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Delirante Syndrome und medizinisch-psychiatrische Komorbidität Ion Anghelescu Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsmedizin Berlin www.charite-psychiatrie.de
Delir • lateinisch delirare: aus der Spur geraten • die Träume einer wachen Person • 2. Jh. n. Chr.: Als Ursachen werden Fieber und Vergiftung beschrieben
Terminologien für das Delir • Akuter Verwirrtheitszustand („Acute confusional state“) • „Organische (exogene, symptomatische) Psychose“ • „Akuter exogener Reaktionstyp“ (Bonhoeffer ) • Amnestisches Syndrom • „Durchgangssyndrom“ (Wieck 1961 )
Delir - Prävalenz (Fann 2000) Bei hospitalisierten medizinischen Patienten: Prävalenz von 10 – 30 %, 32 - 67 % der Delirien jedoch nicht diagnostiziert
Delir - Co-Morbidität • Delir und Demenz: bis zu 30% • Delir und Schlaganfälle: >25% bei Patienten über 40 Jahre • Delir und Hüftchirurgie: ca. 30% • Delir und Intensivmedizin: mind. 10%
Delir - Leitsymptome Störung des: • Bewusstseins • Kognition • Wahrnehmung • Auffassung • Psychomotorik • Schlaf- / Wachrhythmus • Affekt
Delir - Verlauf • Akuter Beginn • Die Symptomatik kann im Tagesverlauf stark schwanken • Symptomatik meist nachts am stärksten ausgeprägt • Gesamtdauer: maximal 6 Monate
Delir – Definition: Bewusstsein Bewusstsein ist eine subjektiv unteilbare Qualität und integriert Wahrnehmung, Gefühl und Gedächtnisinhalt. Bewusstsein hat als Epiphänomen die adaptive Anpassung des Verhaltens.
Delir - Leitsymptom Bewusstseinsstörung • Bewusstseinsniveau: von bewusstseinsklar über somnolent bis zum Koma • Bewusstseinsinhalt bzw. –zusammenhang: Störung der Integration von Erleben, Gedächtnis und Affekt; von Kohärenz bis zur vollständigen Inkohärenz • Wachheit oder Vigilanz: Störung des Erweckungsgrades sowie der Aufmerksamkeit und der Reaktionsgeschwindigkeit
Delir - Störung der Bewusstheit der Umgebung (1) • Die Reagibilität ist verringert - die Person respondiert nicht im üblichen Ausmaß auf Stimuli der Mitmenschen. • Die Person reagiert verzögert. Hiermit ist eine allgemeine, nicht allein motorische Verlangsamung gemeint.
Delir - Störung der Bewusstheit der Umgebung (2) Zuwendung der vollen Aufmerksamkeit • a) Zuwendung der vollen Aufmerksamkeit erfolgt nicht interpersonal, auch nicht bei angemessenen Versuchen, das größte Ausmaß der Aufmerksamkeit zu erlangen. Beispiel: Dem Erklären oder Fragen während der Anamnese widmet der Patient nicht seine volle Aufmerksamkeit; • b) Die Zuwendung der Aufmerksamkeit zu Ereignissen der Umgebung ist vermindert. Beispiel: Die Person schaut beispielsweise nicht zur Tür, wenn eine Person eintritt (unter Berücksichtigung möglicher sensorischer Einschränkungen)
Delir - Störung der Bewusstheit der Umgebung (3) Vergegenwärtigung der Situation bzw. der Interviewthematik a) Die Vergegenwärtigung der Situation bzw. der Interviewthematik gelingt nicht prompt - beispielsweise wie bei einer Person, die aus tiefem Schlaf hochgerissen wird, die prompte Klarheit über die Situation noch nicht gegeben ist. b) Die Vergegenwärtigung der Situation bzw. der Interviewthematik gelingt nicht vollständig, beispielsweise wie bei einer Person, die aus tiefem Schlaf hochgerissen wird, erst mit der Zeit die vollständige Klarheit über die Situation erreicht wird.
Differential-Symptomatologie der Bewusstseinsstörungen als Zeichen einer zerebralen Funktionsstörung • Müdigkeit – lange Schlaflosigkeit • Dissoziative Störung • „Bouffée delirante“ – bei akuten schizophreniformen Störungen
Delir - Symptome: Affekt • Der Affekt weist im Delir eine breite Spannweite von Störungen auf: • Der Patient kann unter starker Angst leiden, apathisch oder depressiv sein • Erregung und Wutanfälle - oft begleitet von Blutdruckanstieg, Tachykardie und erweiterten Pupillen • Es kann zu selbstverletzenden oder selbstgefährdenden Handlungen kommen
Delir - Symptome: Schlaf-Wach Rhythmus • In der Regel – allerdings abhängig von der Ursaceh - ist der Patient tagsüber schläfrig • Der Nachtschlaf ist erheblich verkürzt und fragmentiert. • Oft kommt es nachts zu einer Verstärkung der Delirsymptomatik.
