Das Wohlbefinden des Kindes - Theoretische und methodische Aspekte zu Studien zum "Kindlichen Wohlbefinden" - Statistisches Landesamt ...

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Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2021   Bevölkerung,
                                                                                                              Familie

Das Wohlbefinden des Kindes
Theoretische und methodische Aspekte zu Studien
zum „Kindlichen Wohlbefinden“

Bernd Eggen

Die Zahl der nationalen und internationalen       Dinge zeigt sich erst vermehrt ab Mitte der
Studien zum Wohlbefinden des Kindes (Child        1980er-Jahre, und seit Mitte der 1990er-Jahre
Well-Being) ist mittlerweile unüberschaubar.      erhalten Kinder zunehmend Gehör in den
Der Beitrag behauptet und begründet, dass         empirischen Studien.4 In dieser Zeit ent-
aus theoretischen und methodischen Grün-          stehen auch die ersten Studien, das Wohlbe­
den das Wohlbefinden des Kindes jedoch            finden des Kindes aus seiner Sicht zu er-
nicht gemessen werden kann. Anhand be-            forschen.5
kannter Studien zum „Kindlichen Wohlbe­
finden“ wird gezeigt, was stattdessen wie         Wenn aber diese Studien aus theoretischen
                                                                                                              Dr. Bernd Eggen ist Referent
empirisch gemessen wird. Es werden theore-        und methodischen Gründen nicht das Wohl­                    im Referat „Sozialwissen-
                                                                                                              schaftliche Analysen,
tische und methodische Probleme hervorge-         befinden des Kindes messen können, was                      FamilienForschung
hoben und Anregungen für die Praxis von           messen sie stattdessen? Eine Antwort will das               Baden-Württemberg,
                                                                                                              Forschungsdatenzentrum“
Wissenschaft und Politik angeboten.               Folgende geben, indem es bekannte Studien                   des Statistischen Landes-
                                                  zum „Kindlichen Wohlbefinden“ vorstellt und                 amtes Baden-Württemberg.
                                                  interpretiert.
Haben Sie schon einmal versucht, das Un­
mögliche zu ermöglichen? So geht es jenen,
die beabsichtigen, das Wohlbefinden des Kin-      Das Konzept „Kindliches Wohlbefinden“:                      1 Siehe Finzen, Asmus
                                                                                                                (2018): Normalität. Die
des zu messen. Denn wissenschaftlich be-          Operationalisierung und Messung in                            ungezähmte Kategorie
trachtet, geht es bei diesem Unterfangen um       ausgewählten Studien                                          in Psychiatrie und Ge-
                                                                                                                sellschaft. Psychiatrie
nicht weniger, als das Unzugängliche und Un-                                                                    Verlag. Köln.
bestimmbare zu messen. Nur das Extreme im         1. Was haben die Studien gemeinsam?                         2 Ben-Arieh, Asher/Casas,
persönlichen Zeichen der physisch-psych-          Das Konzept „Kindliches Wohlbefinden“ be­                     Ferran/Frønes, Ivar/Kor-
                                                                                                                bin, Jill E. (Edts) (2014):
ischen Verletzung, der Vernachlässigung und       absichtigt, die Qualität der Lebenssituationen                Handbook of Child Well-
Misshandlung ist beobachtbar und bestimm-         von Kindern zu erfassen und umfasst dazu                      Being. DOI 10.1007/978-
                                                                                                                90-481-9063-8. Springer
bar, das Wohlbefinden des Kindes hingegen         stets verschiedene Dimensionen und Indi-                      Dordrecht Heidelberg
ist unzugänglich und unbestimmbar (siehe          katoren. Diese variieren in Konzeption und                    New York London.

i-Punkt „Zur Etymologie des Wortes „Wohl­         Anzahl je nach theoretischem Ansatz der                     3 Markefka, Manfred/
                                                                                                                Nauck, Bernhard (Hrsg.)
befinden“). Das Extreme in den Mitteilungen       Studien im internationalen Kontext der For-                   (1993): Handbuch der
des Kindes ist bestimmbar. Das Gefühl hin-        schung zu „Child Well-Being“. Die Studien                     Kindheitsforschung.
                                                                                                                Luchterhand. Neuwied.
gegen, misshandelt worden zu sein, lässt sich     unterscheiden sich außerdem darin, in wel-
nicht mit Gewissheit messen.1                     chem Ausmaß die Perspektiven der Kinder                     4 Siehe zum Beispiel:
                                                                                                                Huebner, Scott E. (1994):
                                                  berücksichtigt werden und damit, inwieweit                    Preliminary development
                                                                                                                and validation of a mul-
Trotzdem oder gerade deswegen versucht            sie sich einem sozialwissenschaftlichen Kon-                  tidimensional life satis­
eine mittlerweile unüberschaubare Vielzahl        zept verpflichtet sehen, welches das Kind als                 faction scale for children.
                                                                                                                Psychological Assess-
an nationalen und internationalen Erhebun-        „kompetenten Informanten“ seines Erlebens                     ment, 6(2): 149–158,
gen, Indizes und Studien das kindliche Wohl­      begreift.6 Besonders die international ver­                   Betz, Tanja (2009): „Ich
                                                                                                                fühl’ mich wohl“ – Zu-
befinden zu messen, veröffentlicht in zahl-       gleichenden Studien haben als Ausgangs-                       standsbeschreibungen
reichen Fachzeitschriften, Büchern und in         punkt die UN-Kinderrechtskonvention von 1989                  ungleicher Kindheiten
                                                                                                                der Gegenwart. Diskurs
einem fünf Bände mit über 3 000 Seiten um­        und jüngst zudem die von der UN 2015 ver­                     Kindheits- und Jugend-
fassenden „Handbook Child Well-Being“.2 Be-       abschiedete Agenda 2030 für nachhaltige Ent-                  forschung, 4: 457–470.

merkenswert ist, dass all diese Statistiken       wicklung. Sie begleiten wissenschaftlich ein                5 Siehe Ben-Arieh, Asher/
                                                                                                                Casas, Ferran/Frønes,
und Texte überwiegend erst in den letzten         Monitoring, das systematisch und regelmäßig                   Ivar/Korbin, Jill E. (2014):
2 Jahrzehnten entstanden sind. Dabei kann         beobachtet, ob und wie die Kinderrechte und                   Multifaceted concept of
                                                                                                                child well-being. A. Ben-
die wissenschaftliche Beschäftigung mit Kin-      die Ziele der nachhaltigen Entwicklung (Sus­                  Arieh et al. (Eds.): Hand-
dern auf eine 200-jährige Tradition in Medizin,   tainable Development Goals) mit Blick auf die                 book of Child Well-Being.
                                                                                                                DOI 10.1007/978-90-481-
Pädagogik und Psychologie zurückblicken.          Lebenssituationen der Kinder verwirklicht                     9063-8. Springer
Aber die Kinder wurden vornehmlich als „zu-       werden. Dadurch sind Wissenschaft und Poli-                   Dordrecht Heidelberg
                                                                                                                New York London: 1–27;
künftige Erwachsene“ einer Gesellschaft beob‑     tik normativ „eng verwoben“. Einerseits rah­                  Bühler-Niederberger,
achtet.3 Das wissenschaftliche Interesse an       men politische Interessen normativ die Kon­                   Doris (2020): Lebens-
                                                                                                                phase Kindheit. Beltz
der Gegenwart der Kinder und ihrer Sicht der      zeption der Studien, andererseits informieren                 Juventa. Weinheim.

