Der bemerkenswerte Anstieg der Lebenserwartung und sein Einfluss auf die Medizin

 
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Leitthema: Berliner Gespräche: Der geriatrische Patient

    Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch -            J. W. Vaupel · K. G. v. Kistowski
    Gesundheitsschutz 2005 · 48:586–592                  Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock
    DOI 10.1007/s00103-005-1043-4
    © Springer Medizin Verlag 2005

                                                         Der bemerkenswerte Anstieg
                                                         der Lebenserwartung und
                                                         sein Einfluss auf die Medizin

    M      ag es vor 50 Jahren noch eine über-
    schaubare Aufgabe für den Bundespräsi-
                                                         zu dieser Entwicklung geleistet – ebenso ist
                                                         die Medizin durch sie herausgefordert.
                                                                                                        Männer sind im Zeitraum seit 840 linear –
                                                                                                        jedoch etwas geringerer – angestiegen. Ein
    denten gewesen sein, Jubilaren zu ihrem                                                             komplexes Zusammenspiel von steigendem
    hundertsten Geburtstag zu gratulieren, so            Das Steigen der Lebenserwartung                Wohlstand, gesunder Ernährung, humanen
    verlangt dies heute einen größeren Einsatz:                                                         Arbeitsbedingungen mit zunehmend gerin-
    Die Wahrscheinlichkeit eines 80-Jährigen,            Spitzenreiter der Langlebigkeit                gerem körperlichem Verschleiß, verbesser-
    00 Jahre alt zu werden, ist in Deutschland                                                         ter Hygiene, sozialer Fürsorge und medizini-
    seit 950 um das 20fache gestiegen []. Wir          Die Steigerung der Lebenserwartung ist ei-     scher Versorgung wird für das längere Über-
    werden immer älter, und die Daten legen              ne der großen Errungenschaften moderner        leben verantwortlich gemacht [6].
    nahe, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.        Zeiten. Betrachtet man die Länder mit der          Die Entwicklung der Lebenserwartung
    Nichts spricht dafür, dass eine unentrinnba-         jeweils weltweit höchsten weiblichen Le-       einzelner Länder verläuft weniger linear
    re Obergrenze des Lebensalters erreicht ist          benserwartung in den vergangenen 60 Jah-      (. Abb. 2). Der Abstand zwischen den welt-
    oder sich am Horizont abzeichnet [2]. Der            ren, so ergibt sich ein erstaunlich stetiger   weit höchsten erzielten Lebensspannen und
    anhaltende Anstieg der durchschnittlichen            Anstieg der durchschnittlich erreichten Le-    den nationalen Durchschnittsniveaus kann
    Lebenserwartung in den Industrienationen             bensjahre von fast 3 zusätzlichen Lebensmo-    als ein Maß dafür gesehen werden, wie sehr
    ist heute vor allem der verringerten Sterb-          naten pro Jahr (. Abb. 1) [2]. Frauen leben    ein Land seinen Möglichkeiten hinterher-
    lichkeit im hohen Alter zuzuschreiben [, 3,         durchschnittlich länger als Männer, aber       hinkt. Weder der Trend der Rekordlebens-
    4, 5]. Die Medizin hat einen großen Beitrag          auch die Rekordlebenserwartungen der           erwartung noch die unterschiedlichen Kur-

                       Abb. 1 7 Weibliche Lebenser-
                      wartung von 1840 bis zur Ge-
                    genwart in dem jeweils rekord-
                          haltenden Land. Schwarze
                    durchgezogene Linie: Regressi-
                     onsgerade (Steigung= 0,243).
                         Extrapolation der Geraden
                      durch schwach gestrichelte Li-
                        nie. Horizontale Querbalken
                      beziehen sich auf festgelegte
                    Obergrenzen der Lebenserwar-
                       tung, wie sie von verschiede-
                     nen Autoren benannt wurden
                     (. Tabelle 1). Die deutlich ge-
                     strichelte Linien stellen Projek-
                     tionen der weiblichen Lebens-
                     erwartung in Japan dar, veröf-
                    fentlicht von den Vereinten Na-
                      tionen (UN): Man beachte die
                       drastische Korrektur der Pro-
                       jektion nach oben von 1999–
                           2001. (Adaptiert nach [2])

586 |   Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 5 · 2005
Tabelle 1

  Auswahl an Schätzungen der durchschnittlichen maximalen Lebenserwartung für Frauen bzw. Frauen und Männer
  Quelle (Autor)             Obergrenze           Publiziert (Jahr)      w: weiblich           Übertroffen (Jahr)         Übertroffen von Frauen aus
                                                                         m: männlich
  Dublin                     64,75                1928                   w+m                   1922                       Neuseeland
  Dublin & Lotka             69,93                1936                   w+m                   1941                       Island
  Dublin                     70,8                 1941                   w+m                   1946                       Norwegen
  Nizar & Vallin             76,8                  195                   w                     1967                       Norwegen
  Wunsch                     76,8                 1970                   w                     1967                       Norwegen
  Freijka                    77,5                 1981                   w                     1972                       Schweden
  Bourgeois-Pichat           78,2                 1952                   w                     1975                       Island
  Siegel                     79,4                 1980                   w+m                   1976                       Island
  Bourgeois-Pichat           80,3                 1978                   w                     1985                       Japan
  Demeny                     82,5                 1984                   w                     1993                       Japan
  United Nations             82,5                 1989                   w                     1993                       Japan
  Fries                      85,0                 1980/1990              w+m                   1985                       Japan
  Olshansky et al.           85,0                 1990                   w+m                   1996                       Japan
  United Nations             87,5                 1999                   w
  Olshansky et al.           88,0                 2001                   w+m
  World Bank                 90,0                 1990                   w