Delir - Symptome: Psychomotorik • Subtypen des Delirs : das hyperaktive (hyperdyname) und das hypoaktive (hypodyname) Delir: • Der hyperaktive Patient zeigt eine Agitiertheit mit raschem gepreßtem Sprechen sowie häufig Halluzinationen, Angst und Ärger sowie aggressives Verhalten. Vegetative Begleitsymptome treten häufiger auf. • Der hypoaktive Patient, im Gegensatz dazu, hat einen verminderten Antrieb, spricht langsam und zögernd und zeigt kaum spontane Aktivität.
Im deliranten Verwirrtheitszustand sind ungestört oder nur leicht gestört: • Elementare Sprach- und Motorfunktionen • Routine-Abruf aus dem Gedächtnis – z.B. Lexikon (Sprachsequenzen) – Nachsprechen • elementare Rechenaufgaben
Im Delir typischerweise ungestört, anders als z.B. beim Koma!
Diagnostische Kriterien - Delir •DSM-IV •Akut •fluktuierend •organische Störung von •Bewusstheit der Umgebung, Aufmerksamkeit •kognitiven / mnestischen Funktionen •ICD-10 zusätzlich: •und psychomotorische •emotionale •circadiane Krankheitszeichen •potentiell: „produktive“ psychotische und/oder vegetative Symptome
Delir - Pathophysiologische Mechanismen • Oxydativer • Serotonerge Stoffwechsel Überfunktion – besonders cholinerge • Cytokine bei Neurone fieberhaften – Wasser: Viskosität etc. Erkrankungen • Cholinerges Defizit • Läsionen/Funktions- • Dopaminerge störungen in kritischen Überfunktion Hirnregionen
Delir - Auslösende Faktoren • Auslösende Faktoren: Eine große Reihe von Erkrankungen, Erkrankungen des Zentralnervensystems, metabolische Störungen, kardiovaskuläre Störungen, systemische Erkrankungen, Intoxikationen, Medikamente auch in üblicher Dosierung. • Oft bestehen mehrere Ursachen gleichzeitig (im Durchschnitt ca. 3 Ursachen).
Delir - Risikofaktoren (in absteigender Bedeutung) •Jede Form einer demenziellen Beeinträchtigung •Patienten „nahe der Demenzschwelle“ (Mangel an Acetylcholin ohne klinische Symptomatik) z.B. mit „Leichter kognitiver Störung“ •Höheres Alter •Gebrechlichkeit, Multimorbidität •Polypharmakotherapie, insbes. Behandlung mit Medikamenten mit anticholinergen UAW •schwere somatische Erkrankung , größere chirugische Eingriffe, Intensivstation •Bestehende Infektion oder Dehydratation •Schlafmangel •Beeinträchtigtes Seh- und Hörvermögen
Ätiologische Gruppen bei akuten organisch psychiatrischen Erkrankungen • Alkohol/ Drogen/ • Degenerativ Medikamente • Cardio-/cerebrovasculär • Infektion/Entzündung • Hypoxie/pulmon. • Ernährung • Traumatisch/Hirn-läsion • Schwermetalle/toxisch (Raumford.) • Endokrin/metabol. • Epilepsie „ACHTE DIESE“ Nach Reischies et al. 2003
Beispiele möglicher Delir - Subtypen • Intoxikationsdelirien / (Substanz-)Entzugsdelirien • anticholinerges Delir • Serotoninsyndrom • postoperative Delirien • hypoxische Delirien • posttraumatische Delirien • post-stroke Delirien
Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen • Verminderung der Affektkontrolle, Frustrationstoleranz • gelegentlich paranoide Gedankeninhalte, (optische, taktile) Halluzinationen, formale Denkstörungen • vegetative Übererregbarkeit • Ataxie, verwaschene Sprache, Zittern, Hyperreflexie Pupillenveränderungen, Nystagmus • Anamnese und Anzeichen von Alkohol‑ oder Substanzmissbrauch (Foetor, Einstichstellen, Spritzenabszesse) • Verlangen nach bestimmten Substanzen (Alkohol, Opiate, Benzodiazepine etc.)