                                                                                                               13
Bevölkerung,           Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2021
            Familie

                                         Zur Etymologie des Wortes                                 nimmt mit seinen Sinnen wahr, fühlt und
                                         „Wohlbefinden“1                                           spürt, erfährt und erlebt. Es sind psychische
                                                                                                   Vorgänge, die sich zunächst unreflektiert
                                 Zur Unzugänglichkeit und Unbestimmbar-                            basal selbst vollziehen. Auch wer befindet,
                                 keit des Wohlbefindens kann auch die Ety-                         nimmt psychisch wahr, erfährt und erlebt,
                                 mologie eine Erklärung beitragen. Das Wort                        aber beurteilt, bewertet und erkennt zu-
                                 „Wohl“ war in älteren Sprachstufen des                            gleich, lernt etwas kennen. Beides bildet
                                 Deutschen „wol“, und dies stand für das                           sich im Bewusstsein des Einzelnen, wenn er
                                 Wort gut. Die Subjektivierung des Adverbs                         seinen Körper und die Gesellschaft wahr-
                                 entwickelte sich im 15. Jahrhundert zu Wohl                       nimmt. Es ist jeweils einzigartig und unteil-
                                 und Wohlergehen. Es kamen weitere Be­                             bar; es ist individuell.
                                 deutungen hinzu: Im 16. Jahrhundert die
                                 Wohlfahrt für Wohlergehen, das für Ge-
                                                                                                   Aus etymologischer Sicht ist das Wohlbe­
                                 sundheit stand sowie für das, was schön ist,
                                                                                                   finden eines Menschen ein Vorgang der
                                 gefällt, geziemt. Im 18. Jahrhundert ent-
                                                                                                   psychischen Wahrnehmung, bei dem er
                                 stand der Wohlstand mit seinen ökonomi­
                                                                                                   sich gut fühlt. Damit unterscheidet sich das
                                 schen Bedeutungen von Wohlhabenheit,
                                                                                                   deutsche Wort „Wohlbefinden“ vom eng-
                                 Besitz und ökonomisch gesicherten Verhält-
                                                                                                   lischen Wort „Well-Being“: „a state of being
                                 nissen. Ein Verhalten wird seit dem 16. Jahr-
                                                                                                   happy, healthy, or prosperous”. „Well-Being“
                                 hundert als Wohltat gekennzeichnet, wenn
                                                                                                   kennzeichnet also nicht nur einen Zustand
                                 es sittlich richtig, eine gute Tat, Geschenk,
                                                                                                   der Psyche des Menschen, sondern auch
                                 Labsal ist. Dem Wohltäter steht der Übel-
                                                                                                   jenen seiner Physis oder seiner gesellschaft-
                                 täter gegenüber. Jener handelt richtig und
                                                                                                   lichen Inklusion als Person.
                                 ist mildtätig, tut Gutes. Und schließlich seit
                                 dem 18. Jahrhundert steht Wohlwollen für
                                 ein sittlich richtiges Wollen.                                    Für die empirische Wissenschaft stellt sich
                                                                                                   das Problem, dass das Empfinden und Be-
                                 Das Wort „befinden“ hat ebenfalls eine                            finden einerseits für jedes „Gegenstandsbe-
                                 lange Sprachgeschichte. Schon früh, im                            wusstsein“ (Carl Jaspers) unverzichtbar
                                 8. Jahrhundert, wurde es für den Vorgang                          sind, andererseits aber wissenschaftlichen
                                 der psychischen Wahrnehmung gebraucht.                            Ansprüchen an Validität und Reliabilität
                                 Es stand für beurteilen, erkennen, erfahren,                      nicht genügen. Das Dilemma lässt sich nicht
6 Andresen, Sabine/
                                 finden, kennenlernen, aber auch für bemer-                        auflösen, nur entfalten über Zeit oder Hier­
  Fegter, Susann (2012):         ken, feststellen. Davon zu unterscheiden ist                      archie, also durch therapeutische Ge-
  Autonomie und Zuwen-
  dung: Die Sicht der Kin-       das Wort „empfinden“. Es bedeutet: sinnlich                       spräche oder Engführung auf Empirie des
  der auf ihre Eltern, in:       wahrnehmen, fühlen, spüren, erfahren und                          sozialen Charakters, also der Leistungs-
  Böllert, Karin/Peter,
  Corinna (Hrsg.): Mutter        steht damit für psychische Erlebnisweisen.                        fähigkeit und -bereitschaft, an den Teilen
  + Vater = Eltern?, DOI                                                                           der Gesellschaft teilzunehmen und ihre
  10.1007/978-3-351-
  94282-7_3, Verlag für          Die Differenz von Empfinden und Befinden                          verschiedenen Anforderungen zu erfüllen.
  Sozialwissenschaften.          ist also die von Operation und Struktur, von                      Jenes ist ein Problem der Psychologie, die-
  Springer Fachmedien.
  Wiesbaden: 51–61(52).          Bewegung und Zustand. Wer empfindet,                              ses ist ein Problem der Soziologie.
7 Siehe Andresen, Sabine/
  Schneekloth, Ulrich
  (2014): Wohlbefinden und       1 Pfeifer, Wolfgang (2005): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. DTV. München; Merriam-Webster (2003): Collegiate
  Gerechtigkeit. Konzeptio‑        dictionary. Eleventh ed.; siehe auch: Ben-Arieh, Asher/Casas, Ferran/Frønes, Ivar/Korbin, Jill E. (2014): Multifaceted concept
  nelle Perspektiven und           of child well-being. A. Ben-Arieh et al. (Eds.): Handbook of Child Well-Being. DOI 10.1007/978-90-481-9063-8. Springer Dor-
  empirische Befunde der           drecht Heidelberg New York London: 1–27.
  Kindheitsforschung am
  Beispiel der World Vision
  Kinderstudie 2013. Zeit-
  schrift für Pädagogik,
  60(4): 535–551; Kämpfe,
  Karin (2019): Das Child     wissenschaftliche Befunde die Politik. Doch                          (ISCWeb) unterstützt und stehen beispielhaft
  Well-Being-Konzept.         die Studien begrenzen sich nicht auf die empi-                       dafür, was als Wohlbefinden des Kindes wie
  Dies: Kindheiten in eu-
  ropäischen Migrations-      rischen Ergebnisse, sondern tragen mit einem                         gemessen wird (siehe Übersichten 1 bis 3 mit
  gesellschaften. Kinder,     advokatischen Ansinnen, die Lebenssituatio-                          den jeweiligen Quellenangaben; [extern-file-
  Kindheiten und Kind-
  heitsforschung, vol 21.     nen der Kinder zu verbessern, Empfehlungen                           download: PDF-Datei, 140 KB]8). Die Übersich-
  Springer VS, Wies­
  baden: 27–60.
                              und Forderungen an die Politik, Vorstellungen                        ten der Studien informieren über zwei Sach­
                              von „guter Kindheit“ zu verwirklichen.7                              verhalte:
8 Die Übersichten stehen
  ausschließlich online zur
  Verfügung: https://www.     Die hier ausgewählten vier großen internatio-                        (1) Die Dimensionen und Indikatoren, mit
  statistik-bw.de/Service/
  Veroeff/Monatshefte/        nalen und nationalen Berichtssysteme zum                             denen das Wohlbefinden der Kinder opera­
  PDF/Beitrag21_07_02_
  Uebersicht.pdf
                              Wohlbefinden der Kinder werden von UNICEF,                           tionalisiert worden ist: Zu unterscheiden sind
  (Abruf: 05.07.2021).        OECD, World Vision und Jacobs Foundation                             verschiedene „objektive“ und „subjektive“,

