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supported by Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022 © Author(s) 2022. This work is distributed under the Creative Commons Attribution 4.0 License. Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? Eigenlogiken des Übersetzungsprozesses einer technologiezentrierten Pilotstudie in ein Agrarentwicklungsprojekt Astrid Matejcek Geographisches Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Germany Correspondence: Astrid Matejcek (astrid.matejcek@uni-mainz.de) Received: 10 August 2021 – Revised: 9 March 2022 – Accepted: 12 April 2022 – Published: 20 May 2022 Kurzfassung. Against the backdrop of food security and supposedly untapped agricultural potential in Afri- ca, international Non-Governmental Organisations (NGOs) remain important intermediaries for the transfer of agricultural science and technologies. Realizing the limited transferability of Western technologies to the Glo- bal South, they increasingly shift to trial-and-error-approaches to generate adapted innovations. In this vein, the Spatio-Temporal Agribusiness Support System (STASS) was introduced to Tanzania not only to intensify agri- cultural production but also to further develop the technology itself. Following Tilley’s approach to „Africa as a living laboratory“, and concepts of experimentation from Science and Technology Studies (STS), this article ex- plores the different logics and (unintended) effects of merging a development project with a technological pilot. Participant observation during the deployment of the digital drone and satellite-based information technology highlighted how experimentation for technological innovations sought to reconcile a highly complex actor net- work which focused primarily on data generation. Yet, through technology breakdowns and an emphasis on the interests of external experts this newly generated digital knowledge appeared to be of constrained applicability and, ultimately, pointed to the limited compatibility of testing and developing. 1 Einleitung die sich die agrarökonomische „Entwicklung“2 von Klein- bäuer:innen zum Ziel gesetzt hat, steht sie in der Traditi- Farmers are business people and every decision on on des technological fix der Grünen Revolution in Afrika. a farm is a business decision. Through drones, sa- Die umfangreiche Modernisierung von Landwirtschaft soll tellite imagery and GPS data we deliver actionable information services for smarter decision-making. 2 Um zu verdeutlichen, dass ich die postkolonialen Kritiken am Precision agriculture – this is where agriculture is Konzept, an der Idee und am Begriff „Entwicklung“ sowohl für die- going! (Projektleitung, Hauptsitz Wakilimo Fund, sen Text als auch für meine Arbeit im Allgemeinen ernst nehme, Dar es Salaam, 27 Februar 2019) verwende ich sie stets in Anführungszeichen. Das liegt zum einen daran, dass ich mich von der eurozentrischen sowie teleologischen Mit Überzeugung stellte mir die Projektleitung im Haupt- Sichtweise distanzieren möchte. Zum anderen ist mir bewusst, dass die darunterfallenden Praktiken auch dazu verflucht sein können, sitz der Nichtregierungsorganisation (NRO) Wakilimo Fund1 Machtungleichheiten und Abhängigkeiten zu verstärken, nicht zu- in Dar es Salaam eines der zahlreichen Projekte vor, die sie letzt deshalb, weil sich Lösungsansätze auch als unangemessen und im ländlichen Tansania umsetzte. Als eine von vielen NROs, nicht nachhaltig erweisen, wenn sie eher an den Interessen westli- cher Akteure oder lokaler Eliten orientiert sind und die eigentlichen 1 Die Namen der Organisationen und Akteure im Text sind an- Adressat:innen als verkannte oder exotisierte Identitäten ins Abseits onymisiert und pseudonymisiert. geraten. Published by Copernicus Publications for the Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich & Association Suisse de Géographie.
240 A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? das unausgeschöpfte Potenzial ländlicher Räume im Glo- gischer Pilotstudien „das lebende Labor“ weiter – auch in- balen Süden freisetzen (Fejerskov, 2017:9). Darüber hin- spiriert durch Laborstudien aus den Science and Technology aus bezeugt die geplante Anwendung von Artificial Intelli- Studies (STS). Lange Zeit galt „that there is a time when in- gence (AI) – in diesem Fall eine Technologie namens Spatio- novations are in laboratories, and another time when they are Temporal Agribusiness Support System (STASS) – eine neue tried out in a new set of conditions which invalidate or verify Dimension, diese Ziele durch Digitalisierung und unter dem the efficacy of these innovations (. . .)“ (Latour, 1983:155). Mantel von Information and Communications Technologies Zunehmend wird die klare Trennung zwischen der Techno- for Development (ICT4D) zu erreichen (Brooks, 2021:8; logieentwicklung im Labor und ihrem Test in der realen Welt Cherlet, 2014:787). in Frage gestellt. Als Vermittler westlichen landwirtschaftlichen Wissens Auch im Falle des STASS-Pilotprojekts zeigt sich, wie und Technologien bestehen die herkömmlichen Praktiken sich die angestrebte Entwicklung der Technologie selbst mit von Organisationen wie dem Wakilimo Fund in der Über- der „Entwicklung“ der Landwirtschaft in der Testgemeinde mittlung von Technologie-Paketen, die in der Regel Hy- verschnitt. Ziel des Projekts war es dabei zum einen, das bridsaatgut, Düngemittel, Pestizide, Herbizide und Unter- AI-System weiterzuentwickeln und den Algorithmus so an- richt in agrarökonomischen Praktiken umfassen (Shepherd, zupassen, dass seine Vermarktung im Globalen Süden mög- 2006:399). Nachdem viele dieser Investitionen ohne die ge- lich werden würde. Zum anderen sollte mithilfe der neuen wünschten Effekte blieben, werden Stimmen lauter, die die Technologie die landwirtschaftliche Modernisierung, ökono- Grenzen der Übertragbarkeit solcher Technologien betonen mische Vernetzung und damit die „Entwicklung“ der Ge- (Fejerskov, 2017:13). Als Folge ist ein Wandel hin zu neuen meinde an sich vorangetrieben werden. Dabei stand die För- technologischen Innovationen zu beobachten, die stärker auf derung informationsbasierter, autonomer Entscheidungsfin- die Probleme des Globalen Südens zugeschnitten sein sol- dung und technologiegeleiteter, lokaler Problemlösung im len (Anadon et al., 2016:2 f.). Im Zentrum steht dabei das Vordergrund. Die Struktur des Agrarentwicklungsprojekts Testen vor Ort, um einen graduellen Aneignungsprozess der wurde durch die Einführung des AI-Systems entscheidend Technologien durch Trial-and-Error zu erzeugen (Fejerskov, verändert. Vor diesem Hintergrund fragt dieser Artikel vor 2017:13). In der Praxis wird daher vermehrt in Pilotstudi- allem nach den Effekten, die die Übersetzung eins technolo- en eine technische Ausstattung von Expert:innen in einer giezentrierten Pilotprojekts