  Die Obergrenzen beziehen sich auf die weibliche Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt bis auf 2 Ausnahmen. Fries nahm an, dass nach der Eliminierung
  des Todes in jungen Lebensjahren das Todesalter einer Normalverteilung mit einem Mittelwert von 85 Jahren und einer Standardabweichung von 5 (1980)
  bzw. 7 (1990) Jahren folgen würde. Olshansky et al. (1990) setzten eine maximale Lebenserwartung von 35 Jahren für einen 50 Jahre alten Menschen ein, was
  sich zu 85 Jahren addiert. (Verändert nach [2] supplements)

venverläufe der Länder legen ein baldiges            noch Überlieferungen von Hundertjähri-                 Sanduhr, die zwar vorzeitig abgebrochen,
Ende des Anstieges der Lebenserwartung               gen, so sind diese mit Vorsicht zu genießen,           jedoch während des Ablaufens nicht nach-
nahe. Zwar werden typischerweise Pha-                denn je niedriger die durchschnittliche Le-            gefüllt werden kann, durchdringt bis heu-
sen des raschen Aufholens von langsame-              benserwartung war, desto größer war die                te auch wissenschaftliche Erklärungen der
ren Anstiegen gefolgt, doch nähern sich die          Neigung zu Übertreibungen [3].                         Langlebigkeit. Einige Experten führen bio-
Kurven keineswegs asymptotisch maxima-                  Heute gibt es hingegen nachweislich ei-             logische Hürden und praktische Hinder-
len Werten an. Auch die Lebenserwartung              nen deutlichen Anstieg in der Zahl an Hun-             nisse ins Feld, um diese Vorstellung einer
in Deutschland steigt etwa parallel zu der Li-       dertjährigen, der mit durchschnittlich etwa            unüberwindlichen, natürlichen Obergren-
nie der Rekordhalter [2].                            8% pro Jahr rapide voranschreitet []. Den             ze der Lebenserwartung zu untermauern,
                                                     63 Hundertjährigen in Westdeutschland im               die jedem weiteren Anstieg ein Ende set-
Immer mehr Hundertjährige                            Jahr 950 standen 50 Jahre später 5204 gegen-          zen wird (z. B. [9, 0]).
                                                     über [8]. Die Analyse der Daten legt nahe,
Einen weiteren deutlichen Hinweis für die            dass sich der beachtliche Anstieg fortsetzen,          Festgelegte Obergrenzen
ungedrosselte Zunahme der Langlebigkeit lie-         sogar beschleunigen wird. Hatte sich die
fert der rapide Anstieg der Zahl an Hundert-         Zahl der Hundertjährigen zwischen 950                 Seit das Phänomen der Langlebigkeit un-
jährigen in den entwickelten Industrienatio-         und 980 bereits alle 0 Jahre verdoppelt, so          tersucht wird, werden auch Versuche unter-
nen. Was in der Vergangenheit – trotz aller          erhöht sie sich in dem Jahrzehnt von 990–             nommen, eine Grenze der maximal mögli-
spektakulären Überlieferungen – noch uner-           2000 bereits um das 2,4fache.                          chen Lebenserwartung zu setzen (. Tabel-
reichbar schien, ist heute ein immer präsente-                                                              le 1). Gemeinsam ist den von verschiedenen
rer Teil unserer Wirklichkeit geworden.              Der Mythos einer Obergrenze                            Autoren genannten Obergrenzen ihre eige-
    Für die Zeit vor 800 ist kaum davon aus-        der Lebenserwartung                                    ne begrenzte Lebensdauer, denn bis auf die
zugehen, dass es überhaupt Menschen gab,                                                                    neuesten Schätzungen sind sie alle über kurz
die über 00 Jahre alt wurden [7]. Aus der           Je höher die beobachtete Lebenserwar-                  oder lang von der Wirklichkeit überholt wor-
Zeit vor dem 9. Jahrhundert existieren aller-       tung stieg, desto unvorstellbarer wurde                den – im Durchschnitt 5 Jahre nach den Ver-
dings wenig verlässliche Daten, da die Ge-           es, dass sich dieser Anstieg immer weiter              öffentlichungen [2]. Mitunter lag die tatsäch-
burtenregister über derartig lange Zeiträu-          fortsetzen würde. Die verbreitete Annah-               liche durchschnittliche Lebenserwartung
me häufig verloren gingen. Finden sich den-          me des unausweichlichen Ablaufens einer                einzelner Länder – unbemerkt von den Au-

                                                                             Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 5 · 2005             | 587
Zusammenfassung · Abstract

    Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsf - Gesundheitsschutz 2005 · 48:586–592                             toren – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
    DOI 10.1007/s00103-005-1043-4                                                                        schon jenseits der festgelegten Grenze.
    © Springer Medizin Verlag 2005