                     14
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2021   Bevölkerung,
                                                                                                                Familie

das heißt „materielle“ wie auch „psychoso-         file-download: PDF-Datei, 140 KB]) erfassen
ziale“ Indikatoren individueller Lebensbedin-      das kindliche Wohlbefinden durch ein Inter-
gungen. „Objektive“ Indikatoren umfassen           view bei ein und demselben Kind. Gemeinsam
Häufigkeiten wie Anzahl von Mahlzeiten und         ist den Studien das, was sie wie messen, wenn
Verhaltensrisiken und Tatsachen wie Ein­           sie ein kindliches Wohlbefinden messen. Sie
kommenssituation und Erwerbstätigkeit der          messen die Teilnahme des Kindes als Person
Eltern. „Subjektive“ Indikatoren umfassen Zu-      in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft
friedenheit etwa mit dem Leben oder persön-        durch Mitteilung. Sie erfolgt als sogenannter
lichen Beziehungen (siehe i-Punkt „Wohlbefin-      „self-report“ vom Erwachsenen oder vom
den und Well-Being: Vielheit von Definitionen“).   Kind selbst oder als hochaggregierte Statis-
Außerdem unterscheiden sich die Indikatoren        tik. Auch die Bewertung der jeweiligen Teil­
darin, inwieweit sie primär entwicklungstheo-      nahme, also die Zufriedenheit mit sich und
retisch die Kinder als künftige Erwachsene         anderen Personen und Themen, gehört zur
kennzeichnen (well-becoming) oder sich an          Kommunikation und damit ausschließlich
der Lebenssituation des Kindes im „Hier und        zum sozialen Charakter des Individuums. Im
Jetzt“ orientieren (well-being). Zu den eher       Folgenden werden die Studien mit ihren Be­
auf die Zukunft gerichteten Indikatoren ge-        sonderheiten, was sie als Wohlbefinden der
hören Fragen zu ökonomischen und schuli-           Kinder wie messen, kurz vorgestellt.
schen Leistungen, zu den eher an der Gegen-
wart orientierten Indikatoren gehören Fragen       (1) UNICEF und OECD
zur Zufriedenheit mit der Beziehung zu den
Eltern oder dem schulischen Leben.                 Mittlerweile hat UNICEF (2007, 2013, 2020)
                                                   drei Studien zum Wohlbefinden der Kinder in
(2) Die Personen, bei denen die Daten zum          Staaten der OECD und der EU vorgelegt. Eine
kindlichen Wohlbefinden erhoben werden,            Besonderheit ist die Studie von 2017, die das
also die Träger der Indikatoren, die Merkmals-     Wohlbefinden der Kinder in einkommensstar-
träger: Die Daten können indirekt erhoben          ken Staaten entlang von zehn der 17 Ziele
oder direkt erfragt werden. Sie beziehen sich      für nachhaltige Entwicklung der UN-Agenda
auf Kinder oder auf Erwachsene. Indirekt bei       2030 überprüfte. Außerdem führte Bertram
Kindern erfasst werden beispielsweise die          (2017, siehe Übersicht 1; [extern-file-download:
Säuglingssterblichkeit oder die Prävalenz von      PDF-Datei, 140 KB]) für das deutsche Komitee
gesundheitlichen Beschwerden. Direkte An-          für UNICEF eine Studie zum Wohlbefinden von
gaben geben erwachsene Mitglieder eines            Kindern in Deutschland durch, auch in der Ab-
Haushaltes sowie Kinder und Jugendliche            sicht, die Verbindlichkeit der Kinderrechte, hier
zumeist im Alter zwischen 8 und 15 Jahren          Partizipation, hervorzuheben.
beispielsweise über die wirtschaftliche Lage
der Familie und ihr Wohnumfeld oder über die       Die OECD begann das Wohlbefinden der Kin-
schulische Situation. Wenn die persönlichen        der zu messen 2009 mit dem Bericht „Doing
Sichtweisen der Kinder berücksichtigt wer-         Better for Children“ (OECD 2009). In der drit-
den, dann fehlen die Kinder unter 8 Jahren.        ten Ausgabe der Reihe „How‘s life?“ erschien
Gleichzeitig fehlen die Kinder, die am stärks-     2015 ein eigenständiges Kapitel mit der Frage
ten von sozialer Ausgrenzung bedroht sind:         „How‘s life for children?“, in dem das Wohlbe-
Obdachlose, Heimkinder, schwerstkranke und         finden von Kindern mit Indikatoren beschrie-
lernbehinderte Kinder.9 Damit sind die Stu-        ben wurde (OECD 2015). Derzeit sammelt das
dien nur eingeschränkt repräsentativ in ihren      Child Well-Being Data Portal (CWBDP) der OECD
Aussagen zu einem Wohlbefinden der Kinder.         Daten zum Wohlbefinden der Kinder und zur
                                                   sozialen Umwelt, in der sie aufwachsen.
2. Worin unterscheiden sich die Studien?
Die Studien berücksichtigen unterschiedlich        Die Studien von UNICEF und OECD greifen
die persönlichen Sichtweisen der Kinder und        auf verschiedene internationale Datensätze
die gesellschaftlichen Kontexte. Zudem unter-      mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten
scheiden sich die Studien darin, dass die Da-      zurück, bei denen das Wohlbefinden der Kin-
ten nicht bei ein und derselben Person erhoben     der nicht im Mittelpunkt stand. Zudem bezie-
werden. Die Studien von UNICEF und OECD            hen sich die Dimensionen und Indikatoren
(siehe Übersichten 1 und 2; [extern-file-down-     nicht auf ein und dieselbe Stichprobe von
load: PDF-Datei, 140 KB]) erfassen das kind-       Kindern und Jugendlichen. Gleiches gilt für
liche Wohlbefinden mithilfe verschiedener          die Angaben der Eltern über die Familien und
verfügbarer Datensätze mit Angaben von Er-         Haushalte. UNICEF unterscheidet von Beginn
wachsenen und Kindern aus unterschied-             an zwischen einem „objektiven“ und „subjek-                  9 Siehe OECD (2015): 178
                                                                                                                  in Übersicht 2; [extern-
lichen Stichproben. Die Studien von World          tiven“ Wohlbefinden. Seit 2015 berücksichtigt                  file-download: PDF-Da-
Vision und ISCWeb (siehe Übersicht 3; [extern-     auch die OECD ein „subjektives“ Wohlbefin-                     tei, 140 KB].

