Afrika-bulletin - Leymah Gbowee Dekha Ibrahim-Abdi

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                                                                                                              Nummer 179
Sept./Okt. 2020
Fr. 7.– / Euro 7.–

                                                                        Ju l i e
                                                                                   nne L
                                                                                         use   nge

                                                                   ee
                                                  ah      G b ow
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                     Frauen in Bewegung

                                                                                         Dekha Ibrahim-Abdi

                                          Asha
                                                 H aj i
                                                          Elmi
Editorial

                                                                                                    Es wäre ein Leichtes und gewiss erbaulicher gewe-
                                                                                               sen, dieses Bulletin mit Porträts von bedeutenden afri-
                                                                                               kanischen Frauen zu füllen. Nun erfahren nur jene, die
                                                                                               sich mit ihrem Einsatz für Frieden in ihren von Konflik-
                                                                                               ten versehrten Gesellschaften einen Namen gemacht
                                                                                               haben, eine Ehrung im Artikel von Rita Schäfer-Marx.
                                                                                               Doch im Gefolge der weltweiten #MeToo-Bewegung ist
                                                                                               auch im subsaharischen Afrika die Benachteiligung und
                                                                                               der Missbrauch von Frauen und Mädchen durch zahl-
                                                                                               reiche Frauenproteste ins Bewusstsein gebracht worden:
                                                                                               Es ist Zeit, darüber zu sprechen. Das tut Sheila Meintjes
                                                                                               in ihrem Artikel zu den Problemen in Südafrika, wo sich
2
                                                                    Susy Greuter ist Sozial-   die Übergriffe, Vergewaltigungen und auch Femizide
                                                            anthropologin mit langjähriger     gerade im städtischen Umfeld seit Jahren häufen – mit
                                                             Afrikaerfahrung und Mitglied
                                                             des Afrika-Komitees. Kontakt:     bis zu 3000 Tötungen pro Jahr. Sicher waren in den
                                                                  susy.greuter@sunrise.ch.     patrilinealen Ethnien die Frauen den Männern hintange-
                                                                                               stellt, ja zu deren Verfügung. (Es gab aber auch viele ma-
                                                                                               trilineare Völker mit bemerkenswerter Gleichstellung
                                                                                               der Geschlechter und entsprechenden Spuren bis heu-
                                                                                               te.) Jedoch haben erst die Kolonisation und die Missio-
                                                                                               nierung durch die patriarchalen europäischen Gesell-
                                                                                               schaften des ausgehenden 19. Jahrhunderts die männ-
                                                                                               liche Dominanz auf der staatlichen Ebene und in den
                                                                                               Werten institutionalisiert, was zumeist auch über die
                                                                                               Unabhängigkeit hinaus beibehalten wurde. Die Belan-
                                                                                               ge, Leistungen und Stimmen der Frauen blieben aus der
                                                                                               Öffentlichkeit und der Verantwortung des Staates aus-
                                                                                               geklammert. Alice Hertzog-Fraser zeigt, dass selbst in
     Impressum                                                                                 der westafrikanischen Küstenregion, wo Frauen tradi-
                                                                                               tionell wichtige Funktionen in der Öffentlichkeit erfüll-
                                                                                               ten, sie ihren Status heute nur mit Mühe behaupten. Im
                                                                                               gleichen Kontext habe ich vor 50 Jahren erlebt, dass
    Ausgabe 179 | September/Oktober 2020                                                       ein halbes Dorf zusammenlief und den Täter verprügel-
    ISSN 1661-5603                                                                             te, als sich ein junges Mädchen schreiend über den Über-
    Das «Afrika-Bulletin» erscheint vierteljährlich im 45. Jahrgang.                           griffsversuch eines Burschen beklagte! Der Machtzu-
    Herausgeber: Afrika-Komitee, Basel, und Zentrum für Afrikastudien Basel.
                                                                                               wachs der Männer durch die patriarchale Doktrin der
    Redaktionskommission: Veit Arlt, Susy Greuter, Elísio Macamo,
    Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer
                                                                                               postkolonialen Gesellschaft manifestiert sich auch in
                                                                                               einem ungehemmten Autoritätswahn von Polizei und
    Das Afrika-Komitee im Internet: www.afrikakomitee.ch
    Das Zentrum für Afrikastudien im Internet: www.zasb.unibas.ch                              Militär: Deren Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung sind
    Redaktionssekretariat: Beatrice Felber Rochat                                              schon fast standardmässige Exzesse, die beispielswei-
    Afrika-Komitee: Postfach 1072, 4001 Basel, Schweiz                                         se in Kenya bislang nicht geahndet wurden. Rosa Viso-
    Telefon: (+41) 61.692  51 88 | Fax: (+41) 61.269  80  50
                                                                                               lela Namises tritt in ihrem Beitrag begeistert für Ideen
    E-Mail Redaktionelles: afrikabulletin@afrikakomitee.ch
    E-Mail Abonnemente und Bestellungen: info@afrikakomitee.ch                                 ein, wie diesen Traumata und der Entmutigung der
    Postcheck-Konto: IBAN CH26 0900 0000 4001 77543                                            Frauen begegnet werden könnte. Durch die Proteste
    Für Überweisungen aus dem Ausland:
                                                                                               und ihr weltweites Echo sind aber auch einige Regie-
    in Euro: Postkonto, IBAN CH40 0900 0000 9139 8667 9                                        rungen eines Besseren belehrt worden: Südafrika, Sier-
    (Bic SwiftCode: POFICHBEXXX; Swiss Post, PostFinance, CH-3000 Bern)                        ra Leone und Ghana führten scharfe Gesetze und spe-
    Mitarbeitende dieser Ausgabe: Veit Arlt (Red.), Hans Fässler, Pius Frey, Elisa Fuchs,      zielle Gerichte ein. Ob auf längere Sicht die Proteste
    Susy Greuter (Red.), Alice Hertzog, Caro van Leeuven, Sheila Meintjes, Barbara
    Müller (Red.), Rosa Visolela Namises, Marianne Pletscher, Rita Schäfer, Hans-Ulrich
                                                                                               gegen die Verwilderung in der Anonymität der Städte
    Stauffer (Red.), Linda Stibler                                                             eine Wende bringen können?                             •
    Druck: Rumzeis-Druck, Basel

    Inserate: Gemäss Tarif 5/99, Beilagen auf Anfrage                                              Ich wünsche eine solidarische Lektüre!
    Jahresabonnement: Fr. 40.–/Euro 40.–
    Unterstützungsabonnement: Fr. 50.–/Euro 50.–
                                                                                                   Susy Greuter
    Im Mitgliederbeitrag von Fr. 60.–/Euro 60.– ist das Abonnement enthalten.

    Redaktionsschluss Nummer 180: 30. September 2020
    Schwerpunktthema: Covid-19
    Schwerpunktthemen der nächsten Ausgaben: Klimawandel, Binnenmigration

    Interessierte an einer Mitarbeit sind eingeladen, mit der Redaktion Kontakt
    aufzunehmen.

    Unser Titelbild: Einige der «Frauen in Bewegung», die in diesem Heft vorgestellt
    werden: Dekha-Ibrahim-Abdi (Bild: Karl Gabor 2007), Asha Haji Elmi (Bild: Lindsay
    Mgbor, DFID 2013), Leymah Gbowee (Bild: Fronteiras do Pensamento, Salvador
    2013) und Julienne Lusenge (Bild: Natalia Dolan 2019).
Afrikanische Friedensaktivistinnen
    Vorbilder für die heranwachsende Generation

   2020 ist ein passendes Jahr, um frauen- und frie-        sexuelle Sklaverei und die Rekrutierung von Kindersol-
   denspolitische Arbeit in Afrika zu bilanzieren,          daten zur Verantwortung gezogen wurden. Gerechtig-
                                                            keit für Frauen ist ihr Leitmotiv, deshalb arbeitet Frau

                                                                                                                                                        Schwerpunktthema
   schreibt die Ethnologin Rita Schäfer und nimmt           Lusenge auch an Bewusstseinsänderungen von Polizis-
   dabei auf die Frauendekade Bezug, die vor 35 Jah-        ten sowie Verbesserungen der lokalen Strafjustiz im
   ren zu Ende ging und im Jahr 2000 in der UN-Re-          Nordosten der DRC.

