Dem Herzen wieder Kraft geben - Deutsche Herzstiftung
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WAS U N S PAT I E N T E N B E R I C H T E N Detlef Welsch mit seinem Pedelec am Rhein. Trotz Herzschwäche hat er damit 4000 Kilometer im letzten Jahr geschafft. Dem Herzen wieder Kraft geben Detlef Welsch litt an schwerer Herzschwäche. Dann entdeckte er das Fahrradfahren Foto S. 34–35: Detlef Welsch für sich und fand zu ungeahnter Lebensfreude zurück. Detlef Welsch 34 H E R Z h e u t e 4 / 2 02 1
WAS U N S PAT I E N T E N B E R I C H T E N Z weihundert Höhenmeter mit dem Fahr- Ich dachte, es macht keinen Unterschied, ob ich rad geschafft! Ich sitze auf einer Holz- zu Hause sitze oder an meinem Schreibtisch im bank und schaue hinunter in das weite Büro. Doch mein Körper rächte sich. Die Infek- Tal und auf den großen Fluss, dessen Ufer ich tion schlug auf mein Herz, und da lag ich dann: erkundet habe. Nicht dass ich außer Atem wäre mit Schläuchen und Sensoren verkabelt auf der und mich deshalb auf diese Bank setzen müss- Intensivstation. Aus dem Schnupfen war eine te. Nein, mein Puls ist normal, ich kann ent- schwere Herzmuskelentzündung geworden, spannt durchatmen. Ich will einfach nur diesen die mit Blut mangelversorgten Organe stan- Blick genießen – und das Gefühl, den Anstieg den kurz vor dem Versagen. Keine zehn Me- geschafft zu haben mit meinen mehr als zwei ter konnte ich mehr gehen. Lebensgefahr! Die Zentnern Gewicht und meinem schwachen Pumpleistung meines Herzens lag nur noch Herzen. Ich will einfach nur hier sitzen und hi- bei rund 20 Prozent. Als ich nach drei Wochen nunterschauen und mich freuen, dass ich sol- von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt che Touren wieder machen kann. wurde, begann ich, jeden Tag kleine Runden Mein neuer Freund hat mir dabei geholfen. durch die Gänge zu drehen, es waren vielleicht Seit Monaten touren wir gemeinsam durch 100 Meter an den ersten Tagen, jeden Tag wur- die Gegend, Kilometer für Kilometer, Stun- den es ein paar Meter mehr. Doch meine Herz- de für Stunde. Immer dann, wenn ich dachte leistung verbesserte sich nicht. „diese 20 Kilometer da vor mir, die mag ich Nach meiner Entlassung aus dem Kranken- nicht mehr fahren“, gab mir mein Freund das haus trainierte ich zaghaft und vorsichtig wei- Gefühl „zusammen schaffen wir das, ich helfe ter, noch immer war ich ziemlich schlapp, und dir, ich schiebe dich ein bisschen an.“ Ein toller es war auch kein richtiges „Training“, es wa- Freund, ja. Aber er hat kein Herz, und er hat ren nur kurze Spaziergänge, 500 Meter, dann kein Blut in den Adern. Er ist aus Stahl und 800 Meter und bald einen Kilometer. Nach ei- Draht und Gummi und, das ist das Wichtige, nigen Wochen wagte ich mich auf ein Ergome- Professor Günter er hat einen Motor. Mein Pedelec – mein „mit ter, erst 10, dann 15 Minuten lang, irgendwann Hennersdorf Pedal und Elektrizität angetriebenes Fahrrad“, waren es 30 Minuten. Meine Zuversicht stieg (rechts) initiierte wie es im Duden steht, – hat mir neue Wel- und meine Herzleistung auch. Aber sie blieb das Radtraining ten eröffnet, es war die beste Anschaffung seit immer noch deutlich unter 30 Prozent. für Herzkranke. Langem. Manchmal scheint es zu rufen: „Es ist mal wieder Zeit, loszuziehen! Wir beide, komm schon!“ Und dann ziehe ich die Radklamotten an, setze den Helm auf, und wir legen los: am Fluss entlang, durch die Wälder und über die Berge. Wenn ich denke, „da ist es aber steil“ oder „der Weg ist aber noch lang“, dann höre ich den Motor leise schnurren. Und das gibt mir den Anschub, den ich gerade noch brau- che. In die Pedale treten muss ich dennoch. Da ist mein neuer Freund stur. Er chauffiert mich nicht einfach nur so durch die Gegend. Die meiste Arbeit bleibt bei mir. Und das ist gut so. SCHWERE HERZMUSKELENTZÜNDUNG Es fing vor drei Jahren mit einem Schnup- fen und einer Stirnhöhlenentzündung an. Ich nahm Medikamente und ging weiter arbeiten. H E R Z h e u t e 4 / 2 02 1 35
