Projektarten kann hier eine spezielle Pauschale für Chancen-        Prof. Dr. med. Britta Siegmund ist Direktorin der Medizi­nischen
      gleichheitsmaßnahmen beantragt werden. Für die Medizin hat          Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie
      die DFG mit den Clinician Scientist-Programmen somit einen          an der Berliner Charité. Seit 2019 ist sie außerdem Vizepräsi-
      wichtigen Akzent gesetzt. Sie strukturieren universitätsmedi­       dentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
      zinische Laufbahnen und erlauben eine bessere Planbarkeit
      von Karrieren in einem hoch kompetitiven Umfeld.                   E-Mail: britta.siegmund@dfg.de

 4    ärztin 1 April 2022                                                                                                      69. Jahrgang
Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
#BESSERERMUTTERSCHUTZJETZT!

                                             Mutterschutz: Quo vadis?
                      Foto: © Oliver Kraus

                                                   PD DR. MED. BARBARA PUHAHN-SCHMEISER

43 Prozent der Medizinstudentinnen und Ärztinnen sehen ihre berufliche Entwicklung behindert, weil
ihr Aufgabenbereich umgestaltet wird, sobald sie eine Schwangerschaft bekannt geben. Dieses Ergebnis
einer Umfrage des DÄB ist besorgniserregend. Der Ärztinnenbund hat inzwischen mehrere Initiativen
angestoßen, um die Situation zu bessern.

S
       eit 01. Januar 2018 ist das novel-           Der DÄB engagiert sich für die weiter-          Wir fordern, dass notwendige Schutz-
       lierte Mutterschutzgesetz in Kraft.          bildungsrelevante Weiterbeschäftigung           maßnahmen ergriffen werden, um die
       Es sollte eine diskriminierungs-             von schwangeren Ärztinnen, die bei nor-         Arbeitsbedingungen gesundheitlich si-
freie Teilhabe von schwangeren, stillen-            mal verlaufender Schwangerschaft wei-           cher zu gestalten und so eine Weiterbe-
den und jüngst entbundenen Frauen an                ter mit Kontakt zu Patient:innen sicher         schäftigung zu ermöglichen. Pauschale
ihrem Arbeitsplatz bewirken. Allerdings             tätig sein möchten. Wir sind im Bundes-         Beschäftigungsverbote müssen vermie-
werden nun schwangeren und stillenden               ausschuss für Mutterschutz vertreten,           den werden, um die Gesetzesnovelle ih-
Ärztinnen meist Tätigkeiten zugewiesen,             der jedoch nur langfristig zu einem Er-         rem Sinn gemäß umzusetzen.
die zum Teil berufsfremd und meistens               gebnis führen wird. Um schneller Ver-
nicht weiterbildungsrelevant sind. Viele            besserungen zu erreichen, hat der DÄB           Es besteht Rechtsanspruch
werden sogar direkt ins Beschäftigungs-             im Sommer 2021 die Ärztekammern so-
verbot geschickt. Für manche Schwan-                wie Fach- und Berufsverbände zur Un-            In einer Zeit des Fachkräftemangels im
gere beginnt der Karriereknick bereits im           terstützung unseres Anliegens aufgeru-          Gesundheitswesen ist es nicht hinnehm-
Studium, weil sie bestimmte Kurse nicht             fen. Die daraus entstandene Unterstüt-          bar, dass hochmotivierte und gut aus-
mehr belegen können oder nicht mehr                 zerliste findet sich auf der DÄB-Website.       gebildete Beschäftigte nicht weiterar-
„am Patienten“ arbeiten dürfen.                                                                     beiten dürfen, obwohl die Risikolage
                                                    Ende 2021 haben wir einen gemein-               verantwortbar ist. Ein Nullrisiko existiert
Spielraum für Willkür                               samen Brief mit der Bundesärztekam-             nirgendwo für Schwangere, folglich kann
                                                    mer, dem Deutschen Pflegerat und dem            das kein Argument sein. Frauen aus
Juristische Formulierungen im Geset-                Deutschen Hebammenverband an drei               der Retraditionalisierungsfalle holt nur,
zestext sind nicht eindeutig und daher              Bundesministerien (BMG, BAM, BMFSFJ)            wer den Mutterschutz konsequent in den
weit auslegbar. Das macht es für Ar-                sowie an die gesundheitspolitischen             betrieblichen Arbeitsschutz integriert
beitgeber:innen schwer, Schwangere                  Ausschüsse der Koalitionsparteien ver-          und Lösungen sucht. Auf einen Mutter-
weiter zu beschäftigen – selbst bei fun-            schickt, um auf die Missstände auf-             schutz, der beiden Schutzanliegen glei-
dierter Gefährdungsbeurteilung, gewis-              merksam zu machen. Kürzlich erfolgte            chermaßen gerecht wird, haben Frauen
senhafter Umgestaltung der Arbeits-                 zudem ein Aufruf, uns Positiv-Beispiele         einen Rechtsanspruch (S. 6 ff.). Staat
bedingungen und Einhaltung strenger                 zu melden von Kliniken, Krankenhaus-            und Gesellschaft sind in der Pflicht. Die
Schutzmaßnahmen. Nicht selten halten                Abteilungen und Arztpraxen, die den             Benachteiligung von Frauen, die das
beaufsichtigende Behörden Restrisiken               Mutterschutz im Sinne der schwangeren           Gesundheitswesen maßgeblich stützen
für nicht gänzlich ausgeschlossen und               Frauen umsetzen. Ein solches Beispiel           und am Laufen halten, muss enden. ƒ
bescheiden daher die Gefährdungsbe-                 finden Sie auf S. 9. Ziel ist es, daraus eine
urteilung negativ. Noch komplizierter               Liste von Best-Practice-Beispielen zu er-        PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser
ist die Situation, weil die Bewertung in            stellen, um damit auch anderen Arbeit-           ist Vizepräsidentin des DÄB und im Vor-
verschiedenen Regionen Deutschlands                 gebern Vorbilder zu liefern, wie es zu           stand zuständig für das Thema Mutter-
ganz unterschiedlich erfolgt – und zu-              schaffen ist, dass schwangere Ärztin-            schutz.
dem individuell davon abhängt, wer ei-              nen gut geschützt ihrer Arbeit nachgehen
nen solchen Vorgang bearbeitet.                     können.                                         E-Mail: barbara.schmeiser@aerztinnenbund.de

                                                                                                                            ärztin 1 April 2022   5
Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
#BESSERERMUTTERSCHUTZJETZT!

                                                   Diskriminierungsfreier Mutterschutz:
                                                   Mut und Erkenntnisforschung zur
                           Foto: © Markus Scholz
                                                   verantwortungsvollen Gestaltung

                                                            PROF. DR. JUR. KATJA NEBE

     Gesundheitsschutz darf nicht einseitig Frauen von ihrer beruflichen Teilhabe ausschließen. Diese Er-
     kenntnis wurde in Deutschland jedoch lange nicht auf den Mutterschutz übertragen. Die Abkehr von
     der paternalistischen Aussperrung, die aktuell Ärztinnen als diskriminierend erleben, ist überfällig. Eine
     juristische Betrachtung.