   solution zu Frauen, Sicherheit und Frieden mün-               Internationale Auszeichnungen
   dete.                                                         Für die Beendigung des brutalen grenzübergreifen-
                                                            den Krieges in Liberia und Sierra Leone setzten sich Frie-
                                                            densstifterinnen um Leymah Gbowee ein, die Frauen al-
     1985 fand die grosse Abschlusskonferenz der Welt-      ler religiösen Gemeinschaften für öffentliche Friedens-
frauendekade in Nairobi statt, ihr Motto lautete: Wo-       aktionen organisierte. Sie forderten Warlords auf, die                                  3
men, Development and Peace (Frauen, Entwicklung             Waffen niederzulegen. 2011 wurde Gbowee gemeinsam
und Frieden). Veranstalterinnen und Teilnehmerinnen         mit der damaligen liberianischen Präsidentin Ellen John-
stellten klar: ohne Frieden keine Entwicklung, ohne         son Sirleaf, die auf Versöhnung und Frauenrechte poch-
Frauen kein Frieden. Diese weltweiten Forderungen be-       te, mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Zur Vermeidung
trafen afrikanische Länder ganz konkret. Zwar hatten        erneuter Gewalteskalationen in der ressourcenreichen,
etliche im Zuge der politischen Unabhängigkeitsbewe-        aber von grossen sozio-ökonomischen Ungleichheiten
gungen die Kolonialherrschaft überwunden – mancher-         geprägten Region tragen Frühwarnsysteme bei, an de-
orts durch Guerillakriege, an denen auch junge Kom-         ren Erarbeitung Frauen wie Leymah Gbowee mitwirken.
battantinnen mitwirkten. Doch in vielen Teilen des Kon-          Auch in anderen Teilen des Kontinents verstehen
tinents verursachten Bürgerkriege oder gewaltsame           Friedensaktivistinnen ihr Engagement als kontinuierli-
Konflikte weiterhin massive Existenznot, die vor allem      chen Prozess. Im Norden Kenyas und im Süden Soma-
Frauen als familiäre Versorgerinnen belastete.              lias entwickelten Dekha Ibrahim Abdi und Asha Haji Elmi
                                                            Amin innovative Formen der Konfliktbeilegung. 2007
    Nairobi – Peking – Windhoek                             bzw. 2008 wurden sie mit dem Right Livelihood Award
    Deshalb forderten afrikanische Frauenorganisatio-       (Alternativer Nobelpreis) ausgezeichnet. Indem sie bei
nen eine friedenspolitische Agenda. Das unterstrichen       öffentlichen Versammlungen sprachen und die Interes-
sie auf der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995. In der      sen der von Kriegen traumatisierten Frauen vertraten,
dort verabschiedeten Aktionsplattform hat die Beendi-       überschritten sie etablierte Geschlechtergrenzen und
gung gewaltsamer Konflikte grossen Stellenwert. In den      zweifelten männliche Machtansprüche in den hierarchi-
Folgejahren erarbeiteten vor allem afrikanische Frie-       sierten Clans an. Die Friedensbotschafterinnen schmie-
densaktivistinnen die UN-Resolution 1325 zu Frauen,         deten Allianzen mit aufgeschlossen Clan-Chefs und re-
Sicherheit und Frieden. Sie trafen sich dazu in Windhoek,   ligiösen Autoritäten. Mit viel Beharrlichkeit trugen sie
wo sie bereits zur Vorbereitung der Weltfrauenkonfe-        zum Überdenken martialischer Männlichkeitsvorstellun-
renz getagt hatten. Zahlreiche afrikanische Regierungen     gen in den patriarchalen Nomadengesellschaften bei
formulierten anschliessend nationale Aktionspläne zur       und zeigten Wege für eine integrierende Versöhnung
Umsetzung der UN-Resolution 1325 in ihren Ländern.          auf.
Friedensaktivistinnen haben bis heute ein kritisches             Alle hier vorgestellten Friedensaktivistinnen stehen
Auge auf deren Verwirklichung und mahnen beharrlich         exemplarisch für viele, weniger bekannte Engagierte.
eine geschlechtergerechte Friedens- und Frauen-, bzw.       Auch wirken sie als Vorbilder für junge Frauen, sich für
Menschenrechtspolitik an. Wie mutige Frauen in den          den Frieden und Frauen- bzw. Menschenrechte einzu-
Postkonfliktländern Namibia, Kenya und Südafrika trotz      setzen und daraus Stärke für das eigene Leben zu ge-
Gewaltandrohungen dafür eintreten, davon berichten          winnen.•
Visola Rosalinda Namesis und Sheila Meintjes in diesem
Heft. Alice Hertzog-Fraser zeigt, dass Handel und wirt-                                                    Die Publikation «She Stands for Peace»
                                                                                                           ist unter folgendem Link verfügbar:
schaftliche Prosperität Frieden voraussetzt.                                                               https://au.int/en/documents/20200228/
                                                                                                           she-stands-peace.
    «Aufstehen für den Frieden»
    So lautet das Motto einer Aktion der Afrikanischen
Union (AU) zum 20-jährigen Jubiläum der UN-Resoluti-
on 1325. Damit würdigt die AU das Friedenspotential
von Frauen. Zudem setzt sie die Afrikanische Frauen-
dekade 2010 bis 2020 mit einer weiteren Dekade bis
2030 fort. In einem breiten Konsultationsprozess wähl-
te sie zwanzig herausragende Friedensaktivistinnen
aus, die sie in der nun erschienenen Studie «She Stands
for Peace» vorstellt. Zu Wort kommt beispielsweise die
couragierte kongolesische Friedensaktivistin Julienne
Lusenge, die sich dafür einsetzte, dass die Milizen-        Rita Schäfer konzentriert sich als freiberufliche Ethnologin auf
                                                            Gender-Themen und schreibt regelmässg für die Informations-
chefs Thomas Lubanga Djilo und Germain Katanga vor          portale: liportal.de/suedafrika, liportal.de/simbabwe und
dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag für        africanclimatevoices.com. Kontakt: marx.schaefer@t-online.de.
Geschlechterspezifische Gewalt
       Eine Herausforderung für die Gleichstellung in Südafrika

       Sheila Meintjes sieht zwei Gründe für die extreme Häufung geschlechtsspezifischer Gewalt in Südafrika:
       eine endemische Gewaltkultur und die herrschende Ansicht, dass Gender-Gleichheit kulturelle männli-
       che Dominanz bedrohe. Weder die Grundrechte aller Bürger, die Frauen und LGTB-Personen einschlies-
       sen, noch die Gesetze zum Schutz der Frauen würden von der breiten Masse akzeptiert und respektiert.
       Meintjes erachtet die jetzigen Proteste und Kämpfe als notwendig, um die Demokratie in Südafrika weiter
       zu realisieren.

