09/10 2021 DSO-Nachrichten Feiern Sie mit! - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
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Robin Ticciati im Gespräch Saisoneröffnung beim Musikfest Berlin 75 Jahre DSO Feiern Sie mit! DSO-Nachrichten 09/10 2021
2 Inhalt Editorial 3 Liebe Leserin, lieber Leser, voller Optimismus blicken wir in die neue Spielzeit. Mit auf- regenden Programmen und großartigen Gästen, voller Mu- sizierlust und Tatendrang kehren das Orchester und sein 3 Editorial Chefdirigent Robin Ticciati im September aus der Sommer- pause zurück. Die Saison 2021/2022, die mit Kammermusik 4 Robin Ticciati im Gespräch im Freien beginnt und im Rahmen des Musikfests Berlin 10 75 Jahre DSO offiziell eröffnet wird, ist keine gewöhnliche: Das DSO feiert seinen 75. Geburtstag – mit Jubiläumskonzerten im Novem- 14 Aktuelles zum Konzertbesuch ber sowie Schlüsselwerken der Orchestergeschichte, die die 16 DSO PLAYER gesamte Spielzeit durchziehen. Auch in den DSO-Nachrich- ten nehmen wir historische Wegmarken in den Blick, wer- 18 Saisonauftakt mit Robin Ticciati fen Schlaglichter auf große Künstler*innen und legendäre 24 Igor Strawinsky Ereignisse. Mehr zum Thema ›75 Jahre‹ lesen Sie ab → S. 11. 26 Konzertkalender Trotz der aktuellen Erleichterungen im Kulturleben wird 29 Impressum uns die Pandemie mit Einlass- und Abstandsregeln, Mas- kenpflicht und kurzfristigen Änderungen sicher noch eini- 31 Kammerkonzerte ge Zeit begleiten. Wir hoffen, dass Sie diesen Weg mit uns 32 Sir Roger Norrington weitergehen und danken Ihnen, unserem Publikum, schon jetzt für Ihre Treue aufs Herzlichste. Wir wünschen Ihnen 34 Berthold Goldschmidt viel Vergnügen beim Lesen dieser Ausgabe und freuen uns 36 Symphonic Mob sehr, Sie möglichst bald wieder in einem unserer Konzerte begrüßen zu dürfen. Die Abonnements sind bereits seit Juni 38 Kent Nagano und Mari Kodama erhältlich, der Einzelkartenverkauf für die neue Spielzeit be- 42 Berlin braucht Musik! ginnt am 16. August. 46 Neue CD mit Robin Ticciati Herzliche Grüße Ihr Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 48 Ferenc Fricsay 51 Jubiläumsbroschüre
Im Gespräch 5 Saison 21/22 Robin Ticciati Offener Horizont Chefdirigent Robin Ticciati über die neue Spielzeit Maestro, das DSO bricht in eine besondere Sai- son auf: Es wird 75, ein Grund zur Freude! Das ist die eine Seite. Die andere: Hinter uns liegen eineinhalb Jahre, in denen das Orchester nur eine Handvoll Konzerte in der Philharmonie geben konn- te. Die neue Saison ist auf Hoffnung gebaut. Wie bringen Sie diese widerstrebenden Kräfte und Gefühle in Ihrer Konzertplanung zusammen? Vor allem durch den »Spirit« des Orchesters und durch ein vertieftes Nachdenken über das, was wir sind, was wir wollen, und was wir in allen erdenklichen Kommunikations- formen mit unseren Mitmenschen teilen können. Und auch durch eine neue Reflexion über unsere Kunst, die Musik. Das DSO hat in seiner Geschichte viele Krisen gemeistert. Die Fähigkeit, in ihnen Zeichen eines Aufbruchs zu entde- cken und sie als Chance zu begreifen, macht das Ethos des Orchesters aus. Diese Einstellung hat sich in der Pan- demie einmal mehr bewährt. Das Herausgerissenwerden
6 Im Gespräch 7 aus einem scheinbar stabilen Lebenslauf hat Ebenbilder bringen. Auch unser Januarprogramm, das dem spannen- auch in der Musik. Das zeigt schon das Programm zur Sai- den Kräftedreieck Beethoven – Berlioz – Schumann gewid- soneröffnung beim Musikfest → S. 18. Dessen Schwerpunkt met ist, folgt diesem Ansatz. Was wir entwickeln, löscht liegt diesmal auf dem Spätwerk Strawinskys. Gemeinsam die Tradition nicht, sondern führt sie weiter, gewichtet und mit dem Rundfunkchor Berlin stellen wir die ›Requiem Can- beleuchtet sie neu. ticles‹ in den Mittelpunkt – das Fragment einer Totenmesse mit »einem jener Schlüsse«, wie es Pierre Souvtchinsky ein- Dem Jubiläumsprogramm am 19. und 20. November ver- mal sagte, »die nicht oder erst im Unendlichen enden und leihen sie einen anderen Zuschnitt. Welche Idee verbirgt mit denen Strawinsky die abendländische Musik über den sich dahinter? Kanon der klassischen Symphonie hinaus um eine Dimensi- Bei einschlägigen Jahrestagen blickt man meist zurück. In on bereichert hat«. Wir beschließen unser Konzert mit dem unserem Jubiläumskonzert wollen wir den Blick nach vorn Adagio aus Gustav Mahlers unvollendeter Zehnter Sym- richten, genauer gesagt: Wir wollen Herkunft und Zukunft, phonie. Eine Woche später spielen wir Bruckners Neunte Erinnern und Weiterdenken verschränken. Aus dieser Idee → S. 22, ebenfalls ein unvollendetes Werk; das Adagio, dem haben wir unser Programm entworfen. Vaughan Williams noch ein großes, in Teilen ausgeführtes Finale folgen sollte, nahm sich in seiner Tallis-Fantasie ein Thema aus alter Zeit nimmt einen langen Abschied, der ebenfalls in die Ewigkeit vor und betrachtete es aus der Perspektive seiner Gegen- zu verklingen scheint. Es geht in beiden Programmen um wart. Ähnliches haben wir anschließend mit einer Orchester- Vollendung und Unvollendetes, um Unabgeschlossenes und improvisation im Sinn. Die Fähigkeit, aus der Intensität des Endgültiges. Bei allen Unterschieden in Stil und Hintergrund Augenblicks spontan zu gestalten, haben wir in den letzten der Werke besteht zwischen ihnen ein innerer Gleichklang. Jahren Schritt für Schritt kultiviert. Auf Antonín Dvořák, der Ihre Intensität hat mit dem Blick in die Zukunft als schlecht- sich in den drei Jahren, die er in den USA wirkte, für die Mu- hin unbekannte und ungewisse zu tun, den wir in der Pan- sik der Indigenen und der Afroamerikaner einsetzte, antwor- demie neu erkennen gelernt haben. ten wir mit einer Jazzimprovisation. Die große Freude, mit einer so exzellenten Solistin wie Lisa Batiashvili auf die Be- Ihre nächsten Programme fallen in den Jubiläumsmonat. deutung der französischen Musik für unsere Programme zu Beim ersten Konzert am 12. November folgt einem mo- blicken, setzt sich in der Orchestervirtuosität von Strauss’ dernen Werk (Julian Andersons ›Crazed Moon‹) ein