     F
            rauen haben dieselben Rechte wie Männer. Falls die           gungsverbotes mit gleichzeitigem Entgeltersatzanspruch für
            Gleichberechtigung der Geschlechter nicht erreicht ist,      abhängig beschäftigte Frauen.
            müssen Staat und Gesellschaft tätig werden. Frauen
     haben das Recht auf freie Berufswahl und Berufsausübung             Seit den 1970er Jahren jedoch wurde über die negativen
     und damit auch auf Berufsbildung wie Männer. All dies ist ver-      Wirkungen speziell frauenschützender Normen diskutiert. Be-
     fassungsrechtlich verankert. Faktisch ist der Weg vom Medi-         kannt ist vor allem die Aufhebung des gesetzlichen Nacht-
     zinstudium zur Chefärztin oder Medizinprofessorin für viele         arbeitsverbotes allein beschränkt auf Frauen. Gesundheits-
     Frauen bis heute steiniger als für Männer.                          schutz darf nicht einseitig Frauen von ihrer beruflichen Teilha-
                                                                         be ausschließen. Diese Erkenntnis wurde in Deutschland nicht
     Frauenfördernd wirkt sich die Nachfrage nach Fachkräften            auf den Mutterschutz übertragen. Die Stimmen für einen dis-
     aus. Nicht selten ziehen Klinikleitungen und Medizinerinnen         kriminierungsfreien Mutterschutz erlangten erst im Zuge der
     an einem Strang, wenn es um Kontinuität in der Ausbildung           Reform des Mutterschutzrechts Gehör und Gewicht.
     und Beschäftigung geht. Die Perspektiven der beiden Seiten
     unterscheiden sich allerdings bisweilen deutlich. Was sich aus      Anpassung vor Verbot
     weiblicher Sicht als Durchsetzung eines Menschenrechts dar-
     stellt, ist aus personalwirtschaftlicher Sicht eine ökonomische     Seit 1.1.2018 gilt gemäß Paragraf 1 des Mutterschutzgeset-
     Kennzahl.                                                           zes, dass Frauen durch mutterschutzspezifische Maßnahmen
                                                                         in Ausbildung und Beruf nicht benachteiligt werden dürfen.
     Aufgabe von Verfassungsrang                                         Das Mutterschutzgesetz ist gegenüber dem Normbestand
                                                                         aus 1952 deutlich modernisiert worden. Heute lässt sich der
     Nicht erst seit der gesetzgeberischen Reform des Mutter-            mit dem Mutterschutzrecht bezweckte Mechanismus auf fol-
     schutzrechts im Jahr 2017 treten im oben beschriebenen Zu-          gende Formel komprimieren: „Kommunikation der Risiken und
     sammenhang besondere Herausforderungen zutage. Frauen               Schutzmaßnahmen auf Basis der Gefährdungsbeurteilung
     und ihre (ungeborenen) Kinder müssen vor den gesundheitli-          und zusätzliche Anpassung der Beschäftigungssituation bei
     chen Risiken während der Schwangerschaft, nach der Geburt           Eintritt eines Mutterschutzfalls.“
     und in der Stillphase besonders geschützt werden. Die Vulne-
     rabilität und der damit verbundene besondere Gesundheits-           Die Abbildung rechts zeigt den Kreislauf der Präventionsmaß-
     schutz von (werdender) Mutter und (ungeborenem) Kind sind           nahmen. Dabei spielen die – noch sogenannten – Beschäfti-
     unbestritten. Ebenso wie die Geschlechtergleichstellung sind        gungsverbote erst als letztes Mittel eine Rolle. Besser bezeich-
     sie eine Aufgabe von Verfassungsrang.                               net wären sie als Expositionsverbote. Demnach kommt eine
                                                                         Freistellung von der gewohnten Tätigkeit überhaupt erst in
     Jahrzehntelang galten dazu fürsorgliche Beschäftigungsver-          Betracht, wenn sich eine Gefährdung nicht durch andere Ge-
     bote als das zentrale Schutzinstrument. So war es im Mutter-        staltungs- oder Anpassungsmaßnahmen beseitigen lässt. Die
     schutzgesetz der Bundesrepublik seit 1952 bis zur jüngsten          Rangfolge der gesetzlich vorgesehenen Schutzmaßnahmen –
     Gesetzesreform nahezu unverändert geregelt. Die gesamte             Umgestaltung der Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzwechsel
     Rechtssystematik war auf einen Mechanismus ausgelegt: Mit-          und zuletzt ein Beschäftigungsverbot – dient der gleichberech-
     teilung der Schwangerschaft und Ausspruch eines Beschäfti-          tigten Teilhabe der Frau an Ausbildung und Beschäftigung.

 6   ärztin 1 April 2022                                                                                                     69. Jahrgang
Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
#BESSERERMUTTERSCHUTZJETZT!

                         Der richtige Weg zur Gefährdungsbeurteilung:
                   So kann die Weiterarbeit für schwangere Ärztinnen gelingen
SCHLESINGER 2009

                                                                                                                                      Zur Verfügung gestellt von Prof. Nebe

Bereits einige Urteile                       Gründe für Rückschritt                      Schon mit der Reform im allgemeinen
                                                                                         Arbeitsschutz durch das 1996 mit gänz-
Gerichtlich ist geklärt, dass der vor-       Wenn all dies normativ so gut fundiert      lich neuem Leitbild eingeführte Arbeits-
schnelle oder automatische Ausspruch         und auch so eindeutig judiziert wird: Wa-   schutzgesetz hat sich gezeigt, wie an-
eines Beschäftigungsverbots eine unzu-       rum mehren sich dann seit der Reform        spruchsvoll der Lernprozess für den
lässige Diskriminierung der betreffenden     die Stimmen, die von Rückschritten beim     kulturellen Wandel ist. Die vorausschau-
Frau darstellt. Ebenso ist gerichtlich ge-   Mutterschutz sprechen? Ohne pauscha-        ende betriebliche Arbeitsschutzorgani-
klärt, dass das Unterlassen der präven-      lieren zu wollen und zu dürfen, lassen      sation braucht handhabbare Instru-
tiven Maßnahmen des Arbeits- und Ge-         sich mehrere Gesichtspunkte anführen:       mente, kommunikationsbereite und gut
sundheitsschutzes, und damit vor allem       Das Reformvorhaben ist gewaltig, denn       vernetzte Akteur:innen sowie den fort-
das Unterlassen der Gefährdungsbeur-         jahrzehntelang wurde es versäumt, Pra-      laufenden arbeitswissenschaftlichen Er-
teilung, eine diskriminierende Behand-       xiswissen für einen teilhabesichernden      kenntnisprozess. Noch heute gibt es
lung darstellt.                              Mutterschutz zu sammeln.                    zahlreiche Betriebe ohne allgemeine Ge-

                                                                                                                ärztin 1 April 2022                                           7
Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
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                                                                                                  Gefährdungsbeurteilungen zu setzen,
                                                                                                  werden Frauen genötigt, ihre Schwan-
                                                                                                  gerschaft zu verschweigen, um keine
                                                                                                  beruf­lichen Nachteile zu erleiden. Dabei
                                                                                                  bleibt der Mutterschutz auf der Strecke,
                                                                                                  im schlimmsten Fall mit unerkannten Ri-
                                                                                                  siken für Mutter und Kind. Zu beobach-
                                                                                                  ten sind zudem Fälle, in denen Schwan-
                                                                                                  gere nur weiterbeschäftigt werden, wenn
                                                                                                  sie ihre Arbeitgeber:innen und Vorge-
                                                                                                  setzten von etwaiger Haftung frei­stellen.
                                                                                                  All das stellt die Rechtslage auf den Kopf
                                                                                                  und ignoriert fundierte Erkenntnisse, wie
                                                                                                  sich risikoarmes Arbeiten im Gesund-
                                                                                                  heitssektor ermöglichen lässt.