         Als in den 1990er Jahren das Apartheidregime unge-     sen von Jacob Zuma (der zum Zeitpunkt des Gerichts-
    wöhnlich rasch zu Ende kam, hegte jedermann (und je-        verfahrens stellvertretender Präsident Südafrikas war).
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    de Frau) Erwartungen, ja Träume, dass die Demokrati-        Sie begegnete Zuma wie einem «Onkel». In der folgen-
    sierung Chancen für eine grundlegende Änderung ih-          losen Verhandlung wurde eine Reihe von einschlägigen
    res Schicksals bieten würde. «Ein besseres Leben für        Mythen genutzt und offenbar vom vorsitzenden Richter
    alle», die Vision für das neue Südafrika, knüpfte an eine   gebilligt: Dass die junge Frau kein Geschrei erhoben
    archetypische Vorstellung an, die 1994 reaktiviert wur-     hätte, als er sich ihr aufdrängte, dass ihre Kleidung pro-
    de: Der Begriff Ubuntu beinhaltet die positive Dynamik      vokativ gewesen sei, habe eine sexuelle Einladung dar-
    von Beziehungen, in denen das individuelle Wohlerge-        gestellt.
    hen an das Wohlergehen des Gegenübers gebunden                  Auch anderswo tauchte dieses Argument immer
    ist. Das gute Leben dreht sich um die Art und Weise, wie    wieder auf, um Gewalt gegen Frauen in Südafrika zu ent-
    wir miteinander umgehen. Es bestand die Hoffnung auf        schuldigen. Die Botschaft? Frauen sollten sich hüten,
    Verhältnisse, in denen die Menschen ein Gefühl des ge-      sich in die Öffentlichkeit zu wagen. Nach dem Prozess
    genseitigen Respekts und der Verantwortung entwi-           kam es zu vielen offenen und aktiven Demütigungen
    ckeln würden, gleichsam in Bürgerpflicht die Idee von       von Frauen durch Männer, die eine tiefe Wut und Verach-
    Reziprozität in einer aktiven Bürgerschaft realisierend.    tung gegenüber Frauen zeigten.
    Doch dies blieb von Beginn an ein Ideal. In den Jahren          Am 20. Februar 2008 wurde eine 25-jährige Frau an
    seit dem Übergang zur Demokratie nahmen stattdessen         einem Taxistand in der Innenstadt von Johannesburg
    die kriminellen Übergriffe zwischen Männern und die         von einem Fahrer sexuell belästigt, weil sie einen Mini-
    Gewalt gegen Frauen zu.                                     rock trug. Auch von anderen Taxifahrern wurde sie an-
         Gruppierungen, die gegen die Gewalt gegen Frau-        gefallen, misshandelt und nackt ausgezogen. Sie muss-
    en, Kinder, Schwule und Lesben eintraten, drängten auf      te ertragen, dass Männer ihre Geschlechtsteile berühr-
    eine Gesetzgebung und Politik, die angemessene Ant-         ten und ihr Alkohol über den Kopf schütteten, begleitet
    worten auf die «Pandemie» der geschlechtsspezifischen       vom Jubel und Hohn der umstehenden Frauen und Män-
    Gewalt geben würden. Die Forschung zeigte überra-           ner, die sie beschimpften, weil sie sich «unafrikanisch»
    schend, wie sich solche Gewalt in der Öffentlichkeit aus-   kleide und einen Affront gegen ihre Kultur und ihre
    breitete: Für verängstigte Schulmädchen, die von Leh-       «Rasse» darstelle. Sie war gezwungen, halb nackt weg-
    rern und Burschen in der Schule angepeilt, für Frauen,      zulaufen, in Panik, aber wütend. Warum trat niemand
    die wegen «unangemessener Kleidung» in Taxis ange-          vor, um diese Frau vor ihrer öffentlichen Demütigung zu
    griffen, ebenso wie für Teenager, die auf der Strasse       retten? Sicherlich billigte nicht jeder, der dieses Ereignis
    von Banden überfallen wurden, weil sie «Snobs» seien,       verfolgte, das Geschehen, doch gerade diese Untätig-
    war der öffentliche Raum nicht weniger gefährlich als       keit deutete auf eine Komplizenschaft hin. Die an-
    das Zuhause. Doch auch die Wohnungen waren kein             schliessende öffentliche Diskussion nahm jedoch eine
    sicherer Ort für Kinder und Frauen: Eine Frau in Südaf-     andere Richtung.
    rika zu sein bedeutet, ständig wachsam und ängstlich zu         Provinzpolitiker verurteilten die Tat, Frauenorgani-
    sein. Auf die Nutzniessung ihrer Rechte als Staatsbürge-    sationen verschickten E-Mails an ihre Wahlkreise, die
    rinnen hat das beträchtliche Auswirkungen. Gewalt ge-       ANC-Frauenliga und die Kommission für Geschlechter-
    gen und insbesondere die Vergewaltigung von Frauen          gleichstellung gaben Erklärungen ab, in denen sie Ge-
    sind Ausdruck der unterschwelligen Behauptung an-           rechtigkeit forderten. Die Taxiverbände sahen sich ge-
    drozentrischer Macht und Kontrolle. Es geht darum, die      zwungen, sich von den Handlungen der Taxifahrer zu
    Autonomie und Unabhängigkeit von Frauen einzu-              distanzieren. Das für Sicherheitsfragen zuständige Exe-
    schränken.                                                  kutivratsmitglied der Provinz Gauteng forderte die Po-
                                                                lizei auf, die für diese Straftat verantwortlichen Taxi-
        Normalisierung der Gewalt:                              fahrer zu verhaften.
        Öffentliche Angriffe auf Frauen                             Einige Tage später folgte eine öffentliche Protestak-
        Dem Spektakel des Gerichtsverfahrens im Zuma-Ver-       tion, an der Tausende von Menschen teilnahmen. Sie
    gewaltigungsprozess folgte im März 2006 eine Gewalt-        wurde vom Moderator einer beliebten Medien-Talkshow
    welle, die ein starker Indikator dafür war, wie Übergrif-   ins Leben gerufen. Die Menschenmenge, zum grössten
    fe und Vergewaltigungen von Frauen als normative Be-        Teil aus Frauen und einigen Männern bestehend, be-
    stätigung der sexuellen Rechte von Männern angese-          gleitet von der Geschädigten, trat jauchzend und sin-
    hen wurden. Die Beschwerdeführerin war eine 33-jäh-         gend, in Miniröcken den Taxifahrern entgegen. Sie san-
    rige Frau, eine selbsterklärte Lesbe, Tochter eines ehe-    gen Lieder über ihre Rechte als Frauen und riefen ihre
    maligen Soldaten der uMkhonto we Sizwe und Genos-           Forderungen nach Gerechtigkeit weit hörbar heraus.
Nun spalteten sich die Meinungen auf: Einige der be-
fragten Männer und Frauen billigten weiter die Aktion,
weil sie den jungen Frauen eine Lektion über angemes-
senes Verhalten erteilt habe, andere vertraten die An-
sicht, dass die Aktion einen Angriff auf die Rechte und
die Würde der Frauen darstelle.

     Demokratie und Autonomie der Frauen:
     «Frauen können sich kleiden, wie sie wollen!»
     Die südafrikanische Gemeindearbeitergewerkschaft
hingegen warf das Kernproblem auf:
     «Wenn Frauen sich ihre Kleidung nicht aussuchen
können, nicht in der Lage sind, durch die Strassen die-
ser Stadt zu gehen und nicht mit öffentlichen Verkehrs-
mitteln fahren können, dann haben wir keine Demokra-
tie. Die Männer, die diese abscheulichen, schweren Ver-
brechen begangen haben, sollten sich für ihr Verhalten
nicht nur schämen, sondern müssen vom Gesetz zur Re-
chenschaft gezogen werden. Es muss ihnen klargemacht
werden, dass in einer demokratischen Gesellschaft, auch                                                                              Protest nach dem Femizid
wenn sie sich im Übergang befindet und noch immer                                                                                    an Uyinene Mrwetyana in
                                                                                                                                     Kapstadt (Bild: Discott,
unter dem Trauma der Apartheid leidet, eine gewalttä-        Tradition auf der anderen Seite gegenüberstellte: Die Er-               Wikimedia 2019).
tige männliche Überlegenheit keine Grundlage haben           eignisse wurden von den Beteiligten als Zusammenprall
kann.»                                                       zwischen den demokratischen Normen der Geschlech-
     Trotz der Empörung und einer Reihe von gerechtfer-      tergleichheit, der individuellen Freiheit und Autonomie
tigten Verurteilungen waren Frauen nach diesen Ereig-        mit dem Wunsch nach einer Rückkehr zu einem erfun-
nissen keineswegs sicherer. Wenige Wochen später grif-       denen patriarchalen, ethischen Kommunalismus inter-
fen ein Taxifahrer und sein Kollege eine Frau an, die sich   pretiert. In diesem hätten Frauen ihren Platz gekannt
darüber beschwerte, dass ihr ZAR 100 an Wechselgeld          und seien Übertretungen mit gewaltsamen gesellschaft-
in kleinen Münzen gegeben wurde. Das Opfer berichte-         lichen Sanktionen bestraft worden.
te zwei Journalisten des Sowetan, dass der Taxifahrer            Bekannte schwarze Intellektuelle kritisierten in Zei-
ausrief: «Sie sind wie die so genannten freien Frauen,       tungskolumnen und in öffentlichen Reden die eigennüt-
die zu viel reden», und sie darauf ohrfeigte.                zige Weise, in der Jacob Zuma und seine Anhänger die
                                                             Idee der ethnischen Identität nutzten, um für ihn einzu-
    Eine erfundene Tradition                                 stehen. Sie würden konservative Geschlechternormen
    Eine Vorstellung, die sich in den konservativen An-      geltend machen, um räuberisches Sexualverhalten zu
sichten sowohl der Täter als auch der Umstehenden wi-        erklären und zu entschuldigen.
derspiegelte, ist jene von kulturellen Normen und Wer-           Die Tatsache, dass Erzählungen von einer legitimen
ten aus einer Vergangenheit «in der Frauen bescheiden        «traditionellen Kontrolle» über Frauen eine so stürmi-
waren und taten, was ihnen gesagt wurde». Doch in            sche Debatte auslösten, zeugt jedoch davon, dass
traditionellen Gesellschaften kleideten sich in der Ver-     Brauch und Tradition in Frage gestellt wurden. Das öf-
gangenheit und bis mindestens Anfang der 1970er Jah-         fentliche Engagement und der öffentliche Diskurs stell-
re in ländlichen Gebieten Frauen und Männer oft spär-        ten Modernität und Tradition nicht so sehr als entge-
lich. Niemand nahm Anstoss daran, junge Frauen mit           gengesetzte Pole dar, sondern brachten sie vielmehr in
nackten Brüsten zu sehen oder eine bloss bescheidene         ein kreatives Spannungsverhältnis. Wenn wir die Be-
Bedeckung der Geschlechtsteile von Männern und Frau-         ziehungen zwischen den Geschlechtern nicht in einem
en. Niemand sagte, dass dies nicht üblich sei, und es        solchen Rahmen neu aufstellen, wird Südafrikas De-
gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Männer damals          mokratie eine Chimäre bleiben.                        •
nicht in der Lage waren, ihre sexuellen Wünsche einzu-
dämmen. Tatsächlich gab es klare und respektierte Gren-
zen in Bezug auf das Verhalten, das Sexualität und se-
xuelle Identität bestimmte.

