Der 109. Deutsche Bi blio thekartag 2021 in Bremen - De ...
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ABI Technik 2021; 41(4): 267–276 Tagungsbericht Joachim Dinter, Dominik Hagel, Franziska Harnisch, Tabea Klaus, Miriam Kötter, Gunther Kunze, Mirco Limpinsel-Pesavento, Sina Menzel, Anne Rethmann, Cosima Wagner, Janet Wagner Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen https://doi.org/10.1515/abitech-2021-0045 2 N eue bibliothekarische Handlungsfelder 1 E inleitung Die gegenwärtig stattfindenden medialen und gesell schaftlichen Veränderungen und die mit ihnen verbun Die diesjährige Veranstaltung war aus diversen Gründen denen Herausforderungen für Bibliotheken bildeten auch eine besondere. Nach dem pandemiebedingten Ausfall dieses Jahr den thematischen Rahmen großer Teile der 2020 konnte in diesem Jahr ein hybrides Format angebo Veranstaltung. So loteten mehrere, ganz unterschiedliche ten werden. Dadurch konnten circa 100 Personen an zwei Beiträge neue bibliothekarische Handlungsfelder aus. Tagen vor Ort in Bremen live und mehr als 2 000 Interes sierte online teilnehmen. Die Themen unter dem Motto „In der Fremde und Zuhause – Wagen und Gewinnen“ waren 2.1 O ER-Strategien und Datenkompetenz breit gestreut von neuen bibliothekarischen Handlungs feldern über strategische Planungen in Bibliotheken bis Zunehmendes bibliothekarisches Interesse gilt beispiels zum Themenkomplex Bibliothek und Gesellschaft. weise dem Thema Datenkompetenz, dem sich die Session Die Übertragung der Veranstaltung ins vorwiegend „OER-Strategien und Datenkompetenz“ widmete. In ihrem Digitale kann als gelungen bezeichnet werden – vor allem Vortrag zum Thema „Datenkompetenz als neue Schlüssel mit Blick auf die Inhalte. Besonders praktisch ist in diesem kompetenz – Welche Rolle haben Bibliotheken?“ behan Jahr, dass die Videoaufzeichnungen der Vorträge und Dis delte Simone Fühles-Ubach (TH Köln) die Frage, wie sich kussion auch im Nachhinein abrufbar sind. Abstriche Bibliotheken bei der Vermittlung von Kompetenzen im mussten natürlich in Bezug auf Begegnungen gemacht Bereich Data Literacy einbringen können. Das am Insti werden. Es ist zu hoffen, dass im nächsten Jahr eine Ver tut für Informationswissenschaft der TH Köln entwickelte anstaltung vor Ort mit allen, die das wünschen, stattfin Mehrebenen-Modell zu den verschiedenen Aspekten der den kann, bei der gleichzeitig die Vorteile aus diesem Jahr Datenkompetenz zeigte sehr eindrücklich die Komplexität berücksichtigt werden. des Themas und stellte dessen Relevanz als Zukunftsfeld Eine weitere Besonderheit des Kongresses 2021 war für die Arbeit von Bibliotheken heraus. die Initiative zur Umbenennung des Veranstaltungstitels, Unter dem Titel „Ein Forschungsdatenrepositorium die sich während der laufenden Veranstaltung bildete. Im für den Austausch von Learning Analytics Daten“ stellte Kern geht es darum, die Diversität und Vielfalt der Themen Ian Wolff (UB Magdeburg) ein Verfahren zur Analyse und Teilnehmenden auch in der Bezeichnung der Veran von Daten vor, die Lehrende und Lernende während der staltung widerzuspiegeln. Aus diesem Grund wurde die Nutzung von Lernplattformen erzeugen. Innerhalb des Petition „Zeitgemäßer Name für den ‚Bibliothekar‘tag“ Kontexts Hochschule ließ sich der hohe Anwendungsbe gestartet, die nach zwei Wochen bereits über 1500 Unter zug des jungen Forschungsfeldes unschwer erkennen, da schriften erreicht hatte.1 Die Beitragenden dieses Be die verwendeten Analysemodelle dabei helfen können, richts unterstützen diese Initiative. Der erste digitale Lernprozesse und -probleme sichtbar zu machen und auf Bibliothekartag könnte daher zugleich der letzte „Biblio diesem Weg zum Beispiel Abbrecherquoten zu reduzieren. thekartag“ gewesen sein. Ein Forschungsdatenrepositorium erweist sich in diesem Prozess als hilfreich, um Daten zu aggregieren und um fangreichere Analysen zu ermöglichen. 1 https://www.openpetition.de/petition/online/zeitgemaesser- Im abschließenden Vortrag von Anna Arndt (SLUB name-fuer-den-bibliothekartag (17.09.2021). Dresden) „Kooperative Entwicklung von Services zu Open Open Access. © 2021 Joachim Dinter et al., published by De Gruyter. This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.