in ein Entwicklungsprojekt mit ausgewählten Umgebung errichtet, um deren Funktion und sich bringt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den un- Leistung anhand der Interaktion mit einer bestimmten Ziel- terschiedlichen Logiken des Entwickelns und Testens und gruppe messen und bewerten zu können. Statt auf bewährte den Versuchen, beides in einem Projekt zu vereinen. Hier- Maßnahmen zurückzugreifen, werden neue Technologien di- für stelle ich zunächst den theoretischen Rahmen in Bezug rekt im Projektzusammenhang getestet und weiterentwickelt. auf das „lebende Labor“ (Tilley, 2011) und Laborstudien aus Aus Sicht der Geber:innen ergibt sich so die Möglichkeit, dem Feld der STS vor, um daran anschließend in aktuelle Fehler früh zu erkennen und damit den Lernprozess auf Sei- Diskussionen experimenteller Praktiken im „Entwicklungs- ten der Expert:innen bereits anzustoßen, während man den kontext“ Afrikas einzuführen. Nach einer detaillierten Dar- Alltag der Versuchsgruppe ändert und nicht erst im Rahmen stellung des STASS-Pilotprojekts folgt eine Vorstellung mei- einer nachgeordneten Projektevaluation (Berndt und Boeck- nes empirischen Zugangs und der methodologischen Heran- ler, 2016:23). Bereits im Verlauf einer „Entwicklungsinter- gehensweise, auf der meine weiteren Ausführungen basie- vention“ herauszufinden, was (nicht) funktioniert, bedeutet ren. Durch eine teilnehmende Beobachtung des Einsatzes auf der einen Seite ein höheres Risiko, da Scheitern auch von STASS sowie qualitative Interviews mit den Beteilig- einkalkuliert wird. Auf der anderen Seite bietet dies für die ten konnte ich Einblicke in die unterschiedlichen Eigenlo- Menschen vor Ort eine Möglichkeit, aktiv und ermächtigend giken und die nicht-intendierten Effekte des Übersetzungs- das Wissen über ihre Probleme und deren Bewältigung zu prozesses gewinnen. In diesen wurde deutlich, wie neue Ak- beeinflussen. teurskonstellationen, Alltagspraktiken und Prozesse der Wis- In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Installati- sensproduktion, die mit dem Einsatz des AI-Systems einher- on von STASS für kleinbäuerlichen Reisanbau in der Re- gingen, die unterschiedlichen „Entwicklungseffekte“ beein- gion Mbeya im Süden Tansanias von 2016 bis 2019 ein- flussten beziehungsweise herausforderten und wie dadurch ordnen. Die Umstände einer klaren zeitlichen und räumli- nicht nur neue, sondern auch altbekannte Problematiken der chen Begrenzung sowie das Vorgehen, eine Zielgruppe ei- „Entwicklungszusammenarbeit“ aufgeworfen wurden. Statt, ner von außen induzierten, technologischen Intervention aus- wie von den Projektentwickelnden erhofft, ländliche „Ent- zusetzen, erinnert an eine Laborsituation. In diesem Sinne wicklung“ durch die Einführung digitaler Technologien zur greife ich die Historiographie „Africa as a living laboratory“ Förderung des Reisanbaus in Tansania zu stärken, enthüllten auf. In dieser problematisiert Tilley (2011) den Nexus zwi- sich in diesem Pilotprojekt vielmehr die Grenzen der Verein- schen Wissenschaft und Technologien, „Entwicklung“ und barkeit des Testens und Entwickelns. Dieser ethnographische Macht im Kontext imperialer Wissenschaften. Vor diesem Beitrag schlägt daher eine Brücke zwischen sonst deutlich Hintergrund konzeptualisiere ich für den Kontext technolo- Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022
A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? 241 abstrakteren oder sehr anwendungsnahen Debatten um Digi- 2.1 Das lebende Labor heute talisierung in der „Entwicklungszusammenarbeit“. Als „Symbole der modernen Wissenschaften“ begründet Kohler (2002:475) die Macht von Laboren in experimen- 2 Afrika als Labor, damals und heute tellen Praktiken, im Technologieeinsatz und einer generi- Einige Arbeiten haben bereits auf Tilleys (2011) Pionierar- schen Ortsungebundenheit. Während „natürliche“ Orte Be- beit und auf den von ihr geprägten Begriff des „lebenden La- sonderheiten aufweisen und dort gewonnenes Wissen einzig- bors“ verwiesen, um experimentelle Interventionen im Be- artig bleibt, so seien Labore hingegen als neutrale Räume reich Wissenschaft und „Entwicklung“ in Subsahara-Afrika und reduzierte Systeme überall auf der Welt gleich. Wissen und weiteren Bereichen des Globalen Südens einzubetten aus Laboren wird unter kontrollierten Bedingungen und auf (Brooks, 2021; Beisel et al., 2018; Schurr und Verne, 2017; Basis kognitiver und intellektueller Denkleistung von For- Fejerskov, 2017; Rottenburg, 2009). Vor dem Hintergrund scher:innen erstellt. Es erscheint deswegen universell gül- von Kolonialismus und Imperialismus entwickelt die Autorin tig, replizierbar und frei von chaotischen Zusammenhängen eine historische Genealogie des „African Research Survey in der Außenwelt (Kohler, 2002:473). Die ethnographischen (1929–1938)“, um das Verhältnis zwischen angewandter For- Studien aus den STS zeichnen jedoch ein anderes Bild. All- schung und wissenschaftlichen Epistemologien nachzuvoll- tägliche Praktiken im Labor werden als banal, kognitiv we- ziehen. Für Forscher:innen im britischen Ostafrika stand die nig herausfordernd und gar unwissenschaftlich beschrieben Frage im Zentrum, inwieweit „moderne“ wissenschaftliche (Latour, 1983:141 und 153 auch in Bezug auf Knorr-Cetina, Überlegungen auf „afrikanische“ Probleme anwendbar wa- 1981). Latour (1983)3 argumentiert außerdem, dass Wissen ren. Afrika wurde dabei als „unangetasteter Raum“ gesehen, nicht in isolierten Laboren gewonnen wird, da jedes La- in dem Theorien aus Ökologie, Landwirtschaft, Epidemio- bor den Austausch von Dingen, Menschen und Ideen zwi- logie, Anthropologie und Psychologie zu testen seien. Die schen Orten umfasst (Latour, 1983:143). Gerade letzteres Weiterentwicklung wissenschaftlichen Wissens wurde stets stellt einen zentralen Aspekt dar, um die Glaubwürdigkeit mit der „Entwicklung“ des lokalen Kontextes verbunden. So von Laborwissen zu kreieren und aufrecht zu erhalten. pries der Leiter und Sprecher, Lord Hailey, die umfassenden Die Authentizität und Unanfechtbarkeit, die Wissen aus Studien an: Laboren zugesprochen wird, fußt auf der Annahme, dass im Labor Phänomene der Welt isoliert und im Detail betrachtet Africa presents itself as a living laboratory, in werden können. Ein Labor ist demnach kein klar begrenzter which the reward of study may prove to be not me- Container, der natürliche und komplexe Einflussfaktoren aus- rely the satisfaction of an intellectual impulse, but sperrt. Vielmehr erweckt das Labor den Eindruck der Kon- an effective addition to the welfare of the people trolle von Austauschbeziehungen und Übersetzungsprozes- (Lord Hailey 1938 zitiert in Tilley, 2011:5). sen, die nicht zuletzt auch die Welt vor unerprobten, wis- senschaftlichen Verfahren oder risikobehafteten Erfindungen In den letzten Jahrzehnten waren