    Die Bedeutung des Diskurses über Geschlecht,
    Demokratie und Staatsbürgerschaft
    Was bedeuten diese gewalttätigen Handlungen und
Ansichten über Frauen? Widerspiegeln sie eine Gesell-
schaft, deren bürgerliche Tugend zusammengebrochen
ist? Was bedeuten diese Ereignisse für die Gleichstel-
lung der Geschlechter und für die Demokratie in Süd-         Sheila Meintjes ist Professorin für Politik und feministische Theorie
                                                             an der University of the Witwatersrand in Johannesburg. Sie war von
afrika? Der Diskurs war so angelegt, dass er Demokra-        2001 bis 2004 Mitglied der Kommission für Geschlechtergleichheit.
tie und Geschlechtergleichheit auf der einen Seite und       Kontakt: sheila.meintjes@wits.ac.za. Übersetzung: Susy Greuter.
Moderne Amazonen
        Alltägliche Kämpfe um das Recht auf die Stadt

        Auch im westafrikanischen Küstenbereich, der                Verkauf von Essen oder Waren auf den Märkten, auf Bür-
        berühmt ist für starke Frauen, ist ein täglicher            gersteigen und an Strassenecken aufschlugen. Die Kör-
                                                                    per dieser Frauen wurden zum sexistischen Schreckbild,
        Kampf für deren Rechte und Unversehrtheit nö-               das in sozialen Netzwerken verbreitet wurde, die breiten
        tig geworden. Alice Hertzog-Frazer zeigt am Bei-            Hinterseiten mit einem roten Kreuz markiert, um anzu-
        spiel von fünf Frauen, die sie im Verlauf ihrer For-        zeigen, dass sie zu viel öffentlichen Raum besetzten. Die
                                                                    Räumungsaktion traf die Frauen hart, so dass sie in der
        schungen in Cotonou (Benin) kennen lernte, dass             Folgezeit um die Versorgung ihrer Familien rangen. Vie-
        nicht die Übergriffigkeit der Männer und die Rück-          le Händlerinnen sorgten sich, wie sie das Schulgeld für
        sichtslosigkeit der Verwaltung in Frage gestellt            ihre Kinder bezahlen sollten.
                                                                         Ein paar Strassen von Thérèses Textilgeschäft ent-
        wird, sondern diese starken Frauen.                         fernt, hat Madame Christine einen kleinen Verkaufs-
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                                                                    stand auf dem Bürgersteig. Sie verkauft Getreidebrei,
                                                                    Zitronensaft und Ananassaft. Seit ihrer Kindheit arbei-
         Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts führten furcht-      tet sie auf diesem Platz, davor war es der Handelsplatz
    lose weibliche Kriegerinnen die Armee des Königreichs           ihrer Mutter. Früher hatte sie eine kleine Bude, aber jetzt,
    Danxomè (Dahomey) im heutigen Benin an. Dieses Eli-             nach der Räumung, bleibt ihr nur ein kleiner Tisch, ein
    tekorps unerbittlicher weiblicher Kämpferinnen führte           weisser Sonnenschirm und eine Kühlbox. «Der Regen
    Sklavenraubzüge an und kämpfte gegen die französi-              fällt auf mich und die Sonne erschlägt mich», sagt sie.
    schen Kolonialmächte. In den über Generationen über-            So werde ihre Anwesenheit von der Polizei toleriert, aber
    lieferten Liedern wird damit geprahlt, dass sie sogar           wenn sie ihren Platz besser ausstaffieren und eine Pla-
    stärker als die männliche Bevölkerung waren. In Anleh-          ne anbringen würde, würden die Ordnungshüter alles
    nung an die griechischen Kriegerinnen nannte sie die            konfiszieren. Das muss jeden Tag neu ausgehandelt wer-
    französische Kolonialverwaltung Amazonen, und so                den. Es gibt nur wenige Leute wie Thérèse, die bereit
    sind sie in die Alltagsmythologie eingegangen. Sie inspi-       sind, sich für die Rechte der Kleinhändler einzusetzen.
    rierten auch die weibliche Militärgruppe im Box-Hit Black
    Panther 2018!                                                       Clotilde, die Gräfin –
         Heute müssen die Frauen, die in den Städten Benins             internationale Geschäftsfrau
    arbeiten und leben, genauso stark und kämpferisch                   Während Thérèses Kämpfe politischer Natur sind,
    sein, wenn sie die zahlreichen Barrieren auf ihrem Weg          wehrt sich Clotilde (oder Clotilde, die Gräfin, wie sie
    überwinden wollen. Sie müssen ihren Anspruch auf ei-            sich selbst nennt) geschäftlich und verhandelt mit chi-
    ne städtische Lebensweise ständig verteidigen, denn             nesischen Grosshändlern über Preise. In der gleichen
    ihr Recht darauf wird in Frage gestellt. In einem Bericht       Nachbarschaft wie Thérèse angesiedelt, gehört sie zu
    der französischen Kolonialverwaltung aus dem Jahr               den wenigen Beniner Frauen, die einen eigenen Laden
    1953 stellt der Autor fest, dass städtische Frauen von          besitzen. Clotilde handelt mit Wachsdruck-Stoffen. Ein-
    Männern als übermütig, nicht unterwürfig genug, als             mal im Jahr reist sie nach China, um direkt mit Herstel-
    ehrgeizig und unerträglich angesehen würden. Männer             lern und Vertrieben zu verhandeln.
    würden lieber Frauen vom Lande heiraten als die «ent-               In Cotonou wie auch in Lomé haben Händler wie
    tribalisierten» Frauen, die sich an die Stadt gewöhnt           Clotilde und Thérèse die berühmten «Nana Benz» er-
    hätten und ihre Tage faulenzend zubrächten. Die Plage           setzt, die in den 1980er und 1990er Jahren ihr Vermö-
    der neuen afrikanischen Städte, berichtete der Autor,           gen mit der Vermarktung dieser bedruckten Stoffe aus
    seien freie Frauen ohne Ehemänner.                              Holland machten. Diese mächtigen (und kräftig gebau-
         Die Zeiten mögen sich geändert haben, aber die             ten) Frauen in ihren glänzenden Mercedes Limousinen
    Frauen in der Stadt sind immer noch mit Hindernissen            machten den Markt von Lomé zum subregionalen Zen-
    und Angriffen konfrontiert. Hier stellen wir einige mo-         trum des Tuchhandels in Afrika. Doch heute gibt es Kon-
    derne städtische Amazonen vor, die um ihren Lebens-             kurrenz und Imitationen. Clotilde hat sich einen Platz
    unterhalt, ihren Platz und ihr Recht auf Stadt kämpfen.         innerhalb der globalisierten Handelsnetze erobert.
                                                                        Die Gräfin steht in ihrem Laden, inmitten eines Kö-
        Thérèse Waounwa –                                           nigreichs von «Pagnes», Stoffen mit imitierten klassi-
        militante Organisatorin der Gemeinschaft                    schen Vlisco-Drucken oder, der neuesten Mode entspre-
        Thérèse Waounwa trägt mehrere Hüte – sie ist Tex-           chend, in knalligen Farben. Sie geht Muster durch, die
    tilhändlerin, eingefleischte Aktivistin, Präsidentin von        sie gerade aus China erhalten hat: «Zuerst schicken sie
    Benins Marktverband, Menschenrechtsverteidigerin und            mir Fotos über WhatsApp, dann Materialmuster. Denn
    Vertreterin des Forums für beninische Arbeiter. Der             bei den Farben auf diesen Fotos kann man sich nie si-
    Name Waounwa bedeutet «Ungerechtigkeit hassen». In              cher sein. Dann bestellst du wiederum über WhatsApp
