Das skandalöse Verbot der Demonstration am - gegen Dummheit und Reaktion, Flugblatt Nr. 57, Oktober 2020
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GewerkschafterInnen und Antifa gemeinsam gegen Dummheit und Reaktion, Flugblatt Nr. 57, Oktober 2020 Das skandalöse Verbot der Demonstration am 22. August 2020 in Hanau gegen das rassistische Nazi-Massaker am 19. Februar 2020 in Hanau Höhepunkt der bundesweiten Kampagne zur herrscht, sondern auch in zunehmender alltäg- Erinnerung an das rassistische Nazi-Massaker licher Polizeigewalt deutlich sichtbar wird, vor in Hanau vor einem halben Jahr sollte eine allem gegen „undeutsch” aussehende Men- Großdemonstration und Kundgebung mit Ange- schen bis hin zu zahlreichen Polizeimorden an hörigen, Freund*innen der Ermordeten in Ha- People-of-Colour in den letzten Jahren, nau am 22. August sein. Dazu war seit mehre- ren Wochen aufgerufen und mobilisiert worden. Es ist sehr bezeichnend, dass seit Beginn der Bis zu 5.000 Demonstrierende wurden erwar- politisch verordneten Maßnahmen gegen Coro- tet. Mit dem Ordnungsamt der Stadt Hanau und na ab März diesen Jahres Aktionen, Demons- dem SPD-Oberbürgermeister hatte die „Initiati- trationen und Kundgebungen mit antirassisti- ve 19. Februar”, die die Proteste organisierte, schem oder antifaschistischem Inhalt, ja selbst wochenlang verhandelt. Viele Zugeständnisse traditionelle Aufmärsche zum 1. Mai, unter dem für ein Demo-Konzept gemäß den Corona-Vor- Vorwand „Gesundheit hat Priorität” nur sehr ein- schriften (mit Masken- und Abstandsregeln, die geschränkt erlaubt, verboten wurden oder mit durch Ordner kontrolliert werden sollten usw.) Polizeigewalt unterdrückt worden sind. Bestes wurden gemacht. Beispiel dafür sind die Solidaritätsaktionen für die Refugees an den Außengrenzen Europas in Trotz dieser gewaltigen Zugeständnisse an mehreren Städten Anfang April. Allerdings wur- Ordnungsamt und Polizei bzgl. der Demo- den, trotz vorherrschender staatstreuer Unter- Auflagen wurde am Freitagabend, nur etwa 16 tanenmentalität bis hinein in fortschrittliche „lin- Stunden (!) vor Demobeginn am Samstag um ke” Kreise, z. B. in Frankfurt auf mutige Weise 13 Uhr (somit auch ohne Zeit für eine rechtliche entgegen dem polizeistaatlichen Demonstrati- Überprüfung der Entscheidung) von der Stadt onsverbot erste politische Proteste initiiert und Hanau die Demonstration verboten - aus Ge- durchgefuhrt (Siehe dazu unser Flugblatt Nr. sundheitsschutz wegen Corona. Fadenscheini- 55 vom April 2020: „Trotz Demonstrations- und ge Begründung war, dass die Zahl der positiven Versammlungsverbot: Vorbildliche Solidaritäts- Corona-Tests bis auf 49 je 100.000 Einwohner Aktionen für die Refugees an den Außengren- im Wochendurchschnitt gestiegen sei. Das ist zen Europas!”). eine typische Methode der Angstmacherei mit willkürlich festgelegten Zahlen. Bezeichnend für das aktuelle Vorgehen des Staats ist aber auch: Am selben Tag als die De- Sechs Monate nach dem rassistischen Nazi- monstration in Hanau verboten wurde, durften Massaker am 19. Februar 2020 in Hanau, bei sogenannte Corona-Leugner in Darmstadt auf- dem neun Menschen ermordet und fünf zum Teil marschieren. Vor allem aber gab es in Berlin schwer verletzt wurden, fanden bereits am 19. sowohl am 1. August und später am 29. August August bundesweit in über 30 Städten Kundge- zwei der größten, zum