                                                                                                                 15
Bevölkerung,         Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2021
             Familie

                             den. Der Indikator galt 2009 noch als spekula-        Säuglingssterblichkeit, Prävalenz von gesund-
                             tiv, und damit für die Politikberatung unge-          heitlichen Beschwerden, Geburten pro 1 000
                             eignet.10 Die neueren gesammelten Daten               Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren).
                             beider Organisationen ähneln sich darin, dass
                             sie die Person des Kindes und seine verschie-         (2) World Vision Kinderstudie und Children’s
                             denen sozialen Umwelten präziser zu syste­            Worlds. International survey of children’s
                             matisieren versuchen.                                 well-being (ISCWeB)

                             Ungeachtet der unterschiedlichen Dimensio-            Das Kinderhilfswerk World Vision Deutsch-
                             nen und Indikatoren wird in den Studien das           land e.V. publizierte 2018 die 4. World Vision
                             Wohlbefinden des Kindes als Teilhabe an der           Kinderstudie „Kinder in Deutschland“; die
                             Gesellschaft operationalisiert und gemessen.          1. Studie erschien 2007, weitere 2010 und
                             Dazu gehört besonders seine Teilhabe am               2013. Für die 4. World Vision Kinderstudie
                             ökonomischen Wohlstand (zum Beispiel Ein-             wurden 2 550 Kinder zwischen 6 und 11 Jah-
                             kommen, Erwerbstätigkeit der Eltern, Depri­           ren in einer für Deutschland repräsentativen
                             vation), an persönlichen Beziehungen zu               Erhebung mittels eines standardisierten
                             Eltern und Gleichaltrigen, am Gesundheits-            Fragebogens „persönlich-mündlich“ befragt.
                             system (zum Beispiel Impfen), an der Schule           Außerdem wurde mit zwölf Kindern dieser
                             und Erziehung (zum Beispiel Vorschulische             Altersgruppe eine offene, nicht standardi-
                             Betreuung, Schulbesuch, Fähigkeiten in Rech-          sierte Befragung mit einem hierfür gesondert
                             nen und Lesen) sowie am politischen und               entwickelten Leitfaden durchgeführt. Die Be­
                             rechtlichen System, ob und inwieweit dort             fragungen dauerten durchschnittlich etwa
                             die Erwartungen von Kindern und Eltern,               34 Minuten (standardisiert) und 1 ½ Stunden
                             etwa auf Sicherheit und Unterstützung,                (nicht standardisiert). Ein Elternteil gab er­
                             Resonanz finden. Außerdem werden Ver­                 gänzende Auskünfte zu Herkunft und sozialer
                             haltensweisen wie Spielen, Rauchen, Trinken           Lage der Familie. Die international ver-
                             von Alkohol, Ernährung und Sexualität ge­             gleichende Studie „Children’s Worlds“ (2020)
                             messen. Diese verschiedenen Formen der                wurde von der International Society for Child
                             Teilhabe erhalten erst durch ihre jeweilige           Indicators (ISCI) organisiert und von der
                             kulturelle Bedeutung positive oder negative           Jacobs Foundation gefördert. Der Report be-
                             Zuschreibungen. Ähnliches gilt für persön-            ruht auf 128 184 standardisierten Interviews
                             liche Merkmale wie Körpergewicht, Alter und           mit Kindern im Alter von 8, 10 und 12 Jahren
                             Geschlecht, die erst durch die Teilnahme des          in 35 Staaten der Welt in der Zeit von 2016
                             Kindes als Person an der Gesellschaft sozial          bis 2019 (siehe Übersicht 3; [extern-file-down-
                             relevant und damit zu einer gemeinsamen               load: PDF-Datei, 140 KB]).
                             oder getrennten sozialen Erfahrung werden.
                                                                                   Der theoretische Ausgangspunkt beider Stu-
                             Die Messung des „subjektiven“ Wohlbefin-              dien ist ein multidimensionales Konzept des
                             dens beruht auf Mitteilungen über die Zu­             kindlichen Wohlbefindens („subjective well-
                             friedenheit etwa mit Familie, Schule und Ge-          being“), das die persönlichen Sichtweisen der
                             sundheit. In einigen Studien beschränkt               Kinder und die gesellschaftlichen Kontexte, in
                             sich das „subjektive Wohlbefinden“ des                denen Kinder ihr Wohlbefinden entwickeln,
                             Kindes auf eine einzige Frage, auf die das            umfasst. Im Mittelpunkt der World Vision
                             Kind antworten kann, indem es seine „allge-           Studie steht die Zufriedenheit des Kindes
                             meine Lebenszufriedenheit“ auf einer Skala            mit Familie, Schule, Freizeit und Freunden,
                             von 0 bis 10 selbst einstuft (siehe Übersich-         außerdem seine erfahrene Anerkennung und
                             ten 1 und 2; [extern-file-download: PDF-Datei,        Mitbestimmung in diesen Bereichen und
                             140 KB]). Es ist eine Mitteilung, die, ungeachtet     schließlich seine generelle Lebenszufrieden-
                             der Validität der Information, der Person des         heit. Der „Children´s Worlds Report“ unter­
                             Kindes zugeschrieben wird und nicht dem               scheidet zwischen „objektivem“ und „subjek-
                             Individuum des Kindes, also seinem Fühlen             tivem“ Wohlbefinden. Jenes schließt Häufig-
10 OECD (2009): Doing bet-
   ter for children. OECD-   und Denken, zugeschrieben werden kann.11              keiten (zum Beispiel: Wie oft Taschengeld) und
   publishing: 29.                                                                 Tatsachen (zum Beispiel: Menschen, mit denen
11 Zur Unterscheidung von    Die Messung des „objektiven“ und „subjek­             das Kind zusammenlebt) ein, dieses bezieht
   Individuum (psychisches
   System mit seinem         tiven“ Wohlbefindens von Kindern stützt sich          sich auf Zufriedenheit (zum Beispiel: mit den
   Empfinden und Befin-      auf Mitteilungen von Kindern und Jugend-              Menschen, mit denen das Kind zusammen-
   den) und Person (sozia-
   ler Charakter, dem bei    lichen, aber auch auf Mitteilungen der Eltern         lebt) und Zustimmung (zum Beispiel: Mein
   der Teilnahme an der      (zum Beispiel Eltern, die berichten, dass sie         Leben läuft gut ab).
   Gesellschaft Handlungen
   zugeschrieben werden)     mit ihrem 15-jährigen Kind „jeden Tag oder
   siehe auch i-Punkt „Zur
   Etymologie des Wortes
                             fast jeden Tag“ reden) sowie auf kollektive           Beide Studien messen als Wohlbefinden des
   „Wohlbefinden“.           soziale Indikatoren (zum Beispiel Mordrate,           Kindes seine Teilhabe in seinen unmittel-