    J. W. Vaupel · K. G. v. Kistowski                                                                    Erklärungen für das vermeintlich
                                                                                                         Offensichtliche
    Der bemerkenswerte Anstieg der Lebenserwartung
    und sein Einfluss auf die Medizin                                                                    Schon Aristoteles kontrastierte in seinen Er-
                                                                                                         läuterungen über Jugend, Alter, Leben und
    Zusammenfassung                                                                                      Tod 2 Arten des Todes: den vorzeitigen Tod
    In den Industrienationen ist die Lebenser-        benserwartung vor allem der verringerten           durch Krankheit oder Unfall und den natür-
    wartung in den vergangenen 160 Jahren             Sterblichkeit im Alter zuzuschreiben, was          lichen Alterstod, der durch nichts zu beein-
    stetig gestiegen. Und der Trend hält an: Die      durch Fortschritte in der effektiven Präven-       flussen sei []. Diese Unterscheidung nahm
    Zahl der Menschen, die ihren 100. Geburts-        tion, der Diagnose und der Therapie von            über 2400 Jahre später auch der Mediziner
    tag feiern können, hat sich seit 1950 in je-      Alterskrankheiten weiter unterstützt wird.         Fries auf, um sie durch eine Quantifizierung
    dem Jahrzehnt mindestens verdoppelt.              Setzt sich der Trend fort, wird die Lebens-        zu ergänzen: Verkürzen kein Unfall und kei-
    Ausschlaggebend für die Verlängerung              erwartung in der ersten Hälfte dieses Jahr-        ne Krankheit die Lebensspanne eines Men-
    der Lebenserwartung war und ist ein Zu-           hunderts in Deutschland auf über 90 Jahre          schen, so nähert sich diese zwangsläufig ei-
    sammenspiel wirtschaftlicher Entwicklun-          steigen. Viele offizielle Prognosen bleiben        ner natürlichen Grenze, die für jeden Men-
    gen, sozialer Errungenschaften und medi-          jedoch darunter, was schwerwiegende Kon-           schen festgelegt ist, sich aber von Mensch zu
    zinischer Fortschritte. Eine unentrinnbare        sequenzen für öffentliche und private Ent-         Mensch unterscheidet [9]. Diese maximale
    Obergrenze der Lebenserwartung ist nicht          scheidungsprozesse haben kann.                     Lebenserwartung ist laut Fries normal ver-
    in Sicht. Vielmehr erweist sich der Alte-                                                            teilt mit einem Mittelwert von 85 und einer
    rungsprozess als plastisch und über geneti-       Schlüsselwörter                                    Standardabweichung von 7 Jahren. Nichts,
    sche und nicht-genetische Interventionen          Lebenserwartung · Altern · Mortalität ·            so betont auch Fries, könne gegen diese ma-
    modifizierbar. Heute ist der Anstieg der Le-      Demografie                                         ximale Lebenserwartung ausgerichtet wer-
                                                                                                         den: angeboren und determiniert sei sie jen-
                                                                                                         seits des Einflusses von Umwelt, Verhalten
    The remarkable rise in life expectancy and how it will affect medicine                               oder Medizin.
                                                                                                             Unterstützung findet die Vorstellung des
    Abstract                                                                                             unverrückbaren Alterstodes in den klassi-
    Life expectancy has increased at a steady         attributed to improvements in old-age sur-         schen Evolutionstheorien des Alterns, die
    pace in industrialized countries over the last    vival. It is a reasonable scenario that life ex-   die Unvermeidbarkeit des Alterungsprozes-
    160 years. A slowdown is not evident: Sin-        pectancy will rise further in coming decades,      ses mit schwindender Funktion und Gesund-
    ce 1950 the number of people celebrating          supported by advances in the prevention,           heit als unausweichliches Ergebnis nachlas-
    their 100th birthdays has at least doubled        diagnosis and treatment of age-related dis-        sender selektiver Kräfte betonen [2]. Denn
    each decade. This increase in survival is the     eases. If the trend continues, life expectancy     die natürliche Selektion maximiert keines-
    result of economic developments, social im-       in Germany will rise to over 90 years in the       wegs die Lebenszeit eines Individuums, son-
    provements and advances in medicine. Al-          first half of this century. Many official fore-    dern dessen Fitness, d. h. den Beitrag, den
    though the belief that old-age mortality is       casts, however, have assumed lower figures         das Individuum zur fortpflanzungsfähigen
    intractable remains widespread, life expect-      which can have severe consequences both            Folgegeneration leistet. Beim Gros der sich
    ancy is not approaching a limit. Rather, the      for public and private decision making.            geschlechtlich fortpflanzenden Arten steigt
    evidence suggests that ageing is plastic and                                                         die Mortalitätsrate mit fortschreitendem Al-
    that survival can be extended by various          Keywords                                           ter (Seneszenz) [3]. Evolutionsbiologen ha-
    genetic changes and non-genetic interac-          Life expectancy · Ageing · Mortality ·             ben Theorien entwickelt, die dieses Phäno-
    tions. Increases in life expectancy are largely   Demography                                         men erklären [2, 4, 5]. Ist die Reprodukti-
                                                                                                         onsphase einmal abgeschlossen, kann per Se-
                                                                                                         lektion kein Druck mehr gegen schädliche,
                                                                                                         sich spät im Lebenslauf ausprägende Mu-
                                                                                                         tationen ausgeübt werden. Diese Mutatio-
                                                                                                         nen sind nicht adaptiv: Sie können den Re-
                                                                                                         produktionserfolg nicht mehr beeinflussen.
                                                                                                         Hamilton folgerte daher, dass sich schädli-
                                                                                                         che Mutationen im Alter anhäufen müssen.
                                                                                                         So sollte der Alterungsprozess nach Beendi-
                                                                                                         gung der Fortpflanzungsphase theoretisch
                                                                                                         ungehindert seinen Lauf nehmen – und

588 |    Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 5 · 2005
Abb. 2 8 Weibliche                                                        Abb. 3 8 Verringerun-
                                                Lebenserwartung in                                                        gen der weiblichen
                                                den USA, in Japan,                                                        Mortalität von 1911–
                                                Norwegen, Neusee-                                                         1999 in England und
                                                land (ohne Maori)                                                         Wales für Frauen im
                                                und Deutschland im                                                        Alter von 85, 90 und
                                                Vergleich mit dem                                                         95 Jahren. Quelle: zu-
                                                Trend der Rekordle-                                                       sammengetragen
                                                benserwartung. (Ver-                                                      aus [8]. (Verändert
                                                ändert nach [2])                                                          nach [5])