                                                                                                  Rechtswidrige Praktiken
     Büroarbeit statt Operationen: Das ist nicht im Sinne des teilhabesichernden Mutterschutzes
     und muss nach Möglichkeit vermieden werden                                                Prävention, Rehabilitation und Entschä-
                                                                                               digung sind allesamt Aufgaben der Ar-
     fährdungsbeurteilung. Die Folge sind erhöhte Fehlbeanspru-           beitgeberinnen und Arbeitgeber beziehungsweise der Un-
     chungen und Arbeitsausfallzeiten. Wiederum funktioniert              fallversicherung. Auch eine berufsbedingte Schädigung der
     Mutterschutz dort besser, wo bereits der betriebliche Arbeits-       Leibesfrucht, falls das trotz aller verantwortlicher Weiterbe-
     schutz insgesamt kommunikativ aufgestellt ist.                       schäftigung passiert, löst wie jede(r) andere Arbeitsunfall/Be-
                                                                          rufskrankheit die Versicherungsleistungen der Unfallversiche-
     Institutionen sind gefordert                                         rung aus. Arbeitgeber sind durch die gesetzliche Unfallver-
                                                                          sicherung weitestgehend von der eigenen Haftung befreit. Die-
     Die Erkenntnis ist eindeutig: Mutterschutz muss als systemi-         se seit über 120 Jahren normierte sozialpolitische Lösung gilt
     scher Teil des präventiven und kommunikativen Arbeitsschut-          natürlich auch für arbeitende Frauen.
     zes umgesetzt werden. Aufsichtsbehörden, einschließlich der
     Berufsgenossenschaften, müssen Betriebe, Belegschaften,              Auch wenn der Gesetzgeber seine Reform des Mutterschutz-
     Interessenvertretungen und sonstige Verantwortliche in der           gesetzes nicht an die Unfallversicherungsträger adressiert
     Anwendung des teilhabesichernden Mutterschutzes unter-               hat, sind diese dringend gefordert, den genannten rechtswid-
     stützen. Die mit dem gesicherten arbeitswissenschaftlichen           rigen Praktiken über die vermeintliche individuelle Haftung der
     Erkenntnisgewinn betrauten Institutionen müssen zügig die            Frauen entgegenzutreten und sich in den überfälligen Prozess
     Lücken in der Forschung schließen. Gefordert sind hier vor           zur Entwicklung gesicherter arbeitswissenschaftlicher Er-
     allem die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedi-           kenntnisse einzubringen.
     zin (BAuA) und der Ausschuss für Mutterschutz am Bundes­
     familienministerium. Die betrieblichen Akteur:innen brauchen         Fazit: Frauen mit Pioniergeist brauchen die Unterstützung
     klare Erkenntnisse über die Risiken und geeigneten Schutz-           aller Akteur:innen, damit sie ihre Fähigkeiten entfalten können,
     maßnahmen im Mutterschutzfall. Die Verbreitung der Leitlinien        ohne sich oder ihr (werdendes) Kind zu schädigen. ƒ
     der Kommission ist nur ein erster, aber wichtiger Schritt, um
     das neue Leitbild zu kommunizieren. (https://www.llv.li/files/
     avw/pdf-llv-avw-technik-as-kom2000_466de01.pdf)                        Prof. Dr. jur. Katja Nebe hat den Lehrstuhl für Bürgerliches
                                                                            Recht, Arbeitsrecht, Recht der Sozialen Sicherheit an der Uni-
     Auswüchse des Ist-Zustands                                             versität Halle-Wittenberg inne. Die rechtswissenschaftliche
                                                                            Bewertung von Fragen zur Teilhabe an Arbeit ist ihr Schwer-
     Der Handlungsbedarf ist dringlich. Wenn Verantwortliche –              punkt.
     etwa Vorgesetzte, Betriebsärzt:innen, Aufsichtsbeamt:innen –
     pauschale Tätigkeitsverbote aussprechen, statt auf fundierte         E-Mail: katja.nebe@jura.uni-halle.de

 8   ärztin 1 April 2022                                                                                                        69. Jahrgang
Das Mutterschutz-Dilemma - und wie es sich lösen lässt - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher Ärztinnenbund eV
#BESSERERMUTTERSCHUTZJETZT!

                                                    Operieren in der Schwangerschaft:
                      Foto: © UKGM Gießen-Marburg
                                                    Es kann möglich sein

                                                             PROF. DR. MED. DETLEF K. BARTSCH

Um operative Fächer für Frauen weiter attraktiv zu machen, müssen für die Kolleginnen vernünftige
Rahmenbedingungen herrschen, die eine an die jeweilige persönliche Situation angepasste Facharztaus-
bildung sicherstellen. Darum war es für mich als Direktor einer chirurgischen Universitätsklinik uner-
lässlich, Lösungen für den Mutterschutz zu finden.