                    16
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2021   Bevölkerung,
                                                                                                                Familie

baren Lebensbereichen und seine Bewertung            schaft von „guter“ Kindheit und „guter“
der Teilhabe. Trotz methodischer Unter-              Elternschaft zum Ausdruck kommt. Selbst
schiede zu den Studien von UNICEF und OECD           in der Wissenschaft meint man zu wissen,
ist auch bei den Studien, welche die Mittei-         was zum „Wohl des Kindes“ gehört, auch
lungen und Informationen des Kindes in den           auf die Gefahr hin, dass die Erkenntnisse
Mittelpunkt stellen, das Wohlbefinden aus-           der Studien „kulturelle Diversität ausblen-
schließlich ein sozialer Sachverhalt, der der        den und mittelschichtsorientierte Standards
Person des Kindes und seiner Teilhabe in             implizieren“14, dadurch eine Homogenität
Bereichen der Gesellschaft zugeschrieben             unterstellen und eine Stigmatisierung der
werden kann.                                         Lebenswelten von Kindern auslösen könn-
                                                     ten und schließlich für eine „bessere“ Politik
                                                     und ein „besseres“ Leben der Kinder instru-
Theoretische und methodische Probleme                mentalisiert werden.15
am Konzept „Kindliches Wohlbefinden“
                                                   Methodische Probleme:
Als multidimensionales Konzept wird „Kind-         –– Die Validität (Gültigkeit) der mitgeteilten
liches Wohlbefinden“ (Child Well-Being) zwar          Informationen: Kann eine standardisierte
häufig eingesetzt, aber ein einheitliches Mo-         Frage mit Antwortvorgaben zur Zufrieden-
dell hat sich in der Wissenschaft bislang nicht       heit ein „subjektives“ Wohlbefinden des
durchsetzen können. Nach Fattore et al. ist           Kindes angemessen manifestieren? Auch
das Konzept inkonsistent definiert.12 Außer-          bei Kindern sind unter dem Einfluss der
dem gebe es in der Forschung wenig Überein-           Interviewsituation unangemessene Mani­
stimmung darüber, wie es gemessen werden              festationen möglich, etwa durch Beschöni-                 12 Fattore, Tobia/Mason,
                                                                                                                   Jan/Watson, Elizabeth
sollte. Drei theoretische und zwei methodische        gung im Sinne „sozialer Erwünschtheit“                       (2016): Children’s under-
Probleme können hervorgehoben werden:                 oder Leugnung eines Unwohleins. Kinder                       standings of well-being.
                                                                                                                   Towards a child stand-
                                                      lernen schon im frühen Alter, Informationen                  point. Springer Nether-
Theoretische Probleme:                                zurückzuhalten und falsche Information her-                  lands: 12. DOI: 10.1007/
                                                                                                                   978-94-024-0829-4.
–– Die vielfältigen Definitionen der Begriffe         zustellen.16 Die Gültigkeit kann auch da-
                                                                                                                13 Siehe eine Übersicht
   „Wohlbefinden“ und „Child Well-Being“              durch beeinflusst werden, dass die Ant-                      der verschiedenen Defi-
   sind oft zirkulär und damit tautologisch. Sie      worten auf der Skala der Zufriedenheit                       nitionen und Zuschrei-
                                                                                                                   bungen bei Tromms-
   lassen sich dann kurz zusammenfassen:              stets von der individuellen Identität mit                    dorff, Gisela (2018):
   Wohlbefinden ist ein Zustand, der gut, zu­         ihrer spezifischen Sozialisation abhängen,                   Well-being and Happi-
                                                                                                                   ness in Cultural Context.
   frieden, bejahend erlebt wird. In der Regel        und damit von unterschiedlichen Wahr­                        Mayer, Karl U. (Hrsg.):
   folgt eine Operationalisierung, die in theo­       nehmungen von Zufriedenheit.17 So kön-                       Gutes Leben oder gute
                                                                                                                   Gesellschaft? Nova Acta
   retischer Qualität und empirischer Quanti-         nen zwei Kinder sich „gleichermaßen“                         Leopoldina NF Nr. 417:
   tät variierend vor allem „gute“ persönliche        wohl fühlen und trotzdem unterschiedliche                    159–177.