ebenso zwangsläufig bald zum Tod führen.        20 und 30 Jahren. Die Kindersterblichkeit         len die Fortschritte nach 950 und vor al-
Obwohl diese Theorie diverse Ergänzun-          war hoch, Menschen fielen Infektionskrank-        lem nach 970 beeindruckend aus. Auch
gen und Präzisierungen erfahren hat, gilt sie   heiten und der Härte der Lebensbedingun-          Daten aus Schweden, Island, Japan und
noch immer als das dominante Paradigma          gen zum Opfer. Sogar in Westeuropa wur-           den Vereinigten Staaten belegen ein deut-
für die Evolution des Alterns [6].             de erst nach 800 eine Lebenserwartung            liches Sinken der Alterssterblichkeit seit
                                                von 40 und erst nach 900 eine von 50 Jah-        Mitte des vergangenen Jahrhunderts [20].
Keine Anzeichen für eine maximal                ren erreicht []. Im vergangenen Jahrhun-         Zwar begünstigten auch der Anstieg der
gefüllte Sanduhr                                dert hat die Lebenserwartung dann eine            Geburtenrate vor 00 Jahren, der drasti-
                                                drastische Steigerung um mehr als 30 Jah-         sche Rückgang der Säuglings- und Kinders-
So verankert die Vorstellung einer festgeleg-   re erfahren. Heute werden japanische Frau-        terblichkeit sowie die substanzielle Verrin-
ten maximalen „Laufzeit“ der Lebenssand-        en durchschnittlich über 85 und deutsche          gerung der Mortalität im Kindes- und Er-
uhr auch ist, empirisch deutet nichts darauf    Frauen immerhin 8 Jahre alt [7]. Dabei be-      wachsenenalter die heute zu beobachten-
hin, dass der anhaltende Anstieg der durch-     ruht der gegenwärtige weitere Anstieg der         de Zunahme an Hundertjährigen. Doch
schnittlichen Lebenserwartung abflacht.         Lebenserwartung auf einer andauernden             demografische Analysen zeigen deutlich,
Erstens konnten ausgerufene Obergrenzen         Verminderung der Sterblichkeit vor allem          dass der bei weitem wichtigste Faktor für
der Lebenserwartung wiederholt widerlegt        unter den Höchstalten [, 5, 8].                 die Zunahme der Hochbetagten der Rück-
werden (. Tabelle 1). Zweitens legen auch                                                         gang der Mortalität im hohen Alter jen-
die Kurven einzelner Länder (. Abb. 2)          Die Verringerung der                              seits des 80. Geburtstages ist. Dieser Fak-
kein Zuschreiten auf einen fixen Maximal-       Alterssterblichkeit seit 1950                     tor ist etwa 2- bis 3-mal wichtiger als alle
wert der Lebenserwartung nahe. Und drit-                                                          anderen Faktoren zusammen [].
tens: Wenn sich die Lebenserwartung tat-        Eine dramatische Verringerung der Sterb-
sächlich einem unausweichlichen, biolo-         lichkeit von Menschen hohen Alters ist            Das Plateau: die weitere Verlang-
gisch unüberwindlichen Maximum näher-           erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu be-       samung der Alterssterblichkeit
te, sollte sich auch der Anstieg der Lebens-    obachten [, 3, 4, 5,9]. . Abbildung 3 zeigt
erwartung der Spitzenreiter verlangsamen.       die Fortschritte, die in England und Wales        Der Anstieg der Sterberaten verlangsamt
Dies ist jedoch nicht der Fall [2, 5].          bei der Absenkung der Mortalität bei 85,          sich beim Menschen ab dem Alter von
                                                90 und 95 Jahre alten Frauen zu verzeich-         80 Jahren. Analysen von Daten sehr gro-
Die neuen Methusalems                           nen waren. Die zackigen Kurven sind auf           ßer Kohorten zeigten, dass die Sterberaten
                                                die geringen Populationsgrößen sowie auf          in sehr hohem Alter ein Plateau erreichen
Hinter der durchschnittlichen Lebenserwar-      die Einflüsse von Epidemien oder andere           und jenseits eines Alters von 0 Jahren so-
tung für eine bestimmte Gesellschaft zu ei-     unregelmäßige Faktoren zurückzuführen.            gar abnehmen können [2]. Dies trifft nicht
nem gegebenen Zeitpunkt steht ein diffe-        Um das Jahr 950 herum zeigt sich ein deut-       nur für Menschen zu. Der Rückgang der
renziertes Mortalitätsmuster. Über weite        licher Wandel im Kurvenverlauf: Während           Mortalität im hohen Alter konnte auch bei
Strecken der Geschichte der Menschheit          vor 950 nur kleine Verringerungen in der         einer Reihe von Modellorganismen beob-
schwankte die Lebenserwartung zwischen          Alterssterblichkeit auszumachen sind, fal-        achtet werden: Ob bei der Bierhefe, beim

                                                                       Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 5 · 2005   | 589
Leitthema: Berliner Gespräche: Der geriatrische Patient