I
    m Jahr 2020 waren von den 101 712                      Das Arbeiten im OP erfolgte auf aus-        zwischen 2018 und März 2020 bisher 4
    Medizinstudierenden in Deutschland                     drücklichen Wunsch der Chirurginnen.        Chirurginnen ihre operative Tätigkeit an
    rund zwei Drittel Frauen. Der Zu-                      Die OP-Dauer durfte maximal 3 Stunden       der Klinik für Visceral-, Thorax- und Ge-
wachs an weiblichen Chirurginnen be-                       nicht überschreiten. Eingriffe wurden       fäßchirurgie bis kurz vor der Niederkunft
trug in den Jahren 2012 bis 2020 fast                      klar definiert (etwa Struma, Galle, Leis-   fortführen.
40 Prozent. Insbesondere die operative                     tenhernie, Hemikolektomie rechts). Alle
Weiterbildung während der Schwanger-                       Patient:innen für diese elektiven Opera-    Zudem war auch Schwangeren aus der
schaft stellte lange Zeit ein großes Pro-                  tionen mussten zuvor negativ auf HBV,       Klinik für Anästhesie und dem OP-/An­
blem dar: Das in meinen Augen unzeit-                      HCV und HIV getestet sein. Zu jedem         ästhesie-Pflegepersonal eine Weiterbe-
gemäße Mutterschutzgesetz von 1952                         Zeitpunkt bestand eine Auslösemöglich-      schäftigung im OP möglich. Hervorzu­
führte dazu, dass sich viele Chirurgin-                    keit für die Schwangeren.                   heben ist, dass diese Umsetzung des
nen gezwungen sahen, ihre Schwan-                                                                      Mutterschutzgesetzes in Marburg nur
gerschaft erst spät bekannt zu geben.                      Schutz exakt definiert                      durch eine sehr enge Zusammenarbeit
Wurde sie offiziell, führte das zu einem                                                               mit dem betriebsärztlichen Dienst und
strikten Operationsverbot und damit zu                     Zu den obligatorischen Schutzmaßnah-        der Klinik für Anästhesie gelang.
einer Verzögerung der Facharztweiter-                      men während aller OPs gehörten dop-
bildung und auch zu Einschnitten in der                    pelte Handschuhe mit Indikatorsystem        Leider machte die Pandemie in Hessen,
Karriereplanung.                                           sowie eine Schutzbrille oder Visier. Zu-    wie auch in anderen Bundesländern, alle
                                                           sammen mit den Kolleg:innen der Anäs-       Erfolge kurzerhand zunichte: Bis heute
Als Erstes: Genauer Plan                                   thesie wurde ein „Schwangerensaal“ an       wird für schwangere Ärztinnen aus-
                                                           2 bis 3 Tagen in der Woche eingerich-       nahmslos ein Beschäftigungsverbot ver-
Anfang 2018 wurde das Mutterschutz-                        tet, in dem alle Narkosen als TIVA oder     hängt. Meines Erachtens ist es dringend
gesetz endlich angepasst. Dies öffnete                     Regio­ nal- bzw. Leitungsanästhesie ge-     geboten, diese Regelung zügig zu über-
auch der Chefetage die Möglichkeit, die                    macht werden mussten. In diesem Saal        denken und bundeseinheitliche Regeln
Facharztausbildung im OP trotz einer                       durften an diesen Tagen keine Gasnar-       festzulegen. Das ausnahmslose Be-
Schwangerschaft weiter anzubieten.                         kosen stattfinden.                          schäftigungsverbot stellt, obwohl in pro-
Dennoch war der Weg durch die Regu-                                                                    tektiver Intention verhängt, eine erheb­
larien nicht einfach. Wir mussten zu-                      Regierungspräsidium entschied               liche Benachteiligung für schwangere
nächst gemeinsam mit dem betriebs­                                                                     Chirurginnen dar. ƒ
ärztlichen Dienst und der Klinik für An-                   Nach Konsentierung und Verschriftli-
ästhesie einen Plan erarbeiten, um das                     chung dieser Rahmenbedingungen er-           Prof. Dr. med. Detlef K. Bartsch ist
neue Gesetz in der Universitätsklinik in                   folgte ein offizieller Antrag mit Prüfung    Direktor der Klinik für Visceral-, Thorax-
Marburg umzusetzen. In der Viszeral-,                      des Konzepts beim Regierungspräsi­           und Gefäßchirurgie am Universitäts­
Thorax- und Gefäßchirurgie wurden fol-                     dium Hessen. Nach dessen Freigabe war        klinikum Marburg und stellvertretender
gende Eckpunkte definiert, konsentiert                     dann das Operieren für unsere schwan-        Direktor des Transplantationszentrums.
und bis zur Corona-Pandemie umge-                          geren Chirurginnen möglich. So konnten
setzt:                                                     bis zum Beginn der Corona-Pandemie          E-Mail: bartsch@med.uni-marburg.de

                                                                                                                                ärztin 1 April 2022   9
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      Junge Ärztinnen wünschen sich Klarheit –
      bevor sie schwanger werden
      Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Kind? Diese Frage stellt sich wohl jede Frau einmal, wenn sie
      Mutter werden möchte. Viele junge Ärztinnen sehen sich aktuell durch ihren Beruf in einem besonderen
      Dilemma. Das drohende Beschäftigungsverbot bei einer Schwangerschaft verdichtet die Abwägung für
      sie zu einer Grundsatzfrage. Kind oder Karriere? Den DÄB erreichen immer wieder Berichte von Ärztinnen,
      die versuchen, ihre Zukunft zu planen und stattdessen gegen Wände prallen. Hier ein Fall:

      D
              arf eine schwangere Ärztin eine        schwanger und müsste allein deshalb 6         verdeutlicht einem die aktuelle Situation
              FFP2-Maske tragen? Angeblich           oder 7 Monate aussetzen, würde es ex-         die wahre Chancenungleichheit beson-
              nicht. Zu gefährlich für das wer-      trem eng, beruflich noch mitzuhalten“,        ders stark.“ Alleingelassen oder bevor-
      dende Kind. So wurde es der angehen-           berichtet sie. „Ja zu sagen zur Mutter-       mundet, ohne etwas ändern zu können:
      den Internistin Lisa Bergmann (Name            schaft, das fällt momentan vielen Ärz-        So erleben sich viele Ärztinnen mit Kin-
      von der Redaktion geändert) zugetragen.        tinnen schwer, obwohl es eigentlich gut       derwunsch derzeit. „Wir erkennen ge-
      Das basiere auf Leitfäden des Gewerbe-         ins Leben passen würde.“ Das Thema            ballt, was für Frauen in der Medizin noch
      aufsichtsamts zum Mutterschutz in der          Mutterschutz: Für die Ärztinnen um die        schiefläuft, sei es Teilzeit, Jobsharing
      Corona-Pandemie. Doch ohne Schutz-             30 im Umfeld von Lisa Bergmann ist es         oder Kinderbetreuung.“
      maske, das ist klar, ist man als werden-
      de Mutter derzeit in einer Klinik nur sehr
      bedingt einsetzbar. Die Konsequenz: Be-
      schäftigungsverbot für alle schwange-
      ren Ärztinnen. Vorsorglich.

      Viele Fragen, keine Vorarbeit

      Ob sich das wirklich so ableiten ließe?
      Ob solche zum Beginn der Pandemie ei-
      lig erstellten Schutzvorgaben mit dem
      heutigen wissenschaftlichen Kenntnis­
      stand über Corona überhaupt noch an-
      wendbar sind? Ob das Gewerbeauf-
      sichtsamt wirklich relevant ist für die
      Entscheidung über die Beschäftigung
      von schwangeren Ärztinnen? Was ist
      mit der Betrachtung jedes einzelnen            Alleingelassen mit vielen Fragen: Lebensgefühl mancher junger Ärztin mit Kinderwunsch
      Falles und mit individuellen Lösungen?
      Lisa Bergmann weiß es nicht.                   untrennbar mit entschiedenen Weichen-         Lisa Bergmann wünscht sich eine Mut-
                                                     stellungen in ihrem Leben verknüpft.          terschutz-Regelung, die junge Ärztinnen
      Seit einigen Wochen versucht sie mit           „Gespräche dazu verlaufen oft sehr emo-       ernst nimmt: „Wir wissen sehr genau,
      mehreren Kolleginnen in der Klinik – jun-      tional“, berichtet sie.                       was uns und einem Kind schadet.“ Greif-
      gen Ärztinnen in der Weiterbildung wie                                                       bar scheint ihr eine Lösungsfindung auf
      sie – herauszufinden, was Sache ist. „Wir      10 Jahre für die Weiterbildung?               Augenhöhe derzeit an ihrer Arbeitsstätte
      stehen mit unseren Chefärzt:innen in                                                         kaum. Für ihre Gruppe junger Ärztinnen
      Verbindung, mit der Personalabteilung,         Kein Wunder, wenn einem Kolleginnen,          stehen erst einmal weitere Gespräche
      dem Personalrat und den Hausjurist:in-         die mehrere Kinder haben, vorrechnen,         an, etwa mit der Landesärztekammer.
      nen“, berichtet sie. „Alle sind sehr freund-   wie schnell sich die Weiterbildung mit        Die Situation frustriert: „Es gibt viele
      lich, aber es heißt immer, es gebe noch        Pausen durch Schwangerschaft, Eltern-         nette Worte, aber wenig konkrete Taten.“
      alles Mögliche zu klären.“                     zeit und Teilzeit auf 10 Jahre ausdehnen      Einen Lichtblick sehen die Ärztinnen mit
                                                     kann. „Als Frau hat man in der Klinik oh-     Familienwunsch: „Inzwischen solidarisie­
      Lisa Bergmann hat das Gefühl, die              nehin ein paar Hürden mehr zu nehmen          ren sich einige junge männliche Kolle-
      Zeit arbeite gegen sie. „Würde ich jetzt       als Männer“, erzählt die 28-Jährige. „Da      gen mit uns.“ (AvK) ƒ