Interventionen der „Ent- schützen soll (Kohler, 2002:473). Um die praktische Rele- wicklungszusammenarbeit“ vor allem an scheinbar bewähr- vanz und Glaubwürdigkeit ihres Wissens zu erhöhen, „rena- ten Maßnahmen, Praktiken und Agenden angelehnt und ver- turalisierten“ Wissenschaftler:innen zu Beginn des 20. Jahr- suchten diese voranzutreiben. Neues Wissen zu generieren, hunderts Labore (Kohler, 2002:477). Angewandte Forschung stand weniger im Fokus. Insbesondere im Rahmen der ak- stand hierbei vor der Herausforderung, den Nexus zwischen tuellen Digitalisierung von „Entwicklung“ zeichnet sich die Wissenschaft, Ort und Praxis zu manifestieren. Während es Tendenz ab, die (Weiter-)Entwicklung eingesetzter Techno- im Labor darum geht, die Parameter des Raums zu kontrol- logien und Wissen sowie die „Entwicklung“ der Gemeinden, lieren, geht es in einer Feldstudie darum, die Authentizität in denen die Projekte durchgeführt werden, miteinander zu des Ortsgebundenen beizubehalten (Henke, 2000:493). Da- kombinieren. In Pilotprojekten, die nicht nur neue Projekti- bei werden in renaturalisierten Laboren Orte und das Leben deen, sondern zudem zugrundeliegende Technologien pilo- eingebundener Menschen als Forschungssubjekt und -objekt tieren, finden sich somit Charakteristika von Afrika als le- bendes Labor wieder. Der vorliegende Text greift daher die Labormetapher, wie sie von Tilley (2011) für den histori- 3 Anhand der Entdeckung von Anthrax durch die (Labor-)Arbeit schen Kontext entwickelt wurde, auf und überträgt sie auf von Louis Pasteur beschreibt Latour (1983) den Austausch von das aktuelle Phänomen. Damit schließe ich insbesondere an Menschen, Dingen und Ideen zwischen Labor und Echtwelt. Was Arbeiten aus der Wissenschafts- und Technikforschung an, er als Verschiebung von Laboren bezeichnet, umfasste die Extrakti- die sich zum Ziel gesetzt haben, die Black Box des Labors zu on des Milzbranderregers von befallenen Rindern in ihrer landwirt- enthüllen (Knorr-Cetina, 1981; Latour und Woolgar, 1979). schaftlichen Umgebung und deren anschließende Kultivierung und mikroskopische Untersuchung im Labor. Die Immunisierung von Rindern mit einem abgeschwächten Erreger wiederum demonstrier- te den Viehhaltern, dass die Krankheit auf den Bacillus anthracis zurückzuführen ist. https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022 Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022
242 A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? Teil experimenteller Praktiken sowie der Risiken, die diese Behavior“ anregt, werden dafür kritisiert, politisch, gesell- mit sich bringen (Henke, 2000; Knorr-Cetina, 1992:136). schaftlich und ökonomisch verflochtene Problematiken nicht als solche zu betrachten, sondern der angeblich mangelnden 2.2 Der Globale Süden als Experimentierfeld Denkleistung und fehlerhaften Entscheidungen von Individu- en und insbesondere den Betroffenen zuzuschreiben (Berndt Auch wenn Experimente, Tests und Pilotstudien oft synonym und Boeckler, 2016:22). Digitale Technologien finden in die- verwendet werden, schreibt Pinch (1993:29 f.) das Experi- sem Kontext insofern Anklang, dass sie für die Vermittlung mentieren mit dem Ziel, neues Wissen zu generieren, der von spezifischen Informationen als Anreize für Verhaltens- wissenschaftlichen Sphäre zu. Mit dem Konzept von „ex- änderungen eingesetzt werden, um den identifizierten Mus- periments in three steps of translation“ betonen Callon et tern wirtschaftlichen Fehlverhaltens und damit auch den an- al. (2009:48) die interpretative Fülle und damit einhergehen- geblichen Gründen für Armut entgegenzuwirken. So stützt de Reduktionismen, die Wissenschaftler:innen beim Über- sich die aktuelle Experimentalität zwischen privaten, staat- setzen zwischen der Realität, Laborbedingungen, Ergebnis- lichen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen auf den Ein- sen und der Welt erzeugen. Tests wiederum dienen vornehm- satz von Technologien als Werkzeuge, um die Probleme der lich dem Überprüfen von Technologien hinsichtlich auf ih- Versuchsgruppe zu lösen und zu deren Wohlergehen beizu- re Funktionalität. Dabei steht weniger der Erkenntnisgewinn tragen (Anadon et al., 2016:2 f.). Wobei das neuartige Zu- im Vordergrund, sondern das Validieren oder Überprüfen sammenspiel von Wissenschaft, Technologie und Entwick- von Bekanntem. Der Vergleich einer vorliegenden Situati- lungspolitik durchaus auch Effekte jenseits intendierter Wir- on mit einem Standard ermöglicht zwar ein vereinfachtes kungsweisen eines jeweiligen Technologieeinsatzes aufwei- und systematisches Lesen von Daten, klammert dennoch Er- sen (Schurr und Verne, 2017:131; Rottenburg, 2009; siehe gebnisse und Einflussfaktoren ohne Verbindung zu standar- auch De Laet und Mol, 2000). disierten Normgrößen aus (Beisel et al., 2018:109 in Be- Der experimentelle Umgang mit technologischen Innova- zug auf Rottenburg, 2009). Die Interpretation eines Ähn- tionen greift somit auf besondere und durchaus unvorherseh- lichkeitsverhältnisses zwischen Test und Standard sowie die bare Weise in gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftli- Projektion auf reale Bedingungen umfassen umstrittene so- che Verhältnisse der Lebenswelt der trial communities ein ziale Aushandlungen (Pinch, 1993:31). Die Pilotstudie er- und suggeriert, dass Scheitern hier hinnehmbar sei (Fejers- probt darüber hinaus die Nutzung einer Technologie. In je- kov, 2017:11 f.). Mit welchen Hoffnungen und Versprechen ne ist oft eine Art Skript eingeschrieben, das eine bestimm- experimentelle Vorgehensweisen in bestimmte Räume über- te Nutzung vorsieht. Diesbezüglich soll das Pilotieren Auf- setzt werden, wie die Feldsituation auf jene Ziele und einher- schluss über das Verhältnis zwischen intendiertem Nutzen gehenden Risiken zurückwirkt und welche Folgen sich für sowie tatsächlichem Nutzen von Technologien geben und die lokale Bevölkerung ergeben, soll im Folgenden gezeigt stellt dadurch einen sozio-materiellen Aushandlungsprozess werden. dar (Pinch, 1993:36). Trotz definitorischer Unterschiede zwi- schen Experimentieren, Testen und Pilotieren verschwim- men diese Logiken in der Praxis von Pilotprojekten, wie auch 3 Experimentalität und Technologien in der die folgenden Ausführungen aus der Empirie zeigen. Aus- tansanischen Landwirtschaft schlaggebend für die vorliegende Analyse bleibt der gezielte Blick auf die Praktiken, welche all diese vereint: Der Versuch Testen, Experimentieren und Pilotieren müssen als prakti- der Übersetzung zwischen Labor und Lebenswelten, die so- scher Modus der Wissensgenerierung und Rechtfertigung ziale Verhandlung von Ähnlichkeitsverhältnissen zwischen von Interventionen im Globalen Süden hinterfragt werden. Daten und Beobachtungen sowie die sozio-materielle Aus- Variablen und Parameter in Laborexperimenten beziehen handlung