Depressionen im Alter - Dr. med. Rolf Goldbach Klinik für Alterspsychiatrie Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
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Depressionen im Alter Dr. med. Rolf Goldbach Klinik für Alterspsychiatrie Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Fall 1 • Herr A, 85 Jahre, ehemaliger CEO eines grossen Grafikbüros, Penthousefotograf, geschieden, kinderlos, Seefeldbewohner • Somatische Erkrankungen: KHK, Herzinsuffizienz, COPD, PNP, rezidivierende Stürze • Problem: Herr A wird nach einem Spitalaufenthalt in ein AH ausserhalb Zürichs platziert. Er äussert dort wiederholt den Wunsch mit Exit aus dem Leben zu scheiden, zwei Suizidversuche mit C2 sowie freiverkäuflichen Schlaftabletten, einmalige Fahrt an den See um sich zu ertränken • Verhalten im Altersheim: trinkt verhältnismässig viel Alkohol, stürzt auch dort 2mal, Schläft jeweils bis 13 Uhr, wirkt antriebslos und freudlos
Fall 2 • Frau B, 91 Jahre, Krankenpflegerin und Arztwitwe, lebt in Alterswohnung mit Spitexunterstützung • Somatische Erkrankungen: arterielle Hypertonie, Osteoporose, geringfügig ausgeprägte Arhtrose der grossen Gelenke (Hüfte, Knie) • Psychiatrische Vorgeschichte: rezidivierende depressive Störung, 2 Hospitalisationen wegen einer schweren depressiven Episode, 1. Episode vor 5 Jahren • Aktuelle Ereignisse: Einbruch in die Wohnung der Frau J. im Altersheim, nächtlicher Sturz • Verhalten: zunehmende Nervosität und daran geknüpft Konzentrations- und Sprechschwierigkeiten, häufiges läuten nach der Spitex, perseverierendes Vortragen von Zukunftsängsten, zunehmende Isolation in der eigenen Wohnung, unsicherer werdendes Gangbild
Fall 3 • Frau C, 96 Jahre, ehemalige Buchhalterin einer mittelständischen Firma, kommunikative Persönlichkeit, ledig, Kontakte zu früheren Berufs- kollegen und den Familien der Geschwister, wandert gerne, lebt seit 1 Jahr im Altersheim • Somatische Erkrankungen: keine bekannt • Psychiatrische Vorgeschichte keine • Aktuelle Ereignisse: keine • Verhalten im Altersheim: zunehmender Rückzug im Zimmer, Vernachlässigung von Terminen, reduzierter Antrieb, bleibt häufig morgens lange im Bett liegen, vernachlässigt die Körperhygiene, unternimmt kaum noch Spaziergänge, wortkarg bei Tisch, wirkt nachdenklich und traurig
Rangordnung der Krankheitsbelastung
Altersabhängigkeit der psychiatrischen Morbidität 70 Psychiatrische Prozent Gesamtmorbidität 60 Depression 50 Demenz 40 30 20 10 0 70-74 75-79 80-84 85-89 90-94 95+ Alter Quelle: BASE 1996
Häufigkeit der Depression •100 In % Allgemein- in Privathaus- in Alten- & •90 bevölkerung halten lebend Pflegeheimen •80 > 65 Jahre lebend •70 > 65 Jahre •60 •50 25-45% •40 •30 •20 2-7% 5-10% •10 •0
Depressive Störungen im höheren Lebensalter (nach ICD 10) • F06.31 Organische bipolare Störung • F06.32 Organische depressive Störung • F25.1 Schizoaffektive Störung gegenwärtig depressiv • F31 Bipolare affektive Störung • F32 Depressive Episode • F33 Rezidivierende Depressive Störung • F34 Anhaltende affektive Störungen (Dysthymie, Zyklothymie) • F38 sonstige affektive Störungen • F41.2 Angst und depressive Störung gemischt • F43.2 Anpassungsstörungen