268 Tagungsbericht Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen Educational Resources an der SLUB Dresden gemeinsam Selbstkritisch merkte Greenhall in seiner Präsen mit der TU Dresden“ schwenkte der Fokus der Session auf tation zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie den Bereich der offenen und nachnutzbaren Lehr- und auf die RLUK-Bibliotheken an, dass sie trotz des „Digi Lernmaterialien. Auf Grundlage eines gemeinsamen Stra tal-Shift“-Strategieprozesses weniger auf die digitalen An tegiepapiers etablieren beide Einrichtungen derzeit unter forderungen vorbereitet gewesen seien, als bei der Erstel schiedliche Formate, um Lehrende über Open Educational lung des Manifests angenommen. „Digital Poverty“ und Resources zu informieren und zum Mitmachen anzuregen. der ungleiche Zugang zu digitalen Informationen seien Die Vielzahl an Fragen aus dem Plenum unterstrich die Re nun stark in den Fokus gerückt, aber auch Chancen wie levanz des Themas, machte aber auch deutlich, dass es die Entwicklung von neuen Serviceformaten, von denen noch an entsprechenden Anreizen für Hochschulmitglie er eines am Beispiel der Virtual Reading Rooms (VRR) der zum Teilen der eigenen Lehrmaterialien mangelt. näher erläuterte. Diese seien zunächst als pragmatische Lösung für die Unterstützung von Forschenden einge richtet worden, damit diese mittels Video-Konferenz 2.2 # digitalshift technologie und Scannern, die individuell von Biblio theksmitarbeitenden für die jeweiligen Forschenden vor Neben dem intensiven Austausch zu allen bi blio Ort bedient wurden, auf nicht-digitalisierte Medien aus Bi theksbezogenen Themen mit der deutschsprachigen Fach bliotheken zugreifen zu können. Mit derartigen Formaten community gab es auch die Gelegenheit für einen „Blick beweise die Bibliothek ihre rasche Reaktionsfähigkeit und über den Tellerrand“ nach Großbritannien. Unter dem Titel Serviceorientierung für ihre Nutzenden, in Großbritannien „#digitalshift – Digitale Transformation und Openness kämen diesen „Embedded Services“ daher auch zukünftig in deutschen und britischen wissenschaftlichen Biblio eine wichtige Bedeutung zu. theken“ hatten der Verein Deutscher Bibliothekarinnen In der anschließenden Diskussion wurde das Thema und Bibliothekare (VDB) und der Fachverband Research der Marktmacht von kommerziellen Unternehmen in Libraries UK (RLUK) eine Diskussionsveranstaltung orga wissenschaftlichen Bibliotheken noch einmal aufgegrif nisiert, die zugleich als Auftakt für einen weiteren Aus fen. Wichtig sei es, Grundprinzipien zum Beispiel für tausch zwischen beiden Ländern dienen sollte. Moderiert die Lizenzierung von Medien festzulegen, die bei jedem von Ewald Brahms (UB Hildesheim) berichteten Torsten Beschaffungsprozess bezüglich Datensicherheit usw. an Reimer (Leiter der Abteilung „Content and Research gewendet werden sollten. Bibliotheken sollten sich ihrer Services“ der British Library) und Matthew Greenhall Marktmacht stärker bewusstwerden und international auf (stellvertretender Präsident von RLUK) über die „Digi diesem Gebiet zusammenarbeiten. tal-Shift“-Initiative der britischen Forschungsbi blio theken. Bereits im vergangenen Jahr hatte RLUK mittels eines Strategieprozesses ein Digital Shift Manifesto2 mit 2.3 N achhaltigkeit dem Ziel entwickelt, sich als wissenschaftliche Biblio theken aktiver in die Gestaltung des Aufgabenfelds der Das Thema ökologischer, ökonomischer und sozialer „digitalen Transformation“ einzubringen statt sich davon Nachhaltigkeit, das im Digital Shift Manifesto ebenfalls treiben zu lassen. Im Manifest werden dazu für Biblio adressiert wird, war auch Gegenstand einer weiteren theken insbesondere die stärkere Entwicklung von Fähig Session. Neben der vom Deutschen Bibliotheksverband keiten zur Technikfolgenabschätzung, mehr Kenntnisse (dbv) dargestellten Übersicht zur Positionierung der im Bereich Künstliche Intelligenz und die Stärkung der Bibliotheken zur Agenda 2030 und den 17 Zielen für nach digitalen Gestaltung von Geschäftsprozessen hervorge haltige Entwicklung wurden mehrere Praxisbeispiele vor hoben. Dabei sollte jedoch das Vertrauen der Nutzenden gestellt. in Bibliotheksinfrastrukturen nicht dadurch verspielt Patricia Fasheh (Stadtbücherei Schwarzenbek) und werden, dass mehr und mehr „Closed Systems“ von kom Susanne Brandt (Büchereizentrale Schleswig-Holstein) merziellen Anbietern in Bibliotheken verwendet würden, gaben Einblicke zur Vernetzung lokaler Bi bliotheken. die zum Beispiel ein Datentracking ermöglichen, und das Seit letztem Jahr gibt es den „Runden Tisch Grüne Biblio Gegenteil von Transparenz und ansonsten viel beschwore theken in Schleswig-Holstein“.3 Neben der Bündelung ner Offenheit darstellten. gemeinsamer Aktivitäten wie die Teilnahme an den jährli 3 https://www.bz-sh.de/leistungen/fortbildungen-und-veranstaltun 2 https://www.rluk.ac.uk/digital-shift/ (17.09.2021). gen/runder-tisch-gruene-bibliotheken (17.09.2021).
Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen Tagungsbericht 269 chen „Aktionstagen Nachhaltigkeit“ im September wurde an sprachlichem Input zahle sich in jedem Fall aus und dazu aufgerufen, die „bibliothekarische Blase“ zu verlas habe keine negativen Auswirkungen auf das Erlernen der sen und proaktiv lokale Zusammenarbeit anzubahnen. Mehrheitssprache. Es gehe vor allem um eine altersge Eindrückliche und nachhaltige Projekte, die aus diesem rechte mehrsprachige Medienversorgung. Dabei können Ansatz bereits entstanden, sind: die mobile Saatgutbiblio Bibliotheken wichtige Hilfestellung leisten. Wie diese thek zum Erhalt alter Saatgutsorten, das Projekt „Erzähl aussehen kann, wurde in der Folge vorgestellt. Krystyna wege“ und auch die vielfältigen Angebote zur „Bibliothek Strozyk und Gudrun Möwes-Butschko berichteten von der Dinge“ in den einzelnen Bibliotheken, die das grund der Ein- und Weiterführung des Projekts Mulingula,5 das legende Prinzip „Leihen statt Kaufen“ als eine Strategie multilinguale Leseaktivitäten im analogen und digitalen der nachhaltigen Entwicklung unterstützen und fördern. Raum verknüpft. Darüber hinaus präsentierte Silke Schu Der Ermittlung der eigenen Klimabilanz widmeten mann (Stadtbücherei Frankfurt am Main) unterschiedli sich die Stadtbibliothek Berlin-Pankow und die Stadtbü che bereits existierende Plattformen und Werkzeuge,6 die cherei Norderstedt. Gefördert als Projekt der Kulturstif Bibliotheken zur multilingualen Leseförderung einsetzen tung des Bundes wurden von Herbst 2020 bis Januar 2021 können. Bei der Auswahl wurde besonderer Wert auf die alle direkten und indirekten Treibhausgasemissionswerte sprachliche Authentizität und Nähe zur Lebensrealität der in den Bereichen Strom- und Energieverbrauch, Mobilität, Kinder gelegt. Die Bedeutung der Leseförderung liegt auf Fuhrpark, Abfall und Müll und Elektroschrott innerhalb der Hand: Solche Maßnahmen können entscheidend zur der Einrichtung ermittelt und ausgewertet. Tim Schumann Inklusion bildungsbenachteiligter und/oder sozial stigma (Stadtbibliothek Berlin Pankow) berichtete von einem ent tisierter Gruppen beitragen und stellen daher eine essenti wickelten Maßnahmenkatalog zur konkreten Einsparung elle Dienstleistung öffentlicher Bibliotheken dar. Dennoch von Emissionen. Klimabilanzierungen seien ein erster und ist die Intersektion von Digitalisierung und Multilinguali wichtiger Schritt für Bibliotheken, um interne und externe tät auch für wissenschaftliche Bibliotheken ein relevantes Prozesse in der eigenen Einrichtung hinsichtlich Ressour Feld (Beispiel: Forschungsdatenmanagement) und bedarf ceneinsparungen und Emissionsreduzierung anzustoßen. in Zukunft sicherlich größerer Aufmerksamkeit. Die validen Werte einer Klimabilanz können dazu bei tragen, im eigenen Bibliotheksteam für das bedeutende Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren und ein Umden 2.5 C o-Working ken herbeizuführen. Klaus Ulrich Werner (UB Freie Universität Berlin) sprach über Co-Working-Spaces und die davon ausgehenden 2.4 S prachenvielfalt Inspirationen für den Lernort Bibliothek. Das Selbstver ständnis von Bibliotheken als Lernort hat sich grund In dem von Miriam Schmidt (Stadtbibliothek Magdeburg) legend gewandelt. Zunehmend sind Bibliotheken leben und Britta Schmedemann (Stadtbibliothek Bremen) orga dige, öffentliche Orte, die mit neuen Raum-Ideen den nisierten und moderierten Themenkreis „Politische und sehr unterschiedlichen Bedürfnissen der Nutzerinnen gesellschaftliche Sprachenvielfalt und Digitalisierung“ und Nutzer gerecht werden wollen. Zusätzlich zum tra lag der Fokus auf der Rolle digitaler Medien für den ditionellen „stillen Arbeitsplatz“ einerseits und kommu (Zweit-)Sprachenerwerb von Kindern, sowie am Rande nikativen Zonen andererseits gehören heute geschützte auch um deren Einsatz in der Erwachsenenbildung. Den Räume für kleine Arbeitsgruppen, Schulungsräume sowie theoretischen Überbau lieferte Marija Smuda Duric (Inter multifunktionale Flächen für kreative Aktivitäten wie nationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit der Lud zum Beispiel Makerspaces zum Profil von Bibliotheken. wig-Maximilians-Universität München), die gegen das Co-Working-Räume können jedoch noch mehr bieten für Zerrbild des defektiven Spracherwerbs argumentierte, der das gemeinsame Arbeiten: eine durchgängige (online) gerade Kindern unterstellt wird, deren Anderssprachig Betreuung für die IT-Infrastrukturen, eine Bar mit Selbst keit als besonders „markiert“ gelten kann:4 Die Vielfalt bedienung zu Kaffee, Tee und Softdrinks oder auch Ein 4 Also solche Kinder, deren Erstsprache nicht Englisch, Französisch 5 https://www.mulingula-praxis.de/ (17.09.2021). oder möglicherweise eine andere (westeuropäische) Sprache ist, 6 Netzwerk GDL (Global Digital Library): https://digitallibrary.io; deren Beherrschung/Verwendung mit einem gewissen Prestige aus Bilingual Picturebooks: https://www.bilingual-picturebooks.org/; gestattet ist. Amira: https://www.amira-lesen.de/#page=home (alle 17.09.2021).