klas- ›Don Juan‹ fort, die »der Jugend Feuerpulse fliegen« lässt. sisches Solokonzert (Beethovens Viertes Klavierkonzert In der Mitte steht ›Sudden Time‹, ein Stück über Zeitverrü- mit Mitsuko Uchida), den Abschluss bildet Rachma- ckungen, die aus einem Donnerschlag entstehen. Sir George ninoffs Dritte, eine große nachromantische Symphonie. Benjamin komponierte es vor 30 Jahren, es wirkt wie eine Das klingt eher konventionell ... brandaktuelle Metapher. Wir werden natürlich auch in Zukunft Programme von klas- sischer Struktur erarbeiten. Diese Form lässt unterschied- Sie spielen auf den lautlosen Donnerschlag der Pande- lichste Ausgestaltungen und viele Innovationen zu. Sie bietet mie an, den Sie und das DSO als Weckruf aufgenom- uns die Möglichkeit, Werke aus einem riesigen Repertoire- men haben: Schafft Neues! Sie haben es getan, haben fundus in immer neue und interessante Konstellationen zu Musikfilme im Tempodrom, in der Friedrichswerderschen
8 Im Gespräch 9 … einen glänzenden Violinvirtuosen und Improvisator. Ja, einen kreativen Musiker, der das Spontane liebt. Ich freue mich auf das ›Neue vom Tage‹ mit ihm. Das zweite Vorhaben im April ist eine auf die Philharmonie abgestimm- te Version des Filmprojekts, das wir im Frühjahr im Tempo- drom mit Reinhold Messner realisiert haben. Er spricht an bestimmten Stellen der ›Alpensinfonie‹ über die Extrem- situation des Bergsteigens an den höchsten Gipfeln dieser Erde, über Angst und Weite, Ausgeliefertsein und Beste- henkönnen, über den schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Strauss’ symphonische Dramaturgie erhält dadurch existenzielle Intensität; sie wird durch eine Lichtregie mit der Suggestion eines riesigen, wechselhaften Raumes über und um uns verstärkt. Der ›Alpensinfonie‹ stellen wir ein neues Werk von Julian Anderson voran, das sich ebenfalls Robin Ticciati bei Aufnahmen zum Film ›Im Exil – von Göttern mit Raum- und Grenzerfahrungen auseinandersetzt. und Menschen‹ im November 2020 Werden Sie am 20. März auch Bartóks Oper ›Herzog Kirche, im Wald und im Green Screen Studio produziert, Blaubarts Burg‹ in Szene setzen? Ensembles traten an Deck von Bussen und Schiffen, in Nein, denn wir bauen in unserer Arbeit auf zweierlei: auf einem Ballon und an prominenten Plätzen der Stadt auf. die Steigerung, die Musik durch Mittel von außen gewin- Sie waren überaus kreativ. Was nehmen Sie davon mit in nen kann, etwa durch Licht, Szene oder gesprochenes Wort, die neue Saison? aber auch auf die Gegenbewegung, auf die Art, wie Musik Wir beginnen sie mit dem Wochenende ›Berlin braucht Mu- Emotionen, Temperamente und Farben einer Szene voll- sik!‹ mit Kammerkonzerten im öffentlichen Raum → S. 42. kommen in sich konzentrieren kann. Solche Deutlichkeit In der Philharmonie sind es konkret zwei Projekte. Das eine zeichnet Bartóks Partitur, aber auch Péter Eötvös’ Orches- nennen wir ›Neues vom Tage‹. Wir geben Konzerttermine terfantasie über den Flug des Adlers und Hans Zimmers Mu- bekannt, dieses Jahr den 19. und 20. Dezember, das Pro- sik zu den Batman-Filmen aus. So vermittelt dieses Projekt gramm legen wir aber erst kurz vorher fest. Während der zwischen der experimentellen und der geschichtsfundierten Pandemie mussten wir oft unsere Pläne von einem auf den Seite unserer Jubiläumssaison. Wohin beide uns führen wer- anderen Tag ändern und neue Ideen schnell entwickeln und den, wissen wir zum Gück noch nicht. Der Horizont ist offen! umsetzen. Darin lag auch ein Vorzug: Wir konnten direkt auf die Situation reagieren. Bei den in unserem Metier bislang Das Gespräch führte HABAKUK TRABER. üblichen Planungsfristen schien das unmöglich – aber ich halte es für nötig. Außer den Terminen steht nur fest, dass wir Pekka Kuusisto an unserer Seite haben …
75 Jahre DSO 11 Saison 21/22 Jubiläum Feiern Sie mit! In der Spielzeit 2021/2022 begehen wir das 75. Jubiläum unseres Orchesters. Gegrün- det am 15. November 1946 als RIAS-Sym- phonie-Orchester, 1956 umbenannt in Ra- dio-Symphonie-Orchester Berlin, trägt das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin seit 1993 seinen heutigen Namen. 75 Jahre – das ist fast so lange, wie ein Menschenleben heute währt. Und was für ein Leben das war! Ein Leben für und mit Musik, ein Le- ben in und durch Berlin. Geboren in den Trümmern der Stadt, aufgewachsen zu Zeiten des Ost-West-Konflikts, zu internationalem Renommee gekommen als klingender Botschafter der geteilten Stadt, berühmt geworden an der Seite herausragender Künstlerinnen und Künstler auf Schallplatten und Tourneen in die ganze Welt, gehört das DSO heute zu den innovativsten Orchesterstimmen des wiedervereinigten Deutschland. Feiern im Konzertsaal Im Jubiläumsprogramm in der Berliner Philharmonie mit Robin Ticciati erinnern wir am 19. und 20. November an die Gründung des Orchesters. Es spannt ein weites Pa- norama auf – vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, mit Rückgriffen auf die Renaissance, Experimenten mit der Wahrnehmung von Zeit, Seitenblicken auf Improvisa- tion und Jazz, Ausblicken auf die Zukunft der Musik und Werken von Benjamin, Chausson, Dvořák, Strauss und Vaughan Williams → S. 29. Schlüsselwerke der Orches- tergeschichte wie Dukas’ ›Der Zauberlehrling‹ und Musik von Komponisten wie Bartók und Strawinsky, die in den