WAS U N S PAT I E N T E N B E R I C H T E N Eines Tages legte mir ein Freund einen Ar- Motor abhängig von der Herzfrequenz steuer- tikel auf den Tisch. „Training mit dem Pedelec te. Ein kleiner Herzsensor baumelte am Brust- hilft Herzkranken“ stand in der Überschrift, gurt – und schon ging es los. Ich saß zum ersten und das Bild dazu zeigte einen freundlich lä- Mal auf einem Pedelec, es war so ähnlich wie chelnden Radfahrer genau auf dem Weg, den Fahrradfahren mit Rückenwind. Auf dem Dis- ich früher auch immer so gerne entlangge- play des Smartphones konnte ich meinen Puls strampelt bin. „Das ist etwas für mich“, dachte sehen und wie viel Motorkraft gerade gegeben ich, griff spontan zum Telefon und rief den auf wurde: Wenn mein Herz schneller schlug, gab dem Bild so nett lächelnden Mann an. Es han- es mehr Motorunterstützung, wenn der Puls delte sich um Professor Günter Hennersdorf, er runterging, schaltete das Gerät das schwerere hat das Herzzentrum Völklingen im Saarland Treten ein. Das begeisterte mich sofort. Der aufgebaut, mag in seinem wohlverdienten Ru- Herzprofessor fuhr der Gruppe voraus, hinten hestand aber nicht ruhen. Lieber fährt er zu- passte ein Sanitäter auf. Ich fühlte mich pudel- sammen mit herzkranken Menschen Fahrrad wohl und medizinisch bestens behütet. und macht eine bundesweit einzigartige Studie daraus. Ich hatte Glück, in seiner Gruppe war LANGSAM KEHRT DIE KRAFT ZURÜCK gerade noch ein Platz frei. Kurze Zeit darauf traf ich die Herzbiker zum Wir trainierten einmal die Woche, und mein ersten Mal. Die Pedelecs wurden gestellt, und Arbeitgeber ermöglichte es mir, an der Studie das Besondere daran war, dass an die Fahrrä- teilzunehmen. Es brauchte nicht viel, meinen der ein Smartphone mit einer besonderen App Chef zu überzeugen, mit dieser Maßnahme montiert war, das die Unterstützung durch den würde ich bald auch im Job wieder fitter wer- den. Und so war es auch. Nach und nach ver- längerten sich die Strecken von 10 auf 20, 30 und schließlich 50 Kilometer. Als die Tempe- RADFAHREN UND HERZMUSKELSCHWÄCHE raturen niedriger und das Wetter nasser wurde, stellten wir die Pedelecs in einer Halle auf Roll- Radfahren und Herzmuskelschwäche sind nach den Er- ständer und strampelten unter Anleitung des gebnissen vieler Studien keine Gegensätze mehr. Da Professors munter weiter. Damit es dabei nicht das elektrisch unterstützte Radfahren gerade für diese zu langweilig wurde, schauten wir uns auf einer Patientengruppe einen großen Gewinn an Lebensqua- Leinwand die Videos von den Fahrradtouren lität bedeutet, ist es dieser Erlebnisbericht eines Stu- im Sommer an. dienteilnehmers wert, in die Öffentlichkeit getragen Schnell spürte ich, wie ich an Kraft gewann. zu werden. Detlef Welsch litt an einer akuten, lebens- Auch insgesamt fühlte ich mich körperlich bedrohlichen Herzmuskelschwäche und massiver Leis- besser. Der Professor analysierte für seine Stu- tungseinschränkung. Durch das gezielte Training in der die nach jeder Trainingstour die von der App Studiengruppe verbesserten sich seine Herzleistung gesammelten Daten, legte Tabellen an und und sein subjektives Wohlbefinden derart markant, zeichnete unsere Fortschritte auf. Parallel über- dass sein Fall als beispielhaft gelten kann. wachten mich ein Studienarzt und mein Kar- Professor Dr. Günter Hennersdorf, diologe: EKG, Ultraschall, Blutwerte – das gan- Studienleiter. Kontakt: g.hennersdorf@web.de ze Programm in regelmäßigen Abständen. Die Siehe auch die Website der saarländischen Herzgruppen unter Pumpleistung meines Herzens stieg allmählich www.herzgruppen-saar.de/publikation-herzbikesaar auf über 30 Prozent. Auch an den Blutwerten Die Studie ist nachzulesen unter: ließen sich deutliche Verbesserungen feststel- Hennersdorf, G. et al. (2020): Über den Einsatz eines neuartigen über die Herzfrequenz gesteuerten Trainingssystems bei Patienten mit len. Das Pedelec in Kombination mit der per einer chronischen Herzinsuffizienz auf dem Pedelec. Preprint. Herzfrequenz gesteuerten Motorschaltung er- doi: 10.1101/2020.08.17.20157867 wies sich als das optimale Trainingsgerät für mich: Der Motor glich situationsabhängig mei- 36 H E R Z h e u t e 4 / 2 02 1