Teil von organisierten bungen und kleinere Demonstrationen antiras- Nazis dominierten und geführten Aufmärsche sistischer und antifaschistischer Organisatio- mit insgesamt mehreren zehntausend Beteilig- nen statt, in Hanau, Berlin, Hamburg, Frankfurt ten, darunter u. a. Trump-Anhänger, sogenann- und anderen Städten. Unter dem Motto „Kein te „Reichsbürger”, Judenfeinde und Holocaust- Vergeben, kein Vergessen!” wurde die Tat als Leugner. Bis auf einzelne Zwischenfälle wurden „Produkt des strukturellen Rassismus dieser diese Demonstrationen weitgehend von der Po- Gesellschaft” bezeichnet, Angeprangert wurde, lizei geduldet und geschützt. Immerhin hatten dass Rassismus nicht nur in Nazi-Netzwerken sich am 29.08. in Berlin rund tausend Protes-
tierende gegen Rassismus, Antifas und „Omas baren Gruppen in anderen Städten wurde die gegen Rechts” zu einer Gegendemonstration Demobilisierung mitgeteilt. Gleichzeitig wurde formiert. Diese wurde jedoch von der Polizei organisiert und sichergestellt, dass die Kund- drangsaliert und abgedrängt. Eine ursprüng- gebung in über 50 Städten als Videostream lich geplante zentrale Gegenkundgebung vor auf zentralen Plätzen live übertragen und ge- dem Denkmal für die von den Nazis ermorde- zeigt wurde. Allein im benachbarten Frankfurt ten Sinti und Roma Europas gegenüber dem gab es elf Kundgebungen mit einer anschlie- Reichstagsgebäude war nicht erlaubt worden. ßenden spontanen Demonstration mit fast tau- Die polizeiliche Begründung war, es habe Dro- send Beteiligten. Auch in Dortmund, Potsdam, hungen von Nazis gegeben, die Kundgebung Hamburg und Kassel fanden solidarische Akti- zu überfallen (taz, 01.09. 2020). onen und Demonstrationen mit jeweils mehre- ren hundert Teilnehmenden statt. In Offenbach, Die „Initiative 19. Februar” wurde faktisch er- Nachbarstadt von Hanau, war eine Demonst- presst und sagte die Demonstration in Hanau ration mit der absurden Begründung verboten ab. Die Initiative handelte mit der Stadt als Kom- worden, dass der Anschlag von Hanau sechs promiss aus, wenigstens die Kundgebung statt- Monate her sei und es daher keinen Grund für finden zu lassen, um den ungeheuren Schmerz eine spontane Demonstration gebe. und die Wut der Angehörigen, Freundinnen und Freunde der Ermordeten in würdiger At- Unter den Angehörigen der Ermordeten gab es mosphäre laut werden zu lassen. Diese wurde unüberhörbare Stimmen der Empörung gegen jedoch nur „im kleinen Rahmen” mit maximal das Verbot. Ein Angehöriger kritisierte in seiner 249 Zuhörenden erlaubt, die sich auf pinkfar- Rede auf der Kundgebung die kurzfristige Absa- benen Punkten mit Abstand und Masken vor ge der Demonstration als „respektlos” und rief der Bühne versammeln durften. Allen erreich- wütend zu diesem Verbot: „Das ist einfach nur Polizeiterror in den vergangenen Monaten Allein im August gab es mehrere Vorfälle von brutaler Polizeigewalt in Frankfurt, in Düsseldorf, in Hamburg und Ingelheim. In Frankfurt zeigen Videoaufnahmen, wie mehrere Polizisten auf einen jungen Festgenommenen einschlagen und mit Füßen treten, der am Boden versucht, den Kopf mit seinen Armen zu schützen. In Düsseldorf wird gefilmt, wie ein Polizist den Kopf eines 15-Jährigen, ähnlich wie den in den USA am 25. Mai ermordeten George Floyd, mit seinem Knie auf den Boden drückt, während ein anderer ihm einen Arm auf den Rücken biegt. In