12 75 Jahre DSO 13 Gründungsjahren unter Ferenc Fricsay → S. 48, beziehungs- weise Korngold oder Zemlinsky, für deren Renaissance das DSO seit den 80er-Jahren eine große Rolle spielte, durch- ziehen zudem wie historische Wegmarken die Konzerte der Saison. Einen Überblick über alle Programme, Gäste und Abonnements finden Sie in unserem gedruckten Saison- programm mit roter Titelseite. Karten für die Konzerte sind ab dem 16. August online und bei unserem Besucherservice erhältlich. Schlaglichter auf die Orchestergeschichte Auch in den DSO-Nachrichten präsentieren wir Ihnen nicht nur wie gewohnt das Konzertprogramm der kommenden zwei Monate. Wir werfen immer wieder auch einen Blick zu- rück. Wir stellen Ihnen große Komponisten vor, die am Pult des Orchesters eigene Werke oft zum ersten Mal in Berlin dirigierten – darunter etwa Igor Strawinsky → S. 24 –, her- Das erste Konzert des DSO am 7. September 1947 mit ausragende Solistinnen, die für legendäre Konzerte sorgten, Walter Sieber und der Pianistin Alberte Brun im Titania-Palast ungewöhnliche Programme, die von Anfang an durch Ent- deckerfreude gekennzeichnet waren, Tourneen in die ganze und Neugierde beglückende und überraschende Kunster- Welt und ein breites Tonträgerangebot, das von 1949 an die lebnisse entstehen. Wir folgen diesen Spuren bis in die Ge- Arbeit und die musikalische Neugierde des DSO dokumen- genwart und Zukunft. Wir stellen Ihnen Menschen vor, die tierte. Erkunden Sie mit uns die Orchesterhistorie, mit Bil- eine besondere Beziehung zum Orchester haben. Wir gehen dern und Fundstücken aus unserem Archiv oder exklusiven der Frage nach, welche musikalische DNA das DSO in sich Widmungen aus den Autogrammbänden Heinrich Köhlers. trägt. Und wir ziehen gemeinsam mit Robin Ticciati ein Fazit aus den Erfahrungen der vergangenen Monate. Jubiläumsbroschüre ›75 Jahre DSO‹ Mitte August erscheint zudem unsere Jubiläumsbroschüre, Die Jubiläumsbroschüre erhalten Sie, zusammen mit dem in der wir Sie zu einem ausführlichen Streifzug durch die Saisonprogramm, in der Philharmonie, bei unserem Besu- Orchestergeschichte einladen – mit Schlaglichtern auf das, cherservice oder kostenfrei in Ihren Briefkasten geliefert: was das DSO von Anfang an ausgemacht hat: kreative Ver- → dso-berlin.de/medienbestellung mittlungsformen, Begeisterung für mediale Innovationen, Flexibilität und Überlebenswillen, hochkarätige Partnerin- nen und Partner, vor allem aber großartige Musik! Konzerte, in denen das Unbekannte gleichberechtigt neben das Be- kannte und Geliebte tritt, Konzerte, in denen aus Offenheit
Corona 15 Information Corona Ihr Konzertbesuch im September und Oktober Nach langen Monaten ohne Auftritt vor Publikum ist das DSO im Juni mit zwei Konzerten auf die Bühne der Philhar- monie zurückgekehrt – die Lockerungen der Maßnahmen zur Eindämmung von Infektionen, die bislang das öffentliche Kulturleben enorm einschränkten, haben dies wieder mög- lich gemacht. Mit Spannung und Vorfreude blicken wir also auf den Beginn der neuen Spielzeit im September. Trotz der positiven Entwicklung und der steigenden Zahl von Impfungen werden uns Einlass- und Abstandsregeln, Maskenpflicht und kurzfristige Änderungen sicher noch ei- nige Zeit begleiten. Viele dieser Bedingungen können sich kurzfristig ändern – in die eine wie die andere Richtung. Wir bitten deswegen um Nachsicht und Verständnis dafür, dass wir zum Erscheinungszeitpunkt dieser Nachrichten- Ausgabe noch keine definitiven Aussagen zur Anzahl der verfügbaren Plätze oder zu den am Konzerttag gültigen Regeln machen können. Stets aktuelle Informationen rund um Ihren Konzertbesuch beim DSO finden Sie einfach und bequem auf unserer Web- site unter → dso-berlin.de/update
16 DSO PLAYER 17 Online Mediathek Produktion der gleichnamigen Tondichtung von Richard Strauss, die zu einer fesselnden musikalischen Bergfüh- rung mit Reinhold Messner einlädt und im Frühjahr im Götter, Teufel und Berliner Tempodrom entstanden ist (siehe Bild) –, ebenso wie der dreiteilige Konzertfilm ›Im Exil – von Göttern und Bergsteigerlegenden Menschen‹ und der expressionistische Experimentalfilm ›Im Kampf mit dem Teufel‹ mit Operneinaktern von Paul Hindemith und Bohuslav Martinů. Zu den Highlights, die Der DSO PLAYER wurde während der Corona-Krise ins im leeren Saal der Berliner Philharmonie aufgezeichnet Leben gerufen, als das Orchester zwar proben und pro- wurden, zählen Mahlers ›Lied von der Erde‹, mit dem Sir duzieren, nicht aber vor Publikum auftreten durfte. In- Simon Rattle im November nach über 40 Jahren erstmals nerhalb kürzester Zeit entstanden innovative Programme wieder am Pult des Orchesters stand, und das Konzert und Formate, die man langfristig und für das Livekonzert Robin Ticciatis mit instrumentalen Auszügen aus Wag- so wohl nicht konzipiert hätte. Auf Initiative von Chefdiri- ners ›Götterdämmerung‹. Zahlreiche Konzertvideos, gent Robin Ticciati hat sich das DSO mit mehreren Film- zwei Podcast-Reihen, Interviews sowie Radiokonzerte projekten auf die Suche nach einer Bildsprache gemacht, zum Nachhören komplettieren das kostenfrei abrufbare die über das nur abgefilmte Konzert weit hinausreicht. Onlineangebot des Orchesters. Neue Beiträge kommen Dazu zählt auch ›Eine Alpensinfonie‹ – eine aufwendige regelmäßig dazu – schauen Sie unbedingt mal rein! → dso-player.de
18 Saisonauftakt 19 So 19.9. / So 26.9. Robin Ticciati Saisonauftakt mit Strawinsky und Bruckner Verfolgt man den Weg, auf dem das DSO in den 75 Jahren seiner Geschichte sich und seinem Publikum den Zugang zur Moderne erschloss, dann erscheinen zwei Komponistennamen ganz vorn: Béla Bartók, Jahrgang 1881, und, ein Jahr jünger, Igor Strawinsky. Ihre Werke sind inzwischen Teil des allgemeinen Repertoires – in einer Auswahl, wie sie sich in der Praxis des Musikbetriebs stets he- rausbildet. Bei Strawinsky fiel sie merkwürdig einseitig aus. Während frühe Ballettmusiken – ›Feuervogel‹, ›Sacre du printemps‹, ›Petruschka‹ und ›Pulcinella‹ – häufig, Werke der mittleren Pe- riode ziemlich regelmäßig auf Konzertprogram- men erscheinen, begegnet man dem Spätwerk höchst selten. Anlässlich des 50. Todestags des Komponisten lenkt das Musikfest Berlin die Auf- merksamkeit auf dieses vergessene Terrain im Œuvre eines Meisters, den nicht wenige für die zentrale Gestalt in der Tonkunst des 20. Jahr- hunderts halten. Musikfest Berlin am 19.9. Die ›Requiem Canticles‹ sind das letzte größe- re Werk, das Strawinsky in Partitur setzte, ein Auftrag der Princeton University zum Gedenken