    ihrer Studienzeit half sie mit, eine Militärdiktatur zu stür-   und in zwei Monaten kommt die Ware im Hafen an».
    zen. Viele Jahre später erhob sie eine der wenigen Stim-        Die Globalisierung hat für innovative Frauen neue Han-
    men, die sich gegen die in den Jahren 2017 und 2019             delswege eröffnet und damit die Möglichkeit für Tau-
    durchgeführten Vertreibungen aus den Städten richte-            sende afrikanischer Männer und Frauen, gefälschte Vlis-
    ten.                                                            co-Muster zu niedrigeren Preisen zu tragen. Heute zir-
        Diese Vertreibungen schadeten vor allem den «bon-           kulieren Tausende von Tonnen Stoff zwischen China und
    nes dames», den Händlerinnen, die ihr Geschäft mit dem          Afrika.
Chantal – die togolesische Kellnerin                    greifen. All dies löste jedoch vehemente Gegenreaktio-
     arbeitet die ganze Nacht                                nen aus, und den Leidtragendenden wurde die Schuld
     Nicht alle Frauen, die ihren Lebensunterhalt in der     zugeschoben: «Diese Frauen sind oft dieselben, die ih-
Stadt erstreiten müssen, haben die Chancen einer Clo-        ren Körper benutzt haben, um die Arbeitsplätze zu be-
tilde. Die Städte stützen sich auch auf billige Arbeit von   kommen». «Wir müssen alle aufklären und dafür sor-
Migrantinnen aus Togo ab, junge Frauen, die in den Bars,     gen, dass Frauen sich anständig kleiden, um zur Arbeit
als Hausmädchen oder als Kindermädchen tätig sind.           zu gehen», oder «Bösartige, zynische Frauen nutzen
Chantal, eine alleinerziehende Mutter in ihren Dreissi-      sexuelle Belästigung, um alte Rechnungen zu beglei-
gern, kam auf der Suche nach Arbeit nach Benin. Wie          chen». Wieder andere bejubelten die Journalistinnen
viele togolesische Migrantinnen endete sie als Kellnerin     als «Amazonen», die es gewagt hatten, die Büchse der
in einer Bar und arbeitet bis zu siebzehn Stunden am         Pandora zu öffnen.
Tag. Jeden Morgen steht sie auf, um die Bar zu putzen,
bevor sie diese um zehn Uhr öffnet und bis spät in die
Nacht versorgt.
     Chantal verdient 30 Franken im Monat, ihr Arbeits-
vertrag ist informell, sie ist nicht bei der Einwande-
rungsbehörde gemeldet. Ihr Chef hat keine Skrupel, ihr
so wenig zu zahlen – es ist nur die Hälfte des Mindest-
lohns – und geht davon aus, dass sie ihr Einkommen
verdreifachen kann, wenn sie Trinkgelder annimmt und
den Kunden sexuelle Gefälligkeiten bietet. Viele einhei-
mische Beniner halten togolesische Kellnerinnen für Sex-
arbeiterinnen. Im Gegenzug verbergen die Kellnerinnen
die Art ihrer Arbeit vor der Familie zu Hause, um sich ei-
ner Verurteilung zu entziehen. Es wird erwartet, dass die
Kellnerinnen freizügige Kleidung tragen, und sie sind
sexueller Belästigung und geschlechtsspezifischer Ge-
walt sowohl seitens der Kunden als auch seitens ihrer
Arbeitgeber ausgesetzt.
     Fern von zu Hause und unangemeldet haben togo-
lesische Kellnerinnen wie Chantal wenig Gewicht. Eini-
ge nehmen jedoch an Workshops der Gewerkschaften
teil. Sie nutzen ihre sonntägliche Freizeit, um Rechtsse-
minaren mit einem Anwalt beizuwohnen und sich über
angemessenen Lohn, ein sicheres Arbeitsumfeld und
formelle Verträge zu informieren. Mit ihrem neu erwor-
benen Wissen konnten einige gegen alle Widerstände
den Kampf für menschenwürdigere Arbeitsbedingun-                                                                             Evelyne Trenou und Adoko
gen aufnehmen und erfolgreich mit ihren Arbeitgebern                                                                         Kulen Akpabie, Cotonou.
                                                                                                                             Zusammen mit ihren
verhandeln.                                                      Der Hashtag #MeToo war in diesem Zusammen-                  Müttern gehörten sie in
                                                             hang auch ein #UsToo – denn diese modernen Amazo-               den 1970er und 1980er
                                                                                                                             Jahren zu den sogenannten
    Angela Kpeidja –                                         nen schlossen sich einer globalen Bewegung an. Thérè-
                                                                                                                             Nana Benz – Tuchhänd-
    die Journalistin, die #MeToo sagte                       se, Madame Christine, Clotilde, Chantal, Angela und             lerinnen, die so erfolgreich
    Viele der in der Stadt arbeitenden Frauen erfahren       Priscile sind die Amazonen der heutigen Zeit, die für ihr       waren, dass sie sich
                                                                                                                             im Mercedes chauffieren
täglich sexuelle Belästigung. Ob an der Universität, in      Recht auf eine würdige Existenz kämpfen. Die Frauen             liessen (Bild: Stephan
der öffentlichen Verwaltung oder in Krankenhäusern:          von Cotonou betreiben Handel auf der Strasse oder               Gladieu, Weltbank, 2015).
Wer sich Zugang zu solch offiziellen Räumen schafft,         international, sie arbeiten in den Bars oder berichten in
muss unerwünschte Avancen abwehren können. Wäh-              den Tagesnachrichten. Doch ihr Recht dazu wird stän-
rend #MeToo auf der ganzen Welt Widerhall fand, blieb        dig in Frage gestellt, von den alltäglichen Gefährdun-
die Reaktion in Westafrika gedämpft, teilweise wegen         gen des Lebens in einer westafrikanischen Stadt ganz
des strengen Tabus, das sexuelle Belästigung umgibt.         zu schweigen.                                          •
Dies blieb so, bis Angela Kpeidja, eine beim nationalen
Fernsehsender tätige Journalistin, am 1. Mai 2020 eine
Meldung auf ihrem Facebook-Konto veröffentlichte. Den
gängigen Missbrauch an Journalistinnen benennend, do-
kumentierte sie das System geschlechtsspezifischer Ge-
walt in ihrem Beruf.
    Ihre Botschaft löste eine nationale Debatte aus;
eine andere Journalistin, Pricile Kpogbeme, deklarierte      Alice Hertzog promoviert an der ETH Zürich, ihre Forschung
                                                             konzentriert sich auf Migration und Urbanisierung entlang des
sich gleichlautend. Selbst der Präsident mischte sich in     Korridors Lagos-Abidjan. Kontakt: hertzog@usys.ethz.ch.
die Diskussion ein und versprach, Massnahmen zu er-          Übersetzung: Susy Greuter.
Rosa Visolela Namises
                                 Vision einer feministischen Republik

                                 Rosa Visolela Namises dürfte Manchen durch einen Film von Marianne Pletscher aus dem Jahr 1991 be-
                                 kannt sein, in dem diese das prominente SWAPO-Mitglied portraitierte. Im vergangenen Winter liess
                                 Pletscher dem Film vier Berichte bei Journal21 von einem erneuten Zusammentreffen und einer gemein-
                                 samen, mehrwöchigen Reise durch Namibia folgen. Sie zeigen, wie sehr Rosa Namises inzwischen zur
                                 Anführerin von Namibias Frauen geworden ist. Rosa stellte uns ihren Bericht über eine Frauenkonferenz
                                 im letzten Jahr zu Verfügung. Einleitung und Zwischentexte verfasste Susy Greuter.