WAS U N S PAT I E N T E N B E R I C H T E N ne Schwächen aus, die Fahrtstrecken konnten immer länger werden. Zusätzlich zu den wö- chentlichen Fahrten mit den Herzbikern trai- »An Sie, liebe Leserin, lieber Leser, nierte ich allein ein- bis zweimal pro Woche. habe ich eine Bitte: Wenn Sie auch so ein Schick- Ich fühlte mich immer besser, hatte deutlich salsschlag erwischt, lassen Sie nicht den mehr Kraft und Ausdauer. Kopf hängen, machen Sie etwas, etwas, dass Am Ende der zweijährigen Studie wurden alle Teilnehmer noch einmal gründlich me- Ihnen Spaß macht – spazieren, laufen oder dizinisch untersucht. Meine Blutwerte hatten mit dem Pedelec radeln. Aber geben Sie nie auf!« sich deutlich verbessert, auch die Pumpleistung Detlef Welsch meines Herzens war gestiegen und lag jetzt deutlich über 40 Prozent – eine Verdoppelung verglichen mit der Situation vor Studienbe- ginn. Bei den anderen Teilnehmern waren die Verbesserungen gleichermaßen gut. Mit dem Ende der Studie war der Spaß für mich nicht vorbei: Ich habe mir selbst ein Pe- war. Es folgten Touren am Rhein entlang, von delec geleistet, ein Mountainbike sollte es sein, Rüdesheim bis Bonn. Dann las ich von einem mit voller Federung und Rädern, mit denen 40 Kilometer langen Radweg rund um den ich auch auf Feld- und Schotterwegen fahren Frankfurter Flughafen. Ich packte das Rad ins kann. Die App aus der Studie nutzte ich weiter, Auto und fuhr nach Frankfurt – und ab ging es orientierte mich beim Fahren an meiner Herz- zu den Aussichtspunkten der Landebahnen, an frequenz und passte die Motorleistung des Pe- den Terminals und am Cargobereich entlang, delecs entsprechend an. mit dem Rad unter dem Runway hindurch und durch den Forst zum Auto zurück. Und bei AN DEN UFERN DER FLÜSSE einer Reise nach Bayern ließ ich es mir nicht nehmen, mit meinem Pedelec 65 Kilometer Mit meiner wiedergewonnenen Kondition und rund um den Chiemsee zu radeln. dem neuen Pedelec konnte mich nichts mehr Der Herbst kam. Aber von den zunehmend halten. Mehr und mehr vergrößerte sich mein kühleren Temperaturen wollte ich mich nicht Radius. Ich erkundete die Saar immer weiter abhalten lassen und auch im Winter fahren. Ich bis hin zu ihrer Mündung in die Mosel. Dann besorgte mir Thermokleidung – und radelte ging es zu den Nebenflüssen: Wo kommen die munter weiter, auch wenn es kalt war. „Sieger Weitere Infor- eigentlich her, was gibt es da zu sehen? Ich werden im Winter gemacht“, heißt es, und ich mationen zu den radelte hin. Der große Fluss in unserer Nähe, habe tatsächlich gewonnen: mehr Kondition positiven Effekten die Mosel, den wollte ich schon immer einmal und mehr Lebensqualität, denn das Training des Radfahrens auf Herz und komplett erkunden. Mit meinem stählernen ist nicht nur gut für Körper und Herz, sondern Kreislauf enthält Freund ging es los, in Abschnitten von 50 bis auch für die Psyche. der Ratgeber 60 Kilometern, vom Europaörtchen Schengen Nach der letzten Fahrt des Jahres 2020 um „Radfahren – gut bis nach Trier, der ältesten Stadt Deutschlands, die Weihnachtstage hatte ich 4000 Kilometer fürs Herz, die Seele und die Um- immer den Windungen der Mosel entlang, auf meinem Tacho stehen. Eine fantastische welt“. Mitglieder durch die Weinberge von einem Winzerort Jahresbilanz. Während der ganzen Zeit ging ich können ihn bei der zum nächsten. Jede Etappe ein Highlight. regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen. Mei- Herzstiftung kos- Als ich mit meinem Rad am Deutschen Eck ne Werte haben sich weiter verbessert und die tenlos telefonisch in Koblenz stand, dort, wo die Mosel in den Pumpleistung des Herzens beträgt nun sogar bestellen (069 955128-400) oder Rhein fließt, war das Gefühl unbeschreiblich: über 50 Prozent. Und noch immer gibt es viel unter bestellung@ Ein Tour-de-France-Sieger kann nicht stolzer zu entdecken: am Rhein und Main, an der Do- herzstiftung.de und glücklicher sein, als ich es an diesem Tag nau oder am Inn ... anfordern. H E R Z h e u t e 4 / 2 02 1 37
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