20 Saisonauftakt 21 Tempo, wahre einen ruhigeren Puls. Lang lässt Ornamenta- les beiseite und komponiert Bewegung, Changieren, Wech- sel des Klangs, ähnlich den Wandlungen des Lichts. Wie Strawinsky kommt es ihm nicht auf persönlichen Gefühls- ausdruck an, er will »klangliche Objekte herstellen, die ihre eigene Schönheit besitzen«. Das Violoncellokonzert ›Pro et contra‹, das der Erste Solo-Cellist des DSO Valentin Radutiu interpretiert, stammt aus Arvo Pärts Periode der Collage- kompositionen; sie ging der Entwicklung des Stils voraus, für den er seit den 1980ern bekannt ist. 1966, im selben Jahr wie Strawinskys ›Canticles‹ geschrieben, wirkt das Kon- zert mit seinen polystilistischen Schattierungen und seiner »ganz eigenen Barockmusik« (Paul Hillier) wie ein Parallel- fall zu Strawinsky, obwohl keinerlei Verbindung zwischen den beiden Komponisten bestand. Valentin Radutiu an die langjährige Leiterin ihrer Musikabteilung, Helen »Wir und er selbst wussten, dass er die ›Requiem Buchanan Seeger. Aus dem Text der lateinischen Toten- Canticles‹ für sich selbst schrieb.« messe wählte der Komponist, der in russisch-orthodoxer Vera Strawinsky bei der Beerdigung ihres Mannes 1971 in Venedig Umgebung aufgewachsen war, einige Fragmente aus; dass er sein Werk für erweiterungsfähig hielt, bezeugen Skizzen zu einem Instrumentalvorspiel, das er für eine Aufführung Die ›Canticles‹ erscheinen zwar wie ein abgeschlossenes zu Ehren von Martin Luther King schreiben wollte. Den di- Werk, doch sie tragen den Charakter eines Fragments in rekten, ranken- und ornamentlosen Charakter der ›Can- sich, vor allem mit ihrem in die Weite verklingenden Schluss, ticles‹ erreichte er durch Komposition mit Tonreihen; sie ihrer letztlich offenen Form. Ticciati und das DSO lassen ihr ermöglichen vielfältige Anspielungen auf das Stilspektrum ein Stück aus einem der berühmtesten Fragmente der neu- der Neuzeit, besonders zur großen Ära der venezianischen eren Musikgeschichte folgen: den ersten Satz aus Mahlers Musik in Renaissance und Barock. Zehnter, unvollendeter Symphonie → S. 34. Dieses Adagio ist zwar vom Komponisten in Partitur geschrieben, aber auch Robin Ticciati und das DSO nähern sich dem Werk am vollständig? Endgültig in Mahlers Sinn gewiss nicht, denn 19. September von heute her. Klaus Lang, Jahrgang 1971, es fehlen die Korrekturen aus der Sicht des Gesamtwerks verzichtet in seinen Kompositionen auf das »Blendwerk« und die Verbesserungen, die er stets nach ersten Proben und instrumentaler Behändigkeit. Was durch Schnelligkeit und Aufführungen vornahm. Der einstimmige Beginn im Pianis- Virtuosität beeindruckt, bleibe letztlich figurativ. Das We- simo und das Verklingen in sphärischen Höhen verweisen sentliche, in der traditionellen Musik etwa das harmonische zudem auf eine mögliche Musik jenseits der erklingenden.
22 Saisonauftakt 23 Das berühmte Adagio ist ein Prototyp der offenen Form, die in den 1960er-Jahren, als Strawinsky seine ›Canticles‹ und Pärt sein ›Pro et contra‹ schrieb, in der Musikwissenschaft viel diskutiert wurde. Die Frage nach Wirklichkeit und Mög- lichkeit, Vollendung und gebrochener Existenz, auch nach dem unerhörten Rest hinter gehörter Musik ist damit gestellt. Vollendet unvollendet am 26.9. Robin Ticciati und das DSO verfolgen sie am 26. Septem- ber weiter in die Geschichte. Zwei Symphonien aus dem 19. Jahrhundert werden oft »vollendet unvollendet« genannt: Schuberts h-Moll- und Bruckners d-Moll-Symphonie, sei- ne Neunte und letzte. Wie ihre Vorgängerinnen wurde sie in vier Sätzen konzipiert. Drei von ihnen wurden vollendet; das Finale ist in Entwürfen weit gediehen, aber nicht zu Ende gebracht. Mehrere ernstzunehmende Ergänzungen versuchten eine Konzertfassung herzustellen. In der Regel Carolin Widmann schließen Aufführungen jedoch mit dem Adagio. art ebenso wie in dem emporstrebenden Dreiklangsmotiv, Die Neunte steht mit der Siebten und Achten durch die das den Satz verklingen lässt. Aus diesem Milieu des hoff- Widmungen in einem äußeren Zusammenhang: Die Siebte nungsvollen Zurückdenkens sollte sich das Finale erheben. ist dem König von Bayern, die Achte dem österreichischen So aber endet der auskomponierte Teil der Symphonie offen Kaiser, die Neunte »dem lieben Gott« zugeeignet. In die- wie Strawinskys ›Canticles‹ und Mahlers Adagio. In allen ser Stufenfolge verbirgt sich nicht nur eine Staffelung der drei Werken werden die ästhetischen Ereignisse zum exis- Macht, sondern auch der archaische Wunsch des frommen tenziellen Gleichnis. Nicht anders in dem Violinkonzert ›Still‹, Menschen, wie die biblischen Patriarchen nach erfülltem das Rebecca Saunders für Carolin Widmann, die es im Sep- Dasein alt und lebensgesättigt sterben zu können. Die Voll- tember interpretiert, schrieb: Es fordert die Sensibilität des endung der Neunten hätte Bruckners Leben erfüllt. Dass sie Spiels auch technisch bis an die äußersten Grenzen. Die Rän- ihm nicht gelang, gibt auch seiner Existenz jenes Fragmen- der zur Stille liegen nicht unbedingt im Dämmerlicht: Sie sind tarische, das dem Soziologen und Mahler-Zeitgenossen Max von größter Intensität erfüllt. Die neue DSO-Saison beginnt Weber zufolge den modernen Kulturmenschen auszeichne. gedankenvoll und mit einem entschiedenen Bekenntnis zur humanen Kraft der Musik. Die drei letzten Symphonien Bruckners hängen nicht nur äußerlich zusammen. Am Ende des Adagios der Neunten, HABAKUK TRABER das in einem katastrophischen Siebenklang gipfelt, kommt Bruckner im Erinnerungsraum an die Siebte an – in der Ton- Konzertkalender S. 27
Strawinsky 25 2.10.1956 Igor Strawinsky am Pult des DSO Die Musik Igor Strawinskys spielte seit 1949 eine bedeutende Rolle im Repertoire des DSO. Im ersten Vierteljahrhundert der Orchesterge- schichte wurden seine Werke in 77 Konzerten aufgeführt, sechs davon als reine Strawinsky- Programme; drei dirigierte Ferenc Fricsay, je eines Strawinskys Assistent Robert Craft, der Schweizer Musik- mäzen Paul Sacher und – am 2. Oktober 1956 im Rahmen der Berliner Festwochen – der Komponist selbst. Auf dem Programm standen Werke aus den 40er-Jahren: die Sym- phonie in C, die Ballettszenen, das Tryptichon ›Ode‹ und die Symphonie in drei Sätzen. Im Anschluss verewigte sich der Komponist in den Autogrammbänden, die der DSO-Cellist Heinrich Köhler für das Orchester führte.