technologischer Nutzung. sich gewöhnlich auf bekannte Standardgrößen und können Nachdem Experimente lange an Labore und Wissenschaft- bei Bedarf angepasst werden. Die gesellschaftlichen Ver- ler:innen gebunden waren, erfährt das Experimentieren und hältnisse und Prozesse, in denen diese Experimente erfol- Testen aktuell vermehrt eine Befreiung aus den Händen der gen, sind den Projektentwicklern jedoch weniger bekannt Wissenschaft und staatlicher Kontrolle hin zu NROs, priva- und vor allem nicht in gleicher Weise kontrollierbar (Fejers- ten Unternehmen, bis zu Nutzenden selbst, die sich auch im kov, 2017:11 f.). Dass sich technologischer Fortschritt zu- internationalen „Entwicklungskontext“ ausdrückt. Experi- dem kaum unabhängig von gesellschaftlichen Einflüssen er- mentelle Eingriffe des Westens auf dem afrikanischen Konti- eignet, wurde unter anderem von Cherlet (2014) in Bezug nent bezeugen aktuell Randomized Controlled Trials (RCTs) auf epistemischen und technologischen Determinismus in (siehe z.B. Berndt und Boeckler, 2016), medizinische Tests der „Entwicklungszusammenarbeit“ herausgearbeitet (Cher- (Beisel et al., 2018) oder technologische Pilotstudien (Lock- let, 2014). Dies zeigen vor allem die verschiedenen (geschei- hart et al., 2021). Solche Experimente als Maßnahme zur Ar- terten) Versuche, bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen mutsbekämpfung im Globalen Süden, wie es der Weltent- im Globalen Süden durch einen gezielten Technologieeinsatz wicklungsbericht (WDR) mit dem Titel „Mind, Society and wie den „Tools of Empire“ (Tilley, 2011:35), „Technical As- Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022
A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? 243 sistance“ (Owen, 1950), „appropriate technologies“ (Schu- 3.1 Technologieentwicklung für die Landwirtschaft: Das macher, 1973), „capacity building“ oder jüngst durch ICTs Pilotprojekt STASS zu dirigieren. Technologien aus der US-amerikanischen Agrarforschung Vor diesem Hintergrund werden Technologien im ländli- werden bereits seit den 1940ern unter dem Banner der Grü- chen Tansania getestet, um die Produktion und das Ein- nen Revolution in vielen Regionen der Welt in unterschiedli- kommen in der Landwirtschaft zu steigern. In diesem Kon- che rhetorische sowie unternehmerische Kontexte übertragen text setzte der Wakilimo Fund die technologische Pilotstu- (Fejerskov, 2017:10). Als UN-Generalsekretär verfolgte Ko- die in Mbeya um. Die Versuchsgruppe umfasste in diesem fi Anan mit der Grünen Revolution für Afrika in erster Linie Fall alle Reis-Kleinbäuer:innen im Bewässerungssystem des eine auf afrikanische Kleinbäuer:innen zentrierte „Entwick- Dorfes Mbuyuni, das als Jump-Start Area bezeichnet wur- lungsintervention“ von unten. In Tansania findet sich diese de. Die Reisbäuer:innen dieser Gegend galten als produktiv, z.B. in der 2006 eingeführten Agrarpolitik „kilimo kwanza“ lernwillig und aufgeschlossen gegenüber Neuerungen (In- wieder. Angetrieben durch die Alliance for a Green Revolu- terview mit Projektleiter, Wakilimo Fund, Mbeya, 14 Juni tion in Africa (AGRA) sind es hingegen meist unterschiedli- 2019). Diese Einschätzung der Bäuer:innen als motivierte che internationale Saatgut- und Düngemittelfirmen, multila- Versuchsgruppe ohne akute existentielle Probleme war einer terale Institutionen der „Entwicklungszusammenarbeit“ und der Gründe für die Wahl der Pilotgegend, so der Wakilimo einige philanthropische Stiftungen (Rockefeller und Gates Fund. So könnten sich die Beteiligten auf neue Modalitäten Foundation), die die Einbindung von Kleinbäuer:innen in der Entscheidungsfindung im Rahmen ihrer landwirtschaftli- internationale Wertschöpfungsketten interessengeleitet för- chen Praktiken einlassen. dern. Unter dem Vorwand, den Unternehmergeist von Klein- Das Labor des STASS-Pilotprojekts und dessen räumliche bäuer:innen zu wecken und auf diese Weise ihre Produktion und zeitliche Parameter waren maßgeblich von der zu tes- zu steigern, scheinen diese jedoch in erster Linie zu Kon- tenden digitalen Informationstechnologie bestimmt. STASS, sument:innen agrarökonomischer Technologien geworden zu das Spatio-Temporal Agribusiness Support System, unter- sein, die sie gegebenenfalls noch vulnerabler gegenüber glo- nahm eine multiperspektivische Analyse der Reisfelder des baler Marktmechanismen und ihrer Umwelt machen (siehe Bewässerungsbaus in Mbuyuni: Alle zehn Tage wurde ein z.B. Brooks, 2021:7; Fejerskov, 2017:10, wie auch Khande- hochauflösendes Satellitenbild geschossen; dazu nahm eine kar et al., 2017:677 am Beispiel des kreolischen Saatguts in Drohne multispektrale Bilder der Reisfelder auf, die zuvor Brasilien zeigt). mit einer App kartiert wurden. Zudem ergänzten manuelle Aufbauend auf diesen agrarpolitischen Trends wurde das Beschreibungen und Fotos auf einem Tablet die Parameter Konzept des Southern Agricultural Growth Corridor of Tan- von Pflanzstatus und Wassertiefe. Hinzu kamen einige Ab- zania (SAGCOT) mit dem Ziel entwickelt, die tansanische fragen über USSD-Codes, in denen die Bäuer:innen zu ih- Landwirtschaft zu kommerzialisieren und dadurch die Pro- ren Praktiken und Abläufen auf den Feldern Auskunft ge- duktion von Nahrungsmitteln oder Treibstoffen zu verdrei- ben sollten. Diese Daten wurden in eine Cloud geladen und fachen (Milder et al., 2013). Vornehmlich digitale Techno- durch einen Algorithmus mit Normbereichen von Pflanzen- logien versprechen hierbei einen ermächtigenden Zugang verbreitung, Wachstumsraten und Wasserverfügbarkeit abge- zu Informationen sowie mehr Unabhängigkeit und Selbstbe- glichen. Diese Art der Analysen funktionierte nur in Bewäs- stimmtheit für die Bewohner:innen ländlicher Gebiete (Ou- serungssystemen, da dort Felder klar abgegrenzt und relativ ma et al., 2019:341). Als Werkzeuge für „Entwicklung“ gel- groß sind. Nur dann konnte der Algorithmus Reis von an- ten Innovationen digitaler Technologien somit auch im land- deren Pflanzen in der gegebenen Auflösung unterscheiden. wirtschaftlichen Bereich als Hoffnungsträger, institutionelle Das Endprodukt sollte eine Plattform sein, die alle Felder und infrastrukturelle Einschränkungen von Produktivität zu der Bäuer:innen darstellte und zeigte, was genau auf diesen umgehen oder zu überbrücken (Ouma et al., 2019:354). Mit passierte, um im Falle von Abweichungen der Normgrößen der jüngsten Neuausrichtung von ICT4D hin zu Data for De- des Pflanzenwachstums, der Witterung oder der Wasserstän- velopment (D4D) dezentriert die Digitalisierung zunehmend de auf dieser Basis Handlungsanweisungen zu erteilen. Ne- die Kleinbäuer:innen. Stattdessen wird landwirtschaftliche ben den Benachrichtigungen über SMS für die Bäuer:innen „Entwicklung“ eng mit Logiken von Automation, Machine ermöglichte die Benutzeroberfläche Zugang zu jedem einzel- Learning und Artificial Intelligence sowie neuen Sensortech- nen Feld und den Daten der Bäuer:innen. So sollten nicht nur nologien verknüpft (Dalberg Advisors und CTA, 2019). Ne- einzelne Bäuer:innen, sondern alle Akteur:innen der Wert- ben den Technologien als Werkzeuge für „Entwicklung“ tritt schöpfungskette besser über die Felder Bescheid wissen, um hier die Technologieentwicklung selbst verstärkt in den Vor- auf dieser Grundlage (ökonomisch) bessere Entscheidungen dergrund. treffen zu können. Der Prozess selbstständiger Entscheidungsfindung der Bäuer:innen auf Grundlage von Big Data wurde im Pro- jekt als empowerment verstanden, im Gegensatz zur her- kömmlichen top-down Vermittlung von Wissen und Prakti- https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022 Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022