                                  Das junge Nambia – unabhängig erst seit 1991 – hat           Zeugin und Vorkämpferin
                              wahrscheinlich die frauenfreundlichste Verfassung Af-            Rosalinda Visolela Namises wuchs in dieser gespal-
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                              rikas. Die meisten der Verfassungsartikel sind inzwi-       tenen Welt auf, doch ihr fortschrittlicher Vater erlaubte
                              schen in entsprechende Gesetze und Verordnungen um-         ihr, Selbstbehauptung und Widerständigkeit zu entwi-
                              gesetzt, die auch die Gesetze der traditionellen Gesell-    ckeln. Das eckte an und bescherte ihr eine Reihe ein-
                              schaften eingrenzen und im Konfliktfall ausser Kraft        schneidender Erfahrungen: Wegen Teilnahme an Pro-
                              setzen. Es sind aber weniger tradierte Regeln für Heirat,   testen wurde sie von der Schule gewiesen, ihre Lieb-
                              Brautpreis, Landbesitz und Kinderzugehörigkeit, die         schaft mit einem Weissen brachte sie ins Gefängnis und
                              heute die Frauen vielfach im zweiten Rang halten, als die   aufgrund ihrer späteren Mitgliedschaft bei der Befrei-
                              hundertjährige Geschichte der Kolonisation und Bevor-       ungsbewegung SWAPO wurde sie mehrmals verhaftet
                              mundung. Die deutsche Kolonisierung begann 1884             und auch gefoltert. Weil sie mit dem Vater ihrer Kinder
                              und zeichnete sich durch unglaubliche Härte aus. Vor        zusammenlebte, ohne sich den geltenden Ehegeset-
                              allem die Ethnien der Herero, Nama und Damara im Zen-       zen zu beugen, verlor sie zwischenzeitlich sogar ihren
                              tralgebiet wurden gewaltsam dezimiert und von ihrem         Job als Sozialarbeiterin – aber all das bestärkte sie nur
                              Land vertrieben, das deutschen Siedlern überlassen wur-     in ihrem Einstehen für die Rechte der Schwarzen und
                              de. Die Verbleibenden wurden einem harten Regime            die verlorenen Rechte der Frauen.
                              als rechtlose Farmarbeiter und Dienstboten unterwor-             Nach negativen Erfahrungen zog sie – wie schon da-
                              fen. Gleichzeitig setzte eine intensive Missionierung       mals eine Mehrheit der Frauen im Land – ihre Kinder
                              ein, die die Untertanen weiter in die ihnen zugeschrie-     allein auf. Das war ursprünglich auch eine Folge der
Die namibische Aktivistin     benen Rollen in der Kolonialgesellschaft einpasste. Das     erzwungenen Wanderarbeit und des Untertauchens der
    Rosa Visolela Namises
ist wahrlich eine bewegte
                              verdoppelte die Unterordnung der Frauen, die nun auch       SWAPO-Kämpfer. Die häusliche Gewalt und Vernach-
      Frau und arbeitet mit   in der Ehe entmündigt wurden, ihre gesellschaftlichen       lässigung der Familie, die der Alkoholmissbrauch der
       Begeisterung an der    und produktiven Rollen verloren und auf ein Dienst-         Männer mit sich brachte, hält aber an. Diese dem Ver-
  Umsetzung der feminis-
    tischen Republik (Bild:   mädchenprofil reduziert wurden.                             lust der Gemeinschaftsstrukturen und der unsicheren
Marianne Pletscher 2019).                                                                 Existenz (Arbeitslosigkeit!) zugeschriebene Verrohung
                                                                                          hat seit der Unabhängigkeit kaum abgenommen: fast
                                                                                          die Hälfte der zivilrechtlichen Fälle betreffen heute Ver-
                                                                                          gewaltigungen und Kindsmissbrauch. Die Rechte der
                                                                                          Frauen und der Kinder, die Menschenrechte generell,
                                                                                          sind deshalb noch immer Hauptanliegen von Rosa Na-
                                                                                          mises, die inzwischen Direktorin der NGO Women Soli-
                                                                                          darity ist.

                                                                                               Unermüdlich
                                                                                               Dazu kam es jedoch erst über einen langen Weg: Die
                                                                                          einstige Powerfrau der SWAPO setzte sich schon 1990
                                                                                          von dieser Partei ab, als sie von deren Grausamkeit und
                                                                                          Machtmissbrauch erfuhr. Sie studierte im Ausland So-
                                                                                          zial- und Genderwissenschaften, um nach ihrer Heim-
                                                                                          kehr an der Gründung einer neuen Partei mitzuhalten,
                                                                                          für welche sie neun Jahre im Parlament wirkte (und ei-
                                                                                          nige alte Hürden für Frauen ausmerzen half). Doch
                                                                                          Namises lehnte die Machtspiele in der Parteipolitik ve-
                                                                                          hement ab und wandte sich wieder praktischen Projek-
                                                                                          ten und direkten Anliegen zu. Schon seit Langem be-
                                                                                          treibt sie ein Heim für vernachlässigte Kinder. Als de-
                                                                                          mokratisch gewähltes, spirituelles Oberhaupt einer Da-
                                                                                          mara-Gemeinschaft setzt sie sich für die Wiederbele-
                                  Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm Südafrika das        bung von Traditionen ein und war lange Teil einer Bewe-
                              damalige Südwestafrika im Mandat des Völkerbunds            gung von Landlosen und durch Enteignungen Bedroh-
                              und setzte dieser auch kulturellen Unterwerfung mit         ter. Ihre Bedeutung als Sprecherin der Frauen, die ta-
                              der Einführung des römisch-holländischen Rechts und         buisierten Themen wie Abtreibung und Homosexuali-
                              des Apartheidsystems die Krone auf.                         tät nationales Gehör verschafft, wird durch ihre wö-
                                                                                          chentliche Radiosendung unterstrichen.
Mit ihrer beeindruckenden Persönlichkeit hat Rosa               «Es wird ein Ort für Frauen sein, wo sie in Selbstver-
Namises die Aufmerksamkeit vieler internationaler Netz-        waltung sich selbst sein und sich zur Ganzheitlichkeit
werke auf sich gezogen. Mehrmals jährlich wird sie zu          entwickeln werden. Viele Anleitungen zum Wohlbefinden