Formen der Depression
Depression: Diagnosekriterien Hauptkriterien Mindestens 2 Kriterien müssen erfüllt sein: • Depressive oder Gedrückte Stimmung • Interessenverlust, Freudlosigkeit • Erhöhte Ermüdbarkeit und Antriebsmangel
Depression: Diagnosekriterien Nebenkriterien / Weitere Symptome • Verlust des Selbstvertrauens /Selbstwertgefühls • Unbegründete Selbstvorwürfe oder ausgeprägte, unangemessene Schuldgefühle • Wiederkehrende Gedanken an den Tod, Suizidgedanken • Klagen oder Nachweis eines verminderten Denk- oder Konzentrationsvermögens • Psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung • Schlafstörungen jeder Art • Appetitverlust oder gesteigerter Appetit mit entsprechender Gewichtsveränderung Leichte Episode 1-2 Kriterien, mittelschwere Episode 3-4 Kriterien, schwere Episode mindestens 5 Kriterien
Verhaltenstherapeutischer Ansatz/Zugang • Kognitive VT A B C Auslösendes Ereignis Grundannahmen Konsequenzen, emotional und verhaltensbezogen • Metakognitives Modell B A M C Auslöse r Metakognitive Überzeugungen Konsequenzen, emotional Cognitive Attentional Syndrome (CAS)
CAS Das CAS besteht aus einem perseverierenden Programm kognitiver Prozesse mit folgenden Elementen • Sich-Sorgen • Grübeln • Lenkung der Aufmerkamkeit auf Gefahrensignale • Dysfunktionale Bewältigungsstrategien wie Gedankenunterdrückung, Vermeidung und Substanzmissbrauch Dieses kognitve Muster hat zur Folge, dass aversive Emotionen und ein Gefühl von persönlicher Bedrohung aufrechterhalten bleiben und das negative Gedanken sich intensivieren (Adrian Wells 2009)
Unterschiede der Altersdepression von Depressionen in anderen Lebensabschnitten • Weniger Traurigkeit • Mehr somatische und • hypochondrische Beschwerden • Gedächtnisstörungen • Mehr Angstsymptome • Mehr Apathie und Antriebslosigkeit
Schwere Depression „Man kann nicht wollen“ Prof. Dr. med Brigitte Woggon
Pathoplastische Effekte des Alters auf das klinische Erscheinungsbild der Depression • Überschneidung von Körperkrankheiten und somatischen Symptomen einer Depression • Bagatellisierung depressiver Symptome – Somatisierungsneigung • Neue neurotische Symptome • Vorsätzliche Selbstschädigung • Kognitive Defizite und „Pseudodemenz“ • Verhaltensstörungen • Persönlichkeitsakzentuierungen • „Spät“ - Alkoholismus
Depression im Alter: Risikofaktoren • wiederholte Depressionen in der Vorgeschichte • depressive Persönlichkeitsstruktur • soziale Isolierung und Einsamkeit • körperliche Erkrankungen • Konflikte mit Angehörigen • mangelnder sozialer Rückhalt
Depression im Alter: Häufigste Auslöser • Verlust der Selbständigkeit infolge körperlicher Erkrankungen • Mangelnder sozialer Rückhalt, Vereinsamung, soziale Isolation, Verlust von Angehörigen und Freunden • Eintritt in den Ruhestand • Soziale Entwurzelung • Finanzielle Sorgen • Negative Lebensbilanz, Auseinandersetzung mit dem Tod • Frühkindliche Trennungs- und andere Negativerfahrungen des Lebens