270 Tagungsbericht Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen richtungsgegenstände wie ein Teppich. Zusätzliche Räume 2.7 O pen Access und Open Science für die Entspannung mit Hängesesseln, Tischkicker oder Bewegungszonen können das Co-Working-Konzept in Open-Access-Dienstleistungen sind inzwischen Teil des seiner Gänze abrunden. Der klassische Lesesaal ist wei Kerngeschäfts von wissenschaftlichen Bibliotheken und terhin gewünscht, reiht sich jedoch zukünftig in die ver damit jedes Jahr ein Thema von großem Interesse. 2021 schiedenen anderen Raumangebote von Bibliotheken ein. waren drei Sessions im Themenkreis „Content und Digi talisierung“ den Fragen rund um Open Access in Biblio theken gewidmet. 2.6 Z um Status quo des Fachreferats Den Beginn machte am Mittwochmorgen die Session „Open Access – Chancen und Risiken“. Angela Holzer Wie sich, auch angesichts all dieser Entwicklungen, das (Deutsche Forschungsgemeinschaft – DFG) stellte darin traditionelle Fachreferat entwickelt, war Gegenstand die beiden neuen DFG-Förderprogramme aus dem Open- einer von Vivien Petras (Humboldt-Universität zu Berlin) Access-Bereich vor: „Infrastrukturen für wissenschaftli moderierten Diskussionsveranstaltung. Bei der von den ches Publizieren“ und „Open-Access-Publikationskosten“. beiden VDB-Kommissionen für forschungsnahe Dienste Letzteres gewährt einen Zuschuss zu Publikationskosten und für Fachreferatsarbeit organisierten Veranstaltung wissenschaftlicher Einrichtungen und soll damit die kamen sowohl Fachreferentinnen und Fachreferenten Transformation hin zu einer publikationsbasierten Finan (Björn Gebert, Fachreferent für Geschichte, Theologie und zierung von Open-Access-Artikeln unterstützen. 2021 war Kunst an der ULB Münster, und Sibylle Hermann, Fach die Anzahl der Anträge höher als von der DFG erwartet referentin für Maschinenbau an der UB Stuttgart) als auch und das Antragsvolumen ist entsprechend überzeichnet. eine Bibliotheksleiterin (Maria Elisabeth Müller, Direkto Die entstehenden Mehrkosten für Open-Access-Publika rin der SuUB Bremen) und ein Wissenschaftler (Albrecht tionen können nicht von der DFG allein getragen werden. Hausmann, Professor für kulturwissenschaftliche Mediä Abschließend stellte Angela Holzer die Rahmenbedingun vistik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) gen für eine nachhaltige Open-Access-Transformation vor zu Wort. Deutlich wurden dabei zunächst die Breite und und ging dabei auch genauer auf die wesentliche Rolle der fachspezifisch sehr unterschiedliche Akzentuierung der Bibliotheken als Vermittlung zwischen Forschenden und forschungsnahen bibliothekarischen Arbeit. Der Anteil Verlagen ein. von Tätigkeiten, die dem Fachreferat klassischer Prägung Im Anschluss folgte der Vortrag „Open-Access-Trans zugerechnet werden können, ist teilweise so gering, dass formationsverträge – Entwicklungen in Deutschland und selbst der Terminus „Fachreferat“ in Frage gestellt werden international“ von Kai Geschuhn (Max Planck Digital muss. Bei allen Unterschieden in den verschiedenen Library – MPDL). Zunächst wurden die Hintergründe von Disziplinen zeigte die Diskussion, dass die wesentliche Transformationsverträgen vorgestellt und anschließend Komponente der Tätigkeit von einzelnen Fächern dezi auf die von der MPDL gegründete ESAC Initiative (Effi diert zugeordneten Bibliothekarinnen und Bibliothekaren ciency and Standards for Article Charges) eingegangen,7 eine Übersetzungs- und Vermittlungsfunktion zwischen die einen internationalen Austausch zu diesem Thema er dem Dienstleistungsportfolio der Bibliotheken und dem möglicht. wissenschaftlichem Personal ist. Die Diskussion verlief Den Abschluss der Session bildete der Vortrag „Das insofern unglücklich, als sich die Diskutierenden hierfür Lesen der Anderen: User Tracking auf Verlags-Plattfor auf die Metapher des Brückenkopfes (d. i. im Wortsinn men“ von Renke Siems (Baden-Württembergisches Mi eine militärische Stellung auf feindlichem Territorium) nisterium für Wissenschaft und Kunst). Siems berichtete einigten. Besonders erhellend für die bibliothekarische über den rasanten Anstieg von Data Analytics durch Groß Gemeinschaft sollten die Beiträge Albrecht Hausmanns verlage. Das User-Tracking stellt ein finanziell bedeuten sein, der aus der Perspektive des Wissenschaftlers auf die des neues Geschäftsfeld für die Verlage dar. Ob und wie Schwierigkeiten der Interaktion zwischen Forschenden Datenprodukte weiterverkauft oder -verwendet werden, ist und Bibliotheksmitarbeitenden hinwies und klarmachte, mangels Transparenz jedoch weitgehend unklar. Passend dass offene Kommunikation und eine „verwandte wis wurde die aktuelle Situation daher als ein neues Modell senschaftliche Sozialisation“ Voraussetzung für eine pro von Double Dipping beschrieben: „Autor*innen bezahlen duktive Zusammenarbeit ist. Die Podiumsdiskussion bot mit APCs, Nutzer*innen mit ihren persönlichen Daten“. Ansätze zur Vermessung eines komplexen Zusammen Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, werden drin hangs, der im Rahmen eines o-bib-Themenheftes weiter ergründet werden soll. 7 https://esac-initiative.org/ (17.09.2021).
Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen Tagungsbericht 271 gend regulatorische Maßnahmen benötigt. Diese Forde Offenheit nicht als Ziel, sondern als Basis zu verstehen, rung unterstützt auch der Ausschuss für Wissenschaft von der aus die Rolle der Bibliothek im Wissenschaftskon liche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI) der text neu verhandelt werden könne. DFG in einem Informationspapier zum Datentracking in Juliane Stiller (Agentur You, We & Digital) stellte in der Wissenschaft.8 ihrem Vortrag erste Ergebnisse einer Online-Konsultation Am Donnerstag folgte eine Podiumsdiskussion zum vor, die in Zusammenarbeit mit dem Open-Access-Büro Thema „Wie finanzieren wir die Open-Access-Transfor Berlin an Wissenschafts- und Kultureinrichtungen des mation?