26 Konzertkalender 27 September So 19.9. / 20 Uhr / Philharmonie Musikfest Berlin Lang ›ionisches licht.‹ (Uraufführung der Fassung für großes Orchester) Sa 4.9., So 5.9. / Öffentliche Plätze Berlins Pärt Violoncellokonzert ›Pro et contra‹ ›Berlin braucht Musik!‹ – Kammerkonzerte mit Strawinsky ›Requiem Canticles‹ für Soli, Chor Ensembles des DSO, mit Akademist*innen des und Orchester DSO und Schüler*innen Mahler Adagio aus der Symphonie Nr. 10 Informationen ab 15.8. unter → berlin-braucht-musik.de ROBIN TICCIATI Catriona Morison – Mezzosopran Fr 10.9. / 20 Uhr / Villa Elisabeth Matthias Winckhler – Bassbariton Kammerkonzert Valentin Radutiu – Violoncello Originalwerke und Bearbeitungen von Bacewicz, Rundfunkchor Berlin Carlson, Dvořák, de Falla, Klengel u. a. Gijs Leenaars – Choreinstudierung DIE ZWEITEN VIOLINEN DES DSO Elsie Bedleem – Harfe So 26.9. / 20 Uhr / Philharmonie Max Jakob Rößeler – Bariton Saunders ›Still‹ für Violine und Orchester Andreas Schumann – Moderation Bruckner Symphonie Nr. 9 d-Moll ROBIN TICCIATI Sa 18.9. / 15.30 Uhr / Mall of Berlin Carolin Widmann – Violine ›Symphonic Mob‹ – Berlins größtes Spontanorchester Oktober Elgar ›Salut d’amour‹ Bizet Torero-Marsch aus der ›Carmen‹-Suite Nr. 1 Elgar ›Nimrod‹ aus den ›Enigma‹-Variationen ROBIN TICCIATI Musikenthusiast*innen jeden Alters So 3.10. / 17 Uhr / Heimathafen Neukölln Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Kammerkonzert Shelly Kupferberg – Moderation Fauré, Mozart Informationen und Anmeldung ab 12.8. unter FONTANE QUARTETT → symphonic-mob.de mit Eve Wickert – Viola
28 Konzertkalender 29 So 17.10. / 20 Uhr / Philharmonie Fr 19.11., Sa 20.11. / 20 Uhr / Philharmonie Berlioz Ouvertüre zu ›Béatrice et Bénédict‹ Jubiläumskonzerte ›75 Jahre DSO‹ Bruneau-Boulmier Klavierkonzert ›Terra Nostra‹ Vaughan Williams Fantasie über ein Thema (Uraufführung) von Thomas Tallis Strauss Suite ›Der Bürger als Edelmann‹ Improvisation über Vergangenheit und Zukunft KENT NAGANO Benjamin ›Sudden Time‹ Mari Kodama – Klavier Dvořák Scherzo capriccioso für Orchester – mit Jazzimprovisationen für Klavier und Violoncello Sa 30.10. / 20 Uhr / Philharmonie Chausson ›Poème‹ für Violine und Orchester Mozart Symphonie Nr. 39 Es-Dur Strauss ›Don Juan‹ Martinů Symphonie Nr. 4 ROBIN TICCIATI SIR ROGER NORRINGTON Lisa Batiashvili – Violine Rolf Zielke – Klavier Stephan Braun – Violoncello November (Auswahl) Impressum Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Das Deutsche Fr 5.11. / 20 Uhr / Philharmonie Interim-Management Symphonie-Orchester Poulenc Auszüge aus der Suite Moritz Brüggemeier (bis 9/2021), Berlin ist ein Ensemble ›Les animaux modèles‹ Benjamin Dries (V. i. S. d. P.), Thomas Schmidt-Ott der Rundfunk Schostakowitsch Violoncellokonzert Nr. 1 Es-Dur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Orchester und Chöre Daniel Knaack, Anna Nolte GmbH Berlin. Prokofjew Suite aus dem Ballett ›Cinderella‹, Redaktion Maximilian Rauscher, Benjamin Dries zusammengestellt von Marie Jacquot Redaktionelle Mitarbeit Daniel Knaack, Geschäftsführer MARIE JACQUOT Anna Nolte Anselm Rose Gautier Capuçon – Violoncello Marketing Tim Bartholomäus Gesellschafter Art- und Fotodirektion Stan Hema Deutschlandradio, Layout und Satz peick kommunikationsdesign Bundesrepublik Fr 12.11., Sa 13.11. / 20 Uhr / Philharmonie Redaktionsschluss 30.7.2021, Deutschland, Anderson ›The Crazed Moon‹ Änderungen vorbehalten Land Berlin, Rundfunk © Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 2021 Berlin-Brandenburg Beethoven Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur Rachmaninoff Symphonie Nr. 3 a-Moll Abbildungen / Fotos ROBIN TICCIATI Jörg Brüggemann / Ostkreuz (S. 1, 4, 19), Peter Adamik (S. 8, 10, 16, 31, Mitsuko Uchida – Klavier 42, 44), Archiv DSO (S. 13, 25, 34, 48), janis – stock.adobe.com (S. 14), Felix Broede (S. 20, 38), Lennard Rühle (S. 23), Manfred Esser (S. 32), Kai Bienert (S. 37), Sergio Veranes Studio (S. 41), Linn Records (S. 47)