 10   ärztin 1 April 2022                                                                                                          69. Jahrgang
#METOO

                                                                                       Schutz und Prävention
                                                                                       vor sexueller Belästigung
                               Foto: © Wiebke Peitz/Charité
                                                                                       an der Charité

                                                                        Foto: privat
                                                              SABINE C. JENNER, M.A., DR. PHIL. CHRISTINE KURMEYER

      Mit der sogenannten WPP-Studie hat die Berliner Charité als erstes Universitätsklinikum in Deutschland
      das Thema Grenzüberschreitungen und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz systematisch untersucht.
      Inzwischen greifen dort zahlreiche Präventionsmaßnahmen.

      S
             exuelle Belästigung betrifft Berufstätige jeglichen Ge-                         Im klinischen Bereich ist die Datenlage limitiert. Doch es lässt
             schlechts und Alters und ist unabhängig von der Bran-                           sich folgern, dass Hierarchie, Machtverhältnisse, Stressbelas-
             che und der beruflichen Position. Im Klinikambiente kön-                        tung und Unternehmenskultur in der Medizin eine erhebliche
      nen potenziell alle Beschäftigten in allen Statusgruppen sowie                         Rolle spielen. Insbesondere aus Klinikbereichen, in denen die-
      Patient:innen betroffen sein. Weltweit ist Belästigung weit ver-                       se Faktoren stark ausgeprägt sind, wird häufiger als anderswo
      breitet. Dabei reichen die Erscheinungsformen von subjektiver                          von Übergriffen berichtet. In der medizinischen und pflegeri-
      Betroffenheit bis zu Bedrohungsszenarien und auch die Ak-                              schen Versorgung sind Grenzüberschreitungen an der Tages-
      teur:innen sind unterschiedlich. Sexuelle Belästigung stellt nur                       ordnung: Patient:innen müssen sich entblößen – im übertra­
      bedingt ein sexualisiertes Verhalten dar, sondern auch einen                           genen Sinn und konkret – um Diagnose, Therapie und Heilung
      professionell relevanten Machtkonflikt, der auf nichtprofessio­                        überhaupt zu ermöglichen. Die Gefahr, dass bei dieser Grenz­
      neller Ebene ausgetragen wird.                                                         überschreitung auch Grenzverletzungen stattfinden, ist be­
                                                                                             sonders groß. Es bedarf einer permanenten Sensibilisierung
                                                                                             und Aufmerksamkeit, um Grenzverletzungen zu verhindern
                                                                                             oder zumindest einzudämmen.

                                                                                             Während das Thema in den Medien präsent ist, fehlte es lange
                                                                                             in Kliniken in Deutschland an objektiven wissenschaftlichen
                                                                                             Grundlagen, um einen sensiblen, konstruktiven und präventi-
                                                                                             ven Umgang zu ermöglichen.

                                                                                             Nulltoleranz für alle

                                                                                             Die Charité stellte sich erstmalig dem Phänomen: Ein Team
                                                                                             von Wissenschaftlerinnen und den Gleichstellungsbeauf-
      Spezielle Strukturen in Kliniken fördern sexuelle Übergriffe                           tragten erhob 2014 bis 2016 die WPP-Studie. WPP steht für
                                                                                             „Watch-Protect-Prevent“. Ziel war es, Prävalenzdaten zu erfas-
      In der Medizin verbreitet                                                              sen und diese mit Präventionsmaßnahmen zu koppeln. Mehr
                                                                                             als 13 000 Mitarbeiter:innen wurden befragt. Nach der ers-
      Sexuelle Belästigung kann alle Beteiligten in der medizinischen                        ten Datenerhebung (JAMA Intern Med., 2018; DOI: 10.1001/
      Versorgung treffen: Studierende, pflegerisches und ärztliches                          jamainternmed.2018.4859) hat die Charité als erstes deut-
      Personal sowie Patient:innen. Internationale Studien zu sexu-                          sches Universitätsklinikum umfangreiche Präventions- und
      eller Belästigung und Formen von Gewalt und Diskriminierung                            Schutzmaßnahmen für alle Beschäftigten und Studierenden
      belegen eine hohe Prävalenzrate im Gesundheitssystem. Als                              als Richtlinie verabschiedet und umgesetzt. Dafür wurde es
      besondere Risikogruppe werden weltweit Medizinstudierende,                             von der ADS (Antidiskriminierungsstelle des Bundes) als Best
      Ärztinnen und weibliche Pflegekräfte ausgewiesen. Beispiels-                           Practice Beispiel anerkannt.
      weise existieren Daten zur Betroffenheit von Studierenden
      aus dem In- und Ausland. Sie spiegeln konsistent ein erhöhtes                          Die ersten Maßnahmen ergriff der Vorstand gleich 2016. Das
      Risiko beim Eintritt in die klinische Berufswelt wider.                                Motto: Nulltoleranz gegenüber sexueller Belästigung. Die zu-

 12   ärztin 1 April 2022                                                                                                                        69. Jahrgang
#METOO

ständigen Beratungsstellen und die                                                         nes offiziellen Verfahrens verdeutlicht.
Richtlinie sowie der Beschwerdeablauf                                                      Zur Wahrung der Anonymität der Betrof-
sind prominent – und deutschlandweit                                                       fenen wird auf das stellvertretende Vor-
einzigartig – auf der ersten Seite des                                                     gehen durch die Frauen- und Gleichstel-
Intranets des Klinikums hinterlegt.                                                        lungsbeauftragten verwiesen.