                                                                                                                                                           Schwerpunktthema
Konferenzen gerufen, wie der Plattform der African Wo-         von Frauen beschränken sich auf die geistige Gesund-
men Human Rights Defenders (WHRD), die Ende 2019               heit sowie auf den Umgang mit psychischen Symptomen.
in Nairobi stattfand. Diese wird durch das internationa-       Stattdessen gilt es, die tieferen Gründe emotioneller,
le feministische Netzwerk Urgent Action Fund (UAF)             mentaler und spiritueller Not anzugehen. Das verbreite-
finanziert. Rosa Namises hat dem Afrika-Bulletin ihre          te Gerede von Burnout, Krankheit und gegenseitigen Ver-
Eindrücke von dieser Konferenz überlassen, in denen            letzungen werden wir aufgeben, um Räume für kollekti-
ihr spirituell begründeter Ruf nach Heilung und Veran-         ve Sorgeleistungen und Selbstsorge zu schaffen, Räume,
kerung in der Gemeinschaft Ausdruck findet:                    um uns zu heilen und zu lernen.»
                                                                    In der Konferenz wurde ein Plan entwickelt, wie der
    Ein neues Unterfangen                                      afrikanische Feminismus zusammenwachsen und Gleich-                                     9
    Rosa: «Urgent Action Fund ist ein grossartiges, von        berechtigung einfordern kann.
Frauen geleitetes Netzwerk, welches eine dringend be-               «Unsere unmittelbar nächsten Schritte zu einer femi-
nötigte Finanzierung für Frauentreffen und -organisa-          nistischen Republik zu Beginn der neuen Dekade sind fol-
tionen bereitstellt. Die Organisation beschloss, eine Platt-   gende:
form für die Anwältinnen frauenspezifischer Menschen-          • Die Plattform wird Kenntnisse über Arbeits-
rechte zu begründen, nachdem sie sich vertieft über ge-           gebiete schaffen, wo Vorbilder feministischen
waltsame politische Unterdrückung, Überwachung, An-               Denkens fehlen.
griffe und Drohungen gegen Women Human Rights De-              • Die Forschung wird wichtige Wissenslücken schlies-
fenders (WHRD) informiert hatte. Auch der von Politikern          sen und wird damit der Plattform erlauben, weiter
geäusserte Bedarf einer ‹Schliessung des zivilgesell-             zu lernen, welche feministischen Heilungspraktiken
schaftlichen Raumes› liess es nötig erscheinen, die               sie fördern kann.
WHRD zu unterstützen. Eine Studie untersuchte, welche          • Über ihre Mitglieder erhält die Plattform aktuelle
Sicherungsnetze für afrikanische WHRD existieren und              Informationen von der Situation der WHRDs sowie
wo sich Lücken auftun: Da ist das Problem der politi-             über geeignete Unterstützung.
schen Vergeltung, die selbst jene trifft, die internationa-    Über die Plattform wird eine von Frauen geführte Ge-
len Schutz suchen, sowie der erhöhten Gefahr, der ihre         sundheitsfarm eingerichtet, die den WHRDs als Erho-
Gemeinschaft ausgesetzt ist.»                                  lungsort dient und den sie nützen können, um mit der
    Aus diesen Erkenntnissen ist die Idee zur Gründung         Natur in Kontakt zu kommen. Hier können sie sich tref-
eines geschützten Raumes entstanden, der gleichzei-            fen und über den ganzen Kontinent zueinander in Be-
tig Refugium und Zentrum der Aktivistinnen sein könn-          ziehung treten.
te. Ähnliche Fluchtorte vor dem Zugriff der kolonialen              Sie brauchen auch eine sichere und online zugäng-
Polizei hatte es in einzelnen Ländern während den Un-          liche virtuelle Botschaft. Hier werden sie ihre Erfahrun-
abhängigkeitskämpfen auch auf entlegenen Farmen ge-            gen, Ideen und Begriffe teilen, die für die Stärkung unse-
geben! Erwartungsvoll wurde diese Vision «feministi-           ren unterschiedlichen Aktionen nützlich sind.
sche Republik» benannt.                                             UAF-Afrika wird das Stipendienwesen von derzeit 200
    Rosa: «Obwohl ich neu zu der Plattform geladen war,        auf 400 Zuschüsse ausweiten, um afrikanische WHRDs
stürzte ich mich auf die Einladung, als ich von der Idee       zu unterstützen. Dies schliesst die Finanzierung von spe-
der feministischen Republik hörte . . . Ich habe zahlreiche    zialisierten feministischen Sicherungsinstrumenten ein.
Wünsche für die Zukunft der Frauen und sah meine ei-           Diese müssen auf einem Schutz basieren, der nicht nur
gene Vision gespiegelt (. . .).                                Unterstützung für das physische und seelische Wohler-
    Ich durfte an einer grossartigen Erfahrung teilha-         gehen umfasst, sondern auch kollektive Sicherheit und
ben, wo die Frauen ihren Willen aussprachen, sich einen        gegenseitige Sorgeleistung. Aktivistinnen, Familien, Or-
innovativen, authentischen, wagemutigen und liebevol-          ganisationen und Gemeinschaften brauchen dies, um
len Raum zu schaffen. Wir vereinbarten, einen Raum zu          ihr Leben und die längerfristige Mobilisierung aufrecht
kreieren, der transformativ wirkt und einen politischen        zu erhalten.»
Rahmen bietet, der die gegenwärtigen Realitäten eben-               Rosa Visolela Namises lässt ihren Bericht in einen       Marianne Pletscher ist Doku-
                                                                                                                             mentarfilmerin, Schrift-
so in den Blick nimmt wie ‹Herstory›, die Geschichte der       Aufruf an alle Feministinnen münden:
                                                                                                                             stellerin und Dozentin im
Weiblichkeit.»                                                      «Während die feministische Republik wächst und sich      Bereich Dokumentarfilm.
                                                               ausformuliert, möchten wir alle ermutigen, Empfehlun-         Kontakt:
                                                                                                                             info@mariannepletscher.ch.
    Ermächtigung                                               gen für potentielle Ansprechpersonen mit uns zu teilen.       Die Webseite des Urgent
    Rosa Namises priorisiert das Bedürfnis, Selbstgefühl       Macht uns Wege der Selbstbewahrung und der Gemein-            Action Fund bietet weitere
und Selbstwert zu entwickeln, da sie die äusseren und          schaftspflege bekannt, ebenso wie Ansätze zu einer hei-       Informationen über die
                                                                                                                             Feministische Republik:
inneren Barrieren und Fallen kennt, die zur Entmuti-           lenden Rechtsprechung. Inspirierende Zeugnisse von fe-        www.uaf-africa.org/
gung von Frauen führen. Nach hundertjähriger Entwer-           ministischen Aktivistinnen und Lernstrecken werden von        journey-towards-the-
                                                                                                                             feminist-republik/.
tung nicht nur der materiellen, sondern auch der sozia-        Nutzen sein, um die feministische Republik kollektiv in
                                                                                                                             Die Reiseberichte und der
len und spirituellen Kultur sind sie nun der verstärkten       Angriff zu nehmen. Dies ist eine Reise, die uns viele         Film «Zwei Frauen» sind auf
patriarchalen Dominanz in den hybriden nachkolonia-            Schritte abverlangen wird. Die Schritte, die wir zusammen     der Webseite von Marianne
                                                                                                                             Pletscher zugänglich:
len Machtordnungen unterworfen. Bei der Ermächti-              unternehmen, machen diese Reise machbar und umso              www.mariannepletscher.ch.
gung der Frauen durch neue Kompetenzen, ist Heilung            begeisternder.»•                                             Übersetzung: Susy Greuter.
ein wiederkehrendes Stichwort. Rosa sieht das Mittel
dazu in der autonomen Gemeinschaft.
Afrika in Kürze

         Coronavirus

          Fehlende Infrastruktur und Zahlen          Wirtschaftliche Einbussen                 Kalter Krieg um Gönner-Status
          Ein paar Monate lang schien                und Massnahmen                            Manche Journalisten bezweifeln,
     möglich, dass das subsaharische Afrika          Wohl am schwersten betroffen          dass der Wettbewerb zwischen China
     besser über die Pandemie hinweg-            von der Pandemie in Afrika ist der        und den USA bezüglich der Pandemie-
     kommen werde als Südeuropa und              Tourismus. Noch im Jahr 2019, als 67      Hilfen an Afrika mehr als rhetorischer
     Lateinamerika, doch seit Mai steigen        Millionen Touristen gezählt wurden,       Natur sein wird. Die vom USA-Aussen-
     die Zahlen z.B. in Südafrika exponen-       bot dieser Sektor 20 Millionen Arbeits-   minister Pompeo mit «niemals hat eine
     tiell. Trotzdem wurden fast überall         plätze. Nun erwartet zum Beispiel die     Nation mehr getan» kommentierte
10
     die Isolations-Massnahmen Ende Mai          Sunbird-Agentur in Malawi, wo auch        Extrahilfe für das afrikanische Gesund-
     ausgesetzt, weil die informell be-          viele Südafrikaner die Ferien verbrin-    heitswesen in der Höhe von 170
     schäftigte Bevölkerung inzwischen           gen, lediglich 15 Prozent der früheren    Millionen USD wurde schon durch die
     hungerte. Möglich ist aber auch,            Gästezahlen und über den ganzen           Gabe eines einzelnen chinesischen
     dass Südafrikas Fall nur an erster Stelle   Kontinent wird mit 40 Prozent weniger     Milliardärs egalisiert. Auch ist unbe-
     steht, weil dort ein relativ solides        Buchungen gerechnet. Die AU schätzt       stritten, dass die Lieferungen von
     Gesundheitswesen ausgiebig testete          die Verluste der Monate März bis Mai      medizinischen Hilfsgütern aus China in
     und den Überblick behielt. Dabei            auf 50 Milliarden USD an. Investitionen   die Tausende von Tonnen gingen.
     stehen auch diesem Land mit seinen          in Hotels, aber auch in andere Sektoren   Allerdings muss auch erwähnt werden,
     fast 60 Millionen Einwohnern lediglich      sind stark geschrumpft und trotz          dass die Vereinigten Staaten schon zu
     1000 Betten in Intensivstationen zur        massiver Zinssenkungen wurde nur ein      Zeiten der Präsidentschaft von George
     Verfügung, Malawi mit seinen 17             Drittel der angebotenen Kredite           Bush Junior zur Aids-Eindämmung
     Millionen Einwohnern verfügt lediglich      beansprucht. Ausländische Investitio-     stark in das afrikanische Gesundheits-
     über 25. Von einigen anderen Staaten        nen werden                                wesen investierten.
     (Nigeria, Somalia, Tanzania) wurde          um mindestens 15 Prozent abnehmen.            Bedenklicher als diese erbärmliche
     lediglich bekannt, dass sich in man-        Für die Geschäftstätigkeit aller Sekto-   Plattform für Rivalität im neuen
     chen Regionen die Todesfälle mehr-          ren wird ein Rückgang von 2,2 bis         Kalten Krieg erschien dem BBC-Korres-
     ten, ohne Angaben von Gründen für           5,2 Prozent erwartet.                     pondenten Harding allerdings die
     diese sogenannte «Übersterblichkeit».           Last but not least muss mit einem     Begleitpropaganda Chinas, welche im
     Die englische Medizinfachszeitchrift        erheblichen Schwund an Rimessen           gleichen Zug mit der lauten Propagie-
     The Lancet sieht eine Mindest-Test-         gerechnet werden, die im vergangenen      rung der eigenen Taten die afrikani-
     Quote von einem Prozent der Bevölke-        Jahr rund 49 Milliarden betrugen und      schen Nationen auffordert, den Pfad
     rung als unumgänglich für die Plan-         Familien, Müttern und Kindern über die    der Multi-Parteien-Demokratie zu
     barkeit von Massnahmen und konsta-          Runden halfen. Das Nationaleinkom-        verlassen, der nur Ungleichheit,
     tiert gleichzeitig, dass bis Mitte Mai      men von Gambia, Zimbabwe und              ethnische und religiöse Spaltung und
     Uganda etwa 5-mal weniger, Äthiopien        Liberia beruht bis zu einem Viertel auf   Gewalt bringe, während die «neue
     20-mal, Nigeria 60-mal und die DRC          diesen Rimessen.                          Seidenstrasse» die Erholung des
     200-mal weniger Tests als diese Mini-           Andererseits legen wirtschaftlich     Kontinents von Jahrhunderten der
     malquote durchführen konnten.               relativ stabile Staaten wie Südafrika,    Sklaverei, des Kolonialismus und
     Es wird noch lange dauern, bis eine         Nigeria, und Kenya grosse Hilfspakete     neo-kolonialer Beherrschung sowie
     Übersicht über das Geschehen bezüg-         für soziale und wirtschaftliche Ab-       Covid-19 bringen werde. •
     lich Covid-19 im subsaharischen             federung auf – wodurch allerdings die
     Afrika möglich wird. •                      Staatsschulden weiter steigen. In
                                                 wirtschaftlich schwachen Ländern sind
                                                 wenig Ressourcen vorhanden, um all
                                                 die Ausfälle zu mildern. Ausser einem
                                                 halbjährlichen Zinsverzicht für 19
                                                 afrikanische Nationen werden IWF und
                                                 Weltbank global 64 Milliarden nur für
                                                 die Ausbalancierung der Pandemie-
                                                 Folgen bereitstellen. In der Folge wies
                                                 der äthiopische Präsident darauf hin,
                                                 dass allein Afrika 150 Milliarden
                                                 benötige. •
Zimbabwe                                   Mozambique                                  AKP-Staaten