    Fadenwurm Caenorhabditis elegans oder             klärung der erstaunlichen Verringerung             Ganz abgesehen von den Folgen möglicher
    bei verschiedenen Fruchtfliegen – bei allen       der Alterssterblichkeit an?                        Mangelerscheinungen für die Gesundheit,
    verlangsamte sich die Zunahme der alterss-            Eine Erklärung für die Plastizität des Al-     unterscheidet sich die Physiologie des Men-
    pezifischen Mortalität und konnte im sehr         terns liefert die Heterogenität. Sogar in ge-      schen von denen der Hefen, der Fadenwür-
    hohen Alter sogar abnehmen [20]. Wie              netisch identischen Populationen zeigen            mer oder der Fruchtfliegen.
    beim Menschen traten diese Phänomene              sich zwischen den Individuen phänotypi-                Und doch bringen uns die Versuche an
    auch bei den Würmern und Insekten weit            sche Unterschiede. Schwächere Individu-            Modellorganismen im Hinblick auf das Ver-
    jenseits des Fortpflanzungsalters auf.            en haben eine geringere, widerstandsfähi-          ständnis des biologischen Alterungsprozes-
                                                      gere Individuen eine höhere Überlebens-            ses weiter. Oft verdeutlichen schon diese,
    Macht extremes postreproduktives                  wahrscheinlichkeit. Das kann zu einer qua-         dass mit vorschnellen Schlüssen kein guter
    Überleben Sinn?                                   litativ veränderten Zusammensetzung der            Rat erteilt ist. Auch wenn, wie es so einfach
                                                      überlebensfähigen, alternden Populatio-            heißt, Hungern tatsächlich das Leben verlän-
    Eine in hohem Maß verlängerte Phase postre-       nen und zu einer Abnahme der altersspezi-          gern könnte, wäre aber vielleicht gar keine
    produktiven Überlebens ist außerordentlich        fischen Sterberaten führen [25, 26, 27, 28].       lebenslange Askese erforderlich. Das legen
    erstaunlich, und noch ist nicht klar, wie sie         Doch auch die auf ein Individuum ein-          zumindest Ergebnisse einer Studie mit Dro-
    mit der biologischen Theorie des Alterns in       wirkenden Bedingungen können Einfluss              sophila nahe: Bei Fliegen, die ihr ganzes Le-
    Einklang gebracht werden kann, die von ei-        auf seine Langlebigkeit nehmen. Umweltbe-          ben strenge Diät einhalten mussten, denen
    ner fortschreitend ansteigenden Mortalität        dingungen und Versorgungslagen sind unsi-          dann jedoch plötzlich unbegrenzte Kalori-
    nach Beendigung der Reproduktionsphase            cher und Schwankungen unterworfen. Einer-          enzufuhr gewährt wurde, fiel die Lebenser-
    ausgeht [2]. Für sozial lebende Arten muss       seits haben sich zur Überdauerung widriger         wartung auf das Niveau der schon immer
    die strenge, klassische evolutionstheoreti-       Jahreszeiten oder Umweltbedingungen bei            reichlich gefütterten Fliegen zurück. Wenn
    sche Betrachtung des Alterns offensichtlich       vielen Arten Ruheperioden entwickelt, in de-       andererseits die ihr Leben lang gut versorg-
    überdacht werden. Denn neben der reinen           nen der Stoffwechsel bei sparsamstem Ener-         ten Fliegen auf Diät gesetzt wurden, stieg
    Reproduktionsleistung müssen auch gene-           gieverbrauch weiterläuft. Andererseits kön-        ihre Lebenserwartung nach nur 48 Stun-
    rationenübergreifende Ressourcentransfers         nen Ernährungsdefizite oder Stress (z. B. Hit-     den auf das Niveau der Fliegen, die bis da-
    berücksichtigt werden [22]. Unter diese fal-      zeeinwirkung) zu einem früheren Zeitpunkt          hin unter extremer Kalorienreduktion hat-
    len beispielsweise die Betreuungsleistungen       im Leben neben einer erhöhten Stressresis-         ten leben müssen [35]. Diese Ergebnisse un-
    von Eltern oder Großeltern [23]. Menschen         tenz auch Langlebigkeit und verschobene            terstützen die vielfach gewonnene Erkennt-
    investieren in hohem Maß in die Qualität ih-      Fertilitätsphasen induzieren [29, 30, 3].         nis, dass altersspezifische Sterberaten stark
    rer geborenen Nachkommenschaft, sodass                                                               von gegenwärtigen Bedingungen und Ver-
    wie bei anderen sozialen Spezies das effekti-     Enthaltsamkeit und Wohlstand für                   haltensweisen, d. h. mehr als von denen frü-
    ve Ende der Reproduktionsphase weit jen-          ein langes Leben                                   herer Lebensphasen, abhängen [3,20]. Mor-
    seits der Fertilitätsphase liegen kann [24]. So                                                      talität zeigt sich somit, auch und gerade im
    wird das Überleben postreproduktiver Indivi-      „Hungern verlängert das Leben“ – diese             hohen Alter, plastisch.
    duen, die zum Überleben der Nachfolgegene-        Formel klingt gar zu einfach. Doch tatsäch-            Dass dies auch für den Menschen gilt,
    rationen beitragen, erklärlich. Doch ist dies     lich haben Versuche mit einer Vielzahl von         zeigt sich in der jüngeren deutschen Ge-
    bei 80-, 90- oder gar über 00-Jährigen noch      Modellorganismen, von der Hefe bis zum             schichte. Sowohl in der ehemaligen DDR
    der Fall, also bei Lebensaltern, die zudem im     Säuger, zeigen können, dass eine Verrin-           als auch in der Bundesrepublik vor 990
    Lauf der menschlichen Evolution sehr selten        gerung der Kalorienzufuhr lebensverlän-           war der für die Industrienationen typische
    oder nie erreicht wurden? Warum sich die           gernd wirkt [3]. Untersuchungen bei einfa-       kontinuierliche Abfall der Alterssterblich-
    Biologie der ebenso offensichtlichen wie er-       chen Organismen haben in den vergange-            keit zu beobachten – mit einer durchweg
    staunlichen Verringerung der Alterssterblich-     nen Jahren auch unser Wissen darüber er-           höheren Sterblichkeit in Ostdeutschland.
    keit nicht in den Weg stellt, bleibt ein nicht    weitert, wie Kalorienrestriktionen zu einer        Im Anschluss an die Wiedervereinigung
    bis ins Letzte geklärtes Geheimnis [20].          verlängerten Lebenserwartung führen kön-           (989–990) sank die Altersmortalität in
                                                      nen, welche Stoffwechselwege und moleku-           Ostdeutschland jedoch auf das westdeut-
    Das Phänomen der Plastizität                      laren Regulationsmechanismen daran be-             sche Niveau (. Abb. 4) [8, 36], wofür vor
    des Alterns                                       teiligt sind (z. B. [32, 33]) oder wie diese be-   allem die verbesserte medizinische Versor-
                                                       einflusst werden könnten [34]. Offensicht-        gung verantwortlich gemacht wurde.
    Und doch zeigt sich das Altern plastischer,       lich gibt es ein in der Evolution konservier-          Die oben dargestellten Forschungser-
    als es die allgemeinen Vorstellungen und          tes Umschalten auf einen „Langsamer-Al-            gebnisse zeigen also, dass es nie zu spät ist,
    die biologische Theorie des Alterns vermu-        tern-Modus“ in Zeiten des Mangels. Die             an seinem langen Leben zu arbeiten [37].
    ten lassen: Erstens verlangsamt sich der Al-      Anstrengungen sind groß, die molekula-
    terungsprozess im Alter, zweitens kann in         ren Details der zugrunde liegenden Mecha-          Genetische Stellschrauben
    sehr hohem Alter die Mortalität stagnie-          nismen aufzudecken. Doch ob die Dinge
    ren oder sogar sinken. Welche biodemo-            beim Menschen so einfach wie bei Modell-           Die Forschung an Modellorganismen wie
    grafischen Konzepte bieten sich für die Er-        organismen liegen, ist noch nicht geklärt.        C. elegans und Drosophila verdeutlicht,