244 A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? ken. Nichtsdestotrotz basierte auch dieses Vorhaben zumin- ten und anzupassen, war die zentrale Motivation in der Pi- dest implizit auf der Idee „that Africans need to be connec- lotstudie. Es sollten in diesem Rahmen laut Projektbeschrei- ted to (mainly) Western modes of knowledge“ (Ouma et bung 125 000 Bäuer:innen mit Wetterinformationen, Unter- al., 2019:353). Das Plattform-Modell kombinierte eine Bün- stützung in der agrarindustriellen Inklusion und feldspezifi- delung landwirtschaftlicher Produkte, Informationen und Fi- scher Anbauberatung versorgt werden. Darüber hinaus soll- nanzdienstleistungen mit Erinnerungs-SMS als spezifische ten 400 Anbieter im landwirtschaftlichen Gewerbe mit Bäu- Anstöße für Verhaltensänderungen. Jene wurden in ihrer er:innen vernetzt und die gewonnen Daten in einer SAGCOT- Umsetzung eher zu einer Strategie, Landwirt:innen zu Ent- Datenbank bereitgestellt werden. Die effizientere Wertschöp- scheidungen hinzuführen, die im Sinne einer modernisier- fungskette und die produktiveren Bäuer:innen sollten sich in ten Landwirtschaft ohnehin schon für sie getroffen wurden 15 % Erntesteigerung und 45 % Einkommenssteigerung wi- (Brooks, 2021:8). Beispielsweise drehten sich Empfehlun- derspiegeln. Wofür STASS gemacht wurde und was es in die- gen zum Düngen nicht darum, ob der:die Landwirt:in düngte, sem „Entwicklungsprojekt“ leisten sollte, schien somit deut- ob es im jeweiligen Feld Bedarf an Dünger gab oder welche lich zu divergieren. Neben dem Test der Technologie sollte Arten des Düngens es gibt. Vielmehr wurde über ein Pro- auch bereits ihr profitabler Einsatz gewährleistet sein. Dieser dukt einer Firma, ein Mengenverhältnis und meist noch einen Spagat zwischen Testen und Entwickeln zog sich durch das Händler informiert. alltägliche Geschehen im Projekt. Welcher Logik die Über- setzung eines Technologiepilots in ein „Entwicklungspro- 3.2 Technologieentwicklung in der Landwirtschaft: Die jekt“ folgte, steht im Fokus der anschließenden empirischen Weiterentwicklung von STASS Auseinandersetzung. Über Fragen von freiwilliger Partizipa- tion hinaus muss STASS als scheinbar apolitische und neu- In dieser Pilotstudie im Süden Tansanias sollten die Reis- trale Lösung der Informationsvermittlung kritisch beleuch- bäuer:innen in neue digitale Wege der Datenerhebung, - tet sowie die Konnektivität auch vor dem Hintergrund his- verarbeitung und Informationsvermittlung eingebunden wer- torisch gewachsener und durchaus asymmetrischer Verbin- den. Das neue Set-up der künstlichen Intelligenz traf den- dungen zwischen Menschen, Orten und Prozessen gesehen noch nicht auf ein Wissensvakuum. Schließlich erfordern werden (Ouma et al., 2019:354). landwirtschaftliche Praktiken jeher das Lesen von und Wis- sen über Umwelt. Hingegen sollte diese neue Art zu Wissen auf deutlich genaueren Umweltparametern und einer Fülle 4 „Inter-view“ mit einem digitalen Objekt im von hochauflösenden und digital vermittelten Daten basie- „Entwicklungskontext“ ren, wodurch jede kleine Feldparzelle zur maximalen Pro- duktion gebracht werden sollte. Precision Agriculture und Um dem Aufeinandertreffen zwischen Entwicklung von Big Data schüren die Erwartung, eine neue landwirtschaft- Wissen (der Pilotstudie) und dem Wissen für „Entwicklung“ liche Revolution anzustoßen, auch wenn diese bisher in ers- (im „Entwicklungsprojekt“) auf den Grund zu gehen, knüpft ter Linie in der großflächigen Landwirtschaft im Globalen dieser Text an ein beständiges, wenn auch kritisiertes „Ent- Norden eingesetzt werden und darüber hinaus auf wenige wicklungsnarrativ“ an. Bis heute hält sich die Dialektik zwi- große Betriebe innerhalb kapitalintensiver, exportorientier- schen Moderne und Tradition sowie die Gegenüberstellung ter Teilsektoren des Globalen Südens limitiert sind (Brooks, von Strategiepapieren von „Entwicklung“ als essentialisier- 2021:12 f.). Auch das dieser Pilotstudie zugrundeliegende te, strukturschaffende Weltbilder auf der einen Seite und Spatio-Temporal Agribusiness Support System (STASS) ist chaotischen, improvisierten „Entwicklungspraktiken“ in der ursprünglich in den Niederlanden für einen großen landwirt- Umsetzung auf der anderen (Crewe und Harrison, 1998:47). schaftlichen Betrieb kreiert worden: Doch tatsächlich liegt in diesem Spannungsfeld zwischen Gesagt und Getan, Praxis und Resultat oder auch Ordnung You know, STASS in Holland is actually used by und Durcheinander alles andere als Leere (Lewis und Mos- a large agricultural company so that the farmer se, 2006). knows more about his fields and potatoes in re- Die sogenannte Implementation Gap als Feld sozia- al time, can optimize his processes and intervene ler Aushandlungen, Praktiken, Ereignissen und Interessen, quickly in case of nutrient deficiencies, drought or aus welchem Bedeutungszuschreibungen sowie Machtgefü- disease. That is what STASS is good for. (Interview ge erst hervorgehen, ergibt auch für die geographische Ent- mit Programmierer, Technologieunternehmen, Is- wicklungsforschung ein empirisches Feld aus öffentlichen rael4 , 21 Juli 2019) und privaten Einrichtungen, lokalen Gemeinschaften und al- STASS nun in einer kleinbäuerlichen und kleinparzelligen len (inter-)nationalen bis lokalen Beziehungen dazwischen Umgebung für eine andere Kulturpflanze in Tansania zu tes- (Lewis und Mosse, 2006). Wie es Lewis und Mosse (2006) herausgestellt haben, bietet eine ethnographische Perspekti- 4 Das Interview wurde über Skype von Dar es Salaam aus ge- ve dabei „the unique potential to show how change is brought führt. about, not through the logic of official policy intentions, [. . .] Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022