Kammerkonzerte 31 Fr 10.9. Kammermusik in der Villa Elisabeth Das Eröffnungskonzert der Kammermusikserie 2021/2022 wartet am 10. September in der Villa Elisabeth mit einer un- gewöhnlichen Besetzung auf: Die Zweiten Violinen des DSO gestalten ein Programm mit Originalwerken und Bearbei- tungen – teils aus eigener Feder – für verschiedene Violin- ensembles unter anderem von Bacewicz, Dvořák, Gabrieli, de Falla, Lutosławski, Telemann, Klengel, Piazzolla sowie ei- ner Auftragskomposition von Kent Carlson. Als Gäste sind zudem die DSO-Harfenistin Elsie Bedleem und der Bariton Max Jakob Rößeler mit von der Partie. So 3.10. Kammermusik im Heimathafen Neukölln Das Fontane Quartett aus Sebastian Breuninger und Elsa Brown (Violine), Annemarie Moorcroft (Viola) und Mischa Meyer (Violoncello) schlägt am 3. Oktober gemeinsam mit der Bratschistin Eve Wickert einen musikali- schen Bogen von Österreich über Berlin nach Frank- reich – mit dem ersten von Mozarts ›Preußischen Quar- tetten‹, die 1789 »für Seine Mayestätt dem könig in Der Perfekte Ein- oder Ausklang Preussen« entstanden, und Annemarie Moorcroft dem Streichquintett Es-Dur. ist 3 Minuten von der Philharmonie Entfernt. Im Zentrum steht das e-Moll-Quartett von Gabriel Fauré, der erste und einzige Gattungsbeitrag, dem er sich erst zum Ende seines Komponistenlebens gewachsen sah. Es sollte sein Abschiedswerk werden. QIU Lounge im the Mandala Hotel am Potsdamer Platz Konzertkalender S. 26 / 28 Potsdamer Strasse 3 | Berlin | 030 / 59 00 5 00 00 | www.qiu.de
32 Sir Roger Norrington 33 Sa 30.10. Sir Roger Norrington Schattierungen der Dritten von Optimismus und Lyrizität dominiert. Es liegt nahe, diesen Grundton als eine musika- Überwältigende lische Reflexion der historischen Ereignisse zu deuten: Mar- tinů musste 1940 vor den Nationalsozialisten aus Frankreich flüchten und lebte seither im amerikanischen Exil. Erst hier Jubelmusik wandte er sich im Alter von 52 Jahren der symphonischen Gattung zu. Die Vierte komponierte er in den Monaten April bis Juni 1945, als der Zweite Weltkrieg in Europa sein Ende fand. »Nach dem Herzschmerz der Dritten Symphonie ist der Jubel der Vierten überwältigend. Natürlich habe ich die- se Jahre selbst durchlebt«, erinnert sich Norrington, »1945 war ich elf Jahre alt. Das ist auch der Grund, warum ich Symphoniker wie Vaughan Williams und Martinů so schätze. Sie sind sozusagen ›meine‹ Musik.« Das persönliche Schick- sal und das Weltgeschehen finden in Martinůs Symphonien ebenso ihren Niederschlag wie die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Musikkultur. Stilistisch führte er mit der Vierten seinen symphonischen Weg weiter, den tradierten Rahmen der Gattung individuell auszugestalten und dabei die Vielfalt seiner europäischen wie amerikanischen Erfah- rungswelten miteinander in Einklang zu bringen. Seinem dramaturgischen Prinzip, die Symphonien Mar- tinůs jeweils einem Gattungsbeitrag von Mozart gegen- überzustellen, bleibt Sir Roger Norrington auch in diesem Konzert treu. Vor der Vierten lässt der britische Dirigent die Es-Dur-Symphonie Nr. 39 erklingen. Sie bildet den grandio- Die Musik von Bohuslav Martinů musste lange Zeit auf ihre sen Auftakt zur mythenumrankten Werktrias, die Mozart in (Wieder-)Entdeckung für den Konzertsaal warten. Mit Sir einer schier unglaublichen Zeit von nur etwa zwei Monaten Roger Norrington und dem DSO haben sich engagierte Mit- im Sommer 1788 in Wien schuf und mit der er sein sympho- streiter an diesem Aufleben gefunden: 2018 wandten sie nisches Schaffen zu einem krönenden Abschluss brachte. sich der Aufführung sämtlicher Symphonien des tschechi- schen Komponisten zu. Am 30. Oktober und im 26. Jahr ihrer DANIEL KNAACK künstlerischen Freundschaft setzen sie nach langer Pause ihre Erkundungsreise endlich fort, nunmehr mit Martinůs Vierter Symphonie. Diese wird im Vergleich zu den dunklen Konzertkalender S. 28
Goldschmidt 35 2.10.1964 Berthold Goldschmidt mit Mahlers Zehnter 1964 stand Berthold Gold- schmidt erstmals am Pult des DSO und leitete, kurz nach der Uraufführung in Lon- don, die gefeierte Deutsche Erstaufführung der von Deryck Cooke und ihm selbst erstellten ersten voll- ständigen Fassung der Symphonie Nr. 10 von Gustav Mahler. Zeugnis legt davon noch heute seine Danksagung an das Or- chester ab. Mahlers Arbeit an der Zehnten wurde 1911 durch seinen Tod jäh unterbro- chen. Einzig der erste Satz – ein ausladen- des Adagio, das alleinstehend Bestandteil des internationalen Konzertrepertoires wurde und auch beim Musikfest Berlin am 19. September erklingt → S. 27 – und der dritte lagen im Partiturentwurf vor. Seit 1941 gab es immer wieder Versuche einer Vervollständigung, Cookes Fassung ist aber die bislang meistgespielte. Gemein- sam mit dem aus Deutschland emigrierten Komponisten Goldschmidt studierte der englische Musikwissenschaftler Mahlers Skizzenmaterial, um eine Rekonstruktion zu realisieren. Authentizität behaupteten sie dezidiert keine, denn der Komponist hat bis zur Vollendung seiner Partituren und auch nach den ersten Aufführungen meist noch Änderungen vorgenommen.