   Eigenschaften und soziale Bedingungen              Antworten auf einer Skala beispielsweise                  14 Siehe Kämpfe (2019): 51
                                                                                                                   in Fußnote 7.
   aufzählt und beispielsweise Enttäuschun-           von 1 bis 10 geben. Gemessen wird also
                                                                                                                15 So beispielsweise
   gen von Erwartungen und Dissens aus-               nicht eine Tatsache, das Wohlbefinden als                    A. Ben-Arieh: “… how
   schließt. Unbeobachtet bleibt, „Child Well-        Bewertung eines psychischen Zustandes,                       can international studies
                                                                                                                   of child well-being serve
   Being“ als Einheit einer Differenz von             sondern das Ergebnis einer Selbstauskunft.                   us in the quest for bet-
   vermeintlich guter und schlechter Kind-            Das Ergebnis wird auf eine Ziffer reduziert                  ter social policy and a
                                                                                                                   better life for children”;
   heit paradox zu begreifen. (siehe i-Punkt          und quantifiziert. Es erlangt auf diese Weise                Ben-Arieh, Asher (2014):
   „Wohlbefinden und Well-Being: Vielheit             eine Objektivität, die es wegen seiner miss-                 Social Policy and the
                                                                                                                   Changing Concept of
   von Definitionen“).13                              verständlichen Grundlagen nie haben kann.                    Child Well-Being: The
                                                                                                                   role of international stu-
                                                                                                                   dies and children as
–– Die Voraussetzungen des Zustandekom-            –– Die absolute Interpretation relationaler                     active participants. Zeit-
                                                                                                                   schrift für Pädagogik,
   mens eines „subjektiven“ Wohlbefindens,            Daten durch den Wechsel von der indivi-
                                                                                                                   60(4): 569-581(575).
   dessen Beobachtung sich im Wesentlichen            duellen zur kollektiven Interpretations-
                                                                                                                16 Siehe beispielsweise
   auf die Befragung des Kindes stützt, sind          ebene: Die Informationen zum „subjekti-                      Bruner, Jerome (1997):
   theoretisch weitgehend ungeklärt. So fehlt         ven“ Wohlbefinden sind auf einer Ordinal-                    Sinn, Kultur und Ich-
                                                                                                                   Identität. Carl-Auer-
   eine theoretische Explikation zur Unter­           skala angeordnet. Es sind Aussagen, die                      Systeme. Heidelberg:
   scheidung von Individuum und Person, die           eine Person in Relation zu anderen Perso-                    88; Meyer-Wehage,
                                                                                                                   Brigitte (2020): Sorge-
   gleichsam das strukturelle Verhältnis von          nen charakterisieren, aber absolut, das                      recht, Wechselmodell,
                                                                                                                   Mehrelternschaft – Aus-
   Befinden und sozialer Teilnahme, also auch         heißt ohne Bezug auf andere, keinen Sinn                     wirkungen pluralisierter
   von Wohlbefinden und seiner Mitteilung             ergeben. Es ist daher völlig unzulässig, bei                 Familienformen auf die
                                                                                                                   familiengerichtliche Pra-
   präzisieren könnte.                                Kindern, die zufrieden oder sehr zufrieden                   xis. Archiv für Wissen-
                                                      geantwortet haben, irgendein für sich ver-                   schaft und Praxis der
                                                                                                                   sozialen Arbeit, 51(1):
–– Die Normativität, die einerseits dem Wohl-         stehbares Maß an Zufriedenheit anzuneh-                      50-59(56-57).
   befinden des Kindes innewohnt und ande-            men. Man weiß lediglich, dass sie wohl zu-                17 Siehe Trommsdorff
   rerseits in den Vorstellungen der Gesell-          friedener sind als andere. Beispiel: Geben                   (2018) in Fußnote 13.

                                                                                                                 17
Bevölkerung,   Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2021
     Familie

                         Wohlbefinden und Well-Being:                  chological well-being (PWB) entails percep-
                         Vielheit von Definitionen                     tion of engagement with existential challen-
                                                                       ges of life”.3
                  Die in den Übersichten 1 bis 3 [extern-file-
                  download: PDF-Datei, 140 KB] vorgestellten
                                                                       “SWB comprises, on the one hand, the cog‑
                  Studien zum Wohlbefinden des Kindes um-
                                                                       nitive component of satisfaction with life as
                  fassen verschiedene konzeptuelle Ausrich-
                                                                       a whole, and on the other hand the presence
                  tungen und empirische Zugänge mit in Art
                                                                       of positive emotions (e.g. joy, interest, love,
                  und Anzahl unterschiedlichen Indikatoren.
                                                                       or pride) and the absence of negative emo-
                  Ein gleiches konzeptionelles Panorama ent-
                                                                       tions (e.g. loneliness, anger, anxiety) as af-
                  falten die Definitionen von „Well-Being“, was
                                                                       fective components. PWB consists of auto-
                  die folgenden Zitate beispielhaft belegen.
                                                                       nomy, environmental mastery, personal growth,
                  Diese Vielheit an Definitionen ringt einheit-
                                                                       personal relationships, purpose in life, and
                  lich um theoretische Präzision und Trenn-
                                                                       self-acceptance. SWB and PWB are related
                  schärfe bei psychischen und sozialen Sach-
                                                                       but empirically distinct”.4
                  verhalten. Unterschieden wird in der Regel
                  zwischen „Objective Well-Being“ (OWB),
                  „Subjective Well-Being“ (SWB) und „Psycho-           „Physical, mental, social and material dimen-
                  logical Well-Being“ (PWB).                           sions are the focal dimensions of well-being.
                                                                       (…) Physical well-being comprises health,
                                                                       the absence of disease, and proper physical
                  OWB is conceptualized “in terms of outco-
                                                                       functionality. (…) Mental well-being (…) re-
                  mes and risk and protective factors. Outco-
                                                                       fers to mental health and the absence of psy-
                  mes refer to aspects of children ‘s health and
                                                                       chiatric disorders and includes both emotio-
                  development that services may seek to im-
                                                                       nal and cognitive well-being. In addition to
                  prove, which can be subdivided into dimen-
                                                                       these both subjectively and objectively de-
                  sions relating to, for example behavior, emo-
                                                                       fined givens (even though it is obvious that
                  tional well-being, relationships, physical health,
                                                                       definitions of psychiatric disorders are like-
                  and educational skills and attainment. (…)
                                                                       wise social agreements and constructs), men-
                  Risk and protective factors refer to potential
                                                                       tal well-being involves the child’s own view
                  influences on children´s health and develop-
                                                                       of his or her situation concerning happiness
                  ment, such as parenting behavior, maltreat-
                                                                       and life satisfaction. (…) Social well-being
                  ment, the home environment, bullying, norms
                                                                       refers to a positive situation between the child
                  within the school or community, and econo-
                                                                       and the people in his or her life. It embraces
                  mic influences. (…) Risk factors refer to cha-
                                                                       the child’s relationships with close adults
                  racteristics, experiences, or contexts that in-
                                                                       such as parents, other relatives, adult care-
                  crease the likelihood of specified negative
                                                                       givers and coaches, as well as friends. (…)
                  outcomes. (…) Protective factors are cha-
                                                                       Material well-being implies a positive mate-
                  racteristics, experiences of contexts that buf-
                                                                       rial situation in the child’s life. It relates to
                  fer children from negative outcomes in the
                                                                       having sufficient nourishment, housing and
                  context of specified risks”. (…) SWB “con-
                                                                       other material items that are normally ele-
                  cerns the subjective interpretation and value
                                                                       ments in the standard of living in the society
                  that children place on discrete aspects of their
                                                                       and culture surrounding the child”.5
                  own life and their life as a whole, irrespective
                  of their objective circumstances”.1
                                                                       Für Sarriera und Bedin (2017) hat das Kon-
                                                                       zept Child Well-Being vier Dimensionen: (1)
                  “SWB includes people´s appraisals and eva-
                                                                       PWB umfasst Selbstkonzept (Selbstwertge-
                  luations of their own lives. It includes both
                                                                       fühl, Selbstwirksamkeit), Lebenzweck, Spiri-
                  reflective cognitive judgements, such as life
                                                                       tualität; (2) SWB umfasst positive und
                  satisfaction, and emotional responses to on-
                                                                       negative Affekte, Lebenszufriedenheit und
                  going life in terms of positive and pleasant
                                                                       emotionale Intelligenz als Fähigkeit, eigene
                  emotions versus unpleasant and negative
                                                                       und fremde Gefühle wahrzunehmen, zu ver-
                  emotions. (…) The factors that underpin or
                                                                       stehen und zu beeinflussen; (3) „Psycho-
                  influence SWB range from genetics to soci-
                                                                       social Well-Being“ umfasst interpersonale
                  etal conditions “.2
                                                                       Beziehungen, Freizeit, Gebrauch von Tech-
                                                                       nologie; (4) „Socio-Community Well-Being“
                  “Subjective well-being (SWB) is evaluation           umfasst Menschenrechte, Teilhabe am Ge-
                  of life in terms of satisfaction and balance         meindeleben („Sense of Community“), Zu-
                  between positive and negative affect; psy-           friedenheit mit der Umwelt.6