590 |   Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 5 · 2005
dass sogar einzelne Gene die Lebensspanne
beeinflussen können. 993 zeigten erste Er-
gebnisse, dass Mutationen, die die Aktivität
des Gens daf-2 reduzieren und damit unter
anderem den Stoffwechsel verlangsamen,
die Lebenserwartung des Fadenwurms ver-
doppelten [38]. Seitdem sind bei Modellor-                              Abb. 4 7 Sterberaten in
ganismen eine Vielzahl anderer Gene iden-                               Ost- und Westdeutsch-
tifiziert worden, die Einfluss auf die Lang-                           land für um 1900 gebo-
lebigkeit nehmen und, was in direkter Ver-                              rene Kohorten. Grauer,
bindung dazu steht, die Stressresistenz er-                              vertikaler Balken: Zeit-
                                                                      raum vom Fall der Mau-
höhen [39]. Geben diese Befunde gar ei-                                 er am 9.11.1989 bis zur
nen Hinweis auf einen zentralen Alterungs-                              Wiedervereinigung am
prozess? Bekannt ist, dass viele der identifi-                      3.10.1990. Quelle: Human
zierten Gene für die Regulation des Energie-                                Mortality Database.
stoffwechsels oder die Reaktion auf oxida-                                 (Adaptiert nach [18])
tiven Stress von Bedeutung sind. Letzterer
entsteht, wenn als Nebenprodukt des Stoff-
wechsels mehr freie Radikale gebildet wer-       60 Jahren die Schwelle von 00 Jahren über-        Das Alter und seine Krankheiten
den als die antioxidativen Schutzsysteme         schreiten [2]. Dies bedeutet aber keineswegs,
der Zellen beseitigen können. Es zeigen          dass wir uns auf die Unsterblichkeit zu bewe-      Infektionskrankheiten waren bis zur ersten
sich somit interessante Verbindungen zwi-        gen. Doch werden Hundertjährige zukünftig          Hälfte des 20. Jahrhunderts die großen Gei-
schen den genetischen und umweltbeding-          alltäglicher werden – und dies schon zu Leb-       ßeln der Menschheit, bis Schutzimpfungen
ten Determinanten der Langlebigkeit.             zeiten der heute Geborenen.                        und Antibiotika in den Industrienationen
    Und doch scheint der Alterungsprozess            Der hartnäckige Glaube daran, dass eine        viele der lebensbedrohlichen Krankheiten
komplexer und weniger in Komponenten             Obergrenze der Lebenserwartung in Sicht-           beherrschbar machten, die Säuglings- und
zerlegbar, da viele Gene die Langlebigkeit       weite ist, hat schwerwiegende Konsequen-           Kindersterblichkeit senkten und die verhee-
beeinflussen können [40]. Beim Menschen          zen. Er beeinflusst öffentliche und private        renden Auswirkungen großer Epidemien
hat sich zudem gezeigt, dass von einer ein-      Entscheidungsprozesse. Prognosen der Le-           weitgehend in Grenzen hielten. Das Auf-
deutig angeborenen Bestimmung, ein hohes         benserwartung gehen in Berechnungen des            kommen von AIDS und einzelne Grippe-
Alter zu erreichen, nicht die Rede sein kann.    Renten- und Gesundheitssystems ein. Erhö-          epidemien müssen hier als Ausnahmen ge-
Zwillingsstudien verdeutlichen, dass nur         hungen der durchschnittlichen Lebenser-            nannt werden. So erklärt sich auch der An-
25% der Variationen in der Langlebigkeit ge-     wartung bedeuten eine deutliche Zunahme            stieg der durchschnittlichen Lebenserwar-
netischen Unterschieden zugeschrieben wer-       an Hochbetagten, deren Versorgung, Be-             tung bis 950 zu einem beträchtlichen An-
den können [4]. Wir stehen somit noch am        treuung und Pflege die Gesellschaft vor gro-       teil aus der Zurückdrängung der Infektions-
Beginn des Verständnisses der Alterungspro-      ße Herausforderungen stellen wird. Vorsich-        krankheiten aufgrund der großen medizini-
zesse, sowohl der des Wurms als auch der         tige Prognosen erlauben daher Politikern,          schen Fortschritte.
des Menschen. Eines wird aber deutlich: Es       zwingend notwendige, schmerzhafte Refor-               Heute sind in Deutschland hingegen
gibt grundsätzlich Mittel und Wege, um den       men der Sozialsysteme aufzuschieben.               Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit 46,8%
Alterungsprozess zu verzögern.                       Prognosen für einzelne Länder lassen           die häufigste und Krebs mit 25% die
                                                 sich beispielsweise mithilfe der Gap-Me-           zweithäufigste Todesursache [45]. Kann
Herausforderungen                                thode ermitteln, die die Abstände zwi-             das ursächliche Verständnis des biologi-
                                                 schen der Spitzenreiterlinie der Lebenser-         schen Alterungsprozesses auch das Ver-
Prognosen                                        wartung und den jeweiligen nationalen              ständnis der Mechanismen unterstützen,
                                                 Werten (. Abb. 2) berücksichtigt. Danach           die diesen Alterskrankheiten zugrunde lie-
Die zukünftige Entwicklung der menschli-         wäre in Deutschland für das Jahr 2050 mit          gen? Und wenn Mittel zur Verzögerung
chen Lebenserwartung ist ungewiss. Waren         einer Lebenserwartung von etwa 94 (±3,8)           der basalen Alterungsprozesse gefunden
die vorherrschenden Gründe für ihren An-         Jahren zu rechnen [42]. Dieser Wert liegt          würden, wäre dann automatisch etwas
stieg in den vergangenen 60 Jahren auch Än-     wesentlich höher als der des Statistischen         zur Bekämpfung der Krankheiten geleis-
derungen unterworfen und komplex, so war         Bundesamtes mit 86,6 oder der von Euro-            tet, die wie Arteriosklerose und Krebs im
doch das Resultat eine stabile, lineare Zunah-   stat mit 84 Jahren [43, 44]. Die verschiede-       Alter dramatisch zunehmen?
me um 2,5 Jahre pro Jahrzehnt (. Abb. 1).        nen Prognosen der Lebenserwartung für                  Noch sind die Erkenntnisse über die
Nichts deutet darauf hin, dass sich dieser       das Jahr 2050 unterscheiden sich um bis zu         Gründe für den rapiden Anstieg dieser
Trend in den kommenden Jahrzehnten än-           0 Jahre. Dies birgt die Gefahr, unvorberei-       Krankheiten im Alter lückenhaft. Aber es
dern wird. Folglich wird das Land mit der        tet und konzeptlos einer neuen gesellschaft-       zeigt sich bereits, dass der Alterungspro-
weltweit höchsten Lebenserwartung in             lichen Situation gegenüberzustehen.                zess selbst und eine Reihe von Alterskrank-