Ham- burg wird ein 15-jähriger Jugendlicher von acht Polizisten eingekreist, zu Boden gerungen und dabei Pfefferspray eingesetzt, weil er mit dem E-Scooter auf dem Gehsteig gefahren ist. (taz, 22./23.08.2020: „Guter Bulle, böser Bulle?”). Noch brutaler ging die Polizei gegen Hunderte Menschen in Ingelheim am 15. August vor, die gegen 20 Nazis protestierten. Direkt nach Ankunft am Bahnhof wurden die Demonstrierenden, die „Antifascisti” skandierten, unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray in einen engen Tunnel getrieben und durch Polizeitrupps von beiden Seiten zusammengedrückt, so dass die Leute Atemnot bekamen. Zeuginnen berichteten von Panikattacken, Platzwunden und Zusam- menbrüchen im Tunnel. Einzelne fürchteten um ihr Leben, es sei der reinste Horror gewesen. Nach Einkesselung der anschließenden Kundgebung kam es zu mehrfachen Schlägen auf Be- wusstlose und Fixierte, eine Person im Rollstuhl wurde gar umgetreten. Am Ende war nach An- gaben des Sanitätsdienstes von etwa 250 Menschen knapp die Hälfte verletzt (taz, 19.08.2020). In Hamburg zeigte sich am 19. August, dass die Polizei sich selbst nicht scheut, unter dem Vor- wand, dass mehr als 500 Demonstrierende ein Verstoß gegen die sog. Corona-Regeln seien, eine von migrantischen Organisationen getragene Gedenkdemonstration von 800 Menschen für die Hanauer Ermordeten mit brutaler Gewalt unter Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray zu verhindern.
Forderungen der Initiative „Hanau 19. Februar“ und der Redner* innen: Für lückenlose Aufklärung, für Gerechtigkeit und Unterstützung, für angemessenes Erinnern, für politische Konsequenzen ! Es gab eine Kette des Versagens bei der Unterbindung von Nazi-Terror. U.a. war der bei den Behörden bekannte Hanauer Nazi-Mörder im legalen Besitz von Waffen und konnte frei in einem Schützen verein trainieren, ebenso der Nazi-Schütze von Wächtersbach. Auf der Kundgebung wurden u.a. folgende weitere Forderungen der Angehörigen genannt: ● Entwaffnung der Nazis und Rassisten ● Entnazifizierung aller Behörden und Institutionen, sowie des Bundestags ● Entlarvung der Polizeiarbeit vor, während und nach dem Anschlag ● Keine Lippenbekenntnisse und Beileidsbekundungen mehr, sondern ernsthafte Konsequenzen gegen Rechtsterror ● Hanau muss Endstation des Nazi-Terrors sein beschämend für diese Stadt und für Oberbür- Schmerz und ihre unbändige Wut über Nazis germeister Claus Kaminsky.” Ein wachsendes und Staatsapparat für alle laut hörbar und sehr Misstrauen gegenüber staatlichen Behörden beeindruckend zum Ausdruck bringen konnten. und vor allem der Polizei, welche die Hinweise Es wurde auch ein starkes Zeichen der Solida- auf die rassistischen Absichten des Nazi-Mör- rität gesetzt, indem die Kundgebung als Live- ders ignorierten und ihm sogar noch einen Waf- Video in über 50 Städten für Zehntausende fenschein ausstellten, war aus den Reden der hörbar und miterlebbar übertragen wurde. Angehörigen, Freundinnen und Freunde der Ermordeten deutlich zu spüren: „Wir werden Aber das Demoverbot war Erpressung, der von der Polizei als ‚Menschen zweiter Klasse‘ vielleicht nachgegeben werden musste. Aber behandelt, wir haben ‚kein Vertrauen mehr‘.“ sicher durfte diese Verbotsmaßnahme nicht (FR & taz, 24.08. 