“ geleitet von Klaus-Rainer Brintzinger (UB der Landes durchgeführt wurde. Identifiziert werden sollten Ludwig-Maximilians-Universität München). Ursprünglich an den Einrichtungen bereits bestehende Praktiken und schon als zentrale Veranstaltung für den Bibliothekartag Einstellungen zum Themenkomplex Open Research, um 2020 geplant, wurde diese Diskussion nun aufgrund der ein Bewusstsein für größtmögliche Offenheit in allen aktuell steigenden Bedeutung ins Digitale verlegt. Anwe Phasen des Forschungszyklus zu schaffen und eine send vor Ort auf dem Podium waren der Generalsekretär Grundlage für die Formulierung einer Berliner Open-Sci der Hochschulrektorenkonferenz Jens-Peter Gaul, Kons ence-Strategie zu legen. tanze Söllner (UB Erlangen-Nürnberg) und Ralf Brugbauer Aus der Arbeit an der Digitalisierungsstrategie (UB Bayreuth). Jens-Peter Gaul stellte zunächst die Erfolge des Bundes für den Kulturbereich berichtete Frédéric der DEAL-Verhandlungen vor, worauf ein Bericht über Döhl (DNB) in seinem Projektbericht. Der Anspruch des die Erfahrungen der beiden Bibliotheken folgte. Dabei sparten- und institutionsübergreifenden Strategieprojekts standen die Nachzahlungen im Rahmen der DEAL-Ver ist es, kulturelle Arbeit im digitalen Wandel sichtbar zu träge im Mittelpunkt, die aufgrund der Differenz der ver machen und prioritäre Arbeitsfelder des öffentlichen Kul einbarten Zahlungen und der Anzahl der veröffentlichten turbereichs für die kommenden Jahre zu umreißen. Artikel beim jeweiligen Verlag resultieren. Der von der Uni Zum Abschluss der Session wurde im Beitrag von Eli versität Erlangen-Nürnberg geforderte Nachzahlungsbe sabeth Engl (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel) der trag war so hoch, dass er nicht geleistet werden kann und Fokus auf die technische Umsetzung gelegt. Das von der auch im Bereich der Gold-Open-Access-Journals scheint es DFG geförderte Vorhaben OCR-D zur Digitalisierung von aufgrund von steigenden Artikelzahlen keine Kostenkon Drucken aus dem 16.–19. Jahrhundert geht in seine mitt trolle mehr zu geben. Es sei daher im Moment unklar, ob lerweile dritte Projektphase und macht den Schritt von die Universität die Kosten für DEAL zukünftig tragen kann. der Pilotphase in die bibliothekarische Praxis. Dargestellt Auch Ralf Brugbauer betrachtet die Entwicklungen mit wurden Herausforderungen beim Rollout der Software Sorge. Nachdem wie zuvor berichtet das DFG-Förderpro und die vielfältigen Anwendungsszenarien bei der Mas gramm „Open-Access-Publikationskosten“ überzeichnet sendigitalisierung. Eine User-Community soll zukünftig ist, sei es ungewiss, wie die Kosten für die DEAL-Verträge Unterstützung im täglichen Betrieb leisten. in Zukunft aufgebracht werden können. Darüber hinaus wurde mehr Transparenz in Bezug auf die zu leistenden Zahlungen gefordert. In der Sektion „Auf dem Weg zu mehr Openness“ ging 3 S trategische Planung in es um verschiedene Perspektiven der bibliothekarischen Bibliotheken Arbeit in Zeiten von Open Science, wobei der rote Faden zwischen den einzelnen Slots nicht immer erkennbar war. Großes Interesse erhielten die Fragen der strategischen Diskussionsanregend war der Beitrag von Marcel Knö Planung und des Managements, konkret also die Frage: chelmann (University College London), der über „Das Wie können Bibliotheken als Organisationen auf Heraus gerechtere Publizieren und die Bibliothek der Zukunft: forderungen jeglicher Art reagieren. Über nationale Transformationen und deren lokale Ver wirklichungen“ referierte. Marcel Knöchelmann vermisst eine Debatte darüber, wie wissenschaftliches Publizieren 3.1 P rojektplanung und strategisches in Zukunft aussehen soll und warf Bibliotheken vor, sich Management durch die Versteifung auf Open Access an der Engführung der Diskussion zu beteiligen. Geboten sei es aber vielmehr, In der Session „Projektplanung und strategisches Manage ment“ präsentierte Olaf Eigenbrodt (SUB Hamburg) fünf 8 https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/ Thesen zum Verhältnis aktueller bi bliothekarischer datentracking_papier_de.pdf (17.09.2021). Herausforderungen und bibliothekswissenschaftlicher
272 Tagungsbericht Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen Antwortangebote und gab damit den folgenden Vorstel petenz und Feedbackkultur“ vorgestellt und diskutiert. lungen aus der Bibliothekspraxis einen intellektuell anre Während Scheitern nach wie vor häufig als Hinderungs genden Rahmen. Olaf Eigenbrodts Aufriss behauptete (1) grund gesehen wird, Projekte anzugehen, verstanden die die Notwendigkeit sowohl historischer Reflexion als auch Referentinnen und Referenten – Martin Lee (UB der Freien (2) soziologischer Information bibliothekarischen Han Universität Berlin), Caroline Leiß (UB der Technischen delns, adressierte (3) die Verhandlung ethischer Grund Universität München) Wolfgang Stille (hessian.AI – Hessi lagen ebenso wie (4) die Theorie von Organisations- und sches Zentrum für Künstliche Intelligenz), Frauke Untiedt Managementkulturen und wies (5) auf die nicht-techni (Stiftung Hamburger Öffentliche Bücherhallen) und schen Aspekte der Digitalisierung hin – womit ein sehr Danilo Vetter (Stadtbibliothek Berlin Pankow) – Fehler vielseitiges Themenangebot dargelegt wurde, das in den als notwendiges und potentiell chancenreiches Moment einzelnen Vorträgen nur teilweise aufgegriffen werden jeglicher Projektarbeit, insbesondere wenn es darum konnte. geht, neue Formate zu entwickeln. Die verbreitete Angst, Dass der von Olaf Eigenbrodt skizzierte Problemkom Fehler zu machen, habe einen großen Anteil daran, dass plex in der Praxis sehr verschieden skaliert werden muss, insbesondere der Öffentliche Dienst weitgehend agili machte der Vortrag von Michaela Jobb (Bibliothek Wirt