                                                                      Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 5 · 2005    | 591
Leitthema: Berliner Gespräche: Der geriatrische Patient
                                                                                                                      21. Thatcher AR, Kannisto V, Vaupel JW (1998) The trajecto-
    heiten ursächliche Mechanismen teilen. Bei-      wohl aus humanitären als auch aus ökono-                             ry of mortality from age 80 to 120. Odense Univ Press,
    spielweise wird über die Rolle des oxidati-      mischen Gründen zwingend notwendig                                   Odense
    ven Stresses, der bei Modellorganismen als       sein, darüber hinaus die Forschung für ein                       22. Lee R (2003) Rethinking the evolutionary theory of
                                                                                                                          aging: transfers, not births, shape senescence in social
    führende proximate Ursache des Alterungs-        gesundes Altern zu stärken. In diesem Zu-                            species. Proc Nat Acad Sci USA 100:9637–9642
    prozesses gilt [46], für die Pathogenese kar-    sammenhang ist einer Reihe von Alterslei-                        23. Hawkes K, O’Connell JF, Blurton Jones NG et al. (1998)
                                                                                                                          Grandmothering, menopause, and the evolution of hu-
    diovaskulärer oder neurodegenerativer Er-        den, die zwar nicht unmittelbar zum Tod                              man life histories. Proc Nat Acad Sci USA 95:1336–1339
    krankungen diskutiert [47]. Auch gibt es ver-    führen, die aber die Lebensqualität alter                        24. Carey JR, Gruenfelder C (1997) Population biology of
                                                                                                                          the elderly. In: Wachter KW, Finch CE (eds) Between
    mehrt Hinweise darauf, dass für den Alte-        Menschen erheblich einschränken, beson-                              Zeus and the salmon: the biodemography of longevity.
    rungsprozess kennzeichnende molekulare           dere Beachtung zu schenken: Als Beispie-                             Natl Acad Press, Washington DC, pp 127–160
    und physiologische Prozesse die beim Men-        le mögen so unterschiedliche Leiden wie                          25. Vaupel JW, Manton KG, Stallard E (1979) The impact of
                                                                                                                          heterogeneity in individual frailty on the dynamics of
    schen im Alter häufigen epithelialen Krebs-      Alzheimer, Arthritis, aber auch Depression                           mortality. Demography 16:439–454
    erkrankungen fördern [48].                       und soziale Isolation genannt sein.                              26. Curtsinger JW, Fukui HH, Townsend DR, Vaupel JW
                                                                                                                          (1992) Demography of genotypes: failure of the limi-
                                                                                                                          ted life-span paradigm in Drosophila melanogaster. Sci-
    Ausblick: Medizin für                            Korrespondierender Autor                                             ence 258:461–463
                                                                                                                      27. Vaupel JW, Carey JR (1993) Compositional interpretati-
    ein lebenswertes Altern                          Prof. Dr. J. W. Vaupel
                                                                                                                          ons of medfly mortality. Science 260:1666–1667
                                                     Max-Planck-Institut für demografische Forschung,                 28. Yashin AI, Vaupel JW, Iachine IA (1994) A duality in
    Es werden vor allem Fortschritte in der effek-   Konrad-Zuse-Straße 1, 18057 Rostock
                                                                                                                          aging: the equivalence of mortality models based on
                                                                                                                          radically different concepts. Mech Ageing Dev 74:1–14
    tiven Prävention, Diagnose und Therapie          E-Mail: jwv@demogr.mpg.de                                        29. Lithgow GJ, White TM, Melov S, Johnson TE (1995) Ther-
    der tödlichen Alterskrankheiten sein, die                                                                             motolerance and extended life-span conferred by sin-
                                                                                                                          gle-gene mutations and induced by thermal stress.
    die Lebenserwartung auch in den kommen-          Literatur                                                            Proc Nat Acad Sci USA 92:7540–7544
    den Jahrzehnten weiter steigen lassen [49].                                                                       30. Murakami S, Johnson TE (1996) A genetic pathway con-
                                                      1. Vaupel JW, Jeune B (1995) The emergence and proliferati-         ferring life extension and resistance to UV stress in Cae-
    Anlass zur Hoffnung geben etwa Erkenntnis-           on of centenarians. In: Jeune B, Vaupel JW (eds) Exceptio-       norhabditis elegans. Genetics 143:1207–1218
    se, die aus dem zunehmend holistischen Ver-          nal longevity. Odense Univ Press, Odense, pp 109–116         31. Masoro EJ (2000) Caloric restriction and aging: an upda-
                                                      2. Oeppen J, Vaupel JW (2002) Broken limits to life expec-
    ständnis der genetischen Steuerung, der In-          tancy. Science 296:1029–1031
                                                                                                                          te. Exp Gerontol 35:299–305
                                                                                                                      32. Tissenbaum HA, Guarente L (2001) Increased dosage of
    teraktion der Proteine und anderer Phäno-         3. Kannisto V (1994) Development of the oldest-old mor-             a sir-2 gene extends lifespan in Caenorhabditis elegans.
                                                         tality, 1950–1990. Odense Univ Press, Odense
    mene des Stoffwechsels resultieren. Die Mo-       4. Kannisto V, Lauritsen J, Thatcher AR, Vaupel JW (1994)
                                                                                                                          Nature 410:227–230
                                                                                                                      33. Anderson RM, Bitterman KJ, Wood JG et al. (2003) Nicotina-
    lekular- und Systembiologie ermöglicht es,           Reductions in mortality at advanced ages: several de-            mide and PNC1 govern lifespan extension by calorie re-
                                                         cades of evidence from 27 countries. Popul Dev Rev
    die Ursachen der Entstehung und des Voran-                                                                            striction in Saccharomyces cerevisiae. Nature 423:181–185
                                                         20(4):793–830                                                34. Howitz KT, Bitterman KJ, Cohen HY et al. (2003) Small
    schreitens von Krankheiten zu verstehen. Da-      5. Vaupel JW (1997) The remarkable improvements in survi-           molecule activators of sirtuins extend Saccharomyces