Körperliche Erkrankungen als Risikofaktoren einer Depression • Schlaganfall OR 1,87; RR für Neuauftreten einer Depression 3,19 • Schwerhörigkeit OR 1,71; RR für Neuauftreten einer Depression 1,92 • Visusverlust OR 1,91; RR für Neuauftreten einer Depression 2,38 • Arthritis OR 2,27; RR für Neuauftreten einer Depression 1,49 • Bluthochdruck OR 1,29; RR für Neuauftreten einer Depression 2,27 • Herzkrankheit OR 1,67; RR für Neuauftreten einer Depression 1,37 • Lungenerkr. OR 2,13; RR für Neuauftreten einer Depression 2,80 • Diabetes OR 1,80; RR für Neuauftreten einer Depression 1,50 • Überlebte Krebserkr. OR 0,87 OR: Wahrscheinlichkeit für Depression bei vorliegender somatischer Erkrankung im Vergleich zu gesunder Kontrollpopulation RR: Relatives Risiko mit Erkrankung eine Depression zu entwickeln im Vergleich zu gesunder Kontrollpopulation Ageing Research Reviews 9/2010 S.131-141
Depressionen: Komplikationen Durchschnittwerte 1996- 2000; Quelle: Todesursachenstatistik BFS
Selbstmord (Rainer Kunze 1984) “Die letzte aller Türen, doch nie hat man an alle schon geklopft”
Geriatrische Depressionsskala (Kurzform) 1. Sind Sie grundsätzlich mit Ihrem Leben zufrieden? Ja / NEIN 2. Haben Sie viele Ihrer Aktivitäten und Interessen aufgegeben? JA / Nein 3. Haben Sie das Gefühl, Ihr Leben sei unausgefüllt? JA / Nein 4. Langweilen Sie sich oft? JA / Nein 5. Sind Sie die meiste Zeit guter Laune? Ja / NEIN 6. Fürchten Sie, dass Ihnen etwas Schlimmes zustoßen wird? JA / Nein 7. Fühlen Sie sich die meiste Zeit glücklich und zufrieden? Ja / NEIN 8. Fühlen Sie sich oft hilflos? JA / Nein 9. Bleiben Sie lieber zuhause anstatt auszugehen und JA / Nein Neues zu unternehmen? 10. Glauben Sie, mehr Probleme mit dem Gedächtnis zu haben als JA / Nein die meisten anderen Leute Ihres Alters? 11. Finden Sie, es sei schön, jetzt zu leben? Ja / NEIN 12. Kommen Sie sich in Ihrem jetzigen Zustand ziemlich wertlos vor? JA / Nein 13. Fühlen Sie sich voll Energie? Ja / NEIN 14. Finden Sie, dass Ihre Situation hoffnungslos ist? JA / Nein 15. Glauben Sie, dass es den meisten Menschen besser geht JA / Nein als Ihnen? 5-9 Punkte milde Depression, 10-15 Punkte schwere Depression
Differentialdiagnose Depression / Demenz Für eine Für eine Demenz Depression spricht (Typ Alzheimer) spricht Depressive Symptomatik stabil Affektlabil, leicht ablenkbar Klagt über seinen Zustand Bagatellisiert, „hat keine Probleme“ „kann und weiß nichts mehr“ Denken ist eher gehemmt, verlangsamt Denken ist eher „durcheinander“ Keine Orientierungsstörungen Desorientierung Typisch: abendliche Verwirrtheits-zustände; abendliche Aufhellung Tag-Nacht-Umkehr Akuter Beginn Langsamer, unklarer Beginn
Depression und Demenz • Häufig treten Depression und Demenz auch gemeinsam auf • Bei der Alzheimerdemenz ist eine Depression häufig ein frühes Symptom. • Bei der vaskulären Demenz bestehen häufig eine ausgeprägte Apathie und Antriebssteigerung. • Ein depressiver Patient mit einer zusätzlicher Demenz braucht intensivere Beteuung, um positive Verhaltensmuster aufrecht erhalten zu können.