Alkoholentzugssyndrom (I) Das Alkoholentzugsdelir wird in drei Stadien eingeteilt: 4. Unvollständiges Delir („Prädelir“) Es ist gekennzeichnet durch flüchtige Halluzinationen sowie leicht bis mittel- Gradig ausgeprägte vegetative Störungen in Form von erhöhter Schreck- haftigkeit, Schlafstörungen, Schwitzen und morgendlichem Tremor. Es klingt meist, insbesondere bei ausreichender Flüssigkeitszufuhr, ggf. mit Elektrolyt- Substitution, rasch ab. Medikamentös kommt die Gabe von: Clomethiazol (nach Bedarf) bzw. von Carbamazepin, alternativ von Benzodiazepinen (z.B. Oxazepam 7,5 – 15 mg p.o. initial; 15-30 mg/die) in Frage.
Alkoholentzugssyndrom (II) 2. Vollständiges Delir: Klinisch stehen Bewusstseinsstörungen, Orientierungsstörungen, paranoid- halluzinatorische Syndrome, Angst, Unruhe und ausgeprägte vegetative Störungen im Vordergrund. Eine intensive Überwachung ist erforderlich. Die Entscheidung, ob die Behandlung auf einer Spezialstation in einer psychiatrischen Klinik durchgeführt werden kann, oder ob dazu eine internistische Intensivstation erforderlich ist, hängt vom Schweregrad des Delirs bzw. den verfügbaren Therapiemöglichkeiten ab. Nach einer sorgfältigen körperlichen Statuserhebung sind folgende Laboruntersuchungen unerlässlich: Blutbild, Elektrolyte, Blutzucker, Leberwerte.
Alkoholentzugssyndrom (III) 3. Lebensbedrohliches Delir: In Ca. 5-7 % entwickelt sich ein lebensbedrohlicher Zustand des Delirium tremens, vor allem im Zusammenhang mit kardialen und pulmonalen Komplikationen sowie schweren Elektrolytstörungen: Hypokaliämie, Hyponatriämie, Hypokalziämie, Hypomagnesiämie. Die Behandlung auf einer Intensivstation ist meist erforderlich.
Symptome des Alkoholentzugsdelirs (modifiziert nach Salum 1972) Gesamtzahl: 552 Häufigkeit Orientierungsstörungen 100 % Halluzinationen Optisch 97 % Akustisch 79 % gustatorisch/olfaktorisch 6% Wahn Verfolgungswahn 35 % Affektstörungen Angst 65 % Reizbarkeit 48 % Gehobene Stimmung 41 % Aggressivität 32 % Depression 13 % Psychomotorische Störungen Überaktivität 92 % Vegetative Symptome Tachykardie 94 % Blutdruckerhöhung 66 % Fieber 57 %
Beispiele möglicher Delir - Subtypen • Intoxikationsdelirien / (Substanz-)Entzugsdelirien • anticholinerges Delir • Serotoninsyndrom • postoperative Delirien • hypoxische Delirien • posttraumatische Delirien • post-stroke Delirien
Arzneimittel, die zur Ausbildung eines Delirs führen können • anticholinerg wirksame Substanzen (Atropin, trizyklische Antidepressiva, einige Neuroleptika, Antiparkinson-Mittel) • Tranquilizer, Hypnotika (Benzodiazepine, Barbiturate) • Kardiaka, Antihypertensiva (Digitalis, Diuretika, Beta- Rezeptorenblocker etc.) • Antikonvulsiva (Phenytoin, Carbamazepin, Valproinsäure) • Antibiotika (Penicillin, Cephalosporine, Malariamittel, Isoniazid) • sonstige (Lithium, Antidiabetika, Kortikoide, Analgetika etc.)