2020). als „keine politisch motivierte Absage“ einge- schätzt werden. Denn genau das war sie. Gleichzeitig zur Kundgebung war die Innen- stadt Hanaus voller Menschen, die in Cafes Das Demonstrationsverbot ist skandalös und saßen und zum Shoppen unterwegs waren. Im zu verurteilen. Durch die Kurzfristigkeit wurde Statement der Initiative vom 19.2.2020 heißt zudem keine Chance gelassen, die Demonstra- es: tion juristisch zu erzwingen. Wieder wurde ein polizeistaatliches Verbot, das sich der Repres- „... ein Demoverbot, das ... die Absurdität der sion des Staats unterwirft, durchgesetzt unter herrschenden Prioritätensetzung zeigt. Einer dem Vorwand der angeblichen Prioritätenset- Prioritätensetzung, die genauso falsch ist, zung „Gesundheitsschutz hat Vorrang vor De- wie sie uns nicht überrascht. Es trifft als ers- monstrationsfreiheit”. Diese Prioritätensetzung tes die, die es eben immer als erstes trifft. ist nicht nur absurd und falsch, sondern auch Und nebenan darf weiter in überfüllten ‚Kon- heuchlerisch, wenn gleichzeitig für extrem ent- sumzonen‘ geshoppt werden.“ (Statement rechtete (vor allem osteuropäische) Arbeiter* der Initiative Hanau 19. Februar zum 22. Au- innen in den Fleischfabriken und der Landwirt- gust 2020; siehe www.19feb-hanau.org) schaft, für Geflüchtete in Massenlagem oder gar in den unmenschlichen Camps an Europas Sicher war es gut, die Kundgebung durchzu- Außengrenzen die sogenannten „Corona-Vor- führen, auf der die Angehörigen, Freundin- schriften” nicht mehr gelten und dort eben kei- nen und Freunde der Ermordeten ihren tiefen
ne Priorität haben. Nazi-Netzwerke im Staatsapparat sowie gegen die zunehmend in der Gesellschaft Einfluss Jede fortschrittlich-demokratische Bewegung, gewinnenden Nazi-Ideologien und organisier- die sich der staatlichen Willkür - wenn auch nur ten Nazi-Mordbanden muss hingegen gestärkt zeitweise - unterwirft und sich freiwillig selbst werden. beschneidet, angeblich aus sozialer Rücksicht und Verantwortungsgefühl oft nur noch digital Nehmen wir uns die großartige spontane „Black sichtbar ist und keine größeren Demonstrati- Lives Matter”-Solidaritätsbewegung zum Vor- onen mehr durchführt, oder sich willkürlichen bild, die sich von keinen polizeistaatlichen Maß- staatlichen Anordnungen unter dem Vorwand nahmen aufhalten ließ und bundesweit in vielen von Corona fügt und sich das Demonstrations- Städten in großen Demonstrationen mit Zehn- recht nehmen lässt, hilft faktisch den um sich tausenden gegen rassistische und mörderische greifenden staatlichen Unterdrückungsmaß- Polizeigewalt und Naziterror in Deutschland, nahmen. Das stärkt die in der Bevölkerung heu- gegen deutschen Nationalismus und deutschen te weit verbreitete Gläubigkeit an die Staats- Rassismus auf den Straßen und Plätzen deut- autorität. Der demokratische Kampf gegen lich sichtbar ankämpfte. staatliche Bevormundung und Unterdrückung, gegen zunehmende polizeiliche Willkür und Es gilt nach wie vor das bekannte Motto: Gewalt, gegen strukturellen Rassismus und „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!“ Broschüre, 80 Seiten, A4 A3 Plakat Zu bestellen über unsere Kontaktaddresse unten: Kontakt: GewerkschafterInnen und Antifa gemeinsam gegen Dummheit und Reaktion c/o Jugendzentrum in Selbstverwaltung, Postfach 12 19 65, 6807 Mannheim, Email: gewantifa@yahoo.de Unsere Flugblätter und Broschüren sind hier downloadbar: http://gewantifa.blogsport
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