tätsfeindlich sei. Die Referierenden forderten dement schaft und Management der TU Berlin) deutlich, der das sprechend neue Kulturen des Sprechens über Fehler und Managementinstrument des Retreats zur Einbindung der stellten exemplarisch Projekte vor, die gescheitert sind. Mitarbeitenden in die Projektplanung und gleichzeitigen Aus diesem Scheitern aber, darin stimmten alle überein, Entlastung der Bibliotheksleitung vorstellte. haben sie Entscheidendes gelernt. Über eine ungewöhnliche Zusammenarbeit berichte ten Christian Osterheld (ZB Zürich) und Benjamin Scher (Universität St. Gallen), die gemeinsam versuchen, durch 3.3 E inbeziehung der Nutzenden die digitale Transformation bewirkte Verunsicherungen der Bibliothek produktiv zu machen. Zu diesem Zweck Ein Thema, das sich bereits 2019 in vielen Vorträgen wurde 2018 eine Forschungspartnerschaft zwischen der zeigte, war in diesem Jahr noch deutlicher zu erkennen: ZB Zürich und dem RISE Management Innovation Lab der die Einbeziehung Nutzender für eine menschzentrierte Universität St. Gallen ins Leben gerufen, in deren Rahmen Weiterentwicklung von Bibliotheken. Als zentrale Begriffe Benjamin Scher als teilnehmender Beobachter den Stra fielen hier immer wieder „Benutzungsforschung“ und tegieentwicklungsprozess der Bibliothek begleitet und „Partizipation“. unterstützt. Dass Kompetenzen auf diesem Gebiet einen eindeu Martin Lee und Christina Riesenweber (UB der Freien tigen Mehrwert und neue Möglichkeiten in Bibliotheken Universität Berlin) berichteten vom Strategieentwick bringen, beschrieb Romy Hilbrich in ihren Beiträgen auf lungsprozess der Universitätsbibliothek der Freien Uni dem Podium „Kundenorientierung quergedacht: Neue versität Berlin, der das Bibliothekssystem mit dem bis Kompetenzen für neue Services (?)“ des dbv eindrücklich. dahin unabhängigen Center für digitale Systeme der Uni Sie bekleidet seit 2018 die Stabsstelle für „Nutzerforschung versität zusammenführte. Der Schwerpunkt wurde dabei und Statistik“ an der Staatsbibliothek zu Berlin, die dort auf eine nutzerorientierte und wandlungsfähige Ausrich bei der Leitung der Benutzungsabteilung angesiedelt ist. tung der Gesamtorganisation gelegt. Basierend auf einem Auch Claudius Lüthi (ZB Zürich) griff im Block „Agil systemischen, der Komplexität der Umwelten Rechnung und smart im Team“ die Rolle Benutzungsforschung für tragenden Ansatz wurde in einem extern begleiteten, die Produktentwicklung auf. Der Ansatz „Lösung sucht ein partizipativen Prozess das Konzept einer zukunftsfähigen Problem“ gehe hier „immer schief“. Man müsse vielmehr Universitätsbibliothek entwickelt, in der nicht zuletzt die durch Forschung die Bedürfnisse der Nutzenden erkennen Organisationsentwicklung einen festen Platz innerhalb und dafür Lösungen suchen. Empirie sei hier höher zu be der Organisation hat. werten als bloße Annahmen. Im selben Block berichteten Linda Freyberg (Urban Complexity Lab der Fachhochschule Potsdam) und Sabine 3.2 F ehlerkultur Wolf (Stadtbibliothek Berlin-Mitte) von Partizipation an Bibliotheken als Smart Libraries. Im Kontrast zum Begriff In der von Frank Scholze (DNB) moderierten Veranstal der „Kooperation“ hoben sie hervor, dass „Partizipation“ tung unter dem Titel „Dumm gelaufen“ wurden „Beispiele die Gleichwertigkeit der Partnerinnen und Partner voraus des produktiven Scheiterns zum Aufbau von Fehlerkom setze, jedoch verschiedene Ausprägungen haben könne.
Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen Tagungsbericht 273 Die Partizipationspyramide9 biete hier einen Überblick dem Bibliothekar und Mit-Übersetzer Oliver Schoenbeck über verschiedene Grade der Beteiligung, die von Infor (Bi blio theks- und Informationssystem der Universität mieren hin zu Eigenaktivitäten der Nutzenden reiche. Oldenburg), dem Bildungswissenschaftler Karsten Speck Martin Holtorf und Jörg Räuber beschrieben die neues (Universität Oldenburg) und dem Informationswissen ten Aktivitäten der DNB im Bereich Benutzungsforschung. schaftler Joachim Griesbau (Universität Hildesheim). Auch Eine aktuelle qualitative Studie aus dem September 2020 wenn es Details zu kritisieren gäbe und die Übertragung bezog sich dabei auf die Frage, wie sich die Aussetzung vom angloamerikanischen auf den deutschen Kontext der Nutzungsgebühren und die Corona-Lage individuell nicht immer reibungsfrei möglich sei, begrüßten die Dis auf Vor-Ort Nutzende der DNB auswirkt. In Kurzinter kutanten das Framework doch prinzipiell. Gerade aktuell views wurden dabei viele positive, aber auch einige ne sei die Förderung des Hinterfragens und Abwägens von gative Auswirkungen der fehlenden Nutzungsgebühren Informationen im Rahmen der Informationskompetenz strukturiert erfasst. Eine erste praktische Auswertung der eine wichtige Aufgabe, auch und gerade in Bibliotheken. Interview-Ergebnisse ist die Anpassung der buchbaren Zeitslots für Arbeitsplätze mit Hygienekonzept nach Wie dereröffnung. Parallel fand 2020 die aktuellste quantita 4.2 C itizen Science tive Nutzendenbefragung der DNB statt. Auch hier stellten sich im Vergleich zur letzten großen Befragung 2016 einige Vielfältige Möglichkeiten für Bibliotheken, ein Gegen neue Erkenntnisse heraus, die oftmals auch mit den ver gewicht zu Verschwörungstheorien und sogenannten änderten Nutzungsbedingungen während der Pandemie alternativen Fakten zu setzen, liegen in den verschiedenen zusammenhingen. Formaten von Citizen Science, der Beteiligung von Laien an Auch im Bereich Öffentlicher Bi blio theken wurde wissenschaftlichen Forschungsprojekten. Thomas Kaars die Einbeziehung Nutzender immer