Kultur des Hinschauens                                                                     Außerdem ist die Vernetzung der Be-
                                                                                           ratungsstellen mit dem Personal der
Im Kontext der Richtlinie nutzte die                                                       Gleichstellungsbeauftragten sicherge­
Charité die Chance, Regularien zum Um-                                                     stellt. Das förmliche Verfahren beginnt
gang mit sexueller Belästigung für inter-   Stop: Scham, Furcht, Unkenntnis hindern Be-    mit einer offiziellen schriftlichen Be-
ne und externe Beschäftigte nachvoll-       troffene, gegen Belästigung vorzugehen. Die    schwerde bei der zuständigen Personal-
                                            Klinik muss die Hürden beseitigen
ziehbar aufzuzeigen. Alle betrieblichen                                                    abteilung durch die Ansprechpartner:in-
(Hierarchie-)Ebenen, Beschäftigte, Füh-     Die Klinik muss sich ändern                    nen der Beschwerdestelle. Dies bedarf,
rungskräfte, Arbeitgebende und externe                                                     da auf den Einzelfall bezogen Maßnah-
Stakeholder erhielten dafür Informatio-     Von den Interviewten wurden auch Ins­          men zu treffen sind, einer engen Kom-
nen zu Rechten, Verhaltenskodexe und        trumente zur Bekämpfung von sexueller          munikation und Zusammen­      arbeit von
Pflichten. Allgemeine Verhaltenskodexe      Belästigung genannt, darunter struktu-         Personalabteilung und der Ansprech-
für die Beschäftigten aller betrieblichen   relle Änderungen wie flache Hierarchien,       partner:innen. Zur nieder­schwelligen Be-
Ebenen sind festgeschrieben, auch für       offene Kommunikation in den Abteilun-          schwerdemeldung können die Beschäf-
Unbeteiligte, die Fehlverhalten wahrneh-    gen und das Ziel der Geschlechterge-           tigten anonym zusätzlich das Whistle-
men. Das fördert eine Kultur des Hin-       rechtigkeit auf allen Führungsebenen.          blower-Programm und den Vertrauens-
schauens, der Zivilcourage und der so­      Die Analyse aus WPP-Befragung und der          anwalt nutzen.
lidarischen Verantwortung. Bei den          Literatur zeigt, dass sich die Problematik
Rechten der Beschäftigten könnte ein        prinzipiell als arbeitskulturell bedingt be-   Pflichtfortbildung für
Verweis auf den gesetzlichen Rahmen         schreiben lässt. Es lässt sich dabei aber      Führungskräfte
dazu beitragen, Handlungsmöglichkei-        nicht isoliert vom gesellschaftlichen
ten aufzuzeigen und das Unrechtsemp-        Kontext betrachten. Als Lösungsansatz          Ein essentielles Element für die Bekämp-
finden zu stärken.                          gelten daher auch Instrumente zur ge-          fung sexueller Belästigung am Arbeits-
                                            schlechtergerechten Organisations- und         platz ist die Fortbildung und Verpflich-
Hohe Hürde: Unsicherheit                    Personalentwicklung.                           tung von Führungskräften. Nicht nur
                                                                                           aufgrund ihrer Rolle als Ansprechpart-
Die Studie hatte zuvor einen deutlichen     Zur Senkung der Hürde für Beratungs-           ner:innen, ihrer Vorbildfunktion und der
Handlungsbedarf aufgezeigt: 57 Prozent      gesuche wurde der Beschwerdeablauf             Fürsorgepflicht für die Mitarbeitenden
der Ärztinnen hatten klare Sanktionsab-     transparent gemacht und ist jetzt über         erscheint es unabdingbar, die Führungs-
läufe bei Vorfällen gefordert. Denn aus     einen Button im Intranet leicht zugäng­        kräfte und Oberärzt:innen zum struktu-
Unkenntnis und Furcht vor Loyalitäts-       lich. Der Ablauf mit konkreten Ansprech­       rierten Beschwerdeablauf zu informie-
konflikten wurden Beschwerden zum           partner:innen bringt Handlungssicher-          ren. ƒ
Teil nicht eingereicht oder es wurde        heit für alle Beschäftigen. Die Entschei-
nicht einmal informelle Beratung einge-     dung, welche Schritte im Beschwerde-            Sabine C. Jenner, M.A., ist Dezentrale
holt. So sagte eine Ärztin: „Gerade sexu-   verfahren eingeleitet werden, liegt letzt-      Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte
elle Belästigung kann mit Scham ver-        endlich bei den Betroffenen.                    der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
bunden sein. Und viele wissen ja auch                                                       Dr. phil. Christine Kurmeyer ist Zen­
gar nicht, wie sie sich verhalten sollen.   Niederschwellige Angebote                       trale Frauen- und Gleichstellungsbeauf-
Gerade, wenn Vorgesetzte beteiligt sind                                                     tragte. Beide waren maßgeblich an der
beziehungsweise nichts dagegen unter-       Neben der Aufklärung bezüglich der Be-          WPP-Studie und der Ausarbeitung des
nehmen. Wir sind hier in einem hierarchi-   ratungsabläufe und der Deeskalations-           Null-Toleranz-Programms beteiligt.
schen System, in dem Beschwerden un-        stufen wird besonders die Option einer
geahnte Folgen haben können.“               informellen Beratung ohne Einleitung ei-       E-Mail: christine.kurmeyer@charite.de

                                                                                                                    ärztin 1 April 2022    13
SCHWANGERSCHAFTSBEGLEITUNG

                                                                       Interprofessionelle

                            Foto: © Barmer Institut für Gesundheits-
                                                                       Schwangerenvorsorge:
                            systemforschung                            Kein Abrechnungs- oder Haftungs-
                                                                       problem für Frauenärztinnen

                                                                                    DR. MED. DAGMAR HERTLE

      Schwangere, die Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen möchten, können frei wählen, ob sie dies
      bei eine:r Frauenärzt:in oder bei einer Hebamme oder bei beiden im Wechsel tun. Viele Frauenärzt:innen
      sorgen sich, ob ihnen das unter anderem Abrechnungsprobleme bereitet. Eine Klarstellung.