                                                                                                                                  Afrika in Kürze
    Korruption und Repression                   Rohstoff-Fund via Schulden                Europäisches Abkommen
    Schon vor dem Lockdown war                  im Vorneherein anderweitig                mit den AKP-Staaten
die Versorgungslage der Bevölkerung             annektiert?                               Zur Erinnerung: AKP steht für
in Zimbabwe schwierig. Jetzt ist                Das mosambikanische Verfassungs-      Afrika, Karibik und Pazifische Staaten –
langsam der Punkt erreicht, wo es          gericht hat erneut die Illegitimität       was im Wesentlichen die früheren
keinen Spielraum mehr gibt. Covid-19       der seit 2016 aufgedeckten geheimen        Kolonien der europäischen Kolonial-
hat diese Gemengelage weiter ver-          Milliardenkredite von Credit Suisse (CS)   mächte umfasst. Das jetzige 20jährige
schärft. Neu rückt die Korruption und      und der russischen VKB bestätigt           Abkommen läuft Ende dieses Jahres
                                                                                                                                 11
Plünderung des Landes durch die Elite      und damit die Pflicht zur Rückzahlung      aus und wird seit 2018 in Verhandlun-
ins Zentrum der politischen Ausei-         verneint. Die CS hat umgehend Klage        gen neu gefasst. Inzwischen stehen
nandersetzung. Anlass dazu war ein         dagegen erhoben mit dem Argument,          die Grundlagen einer Neuauflage
massiver Korruptionsfall um die            dass die Staatsgarantie mit einer Unter-   weitgehend fest – mit einigen Fort-
Beschaffung von Covid-19 Tests und         schrift des damals amtierenden Finanz-     schritten, auch wenn es noch immer
medizinisches Material im Umfang von       ministers gültig sei – also auch ohne      kein Vertrag «auf Augenhöhe» ist.
60 Millionen USD, den der renom-           die für solche Summen notwendige           Vieles bezüglich des «präferentiellen
mierte Journalist Hopewell Chin’ono        Zustimmung des Parlaments, was eine        Handelsstatus» der angeschlossenen
ans Tageslicht förderte. Ein brisanter     Bank im «due diligence»-Verfahren          Entwicklungsländer gilt ähnlich weiter,
Fall, in den die Firma Drax SAGL mit       hätte absichern müssen. Die mosambi-       auch der Multilateralismus (alle
Sitz in Lugano sowie anscheinend auch      kanische Regierung andererseits            EU-Staaten müssen sich an die gleichen
die Präsidentenfamilie verwickelt sind.    hält an ihrer Zahlungswilligkeit fest –    Bedingungen halten) bleibt bestehen.
Die Enthüllungen führten zur Verhaf-       wohl aus Angst, dass ihre Kredit-          Neu und interessant ist hingegen das
tung des Gesundheitsministers und des      würdigkeit bei einer Zahlungsverwei-       Verschwinden von Freihandelsab-
lokalen Vertreters von Drax.               gerung international (auch beim IWF?)      kommen, welche den AKP-Staaten
    Am 31. Juli sollten Protestaktionen    hinfällig wäre. Sie hat einen Aufschub     jegliche Zollschranken gegen Güter
die Korruption und die katastrophale       bis 2030 ausgehandelt, was darauf          von Vertragspartnern untersagten.
Wirtschaftslage anprangern. Die            hindeutet, dass die zukünftigen            Ebenso ist keine Rede mehr von den
Regierung verhängte umgehend eine          Gewinne aus der Ausbeutung der             gefürchteten Schiedsgerichten
nächtliche Ausgangssperre und ver-         Erdgasreserven bereits auf Jahrzehnte      zugunsten der privaten Investitionen,
schärfte die Covid-19 Regulierungen        vergeben sind und wohl nicht der           auch wenn diese weiterhin geschützt
auf unbestimmte Zeit. Damit begründe-      eigenen Volkswirtschaft zugutekom-         werden sollen. •
te sie auch die Festnahme des Organi-      men werden. Für die Erstellung der
sators der Proteste sowie des Inves-       Anlagen nehmen die Firmen, welche
tigationsjournalisten am 20. Juli 2020.    die Konzessionen halten, inzwischen
Ihnen droht eine Strafe von jeweils bis    grosse Anleihen auf; der Investitions-
zu zehn Jahren wegen Anstiftung zu         bedarf wird auf 20 Milliarden USD
Gewalt. Beiden wurde die von namhaf-       geschätzt. Die amerikanische EXIM-
ten internationalen Organisationen         Bank und die englische UKEF knüpfen
geforderte Freilassung auf Kaution ver-    dabei ihre Kredite an die Bedingung,
weigert. Schon am Vorabend der             dass Güter und Dienste in ihren
Proteste riegelten die Sicherheitskräfte   Staaten bezogen werden müssen. Dies
das Stadtzentrum von Harare ab und         gilt auch für die auf 29 000 geschätz-
verhafteten eine Anzahl von Aktivis-       ten Jobs, von denen über die Kredite
tinnen und Aktivisten, darunter die        bereits 16 700 für amerikanische und
Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga.       2000 für englische Arbeitskräfte
Die Teilnahme an Protestaktionen wird      reserviert sind. Für Einheimische
mit Aufstand gleichgesetzt.                scheinen sich lediglich 2500 Stellen
    Emmerson Mnangagwa, der im             zu ergeben. •
November 2017 mit einem Militär-
putsch an die Macht kam, versprach
eine «neue Dispensation» und nannte
seine Regierung vollmundig die zweite
Republik. Jetzt zeigt sich, dass er den
Fussstapfen seines Vorgängers folgt.
Die Umbenennung von Strassen in
sechs zimbabwischen Städten in seinen
Namen verheisst nichts Gutes. •
                                                                                      Zusammengestellt von Susy Greuter
                                                                                      und Barbara Müller.
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