         18
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2021    Bevölkerung,
                                                                                                                                     Familie

  Fazit: Das OBW bezieht sich auf Bedingun­                         heit, als auch emotionale Reaktionen auf
  gen wie die wirtschaftliche Situation des                         das laufende Leben in Form von positiven
  Haushaltes, Art und Häufigkeit sozialer Be-                       und angenehmen Gefühlen gegenüber un-
  ziehungen und die Teilhabe an der Schule.                         angenehmen und negativen Emotionen.
  Beim SWB steht nicht eine Definition des-                         Bezeichnet das subjektive Wohlbefinden
  sen im Vordergrund, was ein gutes Leben                           eher Konstrukte wie Glück, Lebenszufrie-
  sein sollte. Die Aussagen beruhen auf Ur-                         denheit und Zufriedenheit in unterschied-
  teilen der Befragten, basierend auf den Kri-                      lichen Lebensbereichen, umfasst das psy-
  terien, die die befragten Personen als wert-                      chologische oder psychische Wohlbefin-
  voll und lohnend befinden. Eine der wich-                         den Konzepte wie den Sinn des Lebens,
  tigsten Methoden zur Messung des SWB                              Lebensziele und Selbstverwirklichung.7 So-
  ist die Selbsteinschätzung der persönlichen                       wohl SWB und PWB sind Konzepte, die ur-
  Bewertungen und Erfahrungen auf Skalen                            sprünglich für die Erforschung des „Well-
  mit Werten beispielsweise von 0 bis 10. Er-                       Being“ von Erwachsenen konstruiert wor-
  gebnis ist die Einschätzung des SWB und                           den sind und die auf ältere Kinder ange-
  nicht das SWB selbst. Es sind damit Mit-                          wendet werden. Nach Rees (2019: 142)
  teilungen über sowohl reflexive kognitive                         scheinen diese Konzepte bei Kindern etwa
  Urteile, wie zum Beispiel Lebenszufrieden-                        ab 10 Jahren durchaus anwendbar zu sein.8

  1 Axford, Nick/Jodrell, David/Hobbs, Tim (2014): Objective or subjective well-being? A. Ben-Arieh et al. (Eds.): Handbook of
    Child Well-Being. Springer Dordrecht Heidelberg New York London: 2699-2738, https://doi.org/10.1007/978-90-481-9063-8_108
    (Abruf: 28.04.2021).

  2 Diener, Ed/Oishi, Shigehiro/Tay, Louis (2018): Advances in subjective well-being research. Nature Human Behavior 2(4):
    253-260. doi:10.1038/s41562-018-0307-6.

  3 Keyes, L Corey L. M/Shmotkin, Dov/Ryff, Carol D. (2002): Optimizing well-being: The empirical encounter of two traditions.
    Journal of Personality and Social Psychology, 82(6): 1007–1022. https://doi.org/10.1037/0022-3514.82.6.1007
    (Abruf: 28.04.2021).

  4 Hausler, Melanie/Strecker, Cornelia/Huber, Alexandra/Brenner, Mirjam/Höge, Thomas/Höfer, Stefan (2017): Distinguishing
    relational aspects of character strengths with subjective and psychological well-being. Front. Psychol. 8:1159. doi: 10.3389/
    fpsyg.2017.01159.

  5 Minkkinen, Jaana (2013): Structural model of child well-being. Child Indicators Research, 6: 547–558. DOI 10.1007/s12187-
    013-9178-6.

  6 Sarriera, Jorge Castella/Bedin, Lívia Maria (Eds.) (2017): Psychosocial well-being of children and adolescents in Latin Ameri-
    ca. Evidence-based interventions. Springer International Publishing. DOI 10.1007/978-3-319-55601-7.

  7 Kämpfe, Karin (2019): Das Child Well-Being-Konzept. Dies: Kindheiten in europäischen Migrationsgesellschaften. Kinder,
    Kindheiten und Kindheitsforschung, vol 21. Springer VS, Wiesbaden: 27–60: 31.

  8 Rees, Gwyther (2019): Variations in children’s affective subjective well-being at seven years old: an analysis of current and
    historical factors. Child Indicators Research, 12:141–160. https://doi.org/10.1007/s12187-017-9516-1 (Abruf: 28.04.2021).

  80 % der Kinder an, dass sie zufrieden oder                       einer Kennzeichnung zu behaupten. Allerdings
  sehr zufrieden sind mit ihrem Leben, dann                         ist die Gültigkeit eines theoretisch relevanten
  bedeutet das nicht, dass der überwiegende                         Ereignisses besonders dann kritisch zu prüfen,
  Teil der Kinder mit seinem Leben zufrieden                        wenn Personen anhand psychischer Prädika-
  sei. Hier wird eine Aussage auf Kollektiv-                        toren gekennzeichnet werden. Die Zuschrei-
  ebene („die Kinder“) getroffen ohne Ver­                          bungen beruhen auf strukturierten Befragungen
  gleichsobjekt, dort liegen Aussagen auf                           und Interpretationen durch die Wissenschaft
  Individualebene vor, dass ein Kind wohl zu-                       und auf Angaben der Kinder über ihr individu-
  friedener ist als ein anderes. Durch intertem-                    elles Empfinden. Die Distanz zwischen dem ge-
  porale oder interkulturelle Vergleiche, zum                       fühlten und dem geäußerten Wohlbefinden ließe
  Beispiel Zeitreihen oder soziale Schicht, er­                     sich verringern durch andere Verfahren der Da-
  hält man zwar eine Mehrzahl von Kollekti-                         tenerhebung, beispielsweise durch nichtstan-
  ven, und die Interpretationserfordernisse                         dardisierte Befragungen wie narrative Interviews
  können dann auch auf Kollektivebene durch-                        und durch teilnehmende Beobachtung.
  gehalten werden, aber es entstehen neue
  methodische Probleme wie vor allem dasje-
  nige der Vergleichbarkeit von Infor­mationen.18                   Wohlbefinden und Wohl:
                                                                    Grenzziehung und Zurechnung
Beim Entfalten der methodischen Probleme
kann es nicht darum gehen, mit letzter Ver­                         Wissenschaft gründet auf nichtzirkulären und                     18 Siehe Trommsdorff
bindlichkeit die Gültigkeit oder Ungültigkeit                       präzisen Begriffen und auf Aussagen, die                            (2018) in Fußnote 13.