wieder in Projekt ted (University of Southern Denmark) hielt ein enthusias vorstellungen deutlich. Die Vorträge der beiden Blöcke tisches und inspirierendes Plädoyer für das Engagement „Lernräume im Wandel I + II“10 zeigten zum Beispiel, dass von Bibliotheken im Zusammenhang mit Citizen Science. partizipative Prozesse bei der Um- oder Neuplanung von Bibliotheken könnten als Hubs für Citizen Science das Bibliotheksbauten eine immer wichtigere Rolle spielen. Bindeglied zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, Wis Das betonte Ragna Körby (Stadtplanerin von der TU Kai senschaftsinstitutionen, Schulen und der Politik sein. Ins serslautern) und zeigte viele anschauliche Beispiele für besondere als Beispiele für die Umsetzung der Sustainable aktuelle Entwicklungen von Bibliotheken im Stadtbild. Development Goals der Vereinten Nationen existierten in Bibliotheken in Deutschland bereits zahlreiche Citizen Science nahestehende Projekte.11 Thomas Kaarsted ermu 4 B ibliothek und Gesellschaft tigte die Bibliotheken, dieses Engagement zukünftig fort zusetzen und auszubauen. Die beiden Wissenschaftlerinnen Melike Peterson Die Zeit der COVID-19-Pandemie ist auch durch den spür (Universität Bremen) und Katja Thiele (Universität Bonn) baren Zuwachs von Verschwörungstheorien, Fake News nahmen Citizen Science aus der Perspektive der Forschung und Rechtspopulismus gekennzeichnet. Gleich mehrere für und mit Bibliotheken in den Blick. Citizen Science Beiträge setzen sich mit diesem Problemkomplex aus als partizipativer Forschungsstil bereichere durch neue einander. Impulse die Wissenschaftskommunikation und fordere etablierte Methoden, Prozesse und Hierarchien heraus. Stefan Wiederkehr (ZB Zürich) berichtete von den 4.1 F ramework for Information Literacy for Chancen von Citizen Science für Bibliotheken. Vor allem Higher Education für Bi blio theken mit einem besonderen historischen, lokalen Bestand böten sich im Zusammenhang mit der Anlässlich der kürzlich erschienenen deutschen Über Digitalisierung nicht nur vielfältige Möglichkeiten der un setzung des „Framework for Information Literacy for terstützenden und forschenden Beteiligung der Citizens – Higher Education” gab es eine Podiumsdiskussion mit den Kundinnen und Kunden der Bibliothek. Durch Citizen Science entstünden einerseits neue Fragestellungen an 9 www.partizipationspyramide.de (17.09.2021). 10 Siehe auch die Zusammenfassungen einzelner hier beschriebe den Bestand und zugleich gewährleisteten die Infrastruk ner Vorträge als Blogbeitrag unter https://b-u-b.de/bibliothekartag- 2021-blog/ (17.09.2021). 11 https://www.biblio2030.de/beispielsammlung/ (17.09.2021).
274 Tagungsbericht Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen turen der Bibliotheken die nachhaltige Bereitstellung der Ebert-Stiftung. Das vom Deutschen Zentrum Kulturgut Ergebnisse aus den Projekten – eine vielversprechende verluste finanzierte Projekt beinhaltet die Überprüfung Verbindung. von etwa 18 000 projektrelevanten Büchern. Ziel der sys tematischen Bestandsüberprüfung ist die virtuelle Rekon struktion der historischen SPD-Parteibibliothek vor 1933. 4.3 R iffreporter Sebastian Finsterwalder (ZLB Berlin) unterstrich in seinem Vortrag, dass der offene Umgang mit erhobenen Die seit 2014 laufende Masterclass Wissenschaftsjournalis Forschungsdaten unerlässlich ist für eine erfolgreiche mus ermöglicht es, neue Formate in und mit Bibliotheken Provenienzforschung. Forschungsdaten wie Autogramme, zu entwickeln. In der Veranstaltung „Journalismus in die Widmungen, Exlibris werden direkt nach der Erfassung Bibliothek. Die Riffreporter-Masterclass 2020“ berichteten online in die Provenienzdatenbank „Looted Cultural zwölf Journalistinnen und Journalisten exemplarisch von Assets“ gestellt. Anhand der Identifikationsgeschichte des ihren Projekten. Sie nutzen bibliothekarische Räume, um Exlibris von Ernst G. Preuß zeigte Sebastian Finsterwalder, den Nutzenden ganz unterschiedliche Themen zu vermit wie wichtig sowohl die Veröffentlichung von Provenienz teln. Indem sie teils ihren Schreibtisch für einige Wochen daten als auch die Inanspruchnahme von Hinweisen aus in der Bibliothek platzieren, soll zudem die journalistische der Bevölkerung für die eigene Arbeit ist. Arbeit transparenter werden. Auch für diese Form der Tomasz Łopatka berichtete von seiner Katalogisie Zusammenarbeit bieten Bibliotheken eine ideale Umge rungsarbeit in der Forschungsbibliothek des Herder-In bung. stituts. Zwischen 2016 und 2019 wurde ein Teilbestand, der aus der ehemaligen Publikationsstelle Berlin-Dahlem stammte, auf Provenienzspuren hin untersucht. Es han 4.4 M edien an den Rändern delte sich um 17 500 Bände, die unter NS-Raubgutverdacht standen. Die erste Restitution sei in Planung. Das Her Um ein dezidiert bibliothekarisches Problem im Zusam der-Institut erstellte eine eigene Access-Datenbank. Mitt menhang mit Verschwörungstheorien und Fake News lerweile sind circa 11 000 Titel im eigenen Katalog mit Pro ging es in der Vorstellung von „Medien an den Rändern“: venienzmerkmalen versehen und mit der GND verknüpft. Wie sollen Bibliotheken mit Medien umgehen, die „an Die Moderatorin Regine Dehnel fasste die Beiträge des den Rändern“ lokalisiert sind, die also beispielsweise Panels treffend zusammen: Bei der Provenienzforschung rechtspopulistische Inhalte haben? Einigen technischen gehe es um Öffentlichkeit, Transparenz, Vernetzung und Störungen zum Trotz skizzierten vor allem Tom Becker nicht zuletzt um die Erinnerung an die Menschen, denen (TH Köln) und Beate Meinck (Stadtbibliothek Reutlingen), die Bücher geraubt wurden. mit welchen konzeptuellen Fragen und Probleme sich Diese Aspekte wurden in der Podiumsdiskussion die noch junge Arbeitsgruppe befasst. Im Chat entspann „Provenienzforschung – Und was haben wir davon?