      D
              ie Wahlfreiheit der Schwangeren                                einzulassen – auch wenn diese von den        spruch zum Leistungsanspruch, wie er
              steht im fünften Sozialgesetz-                                 Schwangeren gewünscht wird.                  im § 24d des fünften Sozialgesetz-
              buch im § 24d: „Die Versicherte                                                                             buches festgelegt ist. Hier hat das So-
      hat während der Schwangerschaft, bei                                   Begründet wird die ablehnende Haltung        zialgesetzbuch den Vorrang: Die Wahl­
      und nach der Entbindung Anspruch auf                                   unter anderem mit dem in den Mutter-         freiheit ist zu gewährleisten und die an-
      ärztliche Betreuung sowie auf Hebam-                                   schafts-Richtlinien verankerten Dele-        geführten Leistungen müssen von den
      menhilfe einschließlich der Untersu-                                   gationsvorbehalt, der eine Versorgung        Krankenkassen bezahlt werden.
      chung zur Feststellung der Schwanger-                                  durch die Hebamme nur vorsieht, „wenn
      schaft und zur Schwangerschaftsvor-                                    der Arzt dies im Einzelfall angeordnet       2. Der Delegationsvorbehalt ist nicht
      sorge.“                                                                hat oder wenn der Arzt einen norma-          mit dem Hebammengesetz und den Be-
                                                                             len Schwangerschaftsverlauf festge-          rufsordnungen der Hebammen verein-
      Basierend darauf und auf der Grund­                                    stellt hat und daher seinerseits keine       bar. Die Befähigung zur Berufsausübung
      lage internationaler Studien zur Hebam-                                Beden­ken gegenüber weiteren Vorsorge­       umfasst laut Gesetz eine eigenverant-
      menvorsorge sieht auch das 2017 vom                                    unter­suchungen durch die Hebamme            wortliche Tätigkeit der Hebammen, wel-
      Bundesministerium für Gesundheit ver-                                  bestehen“. Hieraus leiten die Frauenärz­     che auch das Erkennen der Anzeichen
      öffentlichte Nationale Gesundheitsziel                                 t:innen ab, dass sie für eventuelle Fehler   von Regelwidrigkeiten umfasst, die eine
      „Gesundheit rund um die Geburt“ eine                                   der Hebammen haften.                         ärztliche Behandlung erforderlich ma-
      gute Kooperation von Frauenärzt:innen                                                                               chen. Das Vergütungsverzeichnis der
      und Hebammen in der Schwangerenvor-                                    Hinzu kommt, dass die Abrechnung im          Hebammen nimmt ausdrücklich Be-
      sorge als wichtiges Ziel einer frauenzen-                              EBM über eine Pauschale erfolgt (EBM         zug auf die Leistungsinhalte der jeweils
      trierten Versorgung.                                                   GOP 01770), die alle Vorsorgen eines         gültigen Fassung der Mutterschafts-
                                                                             Quartals beinhaltet. Dies scheint für vie-   Richtlinie. Die Vorsorgeleistungen von
      Falsche Formulierung in den                                            le Frauenärzt:innen zu belegen, dass sie     Hebammen und Ärzt:innen sind also
      Mutterschafts-Richtlinien                                              tatsächlich alle Vorsorgen selbst erbrin-    gleichwertig. Dies findet auch darin Aus-
                                                                             gen müssen, um die Pauschale abrech-         druck, dass eine doppelte Durchführung
      Unter den Frauenärzt:innen ist jedoch                                  nen zu dürfen.                               und Abrechnung nicht zulässig ist.
      die Sorge weit verbreitet, dass eine
      Beteiligung von Hebammen an der                                        Es gibt Entwarnung                           3. Auch die Abrechnungspauschale
      Schwangerenvorsorge zu Abrechnungs-                                                                                 steht der gemeinsamen Schwangeren-
      und Haftungsproblemen bis hin zu Re-                                   Doch es kann Entwarnung gegeben              vorsorge durch Hebammen und Frauen­
      gressforderungen der Krankenkassen                                     werden. Die Annahme, eine interprofes-       ärzt:innen nicht im Wege. In den Anga-
      führen könnte. Durch Warnungen ihres                                   sionelle Schwangerenvorsorge könne           ben zu den obligaten Leistungsinhalten
      Berufsverbandes und Abrechnungshin-                                    für die Frauenärzt:innen zu Problemen        zur Abrechnung heißt es lediglich, die
      weise von kassenärztlichen Vereinigun-                                 führen, ist aus den folgenden Gründen        Vorsorgeleistungen seien „im Allgemei-
      gen fühlen sich viele Frauenärzt:innen                                 falsch:                                      nen alle vier Wochen zu erbringen“. Ein
      darin bestärkt, sich nicht auf eine ge-                                                                             Ausschluss der Abrechnung bei nur ein-
      meinsame Vorsorge mit Hebammen,                                        1. Der Delegationsvorbehalt in den Mut-      maliger Vorsorge im Quartal, wie von
      etwa im sogenannten Wechselmodell,                                     terschafts-Richtlinien steht im Wider-       der KBV kommuniziert, ist daraus nicht

 14   ärztin 1 April 2022                                                                                                                              69. Jahrgang
SCHWANGERSCHAFTSBEGLEITUNG

abzuleiten. Dem widerspricht die Wahl­       ge im Wechsel fand nur bei 1,2 Prozent       die eine Zusammenarbeit über viele Jah-
freiheit, denn diese beinhaltet sowohl die   der Schwangerschaften statt. Dabei zei-      re erprobt haben.
Inanspruchnahme von Hebamme und              gen Studien, dass der präventive Ansatz
Ärzt:in als auch etwa den Verzicht auf       der Hebammenvorsorge unter anderem           Der Arbeitskreis Frauengesundheit in
einzelne Vorsorgeleistungen, der keines-     zu geringeren Interventions­raten bei der    Medizin, Psychotherapie und Gesell-
falls die Abrechnung der Vorsorgepau-        Geburt, zur Vermeidung von Frühgebur­        schaft (AKF e. V.) veranstaltet am 4./5.
schale ausschließt.                          ten, zu einer höheren Stillrate und zu       November 2022 eine Fachveranstaltung
                                             mehr Zufriedenheit bei den Frauen bei-       zum Nationalen Gesundheitsziel mit ei-
Da alle Vorsorgeleistungen im Mutter-        trägt. Der Einbezug der Hebamme hat          nem besonderen Schwerpunkt auf der
pass dokumentiert werden, ist aus ihm        also positive Auswirkungen auf das Out-      Interdisziplinären Schwangerenvorsorge.
ersichtlich, welche Untersuchungen           come und führt darüber hin­aus zu einer      Dort oder über die Autorin können Sie er-
schon stattgefunden haben, so dass           hohen Zufriedenheit bei allen Beteilig-      folgreiche Kooperationspraxen kennen­
eine unzulässige doppelte Erbringung         ten. Das sagen auch Frauenärzt:innen,        lernen und sich inspirieren lassen. ƒ
und Abrechnung von Ärzt:innen und Heb-       die mit Hebammen in der Vorsorge ko-
ammen leicht vermieden werden kann.          operieren. Sie gewinnen ohne finanzielle
Eine systematische Prüfung der abge-         Einbußen Freiraum für die Schwangeren
rechneten Vorsorgeleistungen durch die       mit pathologischen Verläufen, die eine
Krankenkassen – wie im Newsletter des        besonders intensive ärztliche Betreuung
BVF behauptet wird – findet nicht statt.     benötigen. Frauen, die eine Mitbetreu-
Diese ist aus sachlogischen Gründen          ung durch eine Hebamme wünschen,
gar nicht möglich, denn den Kassen lie-      können von den Vorteilen beider Berufs-
gen keine Angaben zu den einzelnen im        gruppen profitieren und die Praxisbin-
Rahmen der Pauschale erbrachten Leis-        dung und Zufriedenheit ist hoch.
tungen vor.
                                             Was kann getan werden?
Gemeinsam wäre vorteilhaft
                                             Stellt man die Bedürfnisse und die
Analysen der Barmer zeigen, dass trotz       Rechte der Schwangeren in den Mittel-
Versorgungsanspruch und eindeutigen          punkt, kommt man nicht umhin, ausrei-
Regelungen im Hebammengesetz und             chend Vorsorgeangebote aller Berufs-         Zufriedener: Schwangere, bei denen auch
in den Berufsordnungen für Hebammen          gruppen zur Verfügung zu stellen und         Hebammen an der Vorsorge beteiligt sind
die eigenständige Schwangerenvorsorge        für eine reibungslose Zusammenarbeit
durch Hebammen allein oder im Wech-          zu sorgen. Der Gemeinsame Bundesaus-         Literatur und mehr Infos bei der Autorin.
sel mit Frauenärzt:innen in Deutsch-         schuss sollte dafür zügig die Vorausset-
land die Ausnahme ist. Analysiert wur-       zungen schaffen durch eine Streichung         Dr. med. Dagmar Hertle, Fachärztin für
den 430 000 Schwangerschaften der            des Delegationsvorbehaltes aus der            Innere Medizin, Psychotherapie und
Jahre 2015 bis 2019. Im Durchschnitt         Mutterschaftsrichtlinie. Zusätzlich wäre      äQM, war nach klinischer und niederge-
wurde für jede schwangere Barmer-Ver­        eine klarstellende Anmerkung zur GOP          lassener Tätigkeit in der Qualitätssiche-
sicherte während der Schwangerschaft         01770 im EBM-Katalog hilfreich.               rung (BQS und IQTIG) unterwegs und
3,9-mal die ärztliche Quartalspauschale                                                    arbeitet seit 2019 am Barmer Institut
abgerechnet, jedoch nur durchschnitt-        Die gute Nachricht                            für Gesundheitssystemforschung. Sie
lich 0,37-mal eine Vorsorgeuntersu-                                                        engagiert sich seit vielen Jahren im
chung bei der Hebamme. Für 75 Prozent        Auch jetzt schon ist eine interdiszipli-      AKF e.V. und war von 2014 bis 2017 des-
der Schwangerschaften wurde gar keine        näre Schwangerenvorsorge ohne Nach-           sen Vorsitzende.
Schwangerschaftsvorsorge durch eine          teile möglich. Dies stellen einige erfolg-
Hebamme in Rechnung gestellt. Vorsor-        reiche Kooperationspraxen unter Beweis,      E-Mail: hertle@akf-info.de