Atropin-Delir • Atropin: • HWZ 2-3 h • keine Spezifität für M1-M5 Rezeptoren (Ehlert et al. 1995) • Prämedikation: Atropinsulfat s.c. • Anästhesiologische Erfahrung: Centrales Anticholinerges Syndrom (CAS): in ca. 1/oo • bis zu 10% postoperatives Delir (Ruprecht et al. 1990; aber auch durch Komedikation, Hypoxie etc.) • nach 1/2 bis 2 h keine periphere Wirkung mehr • Tier: 0,1 - 1 mg/kg für mnestische Störung bei Ratte (O'Hare et al. 1997)
Niedrige kognitive Leistung bei Personen mit hoher Konzentration anticholinerger Aktivität (SAA) im Serum (anticholinerge Medikation) Epidemiologische Stichprobe, Alter 77 J., N=201 Mulsant et al. 2003
Beispiele möglicher Delir - Subtypen • Intoxikationsdelirien / (Substanz-)Entzugsdelirien • anticholinerges Delir • Serotoninsyndrom • postoperative Delirien • hypoxische Delirien • posttraumatische Delirien • post-stroke Delirien
Serotonin-Syndrom • Agitiertheit • Orientierungsschwierigkeiten • Myocloni • Hyperreflexie • Tremor • Schwindel • Hyperthermie • Schwitzen • Diarrhö
Typische Delir - Bilder Ursache: Klinische Befunde: - Hyperglykämie hoher Blutzucker, Azidose, Dehydratation, Durst, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Tachypnoe, Elektrolytentgleisungen, Pseudoperitonitis - Hyperthyreote Krise hohes Fieber, Tachykardie, Hyperreflexie, Diarrhöe, Schwitzen, Agitiertheit, Angst, Exsikkose, pathologische Schilddrüsen-werte - Hypothyreose Hypothermie, Hypotonie, Hypoventilation, Bradykardie, Myxödem, Apathie, Pseudodemenz - Temporallappen- Anfälle, Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, "eingeengtes" Bewusstsein, Automatismen epilepsie - Phenytoin‑Intoxikation Ataxie, Lethargie, Nystagmus - Alkoholentzug vegetative Labilität, Hyperreflexie, Unruhe, (optische) Halluzinationen
Allgemeine Therapieprinzipien – Delir (I) Alle Psychopharmaka, die deliranten Patienten verabreicht werden, sollten kurz wirken und relativ frei von anticholinergen Wirkungen sein. Älteren Patienten mit Bewusstseinsstörungen sollten keine Benzodiazepine gegeben werden; diese Substanzen beeinträchtigen kortikale Funktionen noch weiter.
Allgemeine Therapieprinzipien – Delir (II) Die Mehrzahl der deliranten Patienten sollte zur weiteren Behandlung und Untersuchung stationär aufgenommen werden. Ein Patient mit einem transienten, medikamenten- induzierten Delir kann jedoch in die Obhut der Familie oder von Freunden entlassen werden, wenn eine anschließende Weiterbetreuung durch den Hausarzt gewährleistet ist.
Allgemeine Therapieprinzipien – Delir (III) Gelegentlich muss ein Patienten vorübergehend fixiert werden, um erkennbaren Eigengefährdungen entgegenzuwirken. Delirante Patienten – ob fixiert oder unfixiert – bedürfen der ständigen Überwachung. Medikamente sollten zurückhaltend eingesetzt werden, vor allem, wenn die Ursachen des Delirs noch nicht vollständig geklärt sind, da sie zu einer Verschleierung der Symptomatik und gelegentlich zu einer Verschlechterung des klinischen Bildes führen können.
Delirante Syndrome – Differenzialdiagnose und Therapie (Zusammenfassung I) Ätiologie Therapie Alkoholinduziertes Entzugssyndrom stationäre Aufnahme mit Delir (Delirium tremens) Behandlung mit Clomethiazol; alternativ Benzodiazepine, ggf. in Kombination mit Haloperidol, Ausgleich von Elektrolyt- störungen, Gabe von Vit. B1 (Thiamin) Delirantes Syndrom durch anticholinerg stationäre Aufnahme wirksame Substanzen induziert, z.B. Absetzen der angeschuldigten Substanz(en) Anticholinergika (Biperiden), trizyklische Haloperidol (2-5 mg p.o, ggf. in Komb. mit AD (z.B. Amitriptylin), trizyklische NL Haloperidol (z.B. Thioridazin) sowie durch andere bei schwerem Delir ggf. Physostigmin unter Zentral wirksame Arzneimittel (z.B. Intensiv-medizinischer Überwachung Dopamin-Agonisten) Delirantes Syndrom bei schweren stationäre Aufnahme somatischen Allgemeinerkrankungen Behandlung der Grunderkrankung z.B. Infektion ggf. Gabe von Haloperidol (2-5 mg p.o., metabolische Störungen alternativ i.m. oder i.v. Elektrolytstörungen Dehydration Herz-Kreislauferkrankungen
Delirante Syndrome – Differenzialdiagnose und Therapie (Zusammenfassung II) Ätiologie Therapie Delirantes Syndrom bei primär stationäre Aufnahme zerebralen Erkrankungen: ggf. Gabe von Haloperidol (0,5-2-5 mg p.o. Demenz (z.B. Alzheimer Krankheit, alternativ i.m., i.v.) Vaskuläre Demenz) Behandlung der Grunderkrankung Tumor Schädel-Hirn-Trauma Hämatome (epi-, subdural) Delirantes Syndrom bei Rauschmitteln stationäre Aufnahme z.B. Drogen in der Regel sofortiger Entzug Haloperidol (2-5 mg p.o, ggf. Lorazepam 1-2,5 mg p.o. (sofern keine Vigilanzminderung vorliegt) Delirantes Syndrom bei Drogen- und Benzodiazepine: schrittweises Absetzen Arzneimittelentzug Opioide: Haloperidol z.B. Opiate Doxepin Benzodiazepine
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