A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? 245 but through processes of compromise and contingent acti- von STASS und den erhofften sowie erlebten Entwicklungen on“ (Lewis und Mosse, 2006:4). Bezüglich diverser und wi- durch die Technologie in Mbuyuni erfahren. Die qualitative dersprüchlicher Logiken, die in „Entwicklungsinterventio- Inhaltsanalyse meiner Tagebucheinträge sowie der transkri- nen“ vereint sind, spielt hier das Testen als formale Spezi- bierten Interviews geben damit Aufschluss über die verschie- fizierung technologischer Funktionalität eine zentrale Rolle. densten Ansichten darüber, was STASS leisten konnte, soll- Auch wenn Testdaten in erster Linie Einblicke in rein techni- te oder für wen die Technologie gar irrelevant erschien. Das sche Wirkungsfelder geben sollen, offenbaren diese weitaus Nicht-Funktionieren der Technologie erlaubte zentrale Ein- mehr über die Logiken von Technologien, deren Einsatz und blicke in die praktischen Anforderungen an technologische erhoffte gesellschaftliche Wirkmacht (Pinch, 1993:25). Ent- Funktionalität sowie deren Grenzen, die wiederum als ge- sprechend sollte die Perspektive der Entwicklungsforschung geben angesehene Hintergrundbeziehungen zwischen Men- um Nicht-Menschen erweitert werden, denn „der gezielte schen, Technologien und Umwelt aufdeckten (Adams und Blick auf das, was Wissen und Technologien im Namen von Thompson, 2016:20). Entwicklung eigentlich tun sollen, was sie tatsächlich tun Zu diesen Hintergrundbeziehungen gehören die Relatio- und wo sie sich widersetzen, ermöglicht ein tiefgreifendes nen menschlicher und nicht-menschlicher Akteur:innen, die Verständnis der komplexen Übersetzungs- und Anpassungs- Praktiken, die sie vereinen, sowie die Ziele und Resultate, prozesse, die Wissen und Technologie auf ihrer globalen Rei- die sie gemeinsam erwirken (wollen). In diesem Sinne ge- se durchlaufen“ (Schurr und Verne, 2017:137). he ich im Folgenden auf die Veränderungen der Akteurskon- Diesem Ansatz folgend, hatte ich mir während meiner stellationen im Pilotprojekt in Mbuyuni ein, die dortigen all- teilnehmenden Beobachtung im Projektbüro des Wakilimo täglichen Aktivitäten zwischen Testen und Entwickeln sowie Fund in Mbeya sowie am Umsetzungsort des Pilotprojekts den Projekt- beziehungsweise Testergebnissen der Anwen- im Dorf Mbuyuni von April bis Juli 2019 sowie im Februar dung von STASS. 2020 vorgenommen, STASS zu „inter-viewen“ (Adams und Thompson, 2016). Laut Adams und Thompson (2016) be- deutet das, „to catch insightful glimpses of it in action, as it 5 Die Erweiterung des Akteursnetzwerks – Von der performs and mediates the gestures and understandings of its Reiswertschöpfungskette zum Datenweg human employer, and as it associates with others. Such ob- ject interviews entail finding opportunities to observe a thing Die herkömmlichen Aktivitäten des Wakilimo Fund setzten in its everyday interactions and involvements with human an der regionalen Reis-Wertschöpfungskette an. Stagnieren- beings or other nonhuman entities“ (Adams und Thompson, de Ernten der Reisanbaugebiete in Mbeya, fehlender Zu- 2016:17 f.). gang zu hochwertigen landwirtschaftlichen Einsatzstoffen, Die Drohne, die unterschiedlichen Sensoren, das Tablet schlechte Verarbeitungs- und Vermarktungsinfrastruktur so- und die Nutzerplattform stellten im Pilotprojekt solche Ob- wie unzulängliche Märkte waren vorherrschende Probleme, jekte dar, die die (Neben-)Effekte der eingesetzten Tech- die lokale Produktionssysteme schwächten. Infolgedessen nologien und ihrer Weiterentwicklung empirisch zugänglich blieb die Wettbewerbsfähigkeit begrenzt; Importabhängig- machten. Doch bereits am ersten Tag im Projektbüro erfuhr keit bestand und Kleinbäuer:innen lebten in Armut, so die ich, dass die Drohne, die entscheidende Daten für den Algo- legitimierende Argumentation der Interventionen des Waki- rithmus liefern sollte, infolge eines Schadens nicht mehr ein- limo Fund. satzfähig war. Keiner der Informationsdienste für die Bäu- In diesem Sinne baute die NRO seit 2015 auf starke Part- er:innen funktionierte, abgesehen von den SMS zur Über- nerschaften mit regionalen öffentlichen und privaten Ak- mittlung der Wettervorhersagen, da diese nicht von der Da- teur:innen in einem neuen integrativen Geschäftsmodell: Ein tenanalytik durch STASS abhängig waren. Trotzdem wurde sogenanntes Anchor-Business, in diesem Fall eine große unter viel Druck im Projekt weiter versucht, die notwendigen Getreide-Verarbeitungsanlage mit Mühle und Verpackungs- Daten für den Algorithmus zu erheben, um die gewünschten industrie, nahm Reisbäuer:innen für ihre unverarbeitete Ern- Informationsdienste zum Laufen zu bringen. Während ich te unter Vertrag (siehe die hellgrau hinterlegten Akteur:innen zunächst den Aktivitäten des Wakilimo Fund im Büro so- in Abb. 1). Die Absicherung fester Reispreise basierte auf wie im Dorf folgen und in Interviews mit Mitarbeiter:innen, der Vereinbarung eines Mindestpreises, der sich an den Pro- der Projektleitung und Programmierer:innen deren Sichtwei- duktionskosten orientierte. Zudem gingen das Unternehmen se auf das Projekt und die Technologie erfahren durfte, konn- und die NRO eine Art Bürgschaft für die Bäuer:innen ein, te ich später alleine im Dorf mehr über den Alltag der Bäu- um ihnen so den Zugang zu Finanzinstitutionen und Krediten er:innen mit und ohne technologische Intervention miterle- zu gewährleisten. Dies sollte Bäuer:innen ermöglichen, Dün- ben. Insgesamt habe ich 22 Interviews mit Bäuer:innen, land- ger, Hybridsaatgut und Maschinen zu kaufen. Das Anchor- wirtschaftlichen Berater:innen, NGO-Personal, Agrarstoff- Business handelte wiederum selbst mit Hybridsaatgut. Für händler:innen, Programmierenden und Fördernden geführt. den polierten und abgepackten Reis bestanden Beziehun- In diesen sowie zahlreichen informellen Gesprächen konnte gen zu einigen ausgewählten Händler:innen in Dar es Sa- ich von vielseitigen Perspektiven auf die Weiterentwicklung laam, wodurch Zwischenhändler vermieden wurden. Die No- https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022 Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022