36 Symphonic Mob 37 Sa 18.9. Robin Ticciati Symphonic Mob »Ihr spielt die Musik!« – unter diesem Motto musizieren beim ›Symphonic Mob‹ ambitionierte Amateure gemeinsam mit den Profis des DSO und bilden seit 2014 einmal im Jahr Berlins größtes Spontanorchester. Mitmachen können alle, die ein Instrument beherrschen – Alter und musikalische Vorbildung spielen dabei keine Rolle. Für die optimale Vor- bereitung gibt es neben den Originalnoten auch vereinfach- te Stimmen und Playalong-Files zum Download. Nach der Corona-bedingten Pause im vergangenen Jahr, die wir dank zahlreicher wunderbarer Mitwirkender mit einem virtuellen ›Mob‹ überbrücken konnten, freuen wir uns umso mehr, am 18. September wieder einen ›Symphonic Mob‹ live in der Mall of Berlin anbieten zu können. Am Pult steht auch diesmal Chefdirigent Robin Ticciati. In diesem Jahr wollen wir ›Salut d’amour‹ sowie ›Nimrod‹ aus den ›Enigma‹-Variationen von Edward Elgar und Georges Bizets Torero-Marsch aus der Ersten ›Carmen‹-Suite miteinander musizieren. Aus gegebenem Anlass müssen wir Sängerinnen und Sän- ger sowie die Fans der beliebten Pop-Up-Proben leider auf das kommende Jahr vertrösten, und auch den Instrumen- talist*innen können wir diesmal nur eine reduzierte Anzahl an Plätzen anbieten. Eine frühzeitige Anmeldung ist also überaus empfehlenswert. Wir freuen uns auf Euch! Ausführliche Informationen zu Ablauf und Anmeldung sowie Notendownloads unter → symphonic-mob.de Konzertkalender S. 27
Nagano / Kodama 39 So 17.10. Kent Nagano Eine französische Komödie »Shakespeare brach unerwartet über mich herein, zermalm- te mich. Sein Blitz eröffnete mir den Himmel der Kunst mit erhabenem Donnerrollen und erhellte mir seine tiefsten Tie- fen. Ich erkannte die wahre Größe, die wahre Schönheit, die wahre Wahrheit der Dramatik. […] Ich sah ... verstand ... fühlte, dass ich lebe, dass ich aufstehen und wandeln müs- se.« Die Begegnung mit dem Werk des englischen Drama- tikers, die Hector Berlioz in seinen Memoiren beschreibt, hat den damals 24-jährigen Komponisten über alle Maßen beeindruckt und bis an sein Lebensende immer wie- der inspiriert – von der ›Sturm‹-Fantasie über die ›King Lear‹-Ouvertüre, die Sympho- nie dramatique ›Roméo et Juliette‹ und den Trauermarsch für die letzte Szene aus ›Hamlet‹ bis zum Zweiakter ›Béa- trice et Bénédict‹. Denn es war nicht nur das Tragische, das Berlioz an Shakespeare faszi- nierte, sondern auch das Komödiantische, wie etwa in ›Much Ado about Nothing‹ (Viel Lärm um Nichts). Ber- lioz schrieb dazu sein eigenes Libretto und
40 Nagano / Kodama 41 stellte die ursprüngliche Nebenhandlung um Benedikt und Beatrice, die sich eigentlich nicht leiden können, nach Intri- gen und Verwirrungen aber doch zueinander finden, in den Mittelpunkt. 1862 wurde das Auftragswerk in Baden-Baden uraufgeführt: »Die Kritiker, die zu dieser Gelegenheit aus Paris gekommen waren, spendeten der Musik, ihrer Feinheit […] warmes Lob«, erinnerte sich der Komponist und wun- derte sich zugleich: »Einige fanden, im Übrigen gäbe es viel Unkraut in der Partitur, und dem Dialog mangele der Geist. Dieser Dialog ist fast ganz nach Shakespeare kopiert ...« Frankreich im Zentrum Mit der leichtfüßigen Ouvertüre zu Berlioz’ letzter Oper er- öffnet Kent Nagano sein Konzert am 17. Oktober. Der Eh- rendirigent des DSO hat es seiner Wahlheimat Frankreich gewidmet; er teilt sie mit seiner Ehefrau, der Pianistin Mari Mari Kodama Kodama. Sie gestaltet an diesem Abend die Uraufführung des Klavierkonzerts ›Terra Nostra‹ des vielfach ausgezeich- (Hofmannsthal) war den einen zu viel Oper, den anderen zu neten Zeitgenossen Rodolphe Bruneau-Bulmier, der in sei- viel Theater und fiel beim Publikum dergestalt durch, dass nem Werk die raffinierte französische Klaviertradition des beide Werke fortan getrennter Wege gingen – ›Ariadne‹, mit 20. Jahrhunderts fortführt. einem neuen Vorspiel versehen, durchaus mit nachhaltigem Erfolg. Vom Schauspiel blieb hingegen nur die Musik – in Musikalische Speisekarte Gestalt der Suite, die der Komponist 1919 zusammenstellte. Einen vergnüglichen Bogen zum Anfang des Konzertabends Zu Recht, präsentiert Strauss hier doch ein gar vergnügli- schlägt schließlich die Suite ›Der Bürger als Edelmann‹ – ches Stück, das den tänzerisch-leichten Charakter und den ein Werk mit französischen Wurzeln, aber unglücklicher musikalischen Duktus Jean-Baptiste Lullys, der zu Molières Entstehungsgeschichte. Sie begann hoffnungsvoll als drit- Stück die Ballettmusik beigesteuert hatte, seinem ureige- te Zusammenarbeit des kongenialen Duos Hugo von Hof- nen Stil anverwandelt. In der Tafelmusik des Finales vertont mannsthal und Richard Strauss. Der Librettist griff dafür auf der Komponist gar die Speisekarte mit allerlei musikalischen den damals fast 250 Jahre alten Stoff einer Ballettkomödie Scherzen, bevor ein Tanz des Küchenjungen im Wiener Wal- von Molière zurück, die das neureiche Streben nach Adels- zertakt das Diner beendet. Amusez-vous bien! prunk satirisch aufs Korn nimmt – drastisch gekürzt und von Strauss mit Bühnenmusik versehen. An die Stelle ei- MAXIMILIAN RAUSCHER ner grotesken, pseudo-türkischen Zeremonie im Hause des Protagonisten bei Molière trat nun die Aufführung der Kurzoper ›Ariadne auf Naxos‹. Doch das »bizarre Ganze« Konzertkalender S. 28
Berlin braucht Musik! 43 Sa 4.9. / So 5.9. Berlin braucht Musik! Die Stadt als Konzertsaal Unter dem Motto »Berlin braucht Musik!« hatte das DSO im vergangenen Jahr mit öffentlichen Kammerkonzer- ten zu Pfingsten auf die Schließung der Konzerthäuser und Veranstaltungsorte reagiert und im Spätsommer den hoffnungsvollen Saisonbeginn eingeleitet. Dass dies keine Pandemie-bedingten Eintagsfliegen bleiben sollten, stand schnell fest. Der unmittelbare Kontakt zum Publikum, die spontanen Wegbegleiter und -begleiterinnen, die sich, von der Musik angezogen, einer »Tour de la musique« bei Ber- liner Sonnenschein anschlossen oder begeistert am Ufer und auf Brücken den Klängen vom Floß ›Anarche‹ und einem Doppeldeckerbus lauschten, haben gezeigt, dass Livemusik ein existenzielles menschliches Bedürfnis darstellt. In der langen Zeit ohne Livekonzerte hatte das Orchester das Pu- blikum schmerzlich vermisst. Es an diesen Wochenenden wieder zu sehen, zu spüren und applaudieren zu hören, ha- ben alle sehr genossen. Bunter Saisonauftakt Von diesen überaus positiven Erfahrungen motiviert, pla- nen die DSO-Musikerinnen und -Musiker in Kammermu- sikensembles – auch mit den Mitgliedern der Ferenc-Fric- say-Akademie sowie Schülerinnen und Schülern – für das Wochenende am 4. und 5. September erneut ein buntes Programm. Noch bevor das DSO nach der Sommerpause in die Konzertsäle der Hauptstadt zurückkehrt, wird es also er- neut Musik in die Stadt bringen. Die erfolgreichen Konzepte aus 2020 werden diesmal kombiniert. Vom Doppeldecker-