Therapie der Depression im Alter: Antidepressiva • SSRI an erster Stelle • Vorteilhafter wegen Nebenwirkungsprofil • Immer noch sehr wenige kontrollierte Studien bei älteren Patienten • Therapieerfolg ähnlich wie bei jüngeren Erwachsenen • Mögliche Nebenwirkungen:Gastrointestinale Unverträglichkeit, Unruhe, Schlafstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen,Cave: Hyponatriämie
Therapie der Depression im Alter: Atypika • Als Augmentationsstrategie bei Major Depression, BipolareStörungen und Depressionen mit psychotischen Symptomen • Bei Therapieresistenz gegen Antidepressiva • Klinische Studien bei älteren Patienten kaum vorhanden, in einzelnen Studien sind ältere Probanden eingeschlossen • Vorteilhafter gegenüber Antidepressiva-Monotherapie inKombination
Vorgehen bei nicht erfolgreicher Pharmakotherapie • Zweites Antidepressivum: SNRI oder Nortriptylin • Kombination von zwei Antidepressiva • Augmentation mit Lithium: Engmaschige Laborkontrollen,Kontraindiziert bei Niereninsuffizienz, Schilddrüsenerkrankungen, Diuretika • Augmentation mit Lamotrigin: Gute Verträglichkeit, lange Aufdosierung • Augmentation mit Pregabalin: Bei Angst und Schlafstörungen • Therapie mit Moclobemid • Elektrokrampftherapie
Depression vorbeugen und vehandeln • Jeder Tag ohne Therapie der drohenden oder bestehenden Depression ist ein verlorener Tag • Keine Wunderheilung erwarten • Aussagen von Bewohnern sehr ernst nehmen: „Ich kann ja nichts mehr, meine Kinder wollten, dass ich in ein Altersheim ziehe, eigentlich bin ich ja selbst Schuld, dass ich häufig gefallen bin, ich bin ja auch nichts als eine Last...“
Depression vorbeugen und behandeln • Zuhören: sich Zeit nehmen, vor allem dem depressiven Zeit geben, aber nicht zu viel Zeit • Bedingungsfrei akzeptieren: akzeptieren, was und wie es dargestellt wird, auch wenn es dem eigenen Verständnis zuwider läuft. Nicht widersprechen • Freundlich zugewandtes Annehmen: Den ganzen kranken Menschen annehmen und nicht nur das Interesse für einzelne Problemkreise wie bestimmte Krankheitszeichen; eine Bezugsperson werden
Depression vorbeugen und behandeln • Vorbehaltloses Verständnis: Die Zuwendung ist an keine Bedingungen oder Leistungen gebunden. Ein Grenzbereich muss aber auch klar kommuniziert werden. • Positive Verhaltensweisen und Äusserungen verstärken • Oberflächlich wirkende Versprechungen vermeiden • Ein ausreichendes Mass an Anforderungen / Aufgaben organisieren und festlegen • Gemeinsam ein therapeutisches Ziel setzen. Positives Denken verstärken
Präventive Ratschläge • Sich Wert schätzen beobachten • Sich Entlastung gönnen • Soziale Kontakte beibehalten und • Verantwortung übernehmen / aufbauen abgeben • Sich ärztliche und therapeutische • Geduldig sein Hilfe gönnen • Aktiv werden statt abwarten • Gesünder und positiv denken • Nicht nur andere machen lassen • Probleme an- und aussprechen • Freunde haben und Freundschaft • Offener auf andere Menschen erhalten zugehen • Sich als depressiv zu akzeptieren • Auch mal nein zu sagen • Seine Wirkung auf andere
Falsche Ratschläge • Apelle: Zusammenreissen, nicht so gehen lassen, Haltung bewahren, durchbeissen • Überredungsversuche: einreden, es gehe im Grunde doch gut (das weiss der Patient selber) • Unrichtige Versprechungen: Nichts Versprechen, was man nicht einhalten kann; keine Hoffnung machen, die sich nicht erfüllen kann • Entscheidungen in der Depression fällen lassen: Schwierige Entscheidungen dem Patienten vorübergehend abnehmen • Wahnideen nicht ausreden: Keine Diskussionen über Wahninhalte oder Ideen
Zusammenfassung • Depressionen im Alter sind behandelbar wie andere Krankheiten auch. Unbehandelt führen sie zu einer starken Reduktion an Lebensqualität und erhöhen das Risiko zunehmender körperlicher Behinderung und somatischer Erkrankungen. • Die Pflege im Altersheim bietet einen guten Rahmen für die Wahrnehmung depressiver Gefühle bei Bewohnern. Diese sollten ernst genommen werden und über Gesprächsangebote sollten mögliche Betreuungsschritte aufgezeigt werden. • Die Basis für die Betreuung von Menschen mit Depressionen ist die Ermöglichung positiver Erfahrungen. Hierfür bieten einfühlsam geführte Gespräche eine gute Basis. Eine spezifische ärztliche Betreuung ist auf jeden Fall anzustreben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit Dr. med, Rolf Goldbach Oberarzt / Konsiliardienst Klinik für Alterspsychiatire / GPZ Minervastrasse 145 8032 Zürich
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