246 A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? vellierung der Akteurskonstellation wurde durch staatliche Märkte schaffen, Zugang zu Daten legitimieren, Funktion Akteur:innen ermöglicht und unter anderem durch das Bun- und Reichweite ihrer Technologie testen und ihr Unterneh- desministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- men bewerben. Dass es sich dabei um niederländische Fir- wicklung (BMZ) finanziert. Die Schirmherrschaft und auch men handelte, ist auf die Finanzierung aus den Niederlanden der Schutz der NRO ermöglichte den Zugang zu Externen zurückzuführen. Diese wiederum war an die Auswahl natio- wie Banken und damit zu weiteren Ressourcen für die Bäu- naler Unternehmen geknüpft (vgl. Madianou, 2019). Der pri- er:innen in Mbuyuni (vgl. Mosse, 2014:516). Doch schloss vatwirtschaftliche Sektor positioniert sich somit als macht- der Getreide-Verarbeitungsbetrieb Verträge jeweils nur für voller Akteur im „Entwicklungskontext“ (vgl. Bayliss, 2002; eine Saison ab, was einer langfristigen Sicherheit entgegen- Watts, 1994). stand. Darüber hinaus profitierte das Anchor-Business drei- Die Zielgruppen dieser neuen Akteurskonstellation waren fach: am Saatgut, dem weiter verarbeiteten Reis und den Pro- hingegen in Tansania verortet und umfassten zum Beispiel jektgeldern. Nichtsdestotrotz funktionierte die neue Konstel- kleine tansanische Düngemittelläden. Diese verfügten aller- lation vorübergehend und stellte die Basis für Neuerungen dings selten über Laptops und WiFi, was eine Grundvoraus- durch das Testen von STASS dar. setzung dafür war, die datenlastige Plattform STASS zu ver- Die digitale Plattform, die nun in der gleichen Ver- wenden. Dem Konzept nach sollten dennoch diese Unterneh- suchsgemeinde Mbuyuni erprobt und weiterentwickelt wer- men nach Ablauf der Pilotphase die Finanzierung der Platt- den sollte, erlaubte eine weitere strategische Bündelung form durch regelmäßige Beitragszahlungen übernehmen. Die des beschriebenen Pakets an landwirtschaftlichen Produk- Bäuer:innen, die durch dieses Geschäftsmodell nach wie vor ten, Informations- und Finanzdienstleistungen. Mit der In- finanziell entlastet bleiben sollten, hatten jedoch keinen Zu- tention, weitere Synergien für die vorausgehenden Projekt- gang zu STASS. Dies wies bereits auf die schwierigen Bedin- teilnehmenden zu schaffen (Brooks, 2021:9), wurde die Ak- gungen für die Herstellung von Konnektivität hin. Obwohl teurskonstellation durch Datenwege ergänzt und damit deut- den Bäuer:innen der direkte Zugang zu dieser Technologie lich komplexer und internationaler (siehe die dunkelgrau hin- verwehrt blieb, sollten sie ihre Daten dafür bereitstellen, was terlegten Akteur:innen in Abb. 1). Zunächst kamen weitere ihnen als Schlüsselfaktor zur Profitsteigerung vermittelt wur- philanthropische Gelder mit ins Spiel, wobei AGRA nach der de. Nichtsdestotrotz erfolgte die Informationsvermittlung nur Hälfte der Projektlaufzeit ihren restlichen Einsatz einbehielt. zögerlich, wie es der Landwirtschaftsberater in Mbuyuni of- SAGCOT war in erster Linie aus territorialen Gründen mit in fen zugab: die Gruppe der Weichensteller aufgenommen worden, eben- so wie das Tanzanian Rice Council. Federführend agierten Farmers do not answer the USSD-survey about dennoch die Technologiefirmen, die einerseits den Löwenan- their practices in their fields, because they are teil der finanziellen Mittel bereitstellen und andererseits die afraid that those messages are gambling and ga- Testkonzeption, aber auch die Projektimplementierung und ming messages! (Interview mit Landwirtschaftsbe- Datenanalysen durchführten. Unter der Regie niederländi- rater, Mbuyuni, 16 Juni 2019) scher Innovationsberater und -manager führten vier verschie- Die zentrale Datenverbindung für die Pilotstudie war da- dene niederländische Technologiefirmen und eine israelische mit unzuverlässig und macht die Fragilität technologischer Tochterfirma in Kooperation mit der Universität Wageningen Experimente im lebenden Labor deutlich, wenn es am nöti- in Teilschritte aufgebrochene Analysen durch. Eine dieser gen Vertrauen in die Technologie mangelt. Die lokalen Un- Firmen erarbeitete mit der Tanzanian Meteorological Agen- ternehmer verbanden mit STASS jedoch die Hoffnung, Ein- cy die Wettervorhersage. Drei weitere Firmen verarbeiteten blicke in die Tätigkeiten der Bäuer:innen zu erhalten. Wie es die kartographischen Daten, satelliten- und drohnengestützte ein Düngemittelhändler formulierte: Nutzpflanzendaten sowie die Wasserstände. Personenbezo- gene Daten der Bäuer:innen wurden ebenso hier analysiert, We have a good relationship with our farmers. um letzten Endes die Ergebnisse durch den Wakilimo Fund They trust us and our products. Still, we have some und ein finnisches Start-up im SMS-Format zu regelmäßigen challenges at times, when we provide them with und knappen Empfehlungen aufzuarbeiten und zu versenden. loans for Yara-fertilizers. Their harvest will stay a Auch wenn der Wakilimo Fund ein immer komplexer wer- secret, because they know, if we know, they have dendes Netzwerk an Akteur:innen und Aktivitäten zu koor- to pay back. With STASS we can see on our own. dinieren hatte, wurde die inhaltliche Arbeit im Wesentlichen (Interview mit Agrarstoffhändler, Mbeya, 4 Juni durch den Algorithmus der niederländischen Technologiefir- 2019) men übernommen. In diesem Zuge fand eine Neuausrich- tung von vielschichtigen politischen Problemen wie Armut Dies veranschaulicht, wie die angestrebte Konnektivität oder globaler Ungleichheiten im Einklang mit den jeweiligen mit neuen Möglichkeiten und Absichten der Kontrolle und Unternehmenszielen statt, was in diesem Fall Informations- Disziplinierung einherging – nicht nur, was die Rückzah- dienste und mobile Konnektivität als Allheilmittel darstell- lung von Krediten betraf, sondern auch um zu überprüfen, te. Auf diese Weise können sich die Technologiefirmen neue ob die durch den Wakilimo Fund unterrichteten Praktiken Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022
A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? 247 Abb. 1. Akteurskonstellation einer technologiezentrierten Pilotstudie auf Basis eines Agrarentwicklungsprojekts. und Technologien zum intensivierten Reisanbau auch ange- mer Business School in den Gemeinschaftsräumen des Dor- wendet wurden. Trotz vieler misstrauischer Stimmen und fes, oder auch im Sinne des Training of Trainers (ToT) di- gewissem Widerstand hatten sich dennoch einige der Bäu- rekt beim Pflügen, Säen, Pflanzen, Jäten, Düngen oder Ern- er:innen für die Wetter-Informationsdienste und die USSD- ten auf den Reisfeldern. Gerade letzteres sollte die größ- Datenabfrage der digitalen Plattform STASS angemeldet und te Überzeugungskraft haben und anhand von beispiellosem waren somit in den Prozess involviert, sich selbst und ihre Erntezuwachs gemessen in Reissäcken pro Acre demonstrie- landwirtschaftlichen Praktiken lesbar zu machen. ren, wie produktiv exaktes Timing, räumliche Vermessun- gen und der Einsatz von Maschinen, Hybridsaatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sind. Diese Strategie fasst She- 6 Die alltäglichen Projektaufgaben – Von pherd (2006:408) auch als „Making them See“ zusammen. Überzeugungsarbeit und dem Füttern eines Geringe Ernten hingegen führten die Lehrenden auf keinen Algorithmus oder falschen Technologieeinsatz sowie individuelle Fehlent- scheidungen zurück (Interview mit Agrarökonom, Wakilimo Da die Informationsdienste für die Bäuer:innen bisher nur Fund, Mbeya, 13 Juni 2019). Auch die persönliche Eigen- die dreitägigen Wetterinformationen und einige wenige Test- schaft, ein „serious farmer“ (Gespräch mit Landwirtschafts- läufe zu Praktiken und Markt umfassten, bestand ein Groß- berater, Mbuyuni, 16 Juni 2019) zu sein, oder wie Brooks teil der Aktivitäten im Projekt aus regelmäßigen Training- (2021:8) schreibt ein „Entrepreneur-in-the-making“, galt als Sessions, um Technologie und Praktiken gemäß „westlicher“ das Geheimnis für Produktivität und Profit. Wissenschaft zu vermitteln. Der Landwirtschaftsexperte des Dass Praktiken der ostafrikanischen Kleinbäuer:innen Wakilimo Fund und der lokale landwirtschaftliche Berater meist bereits höchst angepasst an die variierenden Um- unterrichteten oft gemeinsam bestimmte Praktiken-Pakete zu weltbedingungen sind und zahlreiche vorausgegangene Ver- intensiviertem Reisanbau namens Good Agricultural Practi- suche der Produktivitätssteigerung mehr oder weniger er- ces (GAP), Good Post-Harvest Handling (GPHH) und Far- folglos blieben oder zumindest auf lange Sicht nicht trag- https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022 Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022