44 bus werden in Kooperation mit der Bürgerstiftung Berlin wieder soziale Einrichtungen wie Seniorenwohnstätten be- spielt, von der ›Anarche‹ aus klingt es klassisch und popu- lär über die Spree, und auf einer Route entlang öffentlicher Plätze Berlins sind wieder alle Zuhörerinnen und Zuhörer dazu eingeladen, der »Tour de la musique« zu folgen. Programme und aktuelle Informationen finden Sie unter → berlin-braucht-musik.de In Kooperation mit Mit freundlicher Unterstützung durch Konzertkalender S. 26
46 Neue CD 47 September CD-Neuerscheinung Das opulente, hochromantische, großbesetzte und fast ein- stündige Werk wurde bei seiner St. Petersburger Urauffüh- rung 1908 begeistert aufgenommen. Im Herbst 2018 stand Ticciati dirigiert diese Zweite Symphonie erstmals unter der Leitung Robin Ticciatis auf dem Programm eines DSO-Konzerts – »Mu- Rachmaninoff sik zum Versinken und Genießen. Umflorte Lyrik, großes Orchester«, schrieb damals Sybill Mahlke im Tagesspiegel. Auf die Studioaufnahme, die im Februar 2020 im Großen Sechs gemeinsame CDs haben das DSO und Robin Sendesaal im Berliner Haus des Rundfunks entstand, darf Ticciati in den vergangenen Jahren vorgelegt, hoch- man also überaus gespannt sein. gelobte Aufnahmen mit französischem Repertoire von Debussy, Duparc, Duruflé und Fauré, mit Bruck- ners Vierter Symphonie, Tondichtungen und Liedern von Strauss und den Violinkonzerten von Beethoven und Sibelius mit Christian Tetzlaff. Im Schatten das Klaviers Die neueste CD, die im September 2021 bei Linn Records er- scheint, widmet sich Sergei Rachmaninoff und dessen Zwei- ter Symphonie. Bis heute steht der Symphoniker im Schatten des »Composer-Pianist« Rachmaninoff und dessen enorm populärer Klavierkonzerte. Die vernichtende Kritik an seiner Ersten Symphonie hatte ihn 1897 in eine tiefe Schaffenskrise gestürzt, erst Jahre später versuchte er sich erneut in der Gattung. Um den Nachwirren der russischen Revolution des Vorjahres zu entgehen und mehr Zeit zum Komponieren zu haben, gab er seine Stellung als Dirigent am Bolschoi- Theater auf und ließ sich im Herbst des Jahres 1906 in Dres- Mit dieser Neuerscheinung setzt das DSO seine 2017 initi- den nieder, wo er – mit Ausnahme der russischen Sommer- ierte Zusammenarbeit mit Linn Records fort. Das vielfach frische – die nächsten drei Jahre verbringen sollte. ausgezeichnete schottische Label richtet sich mit seinem sorgsam kuratierten Portfolio an eine audiophile Zielgruppe Opulent und hochromantisch und bietet neben physischen Tonträgern auch hochauflö- Neben der ›Toteninsel‹ – die Ticciati im Herbst 2020 di- sende Studio-Master-Files zum Download an. rigierte – entstand dort auch die Zweite Symphonie, die Rachmaninoff seinem Lehrer Sergei Tanejew widmete. Die Erscheint am 3. September bei Linn Records Selbstzweifel, die er bis zuletzt hegte, waren unbegründet: in Koproduktion mit Deutschlandfunk Kultur
Fricsay 49 1948 – 1961 Ferenc Fricsay Eine Legende Seit 2014 hängt das Porträt Ferenc Fricsays im Büro des DSO. Es stammt aus dem Nachlass Dietrich Fischer-Dieskaus, der große Bariton hat es 1998 gemalt. »Diesem Leuchtenden begeg- net zu sein«, sagte der Sänger, der mit Fricsay seine Karriere begann, »ihn ein Stück seines Weges begleitet zu haben, ist ein Geschenk, das man nur mit Dank- barkeit empfangen kann.« Nach einem Probenfoto entstanden, zeigt das Bild Fricsay als den strengen Orchesterleh- rer, der er war. Charmant im Umgang – »Bitte, seid’s so lieb« –, durchdrungen von der Leidenschaft zur Musik, doch unerbittlich im Streben nach Präzision und Perfektion, die unabdingbar sind, wenn man eine Partitur in klingende Kunst verwandeln will. Sein tiefes Musikverständnis hatte sich Fricsay von klein auf erarbeitet. Er studierte Klavier, Geige, Klarinet- te, Posaune, Schlagzeug, Kompositi- on und Dirigieren, zählte Bartók und Kodály zu seinen Lehrern. Er begann, Ferenc Fricsay bei einer Probe, wie sein Vater, als Militärkapellmeister Gemälde von Dietrich Fischer-Dieskau (1998) und dirigierte nach dem Krieg an der
50 Fricsay Staatsoper in Budapest. Bei den Salzburger Festspielen 1947 wurde die Musikwelt schlagartig auf den jungen Un- 75 Jahre DSO garn aufmerksam, der für Otto Klemperer eingesprungen war. Schon im Jahr darauf wurde er zum ersten Chefdirigen- ten des gerade gegründeten RIAS-Symphonie-Orchesters (heute DSO) ernannt. Fricsay war der richtige Mann zur rich- tigen Zeit, verpflichtete zahlreiche Mitglieder aus den bes- ten Berliner Orchestern und formte fast im Handumdrehen ein Ensemble, das mit Konzerten, vor allem aber durch eine enorme Anzahl von Rundfunk- und Schallplatteneinspielun- gen Weltgeltung erlangte. Für den RIAS und die Deutsche Grammophon entstanden Mozart- und Bartók-Aufnah- men, die noch heute Referenzqualität besitzen; im Reper- toire bewegte er sich zwischen Haydn und der Gegenwart, machte selbst vor Strauß-Walzern nicht halt. Als »erster Medienkünstler« (Ulrich Schreiber) erkannte er schon früh den Mehrwert von Radio und Television, wie nicht nur seine Fernsehproben von 1960 und 1961 beweisen. 1954 verließ Fricsay Berlin für kurzlebige Engagements in Houston und an der Münchner Staatsoper, ohne auf regel- mäßige Konzerte mit seinem Orchester zu verzichten. 1959 kehrte er als Chefdirigent zum DSO zurück. Doch viel Zeit war dieser beglückenden Partnerschaft nicht mehr beschie- den. Schwer erkrankt, dirigierte Fricsay im November 1961 zum letzten Mal in Berlin. Im Februar 1963 verstarb, mit 48 Jahren, in seiner Schweizer Wahlheimat ein Dirigent, der Druckfrisch: Kapellmeisterhandwerk und musikantische Tradition, gren- zenlose Liebe zur Musik und künstlerischen Genius aufs Unsere Jubiläums- Trefflichste miteinander verband. In seinen Berliner Jahren ist er zur Legende geworden – der man dank zahlreicher broschüre Wiederveröffentlichungen inzwischen mit Hörgenuss nach- erhalten Sie, zusammen mit dem Saisonprogramm, spüren kann. Ohne Ferenc Fricsay wäre das DSO nicht das in der Philharmonie, bei unserem Besucherservice oder Orchester, das es heute ist. kostenfrei in Ihren Briefkasten geliefert: → dso-berlin.de/medienbestellung CHRISTOPH EVERSMEYER
Tickets Besucherservice des DSO Charlottenstraße 56, 2. OG 10117 Berlin, am Gendarmenmarkt Mo bis Fr 9–18 Uhr T 030 20 29 87 11 → tickets@dso-berlin.de → dso-berlin.de Ein Ensemble der
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