“ sich eine lebhafte Diskussion über anzuwendende Krite weiter diskutiert. Ulrich Johannes Schneider (UB Leipzig) rien. Der „Expert:innenzirkel“ ist, das machte Tom Becker moderierte die Runde mit Christiane Hoffrath (USB Köln), deutlich, offen für die Beteiligung weiterer Kolleginnen Robert Langer (Sächsische Landesfachstelle für Biblio und Kollegen. theken) und Regine Dehnel (Staatsbibliothek zu Berlin). Ulrich Johannes Schneider hob dabei hervor, dass Bi bliotheken mit der eigenen Provenienzforschung einen 4.5 P rovenienzforschung großen Beitrag für weitere Forschungen leisten. Regine Dehnel griff diesen Gedanken auf und verwies darauf, Im Gegensatz zur Existenz von NS-Raubgut im Kunst dass Provenienzforschung andere Forschungen erst er handel und in Museen ist der breiten Öffentlichkeit weit möglicht wie Institutionengeschichte, Buchgeschichte weniger bekannt, dass der Raub von Kulturgütern im und Biographien. Bei Provenienzforschung gehe es, so großen Umfang auch Bücher betraf. Es ist daher sehr Christiane Hoffrath, auch nicht allein um Wiedergutma begrüßenswert, dass dieser Thematik mit drei Veranstal chung, sondern um Forschung, Dokumentation und Resti tungen gebührend Platz eingeräumt wurde. In der ersten tution. Das sei kein Nice-to-Have, keine moralische Frage, Veranstaltung „Provenienzen in der Praxis“ standen sondern eine zentrale Aufgabe von Bibliotheken, Archiven Berichte aus dem Arbeitsalltag der Provenienzforschung und Museen, die seit 1999 mit der Gemeinsamen Erklä im Vordergrund. Hannah Schneider berichtete von ihrer rung zudem auch eine Verpflichtung ist. Robert Langer, Arbeit im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich- der zuvor in der Provenienzforschung in der Stadtbiblio
Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen Tagungsbericht 275 thek Bautzen arbeitete, wies auf die Schwierigkeit hin, ein Michael Dominik Hagel Bewusstsein für NS-Raubgut in Bibliotheken zu schaffen, Wissenschaftskolleg zu Berlin Wallotstraße 19 wenn keine Infrastruktur vorhanden ist. In seiner derzei 14193 Berlin tigen Position als Leiter der Sächsischen Landesfachstelle hagel@wiko-berlin.de für Bibliotheken sieht er in dem Vernetzungsaspekt eine orcid.org/0000-0002-8850-5622 wesentliche Aufgabe. Die Veranstaltungen haben verdeut licht, dass Provenienzforschung 1. ein selbstverständli Franziska Harnisch cher Bestandteil bibliothekarischen Arbeitens sein sollte, Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin Garystraße 39 2. der Kooperation und des freien Zugangs zu Forschungs 14195 Berlin daten bedarf und 3. Erinnerung an diejenigen Menschen f.harnisch@fu-berlin.de ermöglicht, denen nicht nur die Bücher, sondern in den orcid.org/0000-0002-7863-1836 meisten Fällen auch ihre Leben brutal genommen wurden. In Zeiten, in denen der Ruf nach einem Schlussstrich in Tabea Klaus Zentral- und Landesbibliothek Berlin Deutschland wieder lauter wird, ist Provenienzforschung Breite Straße 30–36 aktueller denn je. 10178 Berlin-Mitte tabea.klaus@zlb.de orcid.org/0000-0002-2791-1053 5 S chluss Miriam Kötter Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin Die Konferenzteilnahme in rein digitaler Umgebung blieb Fasanenstraße 88 auch nach über einem Jahr Pandemieerfahrung gewöh 10623 Berlin miriambernard@gmx.de nungsbedürftig. So ließ die Software offenbar nur einen orcid.org/0000-0002-7253-2933 Login zugleich zu, so dass die Verbindung sofort beendet wurde, wenn man an einem „Second Screen“, einem Gunther Kunze zweiten Gerät, einen kurzen Blick ins Programm werfen Ibero-Amerikanisches Institut Preußischer Kulturbesitz wollte. Von solchen Unannehmlichkeiten abgesehen funk Potsdamer Straße 37 tionierte die technische Umsetzung aber einwandfrei. Zu 10785 Berlin orcid.org/0000-0002-3715-6178 kurz kam hingegen die Möglichkeit, sich mit Kolleginnen und Kollegen zu vernetzen, was ja eigentlich, neben den Mirco Limpinsel-Pesavento inhaltlichen Impulsen, eine Hauptfunktion der ganzen Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin Veranstaltung sein sollte. Speziell für Neulinge war es Garystraße 39 praktisch unmöglich, sich auszutauschen und zu ver 14195 Berlin limpinsel@ub.fu-berlin.de netzen. Die sich in den Chats mitunter entspinnenden orcid.org/0000-0002-4301-6892 Anschluss- und Paralleldiskussionen waren zwar inhalt lich oft interessant, aber kein adäquater Ersatz für das Sina Menzel Gespräch in der Kaffeepause. Insofern bleibt dringend zu Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin hoffen, dass die Veranstaltung im nächsten Jahr wieder in Garystraße 39 physischer Präsenz stattfinden kann. 14195 Berlin sina.menzel@fu-berlin.de orcid.org/0000-0003-1798-2672 Autoreninformationen Anne Rethmann Zentral- und Landesbibliothek Berlin Breite Straße 30–36 Joachim Dinter 10178 Berlin Alice Salomon Hochschule Berlin anne.rethmann@zlb.de Bibliothek orcid.org/0000-0001-7632-7550 Alice-Salomon-Platz 5 12627 Berlin dinter@ash-berlin.eu orcid.org/0000-0002-9918-2769
276 Tagungsbericht Joachim Dinter et al., Der 109. Deutsche Bibliothekartag 2021 in Bremen Cosima Wagner Janet Wagner Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin Garystraße 39 Garystraße 39 14195 Berlin 14195 Berlin cosima.wagner@fu-berlin.de janet.wagner@fu-berlin.de orcid.org/0000-0003-4957-3478 orcid.org/0000-0001-6428-1372
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