248 A. Matejcek: Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? bar erschienen, wurde in diesem Projekt, wie auch andern- Machtasymmetrien ein unerreichtes Ideal. Während ich bei orts beschrieben, weitgehend ausgeblendet (vgl. Anadon et der ausgedehnten Laufarbeit bei Messungen in Reisfeldern al., 2016:2 f.; Tilley, 2011:117 ff.). Nach wie vor argumen- oder der monotonen Anleitung von Bäuer:innen sich für In- tiert die „Entwicklungselite“ für zeitnahe und bedarfsgerech- formationsdienste zu registrieren, teilnehmen durfte, wurde te Unterstützung von Kleinbäuer:innen durch meist exter- mir klar, dass im Rahmen der Pilotstudie auch das Perso- ne Expert:innen, da traditionelle Praktiken und Technologien nal des Wakilimo Fund zu reinen Datensammelnden gewor- unter den heutigen Bedingungen von Klimawandel, Wasser- den ist. Im „Entwicklungsprojekt“ noch als inhaltliche Ex- knappheit und degradierten Böden zum Scheitern verurteilt pert:innen, unterlagen sie in der technologiezentrierten Pi- seien (siehe u.a. USAID, 2018:3). Der agrar-ökonomische lotstudie den praktischen Anforderungen der neuen digitalen Experte des Wakilimo Fund räumte jedoch ein, dass seine Komponenten von STASS. Unter anderem taktete die Tech- professionellen Erfahrungen mit Reisanbau ihn kaum dazu nologie ihren Arbeitsrhythmus mit der zehntägigen Daten- befähigten, Bäuer:innen in Tansania zu unterrichten: aufnahme über die unterschiedlichen Kanäle. Der Sinn die- ser Unternehmungen blieb ihnen leider meist vorenthalten, The rice knowledge we learned at university was da weniger ihr Verständnis, sondern die Weitergabe der Da- too theoretical. There was no practical techniques ten von Seiten der Technologieexpert:innen gefragt war. So training for all components from planting to har- gab einer der NRO-Mitarbeiter, der zu Beginn der Projekt- vest. It was very difficult for a graduate from So- laufzeit für den Drohnenführerschein nach Großbritannien koine to train farmers in Mbuyuni, because farmers geflogen wurde, zu, dass er nicht einmal wusste, wozu diese are more knowledgeable than the graduates, also Datenaufnahmen dienten: because these practices change from time to time. After learning from them, then you are able to train The drone, yes, I flew it two or three times a month. other farmers. (Interview mit Agrarökonom, Waki- I’m not quite sure, but with the drone you can see limo Fund, Mbeya, 13 Juni 2019) something that the naked eye can’t see. I’ve heard Auch wenn es hier so klingt, als würden die Erfahrun- of infrared, but I really don’t know. (Interview gen der Bäuer:innen Gehör finden, zeigte die Praxis, dass mit Projektleiter, Wakilimo Fund, Mbeya, 14 Juni der Unterricht kaum an die lokalen Gegebenheiten anknüpf- 2019) te. Nachdem ich an einigen Projekttreffen im Dorf teilneh- Auf diese Weise werden im Kontext von Precision Agri- men durfte, mit einigen Landwirt:innen ohne Gegenwart culture und D4D alte ungleiche Relationen zwischen Ex- von Projektmitarbeitenden sprechen konnte sowie mich im- pert:innen im Norden und Lai:innen im Süden verschärft. mer wieder mit dem landwirtschaftlichen Berater vor Ort Während der Algorithmus das Denken zu übernehmen austauschen konnte, wurden weitere Schwierigkeiten im scheint und die Entscheidungen trifft, geht für die Bäu- Verhältnis zwischen Projektmitarbeitenden und Dorfbewoh- er:innen selbst das Warum hinter ihren Praktiken verloren. ner:innen deutlich: Die Bäuer:innen nahmen zwar an orga- Brooks (2021:14 f.) problematisiert diese Tendenzen als nisierten Treffen und Lerneinheiten teil, gaben bei der Re- „deskilling“. Durch den Glauben an künstliche Intelligenz gistrierung jedoch meist nur die Hälfte ihres tatsächlichen und die Tatsache, dass Programmierende zu neuen (land- Landbesitzes an, um dadurch den allgemeinen Erwartungen wirtschaftlichen) „Entwicklungsexpert:innen“ werden, ver- an benachteiligte Kleinbäuer:innen zu entsprechen. Auch ga- liert Landwirtschaft zunehmend den Charakter eines konti- ben sie vor, noch nie von intensiviertem Reisanbau gehört nuierlich dynamischen Prozesses des sozialen und ökologi- zu haben und die Unterrichtseinheiten sehr interessant zu schen Lernens. Gleichzeitig bleiben die Technologien oft rei- finden. Von all den zeitgleichen und vorausgehenden „Ent- ne Vorzeigeobjekte, um die Fortschrittlichkeit und Einzigar- wicklungsprojekten“ in der Region, die meist ähnliche Zie- tigkeit von „Entwicklungsprojekten“ zu demonstrieren ohne le und Methoden verfolgten, wussten die Bäuer:innen, dass anhaltende Effekte. Dies zeigte auch der Einsatz der Drohne von ihnen erwartet wurde, hauptsächlich über ihre Risiken im STASS-Pilotprojekt: und Probleme zu sprechen. Doch auch wenn der Lösungs- weg meist bereits durch das Projekt vorgegeben war und die Yes, the drone is stuck in a tree and the other one Bäuer:innen darauf kaum Einfluss hatten, nahmen sie doch we sent is stuck at the National Defense Unit to gerne die kleinen Geschenke der NROs für ihre Anwesen- check and release it. But you know, the drone is heit entgegen. useless anyways. It was good for getting funding. . . Die Idee, dass durch die Verwendung von STASS die Ent- For our algorithm, we need the satellite data. (In- scheidungsfindung nun eigenständig bei den Bäuer:innen lie- terview mit Projektleitung Tech-Firma, Niederlan- gen würde, fand im Verlauf der Pilotstudie keine Anwen- de, 21 Juli 2019) dung. Obgleich die Daten über die Reisfelder Verständnis für die Situation der Bäuer:innen schaffen sollten sowie de- So reiht sich die Anwendung der Technologie in die steti- ren Bedürfnisse aufzeigen, bleibt diese Form der Demokra- ge Neuerfindung von Heilsbringern ein, die zur Finanzierung tisierung von „Entwicklungshilfe“ und die Korrektur von solcher Projekte nötig erscheinen, ohne dass sich ihre Effekte Geogr. Helv., 77, 239–252, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-239-2022
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