                                                                                                                   ärztin 1 April 2022   15
CHANCENGLEICHHEIT

                                                                     Frauen in der Chirurgie im

                            Foto: © Universitätsklinikum Frankfurt
                                                                     Digitalisierungsprozess

                                                                                  DR. MED. SVENJA SLIWINSKI

      Die Digitalisierung nicht nur in der Medizin, sondern über alle Professionen hinweg, schreitet voran und
      sie wird immer weiblicher. Hier ein Einblick in aktuelle Fortschritte am Beispiel meiner Abteilung.

      O
              bgleich viele von struktureller                                                                            digkeit etabliert und fördert gegenseitige
              Diskriminierung in der Chirurgie                                                                           weibliche Unterstützung, auch um die
              sprechen, möchte ich ein posi-                                                                             eigene wissenschaftliche Reichweite zu
      tives Beispiel zeigen: Das Universitäts-                                                                           vergrößern.
      klinikum Frankfurt am Main ist bei der
      Frauenförderung vorn dabei. Die Abtei-                                                                             Noch viel zu tun
      lung der Allgemein-, Viszeral- und Trans-
      plantationschirurgie besteht zur Hälfte                                                                            Gleichberechtigung ist jedoch immer
      aus Frauen. 50 Prozent der Oberärzt:in-                                                                            noch nicht flächendeckend vorhanden.
      nen sind hier Frauen. Die leitende Ober-                                                                           Je weiter nach oben man sich auf der
      ärztin hat vier Kinder. Das motiviert mich                            Chirurgie: Mehr Chancen für Frauen           Karriereleiter bewegt, desto geringer
      als junge Frau enorm.                                                                                              werden die Zahlen weiblicher Vorbilder.
                                                                            Chirurgie als Fach verlangt beiden Ge-       An Universitätskliniken waren es laut
      Forschungsarbeit gefördert                                            schlechtern enorm viel ab. Doch Karriere     der Untersuchung des DÄB, Medical
                                                                            und Familie zu vereinbaren ist bei wei-      Women on Top, 13 Prozent Frauen in
      Die Digitalisierung ist ein großer For-                               tem nicht mehr unmöglich. Eine 80-           Führungspositionen im Jahr 2019. In der
      schungsbereich. Eine meiner Kollegin­                                 Prozent-Stelle nach der Elternzeit sowie     Chirurgie sind es nur 5 Prozent. Die stan-
      nen und ich verfügen jeweils über eine                                Elternzeit für männliche Kollegen sind       dardmäßige Verlängerung der Weiter­
      50-Prozent-Forschungsstelle, um uns                                   Möglichkeiten, die in der chirurgischen      bildung durch Schwangerschaft ist
      neben der Chirurgie auf wissenschaft-                                 Abteilung der Uni Frankfurt unter Lei-       nicht wegzudiskutieren. Dennoch voll-
      liche Arbeit konzentrieren zu können.                                 tung von Prof. Dr. Bechstein umgesetzt       zieht sich auch hier ein Wandel und
      Dabei besteht die Arbeitsgruppe (AG),                                 werden. Gefördert werden Frauen am           Operieren ist in unserer Abteilung bis
      welche sich mit Digitalisierung in der                                Universitätsklinikum nicht nur in der Chi-   6 Wochen vor Geburtstermin gemäß
      Chirurgie beschäftigt, hauptsächlich aus                              rurgie, sondern auch in anderen Abtei-       des seit 2018 geltenden Mutterschutz-
      Frauen. Wir fördern in unserer AG den                                 lungen. In der Forschung gibt es den so-     gesetzes möglich (OPidS). Jedes Jahr
      Wechsel von Rehabilitation zu Prähabi-                                genannten Lady’s Lunch.                      hören wir vom Ärzt:innenmangel, von
      litation. Dazu gehören ein multimodales                                                                            Stellenbesetzungs­schwierigkeiten in der
      Programm aus aerobem Ausdauertrai­                                    Dort findet Austausch über Projekte und      Chirurgie. Auch in diesem Kontext bleibt
      ning, Lebensstiländerung wie Nikotin-                                 Problembewältigung in der Forschung          Frauenförderung ein wichtiger Faktor –
      und Alkoholkarenz, eine gesunde Er-                                   statt. Das FIT-Mentoring wird als Kar-       nicht nur für die Chirurgie! ƒ
      nährung sowie mentale Techniken etwa                                  riereförderprogramm für Frauen ange-
      zur Stressreduktion. Damit dieses Pro-                                boten. „Mentoring Hessen“ ist ein weite-      Dr. med. Svenja Sliwinski ist Digitali­
      gramm – gerade in Zeiten der Pande-                                   res Frauenförderprogramm in Wissen-           sierungsbeauftragte in der Chirurgie am
      mie – baldmöglichst remote (also über                                 schaft und Wirtschaft. Es unterstützt         Universitätsklinikum Frankfurt am Main
      weite Entfernungen), in Echtzeit und                                  mich in meiner Karriereplanung ebenso         und forscht in ihrer Habilitation an Digi-
      individualisiert möglich ist, entwickeln                              wie das Mentoring-Programm des Deut-          talisierung im chirurgischen translatio-
      wir eine medizinische App für den Part                                schen Ärztinnenbundes. Der im letzten         nalen Bereich der Prähabilitation.
      des Ausdauertrainings unter der Leitung                               Jahr neu gegründete Verein „Die Chirur-
      von Prof. Dr. Schnitzbauer.                                           ginnen e. V.“ hat sich in Rekordgeschwin-    E-Mail: svenja.sliwinski@kgu.de

 16   ärztin 1 April 2022                                                                                                                               69. Jahrgang
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