    mit ebnen sie den Weg für zielgerichtete und         val at old ages. Phil Trans R Soc Lond B 352:1799–1804           cerevisiae lifespan. Nature 425:191–196
                                                      6. Riley J (2001) Rising life expectancy: a global history.
    individualisierte Diagnose- und Therapiever-         Cambridge Univ Press, Cambridge
                                                                                                                      35. Mair W, Goymer P, Pletcher SD, Partridge L (2003) De-
                                                                                                                          mography of dietary restriction and death in Drosophi-
    fahren. Ein anderes großes Forschungs- und        7. Jeune B (1995) In search for the first centenarians. In:         la. Science 301:1731–1733
                                                         Jeune B, Vaupel JW (eds) Exceptional longevity. Odense
    Entwicklungsgebiet, das Fortschritte in der          Univ Press, Odense, pp 11–24
                                                                                                                      36. Gjonca A, Brockmann H, Maier H (2000) Demogr Res
                                                                                                                          3:1. http://www.demographic-research.org
    Eindämmung und Bekämpfung von Alters-             8. Kannisto-Thatcher-Database on old age mortality,             37. Vaupel JW, Carey JR, Christensen K (2003) It’s never too
                                                         http://www.demogr.mpg.de/databases/ktdb/
    krankheiten verspricht, ist die regenerative                                                                          late. Science 301:1679–1681
                                                      9. Fries JF (1980) Aging, natural death, and the compressi-     38. KenyonC,ChangJ,GenschEetal.(1993)AC.elegansmutant
    Medizin. Viele Alterskrankheiten gehen mit           on of morbidity. N Engl J Med 303:130–135                        that lives twice as long as wild type. Nature 366:461–464
    der Zerstörung und dem Funktionsverlust          10. Olshansky SJ, Carnes BA, Cassel C (1990) In search of        39. Guarente L, Kenyon C (2000) Genetic pathways that regu-
                                                         Methulaseh: estimating the upper limits of human lon-
    bestimmter Zell- und Gewebetypen einher.             gevity. Science 250:634–640
                                                                                                                          late ageing in model organisms. Nature 408:255–262
                                                                                                                      40. Lee SS, Lee RY, Fraser AG et al. (2003) A systematic RNAi
    Ersatzgewebe oder Erneuerungsmöglichkei-         11. Aristotle (350 BC) On youth and old age, on life and             screen identifies a critical role for mitochondria in C. ele-
                                                         death, on breathing. Translation by Ross GRT: http://
    ten für diese degenerierten Zellen und Gewe-         classics.mit.edu/Aristotle/youth_old.html
                                                                                                                          gans longevity. Nature Genet 33:40–48
                                                                                                                      41. Finch CE, Tanzi RE (1997) Genetics of aging. Science
    be zu finden, ist das große Ziel der Stamm-      12. Hamilton W (1966) The moulding of senescence by na-              278:407–411
                                                         tural selection. J Theor Biol 12:12–45
    zellforschung. Zudem nähren die Fortschrit-                                                                       42. Schnabel S, Vaupel JW, unveröffentlichte Daten
                                                     13. Finch CE (1990) Longevity, senescence, and the geno-         43. Statistisches Bundesamt (2003) Bevölkerung Deutsch-
    te im Verständnis der zentralen und evolutio-        me. Univ of Chicago Press, Chicago                               lands bis 2050 – Ergebnisse der 10. koordinierten Bevöl-
    när konservierten Alterungsprozesse sowie        14. Medawar PB (1952) Uniqueness of the individual. An un-           kerungsvorausberechnung. Eigenverlag, Wiesbaden
                                                         solved problem of biology. Lewis HK, London, pp 44–70
    ihrer genetischen und umweltbedingten De-        15. Williams GC (1957) Pleiotropy, natural selection, and
                                                                                                                      44. Eurostat Database New Cronos (2001) Theme 3: Popula-
                                                                                                                          tion and social conditions
    terminanten die Hoffnung, dass, darauf auf-          the evolution of senescence. Evolution 11:398–411            45. Statistisches Bundesamt (2004) Deutschland 2004. Ei-
                                                     16. Rose MR (1991) Evolutionary biology of aging. Oxford
    bauend, Therapien entwickelt werden kön-             Univ Press, New York
                                                                                                                          genverlag, Wiesbaden
                                                                                                                      46. Hekimi S, Guarente L (2003) Genetics and the specifity
    nen, die eine Verlangsamung des Alterungs-       17. Population Reference Bureau (2004) World population              of the aging process. Science 299:1351–1354
                                                         data sheet, http://www.prb.org
    prozesses und ein längeres Leben unterstüt-                                                                       47. Finkel T, Holbrook NJ (2000) Oxidants, oxidative stress
                                                     18. Scholz R, Maier H (2003) http://www.demogr.mpg.de/               and the biology of ageing. Nature 408:239–247
    zen [50].                                            papers/working /wp-2003-031.pdf                              48. DePinho RA (2000)The age of cancer. Nature 408:248–254
        Wir werden immer älter, und die Zahl         19. Wilmoth JR (1997) In search of limits. In: Wachter KW,       49. Barbi E, Vaupel JW (2005) Comment on „Inflammatory
                                                         Finch CE (eds) Between Zeus and the Salmon: the bio-
    an Hochbetagten wächst. Das ist eine enor-           demography of longevity. Natl Acad Press, Washington
                                                                                                                          exposure and historical change in human life-spans“,
                                                                                                                          submitted
    me zivilisatorische Leistung, die sich in ho-        DC, pp 38–64                                                 50. Nemoto S, Finkel T (2004) Ageing and the mystery at
                                                     20. Vaupel JW, Carey JR, Christensen K et al. (1998) Biodemo-
    hem Maß auf die medizinischen Fortschrit-            graphic trajectories of longevity. Science 280:855–860
                                                                                                                          Arles. Nature 429:149–152
    te in der Diagnose und Therapie tödlicher
    Alterskrankheiten stützt. Es wird jedoch so-

592 |   Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 5 · 2005
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