                                                                                                                                      19
Bevölkerung,          Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2021
             Familie

                              theoretisch und empirisch begründet sind.             Politik in der Form legitimierender Verfahren
                              Der englische Begriff „well-being“ kennzeich­         zu entscheiden und zu begründen, welche
                              net einen sozialen, psychischen oder physi-           sozialen Strukturen ein Wohlbefinden des
                              schen Zustand, der sozial oder psychisch              Kindes ermöglichen könnten.19 Auf diese
                              als gut bewertet wird. Der deutsche Begriff           Weise bliebe auch die Grenze erhalten, dort:
                              „Wohlbefinden“ kennzeichnet allein einen              „das Gelingen und Misslingen politischer Ab-
                              psychischen Zustand, der psychisch als gut            sichten zu vermessen“, hier: „Visionen einer
                              bewertet wird. Diese Unterscheidung system­           Optimierung der Kindheit zu entwerfen“.20
                              spezifischer Operationen ist keine abstrakte
                              Wortklauberei, sondern entfaltet ein konkretes        (2) Die Unterscheidung von individuellem
                              Problem der Grenzziehung und Zurechnung               Wohlbefinden und gesellschaftlichem Kindes-
                              von Wohlbefinden und Wohl. Die ausgewähl-             wohl: Man müsste vorsichtig sein, wenn man
                              ten Studien zum Wohlbefinden der Kinder               das eine als Indikator oder gar als Ursache für
                              berichten über eine Teilnahme der Kinder als          das andere sehen will. Abgesehen von extre­
                              Personen an der Gesellschaft und über die             men Situationen, also bei gestörter oder gar
                              Interpretation der Teilnahme aus Sicht von            zerstörter psychischer und sozialer Autono-
                              Wissenschaft und Politik. Das Wohlbefinden            mie, gehen soziale Lebensbedingungen und
                              ist nur im Extremen mit Gewissheit messbar.           subjektives Wohlbefinden nicht unbedingt
                              Die Teilnahme kann zumeist zuverlässig und            miteinander einher.21
                              gültig gemessen werden, die Interpretation
                              kann jedoch normativ sein. Was das Wohl des           (3) Eine gewisse Genügsamkeit der Gesell-
                              Kindes ist, variiert je nach Sicht der Teilsys-       schaft gegenüber dem, was jemand fühlt und
                              teme der Gesellschaft. Die Wirtschaft be-             denkt, und ein Interesse gegenüber dem, was
                              stimmt das Wohl anders als die Politik oder           jemand tut: Die Gesellschaft ist abhängig von
                              das Erziehungssystem und diese wiederum               den psychischen Empfindungen und Zustän-
                              anders als die Familien. Damit kann es in der         den der Menschen. Deshalb kann es ihr nicht
                              modernen Gesellschaft mit ihren Teilsystemen          ganz egal sein, was die Menschen empfinden
                              kein absolutes Wohl des Kindes geben. Erst            und vor allem befinden. Aber genauso wenig
                              recht können die sozialen Bestimmungen                wie die Gesellschaft die Würde des Men-
                              dessen, was das Wohl der Kinder sei, nicht            schen gewährleisten kann, kann sie ein Wohl-
                              identisch sein mit dem, was die Kinder als            befinden des Kindes sicherstellen, wenn die-
                              wohl empfinden und befinden. Das Wohl des             ses mehr ist als der Ausschluss von extrem
                              Kindes ist sozial differenziert und komplex,          Negativem. Denn es beruht auf Vorausset-
                              das Wohlbefinden des Kindes bezieht sich              zungen, auf die die Gesellschaft keinen Zu-
                              auf seine Identität. Konkret in der Praxis von        griff hat. Das Wohlbefinden ist sozusagen un-
19 Baer, Susanne (2018):      Wissenschaft und Politik folgt aus dieser             antastbar. Dagegen hat die Gesellschaft Zu-
   Kein Glücksversprechen:
   Deutsches Verfassungs-     Unterscheidung:                                       griff auf ein dialektisches Verhältnis von per-
   recht und „das gute                                                              sönlichem Interesse als Anspruch auf Wohl­
   Leben“. Mayer, Karl U.
   (Hrsg.): Gutes Leben       (1) Die Umstellung von Was- auf Wie-                  befinden, Zufriedenheit und Glück einerseits
   oder gute Gesellschaft?    Frage: Was das Wohlbefinden des Kindes ist,           und in der Entwicklung des Kindes zuneh-
   Nova Acta Leopoldina
   NF Nr. 417: 179–192.       lässt sich wegen der inhärenten Normativität          mend unpersönlichen Interessen als Anfor­
20 Siehe Zacher, Hans F.      des Konzeptes und der methodischen Un­                derungen der verschiedenen Bereiche der
   (2010): Universale Men-    möglichkeit des unmittelbaren Zuganges zum            Gesellschaft andererseits.
   schenrechte und die
   Wirklichkeit der globa-    Fühlen und Denken weder theoretisch noch
   len Welt – Das Beispiel    empirisch allgemein valide bestimmen und
   der Kinderrechte. Hum-
   boldt Forum Recht, 2:      begründen. Es fehlt der Wissenschaft der
   30, www.rewi.hu-berlin.    Maßstab, ein Wohlbefinden des Kindes ent-
   de/de/lf/oe/hfr/
   deutsch/2010-02.pdf        lang der Unterscheidung wahr und unwahr
   (Abruf: 16.10.2020).
                              zu begründen. Die jeweiligen Konzepte illus­
21 Siehe beispielsweise       trieren den Begriff, aber sie definieren ihn          Weitere Auskünfte erteilt
   Kämpfe (2019: 42) in
   Fußnote 7 sowie            nicht. Sie zählen nahezu arbiträr auf, was            Dr. Bernd Eggen, Telefon 0711/641-29 53,
   Bradshaw, Jonathan/        zum Wohlbefinden gehören mag, aber nen-               Bernd.Eggen@stala.bwl.de
   Martorano, Bruno/Nata-
   li, Luisa/De Neubourg,     nen nicht, wie es möglich ist. Der Wissen-
   Chris (2013): Children’s   schaft kann es also zunächst nur um die
   Subjective Well-being in
   Rich Countries, Working    Frage gehen: Wie ist das Wohlbefinden eines              www.statistik-bw.de/Familie/
   Paper 2013-03, UNICEF
   Office of Research, Flo-
                              Kindes möglich? In einer demokratisch orga­               Leben und Arbeiten
   rence: 24–26.              nisierten Gesellschaft obliegt es dann der                 Familie

                     20
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